992 992 FUDUTOURS International 19.04.24 18:39:34

27.05.2017 SC Eintracht Miersdorf/Zeuthen – Werderaner FC Viktoria 1920 1:1 (0:0) / Sportplatz Wüstemarker Weg / 103 Zs.

Es ist der 27. Mai 2017. Gut 60.000 Gäste strömen heute zusätzlich nach Berlin, um am Abend dem DFB-Pokalfinale zwischen Borussia Dortmund und der SG Eintracht Frankfurt beiwohnen zu können. Als wäre dies allein nicht schon Elend genug, findet in diesem Jahr auch noch der Deutsche Evangelische Kirchentag vom 24.-28.05. Mai in Berlin und Wittenberg statt und spült weitere 180.000 Menschen in die Hauptstadt. Am Bahnhof Ostkreuz mischen sich dann auch sogleich schwarz-gelb gekleidete Borussen und Adlerträger, doch die orangenen Schals der Kirchentagsjünger wissen sogar die Farbkombinationen der Fußballfans zu dominieren. Es darf getrost die Frage in den Raum gestellt werden: Wann hat man zuletzt so viele Ottos auf einem Haufen gesehen? Während die Finalkutten also die Bars in Beschlag nehmen und die Ulrikes und Sörens mit ihren beigen Kleidungsstücken und Backpacks die Hostels fluten, lösen sich Günter und ich schleunigst ein Kategorie-C-Ticket. Wenn ihr alle in die Stadt kommt, dann fahren wir halt hinaus. Oder: FUDU crosst den Kirchentag!

Genaue eine halbe Stunde später haben wir tiefenentspannt den menschenleeren S-Bahnhof Zeuthen erreicht. Die nächste halbe Stunde unseres Lebens kommt dann schon etwas beschwerlicher daher, da der 2,1 Kilometer lange Fußweg zum Freibad Miersdorfer See bei 26,4 Grad Celsius ohne Wegbier in der Hand doch etwas weniger leicht von selbiger geht, obwohl in Form der Miersdorfer Dorfkirche und des sowjetischen Ehrenfriedhofs gar noch zwei echte Sehenswürdigkeiten am Wegesrand liegen und zur Rast einladen. Der recht vielversprechende Auftakt in diesen Samstag setzt sich fort, als FUDU in Erfahrung bringt, dass das Freibad ohne Gegenleistung in Form einer Eintrittszahlung betreten werden darf und man hier noch freundlich von einem Bademeister in Empfang genommen wird. Das Freibad ist überraschend leer, der Strand sauber, die Wiese gepflegt, das Seewasser kristallklar. Kennt man ja so aus Berlin gar nicht. Günter und ich bringen dann etwas Hauptstadtflair in die kleinbürgerliche Provinz, indem wir erst einmal direkt gegen die einzige sichtbar aushängende Regel des Freibades verstoßen und wir unsere soeben am Kiosk erworbenen Glasflaschen auf der Wiese öffnen und konsumieren. Wochenendrebellen!

Nebenan hat es sich soeben eine osteuropäische Schönheit in Begleitung eines älteren Herren auf der Wiese bequem gemacht. Klar, dass es bei 27 Grad nicht lange dauert, bis sie so unbekleidet wie gemeinhin gesellschaftlich akzeptiert ist und klar, dass FUDU dies angesichts der enthüllten Argumente nur gut heißen kann. Schnell setzt jedoch eine gewisse Unsicherheit ein, da das Alter der jungen Dame nur sehr ungenau zwischen 13 und 22 taxiert werden kann und der glatzköpfige Kerl mit dem behaarten Rücken neben ihr womöglich gar ihr Vater ist. Da auch Günters Minderjährigen-App, seine eigentlich bahnbrechende Erfindung im Umgang mit betrunkenen Touristinnen in Paceville, heute keine klare Auskunft zu geben vermag, brechen wir den Augenkontakt ab und blicken stattdessen etwas neidisch auf die beiden (noch älteren) Herren am anderen Ufer des Sees. Mit ihren Ferngläsern dürften die beiden neben Wildvögeln mutmaßlich noch das eine oder andere schöne in den Fokus genommen haben…

Unser Fokus liegt kurz darauf jedenfalls auf der Partie SC Eintracht Miersdorf/Zeuthen gegen den Werderaner FC Viktoria in der Brandenburgliga. Heute empfängt der 13. der Tabelle den 11. und beide Mannschaften sind drei Spieltage vor Schluss noch nicht komplett vor einem Abstieg aus der fünfthöchsten Spielklasse gerettet. Der Sportplatz Wüstemarker Weg befindet sich nur 500 Meter vom Freibad entfernt und kann für 4 Euro betreten werden. Wer das schicke Stadionheft sein Eigen nennen mag, wird um eine kleine Spende gebeten. Das Bier läuft bereits aus der Zapfanlage, der Grill qualmt, es riecht nach Fußball. Durch Zufall treffen wir auf einen uns bekannten Unioner, der uns nicht ohne Stolz sogleich die Besonderheiten seines Heimatvereins nahe legt. Er erzählt von der Fusion Eintracht Miersdorfs mit der SG Zeuthen im Jahre 1991, nicht müde werdend zu betonen, dass man sich vor der Wende nie mit dem „Stasiclub“ aus der Nachbarschaft verstanden hatte. Gemeinsam unternehmen wir einen kleinen Rundgang durch die liebevoll gestaltete Sportanlage, welche seit 2001 dank des Engagements eines handwerklich begabten Fußballfreundes gar über eine kleine Tribüne mit 250 ausrangierten S-Bahn-Sitzen verfügt. Fußball an der Basis kann einfach immer wieder so viel Spaß bereiten.

Das Spiel beginnt. Die Sonne ballert ohne Erbarmen in die Gesichter der 103 zahlenden Zuschauer und natürlich auch auf die schwitzenden Akteure auf dem Rasen. Ballholer gibt es heute leider keine und auch die Fangnetze hinter den Toren weisen einige löcherige Stellen auf, sodass die ohnehin schon leidenden Spieler den einen oder anderen zusätzlichen Meter machen müssen, um den Ball im Spiel zu halten. Der SC Eintracht nimmt das Heft des Handelns in die Hand und kommt in der ersten Hälfte gleich zu drei guten Torgelegenheiten (3., 13., 26.), wobei das Spiel nach einer halben Stunde beinahe durch Suchacek auf den Kopf gestellt worden wäre, doch scheitert dieser nach einem Eckstoß an der Querlatte.

In der Halbzeitpause genießen wir den dörflichen „Gossip“ am Bierstand. Wer hätte das gedacht, dass Svenni jemals mit 1,6 Promille auf dem Rad erwischt wird. Kaum haben sich die „Oldtras“ über den Fahrrad fahrenden Jungspund zu Ende lustig gemacht, beginnt auch schon die zweite Halbzeit, welche wir im Kern der Edelfans von der Gegengerade aus erleben wollen.

Es dauert keine zehn Minuten, bis sich diese Entscheidung des Platzwechsels in Gänze auszahlt. SCEMZ-Verteidiger Klatt trifft bei dem Versuch, den Ball aus dem eigenen Sechzehner zu schlagen, leider mehr Gegenspieler als Spielgerät und so entscheidet der Schiedsrichter folgerichtig auf Strafstoß für die Gäste. Eine Entscheidung, mit der die „Oldtras“ jedoch alles andere als einverstanden sind und welche nun durch sie lautstark und vehement angezweifelt wird. Gästetrainer Thoß, der schon im ersten Spielabschnitt mit unsinnigen Bemerkungen vom Spielfeldrand aufgefallen war, traut indes auch seinem Elfmeterschützen kein selbstständiges Denken zu und coacht geschickt: „Mach‘ den jetzt, Flo!“.

Wenige Sekunden später hat der Bitzka Flo ihn gemacht und sicher zum 0:1 verwandelt. Kapitän Klatt brennt nun auf Wiedergutmachung und avanciert zum besten Spieler auf dem Platz. In feinster „Aggressive Leader“-Manier pusht er sich selbst und seine Mannen nach vorne. Glück hat er, als er auf Höhe der Mittellinie mit einer knackigen Grätsche ein markiges Zeichen setzt und nur mit viel Dusel einer gelb-roten Karte entgeht. Mit dieser Entscheidung zeigen sich die „Oldtras“ einverstanden. Kurz darauf bringt das Trainergespann Schröder/Schröder auf Heimseite Christian Semke ins Spiel. Drei Minuten später erhält dieser in aussichtsreicher Position den Ball, schlägt mit dem rechten Fuß ein Luftloch, um ihn direkt im Anschluss in einer fließenden Bewegung mit links zu verwandeln. Der Jubel ist groß, doch Semke zwiegespalten, der nun im allgemeinen Freudentaumel die Verantwortlichen auf der Bank mit bundesligatauglichen Gesten auf seine Unzufriedenheit aufmerksam macht.

Die letzte halbe Stunde des Spiels verläuft ausschließlich in eine Richtung. Die Eintracht will den Dreier und heute den Klassenerhalt sichern. Francois Mbiakop Kamga und Edeljoker Semke lassen beste Chancen auf den Siegtreffer ungenutzt, doch der Druck auf den Werderaner FC lässt nicht nach. In der 90. Minute kulminiert dieser und im Strafraum der Gäste kommt es zur Explosion. Foulspiel, Elfmeter. Die Chance zum Klassenerhalt liegt auf dem Silbertablett, doch das Trainergespann Schröder/Schröder begeht einen Anfängerfehler und vergisst, im entscheidenden Moment zu coachen. Nils Reichardt läuft an – und vergibt. Hat ihm ja auch keiner gesagt, dass er ihn machen soll.

Wenig selbstkritisch geben die Schröders später zu Protokoll, dass man nun in den verbleibenden zwei Spielen sechs Punkte holen müsse und weiter hart dafür arbeiten würde. Auf dem Rückweg in die Stadt kommen uns erste orangene Schals entgegen, welche nun schon vor dem Ende des Kirchentags wieder in ihre Dörfer verschwinden. Aber das kann für das hochgradig empathische FUDU aktuell keinen sonderlich großen Grund zur Freude darstellen, denn auf Eintracht Miersdorf kommen harte Zeuthen zu! /hvg