396 396 FUDUTOURS International 24.04.24 09:57:23

30.09.2017 FK Dukla Praha – AC Sparta Praha 0:0 (0:0) / Stadion Juliska / 6.547 Zs.

„Danger-Mike“, seines Zeichens glühender Anhänger der BSG Wismut Aue, ist kürzlich aus seinem Nepal-Urlaub zurückgekehrt. Ein besonderer Urlaub, da er bei seinem vorangegangenen Ausflug in das Himalaya-Gebirge das Erdbeben-Drama von 2015 am eigenen Leib miterleben musste. Nun berichtet er von Leid und Elend, zerstörten Straßen, Häusern, brachliegender Infrastruktur und finanzieller Not, um all die Schäden wieder zu beheben. Wir fahren durch das Erzgebirge, ich schaue aus dem Fenster und frage mich, ob er noch immer von seinem Urlaub oder von seiner Kindheit in Sachsen erzählt.

Ehe ich eine Antwort auf diese Frage finde, haben wir das neue Stadion der Erzgebirgler auch bereits erreicht. Dieses ist nunmehr zu drei Vierteln fertiggestellt und hat in etwa drei Viertel seines einstigen Charmes eingebüßt. Die schönen breiten Stufen in den Kurven, die wunderbare Aussicht in das Gebirge, die große Anzeigetafel aus dem Parkstadion – alles Geschichte. Dafür erhält man nun ein Stadion der Marke Einheitsbrei, bei dem aber immerhin die alten Flutlichtmasten erhalten bleiben. Ich verabschiede mich von der Wagenladung Auer Fußballfreunde und kann mich 90 Minuten später gemeinsam mit dem „Wirtschaftsflüchtling“ über einen 2:1 Auswärtssieg des 1.FC Union Berlin freuen, welchen ich aufgrund der baulichen Situation gemeinsam mit nur 1.448 anderen Auswärtsreisenden stehend auf den neuen Sitzschalen erleben durfte.

Aufgrund der Eintrittskartenknappheit hatte leider auch das FUDU-Pärchen in der Schlacht am kalten Ticketbuffet das Nachsehen. Dennoch haben die beiden sich mit dem Tschechenbentley auf den Weg gemacht und diverse Wutbürgerhochburgen (Freital, Pirna, Heidenau) passiert, während im Radio MDR Sachsen der Liveübertragung des Spiels aus dem Erzgebirgsstadion in schlechter Qualität gelauscht wurde. Ich persönlich gehe ja davon aus, dass es für einen sächsischen Radiokommentator keinen schöneren Namen als „Grischa Prömel“ geben kann, aber das nur nebenbei. Auch im Radio hat der 1.FC Union letztlich mit 2:1 gewonnen und die beiden vermelden bereits ihre Ankunft in unserer gemeinsamen Prager Pension in unmittelbarer Nähe des Stadion Juliska, in dem heute Abend um 20.00 Uhr das kleine Stadtderby stattfinden wird.

Bedauerlicherweise können sie ihr Zimmer jedoch noch nicht beziehen, da der heute gastgebende FK Dukla die Herberge als Tageshotel für die Spielvorbereitung nutzt. Während Torwart Filip Rada genüsslich am Fenster im Korbstuhl eine Zigarette nach der anderen durchzieht, hat das FUDU-Pärchen eine organisatorische Hausaufgabe zu bewältigen. Da in Aue die Reisegruppe nach Abpfiff spontan von drei auf vier Menschen angewachsen ist, gilt es, den „Sprengmeister“ dazuzubuchen und eine Aufbettung in die Wege zu leiten. Letztere Aufgabe scheint auf den ersten Blick nicht sonderlich kniffelig zu sein, da es sich bei unserem gebuchten Zimmer ohnehin um eines mit vier Betten gehandelt hatte, doch der Teufel steckt wie so oft im Detail. Die Leiter für das Doppelstockbett ist nämlich unauffindbar und so geht Familie Hooleisel gemeinsam mit dem tschechischen Herbergsvater (mit vietnamesischen Migrationshintergrund) auf die Suche durch die Katakomben der etwas verwohnten Absteige. Am Ende wird der asiatische Sprossen- und Keimlingsexperte fündig und so kann man abschließend erleichtert festhalten: Leiter geil!

Von all dieser Aufregung bekommen wir im kleinen Bruder des Tschechenbentley gar nichts mit. Das bereits gesehene Fußballspiel wird mit Beginn der Abreise aus Aue diplomatisch geschickt thematisch ausgespart. Während wir über die Autobahn in Richtung Praha brettern, haben wir schnell bemerkt, dass sämtliche Werbetafeln heute nicht ihrem eigentlichen Zweck dienen, sondern mit tschechischen Nationalflaggen geschmückt sind. Vermutlich sind hier bereits die Vorbereitungen im vollen Gange, die Gründung der ersten tschechoslowakischen Republik am 28.10.1918 im Rahmen eines Nationalfeiertags zu würdigen.

In Praha angekommen, hat die nun vollständige Reisegruppe mit dem Herbergsvater schnell geklärt, dass die asiatische Küche auch nach Abpfiff für uns ihre Pforten geöffnet halten wird. So können wir uns vor dem Beginn des Spiels darauf konzentrieren, kühles tschechisches vom Hahn zu verköstigen, ohne durch sinnlose anderweitige Nahrungsaufnahme wertvolle Zeit zu vergeuden. Nadjuschkas akribische Vorbereitung, die daraus bestand, auf tschechisch „Fünf Bier, bitte!“ zum Besten geben zu können, ist natürlich durch die Umbuchung zu Nichte gemacht, doch das größere Problem besteht ganz offenkundig darin, dass der Kneipe aufgrund des Ansturms der Sparta-Fans aktuell die Biergläser ausgegangen sind. Am Ende haben wir dann aber doch sechs (= „šest“; auch das hätte ihr ihr ach so hilfsbereiter Medizinstudent aus Hradec Králové ruhig noch beibringen können!) formvollendete Pivo vor uns stehen und jeder gerade einmal 28 Kronen weniger in der Tasche.

Teile der Reisegruppe haben das Stadion Juliska bereits einmal gekreuzt. Im April 2015 waren jedoch lediglich 1.898 Zuschauer zugegen, als Dukla die Gäste aus Jablonec mit 1:0 besiegen konnte. Heute besteht Hoffnung auf eine wesentlich höhere Zuschauerzahl und einen Gästeanhang, der dem wuderschönen Juliska mit seiner markanten Haupttribüne und dem malerischen Ausblick aus der Höhe auf Praha etwas Leben einhauchen wird.

Das Gedrängel vor den Kassenhäuschen lässt dann schnell erahnen, dass sich genau diese Hoffnung erfüllen werden wird. Leider ist auch der Eintrittspreis dem Spektakel angepasst worden und so wechseln – für tschechische Erstligaverhältnisse abnorme – 180 Kronen den Besitzer, bevor wir die steil gebaute und den Rest des Stadions deutlich überragende Haupttribüne betreten dürfen. Diese ist bereits sehr gut gefüllt und es lässt sich nicht überblicken, ob es überhaupt noch irgendwo sechs nebeneinander gelegene Plätze zu erobern gibt. Lediglich ein paar Verliererplätze im unteren Drittel der Tribüne sind noch sichtbar verwaist, aber angesichts der weiten Laufwege zum Bierstand können diese FUDUs Herzen nicht im Sturm erobern. Als dann auch noch Klops&Kloppi in kompletter Union-Kutte gesichtet werden, gilt es schamerfüllt die Flucht anzutreten. FUDU entscheidet sich für die Stehränge auf der gegenüberliegenden Seite und freut sich bereits darauf, die Sparta-Anhängerschaft im Blick haben zu können.

Auf der Gegengerade wird uns jedoch der Eintritt verwehrt, da unsere teuren Tickets für die billigen Plätze keine Gültigkeit besitzen. Sehr gute Haltung. Immer schön den Pöbel von der High Society trennen! Dass wir jedoch eher zu ersterer Kategorie gehören, stellen wir in den folgenden 90 Minuten eindringlich unter Beweis. Hinter dem Tor im Kurvenbereich, der eigentlich für Journalisten und Policie freizuhalten und deswegen abgesperrt ist, finden wir einen zufriedenstellenden Stehplatz. Außer uns kommt niemand auf die Idee, sich hier in das Nirwana des Stadions kurz vor den Tannenwald zu stellen, sodass lediglich ein pickeliger 16-jähriger mit Schülerlotsenautorität zur Überwachung abgestellt wurde. Dieser versucht uns nun auf tschechisch zu erklären, dass wir hier nicht stehen dürften. Wir verstehen ihn nicht und er spricht kein Englisch, woraufhin er schulterzuckend und mit angsterfülltem Blick das Weite sucht. „Danger-Mike“ fängt an zu rauchen (verboten!) und jedes zweite Bier wird wild pinkelnd im Tannenwald entsorgt (verboten!). Da aber auch diese Vokabeln nicht Teil der Vorabschulung Nadjuschkas gewesen waren, verstehen wir diese Verbote leider ebenfalls nicht und haben somit endgültig etwas für den Ruf deutscher Krawalltouristen im Ausland beigetragen. Immerhin hat der Teenager einen Lerneffekt zu verzeichnen, indem er erfahren durfte, dass auch die Macht einer Uniform endlich ist. Gerngeschehen!

Währenddessen rollt der Ball eher langsam über den Rasen. Nach 20 Minuten haben beide Teams ihre ersten Halbchancen vergeben und es entwickelt sich ein wirklich unattraktives Spiel vor 6.500 Zuschauern, darunter knappen 4.000, die es mit Sparta halten. Der maue Kick wird auch durch die Kulisse nicht nachhaltig aufgewertet. Aus dem „Sparta-Block“, der sich inmitten der großen Haupttribüne befindet, gibt es keinen organisierten Support, kaum Gesänge, kaum Anfeuerungsrufe, sodass es ausreichend Gelegenheit gibt, sich mit den Personalien beider Clubs auseinanderzusetzen. Freunde des Fußballs der 90er-Jahre kommen vor allen Dingen mit Blick auf den Sportchef des FK Dukla vollends auf ihre Kosten. Wer von euch hat alles Günter Bittengel im Bayer-Uerdingen-Trikot in sein Paniniheft geklebt?

In der zweiten Halbzeit wird der erste aufkommende Hunger der Reisegruppe dann stilecht mit einer Klobása gestillt, die hier bei Dukla ebenfalls gut 30 Kronen teurer ist als anderswo. Die: Armeeschweine, wir: arme Schweine! Im Schatten dieses finanziellen Husarenritt hat unser pubertierender Privatordner mittlerweile kapituliert und auf dem Rasen und den Rängen kehrt so etwas wie Leben ein. Nach einem Böllerwurf in der 50. Minute eines Sparta-Fans gerät die Tribüne in Bewegung und einige Bierbecher fliegen wild hin und her. Da konsequent auf Fantrennung verzichtet wurde, ist sicherlich der eine oder andere Wirkungstreffer auf kurzer Distanz erzielt worden. Wir freuen uns darüber, dass auf Seiten Spartas Tomáš Rosický nach gut einer Stunde eingewechselt wird und verzeichnen nach 64 Minuten den ersten und einzigen echten Höhepunkt der Partie, als Duklas Mittelstürmer Holenda alleine vor dem Torwart auftauchend mit seinem Schuss am Pfosten scheitert. Das Spiel endet mit einem gellenden Pfeifkonzert der vielen Sparta-Fans, die aber angesichts zweier weiterer Halbchancen Duklas in der Nachspielzeit mit dem Remis zufrieden sein sollten.

Wir eilen aufgrund einsetzender Abendkühle geschwind in die Asiaküche des Vertrauens, in der der Wirt wie versprochen um 22.00 Uhr noch einmal den Wok für uns anschmeißt. Etwas skurril mutet es schon an, in einem Prager Außenbezirk in einer Kaschemme zu sitzen und asiatisch zu dinieren, das aber wenigstens zu tschechischen Preisen. Und am Ende des Abends ist es auch gar nicht mehr so schlimm, dass niemand weiß, wie man sechs Bier in der Landessprache bestellt. Es sei denn, der Medizinstudent hätte uns auch in der nun gültigen Landessprache etwas an die Hand geben können. Xin vui lòng cho sáu ly bia! /hvg