442 442 FUDUTOURS International 29.03.24 15:19:48

30.04.2016 Brescia Calcio – Vicenza Calcio 0:1 (0:0) / Stadio Mario Rigamonti / 7.557 Zs.

Endlich haben es die Spielplanmacher der DFL einmal gut mit uns gemeint. Mein Herzensverein erhält ein Heimspiel am Freitagabend gegen den VfL Bochum und schon tut sich im Anschluss ein zweitägiges Zeitfenster auf, das mit adäquatem Inhalt gefüllt werden mag. Schnell entschließen sich mein Bianconeri-Bruderherz und meine Person, einen spontanen Abstecher nach Italien zu unternehmen, um Juventus zu Hause spielen sehen und auf dem Weg dorthin noch ein zweitklassiges Vorspiel mitnehmen zu können.

Am Samstagmorgen landen wir in Bergamo, der Stadt, in der ich mich dank Ryanair mittlerweile mit verbundenen Augen bewegen kann. Der obligatorische Stadtbummel ist schnell erledigt und schon sitzen wir bei strahlendem Sonnenschein frühstückend in den Straßen der norditalienischen Stadt. Wenig später hocken wir mit zwei kiffenden Afrikanern auf dem Bahnsteig und warten auf unseren Zug nach Brescia. Die erste Etappe wird in einer Regionalbahn zurückgelegt, in der wir lernen, dass das italienische Wort „fallo“ offenbar nicht nur das „Foulspiel“ auf dem Fußballfeld bezeichnet, sondern auch in anderen Alltagssituationen Fehlverhalten benennt. Hier und heute belegt der Schaffner jedenfalls zwei schwarzfahrende Jugendliche mit eben diesem Wort und bittet sie zur Kasse.

Vor unserem Umstieg in den nächsten Zug haben wir einige Minuten Zeit, die FUDU natürlich nutzt, um in den Bahnhofskiosk einzukehren. Mit zwei 0,66 Liter Flaschen Peroni wird der Rucksack zwar etwas schwerer, die Vorfreude auf die Weiterfahrt aber größer. Die einfahrende Bahn ist dann leider so überfüllt, dass es für uns nur zu einem Stehplatz im Gang reicht. Das Bier trinken wir immer dann, wenn für wenige Augenblicke genügend Spielraum entsteht, die Flasche zum Mund zu führen. Dabei werden wir von den Italienern so angeschaut, wie man in Italien nun einmal angeschaut wird, wenn man anstelle eines feinen Weines ein Bier trinkt. Und dann auch noch in der Öffentlichkeit. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass die Italiener Bier in 0,66 Liter Flaschen füllen, um genau diesen Blicken weiteres Futter zu liefern: Was für Bauern. Bestimmt Deutsche.

Diesen Fauxpas (oder: fallo) machen wir wieder wett, als wir kurz darauf kulturinteressiert durch die Gassen von Brescia stromern. Schnell stellt sich heraus, dass wir von der Architektur Brescias begeisterter sind, als wir dies laut  des vorab bei ebay ersteigerten Reiseführers sein dürften. Hier heißt es beispielsweise über den Dom, den wir imposant finden: „Mit ihrem Stilgemisch und ihrer Massigkeit kann die 1604 begonnene, komplett aus strahlend weißem Botticino-Marmor gestaltete Kirche letztlich wenig überzeugen“. Auch mal eine Marktlücke – der ehrliche Reiseführer.

Besonders angetan hat es uns das U-Bahn-Netz der Stadt. Brescia ist eine der kleinsten Städte Europas, die über ein solches verfügt. Erst 2013 wurde dieses fertiggestellt und soll dank vollautomatisch fahrender Züge den Stadtverkehr entlasten. Wir gönnen uns eine Fahrt zum Hotel, sitzen wie die kleinen Kinder direkt hinter der Frontscheibe des ersten Wagens und spielen Zugführer.

Das Hotel erreichen wir aufgrund der schnellen unterirdischen Passage der Stadt noch vor der vereinbarten Check-In-Zeit und müssen nun den Rezeptionisten herbeiklingeln. Dieser ist so freundlich, eilt aus einem Nebengebäude herbei und empfängt uns trotz unserer deutschen Überpünktlichkeit herzlich. Das Lachen vergeht ihm auch nicht, als er feststellt, dass er auf die Schnelle kein Wechselgeld finden kann. Kurzerhand entschließt er sich, uns das Zimmer ein wenig günstiger zu überlassen, damit wir passend zahlen können. Gute Lösung!

Wir schauen auf die Uhr. Nur noch 25 Minuten bis zum Anpfiff und laut Stadtplan ist doch noch ein Stückchen Hauptstraße abzulaufen. Wir hetzen durch die Nachmittagssonne und werden erst dann vorsichtig optimistisch, dass wir es noch pünktlich zum Anpfiff schaffen, als ein Familienvater mit Sohn und Brescia-Schal auf eine Art Feldweg abbiegt. Geheimweg, Abkürzung, FUDU ist dabei und folgt unauffällig. Wenig später sehen wir die Flutlichtmasten des Stadions, noch zehn Minuten bis zum Anpfiff, jetzt noch schnell eine Eintrittskarte besorgen. Die Kassen vor dem Stadion sind jedoch verschlossen, auch hinter der Kurve gibt es keine Eintrittskarten zu erwerben. Es sind nur noch acht Minuten bis zum Anpfiff übrig, als wir erfahren, dass es Tickets nur in einem Container auf der Hauptstraße gegenüber der Schwimmhalle zu erwerben gibt. Klar, liegt ja auch auf der Hand. Warum sollte man die Karten für das Spiel auch direkt vor dem Stadion in den Kassenhäuschen verkaufen, wenn man nicht auch einen Container in zwei Kilometern Entfernung auf die Straße stellen kann?

FUDU et la Famiglia hetzt also zurück. Etwas fluchend, aber auch etwas grinsend über diese Kuriosität, muss man wohl von einer emotionalen Unausgewogenheit sprechen. Diese hat sich aber nur wenig später wieder austariert, da unter dem Strich steht: Wir sind in Italien. Bei 25 Grad und Sonnenschein. Gibt schlimmeres. Und nur wenige Minuten nach Anpfiff betreten wir das Stadion des italienischen Zweitligisten Brescia Calcio, der heute Vicenza Calcio zum Stelldichein erwartet.

Das Stadion hat eine wunderbare alte Bausubstanz zu bieten, die jedoch auf zwei Seiten optisch durch Stahlrohrtribünen malträtiert wird. Während die alte Haupttribüne in ihrer ursprünglichen Form genutzt wird, erweitert eine Behelfstribüne hinter der Gegengeraden die Kapazität des Stadions zu Lasten der Optik. Die Fanszene Brescias steht komplett in blau und weiß gekleidet hinter dem Tor, ebenfalls auf einem Stahlrohrungetüm, welches vor die alte Kurve in den Innenraum des Stadions gestellt worden ist. Nicht so schön auch der permanente „Klapperkrach“, den die Zuschauer auf der Geraden erzeugen, indem sie auf die Bleche trampeln und mit den Händen gegen die Alu-Balustraden trommeln. Lediglich die Fankurve sorgt für echte Fußballatmosphäre, doch die vielen Gesänge und Parolen entweichen in Ermangelung eines Daches zu schnell in das weite Rund und das umliegende Gebirge.

Das Niveau des Spiels passt sich dann nahtlos dem Stadionambiente an und reißt einen nicht von den Sitzen. Vicenza versucht es mit schnellen Abschlüssen aus allen Lagen und Distanzen und wirkt durch diese Aktivitäten noch etwas mehr so, als könnten sie in der Lage sein, ein Tor zu erzielen. Wie schon in Livorno zu Ostern braucht es für dieses Erfolgserlebnis im italienischen Unterhaus dann aber doch 94 Spielminuten und einen Elfmeterpfiff. Vicenza fährt durch einen verwandelten Strafstoß einen nicht ganz ungerechtfertigten Auswärtsdreier ein.

Während die Spieler der Heimmannschaft mit Applaus von ihrer Kurve verabschiedet und aufgemuntert werden, lassen es sich die siegreichen Gästeakteure nicht nehmen, vor ihrer komplett verwaisten Fankurve eine Welle zu zelebrieren. Die Nichtexistenz von Auswärtsfans ist ja noch lange kein Grund, nicht angemessen vor dem Block zu feiern.

Nach dem Spiel genießen wir noch einmal das Leben in Brescias Altstadt, besichtigen das Castello, welches zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt und kehren schließlich in einem Bistro ein, welches uns dadurch überzeugt, dass das Titelbild der Speisekarte ein Eis leckender Hund ziert. Mehr Qualität kann man nicht erwarten und so klingt der laue Frühlingsabend mit Bier und Imbiss zu Fuße des Kastells von Brescia aus… /hvg