286 286 FUDUTOURS International 24.04.24 09:59:56

14.10.2018 ŽNK Rijeka Jackpot – ŽNK Pregrada 1:2 (0:0) / Stadion Kantrida, Nebenplatz / 50 Zs.

Stadion Kantrida. Ein echter Sehnsuchtsort. Es gibt wohl kaum ein Stadion in Europa, das mich in den letzten Jahren mehr fasziniert hat. Leider ist die Rijeka-Reise in dem Bewusstsein angetreten worden, kein Spiel in der altehrwürdigen Spielstätte des HNK miterleben zu können. Dennoch zieht es mich selbstverständlich an meinem Geburtstag trotzdem hinaus aus der Innenstadt, um wenigstens einen Blick auf das legendäre Stadion werfen zu können. Auch ohne rollenden Ball sollte man den wohl schönsten Ort Rijekas keinesfalls auslassen, wenn man schon einmal zu Besuch ist. Zwischen meiner Unterkunft und meinem Geschenk liegen zwar stolze sechs Kilometer Spaziergang, der aber – mit diesem Ziel vor Augen – spielend leicht von der Hand geht.

Gegenüber des Stadions befindet sich ein kleiner Kiosk und eine Pastis-Bude, die aber leider noch geschlossen hat und meinen Frühstückshunger nicht stillen kann. Bevor ich dem Stadion meine volle Aufmerksamkeit schenken kann, decke ich mich im Kiosk dennoch mit einer Dose „Karlovačko“ ein. Da ich bislang ohne jegliche Balkan-Erfahrung daherkomme, sich das Stadion direkt an der Hauptstraße befindet und ich Polizeikontakt gerne vermeiden würde, versuche ich in Erfahrung zu bringen, wie sich das kroatische Volk zu dem Themenkomplex „Trinken in der Öffentlichkeit“ positioniert. Die ältere Dame spricht leider nur wenig Englisch, bietet mir aber schnell an, die Fragen auf deutsch zu beantworten. Sie scheint es gewöhnt zu sein, dass vertrottelte deutsche Hopper bei ihr Alkohol kaufen, um dann stundenlang gegenüber sitzen und in ein leeres Stadion glotzen zu können, anders lässt sich nicht erklären, dass ich hier so schnell als Kartoffel aufgeflogen bin. Ich freue mich jedenfalls nicht nur über ihre Geduld und Freundlichkeit und ihre guten Sprachkenntnisse, sondern letztlich auch über die Information, die sie mir an die Hand gibt: „Hier darf man alles saufen. Bier, Wein, Schnaps, wie du willst!“

Gesagt, getan. Mit meiner gekühlten Dose Pivo in der Hand habe ich nur kurz darauf auf einer Mauer Platz genommen, von der aus man beste Sicht über die Umgebung genießt. Die Schönheit des Stadions ist kaum in Worte zu kleiden, die Flutlichtmasten greifbar nahe, das Meer hinter der Haupttribüne funkelt in der Sonne und die kleine Gegengerade grenzt direkt an den Fels, aus dessen Vorsprüngen sich die eine oder andere Pflanze tapfer empor reckt. Während ich dort sitze, verträumt in die Gegend schaue, trinke, staune und die SD-Karte glühen lasse, kommt mir plötzlich ein kämpferischer Gedanke. Es wird ja wohl möglich sein, hier in den kommenden sieben Tagen irgendein Fußballspiel erleben zu können!

Mit wenig Hoffnung, aber voll der Euphorie, beginnt meine Handyrecherche. Eine kurze Nachricht an den HNK Rijeka bei facebook, ob in den kommenden Tagen irgendein Training oder ein Testspiel oder aber wenigstens eine Partie ihrer Nachwuchstruppen im Stadion stattfinden wird, wird letztlich zum Garant des Erfolges. Während ich selbst nämlich keine Ansetzung finden kann, antwortet die freundliche Social-Media-Abteilung des HNK noch während ich bei der ersten Dose Bier auf der Mauer sitze und mir die Sonne ins Gesicht scheinen lasse. Übermorgen spielt der ŽNK Rijeka um 15.00 Uhr im Stadion – na, wenn das mal kein „Jackpot“ ist!

Just in diesem Moment bin ich derart voller Adrenalin und voll der Vorfreude auf ein Fußballspiel im Kantrida, dass ich die Detailinformationen der Nachricht wie im Rausch etwas überlese. Genaugenommen handelt es sich nämlich nur um ein Fraußenfußballspiel, welches höchstwahrscheinlich für den ersten Sexismus-Skandal hier im Blog sorgen wird. Aber egal, wer weiß, wie lange das Kantrida in dieser Form noch existieren wird (Neubaupläne liegen natürlich bereits in der Schublade) und all zu häufig finden hier auch keine Spiele mehr statt (die Herrenmannschaft spielt in der Übergangsspielstätte Rujevica und kehrt nur für einige wenige Testspiele hierher zurück), also sollte man die Chance am Schopf packen. Ist ja immerhin auch erste Liga und jede paralympische Disziplin hat ihre Daseinsberechtigung!

Der nächste Vorteil des Kantrida ist die gute Nachbarschaft. Der „Plaža Ploče“ gilt als einer der schönsten Strände Rijekas und liegt in lediglich 750 Metern Entfernung. Klar, dass ich meinen Spaziergang noch um diese Distanz erweitere, nachdem ich damit fertig geworden bin, das Stadion zu bewundern. Mein Sonnenbad setze ich im Anschluss auf Kieselsteinen fort und wage mich zum deutlich sichtbaren Erstaunen der flanierenden Einheimischen auch in die Fluten. Richtig warm ist das Wasser im Oktober zwar mit Sicherheit nicht mehr, aber mit Jacke, Schal und Mütze muss man jetzt auch nicht unbedingt spazieren gehen…

Aufwärmen kann man sich dann prima auf der Sonnenterrasse der nahe gelegenen „Mirage Bar“, von der man aus einen schönen Blick auf das Meer hätte, hätte nicht irgendein Spezialist eine Schwimmhalle in den Weg gebaut. Nehmt es mir nicht übel, wenn ich an dieser Stelle der Menschheit einmal mehr maximale Verblödung unterstellen muss. Oder kann mir jemand erklären, warum man sich in einem gekachelten Fußpilzparadies in die Chlorbrühe stürzen sollte, wenn sich das Mittelmeer in Sichtweite befindet? Sei es wie es sei, ich habe ganz andere Probleme, denn leider gibt es auch hier nichts essbares zu erwerben. Aber zur Not tut es ja auch das kroatische Herrengedeck, bestehend aus Kaffee und „Karlovačko“. Zum Geburtstag kann man sich schon mal etwas gönnen.

Auf dem Rückweg in die Innenstadt hat dann nachmittags glücklicherweise auch die Pastis-Bude neben dem Kiosk geöffnet. Die liebenswerte Omi in Kittelschürze steht hinter dem Tresen und nimmt meine mit Händen und Füßen getätigte Bestellung lächelnd zur Kenntnis. Ich zeige auf ein Teilchen, ohne auch nur ansatzweise zu wissen, was sich wohl darin befinden mag und nehme sicherheitshalber auch eine Sausage-Roll und einen „Apfel im Schlafrock“ (nur, falls ihr beim „ran-Fußballquiz“ mal nach Toni Polsters Leibspeise gefragt werdet…) an mich. Noch bevor ich den Laden verlassen habe, ist die Tüte bereits vollends durchsichtig – jawoll, das ist echtes Fettigebäck!

Zwei Tage später ist Spieltag und ich erfreue die betagte Bäckereifachverkäuferin mit einem erneuten Besuch. Nach den Erfahrungen des letzten Einkaufs und des nun besser vorhersehbaren Sättigungsgrades genügt mir dieses Mal allerdings ein einziges Gebäckstück, was die Omi zunächst etwas traurig stimmt, mit einem kleinen Trinkgeld dann aber gut kompensiert werden kann. Dieses Mal erwische ich eine mit irgendeinem Weißkäse gefüllte Blätterteigtasche. Ich sitze auf „meiner“ Mauer, fröne der Käsevöllerei und schaue erneut versonnen ins Kantrida. Noch eine knappe dreiviertel Stunde bis zum Anpfiff – und noch ist keinerlei Bewegung im oder um das Stadion herum festzustellen.

Eine Viertelstunde später werde ich etwas nervös und beginne, um das Stadion herumzuschleichen und einen möglichen Einlass zu finden. Hätte ich bereits bei meinem vorgestrigen Besuch eine Runde um das Stadion gedreht, wäre er mir schon eher aufgefallen. Nun hält sich meine Freude angesichts des Kunstrasen-Nebenplatzes mit sich aufwärmenden Frauen drauf doch arg in Grenzen, auch wenn dieser wirklich malerisch liegt. Jeder Ball, der über den Fangzaun der Längsseite fliegt, wird hier zwangsläufig im Meer landen. Hoffnungsvolle Frage an die Hopper-Polizei: Dürfte man hinter diesen Ground bitte auch nach weniger als 45 Minuten offiziell sein Kreuz machen, falls alle verfügbaren Bälle versunken sind?

Ich nehme Platz auf der Blechtribüne und schaue den Damen beim Aufwärmen zu. Die absolute Talentlosigkeit auf 44 Beinen. Torschusstraining. Bewegungsabläufe wie beim Eierlauf mit zusammengebundenen Beinen. Schüsse, die so hart sind, dass das Kunstrasengranulat die eine oder andere Rollbombe stoppt, noch bevor diese die 16 Meter vom Strafraum bis zur Torlinie final zurücklegen konnte. Torhüterinnen, die wahrscheinlich das letzte Mal etwas gefangen haben, als sie mit Opa angeln waren. Und dann ist da noch die Nummer 13 der Gastmannschaft, die man schlicht und ergreifend illustrierend in jedes Lexikon neben den Begriff ‚Frauenfußball‘ platzieren könnte. 1,70 groß, kurze Haare, 120 Kilogramm schwer. Was für ein Ćevapčići-Panzer, eine Presswurst in neongrün. In mir steigt so etwas wie Hass auf. Ich wollte ein Spiel in dem schönsten Stadion Europas sehen, stattdessen bekomme ich kroatischen Frauenfußball im Dialog mit Nebenplatz serviert und dann kriegen die in der höchsten Spielklasse mit 10 Mannschaften nicht mal 11 Dünne zusammen? Schlimmer als ein alkoholfreies Radler. Könnt ick ausrasten!

Das Spiel beginnt. Der Cuntsrasen kocht. Nebenan putzt Mutti den „R4“, während Vati mit dem Pinselchen feinsäuberlich Ausbesserungsarbeiten an der Karosserie des „Renault“-Oldtimers vornimmt. Da geht mir altem Autonarren natürlich das Herz auf und wahrlich, was könnte man jetzt alles sinnvolleres unternehmen, als Frauenfußball zu schauen. Nach 37 Fehlpässen, 58 Stockfehlern und zwei Abschlägen aus der Hand über jeweils 25 Meter verlasse ich das Ambiente. Es sind erst knapp 15 Minuten gespielt, aber diese Vergewaltigung meines geliebten Sports in unmittelbarer Nähe zu diesem Traum von Stadion kann ich nicht länger ertragen. Denn das hier, das ist bestenfalls „Cuntrida“. Hashtag Ultrapeinlich.

Am benachbarten „Plaža Kantrida“ kann man sich dann mit frisch gezapftem „Ožujsko“ trösten und sich bei einem Bad im Meer von dem erlittenen Schock erholen. Aus Berlin flattern derweil Nachrichten ein, dass der SC Borsigwalde in seiner heutigen Paul-Rusch-Pokalbegegnung bereits zur Halbzeit mit 0:5 zurückliegt. Gegen den Oberligisten Blau-Weiß 90 wird also keine weitere Sensation gelingen. Schade, aber angesichts des wunderschönen Sonnenuntergangs in der Kvarner Bucht auch kein lang nachhallendes Drama.

Den Tag lasse ich dann im „Gardens“ am Hafen ausklingen. Ein mit Käse gefülltes Pljeskavica mit dreierlei Ayvar und Pommes wird mir an den Tisch gebracht und ich bin sicher, beim Kauen den einen oder anderen Veganer sterben zu hören. Während die dicke 13 dieses Tellergericht wohl als Vorspeise verputzt hätte, kämpfe ich doch ordentlich gegen diesen Endgegner an und muss mit etwas „Pan“ nachspülen. Am Ende bin ich dankbar, ohne Herzinfarkt oder Fleischvergiftung (oder beides) davongekommen zu sein, falle ermattet in meine Koje und träume wieder vom Sehnsuchtsort Kantrida… /hvg

 

PS: Zeitsprung. Wir schreiben den 23.03.2020. Seit dem Frauenfußball-Desaster von Rijeka sind gut 17 Monate vergangen. Natürlich habe ich mich in der Zwischenzeit nie wieder gedanklich mit diesem Spiel oder den involvierten Akteurinnen auseinandergesetzt. Anlässlich des Berichtes durfte ich aber doch noch einmal in die Materie eintauchen – mit überraschend schönen Recherche-Ergebnissen. Am Ende der Saison belegte der ŽNK Rijeka Jackpot den letzten Tabellenplatz. 18 Spiele, 18 Niederlagen, 7:84 Tore. Um das ganze noch verheerender aussehen zu lassen, wurden dem Club vom kroatischen Verband auch noch drei Punkte abgezogen. Das Spiel, welches ich nach 15 Minuten verlassen habe, endete 1:2 und stellte somit die knappste Niederlage der ganzen Saison dar. Angeblich wohnten dem Spektakel 50 Menschen bei, ich zähle auf meinem Foto aber nur 17. Und jetzt kommt’s: Bis zur 82. Minute hatten die Gastgeberinnen gar mit 1:0 in Führung gelegen, ehe Marija Matuzić ausgleichen konnte. Das Siegtor erzielte Pregrada in der 87. Minute. Wer es erzielt hat? Drei Mal dürft ihr raten – die fette 13! Ein Hoch auf Petra Glavač! Und danke, dass ich das nicht erleben musste…