808 808 FUDUTOURS International 24.04.24 05:46:42

01.01.2018 Leeds United AFC – Nottingham Forest FC 0:0 (0:0) / Elland Road / 32.426 Zs.

Es ist noch nicht all zu viel Zeit ins Land gegangen, seit wir unseren Stadtbummel in Nottingham beendet haben. Town Hall, Old Market Square, Castle und Robin Hood sollte man schon gesehen haben, ehe man sich mit der Frage auseinandersetzt, in welcher Lokalität man in das neue Jahr hineinfeiern mag.

Am Ende beantworten wir diese schwerwiegende Frage einhellig und entscheiden uns für einen Pub mit möglichst großer Fensterfront, vor der wir es uns gemütlich machen, um das bunte Treiben auf den Straßen gut beobachten zu können. Die Herren in Ausgehanzügen, die Damen, egal welchen Alters und welcher Statur, in glitzernden und sehr knappen Röcken, meistens auf abnorm hohen Absätzen durch den englischen Regen staksend. Bereits gegen 20.00 Uhr liegen erste Alkoholleichen in den Rinnsteinen und englische Boulevardjournalisten drehen fotografierend ihre Runden, um den Neujahrsausgaben der Yellow Press genügend Futter für die Rubrik „Bilder der Schande“ zu liefern, die Jahr für Jahr das britische Silvesterwaterloo illustriert. Unvergessen diese fotografische Perle, die in der Silvesternacht 2015/16 in Manchester einen alkoholgeschwängerten goldenen Schnitt für die Nachwelt festhalten konnte. Wie jedes Jahr in England stehen die Menschen auch in Nottingham bereits um 21.00 Uhr Schlange, um utopische Eintrittspreise für irgendwelche belanglosen Clubs, Bars und Lounges zu berappen, während wir inmitten einiger Herrschaften mittleren Alters ein gediegenes Pint nach dem anderen konsumieren und unsere Ruhe haben.

Einige Stunden nach Mitternacht kehren wir angemessen alkoholisiert im Hostel ein und verspüren plötzlich diesen Appetit, der einem in diesem Zustand ein jedes Mal vom Schlafen abhält. Doch FUDU wäre nicht FUDU, wenn man jetzt nicht die 27-Pence-Pizzen in der Hinterhand hätte und der Gemeinschaftsküche seine Aufwartung machen würde. Dort sitzen mitten in der Nacht einige gescheiterte Existenzen, darunter auch der grau- und langhaarige im Bademantel, der aus Marokko kommend im Hostel gestrandet ist und seinen Import-Export-Schuppen noch nicht zum Laufen gebracht hat. Unnachahmlich, wie diese Kreaturen nun erst einmal dumm aus der Wäsche schauen, als wir mit Bierdosen in den Händen und laut herumalbernd in diese Idylle platzen. Mark hat uns erlaubt, hier zu saufen, ihr Amateure! Der Fackelmann schwingt sich zum Pizzabäcker auf, wir prosten den stummen Kameraden zu und entschwinden dann doch recht zügig und gut gesättigt in unsere Kojen.

Nach drei-vier Stunden Schönheitsschlaf belästigt das „Sex-Schwein im Union-Shirt“ erst einmal eine Frau in der Gemeinschaftsdusche. Guter Start ins neue Jahr! Um den Check-Out am Neujahrsmorgen zu absolvieren, sollen wir den Zimmerschlüssel einfach auf den Tisch der Gemeinschaftsküche legen, so die Anweisung Marks vor wenigen Tagen. Gesagt, getan. Und zu unserer Überraschung sitzen genau die selben Typen in genau den selben Positionen in genau der selben Lethargie noch immer an Ort und Stelle. Endstation Stillstand.

Wir bleiben hingegen in Bewegung. Um kurz vor 9.00 AM löst sich der Wirtschaftsflüchtling am Bahnhof noch eben schnell ein Zugticket nach Leeds und bezahlt hierfür stolze 47,80 £, während wir im Vorfeld der Reise bereits alles minutiös geplant, gebucht und bezahlt hatten und mit läppischen 7,50 £ davongekommen waren. Spontaneität macht eben doch nicht immer nur Gewinner. Oder: Egal, wie dumm Du bist, Pierre-Michel Lasogga!

Auf der Überfahrt nach Leeds setzen 2/3 der Reisegruppe auf das bewährte Konterbier, während es der Benjamin mit einer „Mars-Milch“ probiert. Überraschenderweise sind alle drei FUDU-Schweine um 11.30 Uhr gleichermaßen fit, als uns erste Menschen mit Leeds-United-Schals in Bahnhofsnähe begegnen. Dennoch attestieren wir uns gegenseitig eine gewisse Sightseeingmüdigkeit und entscheiden uns daher, den direkten Weg zum Stadion per Pedes anzutreten – und der ist in etwa genauso schäbig wie wir. Unheimlich viel Dreck und Unrat säumt den Weg, der uns an diversen Schnellstraßen entlang und durch gammelige Fußgängerunterführungen hindurch führt. Kurz vor dem Erreichen der „Elland Road“ gibt es noch heruntergekommene Industrie- und Gewerbeparks zu bestaunen und erst mit dem ersten Blick auf das Stadion schlägt der Attraktivitätsradar wieder in die richtige Richtung aus.

Das Stadion sieht von Außen nämlich so aus, wie ein englisches Fußballstadion aussehen muss. Wenig Glas, wenig Hochglanz, wenig Brimborium. Wenn überhaupt, kann man dies der neuen Haupttribüne unterstellen. Dafür gibt es aber drei wesentliche niedrigere Tribünen, die deutlich in die Jahre gekommen sind. Als besonderer Glücksgriff erweist sich unser „East Stand“ aus den 90er-Jahren mit Gammelbeton und einer grundsoliden Pissrinne à la Hafenstraße-Essen. Da schlagen unsere Herzen höher.

Aber zunächst einmal gilt es, noch etwas Zeit im angrenzenden Supporters-Pub samt Biergarten zu verbringen. Bei Livemusik und freundlich über den Eichstrich gefüllten Pintbechern geraten die Leeds-Fans schnell in Stimmung. Großartig, wenn diese gewisse Spannung mit Händen greifbar ist. Wenn diese besondere Atmosphäre in der Luft liegt und man den Leuten anmerkt, dass es immer um ein wenig mehr als nur um drei Punkte geht. Zwei Stunden vor Anpfiff ist der Biergarten jedenfalls brechend voll und die Leute trinken, lachen, reden, feiern. Vorfreude…

… welche mir persönlich vom neuen Nottingham-Coach Gary Brazil direkt vor Anpfiff wieder genommen wird, hat er doch tatsächlich Jason Cummings aus dem Kader gestrichen. Dafür ist der andere personelle Wechsel, auf den Sicherheitspassgriechen zu verzichten und an dessen Stelle Traoré zu bringen, sehr gut nachvollziehbar. Wir nehmen in der siebenten Reihe für 37 Zweitligapfund Platz und haben allerbeste Sicht auf Rasen und Traversen. Die LUFC-Akteure (obwohl der Verein offiziell AFC heißt, verwendet der Club dieses Kürzel im Logo) laufen unter „I Predict a Riot“-Klängen ein, doch ist es Nottingham, das dieser Devise zunächst resoluter folgt. Nach sieben Minuten ist Dowell bereits zwei Mal mit offener Sohle im Mittelfeld zu Werke gegangen und kommt jeweils um eine Verwarnung drumherum. Das ist dann wohl diese englische Härte, von der man immer spricht.

Nach 12 Minuten brennt es im Strafraum von Leeds lichterloh, aber mit einer beherzten Grätsche kann ein Verteidiger noch gerade eben Gegenspieler und Ball aus der Gefahrenzone befördern. Da die Reihenfolge der Getroffenen nicht auf den ersten Blick zu erkennen war, fordern 917 Nottingham-Fans im Gästeblock vehement Elfmeter, bekommen ihn aber nicht. In Folge werden die Hausherren etwas stärker und dominanter und kommen ins Besondere durch Kopfbälle von Pontus Jansson zu guten Gelegenheiten. Doch gleich drei Mal scheitert der Schwede in aussichtsreichen Positionen. Nachdem dann auch die größte Gelegenheit per Kopf und der abschließende Abpraller per Seitfallzieher ausgelassen wird, beruhigt sich das Spiel. Nottingham greift wieder auf den Tempoverschleppungstrick zurück und bei Leeds muss in Ayling der auffälligste Flügelspieler und Flankengeber der ersten 25 Minuten verletzungsbedingt ausgewechselt werden.

So muss nach dreißig Minuten konstatiert werden, dass das Niveau auf dem Rasen sinkt und damit einhergehend auch der bislang recht ordentliche Lautstärkepegel auf den Rängen. Nottingham hält den Gegner mit biederen fußballerischen Mitteln in Schach und Leeds kann nur noch halbwegs Gefahr durch Standards oder mittels uninspirierter Flanken aus dem Halbfeld kreieren und so geht die Partie mit einem enttäuschenden 0:0 in die Pause.

Im zweiten Spielabschnitt wechselt Leeds dann den von uns „ersehnten“ Pierre-Michel ein, der in seinem körpernah geschnittenen weißen Kappa-Hemd so angenehm wurstig aussieht, dass Fetti kurz vom Zuzeln träumt, dann aber recht schnell wieder seine Aufmerksamkeit auf das Spiel lenkt. In der 55. Minute zieht der Spanier Samu Sáiz nämlich urplötzlich auf der linken Seite unnachahmlich auf, bewegt sich mit viel Tempo nach Innen und bezieht Roofe mit einem tollen Anspiel in die Aktion mit ein. Dieser schließt technisch hochwertig ab, trifft dann leider aber nur die Querlatte. Jetzt ist endlich wieder Leben in der Bude und es folgt ein Feuern aus allen Rohren und Distanzen des Leeds United AFC. Mitten in die große Drangperiode setzt Nottingham nach gut einer Stunde einen Konter, der den Spielverlauf der zweiten Hälfte beinahe auf den Kopf gestellt hätte, doch Felix Wiedwald kann den abgefälschten Schuss gerade noch aus der Ecke fischen.

Nun verlässt Leeds etwas der Mut und nur noch selten gelingt es, mit Tempodribblings die massiert stehende Defensive Forests zu irritieren. So dauert es bis zu 83. Minute, ehe eine weitere hochkarätige Chance herausgespielt werden kann, doch Pablo Hernández scheitert und so langsam kann man schon die Hoffnung verlieren, hier und heute noch Zeuge eines Tores werden zu können.

Pierre-Michel vergibt noch eine gute Kopfballchance und verheddert sich im Laufe der sechs Minuten Nachspielzeit mehrmals kläglich in Eigensinn. Wenn der eine Coach auf Jason Cummings verzichtet und der andere freiwillig auf Lasogga setzt, dann kann im Endeffekt ja gar nichts anderes bei herumkommen als ein 0:0 und so beträgt FUDUs historische Torlosserie im Jahre 2018 nun bereits 96 Minuten. Danke vielmals.

Doch schnell ist nach Abpfiff der Ärger über das Gesehene verflogen und gegen schallendes Gelächter ausgetauscht, als nach Schlusspfiff mehrere Ordner in unserer unmittelbaren Nachbarschaft aufziehen und ihrem wohl schönsten Job des Tages nachgehen müssen. Wie offenbar nach jedem Heimspiel müssen sie nun einer verfetteten Engländerin, die im Verlauf der 96 Minuten eine Synthese mit ihrer blauen Sitzschale eingegangen ist, aus dem Schemel helfen. Zu fett zum Aufstehen. This is England!

Am Abreisetag kommen wir dann endlich in den Genuss des legendären britischen IBIS-Frühstück, das uns schon die vergangenen Aufenthalte auf der Insel versüßen konnte. Etwas getrübt wird das leckere Mahl dadurch, dass am Nachbartisch deutsch gesprochen wird. Es ist das erste Mal, dass uns auf unserer Reise deutschsprachige Touristen begegnen und wieder einmal ist klar, warum man über Weihnachten und Neujahr einen großen Bogen um London machen und stattdessen lieber durch Mittelengland tingeln sollte. Wie hart das nerven würde, auch noch zum Jahreswechsel ständig von Kartoffeln umgeben zu sein.

Noch verbleiben einige Stunden auf der Uhr, um das gestern ausgesparte Sightseeing nachzuholen. Wir stromern etwas durch die Stadt, brechen das Unterfangen wegen des typisch englischen nasskalten Wetters aber vorschnell ab. Auf der anderen Seite scheint Leeds auch nicht sonderlich viel zu bieten zu haben und so erscheint uns ein logistisch günstig gelegener Pub, von dem der Wirtschaftsflüchtling den Bahnhof und wir die Buslinie 757 zum Flughafen Leeds-Bradford gut erreichen können, als der bestmögliche Aufenthaltsort für die kommenden Stunden. Im Pub erfahren wir, dass Leeds beinahe 500.000 Einwohner hat und man stellt sich schon die Frage, wo die denn bitteschön alle wohnen sollen. Der 2:0 Sieg des 1.FC Union Berlin in einem Freundschaftsspiel gegen Leeds United wird auf das Jahr 2007 taxiert (Tore: Marco Gebhardt, Nico Patschinksi) und schon neigt sich die Jahresendreise dem Ende entgegen.

Am Flughafen ziehen der Fackelmann und ich am Nachmittag des zweiten Januar einen Strich unter die Reise. Das Wetter war schlecht, die Frauen nicht sonderlich hübsch, die Fußballspiele hatten wenig Qualität, die Stimmung war mies, das Essen mittelmäßig und wir haben richtig Lust auf Berlin und Union – kann es einen besseren Urlaub geben als einen, der mit Heimweh endet?

Am Gate des britischen Billig-Bumsbombers „Jet2“ wünscht uns die junge Dame nach erfolgreicher Ticketkontrolle „Happy Holidays!“ und plötzlich ist uns klar, dass wir offenbar so aussehen, als könnten wir endlich Urlaub gebrauchen. An Bord stinkt es nach fettigen Kartoffelchips und die Briten beginnen bereits im Anflug auf Berlin, sich saufend auf den Simon-Dach-Kiez vorzubereiten. England ist kein Urlaub, sondern harte Arbeit. /hvg

30.12.2017 Nottingham Forest FC – Sunderland AFC 0:1 (0:0) / City Ground / 26.830 Zs.

Als wir am Morgen des 30. Dezember in Nottingham angekommen sind, ist ein Check-In in unser „Midtown Hostel“ natürlich noch nicht möglich. Was bleibt uns also anderes übrig, als vor 11.00 Uhr in der Kneipe nebenan einzukehren?

Dort nehmen wir Platz auf der zugigen Galerie, haben am Tresen schnell die ersten Pints bestellt und glauben dann unseren Augen kaum zu trauen, als wir an unserem Nebentisch Jürgen von der Lippe beim Kreuzworträtseln entdecken. Völlig vertieft in seine Zeitschrift sitzt er da in seinem Hawaiihemd und schenkt seinem vollen Bierglas wenige Zentimeter vor ihm nicht den Hauch von Beachtung. Eine halbe Stunde später steht Jürgen auf, steuert zielstrebig die Toilette an und kehrt mit einem zweiten Bierglas zurück an den Tisch. Etwas überrascht und gleichermaßen verschämt kratzt er sich am Kinn. Da hat wohl jemand sein erstes Glas völlig vergessen. Abwechselnd trinkt Herr von der Lippe nun mal aus dem einen, mal aus dem anderen Glas, während er CD’s aus einem Aktenkoffer herausholt und beschriftet. Vermutlich seine „besten“ Scherze aus 30 Jahren Bühnenpräsenz. Für die ganz Harten gibt es hier eine kleine Kostprobe aus dem Koffer des Grauens

Eine zweite Bierlänge später ist dann auch das Einchecken möglich. In dem schmalen Hausflur empfängt uns Hostel-Herbergsvater Mark und noch während er mit unseren Personalien in einer Abstellkammer verschwunden ist, die zum Büro umfunktioniert wurde, grüßt uns der erste Gast, der in aller Seelenruhe im Bademantel über den Flur schlürft, freundlich und lädt uns in die Gemeinschaftsküche zum Frühstück ein. Wie ich Hostels hasse.

Kurz darauf hat uns Mark in unser Doppelstockbettenzimmer mit Klassenfahrtcharme begleitet und uns die Hausregeln erklärt. Freundlicherweise nimmt er sich einige Minuten mehr Zeit und weicht einige Regeln wieder etwas auf. Wir seien ja schließlich bereits alle erwachsen und würden einen sehr vernünftigen Eindruck erwecken. Na, wenn er sich da mal nicht täuscht. Oder: Haha, er hat Riesennippel gesagt – und ausgerechnet FUDU darf jetzt offiziell Alkohol auf dem Hostelzimmer konsumieren.

Kurz nachdem wir erfahren haben, dass der Typ im Bademantel ein Dauergast des Hostels und mittlerweile Marks linke Hand geworden ist, der wir in seiner Abwesenheit gerne alle Fragen stellen können, begeben wir uns auf den Fußweg in Richtung „City Ground“. Der Fußweg führt zunächst durch die „Pedestrian Area“ und bereits jetzt keimt Vorfreude auf das morgige Sightseeing und die Silvesterfeierlichkeiten auf. Eine wirklich sehenswerte und lebendige Stadt mit offensichtlich sehr jungem Publikum.

Schnell haben wir das Stadtzentrum hinter uns gelassen und Sticker weisen den weiteren Weg zum Stadion. „Fawaz Out“ prangt alle fünf Meter auf Aufklebern am Straßenrand, womit der Abschied des ungeliebtem Klubeigners Fawaz Al-Hasawi gefordert wird. Seit 2012 schwang der Kuwaiti das Zepter in Nottingham und wegen Verstößen gegen das Financial Fairplay und gegen Sicherheitsbestimmungen, die für eine Reduzierung der Kapazität des Stadions sorgten, war er in die Kritik der eigenen Anhängerschaft geraten. Im Mai 2017 trugen die Sticker Früchte und der Verein wurde an den griechischen Reeder Evangelos Marinakis verkauft, der es sich zum Ziel gesetzt hat, den Verein zu konsolidieren und ihn irgendwann, irgendwann einmal in die Premier League zurückzuführen.

Die Vergangenheit von Nottingham Forest ist ruhmreich. Ende der 1970er Jahre konnte die englische Meisterschaft und in den Jahren 1979 und 1980 zwei Mal in Folge der Europapokal der Landesmeister gewonnen werden. Auch zwei FA-Cup-Triumphe stehen zu Buche, doch die Gegenwart sieht dank eines 14. Tabellenplatzes in der zweitklassigen Championship eher trist aus. Kaum besser geht es den Gästen aus Sunderland, die sich als Absteiger aus der Premier League eine Etage tiefer noch nicht zurechtfinden und aktuell nur auf dem 21. Tabellenplatz rangieren.

Doch bevor das Spiel eröffnet wird, sollten wir noch einmal inne halten und mit offenstehenden Mündern den heutigen Spielort goutieren. Der „City Ground“ ist mit seinen 30.445 Zuschauerplätzen vor allen Dingen hinsichtlich der Lage an Schönheit kaum zu überbieten. Direkt am rechten Ufer des Flusses Trent gelegen und nur 300 Meter von der Spielstätte des Lokalrivalen Notts County entfernt, erhebt sich das Stadion majestätisch am Horizont. Wir schieben uns mit tausenden von Menschen über die einzige Brücke, die zum Stadion führt und ich gebe mein Wissen über Notts County zum Besten. Juventus spielt einzig und allein aus dem Grund in schwarz-weiß gestreiften Trikots, weil im Jahre 1903 fälschlicherweise eine Kiste Notts-Trikots anstelle der eigentlich bestellten rosa Hemden den Weg nach Torino fand. Der Wirtschaftsflüchtling ist skeptisch und muss nun für sich entscheiden, ob er der Geschichte Glauben schenken oder sie für ein Machwerk à la Günter Hermann halten soll…

Während wir ein wenig um das Stadion herumstromern, findet der „Stadionporno“ seine Fortsetzung. Jeder von uns ist Fan dieser Bilder von britischen Fußballstadien, die direkt an Wohngebiete angrenzen und so gelingt auch uns der eine oder andere Schnappschuss für die Fotografieausstellung unter dem vielversprechenden Titel „Housing Estate mit Stadiondach“. Ebenfalls ganz wunderbar anzusehen sind die vier Tribünen in unterschiedlichen Baustilen, die engen und gut gefüllten Gänge in den Stadionkatakomben und die alten garibaldiroten (!) Klappsitze auf unserem Stand. Die Nottingham-Supporter stehen auf der Hintertortribüne und auch rechts neben uns gibt es einen kleinen Stimmungskern, der sich zu der Vereinshymne erhebt. Voller Inbrunst schmettern mehr als 20.000 Menschen mit viel Pathos dieses Lied, um direkt nach Anpfiff in völlige Lethargie zu verfallen.

Das Spiel beginnt. Die Gäste aus Sunderland nehmen ihr Schicksal in die Hand und beginnen mutig und forsch nach Vorne spielend. Mit einer unnachahmlichen Langsamkeit und mit viel Tempoverschleppung hat Nottingham den Gästen jedoch schnell den Wind aus den Segeln genommen. Doch was am Anfang der Partie noch ein durchaus nachvollziehbares Konzept darstellte, wird in den folgenden Minuten zur Qual für das eigene Publikum. Jeder Pass ein Meisterwerk des Sicherheitsfußballs, jeder Gedanke zunächst einmal rückwärts gedacht. Statisch. Träge. Uninspiriert. Nach 25 Minuten gibt es erste deutlich vernehmbare Unmutsbekundungen vom Heimpublikum. Einzig und allein Stoßstürmer Daryl Murphy, der sich um sich selbst kümmern muss, um nicht völlig in der Luft zu hängen, kann einige offensive Akzente setzen. Immer wieder holt er sich die Bälle aus der Tiefe, setzt vehement seinen Körper ein und kommt so immerhin zu einigen Halbchancen (13., 18., 35.). In der 40. Minute schaut er allerdings genauso dumm aus der Wäsche wie seine Mannschaftskameraden, denn nach dreißigminütigem Offensivstillstand kann Sunderland den ersten vorgetragenen Angriff von der linken Seite mit einem Kopfballtreffer von Aiden McGeady veredeln. Mit gellenden „Booooooh“-Rufen werden die Forest-Recken in die Kabine verabschiedet.

Unsere Sitznachbarn haben längst gemerkt, dass sie heute einige Lads aus Germany zu Besuch haben. Empathisch kümmern sie sich nun um uns und entschuldigen sich für die dargebotene Leistung ihrer Helden. „You came here to see that shit? Don’t you feel bored?“ – und noch ehe wir begründen können, warum wir uns nichts schöneres vorstellen können, als heute in diesem Fußballstadion zu sein, wird auch noch das Flutlicht eingeschaltet und Fetti verfällt endgültig in akute Fußballromantik.

In der Halbzeitpause hat sich Nottingham-Trainer Mark Warburton entschieden, „Señor Sicherheitspass“ Andreas Bouchalakis in den Kabinen zu lassen. Die Herren neben uns betonen, dass dies die erste richtige Entscheidung des Cheftrainers seit Wochen ist und eine neue Woge der Euphorie schwappt über den Main Stand. Diese Woge hält genau bis zum zweiten Wechsel in der 61. Minute an, als Mustapha Carayol das Spielfeld betritt und man sich nebenan die Hände über den Köpfen zusammenschlägt. Und im Nachhinein kann man beiden Regungen durchaus zustimmen. Während der eingewechselte Traoré endlich so etwas wie Schwung und Offensivgeist mit auf den Platz bringt, avanciert Carayol zwar zum Dreh- und Angelpunkt auf dem Feld mit gefühlten 150 Ballkontakten, wird allerdings auch von FUDU aufgrund seiner unzähligen Ballverluste und Fehlpässe zum schlechtesten Spieler der zweiten Hälfte gekürt. Da sich auf dem Spielfeld nach wie vor keine Höhepunkte ereignen und auch die Stimmung weiter weit hinter den Erwartungen zurückbleibt, kann auch der dritten Einwechslung etwas mehr Aufmerksamkeit gespendet werden, als es sonst in meinen Reiseberichten üblich ist. Niemand geringeres als Jason Cummings betritt nämlich den Platz, während Topstürmer Murphy verletzt von selbigem humpelt und die Sorgenfalten bei Fans und Verantwortlichen Forests tiefer werden.

Ich darf noch kurz stolz darauf verweisen, dass ich aufgrund Cummings‘ Wechsel zu Nottingham Forest und seines ersten Länderspiels am 09.11.2017 gegen die Niederlande eine Wette mit mir selbst gewonnen habe, als nach einem Fehlpass in der 75. Minute unser Nachbar ein beherztes „Fuck You, I am leaving“ zum Besten gibt und selbiges in die Tat umsetzt. Nach und nach leert sich die Tribüne, weil nach jedem weiteren Fehlpass, meistens formschön von Carayol in die Prärie versendet, wieder 10-15 Menschen frustriert von dannen schleichen. „Go home and make some Curry“ möchte man den Leuten analog zu einer Qualitätsbeleidigung der Forest-Fans, welche offenbar singend in Schlachten gegen Leicester City zum Besten gegeben wird, noch hinterher rufen. Aber vielleicht führt sie ihr Weg auch zu den Tickethäuschen, vor denen sich nach Abpfiff lange Schlangen bilden werden. Trotz der völligen Unzufriedenheit will man es sich hier nämlich nicht nehmen lassen, das FA-Cup-Spiel gegen den Arsenal FC am 07.01.2018 mitzuerleben und das, obwohl die billigste Karte stolze 95 £ (ohne Mwst.) kosten wird.

Bis zur 85. Minute ereignet sich bis auf belangloses Mittelfeldgeplänkel rein gar nichts auf dem Rasen. Keine Torchance auf beiden Seiten. Erst in den letzten fünf Minuten plus Nachspielzeit wirft Forest alles in die Offensivwaagschale. Eine erste kleine Druckphase entsteht, die beinahe noch ihre Krönung findet. Doch vor deutlich geleerten Rängen gelingt nur noch ein Pfostenschuss, sodass die Heimniederlage nicht mehr abgewendet werden kann.

FUDU erinnert sich nach Abpfiff an die weisen Worte Marks und sucht das erstbeste „Tesco“ auf, um sich mit ausreichend Dosenbier für lauschige Stunden im Hostel einzudecken. Angesichts der abermals leeren Regale verliere ich mich in Gedankenspielen. So in etwa stelle ich mir einen Einkauf im „Konsum“ im Jahre 1987 vor. So kauft man eben das ein, was es gibt und verschwendet nicht unnötig viel Lebenszeit. Also: Eine Stiege „Carling“, eine Packung Kopfschmerztabletten und drei fast abgelaufene Pizzen zum unschlagbaren Ausverkaufpreis von 27 Pence, bitte. Wie dankbar der Rest der etwas angewidert dreinschauenden FUDU-Bande in der Silvesternacht über diesen (Lebensmittel-)einkauf sein wird, ist an dieser Stelle noch nicht vorhersehbar…

Schnell haben wir unser Fenster im Hostelzimmer mit Bierdosen dekoriert und somit für gute Aussichten für das Jahr 2018 gesorgt, ehe wir in eine Art Pub-Crawl starten, weil man die Feste bekanntlich feiern muss, wie sie fallen und keiner von uns bis morgen Abend warten mag, nur um sich elegant zu betrinken. Irgendwann im Laufe des Abends geht der Wirtschaftsflüchtling auf der Suche nach einer Fish&Chips-Bude verloren, wird beim nächsten Wechsel der Lokalität aber zufällig in der Fußgängerzone wieder aufgelesen. So schnell wird man den nicht los und so muss man im weiteren Verlauf des Abends kleinere Meinungsverschiedenheiten aushalten. Während Fackelmann und ich vollkommen erschüttert darüber sind, dass der ehemals so stilvolle „Wetherspoon“ nun zu einer Disco verkommen ist und schnell das Weite suchen wollen, zieht es den Flüchtling zu heftiger Nichtmusik und abgefahrenen Lichteffekten auf die Tanzfläche.

Aber England wäre nicht England, wenn nicht auch hier um kurz nach Mitternacht Feierabend wäre. Und so gönnen wir uns noch ein letztes „Carling“ auf dem Zimmer und bereiten uns gedanklich auf das morgige Sightseeing und die Silvesterfeierlichkeiten mit Robin Hood vor.

Als wir am nächsten Morgen aufwachen, erfahren wir, dass Nottingham Forest seinen Coach Mark Warburton fristlos entlassen hat. Das Foto, das den Artikel bebildert, zeigt Warburton in jämmerlicher Verfassung und vom Leben gezeichnet. Wir hingegen haben gut und ausgiebig geschlafen, sind blendend erholt und so konstatiert Fackelmann zurecht: „Misserfolg sieht man den Menschen irgendwie schneller an als Erfolg!“. Im Hintergrund zischt das erste Dosenbier nach erfolgreicher Öffnung. Wird Zeit, dass auch wir endlich mal nach was aussehen. /hvg

29.12.2017 Doncaster Rovers FC – Rochdale AFC 2:0 (2:0) / Stadium Doncaster / 7.997 Zs.

Puh, wieder ein Jahr geschafft. Endlich ist es soweit und die Jahresabschlussreise nach England steht auf dem Programm. Jahr für Jahr locken die Spieltage an den Weihnachtsfeiertagen und zwischen den Jahren unzählige Fußballfreunde auf die Insel. Einmal im Leben das „Old Trafford“ sehen, einmal den Chelsea FC oder Arsenal besuchen, einmal „You’ll Never Walk Alone“ an der „Anfield Road“ hören – davon träumen sie, die Gelegenheitshopper. Und dann gibt es da noch Menschen wie uns, die sich nichts schöneres vorstellen können, als in Manchester zu landen, um erst einmal in Sheffield ein Zweitliga-Eishockeyspiel und dann die Doncaster Rovers zu sehen. Nun denn.

Bei der Einreise am Airport Manchester mustert der Staatsbeamte meinen Personalausweis. Abwechselnd beäugt er das Dokument, dann skeptisch mein Gesicht. Drei Mal wandert sein Kopf auf und ab. In Zeitlupe. Seine Miene klart sich auf, der Scherz ist fertig: „This could be your son, mate!“. Und ja: Das Foto ist zugegebenermaßen gute 13 Jahre alt, der Ausweis auch nur noch bis Anfang 2019 gültig und die Mär vom ewig jungen Blogger hiermit wohl passé.

Weniger Freude bereitet uns kurz darauf der Umstand, dass das „Greggs“ am Flughafen uns den Plan verwehrt, unser mitgebrachtes Kleingeld vom letzten England-Ausflug gegen Kaffee einzutauschen. Eingangs verstehen wir den Grund hierfür nicht vollumfänglich, beim dritten Versuch haben aber auch wir verstanden, dass die Ein-Pfund-Münzen offenbar nicht akzeptiert werden. In der Tat ergibt eine Kurzrecherche, dass man diese bis zum 15. Oktober 2017 gegen neue Münzen hätte umtauschen müssen. Diese lösen ihren Vorgänger nach 30 Jahren ab, sind zweifarbig und zwölfeckig, haben ein Hologramm und gelten als absolut fälschungssicher. Schätzungen zu Folge waren 3,3% der alten Ein-Pfund-Münzen nicht echt. Wir haben knapp 20 von diesen über die Grenze geschmuggelt und fühlen uns zunächst unheimlich ungerecht behandelt und um unser Reisebudget geprellt.

Im 60 Kilometer entfernten Sheffield verwehren uns die ersten Banken in Ermangelung eines Kontos bei ihnen einen nachträglichen Umtausch. Erst in der dritten Bank ist eine Angestellte so freundlich und nimmt unsere Münzen privat entgegen, öffnet ihr Portemonnaie, tauscht sie gegen nun gültige ein und wird die alten dann einfach auf ihr eigenes Konto einzahlen. Sie tut dies in dem Urvertrauen, dass wir ihr hier und heute kein Falschgeld andrehen wollen. Oder sie ist mathematisch einfach unheimlich versiert und weiß genau, dass bekanntermaßen nur jede dreißigste Münze nicht echt ist. Was also soll bei 20 schon schief gehen?

Schnell haben die FUDU-Traditionalisten auch den beiden anderen Lieblingsketten vergangener Urlaube einen Besuch abgestattet. Im „Tesco“ trifft man jedoch auf gähnend leere Regale und auch im „Wetherspoon“ ist das Essen der Wahl leider bereits ausverkauft. Vielleicht sollte man doch noch einmal überlegen, ob man wirklich alle Handelsbrücken nach Festlandeuropa kappen sollte? Als Selbstversorger scheinen schwere Zeiten auf die Insulaner hereinzubrechen…

So begeben wir uns also rechtzeitig mit der gelben Straßenbahnlinie, die sich in Sheffield den Luxus gönnt, Zugbegleiterinnen mit an Bord zu haben, hinaus in den Norden der Stadt. Ziel der Reise stellt der „Arena/Olympic Legacy Park“ dar, in dessen unmittelbarer Nähe sich das „iceSheffield“ befindet. Das Eisstadion fasst 1.500 Besucher und wurde im Jahr 2003 eröffnet. Neben den erstklassigen Steelers, die in der großen „Sheffield Arena“ spielen, haben hier die unterklassigen Sheffield Steeldogs in der Stadt ein zu Hause gefunden. Am 27.12. gesellen sich der Fackelmann und ich unter die 300 Zuschauer und wohnen dem Spektakel gegen die Hull Pirates bei, die in denkwürdig hässlichen bräunlich-gelben Nickis in „Fluch der Karibik“-Optik auf das Eis gehen müssen. Das Spiel darf man getrost mit: „Wie eine Kneipenschlägerei. Nur mit Schlittschuhen“ kurz zusammenfassen, wobei der stocknüchterne Kommentar des vereinseigenen youtube-Kanals darauf schließen lässt, dass dies in dieser Liga eher die Regel als die Ausnahme ist („Now the season of goodwill is officially over – they decided to have a little disagreement as well and letting a few bombs fly!“). Rein sportlich schwinge ich mich zu einem echten Eishockeyexperten auf und sage das Endergebnis von 2:3 bei einem Spielstand von 2:1 in der zweiten Drittelpause korrekt vorher, während wir auf der gastronomischen Ebene dank Stadionbier und -wurst, welche wir im Stehen in der Eishalle konsumieren dürfen, weil sich die Britcat-Ordnerin einen Scheiß dafür interessiert, beide gleichermaßen als Gewinner in die Geschichte eingehen.

In den nächsten Tagen erkunden wir Sheffield und versehen die Industriestadt mit über 500.000 Einwohnern mit dem Attribut „sehenswert“. Jedenfalls für englische Verhältnisse. Wir schlendern durch Kelhalm Island und werfen einen Blick auf die Siedlung „Park Hill“, die in den 1960er Jahren fertiggestellt wurde und mit ihren knapp 1000 Wohneinheiten heute als der größte denkmalgeschützte Gebäudekomplex Europas gilt. Wer die Architektur von Le Corbusier mag, wird „Park Hill“ lieben. Oder man hält es mit den Kritikern, die den Komplex, der nach einigen Jahren des Leerstands und Niedergangs erst kürzlich saniert wurde, lieber abgerissen hätten und ihn noch heute als Schandfleck der Stadt bezeichnen. Während der Besichtigung der „Victoria Quays“ am Sheffield Canal Basin streikt plötzlich die Speicherkarte meiner Kamera und nicht alle Bilder der Stadtbesichtigung werden im weiteren Verlauf des Tages korrekt abgespeichert. So gehen beispielsweise die Aufnahmen des „Cholera Monuments“ verloren, das nach kräftezehrendem Aufstieg allerdings aufgrund seiner (nicht vorhandenen) Größe ohnehin eher eine touristische Enttäuschung darstellt. Es darf getrost davon ausgegangen werden, dass der Architekt noch während des Baus verstorben ist. Vermutlich an Cholera.

Am Tag des Fußballspiels gilt es, zunächst eine neue SD-Karte käuflich zu erwerben. Für gerade einmal 16,99£ rüste ich meine genau vor einem Jahr in Birmingham gekaufte Kamera nach. Im Anschluss kehren wir im „Old Queen’s Head“ ein. Ein Pub, der nicht nur dadurch überzeugt, dass er sich in dem ältesten Gebäude der Stadt befindet (1475), sondern auch durch seine Speisekarte mit tschechischen Gerichten. In dieser Kombination darf man dann ruhigen Gewissens von einem feuchten Traum sprechen. Ahoj!

Nach und nach kehren der Wirtschaftsflüchtling, der Sorben-Renegade und sein dickster Kumpel aus unterschiedlichen Himmelsrichtungen kommend in der Kneipe ein. Schnell werden Anreisepläne nach Doncaster geschmiedet. Der harte Kern von FUDU entscheidet sich für eine entspannte Überfahrt im Zug, während die beiden NOFV-Hopper sich für einen Kleinwagen der Marke VW und eine abenteuerliche Fahrt durch englische Nebelschwaden entscheiden. Berechtigterweise stellen sie bereits jetzt die Frage, warum wir uns überhaupt dazu entschieden haben, ausgerechnet nach Doncaster zu fahren.

In Doncaster angekommen, stellen auch wir uns schnell diese Frage. Der Fußweg in Richtung Stadion führt uns an den Stadtrand, nicht ohne diverse triste Gewerbegebiete passieren zu müssen. Schon lange haben wir kein Wohnhaus und keine Kneipe mehr gesehen, ehe der ins Niemandsland geklöppelte „Stadium Way“ wie aus dem Nichts auftaucht und schnurstracks in Richtung Stadion weist, das in Lage und Baustil an solche Stadionperlen wie Paderborn und Ingolstadt erinnert. Etwas ernüchtert fallen wir in der Stadionkneipe ein, die zynischerweise nach der altehrwürdigen und mittlerweile abgerissenen Traditionsspielstätte der Rovers (1922-2006) benannt ist. In der „Belle-Vue-Bar“ fließen dann schnell tröstende Bierchen inmitten eines Publikums, das in jedem Lexikon den Begriff „Prekariat“ bebildern könnte. Freunde. Vergesst Rot-Weiß Essen. Vergesst Waldhof Mannheim. Vergesst die Kickers aus Offenbach. Vergesst den 1.FC Saarbrücken. Im Vergleich mit den Fans der Doncaster Rovers wirken die genannten Vereine mit ihrer Anhängerschar beinahe wie das literarische Quartett…

Nachdem Familie Luise Koschinsky den Nachbartisch vollends verwüstet hat, nehmen wir unsere Plätze in der 32-Millionen-Neubau-Arena ein, die selbstredend über einen Sponsorennamen verfügt und eine in Doncaster ansässige Wohnungsbaugesellschaft in den Fokus der Öffentlichkeit rückt. Der aktuelle Clubbesitzer heißt John Ryan, ist plastischer Chirurg und hat seinen Heimatverein mit knapp 4,5 Millionen £ vor dem Exodus bewahrt. Ich hoffe innerlich auf ein Treffen im VIP-Raum und hege leise Hoffnungen, dass der gute Mann mit zwei-drei Schnitten im Vorbeigehen dafür sorgen kann, dass ich mich optisch meinem Ausweisfoto wieder etwas annähern kann. Noch mehr Charme hatte dagegen der ehemalige Clubeigentürmer Ken Richardson, der einst im Pferderennsport betrog, um dann etwas später das Stadion des Clubs, das eigentlich der Stadt gehörte, landesweit zum Verkauf anzubieten und darüber hinaus auch noch zu einem Brandanschlag auf das Stadion anstiftete, um eine Versicherung über das Ohr zu hauen. Der gute Mann darf sich hiermit ab sofort offiziell FUDU-Ehrenpräsident nennen!

Heute treffen die Rovers am 25. Spieltag der dritthöchsten englischen Spielklasse (League One) auf den Rochdale AFC. Während sich Doncaster im gesicherten Mittelfeld der Tabelle befindet, trudeln die Gäste als Tabellenvorletzter langsam aber sich dem Abstieg entgegen. Von den 15.231 Sitzschalen bleiben heute knappe 50% verwaist, doch auch die 7.997 anwesenden Zuschauer hält es nicht lange in den Sitzen, da nach nur vier Spielminuten ein Schuss von der Strafraumkante, abgegeben von Ben Whiteman, sehenswert in den Maschen des Rochdale AFC einschlägt. Auch in der Folge bleibt die Heimmannschaft überlegen und legt sich die überforderten Gäste zurecht, ohne jedoch zu nennenswerten Abschlussgelegenheiten zu kommen. In der 22. und 26. Minute haben dann die Gäste ihrerseits urplötzlich gute Torchancen kreiert und melden Ambitionen an, hier am Spiel teilzunehmen. Leider verlieren sie hierbei jedoch das Gespür für die eigene Verteidigung und fangen sich in der 27. Minute den zweiten Gegentreffer. Alfie May, der später zum Spieler des Spiels gewählt werden wird, kommt in halbrechter Position im Strafraum zum Abschluss und der abgefälschte Schuss segelt am verdutzten Keeper vorbei. Gästecoach Hill ist stocksauer und nimmt seinen Sechser Keane nach einer halben Stunde vom Feld, weil dieser seine Rolle ganz offenbar viel zu offensiv interpretiert und den Laden hinten nicht dicht gehalten hatte.

In der zweiten Spielhälfte wird Rochdale vom Mute der Verzweiflung nach Vorne getrieben. Kleinere Torgelegenheiten ergeben sich nach gut einer Stunde und nach 75 Minuten. Ansonsten gelingt es den Hausherren in spielerischer Leichtigkeit, das Ergebnis zu verwalten und unter dem Strich steht, dass es einfach zu dünne ist, was Rochdale in die Waagschale werfen kann. So bleibt genügend Zeit, um sich den kleinen Nebensächlichkeiten des Spiels und des Stadionerlebnisses zuzuwenden. Doncasters irischer Torwart Ian Lawlor hat bei der Ausführung seiner Abschläge vom Boden eine besondere Eigenheit entwickelt und überzeugt mit formschönen Pirouetten, die er während des Anlaufs dreht. Fetti hat ein Herz für zwangsgestörte Menschen und nachdem wir vor einigen Tagen im Fernsehprogramm eines Pubs auf die Krankheit „Dartitis“ (diese psychische Belastung erschwert es ungelogen, den Pfeil im richtigen Moment des Abwurfs loszulassen) aufmerksam gemacht worden sind, muss man hier womöglich von „Abstoßtitis“ sprechen. Sei es wie es sei. FUDU vergibt für diese Macke in Vollendung jedenfalls die maximale Punktzahl. Die Werbebanden sind übersät mit Angeboten einer Billigfluglinie, die der alte Mann vor uns argwöhnisch durch seine dicken Brillengläser beäugt. Gibt in Doncaster offensichtlich nichts attraktiveres, als möglichst schnell möglichst weit weg zu kommen. Nach Abpfiff steht der alte Mann auf, vergisst seinen Krückstock und beginnt, die Treppen hinab zu schreiten. Halleluja. Er kann wieder gehen! Oder: Wer braucht schon einen Schönheitschirurgen, wenn Fetti der Wunderheiler in der Nähe ist?

Nachdem wir im „Wetherspoons“ noch einen Absacker genommen haben und darüber aufgeklärt worden sind, dass die Europäische Union britische Fische stiehlt und der Eigner der Supermarktkette „Sainsbury’s“ so eine Art Volksverräter ist, sprinten wir zum Bahnhof, um unseren 23.25 Uhr Zug zurück nach Sheffield zu erwischen. Im Zug gibt es betrunkene Männer, Schmetterlingstattoos auf welken Oberarmen, meterweite Zahnlücken, Cider aus Dosen und nicht eine einzige Frau mit vernünftigen Augenbrauen. Und plötzlich ist allen klar, womit man als Schönheitschirurg in Großbritannien wohl das meiste Geld verdienen könnte: Komplett Gesichtsentfernung. Necessity begets ingenuity! /hvg

10.12.2017 MKS Pogoń Szczecin – Zagłębie Lubin 3:3 (3:1) / Stadion Miejski imienia Floriana Krygiera / 2.634 Zs.

Das Jahr 2017 neigt sich dem Ende entgegen. Allerhöchste Zeit, dass FUDU endlich einmal wieder vom Fernweh gepackt wird. Man träumt von fernen Ländern, exotischen Speisen und kulturellen Barrieren und so entschließt man sich, mit dem Berlin-Brandenburg-Ticket nach Westpommern aufzubrechen. Manchmal liegt das Gute eben doch so nah.

Schnell haben das FUDU-Pärchen und meine Wenigkeit die Reiseplanungen an unseren bärtigen Bruder weitergeleitet. Lange Zeit bezieht dieser keine Stellung zu den kommunizierten Reiseplänen. Als dann auf die letzte Informations-SMS mit Bekanntgabe der Abfahrtszeit (9.33 Uhr ab Lichtenberg) einen Tag vor dem Spiel auch lediglich ein: „Ach du Scheiße“ entgegnet wird und die Antwort auf die Frage: „Heißt das jetzt Ja oder Nein?“ ausbleibt, geht ein Großteil der Reisegruppe davon aus, die Überfahrt nach Szczecin zu dritt meistern zu müssen.

Zu unserer aller Überraschung stehen dann am frühen Morgen des 10.12. jedoch vier Menschen so pünktlich wie nötig zur Abfahrt bereit. Die Regionalbahnverbindung via Angermünde („ich steh in Angermünde, das hat seine Gründe. Ich stehe in Stralsund, auch das hat seinen Grund. Ich bin auf der Flucht!“) nach Szczecin Główny ist unspektakulär, wird aber auf polnischer Seite ein wenig dadurch aufgewertet, dass der Lokführer an diversen unbeschrankten Bahnübergängen beherzt die Hupe zum Einsatz bringen muss.

Glücklicherweise gelingt es, die Strecke zurückzulegen, ohne über irgendeinen Paweł zu rumpeln und so schlendert man kurz darauf hungrig über die Boulevards der Stadt, die mit ihren oftmals unsanierten Gründerzeit-Häusern so wunderbar an den Prenzlauer Berg der späten 1990er-Jahre erinnern. Hat sich also nicht ganz so viel getan seit meinem letzten Besuch im Jahre 2013, der übrigens vollkommen ohne Fußball geplant war, dafür aber wegen einer rechtsextremistischen Demonstration und einer polizeilichen Maßnahme gegen uns wegen Trinkens in der Öffentlichkeit in bleibender Erinnerung behalten wurde. Kann dieses Mal also nur besser werden.

Im örtlichen Shopping-Center decken wir uns mit Eintrittskarten für die heutige Partie ein. Neben der 40 Złoty für die Haupttribüne wechseln weitere 10 für die „Karta Kibica“ den Besitzer. Sichtlich begeistert tippt die osteuropäische Schönheit unsere Kartoffelnamen in die Maschine, um uns im Anschluss die Hartplastikkarten auszuhändigen, die uns im Paket mit den langweiligen Kassenbon-Eintrittskarten die Zugangsberechtigung zum Stadion erteilen. Das Verramschen der eigenen Daten bereitet uns naturgemäß keine Freude, aber nur so lange, bis auch der Niederländer in unseren Reihen seinen Personalausweis zücken muss und seine zweiten Vornamen ans Tageslicht kommen. Der alte Mann und das Meer(ia)!

… womit auch der Übergang zum Themenkomplex „Hunger“ gelungen wäre. Kurz darauf kehren die FUDU-Schweine nämlich in der „Tawerna Sailor Trzebiez“ ein, die sich recht bald als Fischrestaurant entpuppt. Sollte man mich übrigens jemals nach einer Pro-Contra-Liste über Fischrestaurants fragen, würde ich auf der Contraseite womöglich als ersten Punkt aufführen, dass ich keinen Fisch mag. Aber gut, mitgehangen, mitgefangen und dem Rest der Gruppe in die Reuse gegangen.

Einig ist man sich jedoch darüber, dass der Umstand, dass hier an Ort und Stelle aufgrund fehlender Ausschanklizenzen kein Bier verkauft werden darf, ein weiterer dicker Punkt für die Negativseite ist. In der Informations-SMS war zur Begründung der frühen Abfahrtszeit auch erwähnt worden, dass wir gerne vor dem Spiel genug Zeit für polnisches Bier hätten und ich spüre nun deutlich böse Blicke meines bärtigen Gegenüber. „Dann eben Wein“, reagiert die Dame der Gruppe geistesgegenwärtig, muss aber in Erfahrung bringen, dass die Ausschanklizenz alkoholische Getränke jedweder Art umfasst. Dennoch entscheidet man sich, die Lokalität nicht zu verlassen, was in erster Linie der Gastfreundschaft des Mutti-Tochter-Gespanns sowie der Urgemütlichkeit des Gastraums geschuldet ist. Während sich die Mutti in die charmante Mini-Küche für den Hausgebrauch zurückzieht, hilft die Tochter mittels google-translator, uns die polnische Speisekarte näher zu bringen. Es gibt Dorsch, Zander, diverse andere fischige Angelegenheiten und glücklicherweise auch einen etwas holprig übersetzten Plan B: „Brühe mit Händlern“, „Kutteln mit Seil“ UND Pierogi. In der Zwischenzeit kann man sich mit kleineren kostenlosen Leckereien vom Buffet (Brot, Schmalz, Häckerle, Brathering, eingelegte Zwiebeln und Gurken etc.) erf(r)ischen. Dazu reicht das Haus Tafelwasser mit Zitrone für alle und plötzlich fühlen wir uns wie auf einem Treffern der anonymen Alkoholiker.

Im Hintergrund laufen polnische Seemanslieder, die zum Schunkeln und zum heiteren Raten einladen, welches Liedgut sich die osteuropäischen Schelme da auf hoher See wohl erdacht haben. „Komm mit mir in die Kombüse, da hobel ich junges Gemüse!“ wird auf jeden Fall zu unserem persönlichen Smash-Hit. Etwas in Sorge geraten die anonymen Alkoholiker ob des langen Toilettengangs eines Mitglieds und schnell steht der Verdacht im Raum, dass hier alkoholhaltige Reinigungsmittel ursächlich für die Verzögerung im Betriebsablauf sein könnten. Mit den Jahren wird man eben misstrauisch.

Gut gesättigt und stocknüchtern begeben wir uns im Anschluss an die schmackhafte Mahlzeit auf den Weg in das städtische Stadion namens Florian Krygier. Nachdem die UEFA mit ihrem EURO Eventmüll 2016 dafür gesorgt hat, dass nun auch die polnische Stadionlandschaft größtenteils aus langweiligen Standard-Neubauten besteht, sticht das altehrwürdige Stettiner Stadion besonders wohltuend aus dem Einheitsbrei hervor. 18.027 Plätze, Hufeisenform, eine weitläufige Kurve, kaum Dach, viel Gammel, wenig Komfort, riesige Flutlichtmasten. Kurzum: Ein Traum.

An dem heutigen 19. Spieltag empfängt der abgeschlagene Tabellenletzte aus Szczecin, der erst zehn Punkte einfahren konnte und bereits acht Punkte Rückstand auf den Vorletzten aufweist, die Kohlenpottjungs aus Lubin, die im Mittelfeld der Tabelle rangieren. Seit drei Spielen schwingt Kosta Runjaic das Zepter beim „maritimen Sportclub“ und ist mit zumindest zwei Remis nicht gänzlich erfolglos in das Unterfangen gestartet, den MKS vor dem Abstieg zu retten.

Mit Passage der Stadiontore gibt es nun auch endlich für die durstigen Kehlen FUDUs nach über drei Stunden Aufenthalt auf polnischem Boden etwas zählbares. Das „Bosman-Urteil“ fällt positiv aus und schnell werden vier kühle Blonde von unseren Trinkerhandschuhen bei 1,7° Celsius Außentemperatur gewärmt.

Bevor das Spiel auf dem grünen Geläuf Rasen mit hohem Sandanteil sandigen Geläuf mit leichtem Rasenanteil eröffnet werden kann, bittet der MKS Pogoń zur Hymne. Die Fanartikeldichte auf der Haupttribüne ist eindrucksvoll und mit viel Pathos werden die Schals zu diesem gravitätischen Musikstück empor gereckt. Leider bleibt die Fankurve nahezu gänzlich verwaist und nur noch 2.634 Zuschauer halten ihren Helden in dieser sportlich schweren Situation die Treue. Mit einem lauten Schiffshorn wird dann der Anpfiff untermalt und sogleich werden die „Portowczy“, also die „Hafenjungs“, nach Vorne gepeitscht.

Nach fünf Minuten verfällt das Heimpublikum in die erste Schockstarre. Der mit etwa 150 Mann gefüllte Gästeblock jubelt, doch nur Millisekunden später ist klar, dass der gut getretene Freistoß lediglich am Außennetz gelandet war. Noch einmal durchatmen. Es entwickelt sich in Folge ein ausgeglichenes Spiel und man muss angesichts der Tabellenkonstellation schon staunen, wie gut die Heimmannschaft hier mithalten kann. Nach knapp einer halben Stunde notiere ich, dass Pogoń selbstbewusster wird und offensichtlich Glauben in eigene Stärken erlangt hat. Nur wenige Augenblicke später verzieht Drygas aus spitzem Winkel knapp, ehe Spas Delev seine Farben in der 31. Minute mit einem sehr sehenswerten Gewaltschuss unter die Querlatte in Führung bringen kann. Der darauf folgende Tor-Pogoń ist der Schönheit des Tores angemessen. Nur acht Minuten später trifft der 19-jährige Nachwuchsspieler Jakub Piotrowski von der Strafraumkante zum 2:0. Nach einer kurzen Diskussion zwischen Schiedsrichter und Assistent ist klar, dass der Treffer zählt und ernsthafte Hoffnungen keimen auf, an diesem Spieltag den ersten Dreier seit vier Monaten einzufahren. Doch noch ist die Geschichte der ersten Hälfte nicht zu Ende erzählt, denn nach einem Eckstoß kommt es zu einem unübersichtlichen Gewusel im Strafraum Pogońs, dessen Nutznießer am Ende Jakub Świerczok ist. Mit wenig Eleganz würgt der ehemalige Lauterer Stoßstürmer den Ball in der 41. Minute zum Anschlusstreffer in das Netz, was ihm in Deutschlands zweiter Liga in sechs Spielen nicht gelang, dafür aber in 23 Einsätzen in der zweiten Mannschaft des FCK in der Regionalliga gleich acht Mal. Pogoń krempelt im Anschluss die Ärmel weiter hoch und antwortet umgehend. Beruhigend zu wissen, dass man als Tabellenletzter über Spieler in seinen Reihen verfügt, die die Fähigkeit besitzen, Bälle aus 30 Metern Torentfernung mit dem Außenrist im Dreiangel unterzubringen. Was für eine Bude von David Niepsuj, geboren in Wuppertal!

In der Halbzeit erfreuen wir uns weiterhin über das recht angenehme Heimpublikum mit geringer Moduldichte, über ein zweites Stadionbier und darüber, dass auf den Stadiontoiletten Preislisten aushängen. Knallhart prellen wir unsere polnischen Nachbarn um 50 Groszy für die Nutzung des Pissoirs und nutzen die restlichen 10 Halbzeitminuten zu einer schnellen Recherche. Spas Delev hat als alles überragender Zehner auf dem Platz unser Interesse geweckt. Zusammenfassung: 28 Jahre alt, bulgarischer Nationalspieler, zwei Länderspieltore. Beide Treffer hat er im EM-Qualifikationsspiel gegen die Niederlande am 25.03.2017 erzielt und heute gegen die orange gekleideten Gäste aus Lubin an diese Erfolgsgeschichte angeknüpft. FUDUs bärtiger Bruder stöhnt erneut auf.

Eine Armada an Rasenpflegepersonal hat derweil den Sandboden einmal umgepflügt und schon kann der zweite Spielabschnitt beginnen. In der 49. Minute legt Pogońs Verteidiger Fojut einen Angreifer Lubins im Strafraum, woraufhin Schiedsrichter Kwiatkowski „auf Kalk zeigt“, wie das Übersetzungs-Tool meines Browsers dem Spielbericht der Website Pogońs entnimmt. Jakub Świerczok läuft an und verwandelt in ekelhaft lässiger Manier, die eine Bestrafung verdient gehabt hätte. Nun erlangen die Gäste nach und nach Oberwasser und schon bald steht den Küstenjungs selbiges bis zum Hals. Nach einem starken Pass von Delev sorgt der einzige Entlastungsangriff Pogońs entgegen der Verteilung der Spielanteile in der 65. Minute beinahe für die Entscheidung, doch Torwart Polaček und der Pfosten retten noch gerade eben so gegen Listkowski und Frączczak. Für Szczecin kann es im Anschluss nur noch darum gehen, das Ding über die Zeit zu retten und so igelt man sich mit Mann und Maus hinten ein, nachdem Delev mit stehenden Ovationen in der 71. Minute das Spielfeld verlassen hat.

Doch leider ist es abermals Jakub Świerczok, dem die Schlusspointe der Partie vorbehalten ist. Nach einer Hereingabe von der rechten Flanke gelingt ihm per Direktabnahme in der Nachspielzeit noch der Ausgleichstreffer und so sorgt er für die Schlagzeile auf der Pogoń-Website, die da lauten wird: „Pogoń-Świerczok 3:3“.

Auf der Regionalbahnfahrt nach Berlin bekämpfen wir unsere Knoblauchfahnen mit Warka und Hot Dogs von der Tankstelle. Vor der Toilette der Regionalbahn sind deutsch-polnische Begegnungskunstwerke ausgestellt, in der Toilette selbst hat jemand kunstvoll seine Exkremente in einer Art Actionpainting modern und großflächig versprüht. In Angermünde belauschen wir den Lokführer, der wenig verheißungsvoll über sein Funkgerät durchgibt: „Stell‘ den Schlüssel Richtung Bahnhof und mach den scharf. Ich halte einen Meter eher und fahr dann gegen!“ So ist das eben mit Reisen in ferne Länder mit exotischen Speisen und kulturellen Barrieren. Manchmal ist man dann eben doch kurzfristig erleichtert, um 21.45 Uhr wieder in Lichtenberg zu sein. /hvg

08.12.2017 Tennis Borussia Berlin – SC Staaken 1919 0:0 (0:0) / Mommsenstadion / 515 Zs.

… und monatlich grüßt das finnische Murmeltier. Kaum war der verrückte Tischfinne nach dem „Kult-Derby“ gegen St. Pauli abgereist, stand er am 07.12. auch bereits wieder auf der Matte. Dieses Mal zwar nur auf der Hopper-Durchreise gen Norden, doch wer sich lange genug durch Spielpläne wühlt, der findet auch am Freitagabend in Berlin eine Gelegenheit, ein Stadion zu besichtigen. Dieses Mal fällt seine Wahl auf das Mommsenstadion in Berlin-Charlottenburg und somit ergibt sich auch für mich die Gelegenheit, der Spielstätte in Westberlin erstmals seit dem 14.08.2005 „endlich“ einmal wieder einen Besuch abzustatten.

So sitze ich also am 08.12. nach Feierabend in der S-Bahn, die mich von Berlin-Buch via Friedrichstraße zum Bahnhof Eichkamp, der mittlerweile seinen historischen Namen zu Gunsten der Berliner Messe aufgeben musste, kutschiert. Auf dem Weg zähle ich die Menschen, die sich in lila-weißen Trikots oder anderer Devotionalien auf den Weg zum Freitagabend-Flutlichtspiel begeben. Bis zum Erreichen des Bahnhof Westkreuz zählt der Ticker: Null.

Hiermit wäre auch das erste Problem des Berliner Traditionsvereins, der im Jahre 1902 als „Berliner Tennis- und Ping-Pong-Gesellschaft“ gegründet worden war, grob umrissen. Ursprünglich als Tennis- und Tischtennisverein gegründet, konnte man 1903 für 50 Pfennig eine Lizenz erwerben, die zur Teilnahme an der Berliner Fußballmeisterschaft berechtigte und heute, knappe 115 Jahre später, interessiert sich kaum ein Schwein Berliner für das Wohl und Wehe TeBe’s.

Irgendwann Ende der 1990’er Jahre hatte man sich mit Geld der „Göppinger Gruppe“ noch einmal auf den Weg gemacht, an sportlich erfolgreiche Zeiten der 70’er und 80’er anzuknüpfen und weil es gerade so gut lief, nahm man schnell die Begriffe „Bundesliga“ und „Champions League“ in den Mund. Ansgar Brinkmann, der 1999 mit zu dem Starensemble des Tennis Club zählte, erzählt aus dieser Zeit immer wieder gerne folgende Anekdote: „Winnie Schäfer rief mich an, wollte mich zu TeBe holen. Ich hatte erst keinen Bock, aber er schickte mir den Vertrag per Fax rüber. Ich fragte ihn, ob die Summe sein Ernst sei. Er bejahte und erzählte noch ein bisschen, aber da war ich schon auf dem Weg zum Flughafen. Ich bekam sogar 180.000 Euro Begrüßungsgeld. Einfach nur, weil ich da war. Ich bin quasi finanziell bedroht worden“.

Auch nach der folgerichtigen Insolvenz blieb man überaus bodenständig und ging als Oberligist mit der soliden Planung, „mittelfristig den Aufstieg in die 2. Bundesliga anzustreben“, forsch in die Öffentlichkeit. Klar, dass man in dieser guten sportlichen Ausgangslage die Sanierung bzw. den kompletten Umbau des Poststadions anschieben musste und von einem eigenen Fußballtempel für 16.000 Menschen im Herzen der Stadt zu träumen wagte. Anschließend ging es für TeBe in rasantem Tempo abwärts bis hinunter in die fünftklassige Berlin-Liga, in der man zwischen 2011 und 2015 herumdümpelte. Heuer ist wieder ein windiger Geldgeber eingestiegen, der Tennis Borussia Berlin für Oberligaverhältnisse einige prominente Namen beschert: Trainer Thomas Brdarić (204 Einsätze in der Bundesliga, 8 Länderspiele), Torwart Stephan Flauder (Mitglied des Zweitligakaders vom FC Erzgebirge Aue), Manuel Fischer (aus der Jugend des VfB Stuttgart mit einem Champions League Einsatz in der Vita) und Thiago Rockenbach da Silva (ehemals SV Werder Bremen) im Mittelfeld und natürlich Randy Edwini-Bonsu (kanadischer Nationalspieler mit reichlich Drittligaerfahrung und 20 Einsätzen in Finnlands höchster Spielklasse für den AC Oulu im Jahre 2011, bei denen er 16 Treffer erzielte, sagt der Tischfinne) in der Spitze. Womit genaugenommen bereits das zweite Problem des Berliner Traditionsvereins grob umrissen wäre: Es gibt immer irgendein Großmaul, das mit einem Koffer voll Geld in Charlottenburg ankommt, das Steuer übernimmt und den Karren mit Höchstgeschwindigkeit gegen die nächste Wand fährt.

Der verrückte Tischfinne, der auch heute wieder die Fotos der Partie schießen muss, stromert mit seiner Kamera um das Mommsenstadion herum. Unweit der Schautafel der „Fußballroute Berlin“ tritt er versehentlich zwei abgestellte Pfandflaschen um, was ein TeBe-Kind auf den Plan ruft: „Was für eine Umweltverschmutzung!“. Womit wir beim dritten Problem angekommen wären: Das politisch unheimlich korrekte Publikum, das sich beim Furzen die Hand vorhält und sich bei Hallenturnieren auch gerne mal verhört. Fakt ist jedenfalls: Wenn Du Dir im Eichkamp zu viel Zucker in den Kaffee geschüttet hast, solltest Du irgendetwas anderes sagen als: „Boah, der is ja jut süß!“, wenn Du einen Shitstorm verhindern magst. Auch die Begrifflichkeit „Bauern“ sollte als Verunglimpfung des Schiedsrichtergespanns oder der Gegner nicht verwendet werden, um den ruralen Flügel TeBe’s, der sich u.a. für die Rechte der Agrarökonom*innen in Zamunda einsetzt, nicht gegen sich aufzubringen. Am besten überhaupt nichts sagen. Fußball? Ach so. Ja, wird bei TeBe nebenbei auch gespielt, steht aber nicht so sehr im Fokus.

Zwischen den Zeilen ist womöglich dezent durchgeklungen, dass ich Tennis Borussia nicht leiden kann. Dennoch versuche ich im zweiten Abschnitt des Berichts das wertzuschätzen, was man als Hopper durchaus wertschätzen kann: Das wunderbare Mommsenstadion.

Dieses wurde im Jahr 1930 von Fred Forbát (geb. als Alfred Füchsel in Österreich-Ungarn, dann folgte die Magyarisierung im Jahre 1915; weitere Eckdaten der Biographie: Migration nach Deutschland 1920, deutsche Staatsbürgerschaft ab 1928, Aufenthalte in Moskau, Athen und Pécs, Berufsverbot in Nazi-Deutschland, Verlust der deutschen Staatsbürgerschaft, Annahme der ungarischen Staatsbürgerschaft 1938, Berufsverbot für Juden dann auch in Ungarn ausgesprochen, Migration nach Schweden) errichtet, war Austragungsort einiger Achtel- und Viertelfinalspiele des olympischen Fußballturniers von 1936 und gilt heute dank seiner nostalgischen Haupttribüne „mit zwei verglasten, über halbovalem Grundriss vorgezogenen Treppenhäusern und langen Balkonen“ und 1.805 Sitzplätzen als Baudenkmal. Die Website unserer Heimatstadt verkündet stolz, dass das Stadion mit öffentlichen Geldern von 1950-56 saniert und „bis 1987 kontinuierlich erweitert und modernisiert“ worden ist. Mit anderen Worten wurden hier seit 30 Jahren nicht einmal 50 Pfennig in die Hand genommen, was man dem 15.005 Zuschauer fassenden Stadion heute an mehreren Ecken ansieht und letztlich den Charme der Anlage ausmacht. Im Jahre 2000 errichtete TeBe höchstselbst eine elektronische Anzeigetafel, die den Winter 2013 leider nicht unbeschadet überstand und seitdem nicht vollumfänglich betriebsfähig ist.

Aufgrund der Wetterprognose investieren wir stolze 12 € für einen überdachten Sitzplatz. Die hausgemachten Bouletten sind schmackhaft und überzeugen restlos. Dumm nur, dass man mit Abendessen und Bier in den Händen noch zu einer zweiten Kartenkontrolle gebeten wird, ehe man das Baudenkmal betreten darf. Der motorisch bekanntermaßen nicht allzu begabte Fetti kann diese Anforderung selbstredend nicht erfüllen, ohne sich die Hose komplett mit Senf und Ketchup einzusudeln. „Na, der Abend kann ja nur besser werden“, weiß die Ordnerin die Situation adäquat zusammenzufassen. Ob sie sich da mal nicht täuscht, frage ich mich kurz darauf angesichts des ersten Blicks auf Publikum und Spielfläche. Sofort fällt mir eine aufgetakelte Spielerfrau – Phänotyp: Russenpüppchen – auf, die mit ihrem KaDeWe-Tütchen auf der Holzbank sitzt und hier ganz offenbar die Oberliga mit der Champions League verwechselt hat. Aber das soll bei TeBe bekanntlich ja schon mal vorkommen. Die Grünfläche, die das Bezirksamt hier zum Bolzen zur Verfügung stellt, hat jedoch nicht einmal Oberliga-Niveau. Durch die vielen Regenfälle und kalten Tage der vergangenen Wochen ist hier ein rechtschaffener Kartoffelacker entstanden, der die Spieler bereits beim Warmmachen vor unlösbare Probleme stellt.

Noch vor Anpfiff stiehlt mir der Stadionsprecher die Show und geht mit dem ersten schlechten Wortwitz in Führung, indem er die „staaken Aufsteiger“ aus Spandau im Mommsenstadion begrüßt. Der Mann versteht sein Handwerk, denn er weiß genau, für Stadionsprecher verhält es sich wie für Kabarettisten: Der erste Gag des Abends ist immer wie ein Rollstuhlfahrer – der muss sitzen! Aber pssst, nicht laut sagen, gibt sonst den nächsten Shitstorm.

Das Spiel beginnt. Der Ball holpert erwartungsgemäß dermaßen unvorhersehbar über den Acker, dass beide Mannschaften kaum Spielkontrolle erzielen können. TeBe will sich dennoch nicht die Butter vom Brot nehmen lassen und versucht sein Spiel aufzuziehen. Nach 13 Minuten stehen auch bereits zwei recht gute Abschlussgelegenheiten auf dem Notizzettel, doch Staakens Torwart Lukas Hesse kann souverän parieren. TeBe-Torwart Flauder, der sich nach Anordnung des Schiedsrichters ein schwarzes T-Shirt über das grüne Towarthemd ziehen muss, um sich farblich von den neongelben Gästen abzuheben, fleht nach 20 Minuten seine Mitspieler an, nicht zu viele Rückpässe auf ihn zu spielen, da ihn wirklich jeder Ball vor erhebliche Probleme stellt. Nach 25 Minuten setzt zu allem Überfluss starker Regen ein, was die Bespielbarkeit des Platzes weiter erschwert. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, sein eigenes Spiel so einfach wie möglich zu halten, doch noch immer kann TeBe seinen eigenen Anspruch, mit Kurzpassspiel und Kombinationsfußball zum Erfolg zu kommen, nicht ad acta legen. Das spielt den gut verteidigenden Gästen deutlich in die Karten, die das Spiel nun immer besser in den Griff bekommen. Lediglich ein Fernschuss der Marke „Field Goal“ gelingt Higinio Martin May Mecha aus Äquatorialguinea (35.), der einst in der Landesliga für TuS Makkabi 24 Tore in 29 Spielen erzielen konnte und auch Boris Hass scheitert nach 40 Minuten aus spitzem Winkel.

In der Halbzeitpause hält sich der Wettergott vor lauter Lachen den Bauch und sorgt mittels Einsatz immensen Schneefalls dafür, dass das Geläuf nun nicht mehr nur uneben und nass, sondern auch rutschig sein wird. Die gut 100 Menschen, die TeBe in der ersten Hälfte von der Gegengeraden mit einigen wenigen Gesängen unterstützt haben, werden nun angesichts der Wetterlage vom Stadionsprecher auf die Tribüne eingeladen. Wir kommen daher im zweiten Spielabschnitt in den Genuss, am Rande des Stimmungskerns zu sitzen und erfreuen uns an einigen recht kreativen Gesängen und Hüpfeinlagen. Besonders das weihnachtlich-winterliche „There’s only one team in Berlin – walking in the Mommsenstadion!“ hat das gewisse Maß an Selbstironie, das FUDU überzeugen kann.

Die 22 Akteure werfen ihr bestmögliches in die Waagschale, aber auf diesen Platzverhältnissen kann es ihnen niemand verübeln, dass in der zweiten Hälfte doch sehr wenig Spielfluss aufkommen kann und spätestens nach 75 Minuten nur noch Stückwerk zu bewundern ist. TeBe ist sich nach wie vor zu schade, mit langen Bällen zu agieren und Staaken verteidigt geschickt, kommt aber selbst auch nur noch zu einer einzigen Kontergelegenheit. Erfolgstrainer Seitz wechselt acht Minuten vor Feierabend Jesucristo Kote López ein und gedanklich wärmt mich plötzlich der Strausberger Sommer angenehm durch. Die letzten fünf Minuten bieten dann noch zwei Höhepunkte, doch nachdem TeBe eine Halbchance nach einer Standardsituation vergeben hat (85.) und die Gäste wenige Sekunden vor Abpfiff an der Querlatte scheitern, beendet Schiedsrichter Weigt aus Wernsdorf die Partie und 50 mitgereiste Staakener feiern ausgelassen im „Gästeblock“.

Wir lassen den Abend auf dem Weihnachtsmarkt am Alexanderplatz und in einem tschechischen Restaurant auf der Karl-Marx-Allee ausklingen. Da dort die Küche jedoch bereits kalt ist, muss ein mitternächtlicher Köfte-Imbiss herhalten, um die hungrigen FUDU-Schweine zu sättigen. Der verrückte Tischfinne spielt Weihnachtsmann und hat zur Bescherung Kaffee, Schokolade von „Fazer“, Pfefferminzschnaps und ein „Lapin Kulta“ dabei. Im Gegenzug erhält er von Kackeland ein 0:0 des HSV gegen den VfL Wolfsburg am 09.12. und eine Spielabsage in Hamburg-Altona am 10.12. geschenkt. Mir scheint, hier ist Wiedergutmachung von Nöten. Aber glücklicherweise wird er ja am 26.01.2018 gegen den „Club“ aus Nürnberg bereits wieder auf der Matte stehen… /hvg

12.11.2017 Altonaer Fußball-Club von 1893 – FC St. Pauli II 1:5 (0:3) / Adolf-Jäger-Kampfbahn / 2.080 Zs.

Zu keinem anderen Zeitpunkt kann man die Warschauer Straße derart menschenleer erleben wie am Sonntagmorgen um 8.30 Uhr. Die Partygänger sind bereits zu Hause, die Touristen schlafen noch und zur Arbeit müssen sich auch nur die allerwenigsten auf den Weg begeben. So komme ich an diesem 12.11. in den Genuss, mir die ansonsten so lebendige Hauptstraße mit lediglich zwei polnischen Obdachlosen zu teilen, die in aller Seelenruhe die Pfandflaschen der zurückliegenden Nacht aufklauben und in IKEA-Tüten verstauen. Auf Höhe der Boxhagener Straße verfallen die beiden in großen Jubel, hat doch tatsächlich irgendwer eine halbvolle Flasche Wodka am Wegesrand stehen lassen. Sogleich nehmen die beiden einen tiefen Schluck aus der Pulle und grüßen mich freundlich, als ich sie überhole. Glück ist: etwas, was Ergebnis des Zusammentreffens besonders günstiger Umstände ist. Und so hoffe ich, dass ich gleich im Zug die Meldung aus Hamburg vernehmen werde, dass das Spiel zwischen Altona 93 und dem FC St. Pauli II nach einer angekündigten Platzbegehung des Schiedsrichters trotz der sintflutartigen Regenfälle der letzten Tage nicht ausfallen wird. Glück ist: bekanntermaßen auch etwas, was jeder für sich selbst definiert.

Am Berliner Hauptbahnhof werden dann der Hoollege und meine Wenigkeit in ein echtes Gefühlschaos gestürzt. Zunächst erhalten wir eine positive Rückmeldung hinsichtlich der Austragung des Spiels. Ist ja schon mal nicht so schlecht, nicht gr(o)undlos in Richtung Hamburg aufbrechen zu müssen, doch dann ersetzt die Deutsche Bahn den eigentlich gebuchten ICE mehr oder weniger wortlos durch einen minderwertigeren IC und sorgt so dafür, dass wir uns in der Rubrik „gelungenster Start in den Tag“ hinter den polnischen Obdachlosen bestenfalls auf Rang 2 einsortieren können.

Mit nicht all zu viel Verspätung haben wir den Bahnhof Hamburg-Altona erreicht. Der Fußweg in Richtung Spielstätte geht mit weiterem Zuwachs in der Kategorie „Musikwissen“ einher, in der ich generell erheblichen Nachholbedarf aufweise. Das Stadion des AFC befindet sich nämlich in der Griegstraße, die mich auf die Fährte eines norwegischen Pianisten und Komponisten namens Edvard Hagerup Grieg führt. Ob die Straße nach ihm oder nach seiner Mutter Gesine benannt wurde, die einst als junges Mädchen zur musikalischen Ausbildung nach Altona geschickt wurde, ist mir jedoch nicht bekannt. Fakt ist: nachdem ich bereits im IC über die Tradition portugiesischer Klagelieder („Fado“) aufgeklärt worden bin, ist die Chance auf ein schnelles braunes Tortenstück bei „Trivial Pursuit“ exorbitant in die Höhe geschnellt.

Noch besser stehen die Chancen auf ein schnelles Bier, als wir in einem Spätverkauf unweit des Stadions einkehren. Die Stickerkultur um den Laden herum überzeugt vollends und auch die ersten eintrudelnden Gäste stehen dem in nichts nach. „Nee, waren nur Altonaken im Bus“, weiß ein Altona-Fan zu berichten und somit die Sorgen seines Kumpels zu lindern, der FC St. Pauli würde heute die Stimmungshoheit erobern können. Analog zu dem „Daltona“-Aufkleber entert dann eine vierköpfige Herrengruppe das Getränkefachgeschäft und der Größte erweist sich auch hier als der minderbemittelste, indem er mit einem alkoholfreien Hefeweizen aus dem Verkaufsraum zurückkehrt. Anders als bei den Daltons üblich, wird Averell jedoch nicht von Joe gemaßregelt, obwohl er für diesen Einkauf durchaus eins auf die Schnauze verdient gehabt hätte.

Im Anschluss begeben wir uns zu der nur noch einen Steinwurf entfernten Adolf-Jäger-Kampfbahn. Und somit ist es an der Zeit, ein Loblied auf ein Kleinod der deutschen Stadionlandschaft zu singen. Eingeweiht wurde dieses im Jahre 1908 und zählt somit zu den ältesten Fußballplätzen dieses Landes. Der Altonaer Fußball-Club von 1893 spielt hier an Ort und Stelle seit Eröffnung des Stadions Fußball. Benannt ist die Kampfbahn seit 1944 nach Sturmlegende Adolf Jäger, der von 1907 bis 1923 für Altona 93 auf Torejagd ging und in 18 Spielen für die deutsche Nationalmannschaft 11 Treffer erzielen konnte und immerhin stolze 10 Partien als Kapitän erleben durfte. Geadelt wurde er durch Trainer Otto Nerz, der ihn als „Genie“ und den „Schöpfer des modernen Kombinationsspiels“ attribuierte. Im Jahre 1944 zeigte Herr Jäger bei Bombenentschärfungsarbeiten am Hamburger Elbufer leider weniger Geschick als auf dem Fußballplatz und verstarb im Alter von 55 Jahren.

1958 wurde dann die 1.400 Zuschauer fassende Haupttribüne eingeweiht, der in den letzten 59 Jahren lediglich eine Sanierung widerfuhr, als die alten Holzbänke gegen Sitzschalen aus dem abgerissenen Hamburger Volksparkstadion ausgetauscht worden waren. Der Zuschauerrekord stammt aus dem Jahr 1953, als 27.000 Menschen ein Heimspiel gegen den Hamburger SV erleben wollten. Aus Sicherheitsgründen und aufgrund der Baufälligkeit der Tribünen sind mittlerweile nur noch 8.000 Plätze für Besucher freigegeben. Bei all der Historie treibt es einem schon die Tränen in die Augen, wenn man liest, dass Altona 93 seine Heimat in Bälde aufgeben wird. Lange kann es nicht mehr dauern, bis hier die Bagger anrücken, die Kampfbahn dem Erdboden gleichmachen, um Platz für – Mutmaßung meinerseits – Eigentumswohnungen für irgendwelche Yuppies zu schaffen, die ihr überflüssiges Geld dann in Hamburg-Ottensen gegen irgendwelche Sojascheiße und Craftbeer eintauschen können.

Im Jahre 2017 sticht die Adolf-Jäger-Kampfbahn neben ihrer Geschichte und den baulichen Gegebenheiten aber auch durch ihre Gegenwart aus dem Einheitsbrei hervor. Alleine mit der Beschreibung der Zusammensetzung des Publikums und durch die liebevollen Spitznamen der Tribünen würden sich ganze Bücher füllen lassen. Da gibt es die „Meckerecke“ neben der Haupttribüne, die von „Altonaken“ besucht werden, die es mitunter auch mit dem HSV halten. Da gibt es den legendären „Zeckenhügel“ hinter dem Tor, den man etwas wohlwollend als Naturtribüne beschreiben könnte und der durchaus auch heute von dem einen oder anderen Punk aus der Ottenser Bauwagenszene (die dann andersherum auch gerne mal „Hügelpunks“ genannt werden) bevölkert wird. Und da gibt es diejenigen, die sich unter dem Motto „St. Pauli, McDonald’s und die CDU“ vom kommerzialisierten FC St. Pauli abgewandt haben und auf Teilen der Gegengerade eine neue Heimat gefunden haben. Diese bunte Durchmischung wird auch heute schnell ersichtlich. Ein Antikapitalist nimmt sich einen Coca-Cola-Kasten zur Hilfe, um ein Banner mit einem roten Stern zwischen zwei Holzpfosten aufzuspannen. Ein türkischstämmiger Bartträger mittleren Alters erscheint in feinster Ballonseide zum Spiel. Menschen, die Devotionalien vom FC Schweinfurt 05, Fortuna Düsseldorf, Levadia Tallinn, A.E.K FC, Malmö FF und Randers FC am Körper tragen, sind zum Hoppen vorbeigekommen. Und der Rest liegt irgendwo zwischen der völlig albernen Veggie-Wurst vom Grill und der sehr sympathischen Hemdsärmeligkeit, hier knöcheltief durch Matsch waten zu müssen, um seine Plätze auf der Gegengerade einnehmen zu können, verortet.

Kurz bevor das Spiel eröffnet wird, lässt der Stadionsprecher noch verlauten, ihm sei ein Hund zugelaufen. Der Besitzer möge sich bitte melden und seinen Fiffi abholen, während die Zuschauer in der „Meckerecke“ eine Tapete zeigen, welches den abstiegsbedrohten AFC zum ersten Heimsieg treiben soll. Die Gäste aus St. Pauli haben außer ihren braun-weiß-roten Trikots nichts anderes im Ausrüstungskoffer, was nicht besonders clever ist, da man eigentlich auch außerhalb Hamburgs weiß, dass die Vereinsfarben Altonas eben schwarz, weiß und rot sind (übrigens von Jahr zu Jahr eines der schönsten Dresse Deutschlands, wie ich finde) und dass es so zu optischen Komplikationen kommen könnte. So kommen die Akteure des FCSP in den zweifelhaften Genuss, unter „Imperial March“ Klängen in orangenen Leibchen auf das Feld zu laufen. Viel peinlicher geht es dann wohl nicht.

Weniger peinlich ist allerdings der sportliche Start der Gäste in die Partie des 16. Spieltages der Regionalliga Nord. Nach handgestoppten 10 Sekunden zappelt der Ball nämlich bereits im Gehäuse des AFC. Der Stadionsprecher kann den Torschützen aufgrund des Leibchens nicht identifizieren, aber im Nachhinein wird aufgeklärt, dass Bräuning aus gut 18 Metern abgezogen hatte, während in der „Meckerecke“ das Motivationsplakat empor gereckt wurde.

Nur vier Minuten später erhöht Zehir auf 2:0. Das Tor war in etwa nach dem selben Muster gefallen – per Fernschuss aus zentraler Position aus ähnlicher Distanz, nachdem der erste Ball von der Verteidigung zwar abgewehrt, aber nicht weit genug vom eigenen Strafraum entfernt werden konnte. Für etwas Erheiterung sorgt beim konsternierten Heimpublikum ein Schäferhund, der den Platz entert und bellend die Jubeltraube der Spieler des FC St. Pauli vor der „Meckerecke“ aufzulösen vermag. Die Ottenser Bauwagenjungs auf dem „Zeckenhügel“ wissen ihr Missfallen über den Spielstand ebenfalls zum Ausdruck zu bringen, indem sie auch die „2“ auf der selbstgebauten Anzeigetafel kopfherum aufhängen. Scheiß St. Pauli!

Ein mobiler Bierverkäufer versorgt die frustrierten „Altonaken“ auf der Gegengeraden mit Bier. Interessant ist seine kreative Konstruktion, die ein wenig an „Edward mit den Scherenhänden“ erinnert und aus einem mit Gaffa-Tape am rechten Unterarm befestigten Flaschenöffner besteht. Ad absurdum wird die Konstruktion jedoch dadurch geführt, dass der gute Mann lediglich Bier aus Dosen verkauft. Auf dem Feld bringen die St. Paulianer widerliche Profiattitüden auf das Geläuf, gleichermaßen aber auch eine technische Finesse und eine hohe Dynamik, die auf diesen bescheidenen Platzverhältnissen zu einer deutlichen Feldüberlegenheit führen. Bis zum Halbzeitpfiff ist Altona darauf bedacht, hier nicht höher in Rückstand zu geraten und die wenigen Akzente nach vorne, die Altonas bester Mann Jakob Sachs setzen kann, verpuffen wirkungslos.

In der Halbzeitpause schwingt sich der Hoollege zum Marketingstrategen des Monats auf, indem er vor dem kleinen Fanartikelstand aktiv auf einen kleinen Jungen zugeht, der gerade im Begriff ist, mit seinen Eltern durch das Sortiment zu stöbern. „Such Dir ruhig das aus, was dir am Besten gefällt – der Preis spielt keine Rolle!“. Man kann die in der Luft liegende Dankbarkeit der Eltern geradezu mit Händen greifen und schon wird der zweite Spielabschnitt von Schiedsrichter Murat Yilmaz freigegeben.

In diesem ist Altona mittels Kampf und Leidenschaft sehr bemüht, sich in das Spiel zurück zu arbeiten. Mehr als die eine oder andere Ecke springt jedoch zunächst nicht dabei heraus, doch immerhin gelingt es dank des Ärmehochkrempelns, dem etwas etwas ermatteten Publikum wieder Leben einzuhauchen.

Dies bekommt dann als erster St. Paulis Keeper Rakocevic zu spüren, der nach gut einer Stunde bereits das dritte Mal verletzt auf dem Boden liegt und sich behandeln lässt. Die Heimzuschauer bezichtigen ihn der Schauspielerei und pfeifen ihn wegen des vermuteten Zeitspiels nach allen Regeln der Kunst aus, woraufhin er, kurz vor der vierten Verletzungspause, den Ball vehement in das Publikum drischt. Nun hat er auch den letzten Fan gegen sich aufgebracht und wird bis zum Abpfiff bei jedem noch so kurzem Ballkontakt gnadenlos ausgebuht.

Nach 71 Minuten ist sportlich die Entscheidung gefallen, da der FCSP seinen ersten guten Angriff der zweiten Hälfte erfolgreich zum Abschluss bringen kann. Sobotta lässt sich feiern und das Spiel droht nun 20 Minuten lang ereignislos dem Ende entgegenzutrudeln. Nach 75 Minuten wird Fynn-Johannes Rocktäschel gegen Andranik-Khachaturi Ghubasaryan ausgetauscht und muss sein durchgeschwitztes Leibchen an den neu in die Partie gekommenen Armenier weiterreichen. Somit bleiben auf Seiten der braun-weißen neben Florian-Horst, Theodor-Werner und Kyoung-Rok immerhin noch vier Doppelnamen auf dem Rasen, während Altona nur mit Tjark-Alfons und Jan-Ove dagegenhalten kann.

Dennoch ist das Dagegenhalten letztlich von Erfolg gekrönt. Nachdem St. Paulis Verteidiger Carstens in der 75. Minute ein Eigentor fabriziert hat, verpasst Hinze in der 77. Minute eine gute Hereingabe von Buzhala nur äußerst knapp per Kopf. Es folgt der erste Sturmlauf Altonas und eine kurze Phase, in der man den Glauben gewinnen kann, diese Partie sei noch zu drehen. Doch alle Hoffnungen werden durch zwei starke Angriffe über die linke Seite, die Choi (79.) und Pfeiffer (89.) mustergültig verwerten können, jäh beendet.

Und so kann Altonas Trainer Berkan Algan am Ende des Tages selbstredend nicht zufrieden sein, da sich der Abstieg in die Oberliga Hamburg doch abzuzeichnen scheint. Algan selbst blickt auf eine bewegte Fußballervergangenheit zurück, die hier als kleine Randanekdote natürlich nicht fehlen darf. Wenn der Hoollege schon einmal einen Praktikanten in seinen feuchten Keller schickt, um im Archiv nach legendären Toren nach langen Einwürfen bei Vollmond (Auftrag kam von Jörg Dahlmann) zu suchen und dann auf so einen Zufallstreffer stößt, dann wird dem natürlich Platz eingeräumt. Von Juli 2001 bis Juni 2002 stand Algan beim FC Haka Valkeakoski unter Vertrag und lief laut einiger Statistikportale in diesem Zeitraum genau zwei Mal im schwarz-weißen Vereinsdress auf: Am 20.09.2001 und am 27.09.2001 für insgesamt 50 Minuten, die er sein Leben lang nicht vergessen wird, da diese Minuten immerhin im Rahmen des UEFA-Cups gegen niemand geringeren als den 1.FC Union Berlin abgerissen worden waren.

Doch FUDU wäre nicht FUDU, wenn diese Halbwahrheit nun ungeprüft in die Welt hinausposaunt würde, sondern arbeitet stattdessen akribisch und mit journalistischem Anspruch und bittet den verrückten Tischfinnen daher, weiter in die Materie einzusteigen. Hat Algan wirklich nur zwei Spiele bestritten – oder ist er auch in der finnischen Liga zum Einsatz gekommen? „Ich habe diese Name nie gehört“ ist die erste Reaktion seinerseits, doch am Ende stehen folgende unerschütterliche Fakten auf dem Zettel: fünf Einsätze, ein Mal in der Startelf, vier Mal eingewechselt. Mit einem: „Alle 7 andere Ausländern von Haka 2001 kann ich erinnern – stark Mannschaft damals“ wird noch beherzt nachgetreten. Algan hat in Finnland nichts gerissen.

Fetti kehrt dann zum Abschluss des Ausflugs im „Schweinske“ in Nähe des Bahnhofs Altona ein, schlägt sich den Bauch voll und entschließt sich – auch aus Freude darüber, dass der im Poststadion angekündigte Angriff des VfB Lübeck auf St. Pauli und alle Hopper ausgeblieben ist – wie ein Schwein zu saufen und sich noch den einen oder anderen Gin-Cocktail zu gönnen. Bei einem gepflegten Gin Sin und Gin Smash wird das Hamburger Derby ausgewertet, ehe im Edeka zu Rihanna-Klängen das Wegbier für die Rückfahrt in den Einkaufskorb wandert. Schön breit like a Diamond geht die Fahrt im ICE leicht von der Hand und noch vor 20.00 Uhr kann Berliner Boden betreten werden. Die polnischen Obdachlosen treffen wir leider nicht ein zweites Mal an, lehnen uns aber weit aus dem Fenster und halten fest, dass wir uns in der Kategorie „bester Abschluss des Tages“ uneinholbar vorne sehen. /hvg

 

05.11.2017 Berliner AK 07 – BSG Chemie Leipzig 3:0 (2:0) / Poststadion / 1.107 Zs.

Wenn der 1.FC Union Berlin den FC St. Pauli erwartet, kommen alle aus ihren Löchern gekrochen. Unmengen an Hoppern und Gelegenheitsunionern fluten dann das „Stadion an der Alten Försterei“ und sorgen durch diverse Diskussionsrunden im Vorfeld der Partie bereits dafür, dass man dieses Duell von Jahr zu Jahr anstrengender findet. Für eine gepflegte Partie „Bullshit-Bingo“ dürfen dann die Begriffe „Kult“, „Eintrittskarten“, „Blutsbrüder“ oder aber auch „Politik“ nicht fehlen. Aber es ist ja auch nicht alles schlecht daran, dass dieses Spiel eben für viele eines der Saisonhighlights darstellt. So kann FUDU-Tours beispielsweise den verrückten Tischfinnen an diesem Spieltag in seinen Reihen begrüßen, der eigens für diese Partie aus Helsinki eingeflogen war.

Nun liegt der hart erkämpfte 1:0 Heimsieg durch einen späten Kopfballtreffer von Sebastian Polter nach einer Freistoßflanke von Trimmel bereits einige Stunden hinter uns und wir begießen diesen Erfolg standesgemäß in unserer Stammkneipe im Friedrichshain, deren Namen ich aus ultrataktischen Gründen natürlich nicht Preis geben werde. Wer uns überfallen will, der darf sich schon ein wenig mehr Mühe geben…

Der verrückte Tischfinne, der eben so heißt, weil er einst meinen – zugegebenermaßen etwas instabilen – Wohnzimmertisch in seine Einzelteile zerlegte und für ein wüstes Bierflaschenfiasko sorgte, ist auch dieses Mal mit von der Partie, als beinahe ein nächstes Unglück FUDU in seinen Grundfesten erschüttert. Fetti neigt keineswegs zu Übertreibungen, aber in diesem Falle muss man schon davon sprechen, dass um ein Haar unsere Stammkneipe abgebrannt wäre.

Was war geschehen? Ein Kerzenglas, welches der Brandschutz- und Dekorationsbeauftragte der Lokalität mit Pergamentpapier umhüllt hatte, war geplatzt, woraufhin der Papiermantel Feuer fing. Man kann von Glück reden, dass zur Zeit des Unglücks die Freiwillige Feuerwehr Friedrichshain durch Anwesenheit glänzt und sich spontan bereit erklärt, sich auch um diesen Brand zu kümmern. Man mag sich gar nicht ausmalen, was der Verlust der Stammkneipe für die Zukunft unserer Gruppe bedeutet hätte. Ein ARD-Brennpunkt wäre jedoch zweifelsfrei pietätlos gewesen.

Einen Tag später steckt der kleinen FUDU-Abordnung, die sich dem finnischen Besucher zu Liebe bereit erklärt hat, dem Poststadion Berlin einen Besuch abzustatten, der Schock noch in den Knochen. Bei einem ersten Bier des Tages und der Gewissheit, dass gestern sowohl auf dem grünen Rasen als auch am grünen Tisch noch gerade eben so alles gut gegangen war, keimt aber schnell Vorfreude auf das heutige Spiel auf. Aus Hopper-Gesichtspunkten befindet man sich heute immerhin an einer historischen Spielstätte, die für den deutschen Fußball durchaus von Relevanz ist, haben hier schließlich bereits in den 1930er Jahren Finalspiele um die Fußballmeisterschaft vor mehr als 45.000 Zuschauern stattgefunden. Im Jahre 1936 wurde im Rahmen des Länderspiels zwischen Deutschland und Norwegen mit 55.000 Zuschauern der Zuschauerrekord aufgestellt, ehe das Stadion spätestens Ende der 1980er Jahre nach den letzten Nutzungen durch Hertha BSC an Bedeutung verlor und jämmerlich dahin rottete. Nur dem aufstrebenden Berliner AK 07 und der Denkmalbehörde ist es letztlich zu verdanken, dass diese historische Spielstätte auch heute noch existiert und seit 2003 sukzessive wieder hergerichtet wird. Die nostalgische Haupttribüne darf man getrost als saniert beschreiben, während auf der Gegengerade einige neue Betonstufen zu einer Kapazität von immerhin wieder 10.000 Plätzen führen. In den von Bäumen bewachsenen Kurvenbereichen ist noch nichts neues entstanden, die Weitläufigkeit und einige rudimentär erkennbare Stufen lassen jedoch einstige Größendimensionen erahnen und den geneigten Hopper mit offenem Mund zurück.

Eintritt für dieses Erlebnis unweit des Berliner Hauptbahnhofs und der Justizvollzugsanstalt Moabit müssen heute nicht alle FUDU-Schweine berappen, da über ein Facebook-Gewinnspiel eine Freikarte für das heutige Spiel ergattert werden konnte. Spätestens bei Abholung der „Ehrenkarte“ ist klar, wer diese heute nutzen werden darf. Es ist selbstverständlich der weit angereiste verrückte Tischfinne. Ehre, wem Ehre gebührt! Nahezu zeitgleich stelle ich fest, dass ich vergessen habe, den Akku meiner Kamera zu laden und erkläre den Ehrengast zum Kamerakind in Personalunion. An dieser Stelle darf man sich ohne Umschweife für die schönen Fotos bedanken – kiitos! Um Haaresbreite wird uns jedoch das Stadionerlebnis verwehrt, da uns der Präsident des BAK, Mehmet Ali Han, auf dem Stadionvorplatz beinahe überfährt. In einer unfassbaren Bescheidenheit, wie sie nur türkische Präsidenten an den Tag legen können, lenkt er seinen unscheinbaren schwarzen Mercedes Benz rückwärts durch die Menschenmassen, um seinen VIP-Parkplatz direkt am Tribüneneingang nutzen zu können. Sympathisches Understatement!

Kurz darauf haben wir es jedoch auf unsere Plätze geschafft und werfen zunächst einmal einen Blick in den Gästeblock. Dort haben sich immerhin knappe 300 Chemiker versammelt, die das gesamte Spiel über nicht besonders laut werden, aber kontinuierlich durch schöne ultratypische Gesänge auffallen werden. Darf man an der Stelle vielleicht wertend kundtun, dass ich diesen Verein und seinen Anhang ansprechend finde? Obwohl sich der große Hoffnungsträger Alexander Bury noch gerade eben so für dieses Spiel fit gemeldet hat, läuft es auf dem Rasen alles andere als rund für die Leutzscher. Der BAK bestimmt das Spiel, hat den Ball am Fuß, diktiert das Tempo. Die Chemiker verhalten sich auch an diesem 14. Spieltag der Regionalliga Nordost wie das Kaninchen vor der Schlange und zeigen eine fußballerische Qualität, die ihrem Tabellenstand (15.) entspricht. So deutlich muss man es leider formulieren.

Das Publikum um uns herum setzt sich zusammen aus ca. 30 von den gestrigen Feierlichkeiten zum Teil schwer gezeichneten Unionern, die hier heute ebenfalls dem Hoppingvergnügen nachgehen. Dazu gesellen sich einige Freunde und Familienangehörige der Spieler des semi-professionellen BAK, Nachwuchsspieler des BAK und der Rest ist dann doch einigermaßen skurill. Da gibt es diesen einen Herren zu bestaunen, der in vollständiger Kutte des nationalen Chemnitzer FC unbehelligt seine Kreise über die Tribüne zieht. Und dann ist da noch diese fanatische Gruppe Jugendlicher, die den BAK in deutscher und türkischer Sprache nach vorne peitschen. Erstmals wurde diese Gruppierung übrigens beim vergangenen Heimspiel gegen den BFC Dynamo gesichtet und schnell machen Gerüchte die Runde, der große Mehmet Ali Han würde hier etwas Taschengeld ausschütten, um so etwas wie Atmosphäre in das Poststadion zaubern zu können.

Als in der 21. Minute das 1:0 durch Sindik fällt, der eine eigentlich bereits verteidigte Freistoßflanke irgendwie über die Linie würgt, wird dies durch eben jene Gruppe angemessen mit Böllern und Kanonenschlägen gefeiert, was sogleich den Stadionsprecher auf den Plan ruft. „Das macht doch alles keinen Spaß und keinen Sinn!“, gibt er zum Besten, woraufhin man den armen, alten Mann am Liebsten in die Arme nehmen und entgegnen würde: „Na doch. Sonst würde es ja keiner machen“. Auf dem heimischen Sofa wird es indes feucht zwischen Jörg Dahlmanns Beinen: „Südländische Atmosphäre“!

Nur zwei Minuten später erhöht Brügmann nach einem wunderbar über die rechte Seite vorgetragenen Angriff auf 2:0. Vom schnellen Doppelpack der Hausherren muss sich einerseits die BSG Chemie erholen, andererseits muss auch der „Wirtschaftsflüchtling“ einen Nackenschlag überstehen. Aus bloßer Furcht vor einer Wespe hatte er soeben durch seine wilde Fuchtelei einen halben Becher Bier über den Rücken seines Vordermanns verteilt und sitzt nun auf dem Trockenen. Während Chemie sich auf dem Rasen noch deutlich schüttelt, hat der Bierverkippende bereits einen Entschluss gefasst und geht in die Aktion, die daraus besteht, die Tribüne zu verlassen, die Ordnerschleuse zu passieren und einen weiteren Weichplastikbecher mit Pfandmarke und Füllgut zu erwerben. Kaum ist er zurückgekehrt, verkündet er vollmundig große Pläne. Bis zu dem Beginn seiner Mitgliedschaft beim Berliner AK 07 kann nicht mehr viel Zeit ins Land gehen. Einige Werbeplakate, die darauf hinweisen, dass man beim BAK für 9,00 schlanke Euro im Monat freien Eintritt zu allen Heimspielen erhält und sich dazu noch gratis den Wanst an den Imbissbuden vollschlagen darf, sind in der Tat überzeugend. Und da hab ich euch noch gar nicht verraten, dass man sich auch ohne Gegenleistung hemmungslos die Lichter anknipsen kann – frei saufen gehört hier ebenfalls mit zum Rundum-sorglos-Paket.

Nach der Halbzeitpause läuft das Spiel weiter in die altbekannte Richtung. Der BAK dominiert den Gegner nach Belieben, sodass keinerlei Spannung aufkommen kann. Mehrere aussichtsreiche Gelegenheiten werden von den Gastgebern verpasst. Die Qualität der Chancen nimmt von Minute zu Minute zu und findet den vorläufigen Höhepunkt in der 83. Minute, als es Brügmann gelingt, den Gästekeeper Lattendresse auszuspielen, dann aber aus spitzem Winkel den Ball nicht im leeren Tor unterzubringen, sondern lediglich an den Pfosten zu bugsieren. Von der BSG Chemie kommt sehr wenig Gegenwehr, vielmehr erstarrt man in Ehrfurcht und hat sich mit wehenden weißen Fahnen seinem Schicksal bereits ergeben. Herr Yildirim ist dann in der Nachspielzeit so freundlich und nutzt die Gunst der Stunde, indem er aus Nahdistanz zum in dieser Höhe völlig verdienten 3:0 abschließen kann.

Nach dem Spiel kehren wir im „Neumann’s“ in Berlin-Moabit ein und lassen den Nachmittag ausklingen. Der Laden ist im Stile eines englischen Pub eingerichtet, im Nebenzimmer feiern minderjährige Cheerleaderinnen mit ihren Betreuerinnen eine große Sause und arabische Kellner servieren altdeutsche Küche. Sagen wir mal so: da hatte der BAK eine klarere Linie in seinem Spiel. Aber so lange hier nicht gleich wieder die Kneipe brennt, kann uns all das ja herzlich egal sein. /hvg

31.10.2017 Charlottenburger FC Hertha 06 Berlin – Malchower SV 6:5 (1:1) / Sportplatz Sömmeringstraße / 97 Zs.

Gerade einmal 500 Jahre ist es her, dass eine sachsen-anhaltinische Thesenkraft mit Weltruf zunächst etwas in Wittenberg an die Kirchentür nagelte und kurz darauf mutmaßlich auf einer nahe gelegenen Lichtung einige scheue Waldtiere im 4-4-2 beobachtete. Jahr für Jahr feiert das kulturell ach so hochentwickelte Abendland diese Rehformation und in heimischen Gefilden ist es aufgrund des Jubiläums dieses Mal sogar den Berlinern vorbehalten, an den Feierlichkeiten mitzuwirken, von denen man bislang alljährlich ausgeschlossen worden war.

Bei FUDU kursiert an diesem arbeitsfreien Dienstag die These, dass ein freier Dienstag ohne Fußball genaugenommen ein verlorener Dienstag sei und so ist schnell der Entschluss gefasst, dem CFC Hertha 06 in der NOFV-Oberliga Nord einen Besuch abzustatten. Schnell ist der „Safety Check“ auf Facebook am frühen Morgen beantwortet und die Welt darüber informiert, dass der Autor dieses Artikels das Sturmtief Herwart gerade eben so überlebt hat, wenn auch durch das verpasste Auswärtsspiel des 1.FC Union beim MSV Duisburg etwas schwerer gezeichnet als die anderen 82,52 Millionen Überlebenden in diesem Lande. Eine Katastrophe mit drei Todesopfern. Kannste im internationalen Vergleich jetzt auch nicht unbedingt mit angeben.

Dennoch ist das subjektiv empfundene Sicherheitsgefühl einiger Mitmenschen in seinen Grundfesten erschüttert. Anders ist es jedenfalls nicht zu erklären, warum in meiner S-Bahn nach Jungfernheide ein kleiner Junge mit Tropenhelm und Kompass ausgestattet durch den Gang tobt. Oder ob er sich auch auf dem Weg in das Abenteuer Oberliga befindet?

Mit einem Spätibier in der Hand ist dann auch das Charlottenburger Sightseeing rund um den U-Bahnhof Mierendorffplatz schnell absolviert. Der Höhepunkt dieses Unterfangens stellt sicherlich die „Sporthalle Charlottenburg“ dar, die im allgemeinen Sprachgebrauch eher als „Sömmeringhalle“ bekannt ist. Die Halle, die ich nun seit circa zehn Jahren nicht mehr von Innen gesehen habe, habe ich vom letzten Auftritt von Union Zwee im Rahmen eines Hallenfußballturniers allerdings noch in bester Erinnerung. Dazu noch schnell einen kurzen Blick in den „Österreich-Park“ und auf die Spree geworfen und schon kann man sich gedanklich dem 12. Spieltag der Oberliga zuwenden. Dort rangiert der CFC Hertha 06 mit nur vier Punkten auf der Habenseite abgeschlagen auf dem letzten Platz. Munier Raychouni hat vor einer Woche das Zepter von Kemal Halat auf dem Trainersessel übernommen und ist mit einer 0:2 Niederlage in Schwerin in das Himmelfahrtskommando gestartet, den Karren nach nunmehr acht verlorenen Partien in Folge aus dem Dreck zu ziehen und die Hertha zum Klassenerhalt zu führen.

Für gruselige 8,00 Euro wird man am Sportplatz Sömmeringstraße von einem übermotivierten Ordner begrapscht und direkt im Anschluss damit erschreckt, dass es keine Eintrittskarte für die Sammlung daheim gibt und die Zapfanlage auch noch nicht zum Ausschank bereit ist. Halloween konnte ich aus guten Gründen noch nie leiden.

Der Sportplatz ist an beiden Längsseiten mit einigen wenigen Stufen ausgebaut. Zwei Hopper mit Stadionwurst in der Hand zählen 69 Zuschauer, ich komme auf 101, am Ende werden 97 Zuschauer offiziell erfasst. Mit einem freundlichen „lasst’s Euch schmecken!“, wünscht der Linienrichter einen guten Appetit und wird auch während der Partie überaus kommunikativ bleiben und beispielsweise die Kritik der Zuschauer an einigen Abseitsentscheidungen mit einem entspannt-arroganten: „Das macht der Herr Hauptschiedsrichter schon ganz gut!“ begegnen.

Nach 20 Minuten haben die Mannen von Trainer Raychouni so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Angefangen beim 0:1 in der dritten Spielminute durch Täge, der nach einem Pass in die Tiefe spielend leicht den Heimkeeper umkurven und einschieben konnte. Fortgesetzt in der 5. und 6. Minute, als nach einer Flanke samt Direktabnahme bzw. durch einen Kopfball nach einer Freistoßflanke das Ergebnis bereits hätte höher ausfallen können. Und ganz zu schweigen von der gelb-roten Karte für Herthas Vedat Temel nach zwei banalen Foulspielen im Mittelfeld in der 19. Spielminute.

Der Kapitän der Mecklenburger treibt seine Mannen mit norddeutschem Zungenschlag und rudernden Armen nach vorn: „Weider, weider“. Offenbar ahnt er, was auf seine Mannschaft zukommen wird, denn plötzlich geht ein Ruck durch die Charlottenburger Truppe. „Tabellenletzter, 0:1 Rückstand, nur noch zehn Mann auf dem Platz – was gibt es jetzt noch zu verlieren?“ So oder so ähnlich muss der Film in den Köpfen der grün-weiß-roten ausgesehen haben, der dazu führt, dass man nun wesentlich besser ins Spiel kommt, sich gegenseitig anstachelt und erste gelungenen Aktionen sichtlich Selbstvertrauen schaffen. Der brasilianische Sturmtank José da Silva Magalhaes ist vorne etwas auf sich allein gestellt, kann die Bälle aber gut festmachen, verstolpert sie dann jedoch ebenso unbeholfen kurz vor dem Sechzehner wieder, was einen älteren Herren aus dem Publikum den Satz „der trifft doch in hundert Jahren nicht!“ entlocken wird.

Nach 25 Minuten zieht eben jener da Silva einen Freistoß. Die Flanke segelt auf den Kopf von Nemanja Samardzic und findet den Weg in den Kasten der Malchower. Jetzt geht die Post so richtig ab und die von der Überzahl gelähmten Mecklenburger werden nun von Hertha in Grund und Boden gelaufen. Jeder Zweikampf wird erbittert geführt, jeder noch so kleine Raum zugelaufen und der Team-Spirit trieft bis zum Halbzeitpfiff aus jeder Charlottenburger Pore. Der letzte rhetorische Höhepunkt des ersten Abschnitts gebührt jedoch wieder Gäste-Kapitän Schumski, der nach einem eigentlich gelungenen direkt getretenen Freistoß seines Mitspielers unzufrieden ist, weil er nicht in die Aktion mit eingebunden wurde: „Ich dachte, Du steckst durch, Diggi!“

In der zweiten Halbzeit ist dann auch der Bierstand soweit und kann die Wünsche der durstigen Feiertagsmeute befriedigen. Die Spieler kehren über eine formschöne Siebzigerjahre-Brücke, die die Kabinen in der Sömmeringhalle mit dem Fußballfeld verbindet, auf den Rasen zurück. Fußballspielende Kinder räumen das Feld für Malchower, denen die Sorge über den weiteren Verlauf des Spiels in die Gesichter geschrieben steht und für Herthaner, die so heiß sind, dass die Kabinenansprache und das sich gegenseitige Anfeuern aus dem Nachbargebäude akustisch auf den Sportplatz durchgedrungen war. Nach 47 Minuten hat Ali Ayvaz seine Farben mit 2:1 in Führung gebracht und eine Viertelstunde später trifft da Silva zum 3:1 nach einem Eckstoß. So schnell können also 100 Jahre ins Land gehen. Nur noch 400, dann hat auch Berlin wieder einen zusätzlichen Feiertag…

„Die Partie mit nur noch zehn Mann auf dem Platz gedreht, alles gelingt, wir sind unbesiegbar!“ So oder so ähnlich muss der Film in den Köpfen der grün-weiß-roten ausgesehen haben, der dazu führt, dass man nun kräftig überdreht, die eigene Defensive vernachlässigt und vergisst, die eigenen Kräfte zu dosieren. Es fällt nun deutlich schwerer, mit den Gästen Schritt zu halten und weiterhin die nötigen Räume zuzulaufen. Die logische Konsequenz: Malchow hat Platz und erspielt sich reihenweise Gelegenheiten. Das 3:2 gelingt erneut Täge nach einer wirklich sehenswerten Kombination bereits in der 62. Minute. Hier ist noch eine Menge Zeit auf der Uhr und der Hertha schlottern plötzlich wieder die Knie. Ach, Sportpsychologie ist schon etwas feines und wer weiß, wie es weiter gegangen wäre, wäre Malchow nur wenige Minuten später der Ausgleich per Kopf gelungen.

So schaufelt sich die Hertha nach und nach wieder etwas frei und kann sich bietende Räume nun immer wieder zu Kontern nutzen. Der 19-jährige Nico Donner erzielt nach einer Flanke ein Kopfballtor, für welches es beinahe einen Videobeweis gebraucht hätte, da der Ball die Torlinie nur für wenige Zentimeter überschritten haben kann. Da aber auch Proteste des Torwarts Buschke ausbleiben, der den Ball abgewehrt hatte, darf getrost von einem regulären Treffer ausgegangen werden. Zum großen Held der nächsten 15 Minuten avanciert dann José da Silva Magalhaes, der in der 75. und 80. Minute zwei Treffer zum nun gültigen Zwischenstand von 6:2 beitragen kann. Und schwupps, waren es nur noch 200 Jahre…

Die letzten zehn Minuten der Partie kann man nicht beschreiben, ohne um die Begrifflichkeiten „Halli Galli“, „Freakspiel“ oder „Wahnsinn“ herumzukommen. So ein 6:2 Rückstand ist für die Sportfreunde aus dem Norden nämlich noch längst kein Grund, die Köpfe in den Sand zu stecken und so kommen sie durch Pretzer (86. Minute) und Täge zum Dritten (88.) plötzlich wieder in gefährlich nahe Schlagdistanz. Nur wenige Sekunden nach dem Anschlusstreffer zum 4:6 lassen die Malchower eine glasklare Chance liegen, dann schießen die Herthaner einen Freistoß an die Querlatte, ehe die Gäste in der 90. per Strafstoß durch Schult dann doch noch auf 5:6 herankommen. Glücklicherweise hat Schiedsrichter Savoly kurz darauf ein Erbarmen, beendet die Partie und neun Charlottenburger sacken erleichtert auf dem Rasen zusammen, während sich in da Silva Magalhaes der Mann des Spiels mit stolzgeschwellter Heldenbrust zum Interview begibt.

Alles in allem kann man durchaus von einem gelungenen Feiertag sprechen. Nach dem spannenden und nervenaufreibenden Spiel werden nun sicherlich ein-zwei Bier auf dem Nachhauseweg bei der schnellen Rehhabilitation vor dem morgigen Arbeitstag helfen. Wie würde Martin Luther sagen? Steile These! /hvg

28.10.2017 FC Hansa Rostock U15 – 1.FC Frankfurt (Oder) U15 6:0 (3:0) / Volksstadion Rostock / 50 Zs.

Es muss so ungefähr im Jahre 1994 gewesen sein, als mich mein Vater erstmals mit zu einem Eishockeyspiel nahm. Der BSC Preussen Berlin gehörte damals zur Crème de la Crème des deutschen Eishockeys und schickte sich von Saison zu Saison an, den Titel zu holen, scheiterte aber jeweils spätestens im Halbfinale. Dennoch habe ich nur die allerbesten Erinnerungen an das Wunderkerzenmeer in der Eissporthalle an der Jafféstraße, an die Stimme Detlev Minters und an Namen wie Tanti, Malo, O’Regan und John Chabot. Der Niedergang der Preussen begann mit dem Abriss der altehrwürdigen Spielstätte und dem Umzug in die Deutschlandhalle. Nach dem sportlichen Abstieg der Berlin Capitals in den Play-Downs gegen die Schwenningen Wild Wings im Jahre 2002 war nur wenige Sekunden nach der Schlusssirene in der Halle klar, dass es das wohl gewesen sein wird für Eishockeyprofisport im ehemaligen Westteil der Stadt. Unter dem Namen Berliner Schlittschuhclub Preussen gab es noch einmal finanziell ambitionierte Zuckungen, doch nach der Saison 2004/05 durfte auch dieses Projekt Insolvenz anmelden und ich verabschiedete mich vorerst von dem Gedanken, weitere Spiele des Vereins zu besuchen. Nach dem Abriss der Deutschlandhalle im Jahre 2011 stand der inoffizielle Nachfolgeverein ECC Preussen (Juniors) kurzzeitig ohne Spielstätte da und dümpelte in einer unattraktiven Regional- bzw. Oberliga in Duellen mit Eishockeyvereinen ostdeutscher Kleinstädte vor sich hin. Mit der Etablierung der neuen Oberliga Nord vor drei Jahren, in der es nun auch überregional gegen einige ehemalige Traditionsvereine um Punkte geht, ist auch mein Interesse an „meinen“ Preussen wieder etwas wachgeküsst worden und so versuche ich, mindestens 2-3 Spiele pro Saison zu besuchen. Und aufgrund der Tatsache, dass die neue Eissporthalle P09, die der Senat „großzügigerweise“ als Ersatz für die Deutschlandhalle zur Verfügung stellte, mit ihren jämmerlichen 1000 Plätzen in etwa so spannend wie ein unausgebauter Kunstrasenplatz in der Berlin-Liga ist, geschieht dies vorzugsweise auswärts.

Es ist Freitag, der 27.10.2017. Meinen freien Herbstferienfreitag verbringe ich an der Ostsee, genauer gesagt im schönen Hansestädtchen Rostock. Die ortsansässigen „Piranhas“ empfangen heute den ECC Preussen Berlin zum Punktspiel in der Eishalle an der Schillingallee in unmittelbarer Nachbarschaft des Ostseestadions und schnell habe ich mir im Vorfeld der Partie meine reservierte Eintrittskarte unweit des „glatten Aals“ am Rostocker Markt abgeholt. Sportlich haben die Preussen in den letzten Spielen ganz schön auf die Mütze bekommen und sind zudem personell stark gebeutelt, sodass meine Erwartungshaltung für das Spiel beim tabellarischen Nachbarn eher niedrig angesiedelt ist. Auch auf den Rängen kommen die Preussen heute mit dem letzten Aufgebot. Eine ganze Busladung Schlachtenbummler hat sich respektablerweise auf den Weg gemacht, wobei sich hier eindeutig das Motto „Masse statt Klasse“ durchgesetzt hat. Schon traurig, dass sich nach all den Jahren sportlicher Bedeutungslosigkeit wirklich nur noch der Bodensatz an treuen Fans gehalten hat. Junge, Junge – was für City-West-Hillbillies.

Das Heimpublikum ist sehr gastfreundlich und sympathisch und wie sooft beim Eishockey kommt es zu keinerlei Komplikationen mit den Gästefans. Auf dem Eis wehren sich die Preussen tapfer und können das Spiel zu meiner Überraschung größtenteils sehr ausgeglichen gestalten. Die an zwei Seiten ausgebaute Eishalle versprüht den Charme alter Eishockeytage, bevor auch in dieser Sportart moderne Arenen mit ihrem amerikanischen Brimborium den Purismus vergangener Tage zu Nichte machten. Mit 822 Zuschauern ist die Eishalle gut gefüllt und die Stimmung ist dem engen Spielverlauf angemessen lautstark, aber gleichermaßen auch von Anspannung und Nervosität geprägt. Nach dem ersten Drittel freuen sich die mitgereisten Preussenfans über eine 1:0 Führung durch Braun, welche Josh Rabbani in der 25. Minute gar auf 2:0 ausbauen kann. Nur eine Minute später gelingt Lemmer der Anschlusstreffer. Ende des zweiten Drittels müssen sich die Preussen der ersten sehr dominanten Druckphase der Hausherren erwehren und es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis das Licht hinter dem Berliner Gehäuse erneut auf rot gestellt wird. Drei Minuten vor der erlösenden zweiten Drittelsirene hat sich der Sturmlauf der Piranhas ausgezahlt und Spister zum 2:2 ausgeglichen. Das letzte Drittel ist an Spannung nicht zu überbieten und der Rumpfkader der Berliner stemmt sich mit Händen und Füßen gegen die drohende Niederlage. Aber alles aufopferungsvolle Kämpfen hilft am Ende nichts, denn Rostocks Top-Torschütze Kurka kann zwei Minuten und 41 Sekunden vor Ultimo den Berliner Schlussmann ein drittes Mal überwinden und sorgt für großen Jubel auf den Tribünen. Stilecht erhält der „Spieler des Spiels“ einen Kasten „Rostocker Pils“ und während die Feierlichkeiten in der Kabine der Raubfische beginnt, begebe ich mich beschwingt durch einen tollen Eishockeyabend fußläufig zurück in mein „Grijpennest“.

Nach einer erholsamen Nacht erschrecke ich angesichts des Blicks aus dem Fenster. Dort wirbelt eine steife Ostseebrise so ziemlich alles durch die Gegend, was nicht niet- und nagelfest ist. Eine kurze Recherche ergibt: Unwetterwarnung, Windstärke 9. Ich entscheide mich gegen einen Besuch des SV Warnemünde, der heute auf dem Kunstrasenplatz des Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadions den SV Blau-Weiß Baabe empfangen hätte. Die 88 km/h starken Windböen werden sich direkt am Meer wohl kaum besser anfühlen und so spiele ich kurzzeitig mit dem Gedanken, heute gänzlich auf Fußball an der Basis zu verzichten und mich in irgendeiner guten sky-Stube bei dem einen oder anderen „Ropi“ niederzulassen, als mich plötzlich der „Groundhopping Informer“ traurig anschaut. Is‘ ja jut, kriegst ja Dein Kreuz.

Als geschickter Kompromiss erweist sich der Plan, der C-Jugend des FC Hansa Rostock einen Besuch abzustatten. Das Volksstadion ist mir bislang noch nicht bekannt und stellt mit seinen Naturtribünen einen recht charmanten Spielort dar. Als besonderer Clou ist anzuführen, dass ich lediglich zwei Mal 35 Minuten im Wind aushalten muss und aufgrund des frühen Anpfiffs um 12.00 Uhr im Anschluss entspannt in einer Kneipe zum Bundesliga-Bohei einkehren kann. Mit der Argumentation hätte ich nun wirklich jedem von diesem Unterfangen überzeugt, sogar mich selbst.

Die 2,8 Kilometer Fußweg gehen mit Rückenwind um so leichter von der Hand. Das Wegbier der Marke „Mahn & Ohlerich“ mundet und auch die Grafitti- und Stickerkultur des FC Hansa Rostock vermag mich ein weiteres Mal zu überzeugen. Es kann einem schon Tränen der Freude in die Augen treiben, wenn man Fische mit Boxhandschuhen oder muskulöse Möwen mit Anglerhüten zur Verzierung des Stadtbildes nutzt…

Das Volksstadion Rostock liegt in der Nähe der Eishalle, des Ostseestadions und weiterer Sportstätten, wie z.B. das Leichtathletikstadion und das Hallenbad Neptun. Wenn man erst einmal den Eingang gefunden hat, freut man sich bei Jugendspielen des FC Hansa über freien Eintritt und darüber, dass einem niemand auf die Nerven geht und sich für den Inhalt des Reisegepäcks interessiert. Die Anlage wurde im Jahre 1928 unter dem Namen „Arbeitersport-Stadion“ errichtet und fasst heute auf drei unausgebauten Grashügeln und einer überwucherten Stehplatztribüne je nach Quelle zwischen 5.000 und 8.000 Zuschauer. Seine größten Stunden erlebte das Stadion in der Saison 1986/87, in der der FC Hansa einige Punktspiele der DDR-Oberliga hier austrug, da im benachbarten Ostseestadion neuer Rasen ausgesät wurde. Internationales Flair wehte dann im Jahre 1989 durch die Spielstätte, als der FC Hansa seine „Intertoto-Cup“-Spiele gegen Boldklubben 1903, TJ Plastika Nitra und Malmö FF an Ort und Stelle absolvierte.

42 von Hand gezählte Zuschauer haben sich heute bei Anpfiff im weiten Rund versammelt (spätere offizielle und stark verlogene Angabe: 50!), um die C-Jugendlichen des FC Hansa gegen den 1.FC Frankfurt (Alles nichts Oder?!) spielen zu sehen. Es ist noch keine Minute gespielt, als ein Eckstoß der Hanseaten irgendwie an Mann und Maus vorbeirutscht und zum 1:0 in den Maschen einschlägt. Kurz vor dem Halbzeitpfiff wird sich dann auch Kjells Bruder Tjark Hildebrandt mit seinem Treffer zum 3:0 in die Torschützenliste eintragen.

Auch im zweiten Spielabschnitt wird der FC Hansa die überlegene Mannschaft bleiben, auch wenn Struktur im eigenen Spiel fehlt und überraschend viele technische Mängel auffällig werden. Es reicht jedoch aus, hoch zu pressen, um die verunsicherten Kicker des 1.FC FFO so sehr unter Druck zu setzen und so zu schnellen Ballgewinnen zu kommen. In der 43., 55. und 68. Minute fallen drei weitere Treffer für die Hanseaten, die das Spiel am Ende standesgemäß mit 6:0 für sich entscheiden können. Bei den Hausherren darf man in vier-fünf Jahren getrost gespannt darauf sein, wie sich die beiden auffälligsten Spieler Sami Mohamad und Theo Gunnar Martens weiter entwickelt haben werden. Der erstgenannte ein bulliger Stürmertyp, der bereits jetzt mit allen Wassern gewaschen zu sein scheint, der zweite ein technisch beschlagener und kreativer Mittelfeldspieler. Könnt ihr ja 2022 mal googlen.

Spannender sind derweil die kleinen Randanekdoten, die mir via Handy zugetragen werden. Mein Cousin berichtet stolz, dass sein Sohn heute den Flug nach Düsseldorf zu seinem Opa ohne Begleitung der Eltern antreten wird. Als wäre dies alleine nicht schon Anlass genug, so ein Erlebnis in ewiger Erinnerung zu behalten, wird dem Kleenen das ganze Abenteuer zusätzlich aufgewertet. Niemand geringeres als die Mannschaft des 1.FC Union Berlin befindet sich nämlich mit an Bord, um sich auf den Weg zu ihrem morgigen Auswärtsspiel beim MSV Duisburg zu begeben. Sebastian Polter lässt es sich dann auch nicht nehmen, meinen als „Unioner“ erkenntlichen Großcousin neben sich sitzen zu lassen, gemeinsam mit ihm Fußball auf seinem Tablet zu schauen (genauer: seine schönsten Tore. Soviel Liebe zu sich selbst muss erlaubt sein!) und am Ende ein Autogramm auf dessen Boardingkarte zu hinterlassen.

Ich kehre in meinem Lieblingsladen in der Kröpeliner-Tor-Vorstadt ein und schaue gut 70 Minuten Bundesliga-Fußball im „Pleitegeier“, völlig unbemerkt von der ortsansässigen „Tanga Polizei“, worin auch immer deren Aufgabe besteht. Dann drängelt die Zeit ein wenig, da die Heimfahrt im Flixbus auf dem Programm steht. Überaus pünktlich kehre ich an der Haltebucht ein und warte. Und warte. Und warte. Es gibt keine Anzeige, keine Durchsagen. In die Bahnhofshalle traut man sich nicht, der Bus könnte ja jederzeit kommen und den Busbahnhof hat man aus dieser Entfernung leider nicht im Blick. Windstärke 9. Es ist schweinekalt, Bier ist alle. Eine verdammte fucking Stunde später rollt das Gefährt in der Farbe der Hoffnung am Rostocker Busbahnhof ein. Drinnen schütteln die Menschen die Köpfe und haben selbige bereits ganz offensichtlich aufgegeben, schließlich habe sich der Fahrer seit Warnemünde bereits drei Mal verfahren, was einen Fahrgast nun animiert, sich neben den Chauffeur zu setzen und ihm sein Handy-Navigationsgerät und seine Assistenz zur Verfügung zu stellen. Da kommt doch Vertrauen auf.

Irgendwann habe ich glücklicherweise Berlin erreicht, was sich am nächsten Morgen jedoch als gravierende Fehlplanung herausstellen wird. Über Nacht hat sich das laue Lüftchen nämlich zu einem amtlichen Sturmtief weiterentwickelt und fegt nun mit bis zu 140 km/h durch das Land. Sturmfluten, Stranderosionen, Stromausfälle, Todesopfer. Und das schlimmste: Die Deutsche Bahn stellt den Fernverkehr in sieben Bundesländern ein und verhindert so die Anreise von mir und dem FUDU-Pärchen zum Auswärtsspiel des 1.FC Union beim MSV Duisburg.

Gestrandet am Berliner Hauptbahnhof wird irgendwann nichts anderes übrig bleiben, als diesen Tag mit nüchternen statistischen Daten zu unterfüttern. Heute werde ich mein erstes Auswärtsspiel seit dem 04.11.2013 verpassen und die Serie von 67 besuchten Auswärtspunktspielen in Folge reißt. Ach, hätte der sympathische Fahrgast gestern Abend doch bloß Duisburg in sein Navigationsgerät als anzusteuerndes Ziel eingetippt. Aber so bleibt nur der Name des Sturmtiefs auf alle Zeiten in den Gehirnwindungen hängen. Wer wart? Der Herwart! /hvg

15.10.2017 Skive IK – FC Roskilde 0:2 (0:1) / Skive Idrætspark / 560 Zs.

Der erste Tag des Urlaubs verläuft mehr als bescheiden. Zuerst quälen wir uns über die A10, A24, A21 und die A7 bis zur Dänischen Grenze. Dann winkt uns der Grenzer schnell durch („Wer oder was ist das Schengen-Abkommen?“), nur um an der Stadionkasse vom Middelfart Gymnastik & Boldklub gesagt zu bekommen, dass Astrid Lindgren gar keine dänische Schriftstellerin ist. Und auch Greta Garbo ist keine dänische Schauspielerin. Upps….. da haben wir wohl schwedische Kronen statt dänischer eingepackt. In Vejle vor einigen Jahren ließ man uns Glücksschweine noch aus Kulanz umsonst ins Stadion, weil wir nur eine Kreditkarte, aber kein Bargeld dabei hatten. In Middelfart sieht es leider anders aus, hier bleibt man standhafter und verlangt Hartgeld oder mobilpay. So hat es zur Folge, dass Nadjuschka noch einmal den Tschechenbentley startet und sich auf die Suche nach einem Geldautomaten machen muss. Ich bleibe vor Ort und schaue von einer Erhöhung das Spiel der 2. Division (dritte Liga) gegen den BK Avarta. Mit der Wiederkehr von Nadjuschka, sie berichtet noch von einer durchaus sehenswerten Innenstadt, fällt das 1:0 für die Heimmannschaft. Wir können dann noch die restlichen 60 Minuten des Spiels im Stadion sehen. Nur drei meldepflichtige Sachen gibt es noch: in Spielminute 63. fällt noch das 2:0 durch Peter Kristensen, Adigun Salami spielt jetzt für Middelfart und ich trinke ein in Fünens größter Brauerei gebrautes „Albani Pils“.

Anschließend geht es weiter nach Søndervig, um den Schlüssel für unser Häuschen in der Nähe des Stadil Fjordes abzuholen. Schnell bringen wir dies hinter uns und verschwinden, denn Søndervig ist völlig überfüllt mit Kartoffeln in funktionaler Outdoorbekleidung. Auch deswegen verzichten wir auf einen Biereinkauf im örtlichen Supermarkt. Das Häuschen liegt, wie im Internetz versprochen, im Wald, kaum Häuser in der Umgebung und der Fjord liegt auch nicht weit entfernt. Das einzige Problem ist das Wetter der vergangenen Tage. Die Einfahrt ist völlig matschig und so bleibt der Tschechenbentley in der Pampe stecken und bewegt sich keinen Meter von der Stelle. Wir versuchen noch mit einigen Manövern den Boliden zu bewegen, was allerdings nicht von Erfolg gekrönt ist. Es wird langsam dunkel, die Lust und Kräfte schwinden und wir brechen die Rettung ab. Die Matschaktion lässt die Fahrt zum Supermarkt in weite Ferne rücken und wir müssen den Abend ohne Bier beenden. Nej, nej, nej!

Trotz Ølkrise am gestrigen Tage wache ich mit leichtem Kopfschmerz auf, hatten doch Nadjuschka und ich die einzig mitgebrachte Weißweinflasche geleert. Das Auto ist dann Dank Schippe und Brennholz unter den Rädern schnell befreit und schon bewegt sich das Gefährt in Richtung Holstebro Idrætspark. Da ich ein großer Freund des „Doppler Effektes“ bin, ist der Plan heute folgender: ab 13 Uhr eine Halbzeit in Holstebro schauen und sich dann auf den Weg nach Skive (Anstoß 14.30 Uhr, Fahrstrecke 45 Minuten) begeben. Der FUDU-Tours Definition nach reicht ja auch eine Halbzeit für ein Kreuz, daher habe ich kein schlechtes Gewissen ein Stadion auch mal ein wenig früher zu verlassen oder auch mal später zu betreten. Der Kollege Fackelmann und das restliche Havelland sieht dies ein wenig anders, aber das ist ja deren Problem.

Holstebro BK spielt aktuell in der Danemarksserien (4. Liga) und hat heute Aalborg BK II zu Gast. Der Holstebro Boldklubben hat fußballerisch in Dänemark bisher keine großen Spuren hinterlassen, eine Handvoll Spielzeiten in der 1.Division, ansonsten spielte der Verein eher mehrheitlich unterklassig. Am Fußball-Kontext gemessen ist das Stadion mit seiner Kapazität von 15.000 Zuschauern maßlos überdimensioniert, aber vielleicht ist die Laufbahn und die anderen Leichtathletik-Anlagen ein Indiz dafür, dass eher Fußball die Randsportart in dieser Stadt ist. Das Stadion ist schnell erreicht, auf „Sightseeing“ außerhalb des Stadions wird verzichtet, denn das Stadion hat sicherlich mehr zu bieten als die gesamte Innenstadt, obwohl Kenneth Anger dazu anmerkt, dass es sich bei Holstebro um das Las Vegas Dänemarks handelt. Diese Information erreicht uns leider zu spät, die korrekte Währung hätten wir jetzt ja auch gehabt. Ich bin noch dabei ein Foto von den Flutlichtmasten und dem Aalborger Mannschaftsbus zu schießen, da werden Nadjuschka am Eingang schon fast die Kronen in die Hand gedrückt, denkt doch ein älteres Pärchen, dass sie heute abkassiert. Nadjuschka kann ihre Berufung halt nicht verbergen, weist aber darauf hin, dass der Eintritt heute frei ist, sponsert doch die örtliche Dachdeckerbude heute den Eintritt. Geht doch! Tak for det!

Bedingt durch das – für unsere Verhältnisse – sehr frühe Erscheinen, bleibt noch genügend Zeit für eine Stadionrunde. Wir betreten eine große steile und unüberdachte Gegengrade, mit Stehplätzen und den dazugehörigen Wellenbrechern. Auf Höhe der Mittellinie gibt es einige blaue Sitzbänke. Sonst dominieren schiefe Stufen und Wildwuchs auf den Traversen. Erinnert an alte „Stadion an der Alten Försterei“ Zeiten, ebenso wie der Zuschauerzuspruch am heutigen Tage. Abgerundet wird dieses Ensemble durch anständige vier Flutlichtmasten. Einfach nur wunderschön, denn die Stadien in Dänemark sind doch in den oberen Ligen oft recht einheitlich und weiter unten eher auf Sportplatzniveau mit größerer Haupttribüne und einigen gezimmerten Holztribünen. Dazu noch eine dänische Standard-Haupttribüne inklusive Sanitäranlage, Umkleidekabine und so weiter.

Auf der Laufbahn befindet sich eine große Hüpfburg in „Wild West“ Optik, passend zur geografischen Lage Holstebros, auf der die Balljungen herumtoben. Die Old School(stebro) Fraktion lässt es ruhiger angehen und hat es sich auf Plastikstühlen gemütlich gemacht. Nicht unweit von ihnen befindet sich der Bierstand, wo sich die listigen Alten ihre letzte Ølung besorgen.

Dänen ist der Sport doch scheißegal“, denkt sich Fetti! Gereicht wird ihnen und mir in Skive gebrautes „Hancock“ Bier als Pils oder dunkles Lager.

Mit Anpfiff der Partie positionieren wir uns vor der Haupttribüne und kommen so noch in den Genuss einiger Sonnenstrahlen. Wir sehen ein recht munteres Spiel, mit einem etwas besseren Gastgeber, allerdings trifft Niclas Lind Simonsen in der 10. Minute mit dem ersten vernünftigen Angriff für Aalborg zum 1:0. Mit diesem Spielstand endet auch die erste Halbzeit und mit dem Pfiff verlassen wir das Stadion. Im Auto geht dann das Navi nicht an, eine Dänemark-Karte haben wir leider nicht zur Hand, auf Smartphone-Ebene sind wir nur ungenügend aufgestellt und so fahren wir zunächst durch die Stadt auf der Suche nach einem Straßenschild, welches uns in Richtung Skive führt. Dieses taucht auch nach nicht allzu langer Zeit auf, nötigt allerdings Nadjuschka dazu, den Wagen mit quietschenden Reifen einmal in die komplett andere Richtung lenken zu müssen.

Im Ort angekommen, soll ich die Augen nach den Flutlichtmasten offenhalten. Diese sind allerdings nirgends zu entdecken, so legen wir noch einen außerplanmäßigen Zwischenstopp am Posthustorvet ein und die dort ausgehangene Karte zeigt uns den Weg in Richtung Skive Idrætspark. Diesen betreten wir in Spielminute 12, womit klar ist, dass wir auch das dritte Spiel nicht komplett sehen werden. Tore haben wir noch keine verpasst und auch wenn man hier noch nicht war, verpasst man leider nicht allzu viel. Eine Haupttribüne mit VIP-Balkon, daran anschließend gibt es eine Sporthalle. Ansonsten gibt es hier keine weiteren Ausbauten. So steuere ich den Bierwagen an und siehe da, auch hier gibt es die zwei bekannten Sorten „Hancock“. So komme ich noch in den Genuss des dunklen Lagers.

Auf dem Spielfeld macht der Tabellenletzte Skive IK bis zur 34. Minute das deutlich bessere Spiel und kommt durch Henriksen, Mogensen und Kock zu guten Chancen. Das Tor macht dann allerdings der FC Roskilde durch den Mikkel Thygesen, welcher auch mal ein halbes Jahr für Borussia Mönchengladbach spielte, bevor er wieder zum FC Midtjylland – von dem er auch kam – zurück ging. Sechs Minuten später kann Andreas Kock auch seine zweite Chance nicht versenken, Roskildes Keeper Schram kann seinen Angriff abwehren und der Ball geht nur gegen den Pfosten.

Zur Halbzeit bewegen wir uns in Richtung Haupttribüne. Dort geht es eher gemütlich zu, wirkt hier eher wie ein lockerer Ausflug aller Altersschichten als hitziger Abstiegskampf. Wurde Holstebro aus Stadiongründen ausgewählt, so wollte ich eigentlich nach Skive, um mir ein Autogramm von Thomas Dalgaard zu holen. Von diesem besitze ich eine Autogrammkarte aus seiner Zeit in Heerenveen, allerdings ohne Unterschrift, die aber vor Reiseantritt selbstredend nicht mehr auffindbar war. Der Torschützenkönig von 2012/13 (1. Division) und 2013/14 (Superligaen, trotz Abstieg!) für Viborg FF, wird in der 64. Minute eingewechselt, kann aber keine Akzente mehr setzen. Seine Kollegen treffen zwar noch zweimal den Pfosten, aber wieder ist es Mikkel Thygesen, der für Roskilde trifft und so in der letzten Minute den Deckel drauf macht.

Nach dem Abpfiff verschwinden Thomas Dalgaard und seine Kameraden recht schnell im Bauch der Haupttribüne. Die Gästespieler bedanken sich bei den zehn von Seeland mitgereisten Fans. Wir verlassen dann den Idrætspark, verwehren uns selbst den Zutritt zur „Zwei Grosse Bier Bar“ und suchen lieber den örtlichen „Kvickly Markt“ auf. Hier wandert für die Massephase „Dansk Guld“ in großer Anzahl in den Einkaufswagen, für die Klassephase „Høker Bajer“ und „Carlsberg 1883“. Dazu greife ich noch im Touristinformationsregal eine gratis Jütland Karte ab und so kann ich Nadjuschka wieder in Richtung Ferienhütte leiten, in der wir die Trainingshose anlegen und die Massephase einläuten. /hool