877 877 FUDUTOURS International 28.03.24 12:13:05

13.08.2017 1.FC Saarbrücken – 1.FC Union Berlin 1:2 n.V. (1:1, 1:1) / Hermann-Neuberger-Stadion / 6.936 Zs.

Am Vorabend der ersten Runde des DFB-Pokals 2017/18 habe ich Saarbrücken erreicht. Hinter mir liegt die Königsetappe Rimini-Milano-Bergamo-Luxembourg, die ich an diesem Samstag auf einer Pobacke abgesessen habe. Der freundliche Pensionsbesitzer schüttelt nur ungläubig den Kopf, als ich auf Nachfrage, wie ich denn angereist sei, eben jenes zum Besten gebe. Und auch ich lasse nur kurz darauf in meinem Zimmer bei einem leckeren Bofferding die Anreise noch ein wenig sacken. Schön war der defekte Ticketautomat am Luxembourg Airport, der mir einen gratis Shuttle in die Innenstadt ermöglichte und daher haargenau 2 € meines perfekt ausgereizten Reisebudgets übrig geblieben waren, die ich geschwind in zwei Dosen des luxemburgischen Qualitätsbieres eintauschen konnte. Weniger angenehm war dann der Umstand, dass zwischen dem Gare Lëtzebuerg und dem Hauptbahnhof Saarbrücken aufgrund von Bauarbeiten keine Züge verkehrten und man daher auf einen Bus mit dem wunderbaren Namen „Saarbrücken-Express“ ausweichen musste. Dieser war mit neun Leuten dann entsprechend der Attraktivität seines Ziels auch angemessen besetzt und passierte 88 Straßenkilometer später das illustre Örtchen Völklingen. Der geneigte Europatourist kann sich nach Ansicht der Schwerindustrie (Stahlwerk Röchlingen) und des Kraftwerks Völklingen/Fenne eine Reise in die Ukraine getrost sparen – schlimmer kann es dort auch nicht aussehen. „Aber wir haben doch etwas zur Aufwertung des Ambientes getan“, werden die Städteplaner womöglich entgegnen. Aber entscheidet doch einfach selbst, ob euch ein „Völklingen“-Schriftzug am Saarufer im Stile der Hollywood Hills von der Bedrückung der qualmenden Schlote vor dem Ortseingang abzulenken vermag. Ich bin mir jedenfalls bereits jetzt vollends sicher: Das wird morgen sicherlich ein schöner Ausflug!

Zunächst gilt es jedoch, den aus München angereisten Wirtschaftsflüchtling am Hauptbahnhof von Saarbrücken einzusammeln und der Innenstadt unsere Aufwartung zu machen. Dort ist recht schnell festgestellt, dass Saarbrücken am Samstagabend vor Lebensfreude nicht gerade übersprudelt und so werden uns die ersten drei Kneipentüren gegen Mitternacht vor der Nase zugeschlagen. Zapfenstreich! Geöffnet hat nur noch das „Glühwürmchen“ am St. Johanner Markt – übrigens seit 1974, wie wir recht bald von den sympathischen Kneipengästen erfahren. Die Wirtin ist zunächst nicht sonderlich erfreut, zwei weitere Berliner bewirten zu müssen, seien heute doch bereits auffällig viele Hauptstädter zu Gast gewesen. Sie bittet uns darum, einfach nicht so laut zu singen und schenkt uns dann zwei Karlsberg aus und in uns macht sich dieses längst vergessene Gefühl aus Regionalligazeiten breit, in welchen man ständig Kleinstädte eingenommen hatte und für Irritationen bei der Landbevölkerung sorgte. In der Kneipe befinden sich zwei betrunkene Engländer, die dem Wirtschaftsflüchtling recht schnell wegen seines „fucking accents“ an den Kragen wollen („My family is from New Zealand!“) und dann von der Wirtin resolut aus der Gaststätte entfernt werden. Uns zieht es dann in die laue Sommernacht nach draußen, wo uns Pizzabäcker Birol, sein Sohn im Galatasaray-Shirt und Wolfgang, ehemals Musiklehrer in der Ritterstraße in Kreuzberg und womöglich gar mein Kollege zu der Zeit, als ich in selbiger Schule mein FSJ absolviert hatte, herzlich an ihrem Tisch empfangen. Die Welt ist klein, das morgige Spiel schnell thematisiert und am grünen (Bier-)tisch bereits zu Gunsten 1.FC Union entschieden worden. Zwei-drei Bier später fallen wir auch schon zufrieden in die Betten. Tja, damals war die Welt im „Glühwürmchen“ noch in Ordnung

Am nächsten Morgen sitze ich am Frühstückstisch meiner Pension. Mir gegenüber sitzt ein Pärchen mittleren Alters, das wirklich sehr sympathisch miteinander umgeht. Hier ein Kompliment, dort ein Küsschen, dazu recht viel Humor und ansprechende Themen. Ich bin heilfroh, mich endlich einmal nicht für meine Mitmenschen schämen zu müssen und verweile noch ein wenig am Tisch, obwohl ich eigentlich bereits mit dem Frühstück fertig bin. Was auch daran liegen könnte, dass ich aufgeschnappt habe, dass die beiden auf ihre Tochter warten und hierdurch meine Neugierde unleugbar geweckt worden ist. Ein paar Minuten später steigt die Geräuschkulisse im Treppenhaus. Bereits das laute Stampfen, welches sie beim Hinunterlaufen der Treppen erzeugt, vermag die hohen Erwartungen etwas zu dämpfen. Als sie den Raum betritt, zerplatzen all meine Illusionen und Vorstellungen wie Seifenblasen. Laut, anstrengend, nervig, raumfüllend, unattraktiv sind Attributierungen, die sie innerhalb weniger Augenblicke für sich gewinnen kann. Puh. Was für eine Enttäuschung meiner Erwartungshaltung – und das, noch bevor der 1.FC Union abermals in der ersten Runde des DFB-Pokals ausgeschieden ist.

Ich schüttele mich kurz durch, wünsche dem Pärchen mittleren Alters im Geiste weiterhin ein stabiles Band zwischen sich, welches die Belastungen dieses Trampeltiers von Tochter zu halten im Stande ist und mache mich fußläufig auf in Richtung „Glühwürmchen“, in dem ich gemeinsam mit dem Wirtschaftsflüchtling und Hannes nun dringend ein Aufwärmbierchen vor der Weiterreise nach Völklingen trinken muss.

Dort ist es abermals so gemütlich, dass wir unseren eigentlichen Plan, dem „Bruch Brauereifest“ in der Scheidter Straße einen Besuch abzustatten, schnell verwerfen und letztlich sogar unsere avisierte Regionalbahnverbindung nach Völklingen verpassen werden.

Nach und nach trudeln neben uns dann aber auch alle anderen FUDU-Schweine verspätet am Völklinger Bahnhof ein und vorbei an schäbiger Völklinger Industriebrache (die „Völklinger Hütte“ liegt seit 1986 still und wird allen Ernstes als Weltkulturerbe geführt) geht es zu Fuß durch die viertgrößte Stadt des Saarlands. Bereits jetzt kommt es zu einer Durchmischung mit Saarbrücker Fußballfans, die so aussehen, wie Fußballfans in den 80er-Jahren eben ausgesehen haben. Waldhof Mannheim und Rot-Weiß Essen lassen grüßen. Wer auf Zeitreisen steht, sollte all diese Ziele ansteuern…

… und so dauert es auch nicht lange, bis wir uns in verbalen Scharmützeln mit der intelligenzgeminderten heimischen Anhängerschaft befinden. Angesichts der ruralen Umgebung lässt es sich Fetti nicht nehmen, ein wenig großstädtisch-arrogante Kommentare fallen zu lassen. Ein Park zu unserer rechten lädt zu Drittortsauseinandersetzungen ein, lässt er verlauten. Ein Saarbrücker springt darauf an und fordert uns zum Duell heraus: „Hajo, geh mia halt auf de andre Seit!“. Teile FUDUs erkundigen sich sorgenvoll, ob der Sprachfehler heilbar wäre, was das Gegenüber blitzsauber kontert: „Bisch der Til Schweiger oder warum nuschelst ebe so?“. Es folgt noch ein wenig nerviges Blablabla, doch eine wirkliche Eskalation lässt sich verhindern, indem man nun nicht mehr auf das Hinterwäldlerisch reagiert und dem saarländischen Agent Provocateur die noch 20 Mal gestellte Frage, ob man denn nun auf „de andre Seit“ gehen wolle, unbeantwortet lässt. Wie sagt der Saarländer: „So unnedisch wie em Papschd sei Knepp!“ – und wer bislang glaubte, die schlimmste Gegend Deutschlands sei in Rheinland-Pfalz zu verorten, der wird hier schnell eines Besseren belehrt.

Am Stadion angekommen bin ich von Land und Leuten bereits restlos überzeugt und nehme das Angebot des Schwaben dankend an, mein Reisegepäck in seinem Mini zu verstauen. Da dieser in etwa auf Höhe Saarbrücken abgeparkt wurde, komme ich den Genuss, alles retour noch ein zweites Mal erleben zu dürfen. Im Anschluss können wir dann das Stadion betreten, welches vis-à-vis wesentlich schlimmer aussieht, als es die vorab im Internet eingesehenen Bilder vermuten lassen haben. Dreiviertel des Stadions sind gänzlich unbebaut, die überdachte Haupttribüne ist winzig klein und in den beiden Kurvenbereichen knäueln sich knappe 7.000 Menschen, darunter etwa 1.300 Fans in rot und weiß. Notdürftig aufgestellte Dixitoiletten, ein Bauwagenklo mit bedenklicher Schieflage und Imbissbuden vom Rummel runden das trostlose Stadionambiente im Gästebereich ab. Und dann ist der Schuppen auch noch nach einem ehemaligen Präsidenten des mafiösen Fußballverbandes benannt…

Deinen Pokal wollen wir aber trotzdem gewinnen, denken sich die Gästefans – jetzt gilt es nur noch, die eigene Mannschaft von diesem Vorhaben zu überzeugen. Gewohnt pomadig startet der 1.FC Union Berlin in den Wettbewerb und lässt den Ball weit fernab des gegnerischen Strafraums gemächlich in den eigenen Reihen zirkulieren. Der 1.FC Saarbrücken kann in aller Seelenruhe seine Defensive formieren und zeigt seinerseits erste gefährliche Ansätze, als Schönheim für den bereits geschlagenen Mesenhöhler retten muss (10.). Im Anschluss pendelt sich das Spiel wieder zwischen den Strafräumen ein und der Zweitligist diktiert mit gefühlten 80% Ballbesitz das Geschehen, jedoch ohne Tempo aufzunehmen. Die Führung gelingt nach 23 Minuten durch einen Kopfballtreffer von Schönheim nach Eckstoß durch Trimmel, sorgt allerdings keineswegs für Ruhe, da der Außenseiter nur fünf Minuten später zurückschlägt. Martin Dausch, ausgerechnet Dausch, trifft zum 1:1, doch der uns wohlgesonnene Schiedsrichter Storks hatte bereits vor dem Querpass auf Dausch abgepfiffen und auf Elfmeter entschieden. Dieser wird nun von Zeitz verschossen und im Lager Unions zeigt man sich dankbar über diese Art der Vorteilsauslegung.

Nun gelingt es dem 1.FC Saarbrücken Dominanz zu entwickeln und die überaus anfällig wirkende Gästeverteidigung um Kurzweg-Schösswendter-Schönheim-Trimmel in Nöte zu bringen. Die Kontrolle über das Mittelfeld ist längst verloren und der eine oder andere Steilpass führt zu guten Abschlussgelegenheiten der Saarländer. Nach 40 Minuten gleicht Behrens (ebenfalls nach einem Kopfstoß nach Eckball) zum nicht völlig unverdienten 1:1 aus.

In der zweiten Halbzeit wittert der Drittligist die große Sensation und spielt erfrischend offensiv auf. Einzig und allein Torwart Mesenhöler ist es zu verdanken, dass man sich letztlich mit einem Remis in die Verlängerung retten kann. Drei-Vier glasklare Torchancen Saarbrückens kann er vereiteln und auch ein Doppelwechsel in der eigenen Verteidigung kann nicht nachhaltig für Sicherheit sorgen. Saarbrücken ist gegen Ende der Partie der hohe Aufwand aber deutlich anzumerken und die Kraftreserven schwinden. Zwei Minuten vor Abpfiff der Partie taucht Polter plötzlich freistehend im Strafraum auf, kann den Ball aber hart (und elfmeterwürdig?) bedrängt aus Nahdistanz nicht verwandeln.

In der ersten Hälfte der Verlängerung liegen blau-schwarze Akteure immer häufiger von Krämpfen geplagt auf dem Rasen. Union kann letztlich Kapital aus der körperlichen Überlegenheit schlagen und geht nach 102 Minuten durch Simon Hedlund in Führung, welche es nun nur noch souverän verteidigend über die Zeit zu retten gilt. Pustekuchen. Nach 112 Minuten muss Mesenhöler noch einmal in höchster Not retten, aber dann ist es auch zur Erleichterung aller geschafft. Durchatmen. Fußball ist ein Ergebnissport. Abhaken. Und so endet Teil 1 des Sommerurlaubs mit folgender wohlklingender Erkenntnis: Nur noch fünf Siege bis zum Fick-Dich-DFB-Pokalsieg und immer noch ’ne Woche Urlaub auf der Uhr! /hvg

06.08.2017 AC Cesena – Sambenedettese Calcio 2:1 (1:0) / Stadio Dino Manuzzi / 3.426 Zs.

Die Planung des Sommerurlaubs stellt jedes Jahr eine neuerliche Herausforderung dar. Eine Herausforderung, die mir alljährlich großen Spaß bereitet. Sobald die Zeitspanne des Urlaubs feststeht, beginnt das Warten. Das Warten auf den DFL-Rahmenterminplan, die Auslosung des DFB-Pokals und letztlich die zeitgenauen Terminierungen der ersten Saisonspiele. So ergibt sich ein wunderbares Spiel, bei dem sich Woche um Woche ein Puzzlestück zum nächsten gesellt. Am Ende bleibt ein Kampf mit allen Billigfluglinien Mitteleuropas, ein virtuelles Wälzen europäischer Landkarten und ein Blättern durch alle Spielpläne Südwesteuropas. Und am Ende kommt immer eine Route zustande, die einem die Freudentränen in die Augen treibt (z.B. im Jahre 2017: Berlin-Bergamo-Rimini-Cesena-Rimini-Bergamo-Luxembourg-Saarbrücken-Völklingen-Berlin-Málaga-Nürnberg-Berlin).

Bei so einem Wust an Flug-, Zug- und Busverbindungen wartet man dann auch förmlich darauf, dass irgendetwas schiefgeht. Dass es mich jedoch so früh erwischt, war nicht zu erwarten. So stehe ich also am Abreisetag Samstag morgens am S-Bahnhof Frankfurter Allee und muss (NACHDEM ich mein C-Anschlussticket entwertet habe) kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen, dass die einzige (!) S-Bahn, die mich pünktlich zum Flughafen befördert hätte, soeben ersatzlos gestrichen wurde. Nehmen mir stöhnen zwei alleinreisende junge Männer mit Rollkoffern lautstark auf. Schnell haben wir uns zusammengeschlossen und den Plan ausgeheckt, ein Taxi zu teilen. Die 39 € Fahrgeld werden solidarisch zu gleichen Teilen vom ungarischen Sales Operator, dem bayerischen Business Consultant und meiner Person geschultert. Die beiden haben sicherlich auch spannende Berufe, aber auch die Geschichten aus meinem Arbeitsalltag wissen die beiden zu überzeugen. Unsteter Lebenswandel, Strukturlosigkeit, Sozialphobien und Alkoholmissbrauch. Und dabei hat die Zeit noch nicht einmal gereicht, um auch über meine Klienten zu sprechen.

Nachdem der Flug nach Bergamo wie im Flug vergangen ist, steige ich beschwingt aus dem Bus, der mich für 2,30 € zum wiederholten Male in die Innenstadt befördert hat. Dieses Mal rennt mir jedoch ein freundlicher italienischer Herr hinterher, der mir mein Handy, welches ich auf meinem Platz liegen gelassen habe, nachträgt. Grazie Mille! Mein Kopf scheint bereits ausgeschaltet, der Urlaub kann also kommen. Bei 35 Grad checke ich in meiner Übergangsbleibe ein und treffe auf den wohl unfreundlichsten Rezeptionisten aller Zeiten. Am Ende des locker-flockigen Aufgalopps in meinen Zwischenstopp wird er mich, nachdem er über polnische Familiennamen hergezogen ist und sich über die lokalen Taxiunternehmen ausgelassen hat, noch fragen, ob ich morgen etwas frühstücken wolle. Da mein Zug bereits um 6.00 Uhr in Richtung Bologna abfahren wird, verneine ich mit Hinweis auf meine frühe Abreise dankend. „At this Time, nobody would have made you breakfast anyways!“, tritt er vergnügt nach. Meinen Geschmack hat der gute Mann getroffen und ich verlasse aufgrund dieser gesunden Portion Misanthropie ausgelassen die Lobby.

Für zusätzliche Entzückung sorgt kurz darauf die Eisenbahnromantik, die sich mit Blick aus meinem Fenster auftut. „Verkehrsgünstige Lage“, könnte man in den Katalog schreiben. Oder aber ehrlicher: Hier haben Sie das Gefühl, der Zug würde direkt durch Ihr Bett fahren. Schön, wirklich sehr schön!

Am nächsten Morgen starte ich in das Unterfangen, mir mit etwas Kleingeld ein mit Salami belegtes Brötchen aus einem Automaten zu ziehen. Klar, dass sich dieses nun, da vom Cateringverlierer bezahlt und begehrt, verkantet und nicht in die zur Entnahme vorgesehene Klappe hinunterfällt. Nebenan beobachten zwei Afrikanerinnen das Szenario skeptisch. Ich fluche, zunächst auf Deutsch, füge dann aber die in den Stadien der Serie A, B und C erlernten italienischen Ausdrücke hinzu, um die beiden Grazien eindrücklich davon abzuhalten, auch ihr Geld einem funktionslosen Automaten zum Fraß vorzuwerfen. Die noch zierlichere der beiden löst das Problem dann mit einem gezielten Handkantenschlag gegen die Maschine, woraufhin mir das Brötchen beinahe direkt auf die Füße fällt. Grazie Mille, schon wieder.

Im Frecciargento nach Bologna wird Fetti, wie bereits im ICE von Berlin nach Ingolstadt vor wenigen Tagen, von der Aircondition auf „angenehme“ 12 Grad schockgefrostet. Naja, hält er sich länger.

Die Regionalbahn von Bologna nach Rimini ist dann auf der Komfortskala auch nicht am anderen Ende zu verorten, da diese nicht zu sehr, sondern eben gar nicht klimatisiert und zudem hoffnungslos überfüllt ist. Fetti sitzt zwischen den Abteilen auf dem Fußboden, trinkt ein Moretti aus einer 0,66 Liter Flasche und braust voller Vorfreude am Stadion des AC Cesena vorbei, welches knapp 20 Minuten von Rimini entfernt direkt an der Bahntrasse liegt.

Kurz darauf hat er in seinem kleinen Familienhotel in Rimini eingechecked und sich einen Überblick verschafft. Oh ja, derart strandnah gebettet wird man die nächsten sieben Tage überstehen können. Und dann ist es auch bereits an der Zeit, direkt den Rückweg nach Cesena anzutreten, da bereits am Tag der Anreise ein Spiel der Coppa Italia zwischen dem AC Cesena und Sambenedettese Calcio ansteht.

Der erste Weg in Cesena führt mich vom Bahnhof zum Stadion des AC, welches dem Zeitgeist der Professionalisierung entsprechend über einen Sponsorennamen verfügt. Sympathischer kommt da schon das Logo des Clubs daher, welches ein Seepferdchen ziert, welches den Spitznamen „Cavallucci Marini“ zur Folge hat. Bereits fünfeinhalb Stunden vor Anpfiff hat eine Vorverkaufsstelle geöffnet. Ich trete in ein kurzes Gespräch mit einem lokalen Tifoso ein, der mich darauf hinweist, dass heute maximal 5.000 Zuschauer zu erwarten wären, da sich momentan alle Ragazzi im Urlaub befänden. Normalerweise besuchen die Spiele des Serie B Clubs angeblich 15.000 Menschen, was ich zunächst zwar in Frage stelle, später aber aufgrund der Angabe auf der Website, dass bereits über 9.000 Dauerkarten verkauft worden wären, glaubhaft finde. Als ich dem abfahrbereit auf der Vespa sitzenden Fan auf Nachfrage erzähle, dass ich Urlaub in Rimini mache, ist die Konversation recht schnell beendet. Nun ja, man kann sich jetzt auch nicht über alle Rivalitäten Italiens im Vorfeld einer solchen Reise belesen…

Für faire 12 € halte ich kurz darauf mein personengebundenes Ticket in den Händen und kann mich dem Sightseeing zuwenden, welches direkt mit einem absoluten Höhepunkt beginnt. Sitzt doch da tatsächlich ein alter Mann in seinem Auto an der roten Ampel und schläft. Ich beobachte die Szenerie zunächst amüsiert, ab der dritten Ampelphase dann zunehmend besorgt, bin dann aber erleichtert, als der Greis seinen uralten FIAT bei der fünften oder sechsten Grünlichteinheit von der Kreuzung bewegt. Schöner Ort für eine kurze Siesta!

Die Stadt hat optisch einiges zu bieten, wirkt bei über 35 Grad in der prallen Sonne (sonntags, in den Ferien) allerdings auch hoffnungslos ausgestorben. Die alten Bauten laden zum Fotografieren ein, die leeren und geschlossenen Restaurants und Straßencafés leider keineswegs zum Verweilen. In letzter Sekunde kann ein Getränkeautomat Fetti vor dem Verdursten retten. San Benedetto Thé – immer wieder ein Genuss.

Am Abend hat die Sonne ein Erbarmen und lässt ein wenig nach. Gegen 18.30 Uhr zeigt das Thermometer der Apotheke im gleißenden Sonnenlicht allerdings noch immer etwas unglaubwürdige 38 Grad Celcius an und Fetti schleppt sich wieder zurück in Richtung Fußballstadion. Dort hat er beim Umrunden der Spielstätte auf dem Weg zur Gegengerade das Vergnügen, Spalier durch die heimische Fanszene zu laufen. Die heimischen Ultras trinken sich bereits mit ihren Freunden des Commando Cannstatt warm. Gar nicht mal so angenehm.

Das Stadion hingegen ist eine echte Augenweide. Die Haupttribüne ist ein wenig in die Jahre gekommen, aber genau wie die drei anderen Tribünen überdacht und nahe am Rasen. Auch die beiden Hintertortribünen sind nahe am Geschehen und dazu mit sehr hohen Stehplatzanteilen konzipiert. Kurzum: Ein echtes Fußballstadion, das es zwingend zu kreuzen gilt.

Die Gäste aus Sambenedettese haben auch gut und gerne 250 sangesfreudige Ultras mitgebracht, die mit Unterstützung der Schickeria München ihre Farben in diesem Pokalwettbewerb mit seinem unsäglichen Modus (Außenseiter müssen zunächst durch die Qualifikation, starten dann auswärts bei gesetzten höherklassigen Teams, während die Erstligisten erst wesentlich später in den Wettbewerb einsteigen und in der entscheidenden Phase des Turniers ein einsetzender Modus aus Hin- und Rückspiel ohnehin dafür sorgt, dass die Großen letztlich leichtes Spiel haben) vertreten werden. Im Halbdunkel bereiten sich die Spieler beider Teams auf die Partie vor. Ökonomisch bedacht wird erst 20 Minuten vor dem Anpfiff das Flutlicht eingeschaltet und dank der Gesänge beider Fangruppen kommt so etwas wie Atmosphäre auf, auch wenn sich am Ende lediglich knapp 3.500 Fans im weiten Rund einfinden werden. Durch die hohe Dichte an geschlossenen Gaststätten in der Stadt bin ich nun gezwungen, der Stadiongastronomie einen Besuch abzustatten. Ein Estrella Damm aus der Dose gibt es für sportliche 3 € zu kaufen und zu Essen steht heute – außer einem kleinen Snack für 1,50 € – leider nichts auf der Speisekarte. Der nette Mensch hinter der Theke sagt, ich hätte die Wahl zwischen zwei Sorten Chips, woraufhin er in seiner Kiste kramt und feststellen muss, dass es sich bei der einen Sorte um Popcorn handelt. Na dann die Kartoffeln für den Tedesco, bitte.

Das Spiel beginnt überaus lebhaft und, dem Zeitgeist der Professionalisierung überhaupt nicht entsprechend, drei Minuten zu früh. Der Außenseiter aus San Bendetto del Tronto in blau-rot kommt stürmisch aus den Kabinen und kann erste Akzente setzen. Ich habe beste Sicht auf Höhe der Mittellinie und beobachte Spiel und aktive Stimmungskerne beider Hintertortribünen gleichermaßen. Wahrlich, es gibt eine Menge zu beäugen – bei den Gästen sogar dies und das an pyrotechnischen Erzeugnissen, die immer wieder zwischendurch am Rand des Mobs entfacht werden. Politisch scheint sich die Kurve relativ weit am linken Rand zu bewegen, worauf die Melodie der Hymne der Sowjetunion hindeutet, die hier mit einem neuen Text zum Besten gegeben wird.

Die linke Außenbahn (aus Sicht der Heimmannschaft) ist nicht gänzlich ausgeleuchtet und so kommt es, dass der Flügelstürmer Cesenas unbeachtet von seinen Mitspielern seine Kreise im Schatten des Tribünendachs zieht. Nach und nach gewinnt der klassenhöher spielende Favorit die Überhand, kann nach 16 Minuten durch Karim Laribi per Elfmeter in Führung gehen und versäumt es im Anschluss, die Führung auszubauen. Recht gute Gelegenheiten werden in der 34. und 41. Minute ausgelassen und so behält der Spielstand bis zum Pausenpfiff seine Gültigkeit.

In der Halbzeitpause verzichtet die Stadionregie auf das Einspielen von Werbung, Musik und sonstigen Störfaktoren. Ein unnachahmliches Gemurmel setzt ein – in Italien hat man sich immer viel zu erzählen. Auch der Ersatztorwart der Heimmannschaft ist mit diesem italienischen Grundbedürfnis ausgestattet und geht seinerseits in den entspannten Smalltalk mit einigen Zuschauern an der Außenlinie.

Die zweite Halbzeit beginnt mit einem Aufreger, doch leider lassen die Gäste nach nur wenigen gespielten Sekunden die große Chance auf den Ausgleich liegen. Es hätte dem weiteren Spielverlauf sicherlich gut getan, wäre der Kopfball des Sambenedettese-Stürmers aus Nahdistanz nicht vom Schlussmann vereitelt worden. Dieses Warnsignal haben die Spieler aus Cesena verstanden und reagieren blendend, indem sie nun deutlicher ihre Überlegenheit auf den Platz bringen. Für eine Verlängerung ist es auch wirklich zu warm.

Mit einem wunderbaren Distanzschuss, hart und platziert, entscheidet Vita nach 55 Minuten das Duell vor. Da applaudieren gar einige schwarzafrikanische Ordner, die mit ihren gelben Bauarbeiterhelmen mit dem Rücken zum Spielfeld sitzend hierbei doch ein einigermaßen obskures Bild abgeben. Ein Großteil der Zuschauer setzt emotional bereits einen Haken hinter diese Partie, doch schnell werden sie eines Besseren belehrt, da sich der tapfere Drittligist nicht aufgibt und weiterhin mehr als nur andeutet, dass auch sie des Fußballspielens mächtig sind. Zwei-Drei gute Ansätze später ist dann auch ein Torabschluss gelungen, der um ein Haar etwas zählbares nach sich gezogen hätte, leider aber an der Querlatte endet (62.).

Nach 70 Minuten trudelt das Spiel dann etwas ereignisärmer dem vorauszusehenden Ende entgegen. Ich schiele nun immer häufiger auf die Uhr, da die Regionalbahntaktung von Cesena nach Rimini zu solch später Stunde etwas zu wünschen übrig lässt. Um die vorletzte Zugverbindung des heutigen Abends zu erwischen, müsste ich in etwa fünf bis zehn Minuten aufbrechen. Nach kurzer Zeit der Überlegung und mit dem sehnlichen Wunsch ausgestattet, die Nacht in meinem Hotel und nicht am Bahnhof zu verbringen, entscheide ich mich, das Stadion bereits vor Abpfiff zu verlassen.

Kaum habe ich den Fußweg angetreten, erschallt plötzlich von hinten ein Torjubel, der mich durch die engen Straßen verfolgt. Am Bahnhof angekommen (22.46 Uhr), folgt umgehend die Durchsage, dass der Zug nach Rimini 50 Minuten Verspätung haben wird. Neben mir brechen zwei dicke Frauen aus Westfalen zusammen und beschweren sich in breitem Dorfdialekt über die Unzuverlässigkeit der Italiener und wie furchtbar überhaupt doch alles in diesem Land sei. Haltet durch Mädels, ab morgen könnt ihr in eurer 5-Sterne-Bettenburg sicherlich jeden Tag Schnitzel fressen…

… denke ich mir, hole mir im gegenüberliegenden Spätverkauffachgeschäft ein weiteres Moretti und genieße die Abenddämmerung auf dem Binario Due. Um 23.05 Uhr erfolgt dann die überraschende Durchsage, dass der Zug nach Rimini in wenigen Augenblicken auf Binario Uno einfahren würde. Hocherfreut über diese Nachricht begebe ich mich zur Sottopassaggio, während die dicken Frauen in stoischer Ruhe sitzen bleiben. Das schlimmste an Italien ist, dass niemand deutsch spricht und dass alle Durchsagen nur auf italienisch versendet werden, werden sie hinterher sagen.

Ich jedenfalls verzichte darauf, die beiden über die Zugeinfahrt zu informieren, da ich nicht als Sozialarbeiter, sondern als Menschenfeind reise. Kaum habe ich in meinem eingefahrenen Zug am Fenster mit bester Sicht auf die beiden Landpomeranzen Platz genommen, ist auch endlich bei den beiden der Groschen gefallen und sie setzen sich, so gut sie können, ihre riesigen Koffer hinter sich herziehend, in Bewegung. Specktakulär! Große Freude habe ich damit, dass der Zug just in dem Moment anfährt, in dem sich die beiden Vorzeigedeutschen schwitzend, schnaufend, schleppend, meckernd die Treppen hinauf gekämpft haben und denke mir plötzlich: Doch auf das richtige Pferd gesetzt! Viel schöner kann das Tor von Valente in der 90. Minute nun auch nicht gewesen sein…

Während meines Urlaubs gelingt es mir dann, die wenigen Ecken Riminis zu finden, die touristisch nicht völlig ausgeschlachtet sind. Nach diversen Kämpfen mit verschiedenen Strandabschnittsbevollmächtigten, die das Sonnenbaden ohne Zahlung eines Entgelts zu verhindern wissen, habe ich irgendwann auch einen „Privatstrand“ gefunden, an dem ich meine Ruhe habe. Im Musikfernsehen und im Radio laufen zwei Songs auf Dauerrotation und werden zu quälenden Ohrwürmern, wobei einer der beiden ein wirklich tolles Video mit atemberaubenden Schauplätzen vorweisen kann und der andere nach Abklingen der Urlaubslaune zu einem Popsong der Marke Pezzo di Merda wird. Das Fußballstadion des örtlichen Clubs wird besichtigt und auch der Altstadtkern Riminis ist wirklich sehenswert. Die schönste Urlaubserinnerung wird jedoch der gut einstündige Strandspaziergang zum „Macron Store Rimini“ bleiben, in dem ich mir ein Trikot von Rimini Calcio käuflich zu erwerben gedenke. Leider ist das Geschäft dann unerwarteterweise nur in etwa so groß wie mein Wohnzimmer und bietet neben unbedrucktem Teamwear lediglich drei einzelne Trikots zum Kauf an: S.S. Lazio, Albanien, TSV 1860 München. Als wäre diese Mischung des Teufels nicht schon grotesk genug gewesen, beginnt im Hintergrund eine depperte deutsche Familie mit einem Mitarbeiter zu diskutieren. Dieser hatte sich nämlich anfangs geweigert, das gefälschte Juventus-Trikot vom Touristrich nebenan (mit einigen Bars mit wunderbaren deutschfeindlichen riminihilistischen Verbotsschildern) mit einer Macron-Nummer zu beflocken. Aber wenn schon stillos, dann richtig, denkt sich der Deutsche und so gibt der adrette Italiener am Ende kopfschüttelnd klein bei und lässt den Kunden König sein. Da wird der beschenkte Junge auf dem Schulhof richtig Spaß haben!

Am Ende des ersten Teils des Sommerurlaubs begebe ich mich wieder in meinen Wust aus Bahn-, Bus- und Flugverbindungen. Mein Weg führt mich via Bergamo und Luxembourg in das Saarland, in dem der 1.FC Union im DFB-Pokal den 1.FCS hoffentlich Völklinks liegen lassen wird. Und sollte das schiefgehen, dann tröste ich mich im Anschluss halt mit dem zweiten Teil meines Sommerurlaubs. /hvg

28.07.2017 Hertha BSC II – Club Italia 1980 Berlino 9:0 (5:0) / Stadion auf dem Wurfplatz / 650 Zs.

Die schönsten Spiele sind ja die, von denen man gar nicht weiß, dass es sie überhaupt gibt. Ich jedenfalls sitze am 28.07. an meinem freien Ferienfreitag entspannt bei der Oma am Mittagstisch, lasse mir einen leichten Schmorbraten mit Rotkohl und Klößen sowie ein Berliner Kindl schmecken, als plötzlich ihr uraltes Telefon im Flur schellt. Am anderen Ende der Leitung: mein Vater. Als aufmerksames Familienoberhaupt weiß er natürlich, dass ich heute einen Termin mit seiner Mutter habe. Schön, dass er nun seiner Chronistenpflicht nachkommt und mich darauf hinweist, dass heute Abend ein kurzfristig einberufenes Testspiel zwischen Hertha BSC und Club Italia im Amateurstadion stattfinden wird. Er habe sich entschieden, dem Spiel einen Besuch abzustatten, auch weil es keinen Eintritt zu berappen gilt. Die schönsten Spiele sind ja die, für die man nichts bezahlen muss!

Da ich den Club Italia mit Thomas Hässler an der Seitenlinie in dieser Saison eh besuchen wollte und auch das Stadion am Wurfplatz, wie der Spielort offiziell heißt, noch nicht gekreuzt habe, sage ich genauso spontan zu, wie ich von der Partie überhaupt erst erfahren habe.

Bei angenehmen 23 Grad betreten beide Mannschaften um 18.00 Uhr das Feld. Die Zeugwarte der Clubs haben ganze Arbeit geleistet und so wird gleich blau-weiß gestreift (Hertha) auf blau-weiß halluzinierend ineinander verdreht (Italia) treffen und der geneigte Zuschauer weiß plötzlich, warum man heute nichts bezahlen muss. Kannste eh nicht erkennen, wer wer ist. Und an die armen Menschen daheim, die noch schwarz-weiß Fernseher ihr Eigen nennen, denkt ohnehin schon lange niemand mehr.

Hertha BSC lässt heute die U23 auflaufen und verstärkt diese mit Spielern der ersten Mannschaft, die auch morgen beim großen Testspiel gegen den Liverpool FC keine Rolle spielen werden. Man muss kein großer Hertha-Insider sein, um zu erkennen, dass die Zeichen bei Sinan Kurt, Genki Haraguchi und Valentin Stocker deutlich auf Abschied stehen, wenn sie heute bei diesem nichtigen Kick gegen den Landesligisten ihre Knochen hinhalten müssen.

Nach sechs Minuten spielt es schon keine Rolle mehr, dass man die Mannschaften aufgrund ihrer Trikots nicht auseinanderhalten kann. Es hat sich in der optischen Wahrnehmung die relativ einfache Lösung ergeben, dass die eine Mannschaft, die Fußball spielen kann und angreift, die Hertha ist und die hoffnungslos unterlegenen Statisten, die den Ball aus dem eigenen Netz holen, dem Club Italia angehören. Nach Toren von Haraguchi und Kade steht es schnell 2:0 und auch aufgrund eines weiteren Lattentreffers in der Anfangsphase bahnt sich für die kleinen Italiener hier ein Debakel an.

Die drei Profispieler werden zu den auffälligsten Akteuren auf dem Platz und ragen aus einer technisch versierten und athletisch starken Herthatruppe heraus. Auf der anderen Seite gibt der Club Italia, offenbar ohne „Icke“ angereist, ein erbärmliches Bild ab. Der Torwart lässt bereits nach zehn Minuten einen Abwehrspieler die Abschläge vom Boden ausführen, da er bei den ersten Rückpässen nachdrücklich unter Beweis gestellt hat, dass er seine Füße ausschließlich zum darauf Stehen nutzen kann. Im Mittelfeld geht jeder Zweikampf verloren, Bälle werden kläglich verstolpert, Fehlpass reiht sich an Fehlpass. Klar, dass ein Siebtligist das Tempo eines verstärkten Regionalligisten nicht mitgehen kann, aber etwas mehr Qualität hatte ich mir dann von dem selbsternannten Aufstiegsaspiranten und künftigen Big-Player-Berlins dann doch erhofft.

Nach elf Minuten erhöht Stocker auf 3:0 und bis zur Halbzeit haben Haraguchi (35.) und Stocker (37.), auf Vorlage des jeweils anderen, eine komfortable 5:0 Führung heraus geschossen. Die beiden letzteren Treffer fallen übrigens kurz nachdem Herthas Panzu Ernesto de Angelo das Kunststück fertig gebracht hatte, den Ball aus fünf Metern am leeren Tor vorbeizuschießen und so für gellendes Gelächter innerhalb der schwarzen Community auf der Tribüne sorgen konnte (29.). Nach einer halben Stunde nimmt Pál Dárdai erste Wechsel vor und bringt u.a. seinen Sohn Palko in das Spiel. In der Pause setzt sich das Wechselspiel dann munter fort und so verlassen auch die alles überragenden Stocker und Haraguchi das Feld.

In der zweiten Halbzeit bleibt das Gefühl bestehen, dass Hertha immer dann spielend leicht zu Torerfolgen kommt, wenn das Tempo etwas angezogen wird. Oder etwas banaler: Wenn Hertha will, dann klingelt es. Die Spieler des Club Italia trotten mit hängenden Köpfen und erbärmlicher Körpersprache ihren viel zu schnellen Gegenspielern hinterher. Sinan Kurt, der durchspielen muss und daher vermutlich noch weiter vom Bundesligakader entfernt ist als Stocker und Haraguchi, erhöht per Abstauber auf 6:0. Zografakis, Beyer und Fuchs schrauben das Ergebnis in die Höhe, doch keinem Hertha-Akteur mag es letztlich gelingen, für ein zweistelliges Ergebnis zu sorgen.

Neben Sinan Kurt spielt ansonsten lediglich Herthas Torwart durch, der sich aktuell im Probetraining für die U23 befindet. Luis Maria Zwick, gebürtiger Berliner, blickt auf immerhin 13 Einsätze in der schottischen Premiership für den Dundee FC zurück, saß aber bei unserem Schottland-Besuch im Dezember 2015 leider, wie so oft in seiner Karriere, im Tynecastle Stadium zu Edinburgh nur auf der Bank. Dennoch eine interessante Personalie, wie ich finde.

Beim Spaziergang zum S-Bahnhof Olympiastadion erfreut mich eine wunderbare Anti-Hertha-Schmiererei auf dem Gehweg. Scheiß Hertha BSC! Und so setze ich in der schönen Gewissheit, dass dieser Bericht nicht zu Hertha-positiv daherkommt und ich das Amateurstadion niemals besuchen werden muss, wenn solch geistige Hungertruppen wie Babelsberg, Cottbus oder LOK zu Gast sind, einen Haken hinter diesen gelungenen spontanen Freitag. /hvg

16.07.2017 NK Rudar Velenje – NK Domžale 2:1 (1:1) / Mestni stadion Ob jezeru / 850 Zs.

Für unseren ersten Slowenien-Aufenthalt wählte ich als Basis vor der Reise das Städtchen Velenje aus. Geografisch liegt es sehr günstig, so sind Maribor eine Stunde, Ljubljana eineinhalb und Celje nur eine halbe Stunde entfernt. Ich versuche immer gern, einen schönen Zeltplatz in Stadionnähe zu finden und dieser liegt zusätzlich genau am Velenje-See (geflutete Abbaggergrube). Auch die zweieinhalb Stunden Fahrt aus Hirschegg passen ebenfalls gut in den Zeitplan. Erst deutlich später, ich schwöre – oder wa-llāh, wie man am Kotti sagen würde – fällt mir auf, dass der NK Rudar Velenje in der erstklassigen „Slovensko Nogometna Liga“ spielt und an unserem Anreisetag zufällig ein Heimspiel am ersten Spieltag gegen den NK Domžale stattfindet. Klar, dass schleunigst ein spontaner Besuch geplant wird, auch wenn das „Jottwede“ sinngemäß warnt, „man solle (fußballerisch) um Slowenien einen großen Bogen machen, außer wenn die Partie NK Maribor – NK Olimpia Ljubljana heißt oder international gespielt wird“.
Naja, ganz so übel wird es schon nicht werden!

Velenje hieß bis 1991 „Titovo Velenje“ und irgendwo in der Stadt gibt es auch eine Tito-Statue, die wir aber aufgrund der Hitze nur halbherzig suchen und dann doch eher dem kühlen Nass und dem Biertrinken im Schatten den Vorzug geben. Velenje ist ansonsten für den Abbau von Lignit bekannt. Lignit ist minderwertige Braunkohle und hat nur einen geringen Heizwert und fatalerweise entsteht während der Verfeuerung sehr viel Schwefeldioxid. Trotz alledem deckt Ljubljana damit den größten Teil seines Fernwärmebedarfs. Die Zeche ist auch nicht weit vom Zeltplatz entfernt und so weht, bei ungünstigem Wind, ein recht unangenehmer Geruch herüber. Am Bergbau ist natürlich nicht alles schlecht, besonders wenn Schicht im Schacht ist. So entstanden hier durch die Rekultivierung und Revitalisierung der ehemaligen Abbauflächen gleich drei Seen (Velenjsko-, Družmirsko- und Škalsko-Jezero).

Wer sich schon einmal fragte, woher die zuverlässige, aber preiswerte Waschmaschine der Marke „Gorenje“ stammt, dem sei gesagt, dass „Gorenje“ eine Haushaltsgerätefirma aus Slowenien ist, genauer gesagt aus Velenje, mit Sitz unweit unseres Zeltplatzes. Der kommunikative Zeltplatzleiter – nein, dieses Mal kein Niederländer – berichtet nach dem Perso-Check inklusive Kenntnisnahme unserer Heimatstadt, dass sein guter Freund im September zur IFA fahren wird, um die Marke zu präsentieren, womit sich für Nadjuschka aufgrund ihrer Diensttätigkeit der Kreis schließt. Und nein, Eintrittskarten für die Venus hat sie nicht.

Das Stadion ist fußläufig vom Zeltplatz entfernt. Es liegt am kleinsten der drei Seen, dem Škalsko-Jezero und wir müssen nur dem Uferweg folgen, um nach 20 Minuen das Mestni stadion Ob jezeru, frei übersetzt „Stadion der Stadt am See“, zu erreichen.

Im minimalsten Fanshop wird uns auf unsere Trikotanfrage ein Langarmtrikot der Saison 2015/16 von Jaka Ihbeisheh (#23) für 20 € angeboten. Dieser ist ein in Ljubljana geborener aktueller Nationalspieler Palästinas, welcher anderthalb Jahre hier spielte und aktuell bei Police Tero FC in Thailand unter Vertrag steht. Am Ende zahlen wir, nachdem die Kassiererin wie wild mehrere Tasten der Registrierkasse gedrückt hat, nur noch 15,29 € für das Jersey und die Angestellte gibt uns noch einige slowenische Vokabeln mit auf den Weg, welche wir aber leider schon nach Verlassen des Geschäfts wieder vergessen, bis auf das Wort „Hvala“(Danke), weil es so ähnlich klingt wie das oben erwähnte „wa-llāh“.

Für faire 5 € betreten wir das Stadion, welches aus einer Haupttribüne mit wurmstichigen Holztreppen und einer Hintertor-Stehtribüne mit ein paar Stufen besteht, welche in einen Grashang hineingesetzt wurden. Dort hinter befindet sich ein großes „Ultras Velenje“ Graffiti, allerdings ist von den „Velenjski Knapi 1996“ im Stadion selbst nichts zu sehen. Anstattdessen gibt es noch eine Anzeigetafel zu sehen, welche per Hand betrieben wird. Der ältere Herr, der dies tut, döst im Schatten daneben. Eine Gegengrade gibt es nicht, sodass ungestörte Sicht auf Auswechselbänke und Sprecherturm besteht.

Da der Weg bei der Hitze recht beschwerlich war und das Vokabelnpauken im Fanshop ebenso, sind wir natürlich durstig, daher mache ich mich auf die Suche nach einem Bierstand. Leider erfolglos, ist mir vorher schon aufgefallen, dass niemand im Stadion isst oder trinkt, ist es jetzt Gewissheit, es gibt kein Catering, dafür nur Verlierer.

Der Nogometni Klub Rudar Velenje wurde 1948 gegründet. 1977 wurde er slowenischer Fußballmeister und qualifizierte sich dank dieses Triumphes für die zweite jugoslawische Fußballliga, welcher der Verein bis 1982 angehörte. Diese Meisterschaft und die Zeit des qualitativ wohl hochwertigsten Fußballs in Velenje während des kalten Krieges verschweigt die offizielle Website des Vereins übrigens ebenso wie den Pokaltriumph 1980. Mit den Titeln und Erfolgen, die während der Unterjochung Jugoslawiens gefeiert wurden, will man heutzutage ganz offenbar nichts zu tun haben. Stolz ist man hingegen auf die slowenische Meisterschaft von 1991 – die letzte vor dem Zerfall Jugoslawiens und vor der endgültigen Eigenständigkeit der slowenischen Liga. Dieser gehört Velenje, abgesehen von einer kurzen Zeit der Zweitklassigkeit, seitdem ununterbrochen an. Der größte Erfolg der Vereinsgeschichte ist der Pokalsieg von 1998, ansonsten wurde, „Dank“ der Übermacht der Clubs aus Maribor und Ljubljana nichts weiter gerissen.

Bekannte Persönlichkeiten, die im „Mestni stadion Ob jezeru“ wirkten, sind Bojan Prašnikar (seine zweite Amtszeit in Velenje schloss an seinen Rauswurf bei Energie Cottbus an – zum wievielten Mal starb die Region damals eigentlich?), dessen Sohn Luka und der spätere „Pummel-Profi“ Klemen Lavrič.

Velenjes Gegner aus Domžale ist amtierender Pokalsieger (sensationelles 1:0 gegen Ljubiljana in Koper) und spielt daher in der Europa-League-Quali, eliminierte dort in der ersten Runde Flora Tallinn und spielt aktuell in Runde zwei gegen Valur Reykjavík. Dort gewannen sie vor drei Tagen 2:1 und das Rückspiel werden wir im nah gelegenen Domžale wohl besuchen können.

Der Gast rotiert daher heute auf einigen Positionen und hat anfangs trotzdem mehr vom Spiel. Mehrere Torabschlüsse der Gäste, darunter ein Heber und ein Schuss nach einer schönen Einzelaktion, verfehlen das Tor nur sehr, sehr knapp. Den Treffer erzielt aber Rudar nach einer halben Stunde, Tučić trifft mit dem Kopf, vorher hatte Domžale den Ball nicht klären können. Dank dieser Nachlässigkeit kommen wir in den „Genuss“ der Tormusik. Diese ist ein wildes Akkordeon Lied, was zum ersten Mal an diesem Tage die Haupttribüne zum Ausrasten bringt. Was natürlich nachvollziehbar ist, da mir bekannt ist, dass Nejc Pačnik, seines Zeichens Akkordeon-Weltmeister von 2015 auf der steirischen Harmonika, aus der Nähe von Velenje stammt.

Der Ausgleich fällt keine fünf Minuten später: Eine Flanke zentral vor den Sechzehner möchte Rudar Keeper Matej Radan klären, allerdings schlägt dieser am Ball vorbei, welcher unbehelligt in den Strafraum rollt, wo ihn sich Franjić schnappt und den Ausgleich erzielt. Rudar hat danach noch zwei Chancen, lässt beide aber ungenutzt. Da wir sehen, dass sich mit dem Halbzeitpfiff die komplette Belegschaft der Haupttribüne zu den Ausgängen bewegt und wir sowieso unseren Platz wechseln wollten, folgen wir der Meute nach draußen. Und siehe da, es gibt einen Bierstand! Dort bestelle ich zwei Büchsen Laško für uns, welche wir uns in der Halbzeit rein prügeln, da einige grimmige Polizisten und zwei alte Ordner kontrollieren, dass niemand mit Bier in der Hand wieder ins Stadion gelangt.

Wir positionieren uns danach neben der Haupttribüne, dies hat den Vorteil, dass wir noch die letzten Sonnenstrahlen abkriegen und wir können so auch vor der älteren Dame ohne Zähne flüchten, welche uns mit ihrem Gekreische und Gebrüll im ersten Spielabschnitt doch arg stresste.

In der zweiten Hälfte gibt es Chancen auf beiden Seiten. Domžale wirkt zum Ende müde und so ist es Novak, der kurz vor Schluss (88. Minute) mit einem Gewaltschuss, nach vorheriger schöner Körpertäuschung, den Ball unter die Latte hämmert. Der Ball springt zwar wieder aus dem Tor, aber der Schiedsrichter entscheidet, den Treffer anzuerkennen. Danach setzt natürlich wieder die übliche Tormusik ein und auf der Haupttribüne wird vor Freude getanzt und dabei auch „Luft-Akkordeon“ gespielt.

Mit dem Abpfiff verlassen wir das Stadion, kehren noch in unserer Zeltplatzkneipe ein und stoßen mit Union-Bier aus Ljubljana vom Fass an, um zu testen, ob uns dieses besser schmeckt als das aus der Dose, welches Hoolger aus Maribor mitgebracht hatte und durch unsere strenge Biersommelier-Wertung gefallen war. Aber nein, in Slowenien nur Laško und in Berlin nur Union! /hool

13.07.2017 FK Sturm Graz – FK Mladost Podgorica 0:1 (0:1) / Liebenauer Stadion / 7.109 Zs.

Nachdem Nadjuschka den Hoolger mit diversen „Villacher Märzen“ niedergerungen hat und wir ihn mit Regenschirmen sicher und trocken zu seinem Zimmer geleitet haben, heißt es auch für uns, Erwin, nach Schirmrückgabe, zu verlassen. Da es für mich am Abend leider nur „Rohrschnaps“ gab, liegt es heute mal an mir, den Tschenbentley durch Gewitter und Nebel in Richtung unseres Zeltplatzes zu steuern. Angenehm ist anders.

Dieser liegt nicht weit von Graz entfernt. Neben Orten wie Pack und Edelschrott („Grüß Gott in Edelschrott“) liegt das idyllische Hirschegg, welches sich am Aushang des Camping-Sanitärhauses selbstbewusst als zweitschönstes Blumen-Bergdorf bewirbt. Die spielfreie Zeit nach unserem Wolfsberg-Ausflug verbringen wir mit Biertrinken im Dorfcafé („Gut, besser, Gösser“), Baden im Rudolfteich, Sonnenbaden, kleinen Runden Tischtennis an der oft geschlossenen Teichkneipe und leichtem Wandern. Allerdings bereitet Wandern bei ca. 28°C nur bedingt Spaß und wenn nun mal nicht der Weg das Ziel ist, sondern die Wirtschaft und diese dann geschlossen hat, hinterfragt man sein Handeln sehr wohl.

Unser Campingplatz wird, wie auch schon letztes Jahr in Litauen, von einem Niederländer geführt. Dieser ist aber kein Fußballfan, sondern Formel 1 Anhänger, im Speziellen von Landsmann Max Verstappen. Er erzählt begeistert vom zurückliegenden Wochenende, als der komplette Platz voll war mit niederländischen Motorsportfans. Anlass war der „Große Preis von Österreich“ im nicht allzu weit entfernten Spielberg. Weniger Spaß hatte allerdings Verstappen, dieser kollidierte mit Alonso und musste das Rennen daher in der ersten Runde bereits beenden. Die Stimmung soll auf dem Platz trotzdem gut gewesen sein und wir sind jedenfalls froh, dass die Fans dieser Randsportart ihre Zelte schon abgebrochen haben und wir zum Glück unsere Ruhe haben.

Am heutigen Donnerstag bewegen wir uns, mit Zwischenhalt am Packer Stausee (mit Sturm Graz Graffiti auf dem Dach des Turbinenhauses), frühzeitig nach Graz. Vor und im Stadion herrscht hier noch die Ruhe vor dem Sturm. Es werden aber schon die Zapfwagen, Bierbänke und die TV-Kameras in Position gebracht. An der Kassa 14 ist leichter Andrang, denn Aboinhaber und Mitglieder haben heute freien Eintritt. Diesen Umstand muss natürlich der Hopper ausbaden und so wechseln stolze 24 € pro Person den Besitzer. Auch stolpern uns hier noch drei Lads aus Birmingham entgegen, welche schon vor zwei Tagen in Wolfsberg ordentlich Sonnenbrand hatten und deren Hautfarbe sich mittlerweile in Krebsrot gefärbt hat.

Da wir noch vier Stunden bis zum Anpfiff haben, verabschieden wir uns in Richtung Graz-Altstadt. Auf ein Fußpils wird bei tropischen Temperaturen verzichtet, Wassereis heißt die kalte Alternative. Grazer Uhrturm, das Rathaus und der Herzogshof („Gemaltes Haus“) werden gespottet. Den Schlossberg klemmen wir uns temperaturbedingt und kehren lieber ins „Gösser Bräu“ ein. Auf den Bildschirmen im Inneren müht sich der SCR Altach gegen die Weißrussen von Dinamo Brest. Wir bevorzugen allerdings den Biergarten, der Dank zweier Bäume, angenehm schattig ist. Die Speisen sind super und die Bedienungen auf Zack. Wir fallen trotz unserer Ostdeutschen Herkunft nicht auf deren vermeintliches gratis Backwerk herein. So guckt der Ober am Ende des Biergartenaufenthalts nur etwas mürrisch in den Brotkorb und meint „Gebäck hattn’s keins!?“.

Den Weg zurück zum Stadion gehen wir entlang des Mur Wanderwegs. An diesem soll in den nächsten Jahren das Wasserkraftwerk Mur entstehen. Gegen dieses Kraftwerk hat sich eine Initiative gegründet, die sich gegen die Rodung tausender Bäume, das Aufstauen der Mur, einhergehend mit der Verschlechterung der Wasserqualität und der Steuergeldverschwendung, wehren möchte. Teilweise sieht es daher recht traurig aus (Baumstümpfe, halbabgerissene Datschen…) und der Protest ist sichtbar durch an die Wand gepinselte Parolen und durch wildes Plakatieren.

Das „Liebenauer Stadion“ liegt im gleichnamigen Grazer Stadtbezirk und wurde 1997 eröffnet. Von 1997-2005 hieß es Arnold Schwarzenegger Stadion, seit 2005 sind es Sponsoren, die den Stadionnamen erkaufen. Neben dem Stadion befindet sich die Eishalle, Heimat der Eishockey Teams ATSE Graz, der Grazien der DEC Devils und den Basketballern der 99ers.

Wahrscheinlich auf Grund der Freikartenaktion sind, wie ich finde, respektable 7.109 Zuschauer im Stadion, wobei sich der Hauptteil davon in den Fansektoren der Nordtribüne befinden. Eine KSC Fahne (Mehr Fanfreundschaften als Punkte!) hängt auch am Zaun, aber ansonsten macht der Fanblock einen guten Eindruck und mit Anpfiff gut Alarm. Allerdings verzögert sich dieser, denn die Partie beginnt mit zweiminütiger Verspätung, weil eine TV-Kamera noch nicht startklar ist.

Nach Anpfiff tun es die Grazer Spieler, im Speziellen der Ex-Bundesligastar Christian Schulz, der TV-Kamera gleich und sind ihrerseits ebenfalls noch nicht startklar. In der ersten Spielaktion spielt der depperte Piefke Schulz einen Rückpass zu kurz zum anderen Piefke Jörg Siebenhandl (Neuzugang vom Rückrunden-Giganten Kickers Würzburg), sodass ein Montenegriner sich den Ball erläuft und Schulz kann diesen nur mit einem Foul stoppen – Elfmeter und gelbe Karte! Krkotić sagt „GRAZie mille“, verwandelt souverän und lässt es sich nicht nehmen, ausgiebig vor der Heimkurve zu jubeln. Diese ist natürlich am Pöbeln und Krkotić sieht dafür die gelbe Karte. So entsteht danach bis zum Halbzeitpfiff eine völlig einseitige Partie, in der nur Sturm Graz spielt und die Gäste mit zwei tief stehenden Viererketten verteidigen. Graz spielt sehr gefällig bis zum Strafraum, allerdings sind die Abschlüsse, soweit sie zu Stande kommen und die Bälle nicht geklärt werden, wenig grazil. Ein Tor erzielen sie noch, allerdings wird es aufgrund einer Abseitsstellung nicht gegeben.

Die Halbzeitpause verbringen wir mit Menschengucken. So beobachten wir einen Jüngling, der sich, sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg, beim Übersteigen der Sektorengrenze die Hoden quetscht. Vor uns sitzen zwei Generationen Zwillinge mit exakt den selben Nasen, wobei die jungen Brüder sich gegenseitig ihre Selfies mit EffZeh Spielern im Trainingslager zeigen. Dazu versucht ein Typ seinen Kumpels im Sektor gegenüber in breitestem österreichisch („beim Ballbuam, zehn Reihen nach oben“) klarzumachen, wo er sitzt. Da brauchen wir einfach nichts konsumieren in der Halbzeit, um uns passiv zu amüsieren.

Auch in der zweiten Halbzeit geht es nur in Richtung Gästetor, wobei das Anrennen eher kopflos daherkommt. Auch alle auf die Offensive ausgerichteten Einwechselspieler von „General Franco“ Foda können den Ball nicht im Tor unterbringen. Podgorica hat noch eine Chance, die allerdings von Ivan Knežević jämmerlich vergeben wird. Dieser soll als einziger Gästespieler die Offensive beleben und als Konterstürmer agieren, nur leider ist er mit seinen 1,98 m und 90 kg dafür absolut nicht gemacht und so scheitert er teilweise schon bei der Ballannahme.

Die Abwehr macht einen deutlich besseren Job, so kann Sturm nur noch sein obligatorisches Abseitstor erzielen. Kaludjerović fliegt noch mit gelb-rot vom Feld, aber kurz danach ist Schluss. Was für ein unverdienter Sieg und wenig graziös dazu, aber dies sind ja bekanntlich die schönsten Siege – für die man auch gerne einmal durch Nebel und Gewitter fährt! /hool

10.07.2017 Birmingham City FC – 1.FC Union Berlin 0:1 (0:0) / Sportstadion Wolfsberg / 450 Zs.

Neben dem Besuch des Sommerbades Wolfsberg habe ich auch ausreichend Gelegenheit, die kleine und urgemütliche Stadt im Lavanttal zu erkunden. Genau genommen sieht es hier an jeder Ecke so aus, wie man sich Postkartenmotive aus Österreich vorstellt. Pittoreske Straßen, alte Häuser, traditionelle Gewerbe in Familienbesitz, kleine Kirchen und im Hintergrund malerisch gelegen: Berge. Sehr hübsch. Man sagt, wer früh aufsteht, der habe mehr vom Tag. Ich stelle hier in der Provinz sehr schnell die Gegenfrage, was genau das denn sein soll. Alle Sehenswürdigkeiten sind besucht worden, wobei unsereins gar die Spielstätte des ATSV Wolfsberg als Sehenswürdigkeit zählt. Zu allem Überfluss wird Fetti die Eselwanderung durch die Saualpen denkbar knapp verpassen und so ist man trotz der Schönheit Wolfsbergs schon recht bald sehr froh darüber, dass zwischen den Spielen des 1.FC Union Berlin noch ein Ausflug nach Slowenien geplant wurde, um etwas Abwechslung in den Kurzurlaub zu bringen und um zu verhindern, dass einem in den frühen Abendstunden im Wolfsberger Gasthof die Decke auf den Kopf fallen wird.

In Maribor finde ich bei meiner Ankunft mit dem Flixbus dann 31,4 Grad Celsius und gleißenden Sonnenschein vor. Oh ja, das ist mein Wetter! Aufgrund der Bauarbeiten hatte es leider keine Zugverbindung zwischen Graz und Maribor gegeben, sodass ich alter Eisenbahnromantiker nun in die falsche Richtung laufe, um wenigstens einen kurzen Blick auf den Bahnhof Maribors erhaschen zu können. Kurz darauf komme ich vollends auf meine Kosten, da eine alte Dampflokomotive vor einem sozialistischen Klotz stehend ein untrügliches Zeichen darstellt, den Želézniška postája gefunden zu haben. Schick. Nur fünfzehn Minuten Fußweg trennen mich jetzt noch von meinem Hotel, welches in bester Altstadtlage Einzelzimmer für unter 30 € bereit hält. Als ich zwei Tage später wieder auschecke, will die freundliche Rezeptionistin meine Kreditkarte mit 581 € belasten. Hoppala, kleiner Kommafehler, Tschuldigung! Aber der Reihe nach…

… denn zunächst einmal gilt es, mit der verehrten Leserschaft das wunderbare Maribor (österr.: Marburg an der Drau) zu besichtigen. Auf dem schönsten Platz der Stadt mit Rathaus und Pestsäule lasse ich mir das erste Union Pivo des Tages munden. Auch entlang der Drava haben sich etliche Cafés angesiedelt, die mit Blick auf den Fluss zum Verweilen einladen. Hochmotiviert laufe ich jedoch zunächst alle Sehenswürdigkeiten in Ufernähe ab: Wasserturm (16. Jahrhundert), Judenturm (15. Jahrhundert, direkt neben der Synagoge stehend), Reckturm (Wehrturm der Stadtmauer, der einst auch als Gefängnis genutzt wurde. Zudem wurden hier Frauen verurteilt, die der Hexerei beschuldigt wurden. Eine Paronomasie mit dem Wort „Rektum“ bietet sich an – nach so einem Urteil war man sicherlich schnell im Arsch…). Ein wenig mehr Zeit und Aufmerksamkeit widme ich dann dem ältesten Weinstock der Welt, welcher seit 400 Jahren im Stadtteil Lent Früchte trägt. In drei Monaten ist es wieder soweit und 50 Kilogramm Trauben können von der „Stara trta“ feierlich geerntet werden. Allerdings darf der Hinweis nicht fehlen, dass der Wein nur aufgrund seiner Rarität exklusiv ist, da Kenner davon sprechen, dass die Qualität des edlen Tropfens zumeist eher bescheiden sei. Naja, bekanntermaßen wird nicht alles im Alter besser. Da reicht ja schon ein morgendlicher Blick in den Spiegel.

In der Altstadt warten dann noch einige Kirchenhäuser auf Besichtigung, wobei ich mir erneut vornehme, mich irgendwann einmal kundig zu machen, worin genau die Unterschiede zwischen Dom-Basilika-Kathedrale bestehen. Alles in allem ist jedenfalls klar erkenntlich, warum der Rat der Europäischen Union Maribor im Jahre 2012 zur Kulturhauptstadt ernannt hat. Diese Ehre teilt sich Maribor übrigens mit dem schönen portugiesischen Städtchen Guimarães. Das solltet ihr euch bei Gelegenheit mal vom Wirtschaftsflüchtling vorlesen lassen!

Nun habe ich bereits am vorletzten Tag meines Urlaubs sämtliche T-Shirt-Vorräte durchgeschwitzt und stehe vor der schwierigsten Entscheidung meines Lebens. Gebe ich die Hemden für 6€ je Teil (!) in die hoteleigene Wäscherei oder kaufe ich mir im H&M der örtlichen Konsumhölle einfach neue Kleidungsstücke? Nach kurzer Überlegung wandert ein neues Oberbekleidungsstück in meinen Kleiderschrank, der nun erwiesenermaßen Teil der Überflussgesellschaft ist. Außerdem erwerbe ich eine slowenische Zahnpasta, die ein Kindheitstrauma in mir wach küssen wird. Plötzlich ist sie wieder da, die Erinnerung an dieses eine Eis, das ich 1989 in Bulgarien aß und das so furchtbar widerwärtig nach Seife schmeckte…

Auf den Schrecken erst einmal ein Bier. Ich sitze auf dem großen Platz vor meinem Hotel und bestelle ein Union, einfach weil es so großen Spaß bereitet. Neben mir nehmen zwei dunkelhäutige Männer Platz, auffällig swaggy gekleidet, dicke Uhren, Goldkettchen. Große Freude habe ich dabei, ein Ohr in die französischsprachige Konversation zu halten. Während die beiden die ersten an den Tisch gebrachten Getränke stilecht mit einem 100 € Schein bezahlen, unterhalten sie sich über ihre Träume. Einmal ein Angebot aus China oder Katar bekommen, das wäre es. Da verdiene man unheimlich viel und müsse sich kein bisschen mehr anstrengen, da dort keiner Fußball spielen könne. Ich zücke mein Handy, recherchiere und präsentiere feierlich meine beiden Tischnachbarn: Sunny Omoregie (einst in der Jugend von Real Madrid ausgebildet und später beim maltesischen Gżira United Football Club beschäftigt) und Jean-Claude Billong, ihres Zeichens Legionäre des NK Maribor 1960 auf der Durchreise.

Da auch ich mich auf der Durchreise befinde, tue ich es den beiden Herren gleich und verlasse das Straßencafé nach nur einem Getränk. Am nächsten Morgen werde ich im Flur vor meiner Abreise nach Graz von einer jungen Dame, der ich die Tür aufhalte, gemustert. Ihr Blick bleibt auffällig lange auf meinem „Bluten für Union“-Nicki hängen und ich harre der Dinge, die da gleich kommen mögen. Im Hintergrund taucht ihr Freund im Gang auf. „Albstadion Heidenheim“ kann ich bereits aus der noch etwas größeren Entfernung lesen und leider hat sich auch 15 Meter später der Druck noch nicht in „Endstation Dorfultra“ verwandelt, als sie anfängt, die schon viel zu oft gehörte und mittlerweile meinerseits verabscheute Lobeshymne auf das Stadion An der Alten Försterei zu singen. „Das war ja so toll und die Stimmung und die Gastfreundschaft und die Wurst und ihr habt das ja alles selber gebaut und dieses Lied wie heißt die Sängerin doch gleich und bla bla bla“. Im Hintergrund versinkt der Ultra vor Scham im Boden und auch ich möchte der Situation so schnell wie möglich entfliehen. Eigentlich ein Wunder, dass mir nur wenige Sekunden später der Komma-Fauxpas der Rezeptionistin auffallen wird.

Voller Glück über die eingesparten 522,90 € nehme ich im Flixbus von Maribor nach Graz Platz. Dort wabert ein Duft durch die Gänge, wie ihn nur eine Chemietoilette einer Busroute, die vom Balaton nach Leipzig führt, erzeugen kann. Am Grenzübergang von Slowenien nach Österreich wird unser Bus von schwer bewaffneten Grenzaffen kontrolliert, die rassistisch korrekt Pässe aller schwarzhaarigen Passagiere einsammeln. Der Vorzeige-Ossi hinter mir, der mir während der bisherigen Fahrt mit seinem bescheuerten „ist ja fast so schön hier wie in Thüringen!“-Kommentar angesichts der slowenischen Landschaft und seiner erbärmlich schlechten Anmache seiner Sitznachbarin („Nu, willste mithören? Hab hier ein urst gutes Sonne, Mond und Sterne-Set dabei!“) bereits zwei Mal negativ aufgefallen ist, bedankt sich nun artig für die Arbeit der Grenzposten. „Sicherheit und Ordnung müssen sein“, sagt er. Oh Gott, lass das mit diesem Deutschland bitte schnell zu Ende gehen.

Die Fahrt nach Graz ist nur eine halbe Stunde später beendet und ich kann den Bus, den Gestank sowie Deutschland und Thüringen hinter mir lassen und voll der Freude darüber, dass meine Gebete recht schnell erhört worden sind, in den SEV-Bus nach Wolfsberg huschen. Um Punkt 17.30 rollt das ÖBB-Gefährt vor dem altbekannten Bahnhof Wolfsberg ein. Auf dem gegenüberliegenden Parkplatz steht bereits das FUDU-Pärchen mit dem Tschechenbentley bereit, um den Weg zum Stadion so meistern zu können, dass man den Anpfiff des Spiels 1.FC Union Berlin gegen den Birmingham City FC im Sportstadion Wolfsberg miterleben können wird. Kritische Leser rümpfen nun wahrscheinlich die Nase. Zwei Spiele innerhalb von drei Tagen in ein und demselben Stadion? Ist das noch Hopping?

Wir zahlen jedenfalls brav unsere 10 € Eintritt, obwohl auch wir uns eher den ATSV-Platz als Austragungsort gewünscht hätten und gehen danach ins Geplänkel mit der Bierverkäuferin. Wenn der Eintritt bis 14 frei ist, dann ist es aber auch wirklich eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, dass man schon das erste Bier bezahlen muss! Obwohl wir dieses Mal sogar Unterstützung einer in Österreich lebenden Unionerin haben, die die Sprachbarriere minimieren kann, haben wir letztlich keinen Erfolg. Verhandlungen gescheitert, Tom zahlt mit Schilling, Spiel beginnt. Heute haben nur noch ca. 40 Unioner den Weg in die Spielstätte gefunden und auch sonst ist die Lavanttal-Arena spärlicher gefüllt als vor drei Tagen, sodass die offizielle Zuschauerzahl von 450 angezweifelt werden darf.

Auch Harry Redknapp, Trainerlegende des Zweitligisten aus Birmingham, hat keine Lust auf das Spiel und verlässt pünktlich zum Anstoß seine Trainerbank, um im Bauch der Tribüne zu verschwinden. Vielleicht gibt es wenigstens dort die ersten 13 Bier umsonst.

Er verpasst eine klar dominierende Unionmannschaft, welche sich Torchancen in Hülle und Fülle herausspielen kann. Die drückende Überlegenheit gegen völlig indisponierte Engländer kann jedoch lange Zeit nicht in zählbares umgemünzt werden. Polter (5.), Skrzybski (14.), Prömel (20.), Kreilach (23.) scheitern in aussichtsreichen Positionen, ehe abermals Polter (24.), mittlerweile in Anwesenheit Redknapps, denkbar knapp durch das etwas kuriose Zusammenspiel von Torwart und Querlatte am Torerfolg gehindert wird. Gegen Ende des ersten Spielabschnitts dreht Union noch einmal am Gashahn, doch auch Kreilach (31.) und Polter (37.) misslingen die Torabschlüsse. Mit einem überaus schmeichelhaften 0:0 retten sich die Redknapp-Recken in die Kabinen.

Auch in der zweiten Hälfte wird Harry Redknapp zwanzig Minuten lang fehlen. In der Halbzeitansprache hat er seinen Mannen offenbar mit auf den Weg gegeben, dass sie genauso weitermachen mögen. Dem BCFC gelingt es, diesen taktischen Anweisungen des Chefs folge zu leisten und so stehen sie weiterhin mit dem Rücken zur Wand. Union, mittlerweile mit Toni Leistner auf dem Platz, drängt weiter auf die Führung. Nach einer Stunde ist es dann endlich so weit und Damir Kreilach kann mit einem Flachschuss von der Strafraumkante für die überfällige Führung sorgen. Im Anschluss lassen die Unioner weiterhin im Fünf-Minuten-Takt allerbeste Torgelegenheiten aus, während die Engländer nicht ein einziges Mal gefährlich aus der eigenen Hälfte herausrücken können. Mit Verlaub, da bin ich gespannt, wohin der Weg des BCFC in der kommenden Championship-Saison führen wird…

Unser Weg führt uns noch einmal zurück zu Erwin in den Gasthof Silberberg. Der Biergarten gehört heute einer Familie, deren weibliche Mitglieder auffällig viel Leopardenmuster tragen. Dazu gibt es Live-Musik vom Akkordeon und wir entscheiden, unser Abendbrot einfach im Gastraum mit Blick auf die Gipsy-Party zu genießen. Nadjuschka durchsucht mein Portemonnaie nach slowenischen Münzen für die Sammlung daheim, findet aber wie immer nur gähnende Leere vor. Zwei-Drei Bier später habe ich beim Erwin noch einmal für eine Nacht eingechecked und das FUDU-Pärchen in Richtung ihres Zeltplatzes (irgendwo auf halber Strecke zwischen Wolfsberg und Graz) verabschiedet. Etwas lädiert quäle ich mich die Treppen des Gasthofs hinauf, finde mein neues Zimmer, beziehe Quartier und buche noch vor Ort pflichtbewusst Fahrten zu den ersten Auswärtsspielen der Saison 2017/18, nachdem die DFL diese unlängst zeitgenau terminiert hat. Morgen lasse ich meinen Sommerurlaub in Wien ausklingen. Und dann ist ja zum Glück auch schon bald Sommerurlaub. /hvg

07.07.2017 Wolfsberger AC – 1.FC Union Berlin 2:4 (1:1) / Sportstadion Wolfsberg / 500 Zs.

Wenn man den Sommerurlaub nicht mehr erwarten kann und in Berlin beginnt, die Tage zu zählen, dann ist es wieder einmal an der Zeit, auf eine Methode zurückzugreifen, die sich in den vergangenen Jahren bewährt hat. Fetti entscheidet sich also auch im Jahr 2017 vor Beginn der Sommerferien dafür, einen kleinen Zusatzurlaub zu buchen. Sommerurlaub. Allein schon dieser Begriff. Als könnte man pro Jahreszeit nur einmal Urlaub machen.

Allerdings stehen für Fetti dieses Mal keine Ferien im eigentlichen Sinne an, sondern harte Arbeit droht. Im Rahmen des Trainingslagers des 1.FC Union Berlin im österreichischen Kärnten gilt es, sich gewissenhaft auf die kommende Saison vorzubereiten und sich weiterhin an den saisonalen Alkoholpegel und Reisestress heranzutesten.

Am Donnerstagmorgen simuliere ich am Flughafen Tegel einen Airport der langen Wege, indem ich vom Gate 1 auf dem Weg zu Gate 15 den Rundgang des Oktagons in die falsche Richtung laufe. So kann man auf dem Provinz-Flughafen im Berliner Norden natürlich auch ein wenig Zeit totschlagen. Irgendwann habe ich mein Ziel erreicht und nach der Passage der bemitleidenswert peinlichen Security-Schleuse beginnt dann der erste Flug meines Lebens mit der „Austrian Airlines“. Der Flug nach Wien wird heute in erster Linie von amerikanischen und asiatischen Europatouristen und diversen Business-Kläusen frequentiert.

Die Fluggesellschaft spielt vor dem Start klassische Musik ein, vermutlich um Junkies zu vertreiben. Kaum hat der Flugzeug-DJ Mozart per Fadeout ausklingen lassen, höre ich vor meinem geistigen Auge bereits Yvonne Stresser die Sicherheitsanweisungen vorlesen und staune erneut, wie die Dame ihrem Namen alle Ehre machen kann.

Nur kurz darauf verteilen die eintönig gekleideten Stewardessen (rote Pumps, rote Strumpfhosen, roter Rock, rote Bluse, roter Blazer, rote Kappe) Snacks und Getränke auf’s Haus. Prinzipiell ja ganz nett, aber die für mich zuständige Landpomeranze, die sich im österreichischen Bewerbungsverfahren womöglich ausschließlich gegen eine Kuh durchsetzen musste, nimmt dem ganzen Vorhaben jeglichen Esprit. Nachdem sie mir bereits vor Abflug ihr voluminöses Gesäß zwei Mal gegen meinen Oberkörper gerempelt hat, schüttet sie mir nun noch etwas Kaffee über die Hose. Sichtlich mit Scham erfüllt fragt sie nach, ob sie mich „berührt“ hätte. Mit Blick auf ihre behaarten und kräftigen Unterarme verkneife ich mir eine ehrliche Antwort, beiße in meine gratis Mannerwaffel, nehme einen Schluck geschenkten Orangensaft von Rauch und lüge: „Nein, nein, alles gut!“ Zumindest für österreichische Verhältnisse. Im weiteren Verlauf des Fluges tröste ich mich dann mit einer Assoziation, die mich permanent zum Schmunzeln bringt. Immer, wenn die dicke Rote an mir vorbeirollt, muss ich an einen „Babybel“ denken und lächle. Sie lächelt zurück. So beginnen große Liebesgeschichten!

Am Ende des Fluges streitet sich meine Zukünftige noch mit einem Business-Klaus um einen Laptop, der ihrer Meinung nach zu groß ist, um ihn während des Landeanflugs im Gepäcknetz zu lassen. Klaus ist etwas hartnäckiger als ich, muss am Ende aber auch klein beigeben, als sie ihm mitten in der noch nicht ganz abgeschlossenen Diskussion das Gerät schlichtweg aus der Hand reißt und es burschikos in die Kofferablage stopft. Nach der Landung schmeißt mir eine dumme Amerikanerin noch eben schnell ihren Koffer auf den Kopf („Items may fall out!“ – hat Frau Stresser doch vor wenigen Sekunden gesagt!) und dann wird auch bereits wieder klassische Musik eingespielt. Ach, hätte ich mich vorhin doch bloß vertreiben lassen!

In Wien ist das Hotel am Westbahnhof schnell gefunden. Fetti freut sich über seinen sozialen Aufstieg – gerade noch Atzenhof in Fürth, jetzt schon Fürstenhof – und reist dann bei über 30 Grad mit der U-Bahn zur Donauinsel. Dort wird zunächst stilecht in einer griechischen Taverne gespeist und anschließend in der gegenüberliegenden Strandbar der „Sunken City“ ein kühles Bier genossen. Nebenan springen diverse attraktive Menschen in die Fluten der Donau. Während meines Sonnenbades stelle ich fest, dass der nahe gelegene Balkan den Wiener Frauen nicht unbedingt geschadet hat und so vergehen die Stunden in dem Sonnenstuhl wie im Flug.

Der Weg zurück zum Hotel führt Fetti per Pedes über die Ringstraße. Während man etwas touristischen Input erhaschen und die eine oder andere Sehenswürdigkeit passieren kann, rattert eine nostalgische Straßenbahn vorbei. Diese hört auf dieser Strecke auf den klangvollen Namen „Ringbahn“. Da kannste als Berliner nich meckern, nur schmunzeln!

Am nächsten Morgen zieht es Fetti, noch schwer gezeichnet vom gestrigen ORF-Fernseherlebnis im Fürstenhof (SC Rheindorf Altach gegen den georgischen Riesen ჩიხურა საჩხერე, der in deutschen Medien entweder mit Tschichura Satschchere oder Chikhura Sachkhere transkribiert wird), via Wien-Hütteldorf und Wien-Meidling nach Graz. Auf der letzten Zugetappe der Reise kommt sein Zug auf offener Strecke zum Stehen. Eine Durchsage klärt auf, dass im vorausliegenden Streckenabschnitt ein Güterzug liegen geblieben sei. Eine alte Frau lässt ihren Gedanken freien Lauf: „Herrschaftszeiten, könnt’s net einmal pünktlich in Graz sein?“

Die österreichischen Boulevardmedien fiebern derweil einer TV-Sendung entgegen, die in drei Tagen stattfinden und Hasskommentare gegenüber Natascha Kampusch (u.a.) thematisieren wird. Den Teaser liefert ein User namens Jürgen, der ein Foto von der Natascha wie folgt kommentiert: „G’scheit fett worden, die Dame – auf Staatskosten?“. Die logische Konsequenz: Empörung auf Seite 1 und die bittere Erkenntnis, dass man fortan in Österreich also offiziell keine schlechten Scherze mehr über das einstige Entführungsopfer machen darf. Nutzen wir aber die Gunst der Stunde und zitieren angesichts der Zugverspätung und der schlechten Laune im Abteil noch eben schnell Josef Fritzl, bevor auch das verboten sein wird: „Die Stimmung ist hier im Keller!“.

In Graz angekommen stehen diverse pflichtbewusste Österreicher bereits 30 Minuten vor Abfahrt des SEV-Busses nach Wolfsberg ordentlich in einer Schlange. Spätestens da hüpft Fettis deutsches Herz aber wieder im 4/4-Takt!

Nur eine Stunde später ist Wolfsberg erreicht. Dort versuche ich mich zugleich mittels einiger Kugelschreibernotizen zu orientieren und den Weg zu meiner Pension anzugehen. Leider stellt sich recht bald heraus, dass es keine Straßenschilder und keine Einheimischen gibt, die einem weiterhelfen können. Es ist leider ein Phänomen, dass ortskundige Einheimische in Dörfern kurze Wegstrecken so verkompliziert erklären, dass man den Eindruck gewinnt, man müsse ein Mal quer durch New York, um sein Ziel zu erreichen. Mindestens.

Ich irre in Folge mit meinem Reisegepäck durch die Mittagshitze. Ein letztes Mal versuche ich durchgeschwitzt und abgekämpft mein Glück und halte eine herbeiradelnde ältere Dame an, um diese nach dem Weg zu fragen. Diese sagt, sie sei in Eile, da sie auf dem Weg zu einem Friseurtermin sei. Aber auch das kann sie nicht davon abhalten, einen weiteren Monolog zu starten. Nicht einmal hektische Österreicher können auf simple Wegstreckenfragen „rechts-links-geradeaus-zack“ antworten. Als ich bereits die Hälfte des Gesagten wieder vergessen habe, falle ich ihr ins Wort und frage, ob das fußläufig zu schaffen sei oder ob ich mir lieber ein Taxi organisieren sollte. Die Dame holt umgehend ihr Handy heraus und sagt: „Warten’s, i ruf Ihnen gschwind den Josef herbei!“.

Da man als Taxifahrer in Wolfsberg offenbar so viel nicht zu tun hat, biegt der Josef mit seinem Gefährt geschätzte 1 Minute und 17 Sekunden später auch bereits in die Zielstraße ein. Im Hintergrund verstaut die Dame (in Eile) in aller Seelenruhe ihr Mobiltelefon in der Handtasche. Ich bedanke mich für ihre Hilfe und erkläre kurz darauf dem Josef, dass ich in den Gasthof Silberberg will, aus Berlin komme und der Anlass meiner Reise das Fußballspiel des 1.FC Union Berlin beim Wolfsberger AC ist. Er ist schier aus dem Häuschen und fährt mich für einen absoluten Freundschaftspreis von 5 Euro quer durch New York und entlässt mich dann mit freundlichen Wünschen vor der Pension aus seinem Taxi.

Nur wenige Sekunden nachdem er mir einen schönen Tag gewünscht hat, beginnt es furchtbar zu grummeln. Gerade habe ich mein Zimmer erreicht, schon wird das Donnern intensiver und der Himmel öffnet seine Schleusen. Als dann auch noch dicke Hagelkörner auf das Blechdach vor meinem Fenster prasseln, darf die Austragung des heutigen Spiels zumindest kurz in Frage gestellt werden.

Glücklicherweise ist jedoch nach nur 45 Minuten der Weltuntergang vorüber und die Sonne bahnt sich nach und nach ihren Weg durch die dichte Wolkenschicht. In der Gaststätte der Pension (kein Mittagsmenü zwischen 07.07.17 und 11.09.17) führe ich ein nettes Gespräch mit dem Gastwirt Erwin, der den Betrieb als Quereinsteiger übernommen hat und seit einem halben Jahr erfolgreich führt. Noch bevor ich mein Auswärtsschnitzel bestelle, rutscht mir ein Lob über die kleine Speisekarte über die Lippen. „Ja, hier wird frisch gekocht!“, bestätigt Erwin sogleich. Auch meinem Sonderwunsch nach Bratkartoffeln kann er entsprechen. Als ich jedoch über die Tiefkühldesaster vergangener Bestellungen (Gubin, Wien) schwadroniere, schlafen ihm kurz die Gesichtszüge ein. Verdammt, hab ich mir wieder so einen elenden Foodblogger eingetreten, mag sich Erwin denken, ist sich dann jedoch nicht zu schade, das wirklich gute Schnitzel mit langweiligen TK-Wedges zu servieren.

Im Anschluss an das Festmahl samt Villacher Pils lege ich die 300 Meter bis zur Spielstätte beschwingt zurück. Das Wetter ist nach wie vor stabil und der Eintrittspreise in Höhe von 10 Euro ist es ebenfalls.

Ich betrete das Sportstadion Wolfsberg, welches sich nun neudeutsch „Lavanttal-Arena“ schimpft und mit diesem vor Lokalkolorit triefenden Namen Bezug auf die Region mitsamt ihres Flusses Lavant nimmt. Auf der neuesten Tribüne, die zusammen mit dem Gästeblock im Jahre 2012 nach dem erstmaligen Aufstieg des WAC in die österreichische Bundesliga errichtet wurde, finde ich schnell einen Platz. Nach Abschluss dieser 2,5 Millionen Euro teuren Bauarbeiten kann die Sportstätte eine Kapazität von 7.300 vorweisen. Ich blicke heute von der Heimseite auf die knapp 70 Schlachtenbummler aus Berlin und kann den Anpfiff kaum erwarten, da der Stadionsprecher „Woooooo sind die Faaaaaaans aus Berliiiiiiin?“ schreiend in etwa genau so sehr nervt wie das Wolfsgeheuel vom Band, das hier die Stimmung anheizen soll. Bei einem kühlen „Puntigamer“ eröffnet der Schiedsrichter der Partie.

In der 17. Minute verlässt Toni Leistner das Feld auch schon wieder. Sogleich trudeln die besorgten Nachrichten aus Berlin ein. Was ist geschehen? Ich persönlich gehe davon aus, dass um kurz nach 19.00 Uhr Helmut Schultes Telefon geklingelt haben könnte. Am anderen Ende der Leitung der Norwich City FC. „Ok, our last offer for Toni: 4,500,000 £! But he should be completely healthy! What is he doing at the moment?“ und Helmut so, Sekunden bevor er wild mit den Armen rudernd Zeichen an die Bank senden kann, „ääähm, well, just having Diner!“. So (oder so ähnlich) muss es gewesen sein.

Eine Viertelstunde später gehen die Hausherren mit 1:0 in Front. Nach einem schönen Zuspiel aus dem Mittelfeld steht Issiaka Ouédraogo urplötzlich alleine vor Torwart Busk und bleibt kalt wie eine Hundeschnauze. Lange hat die Führung jedoch keinen Bestand, da Union nur fünf Minuten später durch den in guter Frühform befindlichen Hosiner zum 1:1 ausgleichen kann.

Im zweiten Spielabschnitt läuft Union zunächst unverändert auf, während die Hausherren auf vielen Positionen wild durchrotieren. Dennoch gelingt dem Außenseiter in der 55. Minute die erneute Führung. Gschweidl trifft aus dem Rückraum, nachdem ein Spieler Wolfsbergs bis zur Grundlinie durchgedrungen war und den Ball mustergültig zurückgespielt hatte. Die schnellen und technisch versierten Flügelspieler Hartel und Gogia drücken dem Spiel nach dem Gegentor aber immer mehr ihren Stempel auf und bringen die Gastgeber das eine oder andere Mal in Schwierigkeiten. Schnell zahlt sich der wachsende Druck aus und Hartel kann das Spiel nach gut einer Stunde wieder egalisieren. Nach dem 3:2 durch Fürstner in der 64. Minute tauscht auch Union auf neun Positionen, was einen kleinen Bruch im Spiel zur Folge hat.

Ein deutlich betrunkener Fan des WAC, Phänotyp „Waldschrat“, fühlt sich derweil von Schiedsrichter Krassnitzer verschaukelt. „Schiedsrichter, schwarze Mafia!“ blökt er gefühlt 400 Mal durch das Lavanttal, während die in jeglicher Hinsicht üppig ausgestattete Schankwirtin mit einem Tablett voller Bier über die Tribüne stolziert und den Krakeeler so dann und wann wenigstens für wenige Minuten zum Schweigen bringt. Als das nächste Bier geleert ist, ändert sich der Text. „Marcel, Ausgleiiiiiich! (3x)“ wird nun zum Dauerbrenner inklusive Einsatz einer Holzrassel, der so lange zum Besten gegeben wird, bis Cihan Karahman nach einem Torwartfehler in der 83. Minute das Spiel mit dem Treffer zum 4:2 entscheidet. Da verliert dann auch der eingefleischte Fan den Glauben in den eingewechselten Marcel Monsberger.

Am Ende des Abends kehre ich noch einmal in den Biergarten des Gasthofs ein. Erwin schickt mir seine hübscheste Kellnerin und sein bestes Bier, während ich erste Notizen für den Reisebericht anfertige. Morgen werden in Wolfsberg übrigens 29 Grad erwartet und ich plane einen Besuch des Freibads in der Nähe des Stadions. Mensch, ist ja fast wie Sommerurlaub… /hvg

02.07.2017 Breesener SV Guben Nord – 1.FC Union Berlin 0:7 (0:2) / Sportanlage an der Baumschule / 1.500 Zs.

Es läuft die Saisonvorbereitung. Die Profis aller Bundesligaclubs schaffen die Grundlagen für eine kräftezehrende Saison. Wald-, Treppen- und Steigerungsläufe bestimmen das Bild der ersten Wochen, um sich einen Konditionsvorrat zu schaffen, auf den man irgendwann im Spätherbst zurückgreifen können wird. Und auch die Fans werden in diesem Jahr früh in die Pflicht genommen und an die Grenzen des Erträglichen getrieben.

Um 4.44 Uhr hilft mir eine polnische Schmerztablette der Marke „APAP“ einen Strich unter den Sachsen-Anhalt-Samstag zu ziehen. Als nur wenige Stunden später der Wecker schellt, bin ich kurz irritiert. Arbeiten muss ich heute gar nicht und Fußball war doch schon. Ach ja. Der BSV Guben Nord bittet zum Tanz. Zwei Auswärtsfahrten innerhalb von zwei Tagen. Das ist nichts für Amateure. Ich quäle mich aus dem Bett, rieche nach Schnaps, schlüpfe in meine stilvolle ellesse-Jogginghose (für Brandenburg wird es schon reichen) und kann in diesem Outfit kurz darauf erstmals unbehelligt Geld vom Sparkassenautomaten entgegennehmen. Für einen Moment habe ich das Gefühl, dass die Gruppe osteuropäischer Obdachloser, die mich sonst immer nach Geld fragt, mir heute eher einen Schlafplatz in ihrer Runde anbieten will. Bevor sich das Gespräch entwickeln kann, muss ich aber bereits schleunigst in Richtung Ostbahnhof eilen, an dem bereits mehrere FUDU-Schweine mit zwei Brandenburg-Tickets ausgestattet vorfreudig erregt am Bahnsteig herumlungern.

Am Bahnhof Friedrichstraße stößt der Wirtschaftsflüchtling mit zur Reisegruppe. Von oben herab betrachtet er mich argwöhnisch und zitiert (völlig zurecht) den großen Karl Lagerfeld: „Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren!“. Verdammt, darauf war ich nicht eingestellt. Urlaub in Brandenburg bedeutet eben auch, dass man zunächst einmal durch Berlins Innenstadt fahren muss und dort vor sozialer Verachtung nicht gefeit ist.

In Cottbus angekommen, hat sich dieses negative Gefühl aber gänzlich verflüchtigt und ich fühle mich mit meiner sportlichen Eleganz nun adäquat gekleidet. Fackelmann und der Spreewaldschurke komplettieren dort die Reisegruppe, die bereits jetzt unüberschaubar groß geworden ist. Der Schurke, soeben aus seinem Norwegen-Urlaub zurückgekehrt, nutzt die Gunst der Stunde und referiert geschickt, warum man bei Reisen auf die Mitnahme von Frauen verzichten sollte. Nebenbei weist er als Brandenburgspezialist der Reisegruppe auf die Sehenswürdigkeiten hin, die wir auf der Überfahrt von Chóśebuz nach Guben aus den Regionalbahnfenstern bestaunen können: Die Fernwärmerohre aus dem Kraftwerk Jänschwalde, die während einer Sanierung einst dafür sorgten, dass 30.000 Cottbuser nur über Kaltwasser verfügten und der sagenumwobene Erlebnispark Peitz mit Sommerrodelbahn und Aussichtsturm.

Und dann sind wir in Guben.
Dinge, die das hiesige Stadtmarketing verschweigen würde: 1999 wurde hier von Neonazis eine Hetzjagd auf drei Ausländer veranstaltet, im Zuge derer ein Algerier zu Tode kam. Ist lange her. 2015 attackierten Neonazis in Guben eine Wohnung afrikanischer Flüchtlinge und warfen Steine auf ein Haus syrischer Asylbewerber. Das ist noch nicht so lange her. Und vor wenigen Wochen wurde hier ein afghanisches Vater-Sohn-Duo bei einem Angriff verletzt. Man, hat sich ja in den letzten 20 Jahren eine Menge getan in Kackeland. Nun könnte man die Frage in den Raum stellen, warum die Politik hierauf offenbar nicht nachhaltig genug reagiert. Nun ja, für Guben fällt die Antwort auf diese aktuell wieder aufkommende Frage etwas außergewöhnlich aus: Der Bürgermeister darf das Rathaus nicht betreten! Klaus-Dieter Hübner, von lokalen Medien mit dem ehrenwerten Spitznamen „Berlusconi von der Neiße“ bedacht, wurde erstmals im Jahr 2001 zum Bürgermeister gewählt. Obwohl er in seiner zweiten Amtszeit wegen einer Bestechungsaffäre zu 18 Monaten auf Bewährung verurteilt wurde, hinderte dies die BürgerInnen Gubens nicht daran, ihn im Jahre 2016 noch ein drittes Mal wiederzuwählen. Nun ist der gute Mann aufgrund eines laufenden Disziplinarverfahrens des Landkreises Spree-Neiße mit einem Hausverbot für das Rathaus ausgestattet. Das hätte es in der Wilhelm-Pieck-Stadt Guben nicht gegeben!

Im Jahre 1990 hat die Stadt diesen schmückenden Beinamen übrigens abgelegt, doch würde der einstige Präsident der Deutschen Demokratischen Republik als Untoter zurück auf Erden geschickt werden, er würde seine Heimatstadt gewiss wieder erkennen. So würde er beispielsweise den Postzeitungsvertriebskiosk (PZV) am Bahnhof in unveränderter Form vorfinden und auch der VEB Gubener Wolle weiß sich wenige Meter später am Flussufer imposant in Szene zu setzen.

Wir entscheiden uns aufgrund der Tristesse auf bundesdeutscher Seite die Neiße zu überqueren und im polnischen Teil der Stadt zwecks Nahrungsaufnahme in einem angemessenen Restaurant einzukehren. Unsere Wahl fällt auf das „Tercet“, welches sich im historischen Gewölbekeller des Rathauses der Stadt Gubin angesiedelt hat und sich in unmittelbarer Nachbarschaft zu der imposanten Ruine der Stadt- und Hauptkirche befindet, welche im zweiten Weltkrieg zerstört worden ist. Ich bestelle ein mit polnischem Blauschimmelkäse gefülltes Schnitzel und versuche bei einem schnellen Pivo zu verdrängen, dass ich mich aktuell mit einer Jogginghose in einer gehobenen Gastronomie befinde. Der Wirtschaftsflüchtling präsentiert derweil einen neuerlichen Geldschein-Dachbodenfund. Eine 100-Złoty-Note mit der nostalgisch anmutenden Aufschrift „Proletaryat“ weckt dann doch die Skepsis innerhalb der Reisegruppe, ob diese Banknote noch Gültigkeit besitzt. Wir erinnern uns an eine Szene im November 2015, als sich der Flüchtling während eines Heimspiels von Slavoj Vyšehrad mit einem 50-Kronen-Schein in der Wurstbude drei Freundinnen gemacht hat, die angesichts dieses prähistorischen Geldscheins mutmaßlich noch immer vor Lachen auf dem Boden vor dem Klobasa-Grill herumrollen. Die polnische Kellnerin bestätigt heute jedenfalls kichernd unsere Annahme: Der Proletenhunni ist in etwa schon so lange nicht mehr gültig wie der Tschechenfuffi. Im Anschluss läuft der Nachmittag bei weiteren preiswerten Bierchen in etwa so schnell aus dem Ruder wie diese eine Situation neulich im Fahrstuhl, als mich die Frau mit den schönen Brüsten gebeten hat, die 2 zu drücken

Nachdem wir die Lokalität deutlich angeschlagen verlassen haben, verspüren wir plötzlich einen unheimlichen Zeitdruck. Zwar hatte der Hoollege schon vor Wochen darauf hingewiesen, dass sich die Spielstätte des BSV Guben Nord in 3,7 Kilometern Entfernung zum Bahnhof befindet, da das B im Vereinsnamen für Breesen steht und damit genaugenommen bereits angedeutet wird, dass das Spiel in einem Nachbarort Gubens stattfinden wird, aber so richtig ernst genommen hatte diese Anmerkung bislang niemand. Nun verliert sich die große Reisegruppe aus den Augen und kämpft den Kampf gegen die Uhrzeit nun mit hochgekrempelten Egotrip-Ärmeln. Ich sitze plötzlich in einem Taxi, in welchem naturgemäß niemals alle 12 Mitreisenden Platz gefunden haben können. Die Taxifahrerin hat heute bereits mehrere Unioner zum Sportplatz hinausgefahren und schimpft wie ein Rohrspatz, dass es der Verein nicht geschafft hat, Shuttlebusse oder ähnliches für die ankommenden Fanmassen aus Berlin zu organisieren. Arbeit nervt!

Als angehende Hobbysoziologin berichtet sie uns davon, dass die Eingemeindung aufgrund der Bevölkerungsabwanderung bitter nötig gewesen sei, um die Einwohnerzahl stabil zu halten. Allerdings seien seit der Eingemeindung Breesens im Jahr 1950 keine Mischehen entstanden, da die beiden Ortsteile Gubens schlicht und ergreifend durch keinen regulären ÖPNV miteinander verbunden sind und die Menschen vergessen, sich rechtzeitig telefonisch bei den „Ruf-Bussen“ anzumelden. 10,50 € später verlassen wir das Taxi an der Sportanlage an der Baumschule, zahlen 9 € Eintritt und sind aufgrund dieser horrenden Ausgaben froh darüber, eben so günstig gegessen und gesoffen zu haben. Irgendwann und irgendwie erreichen dann auch die anderen Truppenteile FUDUs den Sportplatz, noch bevor der Ball über den grünen Rasen des Brandenburgligisten zu rollen beginnt.

Dort finden wir einen eigentlich recht angenehmen Stehplatz auf der Längsseite, welcher durch die kreischende Dorfweiblichkeit allerdings exorbitant abgewertet wird. Die Gubener „Woo-Girls“ peitschen ihre Männer nach vorne, während es der 1.FC Union Berlin so richtig scheppern lässt und alleine in der ersten Halbzeit gleich vier Aluminiumtreffer zu verzeichnen hat. Taz und Hedlund zielen noch ein wenig genauer als die Kollegen und bringen die Köpenicker mit 2:0 zur Pause in Front.

Im zweiten Spielabschnitt kehrt sich das Verhältnis von Stangerlschüssen zu Torerfolgen um und so wandern nur noch zwei Lattentreffer, dafür aber fünf weitere Tore auf den Notizzettel. Schön, dass in Cihan Kahraman auch ein zweiter Nachwuchsspieler über einen Treffer im Herrenbereich jubeln darf. Und dann dürfen wir auch schon wieder zu Fuß zum Bahnhof zurückkehren und gen Heimat entschwinden.

[Die Gnade des verspätet geschriebenen Blog-Berichts macht’s möglich: Nach unserem Weggang startet Guben medial so richtig durch. Marko Geidel spielt hierbei eine Hauptrolle. Nachdem er bei der Wahl zur Apfelkönigin des Jahres 2017 leider denkbar knapp durch die Dorfschönste Antonia ausgestochen worden war, witterte er den großen Wahlbetrug und klagte sich seitdem so lange erfolglos durch alle Instanzen, bis der weltbewegende Fall(-obst) tatsächlich den Bundesgerichtshof erreicht hat. Im Dezember 2017 verstirbt indes der „Berlusconi von der Neiße“. Recht bald kann Guben also einen neuen Bürgermeister wählen, der dann sogar das Rathaus betreten darf.]

Als am Montag die Schülerpraktikantin fragt, wie mein Wochenende so war, kann ich leider nicht zu sehr in die Tiefe gehen. Schnaps in der Regionalbahn verkaufen, in Polen mit Jogginghose essen gehen und sich in Brandenburg besoffen vornehmen, Apfelkönig und Bürgermeister in Personalunion zu werden, hinterlässt keinen Eindruck. Und so eignet sich lediglich die Aussage: „Ich habe hart trainiert!“, um das Kapitel Barleben und Guben ein für allemal zu schließen. /hvg

01.07.2017 FSV Barleben – 1.FC Union Berlin 1:7 (0:2) / Sportplatz am Anger / 589 Zs.

Der 01. Juli ist schon so ein denkwürdiger Tag. Alles beginnt damit, dass er als 182. Tag des gregorianischen Kalenders auf die Tage bezogen zur ersten Jahreshälfte gehört (es verbleiben 183 weitere Tage), obwohl er von den Monaten her zur zweiten Jahreshälfte gerechnet wird. Im Jahr 2002 schepperte an diesem ominösen Tag ein russisches Passagierflugzeug mit einer Frachtmaschine der DHL über dem Bodensee zusammen, was ein Unglück mit 71 Toten zur Folge hatte. Und zu allem Überfluss wurde an diesem Tag des Jahres 1899 die TSG Hoffenheim gegründet.

Dennoch treffen am frühen Morgen des 01. Juli 2017 Fetti und drei unerschrockene FreundInnen FUDUs am Berliner Hauptbahnhof aufeinander. Der FSV Barleben hat in diesem Sommer den 1.FC Magdeburg und Eintracht Braunschweig zu Testspielen eingeladen und obwohl in diese Riege ein anderer Berliner Fußballclub besser zu passen scheint, fiel die Wahl der Gastgeber für ihren dritten Testkick auf den 1.FC Union Berlin. Der Slogan „Wir testen die besten“ hätte sich mit dem Zusatz „…und den BFC!“ vermutlich auch einfach weitaus schlechter vermarkten lassen…

Sei es wie es sei. Während ein Obdachloser im formschönen SV Warnemünde Pullover neben uns über das Gleis torkelt, bereiten wir uns mental auf die Klimakatastrophe vor, die uns in Sachsen-Anhalt erwarten wird. 18 Grad, Dauerregen, 0,5 Sonnenstunden. Wie hieß es einst in dem wunderbaren Song „In the Summertime“? When the weather’s fine, you got women, you got women on your mind. Have a drink, have a drive, go out and see what you can find. If her daddy’s rich, take her out for a meal, if her daddy’s poor, just do what you feel!“. Verrückter Mungo!

Während sich die beiden Herren der Schöpfung das erste Bier des Tages munden lassen, präsentieren die beiden Damen stolz die neueste Errungenschaft der Schilkin GmbH & Co. KG: Berliner Luft versetzt mit Ananas und Kokos. Bereits nach dem Öffnen dieser Flasche stinkt es im Abteil so, wie sich der gemeine Ostberliner offenbar die Karibik vorstellt. Ich verzichte dankend auf eine Kostprobe vom „Flamingofurz“, wie das Hirngespinst einiger durchgeknallter Marketingstrategen fortan von mir genannt wird und konzentriere mich stattdessen weiter auf mein polnisches Dosenbier. Warka, Warka, eh-eh!

Kurz darauf ist man auch bereits in Barleben angekommen und hält am Bahnhofsgebäude erst einmal kurz andächtig inne. Ein großes Poster und einige Grablichter erinnern an den kürzlich verstorbenen FCM-Anhänger Hannes, der unter bislang ungeklärten Umständen während einer Auseinandersetzung mit HFC-_________ (Hools? Ultras? Fans? Sympathisanten? Assis?) zu Tode gekommen war.

Auch im weiteren Verlauf des kurzen Stadtspaziergangs (Internationale Grundschule, Dorfanger, Friedhof – machste in einer Barlebener Biographie immer alles in einem Rutsch!) bleibt der Club aus Magdeburg omnipräsent. Während die Graffiti-Kultur einem noch ein kleines Schmunzeln entlocken kann, bieten die stiernackigen und teilweise haarlosen Ordner mit stolz getragenen FCM-Fanartikeln, die vor dem Sportplatz am Anger aufgezogen sind, eher weniger Anlass zur Freude. Es ist schon etwas unangenehm, wenn man derart kritisch beäugt wird und letztlich von denen, die für Sicherheit sorgen sollen, am meisten zu befürchten hat.

Aufgrund der Tatsache, dass es heute lediglich für Kinder und Senioren ermäßigte Eintrittskarten zu erwerben gibt, sorgt der (noch?) lebende FCU-Hannes für weiteren Zündstoff. „Gibt wohl keine Studenten bei Euch in Sachsen-Anhalt, wa?“

Ich zucke zusammen. Beobachte das Szenario. Puh, noch mal Glück gehabt. Den haben die Securitymenschen nicht verstanden, welche von hinten betrachtet übrigens auch nicht besser aussehen, wozu der Firmenname „mekka events“ einen weiteren Beitrag leistet.

Wir flüchten uns an den Bierstand, decken uns mit regionalen Spezialitäten aus Colbitz ein und lassen uns dann auf dem verregneten Gästeblock-Grashügel nieder. Der Ausblick nach oben ist trübe, der nach hinten auf die angrenzenden Grundstücke in Richtung Adamsee recht malerisch und rundherum gibt es einen unausgebauten Sportplatz zu bewundern. Dazu Regen. Regen. Regen. Und die aufmunternde Nachricht, dass das Spiel mit 15 Minuten Verspätung beginnen wird, weil die Gäste des 1.FC Union Berlin noch im Stau stehen würden.

Währenddessen schwingt sich auch heute wieder der Stadionsprecher dazu auf, in ewiger Erinnerung zu bleiben. Die gut 100 Unioner im Gästeblock, davon nur knapp 15 aus Berlin angereist, haben es mit einem klassischen Radiogesicht zu tun, der wohl für Radio Brocken etwas zu altbacken geworden ist und keine neuerliche Anstellung finden konnte. Heute moderiert er jedenfalls jeden noch so schlechten Popsong voller Inbrunst an und weiß dank des Spiels mit der eigenen Stimme die Massen für das kommende Fußballspiel zu elektrisieren. Als er am Ende der Partie verkünden muss, dass es heute leider keine Pressekonferenz geben wird, weiß er auch daraus Kapital zu schlagen: „Na gut, dann kann ich ja noch ein wenig länger quatschen!“.

Vorher haben wir aber noch ein belangloses Testspiel zu überstehen. Das schönste Tor des Tages erzielt Skrzybski zum 0:2 nach 28 Minuten durch einen wunderbaren Schlenzer in den Knick. Die sympathischste Aktion der zweiten Halbzeit liefert Michael Parensen, dessen Flanke so schlecht ist, dass er sich mit demütigen Gesten bei Hosiner entschuldigt, der sich wenige Sekunden zuvor ganz schön verbiegen musste, um die vermurkste Hereingabe zum 0:3 (48. Minute) über die Linie zu bugsieren. Im Anschluss schraubt der Zweitligist, der in der Pause heute lediglich einen einzigen Spielerwechsel vornimmt (Busk für Mesenhöler), das Ergebnis weiter standesgemäß in die Höhe. Nach 75 Minuten erhalten die Nachwuchsspieler Karahman und Taz Einsatzminuten, wobei sich ins Besondere letzterer nach seinem guten Einstand gegen Friedrichshagen auch im verregneten Sachsen-Anhalt dank einiger gelungener Aktionen auf den Notizzettel des Trainers gespielt haben dürfte.

Richtig stimmungsvoll wird es im weiten Rund nach 81 Minuten, als Christopher Kalkutschke einen Angriff der Hausherren zum 1:6 verwandeln kann. Die Stadionregie hat sogar einen Torjingle parat und quält die 589 freiwillig Erschienenen mit dem „Trommelkombinat Safri Duo“. Das lässt Philipp Hosiner nicht lange auf sich sitzen und setzt mit seinem vierten Treffer den Schlusspunkt hinter dieses Spiel. Schiedsrichter Karsten Fettback aus Stendal pfeift ab und noch auf dem Parkplatz des Sportplatzes machen wir die nächste Nahtoderfahrung des heutigen Tages, als uns der Barlebener Spieler mit der Nummer 6 beinahe über den Haufen fährt. Da auch die FCM-Ordner bereits wieder aufgezogen sind, fühlen wir uns nicht mehr sonderlich Willkommen und starten in das hoffnungslose Unterfangen, vor der Rückreise Nahrung und eine geöffnete Kneipe in der „Stadt“ zu finden.

Die „Bördepils Stuben“ liegen auf dem Weg, haben aber leider mutmaßlich seit 1992 geschlossen. Das „Reiterstübchen“ wird aufgrund der verschlossenen Eingangspforte von uns auf den neuen Namen „Bar zum langen Gesicht“ getauft, ehe wir demoralisiert eine Einheimische um Rat bitten. Schnell hat sie uns eine exquisite „Dönergaststätte“ hinter dem „Kreisel“ empfohlen und wir uns dazu entschieden, einfach im Edeka Gin und Tonic zu kaufen und dieses vermaledeite Fleckchen Erde schnellstmöglich zu verlassen.

Im Zug nach Magdeburg treffen wir gegen 19.00 Uhr auf eine alkoholisierte Männergruppe aus Münster, die es sich zum Hobby gemacht hat, gemeinsam deutsche Städte zu bereisen. Warum ihre Wahl auf Magdeburg gefallen ist und wie man darauf kommt, man könnte diese ohnehin schon schlechte Idee durch ein Fußballspiel in Barleben aufwerten, bleibt erst einmal offen. Sie sind jedenfalls sehr an Gin Tonic interessiert und fluten nicht nur ihre Kehlen, sondern auch unsere Reisekasse. Fetti, der Halsabschneider, verdient innerhalb von 15 Minuten 10,40 € und ist nun auf dem besten Weg zur ehrenwerten Auszeichnung „Gastronom des Jahres“, auch weil er aus reiner Dankbarkeit den Jungs zum Abschied noch einen „Flamingofurz“ aufs Haus spendiert.

Die Wartezeit in Magdeburg wird dann genutzt, um das verdiente Geld sinnvoll zu reinvestieren und so schlägt FUDU im Kaufland noch einmal zu. Dieses Mal wandern in den Warenkorb: Gin, Tonic UND eine Gurke. Die Sonnencreme lassen wir draufgängerisch im Regal stehen, obwohl das sommerliche Zentralgestirn eigentlich gleich für eine halbe Stunde richtig zu ballern beginnen sollte. Kurz darauf ist der Tisch in der Regionalbahn fürstlich gedeckt und die feinen Herrschaften lassen die Fußballfahrt in Reminiszenz an alte Wochenendticket-Touren stilvoll mit Longdrinks ausklingen. Ach ja, das ist dieses Barleben, das ich so mag. Have a drink, have a drive, go out and see what you can find! /hvg

25.06.2017 Friedrichshagener SV – 1.FC Union Berlin 0:16 (0:8) / Sportplatz am Wasserwerk / 2.000 Zs.

Die Fußballsaison 2017/18 steht vor der Tür. Mein Herzensverein hatte gestern zum Trainingsauftakt in das „Stadion an der Alten Försterei“ gebeten und wird heute zum lockeren Aufgalopp in die Testspielserie starten. Glücklicherweise verzichtet man in diesem Jahr auf den Köpenicker SC und Germania Schöneiche, sodass der geneigte Fan der „Eisernen“ in diesem Frühsommer endlich einmal andere Spielstätten kennenlernen wird.

Der erste Weg der neuen Saison führt uns zum 105. Vereinsgeburtstag des Friedrichshagener SV an den Sportplatz am Wasserwerk. Die Website der Gastgeber verkündet vollmundig, dass das Spiel für Steven Skrzybski eine Rückkehr an seine alte Wirkungsstätte bedeuten würde, an der er „einige Jahre seine Fußballschuhe geschnürt“ hätte. Seit 2000 ist Skrzybski (geb. 1992) aktives Mitglied des 1.FC Union Berlin. Viele verschiedene Internetquellen nennen als seinen einzigen Jugendverein neben Union die SG Stern Kaulsdorf. Es müssen also prägende Jahre der Frühkindheit Skrzybskis gewesen sein, die hier zwecks Marketing des Vereinsjubiläums herhalten müssen.

Ich hingegen habe meinen eigenen Claim und quäle mich zur Feier des Tages mit „Magen nach Friedrichshagen“. Neben der altbekannten Sodbrennenproblematik, die mich seit einigen Wochen begleitet, gesellt sich strömender Regen, während ich an der Bölschestraße auf Heinzi warte. Nur noch kurz zum Geldautomaten und dann zu Fuß in Richtung Sportplatz und schon ist man bis auf die Knochen nass geworden. Viel mehr als die 1.000 Zuschauer, die dem Hörensagen nach im Vorverkauf zugeschlagen haben, werden sich heute bei diesem Katzenwetter wohl kaum vor die Tür trauen. Friedrichshagen, du bleibst eine alte Nutte!

Nach der Zahlung des Eintrittsgeldes tun wir es der ersten Hundertschaft Besucher gleich und finden uns an der einzigen überdachten Stelle des Sportplatzes ein. Ein Hoch auf den Bierstand! Dann rückt der Anpfiff immer näher und mit tragenden und melancholischen Worten wird Thomas Rabe verabschiedet. In 100 Spielen für den Bezirksligisten hat der junge Mann nach Informationen des Stadionsprechers 83 Tore geschossen und angesichts der Melodramatik in der Stimme und des sonderbar zurückhaltenden Beifalls der Zuschauer sind wir uns kurzzeitig nicht sicher, ob es sich hier soeben um einen Nachruf gehandelt hat. Dank späterer Recherche ist aber schnell klar, dass alles noch viel schlimmer als befürchtet ist: Rabe wechselt zu Tennis Borussia. Mein Beileid.

Das Spiel beginnt. Wir haben es uns inmitten hunderter Regenschirme und Plastiktüten-Regenschutzimprovisationen auf dem Gegegengeradengrashügel bequem gemacht und sogleich schwingt sich der Stadionsprecher zum Star des Nachmittags auf. Während man beim 0:1 durch „Philippe Osiné“ in der 8. Minute noch davon ausgehen kann, dass der gute Mann die Spielernamen schlicht und ergreifend nicht kennt, darf man beim 0:13 durch „Siebästschjen“ Polter in der 68. Minute getrost davon ausgehen, dass hier jemand die große Bühne nutzt, um einer verlorenen Wette einen würdigen Rahmen zu verschaffen. Dazwischen liegen viele Tore des 1.FC Union, von denen vor allen Dingen die Direktabnahme Hedlunds zum 4:0 in Erinnerung bleibt. Auch Steven Skrzybski steuert im ersten Spielabschnitt zwei Treffer zum Torreigen bei, welche er vermutlich ausschließlich aus Respekt vor seinem ehemaligen „Arbeitgeber“ nicht ausufernd bejubelt. Während der Partie reißt der Himmel langsam auf und die Zuschauerränge füllen sich nach und nach. Nach einer guten halben Stunde hat der Bezirksligist, der sich letztlich doch über gut 2.000 zahlende Zuschauer freuen kann, die erste Abschlussgelegenheit, aber der wachsame Jakob Busk wird zum Spielverderber.

Im zweiten Durchgang läuft Union mit 11 neuen Spielern auf, doch auch unter der zweiten Equipe findet sich Toni Leistner nicht wieder. Ein Umstand, der direkt die Gerüchteküche anheizt und abermals die Vermutung in den Raum stellt, Leistner sei weiterhin wechselwillig. Beim Stand von 12:0 wird Damir Kreilach ein Foulelfmeter verweigert, was auch Cheftrainer Jens Keller auf den Plan ruft, der nun gleichermaßen scherzhaft wie wild mit dem Linienrichter an der Außenlinie diskutiert.

Richtig laut wird es dann im weiten Rund, als der Außenseiter im Anschluss des bereits gezeigten erwähnten 0:13 durch Polter nach einem starken Angriff nur den Pfosten trifft. Wie ich diese anachronistischen Berichterstattungen des zdf am Samstagabend hasse…

Kurz darauf wechselt man auf Seiten der Gastgeber eine 130 Kilogramm schwere Geheimwaffe ein. In der vergangenen Saison konnte Patrick Rolf Seiferth („es ist Rolf, ihr Nutten!“) in 16 Spielen der Kreisliga B immerhin 12 Tore erzielen und heute zumindest die Stimmung weiter anheizen. Beeindruckend, wie er sein Kampfgewicht in der Offensive das eine oder andere Mal imposant in Szene setzen kann. Klar, dass das auch beim Union-Anhang gut ankommt und Seiferth einige Male deutlich hörbaren Szenenapplaus beschert.

Die letzten Akzente setzt dann wieder der Stadionsprecher, der sich auch beim 0:15 durch Polter nicht zu schade dafür ist, dessen Vornamen in Reminiszenz an die Zeit bei QPR erneut zu anglifizieren. Polter quittiert dies mit einem Kopfschütteln und einem breiten Lächeln. Der Trainer der Gastgeber bringt in der 90. Minute den chilenischen Ausnahmetorhüter José Delgado Cuervo in die Partie, womit, ihr könnt es euch denken, der Stadionsprecher seine helle Freude hat. Fiesta, Fiesta, Fiesta, Emoción!

Und während man sich so denkt, dass das 0:16 durch Kenny Prince Redondo in der 90. Minute einen schönen Schlusspunkt für die Partie hätte darstellen können, greift unser Freund noch einmal beherzt zum Mikrofon. „Enjoy your Sunday am Bierstand!“, lauten seine letzten Worte. Sollte er nebenberuflich auch als Grabredner tätig sein, könnte ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen. Aber bevor ich ablebe, muss ich zumindest am kommenden Wochenende noch nach Barleben. /hvg