562 562 FUDUTOURS International 20.04.24 03:22:33

31.12.2016 Preston North End – Sheffield Wednesday 1:1 (0:0) / Deepdale / 14.802 Zs.

Am letzten Tag des Jahres 2016 werden Fetti und seine Freunde zu Silvestervertriebenen. Für diese eine Nacht von heute auf morgen, in der sich im Hotel nichts verändern wird, außer der Jahreszahl, verlangt das IBIS plötzlich das Dreifache an Übernachtungsgebühren. Grund genug für unsere tapferen Sparschweine, am Morgen vor der Abfahrt nach Preston aus dem Hotel auszuchecken.

Auf dem Weg zu Alba treffen wir einen dicken Jungen, der vor dem Fahrstuhl sitzt und auf seinem Smartphone irgendein albernes Spiel mit vielen Farben und nervtötender Musik spielt. So in etwa darf man sich also die Konsequenz vorstellen, wenn ein britisches Kind eindringlich von seinen Eltern gebeten wird, auch mal draußen zu spielen.

Schnell haben wir im Anschluss die Rechnung beglichen, unser Gepäck bis heute Abend zur Aufbewahrung abgegeben und nehmen dann vorerst ein letztes Mal Platz am Frühstücksbuffet. Hier macht FUDU zunächst einmal einen Kassensturz, schließlich haben die beiden Unglücksschweine gestern nahezu ihr gesamtes Hab und Gut auf der Hunderennbahn verzockt. Leider konnte der Köter unseres Herzens für FUDU kein Taschengeld erlaufen und zu allem Überfluss war er trotzdem noch zu schnell, um ein vernünftiges Fahndungsfoto von ihm zu schießen. Aber immerhin kann im Groundhopping-Informer nun auch beim „Bell(e) Vue Stadium“ ein Kreuz gesetzt werden. Wuff!

Viel schlimmer ins Kontor schlug dagegen der Einkauf einer neuen Digitalkamera. Neben dem Totalschaden an der Lumix beklage ich nun auch einen wirtschaftlichen Totalschaden, während ich mir etwas gequält abermals Beans and Bacon munden lasse. Über 100 Pfund muss man in England in Ermangelung von Elektronikgroßmärkten für eine Durchschnittskamera schon lassen, die man in Deutschland wohl für gerade einmal 60 Euro hätte schießen können. Immerhin lernte ich im Rahmen des Verkaufsgesprächs im Fotofachgeschäft einen freundlichen Verkäufer kennen, der mir stolz erzählte, er sei als Jugendlicher einmal im Ferienlager in Wismar gewesen. Und sei es, wie es sei: Wenn noch drei Fußballstadien im Rahmen des Urlaubs besucht werden, dann darf die Anschaffung einer neuen Kamera wohl ohnehin als alternativlos bezeichnet werden.

Als am Bahnhof Manchester Victoria der Zug in Richtung Preston (Lancashire) einrollt, kann ich auch endlich mit meinem Litauen-Urlaub abschließen. Mit etwas zeitlichem Abstand ist die Frage final beantwortet, wohin der sympathische Staat des Baltikum seine ausrangierten Züge gegeben hat. Während also quer durch Litauen nur Züge modernster Bauart über die Schienenstränge schwebten, freut sich Fetti nun über eine richtig gammelige Regionalbahn. Nebenan sitzt eine Frau mit Leoparden-Leggins, Leoparden-Oberteil und Leoparden-Schuhen. Wir sind hochgradig erleichtert darüber, dass sie den Kampf gegen das Wildtier offenbar unbeschadet überstanden hat. Gleichermaßen darf an dieser Stelle eine Liste von Dingen, an denen Leopardenmuster gut aussieht, nicht fehlen:

1. Leoparden.

Während der Anfertigung dieser Auflistung legt die Rumpelbahn die 32 Meilen zuverlässig zurück und passiert hierbei auch den Bahnhof „Horwich Parkway“, den man verlassen müsste, um ein Heimspiel der Bolton Wanderers in einem modernen Stadionungetüm sehen zu können.

Fetti verzichtet jedoch dankend, da er heute den Besuch einer echten Traditionsspielstätte vor der Brust hat. Der Besuch des National Football Museums in Manchester konnte einen erheblichen Beitrag leisten, die Vorfreude auf das heutige Stadionerlebnis zu steigern. Dort wird dem geneigten Museumsbesucher nämlich direkt im allerersten Gang der Ausstellung ein Gemälde der Meistermannschaft Prestons aus dem Jahre 1889 gezeigt. Da im selben Jahr auch der FA-Cup durch die „Lilywhites“ errungen werden konnte, darf sich der Club nicht nur erster englischer Fußballmeister, sondern auch erster Double-Sieger der Fußballweltgeschichte nennen. Zu diesem historischen Fakt gesellt sich zusätzlich der Umstand, dass das Spielfeld im Stadtteil Deepdale seit Anbeginn der Zeit als Heimspielstätte für PNE fungiert. Da die Menschheit auf Superlative steht, lässt es sich wikipedias Autor auch nicht nehmen, es auf den Punkt zu bringen: „Das Spielfeld dieses Stadions ist das älteste ununterbrochen bestehende Fußballfeld der Welt.“ Besteste!

Bei soviel Tradition und Fußballkultur verwundert es dann schon, wie sich der Verein dem World Wide Web präsentiert. FUDU hat für das heutige Spiel Karten vorbestellt und versucht sich nun zu informieren, an welcher Stelle des Stadions diese entgegengenommen werden können. Diese alles entscheidende Frage mag nicht einmal die FAQ-Rubrik der Website beantworten. Dafür wird man freundlicherweise (verknappt zitiert; Wie viele Punkte man für einen Sieg erhält und wie viele Spieler pro Mannschaft mitspielen dürfen, werdet ihr ja wohl wissen…) über folgendes informiert:

„Football matches last 90 minutes and are played in two halves of 45 minutes each. At the end of the first half there is a ‚half-time‘ break of 15 minutes that will allow you time to go and get a drink or a bite to eat from our refreshment kiosks.

When the referee blows his whistle to signal full time the players will make their way off the pitch to their changing rooms. Both home and away fans will then start to vacate their seats and head towards the exits through the turnstile.“

Ach, Du meine Güte. Wir werden es also mit einem Publikum zu tun haben, das darüber aufgeklärt werden muss, wie lange es durchhalten muss, bis es endlich fressen und saufen darf. Wie furchtbar die Anhängerschaft Prestons sein muss, will man sich angesichts des formulierten Wunsches, diese nach Abpfiff möglichst schnell wieder loszuwerden, gar nicht bis zum Ende ausmalen. Na, das kann ja was werden.

Zunächst einmal verlassen wir aber wenig vorbereitet und unvoreingenommen nach einer knappen Stunde den Zug am Bahnhof Preston und stellen erfreut fest, dass dieser mit seinen Mosaikböden und seinen farbenfrohen Zaunelementen vollständig überzeugen kann. In der Innenstadt machen wir uns vergeblich auf die Suche nach dem höchsten Kirchturm Englands (94 Meter!) und erspähen stattdessen erste Straßenverkäufer, die bereits jetzt Schals für das anstehende FA-Cup-Highlight gegen den Arsenal FC verkaufen. Kurz darauf besichtigen wir das Stadtmuseum, in dem wir die Hintergründe über das Lamm im Logo der Stadt und des Fußballclubs erfahren und schnell wieder vergessen. Fetti gerät auf dem Fußweg zum Stadion angesichts von gleich 12 Schweinen an der Fassade eines Pubs in Verzückung (besonders das Schwein mit Trompete, welches den Spitznamen Flötenfetti erhält, hat es ihm angetan) und kann diesen nur schweren Herzens links liegen lassen. Dank der wunderbar heruntergekommenen studentischen Übernachtungsmöglichkeit direkt nebenan ist es jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass FUDU in einem nächsten Leben noch einmal an diesen Wallfahrtsort zurückkehren wird.

Das Stadion weist nur kurz darauf dank seiner opulenten Flutlichtmasten den Weg durch die Wohnsiedlungen. Am Stadion haben wir unsere Tickets dann auch ohne vorherige Orientierungshilfe schnell entgegengenommen und einen Blick auf einen Brunnen geworfen, der den ehemaligen PNE-Akteur Sir Tom Finney bei einer Grätsche zeigt. Die ganze Stadt ist elektrisiert, fiebert dem Spiel gegen Arsenal London entgegen – und vergisst dabei offensichtlich, dass heute ein Ligaspiel stattfindet. Gerade einmal 14.000 Menschen verirren sich im Deepdale Stadium. So bleiben weite Teile der Tribünen verwaist und erlauben leider dennoch keinen Blick auf die Gestaltung der Sitzschalen, die auf allen vier Seiten die Konterfeis wichtiger Klubikonen abbilden.

Die wenigsten freien Sitze gibt es auf der Gästetribüne zu sehen, auf der sich gut und gerne 3.500 Supporter aus Sheffield eingefunden haben und die nun stehend (!) und singend (!) auf den Anpfiff warten. Dieser ertönt nach der für England typischen Schweigeminute, in der im letzten Spiel des Kalenderjahres den verstorbenen Vereinsmitgliedern gedacht wird. Vielleicht ist ja auch dies der Grund dafür, warum sich die Fußballatmosphäre im Anschluss zumeist auf Friedhofslautstärke einpegelt. Leider deuten auch die Jungs aus Sheffield ihr Potential nur an, singen kurze, knackige Lieder, die aber genauso lautstark durch die Decke gehen wie abrupt enden. Hier scheint das Motto zu lauten: Eine Strophe alle 20 Minuten muss reichen! Preston North End stellt 50 Mann, die am oberen Rand der Hintertortribüne stehen und ab und an schreien, während der Rest schweigend sitzt und darauf wartet, in der Pause endlich fressen und dann nach weiteren 45 Minuten nach Hause gehen zu dürfen. Über weite Teile der Partie sorgen die Trainer und Spieler für die einzige akustische Untermalung, indem sich ihre lautstarken Kommandos und Kommentare den Weg zu unseren Ohren bahnen. In einem Stadion mit 14.000 Zuschauern und 23.000 Plätzen. Mehr Worte muss man nicht verlieren.

Das Spiel ist auch nicht attraktiver als das Drumherum. Spätestens ab der 35. Minute liegt das Erlebnis Deepdale in einem künstlichen Koma. Preston North End prügelt in einer Tour lange Bälle auf ihren Leuchtturm (Brøndby-Legende Simon Makienok), der gleichermaßen groß wie unbeholfen ist. Beide Mannschaften schalten in einer Geschwindigkeit um, dass einem die Bummelfahrt von Manchester nach Preston plötzlich wie eine rasante Achterbahnfahrt erscheint. Ab und zu ergeben sich für PNE Halbchancen, die aber ungenutzt bleiben, während der stärker werdende Wind diversen Müll von den Tribünen auf den Rasen weht.

Im zweiten Spielabschnitt nimmt die Partie etwas an Fahrt auf, nachdem uns ein Familienvater in der Pause in den Katakomben entgeistert gefragt hat, warum zur Hölle wir nach Preston gekommen sind, um ein Fußballspiel zu sehen. PNE erzielt nach 70 Minuten zwei irreguläre Tore (1x Foul am Torhüter, 1x abseits) und geht dann nach 77 dank guter Einzelleistung von McGeady unter Mithilfe des Gästeverteidigers Hutchinson, der dessen Schuss unhaltbar abfälscht, mit 1:0 in Führung. McGeady erhält durch diese gelungene Aktion sichtlich Rückenwind und legt nur fünf Minuten später beinahe das 2:0 nach, scheitert aber am Pfosten. Kurz darauf wird die Zuschauerzahl verkündet und mit schallendem Gelächter aus dem Gästeblock quittiert. In der 90. Spielminute arbeitet Adam Reach einen bereits mehrfach abgewehrten Ball aus dem Gewühl zum Ausgleich in die Maschen. Die 3.500 Gästefans begleiten den Treffer mit einem markerschütternden Torjubel und sorgen so für einen versöhnlichen Ausklang dieses Stadionbesuchs.

Nach dem Spiel kehrt FUDU in einem umgebauten Bankgebäude ein, welches nun für die Kette „Wetherspoon“ als Pub fungiert. Hier überzeugen zum wiederholten Male die Bierpreise, doch auch die Lampenschirme, die vermutlich aus NVA-Restbeständen geschmiedet worden sind, haben Charmepotential. Auf dem Weg zur Toilette entdecken wir die englische Sportfotografie des Jahres 1956. Das Foto zeigt niemand geringeres als Sir Tom Finney, der im Spiel gegen den Chelsea FC durch eine Wasserlache an der Stamford Bridge grätscht. FUDU – heute für Sie an einem historischen Ort ohne jedwede Gegenwart.

Als wir am Abend in Manchester nach Abhoolung unserer Rucksäcke bei Alba in unserem neuen Hotel einchecken, fallen uns vor Schreck beinahe die Pimm’s-Dosen aus der Hand. Ein non-alcoholic Hotel mit Gebetszeiten? Herr Gott, was zur Hölle? Nebenan tobt auf der Curry-Mile das Leben, welche vom Reiseführer als Multi-Kulti-Hotspot mit internationalen Köstlichkeiten und Flair angekündigt wurde, aus unserer Sicht aber nicht mehr ist als Neukölln in klein. Nur mit rassistischem Spitznamen. So entscheiden wir uns, in der Silvesternacht bereits gegen 23.00 Uhr die Segel zu streichen und fiebern bereits jetzt unserem Jahresauftakt entgegen. Morgen kehren wir endlich wieder zu Alba in das alcoholic-Hotel zurück. Und endlich wird es auch in diesem vermaledeiten Jahre 2017 Fußball zu sehen geben. /hvg