284 284 FUDUTOURS International 19.04.24 15:07:29

25.03.2018 Chesterfield FC – Notts County FC 3:1 (2:0) / Stadium Chesterfield / 6.005 Zs.

Die Engländer sind schon ein witziges Völkchen. Das ganze Jahr über scheint die Sonne nicht, der Regen fällt konstant, kontinuierlich herrschen 5-9°C, morgens isst man Bohnen, das erste Bier wird immer schon gegen 11.00 Uhr im Pub gehoben und um Fünf gibt’s Tee. Tagein. Tagaus. Warum also zwischen den Jahreszeiten unterscheiden? Es könnte alles so einfach sein, wäre da nicht diese gottverdammte Uhrenlobby, die zwei Mal im Jahr zur Umstellung aufruft. So muss sich also FUDU damit anfreunden, dass gestern noch Winter war und heute ab um 1.00 AM offiziell der Sommer eingeläutet wird.

Vor dem Einschlafen zerbrechen wir uns die Köpfe. Werden sich unsere altmodischen Handys automatisch auf die neue Zeit umstellen? Oder denken wir für die Technik mit und stellen den Wecker absichtlich falsch, damit er richtig klingelt? In welche Richtung wird überhaupt umgestellt? Muss ich den Wecker dann auf 8.00 oder auf 6.00 stellen? Alter, wenn sich das Ding automatisch anpasst, klingelt der dann sogar um 5.00, wenn es richtig schlecht für uns läuft? Bevor wir eine unübersichtliche „Zurück in die Zukunft“-Skizze mit Zeitstrahl anfertigen können, wird einer von uns den Themenkomplex mit einem beherzten „Scheiß Drauf!“ beenden.

Am nächsten Morgen klingelt einer unserer Wecker um 6.00 Uhr. Eine Stunde zu früh. Hätte schlimmer kommen können. So bleibt wenigstens genügend Zeit, sich über das im Bengalo-Späti vorausschauend gekaufte Frühstück her zu machen und sich noch einmal vor Augen zu führen, was man sich für die kommenden Stunden so vorgenommen hat. Hier nun also die Tagesordnungspunkte:

1. Fahrt in die Innenstadt
2. Zugfahrt nach Sheffield
3. Sightseeing in Sheffield
4. Weiterfahrt nach Chesterfield
5. Sightseeing und Fußball in Chesterfield
6. Zugfahrt nach und Einkehr in Nottingham
7. Busfahrt zum Flughafen East Midlands, Rückflug um 6.30 Uhr, Ankunft 9.35 Uhr, Arbeit um 11.00 Uhr, Feierabend um 16.00 Uhr
8. Fußballfilmfestival um 19.45 Uhr.

TOP 1: Der Ticketautomat im Nebel von South Chedderton ist heute Morgen leider defekt. Die beiden FUDU-Schweine werden so genötigt, mit einem „Black Ticket“ in die Innenstadt zu fahren. Vom St. Peter’s Square kann man den Rest des Weges zur Piccadilly-Station problemlos zu Fuß zurücklegen und weitere Pounds sparen.

TOP 2: Vor Abfahrt des Zuges kauft sich Fetti auf die Schnelle das wohl britischste Lebensmittel, welches er je zu Gesicht bekommen hat. Im „Greggs“ gibt es heute sogenannte Frühstückspasteten, bei denen es sich bei näherem Hinsehen um mit Bohnen, Speck, Wurst und Ei gefüllte Blätterteigtaschen handelt. British Breakfast to go – stark!

TOP 3: Gerade einmal drei Monate sind seit meines letzten Besuchs in Sheffield vergangen. Ortskundig schwinge ich mich zum Stadtführer auf, schlendere mit dem Hoollegen durch „Park Hill“ und kraxle selbstredend hinauf zum „Cholera-Monument“, um die verlorengegangenen Bilder meinem Portfolio erneut zuführen zu können. Aufgrund der besseren Wetterlage ist die Aussicht hinunter in die Stadt heute wesentlich schöner als damals. Zudem wird die Unternehmung dadurch aufgewertet, dass FUDU insgesamt 25 Pence am Wegesrand findet. Das wird der Sommer unseres Lebens!

Der weitere Aufenthalt wird maßgeschneidert und an die Interessen und Bedürfnisse des Sheffield-Novizen angepasst. Zielstrebig steuere ich „The Old Queen’s Head“ an, um den Hoollegen mit der Kombination aus englischem Pub und tschechischer Kneipe in endgültige Verzückung zu versetzen. Es ist kurz vor 11.00 Uhr – und englische Wintergewohnheiten sollte man natürlich auch mit in den Sommer retten. Selbstredend sind wir nicht die ersten Gäste des Hauses. Ein Mann wirft beherzt sein Kleingeld in einen Spielautomaten, während der Kinderwagen mit schlafendem Sohnemann am Tresen steht. „Schöner Spaziergang“, wird er seiner Frau später erzählen. Im Fernsehen laufen die „BBC“-Nachrichten und informieren über den wohl größten Cricket-Skandal aller Zeiten. In Australien hat es sich zugetragen, dass ein Spieler der Nationalmannschaft heimlich Bälle in der Unterhose mit Schmirgelpapier bearbeitet hat, um sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber des südafrikanischen Batsman (der Schlagmann) zu erschleichen. Nun mischt sich gar der australische Premierminister Malcolm Turnbull ein und zeigt sich „zutiefst schockiert“ und Fußballstar Tim Cahill kann nur hoffen, dass man „mit einem positiven Auftritt bei der Fußball-WM das internationale Image Australiens wieder aufbessern kann!“ – und so lange das nicht geschehen ist, kann man dieses widerwärtige Volk bedenkenlos ignorieren…

Neben uns amüsieren sich auch zwei HSV-Fans über diese Nachricht bzw. über die staatstragende Ernsthaftigkeit, mit der diese mehr als 20 Minuten lang über die Mattscheibe flimmert. Wir werfen einen kurzen Blick in die „Sun“, um uns über die gestrige Partie in Bury zu belesen. Keine 30 Sekunden haben wir mit dem Käseblatt verbracht, als der letzte Gast der Kneipe seine Rolle einnimmt: „Don’t read that. It’s the worst newspaper ever!“ – womit er wohl Recht hat.

TOP 4: Im Zug von Sheffield nach Chesterfield werden wir erneut kontrolliert. Wir stellen dem Schaffner acht Zettelchen zur Verfügung. Er blättert und knipst und blättert und knipst und gibt uns dann zu verstehen, dass wir lediglich eine Reiseinformation und die Sitzplatzreservierung gezeigt hätten. Es würden vier weitere Ausdrücke fehlen und somit genaugenommen leider auch die eigentliche Fahrkarte. Für 10 Minuten Zugfahrt benötigt man also insgesamt 12 Dokumente, doch scheint der Augenblick nicht günstig, die Sinnhaftigkeit dieses Procedere zu hinterfragen. Nach einer kurzen Diskussion und einem „Excuse me, there was something wrong with the ticket machine yesterday“ lässt uns der Schaffner glücklicherweise ohne eine Nachzahlung passieren.

TOP 5: In Chesterfield gibt es sogleich die alles überragende „St. Mary and all Saints’“ zu bewundern. Die Kirche aus dem 14. Jahrhundert gilt als das Wahrzeichen der Stadt und aufgrund ihrer schiefen Turmspitze ist sie in der Tat überaus auffällig. „The Crooked Spire“ findet sich übrigens auch im Logo des Fußballvereins wieder und bis heute rätseln die Gelehrten, wie es zu der Krümmung kommen konnte. Es gibt viele Theorien hierzu, doch nur der Volksglaube, der Teufel hätte auf dem Dach gesessen, seinen Schwanz um den Turm gewickelt und diesen dann aus Versehen verdreht, als er wegen des Weihrauchgeruchs plötzlich niesen musste, überzeugt den alternativen-Fakten-Flügel FUDUs uneingeschränkt.

Heute finden in ganz England übrigens lediglich zwei (Herrenprofi-)Fußballspiele statt, wobei die Partie Portsmouth – Oxford geographisch sehr ungünstig liegt. Eigentlich möchte sich FUDU hier vor niemandem rechtfertigen müssen, warum zur Hölle man sich für den Besuch eines Fußballspiels in Chesterfield entschieden hat. Aber um von der grausamen Faktenlage, die aus den Fixpunkten: „League Two“ (= 4. Liga), trostlose Provinz und modernes Ungetüm von Langweilerstadion besteht, etwas abzulenken, darf man getrost einen Blick auf den heutigen Gegner werfen. Notts County. Gegründet 1862 und damit der älteste Profi-Fußballverein der Welt. Schon ergibt doch wieder alles seinen (konstruierten) Sinn.

Und so versteckt man dann doch mit einer gewissen Vorfreude auf die Partie seine letzten Biervorräte auf dem Parkplatz des Stadions, welches seit seiner Eröffnung im Jahre 2010 offiziell einen Sponsorennamen trägt und in diesem Blog als „Stadium Chesterfield“ geführt werden wird. Die Turnbeutel sind schnell an den Ordnern vorbei geschmuggelt und schon steht man wenige Minuten vor Anpfiff in den Katakomben und glaubt seinen Augen kaum zu trauen. Hier gibt es echtes Fassbier für nur 3,20£! Klar, dass sich die FUDU-Schweine da nicht zwei Mal bitten lassen und zuschlagen. Angesichts der Zeit wird jedoch nur ein Bier bestellt und der in der „Travellodge“ gestohlene Plastik-Zahnputzbecher (glaub mir, den können wir noch gebrauchen!) kommt zum Einsatz. Ein großes Bier für den Hoollegen, ein etwas kleineres für mich, wie romantisch.

Wir setzen uns an den linken Rand der Tribüne, die überraschenderweise NICHT mit Chesterfieldmöbeln ausgestattet ist, um den 1.411 Schlachtenbummlern aus Nottingham möglichst nahe sein zu können. Von der Heimseite versprechen wir uns heute keinerlei Support und hoffen um so mehr, dass die reisefreudigen „Magpies“ auch sangesfreudig auftreten werden. Erste Skepsis kehrt ein, als klar wird, dass niemand im Gästeblock das Spiel stehend verfolgen will. Die ersten 15 Minuten des Spiels werden skurrilerweise sitzend akustisch begleitet, später schläft die Unterstützung leider vollends ein.

Auf dem Feld geht es genau diese 15 Minuten lang ordentlich zur Sache und es gibt Chancen hüben wie drüben. Obwohl wir uns heute eine Ligaebene tiefer befinden, gleicht das Spielfeld eher einem Golfplatz und stellt den Drittliga-Acker aus Bury locker in den Schatten. Dies spielt dem Chesterfield FC in die Karten, der heute deutlich besser mit dem Spielgerät umgehen kann und die Gäste beherrscht, obwohl die Tabellenkonstellation eher umgekehrte Vorzeichen mit sich gebracht hatte (23. gegen 5. am 39. von 46 Spieltagen). Nach 16 Minuten geht Chesterfield nach einem Eckball, der im Strafraum an Mann und Maus vorbeigeht und letztlich von Nelson verwertet werden kann, mit 1:0 in Führung. Der Hoollege und ich kämpfen mit Stadionkaffee etwas gegen die eigene Müdigkeit an, werden nun aber auch immer wieder von den Gästefans wach gehalten, die sehr unzufrieden mit ihrem eigenen Team – und vor allen Dingen mit ihrem eigenen Torwart sind – und immer ungehaltener werden.

Nachdem sich das Spiel eine ganze Weile in beruhigtem Fahrwasser befunden hatte, geht es nach gut einer halben Stunde plötzlich Schlag auf Schlag. Nach 36 Minuten scheitert Chesterfield per Kopfball, nur zwei Minuten später die Gäste in ebenso aussichtsreicher Position, ehe Hines nach 39 Minuten auf 2:0 erhöhen kann. Jonathan Forte aus Barbados, seines Zeichens Auswechselspieler bei Notts County, interessiert all das nicht. Während seine Kollegen im Schweiße ihres Angesichts die Linie auf- und abrennen, sich über vergeben Chancen ärgern und das Gegentor geschockt zur Kenntnis nehmen, plänkelt er mit seiner kleinen Tochter vor der Tribüne herum und hat einen Heidenspaß. Family Time is Quality Time!

In der zweiten Hälfte bleibt Notts County weiterhin unheimlich harmlos. Die Gastgeber haben alles im Griff und verwalten die Führung relativ problemlos. Nach 65 Minuten wandert noch ein Abschluss Chesterfields in die Notizblöcke, doch erst als in der 88. Minute ein Freistoß von Jones an allen vorbei in das lange Eck segelt, wird dem Spiel noch einmal Leben eingehaucht. Dank zweier Verletzungspausen entscheiden die Unparteiischen, die Begegnung um neun Minuten zu verlängern und im Gästeblock keimt noch einmal Hoffnung auf ein Remis auf.

Notts County löst nun alle Abwehrfesseln und drängt mit aller Macht auf den Ausgleich. Logische Konsequenz: Konterräume für Chesterfield. Gleich drei Mal vergeben die Hausherren aussichtsreiche Chancen zum 3:1, ehe in der neunten Minute der Nachspielzeit auf Elfmeter entschieden wird. Vor lauter Freude über den Elfmeterpfiff betritt ein Heimzuschauer den Rasen und wird für diesen Fauxpas direkt von den Bobbys einkassiert. Kristian Denis ist ähnlich resolut und verwandelt in Folge sicher zum 3:1 Endstand. Auch wir haben im Anschluss noch unser kleines Erfolgserlebnis und finden im Gebüsch tatsächlich unsere versteckten Biervorräte wieder. Auf geht’s nach Nottingham!

TOP 6: Knapp 40 Minuten nach Abfahrt haben wir Nottingham erreicht. Schnell haben wir in unserer schäbigen Unterkunft eingecheckt, wobei der Flur, auf dem unser Zimmer liegt, wie ein Eisenbahnabteil gestaltet ist. Ach, Hostels sind immer soooooo erfrischend witzig. Folgerichtig, dass wir die Herberge so schnell wie möglich wieder verlassen, um im Stamm-„Wetherspoon“ des letzten Nottingham-Urlaubs einzukehren. In einem kleinen Kaminzimmer lernen wir „George Africanus“ kennen, schicken im Geiste Grüße nach Uganda und kratzen letztlich all unser Kleingeld zusammen, um noch eine finale Rutsche Carling trinken zu können.

TOP 7: Nach einer kurzen Nacht in den Doppelstockbetten sitzen wir um 4.50 Uhr im Shuttle-Bus zum Flughafen East Midlands. Kollege Reiner fliegt uns um 6.30 Uhr sanft und sicher zurück nach Berlin. Aufgrund der pünktlichen Ankunft gelingt es mir sogar, an einem Montagmorgen beizeiten auf Arbeit zu erscheinen. Mit ein wenig Hilfe englischer Koffeeintabletten wird das Winterferienprogramm in den folgenden fünf Stunden routiniert abgespult und schon trifft man …

TOP 8: … am Abend des 26.03. vor dem Kino „Babylon“ in Berlin auf weitere Truppenteile FUDUs, um im Rahmen des Fußballfilmfestivals „11mm“ den rumänischen Film „Al doilea Joc“ zu bestaunen. Vater und Sohn schauen im Jahr 2014 gemeinsam ein Spiel zwischen Steaua und Dinamo aus der Saison 1988/89. Der besondere Clou liegt darin, dass der Vater damals das Spiel als Hauptschiedsrichter leitete. Der Vater ist verwundert darüber, wie man auf die Idee kommen kann, darüber einen Film zu drehen – niemand würde sich heutzutage für rumänischen Fußball aus den 80er Jahren interessieren. Doch, doch. FUDU hat Interesse und auch der Rest des Kinosaals ist gut gefüllt. Leider verpasst es der Sohn jedoch, die richtigen Fragen zu stellen. Wie unparteiisch konnte man als Schiedsrichter sein, wenn Nicolae Ceaușescu „seinen“ Verein siegen sehen wollte? Wie sehr war man zerrissen, wenn dann auf der anderen Seite Polizeifunktionäre die Muskeln spielen ließen? Wie gestaltete man seinen Alltag im Rumänien der 80er Jahre? Gab es Opposition? Gab es vielleicht auch im Sport einen Zufluchtsort, eine Möglichkeit still und leise gegen Steaua, Dinamo und Ceaușescu zu protestieren? Aber all das fragt er nicht. Stattdessen gibt es einen Film zu sehen, der die quälend langweiligen 90 Minuten Fußball (Endergebnis: 0:0) von damals ungekürzt wiedergibt. Die Gespräche zwischen Vater und Sohn drehen sich ausschließlich um Regelkunde und dann und wann auch über die fußballerischen Qualitäten einzelner Akteure. Um 21.15 Uhr ist es geschafft: Abpfiff. Wie zum Hohn werden noch die Endergebnisse der anderen Spiele dieses rumänischen Spieltags im Abspann gezeigt. Steaua gegen Dinamo war das einzige torlose Spiel dieses Wochenendes. Jaja. Die Rumänen sind schon ein witziges Völkchen. /hvg