659 659 FUDUTOURS International 19.04.24 04:01:22

04.03.2018 Borussia Neunkirchen – TuS Herrensohr 1:0 (0:0) / Ellenfeldstadion / 450 Zs.

Wenn man sich für ein Freitagabendauswärtsspiel Urlaub nehmen muss, ist das nicht besonders schön. Wenn das Spiel zu allem Überfluss auch noch in Kaiserslautern stattfindet, überlegt man schon zwei-drei Sekunden, ob das denn nun wirklich immer sein muss. Kaiserslautern. Der Ort, an dem sich Menschen ihre Autos von Heidi Klum unterschreiben lassen. Und wenn dann das Spiel 4:3 verloren geht und sich auch noch der beste Stürmer des Herzensvereins beim Aufwärmen auf dem verschneiten Platz einen Achillessehnenriss zuzieht, dann kann man sich schon einmal fragen: Herr Gott, wo bist Du, wenn man Dich mal braucht? Die Antwort, die man erhält, ist genauso erschütternd, wie der Gesamtfreitag. Der liebe Herrgott residiert aktuell in der „Fruchthalle Kaiserslautern“. Ach, soll ihn der Teufel holen…

Uns zieht es nach Abpfiff recht schnell in das 70 Kilometer entfernte Saarbrücken. FUDU hat sich hier eine Ferienwohnung gesichert, um den verkorksten Freitag im weiteren Verlauf des Wochenendes wieder wett zu machen. Mit einem Kasten „Karlsberg Urpils“ im Gepäck ist der Fußweg vom Bahnhof über spiegelglatte Bürgersteige nicht ganz so bequem zu bewältigen. Nicht allen Mitgliedern der Reisegruppe gelingt die Anreise ohne Sturz. Aber gut, wenn man irgendwann zu der Selbsterkenntnis gelangt, man habe bereits zu viel Bier im Stadion getrunken und sich dann entscheidet, sich für den Rest der Partie lieber mit einem Liter Wein zu vergnügen, dann hat man möglicherweise auch schlicht und ergreifend die falschen Schlüsse gezogen.

Die russische Besitzerin des Apartments ist jedenfalls hellauf begeistert, dass sie ihre Wohnung dieses Mal nicht irgendwelchen Chaoten überlassen muss, sondern stattdessen vier adrette männliche Fußballfreunde mit einem Kasten Bier in den Händen begrüßen darf. Die Hausregeln sind schnell erklärt, wir haben die Zimmer verteilt und bezogen und schlafen nach einem passablen Freitagsausklang vor dem Fernseher recht bald den Schlaf der Gerechten.

Der Samstag beginnt in unserer weinrot-gelb gestalteten Dukla-Praha-Küche dann sogleich mit echten Tiefschlägen. Der Blick aus dem Fenster verheißt nichts Gutes und auch der Wetterbericht sieht für den weiteren Verlauf des Tages neuerliche Schneefälle auf uns zukommen. Nachdem der ursprünglich ausgetüftelte Luxembourg-Plan bereits vor langer Zeit den Spielansetzungen zum Opfer gefallen war, wird nun auch der Alternativplan zu Nichte gemacht. Saar 05 Saarbrücken – Pfeddersheim im „Stadion Kieselhumes“: Abgesagt! Sarreguimenes – Lunéville im „Stade da la Blies“: Abgesagt!

So bleibt FUDU keine andere Wahl, als wenige Stunden später mit der „Suffeule“ (Maskottchen des Hauses) auf der Couch einzukehren und Preußen Münster gegen den SC Paderborn im Fernsehen zu verfolgen. In der Halbzeitpause erfährt FUDU in den Nachrichten, dass gestern ein mit internationalem Haftbefehl gesuchter Mafiaboss in Saarbrücken festgenommen werden konnte. Echt nur Sodom & Camorra hier im Saarland…

Erst einmal auf den Geschmack gekommen, soll Fußball auf der Mattscheibe auch im weiteren Tagesverlauf unser Thema bleiben. Der „Marktbrunnen“ öffnet uns zur 15.30 Uhr Bundesliga-Konferenz die Pforten. Das Publikum ist offenbar direkt aus St. Moritz mit dem Privathelikopter eingeflogen und besteht aus Tennisverein-Dandys und Pelzmantel-Grande-Dames. Während der Wirt alle anderen Gäste mit Vornamen kennt und das eine oder andere Glas Schampus serviert, werden wir eher argwöhnisch beäugt. Wir nehmen die Rolle der Aussätzigen an, machen es uns im Hintergrund gemütlich und heben uns bis zum Abpfiff der Bundesligapartien gehörig einen „Bruch“. Unsere Rechnung wird dann am Ende des Gelages auch vielsagend mit „vier Jungs“ überschrieben sein und zu Fettis Saarbrücker Stammlokal wird dieser Pub wohl doch nicht werden.

Im Anschluss kehren die „vier Jungs“ in einem schwulen Lokal in der Altstadt ein. Der Laden ist urig eingerichtet, die Karte rustikal, die Speisen günstig. Der alte Stelzbock von Kellner erklärt uns auf Nachfrage die Zusammensetzung der landestypischen Spezialitäten – wie z.B. Dibbelabbes, Gefillde oder Hoorische – nicht ohne auf die eine oder andere sexuelle Anzüglichkeit zurückzugreifen. So ist es nach der Argumentation, die Hoorische seien „dick wie Bubeschwänze“ überhaupt nicht verwunderlich, dass dieses Gericht auf zumindest einem unserer Teller landen wird. Schon eher unser Laden! Noch während des Verspeisens erfahren wir, dass auch die Austragung der morgigen Partie zwischen Borussia Neunkirchen (offizieller Name übrigens: Borussia, Verein für Bewegungsspiele e.V., Neunkirchen) und TuS Herrensohr auf der Kippe steht. Die Borussia ruft über ihren Facebook-Kanal zum Schneeschippen auf. Nur, wenn sich genügend Freiwillige finden, die das Ellenfeld räumen, bestünde überhaupt eine Chance auf ein Spiel…

Am Sonntag sitzen wir mit unserer Luxembourg-Trier-Saarbrücken-Neunkirchen-Berlin-Fahrkarte, die in der Planungsphase gebucht wurde und bis zuletzt alle Möglichkeiten offen hielt, in der Regionalbahn nach Neunkirchen. Dort angekommen, stellt Richard Martin mit Blick auf seine E-Mails zunächst einmal fest, dass er in der Jugendherberge in Worms der einzige Gast sein wird und er gefälligst Bescheid geben soll, wann er denn anzukommen gedenkt. Sein Montagabendspiel zwischen Wormatia und dem Waldhof ist mittlerweile dank der TV-Übertragung gesichert und nur kurz darauf sickert auch die Bestätigung durch, dass im „Ellenfeldstadion“ zu Neunkirchen heute ein Ball rollen und auch der Rest der Reisegruppe in den Genuss wenigstens eines Spiels kommen wird. In Ermangelung von Schließfächern am Bahnhof Neunkirchen begehen wir im Anschluss dieser frohen Botschaft das Sightseeing mit etwas belastendem Reisegepäck.

Neunkirchen. Heruntergekommen. Vermüllt. Verwahrlost. Vergessen. Verschlossene Kneipen und unheimlich viel Leerstand. „Die letzte deutsche Stadt, die mich so traurig gemacht hat, war Hof!“, fasst der Fackelmann das Gesehene zusammen und tritt nur wenige Sekunden später unerschrocken in einen Hundehaufen. Die einzige Sehenswürdigkeit Neunkirchens muss dann eher heimlich besichtigt und fotografiert werden, weil die anatolische Großfamilie, die mittlerweile in der Max-Braun-Straße 26 lebt, eher wenig Freude damit hat, in ihrem privaten Umfeld gestört zu werden. Aber gut, wer sich das Geburtshaus Erich Honeckers kauft, der muss eben dann und wann mit Besuch ewig gestriger Ossis zurechtkommen.

Dies hat sich wiederum offenbar Borussia Neunkirchen auf die Fahnen geschrieben. Gerade am „Ellenfeldstadion“ angekommen, sind wir wegen unserer Reiserucksäcke auch bereits aufgefallen und herzlich in Empfang genommen worden. Schnell ist das Reisegepäck in den Katakomben abgestellt und gerade, als wir uns freundlich für diesen Service bedanken wollen, hat man uns schon einen kleinen Stadionrundgang angeboten. Die zuvorkommende Dame schnappt sich einen Schlüsselbund und wir folgen andächtig. Plötzlich stehen wir mitten auf dem von Schnee befreiten Rasen und werfen aus exponierter Position erste Blicke auf die maroden Ränge des wunderschönen Stadions, welches in der Saison 1963/64 in der Premierensaison Bundesligafußball erleben durfte. Noch aufregender wird es, als wir Zugang zu dem wohl ältesten Funktionsgebäude des Stadions erhalten und einen Blick in die verfallenen Umkleidekabinen, die Entmüdungsbecken und Duschen der 60er Jahre werfen dürfen. Die Heimmannschaft genoss damals übrigens den Vorteil zweier Duschköpfe, während der Gastmannschaft nur eine einzige Dusche zur Verfügung stand. So sah also Bundesliga-Luxus anno 1964 aus.

Mit viel Charme und spürbarer Begeisterung für die Geschichte des Clubs erzählt uns die Dame, die sich heute selbst „Mädchen für alles“ nennt und tatsächlich über eine kleine Einliegerwohnung im Stadion verfügt, eine Anekdote nach der nächsten. Sie verweist beispielsweise stolz auf ihren Schwiegervater Dieter Harig, der Teil der legendären Borussen-Mannschaft von 1959 war, die in das Finale des DFB-Pokal einziehen konnte und erinnert an das letzte große Pokalspiel gegen Bayern München im Jahre 2003. Der weitere unvergessliche Rundgang führt uns in die Nähe der aktuellen Mannschaftskabinen, in den VIP-Raum und in die Stadiongaststätte. Wann immer uns Menschen begegnen, werden wir herzlich begrüßt, so als würden wir schon immer dazugehören. Was möglicherweise auch daran liegt, dass unsere Stadionführerin ein Jedem bei der Begegnung erzählt, dass wir Gäste aus Berlin (!) sind – als ob dies in etwa so besonders wäre, als wären wir soeben aus einer fernen Galaxie mit einem Raumschiff eingeschwebt. Mittlerweile sind auch Präsident und Pressesprecher darüber informiert, dass heute gleich vier exotische Gäste aus der Bundeshauptstadt das „Ellenfeldstadion“ unsicher machen und wir erhalten VIP-Armbänder, freien Eintritt auf die Haupttribüne und eine Einladung zum Sponsorentreffen, welches nach Abpfiff im VIP-Raum stattfinden wird. Im Hintergrund buhlt der 79-jährige Vater von Stefan Kuntz um Aufmerksamkeit. Na, der soll sich mal schön hinten anstellen – heute sind echte Promis anwesend!

Das Spiel der sechstklassigen Saarlandliga zwischen dem aktuellen Tabellendritten und dem Zweiten wird angepfiffen. Spitzenreiter Auersmacher liegt aktuell 6 Punkte vor der Borussia und Ziel des heutigen Spiels ist es, den Abstand zu verkürzen, um am Ende der Saison in die Oberliga Rheinland-Pfalz/Saar aufzusteigen. Neunkirchen nimmt das eigene Schicksal in die Hand und hat nach einer knappen halben Stunde bereits vier Torgelegenheiten herausgearbeitet. In der 36. Minute wird FUDU Zeuge eines Kuriosums, als Gästespieler Jung im Mittelfeld beherzt zulangt, eine gelbe Karte erhält und der verletzt auf dem Rasen liegende Borusse vom Arzt der Gäste behandelt werden muss. Dr. Sebastian Richter wird zum Retter in der Not – nicht etwa, weil Borussia Neunkirchen keinen Teamarzt hätte. Nein, Dr. Sebastian Richter ist gleichzeitig Teamarzt von Borussia Neunkirchen, des TuS Herrensohr und vom SC Halberg Brebach. Auch die Medizinerdichte scheint im Saarland also noch etwas Luft nach oben zu haben…

Im zweiten Abschnitt lassen die Hausherren direkt nach Wiederbeginn eine 100%ige Kopfballchance ungenutzt liegen, während wir uns etwas darüber mokieren, dass wir zwar VIP-Bänder um die Handgelenke tragen, unsere Getränke aber selbst zahlen müssen. Als dann auch noch unverschämte Nachwuchskickerinnen um eine Spende für die Jugendarbeit bitten und mir beim Bezahlvorgang ein Euro herunterfällt und unauffindbar bleibt, ist der Ärger groß. So lange, bis der Fackelmann auf der Suche nach Nahrung vor einer Imbissbude 20 € findet. Der Hoollege reagiert blitzgescheit, nimmt dem Benjamin die Kohle ab und spendiert eine Rutsche „Bruch“. Ab jetzt wird umsonst gesoffen!

In der 65. Minute gelingt es in Jens Kirchen dem auffälligsten Spieler auf dem Platz, den Gästetorwart zu überwinden. Doch leider wird das Tor wegen eines vermeintlichen Handspiels aberkannt. So langsam hat man sich im mit 450 Zuschauern gefüllten Rund mit dem Remis abgefunden, nur Kirchen scheint noch an einen Erfolg zu glauben und gibt auf dem Feld sein letztes Hemd. Nun wird er endgültig zum Dreh- und Angelpunkt der Partie, verteilt die Bälle, schlägt Flanken, wird torgefährlich, arbeitet zurück, macht Kilometer. Das Trikot des Spielmachers illustriert dessen Einsatzfreude und das „Mädchen für alles“ wird später ihre helle Freude damit haben, dieses Kleidungsstück wieder weiß zu waschen.

In der 74. Minute zahlt sich das Pressing der Hausherren aus und ein eigentlich bereits verlorener Ball wird durch einen unter Druck gesetzten Herrensohrer Verteidiger umgehend wieder in die Reihen Neunkirchens zurückgeschickt. Die nächste Angriffswelle rollt über die rechte Seite, Flanke, Direktabnahme mit dem linken Fuß, Tor! Diesen Treffer hat sich Jens Kirchen mehr als verdient!

Zehn Minuten später wird Kirchen vor einer gelb-roten Karte geschützt und ausgewechselt. Der angenehme Nebeneffekt ist natürlich, dass er sich den verdienten Applaus des Publikums abholen kann. Wir verlassen kurz darauf unsere Plätze und begeben uns in den VIP-Raum, wo wir Ohrenzeugen der Pressekonferenz werden. „Unterschiedspieler Kirchen“ wird auch hier von Trainer Björn Klos über den grünen Klee gelobt und hätte es der gute Mann in seiner Karriere nicht so häufig mit Knieverletzungen zu tun gehabt, hätte er sicherlich höherklassig Karriere gemacht. Im Anschluss bedankt sich Präsident Bach bei all den treuen Sponsoren und eröffnet feierlich das Buffet. Auch FUDU ist eingeladen, vor Rückreise nach Berlin ebenfalls bei den Köstlichkeiten des „Restaurant Da Antonietta“ zuzugreifen und ehe man sich versieht, steht Präsident Bach auch schon neben einem und tritt in einen herzlichen Smalltalk ein. Aufrichtig tut er seine Freude darüber kund, dass wir aus Berlin angereist sind, um das „Ellenfeldstadion“ zu besichtigen und sein Stolz über dieses Schmuckstück ist ihm deutlich anzumerken. Auch er lebt den Verein Borussia Neunkirchen mit jeder Pore seines Körpers. Gleichzeitig ärgert es ihn, dass die Stadt Neunkirchen diesen Wert nicht anerkennt und kein Geld oder anderweitige Hilfe bereit stellt, das Bauwerk zu erhalten. Um der Stadt vor Augen zu führen, wie wichtig der Fußball als Aushängeschild für Neunkirchen nach wie vor ist, bittet er uns um ein kurzes Interview für die Website. Pressesprecher Jo Frisch, ebenfalls sehr sympathisch, übernimmt. Nachdem wir einige Fragen beantwortet haben und gemeinsame Fotos geschossen worden sind, drückt die Zeit ein wenig. Wir müssen zurück zum Bahnhof, um unseren Zug via Homburg, Kaiserslautern, Mannheim nach Berlin zu erreichen. Da stößt es schon übel auf, dass von unserem „Mädchen für alles“ jede Spur fehlt und sich unsere Rucksäcke nach wie vor in ihrer Gewalt befinden. Auf gut Glück kehren wir an den Ort zurück, an dem alles begann: Die Katakomben vor ihrer Einliegerwohnung. Und siehe da, das Taschenlager ist unverschlossen. Kurz geraten wir in Versuchung, weil sich neben unserem Gepäck auch gut gefüllte Bierkästen befinden, aber an dieser Stelle beweisen wir Anstand. Borussia Neunkirchen war zu gut zu uns, um bestohlen zu werden!

Am nächsten Morgen beherrschen die FUDU-Schweine die Gazetten des Saarlands. Naja, zumindest auf die Website von Borussia Neunkirchen haben wir es mit unserer Botschaft und einem Gruppenfoto geschafft. „Dafür habt ihr bei uns einen gut, wenn ihr mal nach Berlin kommt!“, sollen wir zum Abschluss gesagt haben. Zwar kann sich von uns niemand an diesen getätigten Ausspruch erinnern, doch verdient hätten es die freundlichen Borussen allemal. Dafür würde ich mir sogar Urlaub nehmen. /hvg