225 225 FUDUTOURS International 25.04.24 08:58:08

13.10.2018 HNK Rijeka – NK Orijent Rijeka 8:0 (2:0) / Stadion Igralište na Podmurvicama / 47 Zs.

Oktober. Blätter fallen von den Bäumen, der Himmel ist grau, es regnet viel, Union hat spielfrei und Frauen meines Alters sind mir zu alt. Jedes Jahr zum selben Zeitpunkt stellt sich diese Gedankenreihung nahezu vollautomatisiert ein und deutet darauf hin, dass wohl eine Länderspielpause und mein Geburtstag vor der Tür stehen müssen. Da letzterer bekanntermaßen nicht in die Statistik eingeht, so ich ihn im Ausland verbringe, ist die Reaktion nur folgerichtig. Ich brauche Sonne, Fußball und meine Ruhe. Da gibt es also nichts zu zögern – Tasche packen und ab in den Urlaub!

Am 11.10. lande ich bereits um 7.30 Uhr auf der Insel Krk, die ich einst als Kind beim Blättern in Omas Lexikon kennengelernt habe, als ich beim „Scrabble“ spielen mit ihr mal wieder zu wenige Vokale auf dem Brett hatte. Aus selbigem Grund ist die Insel übrigens auch bei der ehrenwerten Zunft der Kreuzworträtseldesigner sehr beliebt und ihr könnt euch darauf verlassen, dass in so ziemlich jedem Rätsel die „kroatische Insel mit drei Buchstaben“ abgefragt wird. Während ich bereits Bargeld gezogen und ein Ticket für den Busshuttle nach Rijeka gekauft habe, irren die anderen Kartoffeln noch über den Miniatur-Flughafen. Schon wirklich die hohe Kunst der Hilflosigkeit, sich auf einem Flughafen im Schuhkartonformat mit nur einem Ticketschalter und einem Ausgang nicht zurechtzufinden. Und auch die Abfahrtspläne der vier Busverbindungen sind jetzt nicht all zu komplex gestaltet. Der Bus fährt eben immer dann, wenn ein Flugzeug landet. Gefühlt also vier Mal am Tag…

So aber komme ich wenigstens in den Genuss, den Bus fast für mich alleine zu haben. Für 50 Kuna wird man bei schönstem Sonnenschein und bestem Blick auf die Kvarner Bucht eine halbe Stunde lang durch die Gegend gefahren und am Busbahnhof von Rijeka in die Freiheit entlassen. Am Jelačićev trg befindet man sich dann auch direkt mehr oder minder in der Stadtmitte und kann bereits im Zuge des erste Spaziergangs zur Unterkunft einen Blick auf erste Sehenswürdigkeiten der Stadt werfen und sich auf die kommenden Tage freuen: ein malerischer Kanal, der Dom St. Vitus (Katedrala sv. Vida), der Stadtturm (Gradski toranj) und in unmittelbarer Nähe meines Gästezimmers der alte Markt (Tržnice grada Rijeke) sowie das kroatische Nationaltheater Ivan Zajc (HNK Ivan Plemeniti Zajc). Oh ja, hier wird man es eine Woche lang aushalten können…

Mein Gastgeber ist glücklicherweise auch bereits zu Hause und gewährt mir Eintritt in das kroatische Mehrfamilienhaus am Fischmarkt. Es ist mir wieder einmal „gelungen“, über booking.com eine eher weniger touristische Unterkunft zu buchen und somit aus Versehen gegen meinen Grundsatz verstoßen zu haben, als dämlicher Tourist der einheimischen Bevölkerung keinen Wohnraum stehlen zu wollen. Dafür werde ich nun auf’s allerherzlichste empfangen und in ein freundliches Gespräch verwickelt. Auf einem Faltplan zeigt man mir alle Sehenswürdigkeiten der Stadt und versorgt mich mit ersten Informationen über die Stadtgeschichte, welche ursächlich dafür ist, dass Rijeka heute ein moderner Schmelztiegel verschiedenster Nationen und Glaubensrichtungen ist und jeden Willkommen heißt, ein Teil dieser „bunten“ Stadt zu sein oder zu werden.

Damit das Gespräch nicht all zu seicht bleibt und weil man mir offenbar verdammt noch mal ansieht, dass ich beruflich was mit Problemen mache, erfahre ich kurz darauf noch etwas sehr privates. Mein Gesprächspartner hat unlängst bei einem Unfall seine Frau verloren und muss nun die beiden Kinder alleine groß ziehen. Uff. Was man bei einem ersten Kennenlernen eben so erzählt. Dabei hätte ich es dem guten Mann auch ohne diese Geschichte nicht übel genommen, dass er mein Zimmer noch nicht gereinigt hat und mich darum bittet, noch mindestens eine halbe Stunde zu warten. Als guter Gastgeber hat er natürlich längst bemerkt, dass ich gesundheitlich angeschlagen in Hrvatska gelandet bin und über eine leichte Erkältung mit Husten klage. Hiergegen würden nur zwei alte Hausmittelchen helfen: selbst gepresstes Olivenöl oder selbst gebrannter Schnaps. Noch bevor ich mich dazu äußern kann, habe ich bereits einen doppelten Šljivovica serviert bekommen, den sein serbischer Großvater in diesem Sommer gebrannt und kürzlich nach Kroatien verschickt hat. Gemeinsam trinken wir einen und es stellt sich heraus, dass so ein Obstbrand vor dem Frühstück doch etwas mehr einschlägt als beispielsweise Emerson Luiz Firmino anno 2005.

Um der etwas unangenehmen Gesamtsituation im Anschluss zu entfliehen, schlage ich vor, mich draußen in die Sonne zu setzen, einen Kaffee zu genießen und in gut einer Stunde zurückzukehren. Sehr gerne, aber zunächst müsse ich noch das Zimmer bezahlen, entgegnet man mir. Etwas erschwert wird dieser Wunsch dadurch, dass man mir leider nicht sagen kann, wie viel Geld man von mir haben mag. Die mitgeführte booking-Reservierung ist auch nicht vollumfänglich hilfreich, da der Preis des Aufenthalts in Euro angegeben ist und mein Gastgeber hiermit rein gar nichts anfangen kann. Gemeinsam googlen wir den aktuellen Wechselkurs, bringen den Taschenrechner meines Handys zum Einsatz und einigen uns dann schiedlich-friedlich auf eine abgerundete Kuna-Summe, die ich mit meiner Kreditkarte zahlen kann. Als ich nach dem Kaffeegenuss auf mein Zimmer zurückkehre, ist alles sauber – und die Pulle Schnaps steht als Geschenk auf meinem Nachttisch. Freunde, hier fühlt sich Fetti wirklich wie zu Hause…

Zwei Tage später bittet König Fußball erstmals zum Tanz. Auf der Website des HNK Rijeka bin ich auf eine Partie im Nachwuchsbereich aufmerksam geworden. Angeblich empfangen heute um 11.00 Uhr die „Starij Pioniri“ (= ältere Pioniere), die ich nach kurzer Recherche als A-Jugendliche klassifiziere, den Lokalrivalen des NK Lokomotiva Rijeka im Stadion „Igralište na Podmurvicama“. Das Stadion wurde 1975 errichtet und trägt erst seit 2013 den Beinamen „Robert Koman“. Dieser Namenszusatz erinnert an den 2013 verstorbenen Ex-Präsidenten des HNK Rijeka, der nicht nur eng mit dem Club, sondern auch mit der Region verwurzelt war, u.a. als Präsident des Nationaltheaters und – frei übersetzt – Präsident des Komitees zur Organisation der Kvarner Riviera. Sei es wie es sei, die Bilder der 8.000 Zuschauer fassenden Spielstätte inmitten einer Hochhaussiedlung mit ihren drei schönen steinernen Stehtraversen locken mich jedenfalls problemlos bereits vor dem Frühstück vor die Tür und ermuntern mich zu einem 2,7 Kilometer langen Spaziergang.

Dieser führt zunächst einmal vorbei an der belebten Hafenpromenade „Riva“ mit ihren unzähligen Bars und Restaurants. Der Hafen wird hier nicht nur von Kreuzfahrtschiffen und Yachtbesitzern, sondern auch zu industriellen Zwecken genutzt und so kann es schon einmal vorkommen, dass das rege Treiben der Menschen hier urplötzlich zum Erliegen kommt, weil sich dann und wann Güterzüge ihren Weg durch die Menschenmassen bahnen müssen. Den nächsten Höhepunkt stellt dann die Kapuzinerkirche Maria Lourdes (Kapucinska crkva Gospe Lurdske) dar und wird letztlich nur durch den alten Hauptbahnhof gekrönt, der mit seinen ungesicherten Gleisanlagen und den herrlich verfallenden Gebäuden drumherum zu gefallen weiß.

Sobald man den Hauptbahnhof passiert hat, dauert es auch nicht mehr lange und die grauen Hochhaus-Ungetüme tauchen am Horizont auf und weisen einem unweigerlich den weiteren Weg. Um Punkt 10.35 Uhr betrete ich das Stadion, das heute dankenswerterweise allen offen steht, leider aber auch keine Verpflegung feilbietet. Während die Bilder von „europlan“ nicht zu viel versprochen haben und man sich sehr zufrieden auf der Gegengeraden mit Blick auf das offene Meer niederlässt, scheinen die Informationen der Website des HNK Rijeka so nicht stimmen zu können. Auf dem Großfeld rennen jedenfalls 22 Kinder im Alter von 11-13 Jahren herum und zählen somit offenbar eher zu den „Mladi Pioniri“, also den jüngeren Pionieren. Zudem ist der Gast klar als HNK Orijent zu erkennen – keine Spur von den angekündigten Eisenbahner-Jugendlichen. Gerade denke ich mir, dass es mir im Grunde genommen auch egal ist, ob ich ein A- oder ein C-Jugendspiel sehe, da pfeift der Schiedsrichter die Begegnung auch schon ab.

Die handgezählten 47 Zuschauer unternehmen jedoch keine großen Anstalten, die Sportstätte zu verlassen, sodass ich einfach das Sonnenbad auf den alten Stufen genieße und darauf warte, was noch so passieren wird. Glücklicherweise wird das Spiel 15 Minuten später wieder angepfiffen und ich komme in den Genus weiterer 35 Minuten Jugendfußball. Der aktuelle Spielstand ist mir unbekannt, doch auf dem Kunstrasen machen die hoch überlegenen Kicker des HNK Rijeka kurzen Prozess mit ihren Gegnern. Es fallen innerhalb kürzester Zeit (mutmaßlich weitere) 4-5 Treffer. Ich empfinde durchaus Mitleid mit dem armen Jungen, der sich hier als Torwart verkleidet hat und Teil einer Mannschaft ist, die aus Kindern besteht, die Lust am Knödeln haben und die bis zum Schluss mit positiver Körpersprache ihr Bestes geben. Die „Heimmannschaft“ (neben den Nachwuchsmannschaften des HNK nutzt auch der NK Lokomotiva Rijeka dieses Stadion für seine Heimspiele) ist im Gegensatz dazu eine Auswahl von geschulten minderjährigen Fußballmaschinen, die technisch und taktisch natürlich alles können, was man können muss, charakterlich aber in der einen oder anderen Situation noch Schulungsbedarf aufweisen. Sicherlich muss man beim Stand von ?:? (Tendenz: 10:0) keine abfälligen Äußerungen über eigene Mitspieler tätigen, die im Abschluss scheitern oder egoistische Soli aus dem Mittelfeld starten oder gegen einen gegnerischen Verteidiger nachtreten, der sich doch tatsächlich erdreistet hat, einer Nachwuchshoffnung des Erstligisten den Ball abzunehmen. Naja, sollen sich andere drum kümmern.

Nach Abpfiff der Begegnung betreten dann endlich Menschen mit Lokomotiva-Jacken die Arena und ich hoffe, doch noch in den Genuss des A-Jugend-Spiels zu kommen. Doch leider sind die Pioniere, die dann aus den Katakomben stürmen, noch eine Nummer jünger. Flugs bauen die Betreuer Kleintore auf dem Halbfeld auf und ich verlasse das Stadion Podmurvice, wie es im Volksmund genannt wird, bevor es zu Missverständnissen kommt. Alleinreisende junge Männer, die Fotos von kleinen Jungen anfertigen, sind schließlich nicht überall gerne gesehen.

Zum Trost kehre ich kurz darauf im „Flumen Pub“ ein und verköstige ein Bier der Hausbrauerei „Pivovara Flumen“. Kurz nachdem das Bier für „gut“ befunden wurde, ist Mittagszeit. Im „Buffet Fiume“ bestelle ich ein Gulasch und bitte den Kellner, es mir nur mit Brot zu servieren und die Pasta weg zu lassen. Der Kellner gibt mir zu verstehen, dass das Gericht den gleichen Preis hätte, auch wenn er die Pasta nicht mit zubereiten ließe. Ich erkläre mich damit einverstanden, weil mein Appetit bei schwülwarmen Temperaturen doch recht überschaubar ist. Nun versteht der Kellner, der mit diesem Gesprächsverlauf offenbar nicht gerechnet hätte, die Welt nicht mehr. Er hat das letzte Wort: „You get Gulasch with Bread and Pasta. If you don’t eat, my dog will be happy!“

Was auch in dieser kurzen Anekdote steckt, ist ein kurzer Einblick in die Stadtgeschichte Rijekas, die durch die Zugehörigkeit zu unterschiedlichsten Staaten und Völkern sowie derer kultureller Einflüsse nur so strotzt. So heißt die Stadt im italienischen „Fiume“, das Wort „Flumen“ hingegen bezieht sich auf den lateinischen Begriff für den Fluss Rječina. Der „Flumen Sancti Viti“ wird auf deutsch wiederum „St. Veitsstrom“ genannt, was der Stadt unter dem Strich den wunderbaren deutschsprachigen Namen „St. Veit am Pflaum“ eingebracht hat. Und das, liebe Freunde, kann sich wahrscheinlich wirklich nur jemand ausdenken, der zu lange grauen Himmel, zu viel Regen und zu viele alte Frauen ertragen musste… /hvg

 

PS: Die nachträgliche Internetrecherche ergab, dass Rijeka das Spiel mit 8:0 für sich entscheiden konnte. Die Torschützen: Šuke, Bradarić, Bradarić, Baraba, Zivanović, Bogolin, Bradarić, Bogolin. Nur für den Fall der Fälle, sollte einer dieser Jungs irgendwann einmal ein Weltstar werden… dann… könnte Fetti sagen: der war damals schon ein Arschloch!