230 230 FUDUTOURS International 19.04.24 16:20:16

10.07.2017 Birmingham City FC – 1.FC Union Berlin 0:1 (0:0) / Sportstadion Wolfsberg / 450 Zs.

Neben dem Besuch des Sommerbades Wolfsberg habe ich auch ausreichend Gelegenheit, die kleine und urgemütliche Stadt im Lavanttal zu erkunden. Genau genommen sieht es hier an jeder Ecke so aus, wie man sich Postkartenmotive aus Österreich vorstellt. Pittoreske Straßen, alte Häuser, traditionelle Gewerbe in Familienbesitz, kleine Kirchen und im Hintergrund malerisch gelegen: Berge. Sehr hübsch. Man sagt, wer früh aufsteht, der habe mehr vom Tag. Ich stelle hier in der Provinz sehr schnell die Gegenfrage, was genau das denn sein soll. Alle Sehenswürdigkeiten sind besucht worden, wobei unsereins gar die Spielstätte des ATSV Wolfsberg als Sehenswürdigkeit zählt. Zu allem Überfluss wird Fetti die Eselwanderung durch die Saualpen denkbar knapp verpassen und so ist man trotz der Schönheit Wolfsbergs schon recht bald sehr froh darüber, dass zwischen den Spielen des 1.FC Union Berlin noch ein Ausflug nach Slowenien geplant wurde, um etwas Abwechslung in den Kurzurlaub zu bringen und um zu verhindern, dass einem in den frühen Abendstunden im Wolfsberger Gasthof die Decke auf den Kopf fallen wird.

In Maribor finde ich bei meiner Ankunft mit dem Flixbus dann 31,4 Grad Celsius und gleißenden Sonnenschein vor. Oh ja, das ist mein Wetter! Aufgrund der Bauarbeiten hatte es leider keine Zugverbindung zwischen Graz und Maribor gegeben, sodass ich alter Eisenbahnromantiker nun in die falsche Richtung laufe, um wenigstens einen kurzen Blick auf den Bahnhof Maribors erhaschen zu können. Kurz darauf komme ich vollends auf meine Kosten, da eine alte Dampflokomotive vor einem sozialistischen Klotz stehend ein untrügliches Zeichen darstellt, den Želézniška postája gefunden zu haben. Schick. Nur fünfzehn Minuten Fußweg trennen mich jetzt noch von meinem Hotel, welches in bester Altstadtlage Einzelzimmer für unter 30 € bereit hält. Als ich zwei Tage später wieder auschecke, will die freundliche Rezeptionistin meine Kreditkarte mit 581 € belasten. Hoppala, kleiner Kommafehler, Tschuldigung! Aber der Reihe nach…

… denn zunächst einmal gilt es, mit der verehrten Leserschaft das wunderbare Maribor (österr.: Marburg an der Drau) zu besichtigen. Auf dem schönsten Platz der Stadt mit Rathaus und Pestsäule lasse ich mir das erste Union Pivo des Tages munden. Auch entlang der Drava haben sich etliche Cafés angesiedelt, die mit Blick auf den Fluss zum Verweilen einladen. Hochmotiviert laufe ich jedoch zunächst alle Sehenswürdigkeiten in Ufernähe ab: Wasserturm (16. Jahrhundert), Judenturm (15. Jahrhundert, direkt neben der Synagoge stehend), Reckturm (Wehrturm der Stadtmauer, der einst auch als Gefängnis genutzt wurde. Zudem wurden hier Frauen verurteilt, die der Hexerei beschuldigt wurden. Eine Paronomasie mit dem Wort „Rektum“ bietet sich an – nach so einem Urteil war man sicherlich schnell im Arsch…). Ein wenig mehr Zeit und Aufmerksamkeit widme ich dann dem ältesten Weinstock der Welt, welcher seit 400 Jahren im Stadtteil Lent Früchte trägt. In drei Monaten ist es wieder soweit und 50 Kilogramm Trauben können von der „Stara trta“ feierlich geerntet werden. Allerdings darf der Hinweis nicht fehlen, dass der Wein nur aufgrund seiner Rarität exklusiv ist, da Kenner davon sprechen, dass die Qualität des edlen Tropfens zumeist eher bescheiden sei. Naja, bekanntermaßen wird nicht alles im Alter besser. Da reicht ja schon ein morgendlicher Blick in den Spiegel.

In der Altstadt warten dann noch einige Kirchenhäuser auf Besichtigung, wobei ich mir erneut vornehme, mich irgendwann einmal kundig zu machen, worin genau die Unterschiede zwischen Dom-Basilika-Kathedrale bestehen. Alles in allem ist jedenfalls klar erkenntlich, warum der Rat der Europäischen Union Maribor im Jahre 2012 zur Kulturhauptstadt ernannt hat. Diese Ehre teilt sich Maribor übrigens mit dem schönen portugiesischen Städtchen Guimarães. Das solltet ihr euch bei Gelegenheit mal vom Wirtschaftsflüchtling vorlesen lassen!

Nun habe ich bereits am vorletzten Tag meines Urlaubs sämtliche T-Shirt-Vorräte durchgeschwitzt und stehe vor der schwierigsten Entscheidung meines Lebens. Gebe ich die Hemden für 6€ je Teil (!) in die hoteleigene Wäscherei oder kaufe ich mir im H&M der örtlichen Konsumhölle einfach neue Kleidungsstücke? Nach kurzer Überlegung wandert ein neues Oberbekleidungsstück in meinen Kleiderschrank, der nun erwiesenermaßen Teil der Überflussgesellschaft ist. Außerdem erwerbe ich eine slowenische Zahnpasta, die ein Kindheitstrauma in mir wach küssen wird. Plötzlich ist sie wieder da, die Erinnerung an dieses eine Eis, das ich 1989 in Bulgarien aß und das so furchtbar widerwärtig nach Seife schmeckte…

Auf den Schrecken erst einmal ein Bier. Ich sitze auf dem großen Platz vor meinem Hotel und bestelle ein Union, einfach weil es so großen Spaß bereitet. Neben mir nehmen zwei dunkelhäutige Männer Platz, auffällig swaggy gekleidet, dicke Uhren, Goldkettchen. Große Freude habe ich dabei, ein Ohr in die französischsprachige Konversation zu halten. Während die beiden die ersten an den Tisch gebrachten Getränke stilecht mit einem 100 € Schein bezahlen, unterhalten sie sich über ihre Träume. Einmal ein Angebot aus China oder Katar bekommen, das wäre es. Da verdiene man unheimlich viel und müsse sich kein bisschen mehr anstrengen, da dort keiner Fußball spielen könne. Ich zücke mein Handy, recherchiere und präsentiere feierlich meine beiden Tischnachbarn: Sunny Omoregie (einst in der Jugend von Real Madrid ausgebildet und später beim maltesischen Gżira United Football Club beschäftigt) und Jean-Claude Billong, ihres Zeichens Legionäre des NK Maribor 1960 auf der Durchreise.

Da auch ich mich auf der Durchreise befinde, tue ich es den beiden Herren gleich und verlasse das Straßencafé nach nur einem Getränk. Am nächsten Morgen werde ich im Flur vor meiner Abreise nach Graz von einer jungen Dame, der ich die Tür aufhalte, gemustert. Ihr Blick bleibt auffällig lange auf meinem „Bluten für Union“-Nicki hängen und ich harre der Dinge, die da gleich kommen mögen. Im Hintergrund taucht ihr Freund im Gang auf. „Albstadion Heidenheim“ kann ich bereits aus der noch etwas größeren Entfernung lesen und leider hat sich auch 15 Meter später der Druck noch nicht in „Endstation Dorfultra“ verwandelt, als sie anfängt, die schon viel zu oft gehörte und mittlerweile meinerseits verabscheute Lobeshymne auf das Stadion An der Alten Försterei zu singen. „Das war ja so toll und die Stimmung und die Gastfreundschaft und die Wurst und ihr habt das ja alles selber gebaut und dieses Lied wie heißt die Sängerin doch gleich und bla bla bla“. Im Hintergrund versinkt der Ultra vor Scham im Boden und auch ich möchte der Situation so schnell wie möglich entfliehen. Eigentlich ein Wunder, dass mir nur wenige Sekunden später der Komma-Fauxpas der Rezeptionistin auffallen wird.

Voller Glück über die eingesparten 522,90 € nehme ich im Flixbus von Maribor nach Graz Platz. Dort wabert ein Duft durch die Gänge, wie ihn nur eine Chemietoilette einer Busroute, die vom Balaton nach Leipzig führt, erzeugen kann. Am Grenzübergang von Slowenien nach Österreich wird unser Bus von schwer bewaffneten Grenzaffen kontrolliert, die rassistisch korrekt Pässe aller schwarzhaarigen Passagiere einsammeln. Der Vorzeige-Ossi hinter mir, der mir während der bisherigen Fahrt mit seinem bescheuerten „ist ja fast so schön hier wie in Thüringen!“-Kommentar angesichts der slowenischen Landschaft und seiner erbärmlich schlechten Anmache seiner Sitznachbarin („Nu, willste mithören? Hab hier ein urst gutes Sonne, Mond und Sterne-Set dabei!“) bereits zwei Mal negativ aufgefallen ist, bedankt sich nun artig für die Arbeit der Grenzposten. „Sicherheit und Ordnung müssen sein“, sagt er. Oh Gott, lass das mit diesem Deutschland bitte schnell zu Ende gehen.

Die Fahrt nach Graz ist nur eine halbe Stunde später beendet und ich kann den Bus, den Gestank sowie Deutschland und Thüringen hinter mir lassen und voll der Freude darüber, dass meine Gebete recht schnell erhört worden sind, in den SEV-Bus nach Wolfsberg huschen. Um Punkt 17.30 rollt das ÖBB-Gefährt vor dem altbekannten Bahnhof Wolfsberg ein. Auf dem gegenüberliegenden Parkplatz steht bereits das FUDU-Pärchen mit dem Tschechenbentley bereit, um den Weg zum Stadion so meistern zu können, dass man den Anpfiff des Spiels 1.FC Union Berlin gegen den Birmingham City FC im Sportstadion Wolfsberg miterleben können wird. Kritische Leser rümpfen nun wahrscheinlich die Nase. Zwei Spiele innerhalb von drei Tagen in ein und demselben Stadion? Ist das noch Hopping?

Wir zahlen jedenfalls brav unsere 10 € Eintritt, obwohl auch wir uns eher den ATSV-Platz als Austragungsort gewünscht hätten und gehen danach ins Geplänkel mit der Bierverkäuferin. Wenn der Eintritt bis 14 frei ist, dann ist es aber auch wirklich eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, dass man schon das erste Bier bezahlen muss! Obwohl wir dieses Mal sogar Unterstützung einer in Österreich lebenden Unionerin haben, die die Sprachbarriere minimieren kann, haben wir letztlich keinen Erfolg. Verhandlungen gescheitert, Tom zahlt mit Schilling, Spiel beginnt. Heute haben nur noch ca. 40 Unioner den Weg in die Spielstätte gefunden und auch sonst ist die Lavanttal-Arena spärlicher gefüllt als vor drei Tagen, sodass die offizielle Zuschauerzahl von 450 angezweifelt werden darf.

Auch Harry Redknapp, Trainerlegende des Zweitligisten aus Birmingham, hat keine Lust auf das Spiel und verlässt pünktlich zum Anstoß seine Trainerbank, um im Bauch der Tribüne zu verschwinden. Vielleicht gibt es wenigstens dort die ersten 13 Bier umsonst.

Er verpasst eine klar dominierende Unionmannschaft, welche sich Torchancen in Hülle und Fülle herausspielen kann. Die drückende Überlegenheit gegen völlig indisponierte Engländer kann jedoch lange Zeit nicht in zählbares umgemünzt werden. Polter (5.), Skrzybski (14.), Prömel (20.), Kreilach (23.) scheitern in aussichtsreichen Positionen, ehe abermals Polter (24.), mittlerweile in Anwesenheit Redknapps, denkbar knapp durch das etwas kuriose Zusammenspiel von Torwart und Querlatte am Torerfolg gehindert wird. Gegen Ende des ersten Spielabschnitts dreht Union noch einmal am Gashahn, doch auch Kreilach (31.) und Polter (37.) misslingen die Torabschlüsse. Mit einem überaus schmeichelhaften 0:0 retten sich die Redknapp-Recken in die Kabinen.

Auch in der zweiten Hälfte wird Harry Redknapp zwanzig Minuten lang fehlen. In der Halbzeitansprache hat er seinen Mannen offenbar mit auf den Weg gegeben, dass sie genauso weitermachen mögen. Dem BCFC gelingt es, diesen taktischen Anweisungen des Chefs folge zu leisten und so stehen sie weiterhin mit dem Rücken zur Wand. Union, mittlerweile mit Toni Leistner auf dem Platz, drängt weiter auf die Führung. Nach einer Stunde ist es dann endlich so weit und Damir Kreilach kann mit einem Flachschuss von der Strafraumkante für die überfällige Führung sorgen. Im Anschluss lassen die Unioner weiterhin im Fünf-Minuten-Takt allerbeste Torgelegenheiten aus, während die Engländer nicht ein einziges Mal gefährlich aus der eigenen Hälfte herausrücken können. Mit Verlaub, da bin ich gespannt, wohin der Weg des BCFC in der kommenden Championship-Saison führen wird…

Unser Weg führt uns noch einmal zurück zu Erwin in den Gasthof Silberberg. Der Biergarten gehört heute einer Familie, deren weibliche Mitglieder auffällig viel Leopardenmuster tragen. Dazu gibt es Live-Musik vom Akkordeon und wir entscheiden, unser Abendbrot einfach im Gastraum mit Blick auf die Gipsy-Party zu genießen. Nadjuschka durchsucht mein Portemonnaie nach slowenischen Münzen für die Sammlung daheim, findet aber wie immer nur gähnende Leere vor. Zwei-Drei Bier später habe ich beim Erwin noch einmal für eine Nacht eingechecked und das FUDU-Pärchen in Richtung ihres Zeltplatzes (irgendwo auf halber Strecke zwischen Wolfsberg und Graz) verabschiedet. Etwas lädiert quäle ich mich die Treppen des Gasthofs hinauf, finde mein neues Zimmer, beziehe Quartier und buche noch vor Ort pflichtbewusst Fahrten zu den ersten Auswärtsspielen der Saison 2017/18, nachdem die DFL diese unlängst zeitgenau terminiert hat. Morgen lasse ich meinen Sommerurlaub in Wien ausklingen. Und dann ist ja zum Glück auch schon bald Sommerurlaub. /hvg