570 570 FUDUTOURS International 25.04.24 21:21:18

03.10.2017 SG FC Motor Zeulenroda – BSG Chemie Kahla 0:1 (0:0) / Waldstadion Zeulenroda / 100 Zs.

Tag der Deutschen Einheit. Für viele Grund zur Freude, für einige wenige eher bedrückender Anlass, um nostalgisch verklärt sehnsüchtig in die Vergangenheit zu blicken. Klar, dass es bei einer derartigen einschneidenden gesellschaftlichen Veränderung nicht nur Gewinner geben kann. Matthias Liebers zum Beispiel absolvierte 59 Länderspiele für die DDR, gewann 1980 eine olympische Silbermedaille, hielt für Lokomotive Leipzig 321 Mal die Knochen hin und lief in der Nachwendezeit noch 99 Mal für den VfB Leipzig auf, darunter 25 Einsätze in der Fußball-Bundesliga. Heute ist er Trainer des thüringischen Landesklasse-Clubs SG FC Motor Zeulenroda.

Am Morgen des 3. Oktober begeben sich die drei Wendeverlierer in Reihen FUDUs auf den Weg von Praha in eben jenes Zeulenroda, um Matthias Liebers Trost zu spenden und sich im persönlichen Kontakt einen Überblick zu verschaffen, ob es um den ehemaligen Fußballprofi wirklich so schlecht bestellt steht, wie es ein gefundenes Portraitfoto vermuten lässt. Doch bevor dieses sozialromantische Unterfangen in die Tat umgesetzt werden kann, gilt es zunächst einmal, den Tschechenbentley vor der imposanten Gölzschtalbrücke zu parken und noch ein wenig Architektur im Nachgang des gestrigen Brückentages zu studieren.

Die Brücke liegt knappe 20 Kilometer von unserem eigentlichen Reiseziel entfernt und geizt nicht mit Superlativen und Anekdoten. Nach ihrer Fertigstellung im Jahre 1851 war sie die höchste Eisenbahnbrücke der Welt. Noch heute gilt das Bauwerk als größte Ziegelsteinbrücke weltweit. 31 Arbeiter starben bei Unfällen auf der Baustelle und seitdem 2002 acht Menschen in acht Monaten in den Freitod sprangen, wird die Brücke von der Bundespolizei überwacht. All das ist nur möglich, da die Brücke in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges der angedachten Sprengung durch die Wehrmacht noch eben gerade so entgangen ist. Glück gehabt.

Am späten Nachmittag wird die Reisegruppe übrigens auf der Autobahn die Bleilochtalsperre passieren. Der größte Stausee Deutschlands darf als zweiter baulicher Superlativ des heutigen Tages zumindest in Form einer Randnotiz in diesem Bericht nicht fehlen.

In direkter Nähe des Waldstadions von Zeulenroda-Triebes befindet sich seit 1968 ein Tiergehege, welches auch nicht drumherum kommt, von den FUDU-Schweinen besucht zu werden. Zum Ehrenmitglied wird kurz darauf ein Ziegenbock ernannt, der erfolglos eine Zicke umgarnt und sich dann stilvoll entscheidet, sein Ejakulat einfach wild umherzuspritzen, um sich dann endlich dem nächsten Bedürfnis zuwenden und fressen zu können. Ach, FUDU hat ein Herz für alte Stelzböcke!

Da wir das Matthias Liebers Gehege nirgends finden können, halten wir uns nicht länger als nötig in dem Tierpark auf und betreten folgerichtig die ehemalige Karl-Marx-Sportstätte, in der heute der FC Motor die BSG Chemie empfangen wird. Noch mehr ostdeutschen Einheitsbrei auf einen Schlag hatte der Spielplan des 3.10. nicht zu offerieren. Auf dem „unteren Platz“ der Sportanlage eröffnet Schiedsrichter Annemüller um 15.00 Uhr die Partie. 4900 Stehplätze bleiben heute leer und der „dramatische Zuschauerschwund“, von dem im Stadionheft die Rede ist, wird spürbar. Wir nehmen Platz auf einer klassischen Parkbank, lassen uns das nur 1,80 € teure Greizer Schloß Pils schmecken und zeitgleich ein furchtbares Geholze bei kaltem Wind über uns ergehen. Trainer Liebers ist weit und breit nicht zu sehen und kann keine tröstenden Umarmungen von uns entgegennehmen. Die Akteure beider Mannschaften laufen in den ersten 15 Minuten gefühlt 200 Mal ins Abseits und den Rest des ersten Spielabschnitts vermag der Liveticker von fupa.net adäquat widerzuspiegeln: „10. Minute: bisher keine Chancen im Spiel, 27. Minute: es passiert nicht viel, 33. Minute: es passiert einfach nichts in den Strafräumen, 42. Minute: nach wie vor kein Abschluss. Beide Mannschaften suchen ihre Form“. Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

In der Halbzeitpause erfreut uns das Vereinsheim mit nostalgischen Fotos, der Stadion-DJ mit dem Rocky Soundtrack und der Wifi-Hotspot „Waldstadion Zeulenroda“. Soeben hat sich der Hoollege erfolgreich ins Internet eingeloggt und der heute morgen in Prag für tot erklärte Tom Petty lebt plötzlich wieder, wird im Verlauf der zweiten Halbzeit neueren Nachrichten zu Folge allerdings erneut versterben und von seiner Tochter immer wieder in das Reich der Lebenden zurückbeordert. Was für ein hin und her. Da soll der arme Hoollege noch den Überblick behalten, wen er jetzt als verstorben einspeichern darf und wen besser nicht.

Glücklicherweise ist in der zweiten Halbzeit auch auf dem Rasen ebenso viel Abwechslung und Kurzweil geboten. Kahla setzt seine leichte Dominanz aus der ersten Hälfte fort und Kapitän Hort avanciert zum besten Spieler auf dem Platz, der seine Mannen mit viel Leidenschaft nach Vorne treibt. Fupas Livetickermann muss aufgrund der ermüdenden ersten 45 Minuten etwas seiner Aufmerksamkeit eingebüßt haben. Ihm entgeht, dass nach 52 Minuten Torwart Müller das Gehäuse Kahlas verletzungsbedingt verlassen muss und in Ermangelung eines Ersatztorwarts Feldspieler Marcel Schlönvoigt ein Torwarthemd überzieht. Gästeakteur Sergei Olenberg sorgt in der 77. Minute für den Höhepunkt des Tages, indem er aus gut 20 Metern einen wunderbaren Volleyschuss in den Knick platziert. Dieser Schuss war die 3,50€ Eintritt wert! Die pomadigen Hausherren schaffen es bis zur 85. Minute nicht, den Feldspieler im Tor zu testen. Dann zappelt der Ball nach Flanke und Kopfstoß plötzlich im Netz, doch das Schiedsrichtergespann entscheidet auf Abseits und beendet kurz darauf die insgesamt doch eher durchwachsene Partie.

In der Gegenwart kann sich Chemie Kahla nun mit 13 Punkten zum Verfolgerfeld des Tabellenführers Motor Altenburg zählen, während die Hausherren mit nur 7 Punkten langsam aber sicher aufpassen müssen, nicht in den Abstiegssog gezogen zu werden. Matthias Liebers wird sich damit trösten können, von alten Zeiten zu schwärmen und von „Früher“ zu schwadronieren. Im Vereinsheim werden sie sich davon erzählen, wie Zeulenroda in der Saison 1979/80 unter Trainer Gerd Bürger (Vater von Henning Bürger) ein Jahr lang in der zweithöchsten Spielklasse der DDR mitmischen durfte. Man wird von alten Pokaltriumphen sprechen. Motor Zeulenroda war Finalist des Thüringenpokals der Saison 1990/91. Dort unterlag man im Endspiel dem SV 1910 Kahla und verpasste so ein Erstrundenspiel im DFB-Pokal gegen den FC Rot-Weiß Erfurt. 1994/95 konnte man dann aber an diese alten Erfolge anknüpfen und stürmte erneut in das Endspiel des Landespokals, in welchem man dem großen FC Carl-Zeiss Jena mit 0:1 unterlegen war. Dank des Aufstiegs von Carl-Zeiss in die 2. Bundesliga schlug Motors große Stunde nichtsdestotrotz und man durfte im DFB-Pokal starten. Gegen den FSV Zwickau setzte es in der Saison 1995/96 vor 2.500 Zuschauer im Waldstadion eine 0:1 Niederlage (Torschütze: Hans-Uwe Pilz). Der heutige Platzwart Tino-Ralf Focke hieß damals noch Ralf-Tino und war erster Torwart. Das waren Zeiten! Oder: Früher war alles besser. Sogar Motor Zeulenroda. /hvg