411 411 FUDUTOURS International 25.04.24 21:59:08

08.10.2016 Berliner FC Dynamo – SC Borsigwalde 1910 11:1 (6:1) / Sportforum Hohenschönhausen / 217 Zs.

Seitdem die zweite Runde des Paul-Rusch-Pokals 2016/17 ausgelost worden ist, ist klar: Auf dem Weg in den DFB-Pokal kann mein Heimatverein, für den ich von 1989 bis 1995 die Schuhe schnürte, nur noch vom Rekordmeister der DDR aufgehalten werden. Für mich ergibt sich dank dieses Loses die wohl beste aller Möglichkeiten, meinen Hopperpflichten nachzukommen und endlich auch dem Sportforum Hohenschönhausen einen Besuch abzustatten.

So stehe ich also mit meinem Vater an einem Kassencontainer, welchen der BFC direkt neben dem Wellblechpalast errichtet hat. Aus dem einem Fenster werden Stehplätze, aus dem anderen heraus Sitzplätze verkauft. Die Preispolitik ist gleichermaßen übersichtlich wie ungerecht (alles 8 €, keine Ermäßigungen) und lädt nicht nur die Jugendspieler des SC Charlottenburg, die sich auf dem Weg zu einem Nebenplatz befinden, zum Schmunzeln ein. „Wer kauft schon Stehplatz, wenn Sitzen genau so teuer ist, Wallah?“

Auch wir entscheiden uns angesichts des Wetters bei der Bestellung für einen einigermaßen überdachten Sitzplatz. Als wir das Stadiongelände betreten wollen, wird uns zunächst wortwörtlich die Türe vor der Nase zugeschlagen. Schließlich müssen alle Besucher des Sportforums heute durch den Spielertunnel, um das Stadionareal zu erreichen. Doch leider wird dieser gerade von den tapferen Helden des SC Borsigwalde benötigt, die soeben den Kabinentrakt verlassen haben, um sich zum Aufwärmen auf den Platz zu begeben. Klar, dass da drei Ordner für Sicherheit sorgen müssen und nun durch das Zuschieben des Tores zu verhindern wissen, dass sich die Wege der Akteure und Zuschauer kreuzen.

Nachdem dann nach einiger Zeit des Ausharrens auch diese Hürde gemeistert ist, statten wir zunächst dem Vereinsheim einen Besuch ab. Die Baracke ist von Außen mit Fotos der sportlich erfolgreichen Vergangenheit des Clubs geschmückt. Innen überzeugt ein quer über die Decke gespanntes Tornetz, in welchem Pokale, Fußbälle, Schals und andere Devotionalien stecken. Hinter dem Tresen warten gleich vier Bardamen auf Kundschaft. Alle mit gefärbten Haaren, Tattoos, Piercings und Tunneln in den Ohren und alle gleichermaßen irgendwie pornhub-sexy und abstoßend zugleich. Gar nicht so einfach, sich zwischen Sandy, Mandy, Cindy und Peggy zu entscheiden, obwohl es sich lediglich um die Bestellung eines Bieres dreht.

Irgendwann hat das Bier dann aber den Besitzer gewechselt und wird in Gegenwart einiger BFC-Fans, die mir unter normalen Umständen wohl am Liebsten an den Kragen gehen würden, geleert. Es ist ein sonderbares Gefühl, in diesem Stadion zu Gast zu sein und trotzdem versuche ich krampfhaft, alle getätigten Beobachtungen so neutral wie möglich zu werten.

Im Stadion angekommen erspähe ich zunächst ein bekanntes Gesicht. Der allseits beliebte Bunki wird heute offensichtlich dafür sorgen, dass es der kleine SC Borsigwalde in eine große Berliner Tageszeitung  schaffen wird. Toll! Außer ihm finden sich dann leider nur knapp 200 Zuschauer im Sportforum ein und das, obwohl der BFC immer seltener Pflichtspiele in „seinem“ Fußballstadion austragen darf. Allerdings darf lobend erwähnt werden, dass das anwesende Publikum größtenteils sehr angenehm ist. Beim Paul-Rusch-Pokal scheinen all die Stiernacken der Kategorie C, Althools und Nazis offenbar Sendepause zu haben und lassen Familienvätern und ihren Kindern den Vortritt.

Das Stadion ist eine echte Augenweide und erhält das Prädikat „ein Stück Tschechien vor der eigenen Haustür“. Auf der kleinen Haupttribüne werden die Plätze der Ehrengäste mit einer roten Kordel vom Pöbel getrennt und hinter der Gegengerade ergibt sich ein freier Blick auf die Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei. Längst hat die Natur die Kurvenbereiche erobert und heute gesellt sich zu dem üppigen Wildwuchs noch etwas Lauch in Form von acht Ordnungshütern.

Bevor das Spiel beginnen kann, kämpft der überforderte ältere Herr, der sich heute als Stadionsprecher und Plattenunterhalter in Personalunion versucht, verzweifelt gegen die Technik an. Erste Musiktitel werden jeweils für wenige Sekunden angespielt, ehe die Boxen komplett verstummen und ein Rauschen des Mikrofons einsetzt. Wunderbar, wie nun das Fluchen und Stöhnen des Mannes ins weite Rund übertragen wird. Mit dem Anpfiff rettet der Schiedsrichter ihn aus dieser misslichen Lage und wir sind beruhigt, dass das Mikrofon zunächst offen bleibt und wir zumindest noch die ersten zehn Minuten des Spiels Lebenszeichen des Seniors vernehmen und ihn laut atmen hören können.

Ebenso lebendig geht die erste Garde des BFC gegen den Bezirksligisten in die Partie. Bereits nach zwei Minuten gelingt dieser gegen den hoffnungslos überforderten SC Borsigwalde die Führung und im weiteren Verlauf der Anfangsphase bahnt sich ein Kantersieg des „schlafenden Riesen“ an. Mit der ersten Ecke gelingt dem Außenseiter jedoch völlig überraschend der Ausgleich. Riccardo Donatelli versetzt die gut gelaunten und bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der Partie über die Maße alkoholisierten Anhänger aus Borsigwalde in Verzückung. Der Torjubel am und auf dem Zaun wird durch eine Ordnerin vor dem Block strengstens überwacht. Professionelle Strukturen in Beverly Hohenschönhausen.

Plötzlich erhält etwas Unsicherheit Einzug in das bislang so seriöse und solide Spiel des BFC und der Underdog wittert Morgenluft. 20 Minuten lang kann das Spiel offen gestaltet werden, doch dann begehen die Borsigwalder zwei eklatante Fehler. Zunächst verlieren sie einen Ball im Spielaufbau, dann rücken sie im Eifer des Gefechtes bei einem eigenen Angriff viel zu weit auf und schon ist der BFC auf 3:1 davongezogen. Es folgt ein Schützenfest, im Rahmen dessen der BFC den Spielstand bis zur Halbzeitpause auf 6:1 in die Höhe schrauben kann.

In dieser funktioniert dann glücklicherweise auch die Soundanlage wieder, sodass wir in den zweifelhaften Genuss der BFC-Hymne kommen, die gleich drei Mal in Serie gespielt wird. Wenn schon mal was funktioniert, dann sollte man daran festhalten. Besonders in Erinnerung wird die Textzeile „… doch niemals gekniet oder angepasst!“ bleiben. Na gut, von 66 bis 89 vielleicht – aber Schwamm drüber.

Auf der Toilette erlebe ich dann endlich einen BFC-Moment, wie ich ihn erwartet hatte. Hier kleben einträchtig Aufkleber des BFC und Sticker der Rudolf-Heß-Gedenkwochen von 2007 nebeneinander, wobei letzterer in den letzten 10 Jahren immerhin zu 2,8% beschädigt worden ist. Mehr politisches Engagement kann man von den weinrot-weißen Jungs dann offenbar doch nicht erwarten.

In der zweiten Spielhälfte übt sich der BFC weiter munter im Toreschießen, wobei der zehnte Treffer gleichzeitig auch der sehenswerteste des Tages bleiben wird. Neben der wirklichen Schönheit des Weitschusses kann auch der Name des Torschützen überzeugen: Andrew Lubega. Schade, dass der Plattenunterhalter nicht pfiffig genug ist, an dieser Stelle den „Mambo Nr. 5“ aufzulegen.

Der elfte Treffer soll auch nicht unerwähnt bleiben. Borsigwaldes Innenverteidiger Brüsewitz spielt einen brandgefährlichen Rückpass, der im Schneckentempo so unglücklich über einen Platzfehler hubbelt, dass Keeper Bittighofer dumm aus der Wäsche guckt. Die Borsigwalder Schlachtenbummler feiern: „Aiaiaiai, ein Schuss, ein Tor, der Brüse!“.

Die letzten torlosen fünfzehn Minuten des Spiels sind dann die amüsantesten, weil sich die BFC-Fans nun in humorigen Scharmützeln mit den Borsigwalder Zuschauern befinden und ein alberner Spruch auf den nächsten folgt.
„Was ist denn das hier auch für ein Acker?“, „Hey, Schiri, da ist ein zweiter Ball im Spiel, normalerweise würde es hier 1:1 stehen!“ wird auf der einen Seite bemängelt, die andere hält mit einem „So langsam hat sich eure Abwehr ja gefunden, aber macht mal halblang, wir haben hier kein Flutlicht!“ dagegen.

Am Ende werfen die Borsigwalder Akteure ihre Trikots über den Zaun, Stürmer Bodo Längert wird mit einem Mike-Krüger-Evergreen abgefeiert und der BFC’er neben uns lobt anerkennend: „Ist ja mehr Stimmung als bei unseren Ultras!“.

Mit dem Reisebus geht es für die Borsigwalder dann quer durch die Stadt zurück ins beschauliche Nordberlin. Für den BFC endet die Reise dann hoffentlich spätestens im Finale des Paul-Rusch-Pokals. War ja ganz nett im Sportforum. Aber zum Glück muss ich da nie wieder hin. /hvg