Posted on Februar 26, 2017
26.02.2017 Rákospalotai Egyetértés Atlétikai Club – Újpest FC II 1:1 (0:1) / Budai II László Stadion / 135 Zs.
Am letzten Tag unseres Budapest-Aufenthalts packt auch den Hoollegen das Kulturfieber. Ein bisschen mehr als Fußball müsste man dann doch noch machen, wenn man das erste Mal in der ungarischen Hauptstadt zu Gast ist. Beflügelt von seinen positiven Erfahrungen, die er vor einigen Wochen in einem litauischen Skulpturenpark sammelte, in welchem er eine überdimensionierte Lenin-Statue sexuell belästigt hatte, ist das kulturelle Ziel schnell auserkoren. Auch in einem Budapester Vorort ist ein Skulpturenpark verortet, der sich den einen oder anderen Schatz aus der Zeit des sozialistischen Ungarns und seinen Anrainerstaaten gesichert hat. Klar, dass es sich unsere beiden Wendeverlierer da nicht nehmen lassen wollen, diesem Disneyland der Volksrepubliken einen Besuch abzustatten.
Mit der modernen Metrolinie 4, die erst seit drei Jahren in Betrieb ist und die beiden Stadthälften „Buda“ und „Pest“ durch einen Tunnel unter der Donau miteinander verbindet, geht es hinaus bis nach Kelenföld, von wo aus ein Bus, der immerhin ein Mal in der Stunde abfährt, die letzten Meter bis an den südwestlichen Stadtrand zurücklegt. Dort ausgestiegen, weisen einem Stalins Stiefel sogleich den Weg in den Skulpturenpark, in welchem wir uns genau eine Stunde lang aufhalten und den Gigantismus vergangener Zeiten auf Zelluloid bannen werden. Nachdem der Hoollege auch hier dem einen oder anderen großen Despoten und einigen Soldaten unter die Röcke schauen konnte, verlassen wir die skurrile Szenerie, um den Dorfbus nicht zu verpassen.
Das nächste Ziel des Tages liegt nämlich 20 Kilometer in nordöstlicher Richtung entfernt und wird gut anderthalb Stunden Fahrtzeit in Anspruch nehmen. Die lange Anreise gestaltet sich dank der anderen Passagiere jedoch einigermaßen kurzweilig. Vergnügt beobachten wir ein Pärchen, deren Kinder die gesamte U-Bahn aufmischen. Hier ein bisschen toben, dort ein wenig klettern und ganz, ganz viel lautes, sinnloses Geschrei. Prinzipiell gibt es gegen explorierende Kinder ja nun wirklich nichts einzuwenden, aber auch hierfür gilt es in gewissen Situationen einen Rahmen aufrecht zu erhalten. Irgendwann sieht auch die Kindesmutter den richtigen Zeitpunkt für eine Intervention gekommen und beordert einen der kleinen Racker auf ihren Schoß. Bestnoten verdient sie sich, als sie den zweiten, soeben beim Ausführen von Klimmzügen an der Haltestange abgerutscht, mit ihrem linken Fuß auffängt. Die Rolle des Vaters während dieses 30-minütigen Spektakels: Auf das Handy glotzen. Ein Hoch auf das Patriarchat – it’s a man’s world!
Als wir den Zug verlassen, ist bereits eine Armada von Ticketkontrolleuren auf dem Bahnsteig aufgezogen. Auf den Jacken der Kontrolleure prangt groß der Firmenschriftzug „TOMCONTROL“ und ich empfinde es als eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, dass auch ich meine Fahrkarte vorzeigen muss. Aber wir hatten uns ja irgendwann mal geeinigt, im Blog auf Klarnamen zu verzichten.
Kurz darauf haben wir den Stadtbezirk Rákospalota erreicht und uns durch tristes Plattenbausetting vorbei an einem schönen Wasserturm bis zum Budai II László Stadion vorgekämpft. Was nimmt man nicht alles in Kauf, um ein ungarisches Drittligaspiel sehen zu können. Diese dritte Liga ist in Ungarn übrigens dreigeteilt, wobei jede der Staffeln 18 Vereine in den Wettbewerb schickt. Für Freunde unnützer Details darf an dieser Stelle der Hinweis darauf nicht fehlen, dass FUDU sein Kreuz heute in der Nemzeti Bajnokság III macht. Der gastgebende Rákospalotai Egyetértés Atlétikai Club (oder kurz: REAC) empfängt heute die zweite Mannschaft des Renommierclubs
Újpest FC. In der Reisevorbereitung fielen einst zwei Dinge ins Auge und blieben in Erinnerung:
1.) Zunächst einmal lässt die Tabellensituation die beiden FUDU-Schweine darüber zweifeln, ob Újpests Zweite wirklich am Spielbetrieb teilnimmt. Als Tabellenletzter mit 0 Punkten und einer Tordifferenz von exakt -60 kommt doch der Verdacht auf, dass die Mannschaft womöglich zurückgezogen und jedes Spiel mit 0:3 gewertet worden ist. Doch ein vertiefter Einstieg in die Materie verschafft schnell Klarheit: Die sind schlicht und ergreifend einfach wirklich so schlecht. So stehen auf der Habenseite beispielsweise eine 0:9 Niederlage in Kazincbarcika, ein 0:6 beim FC Hatvan oder auch ein geschmeidiges 1:7 im heimischen Stadion gegen die Zweitvertretung von MTK Budapest zu Buche. Der in Ungarn bislang torlose Fetti kann sich seiner Sache also sicher sein: Heute wird es Tore hageln!
2.) Während der Recherche, ob Újpest noch am Wettbewerb der dritten Liga teilnimmt, fällt auch der Kader der lila-weißen ins Auge. Fetti hat seinen Liebling schnell auserkoren, scheint doch in der Abwehr ein Akteur mit dem herzzerreißenden Namen Ferkel Miklós zu agieren. Süß! Auch der Vig Peter, der von googles automatischem Übersetzungsprogramm „Peter Fröhlich“ genannt wird, weiß die pubertären Komikzentren der Reisenden im Mark zu erschüttern.
Vor dem Stadion empfängt dann ein Ordner in Bomberjacke mit Reichskriegsflaggenaufnäher die torhungrigen FUDU-Schweine, welche sich diesen widerwärtigen Umstand glücklicherweise schönreden können. Muss wohl so in der Stellenausschreibung gestanden haben: Suchen REACtionäre Sicherheitskräfte. Und wenn das offensichtlich eine unabdingbare Schlüsselqualifikation zur Einstellung darstellte, dann kann man da jetzt auch nix machen.
Im Stadion weisen verblasste Sponsorentafeln darauf hin, dass sich REAC einst aufschwang, zu Größerem berufen zu sein. In der Saison 2005/06 spielte man in der Tat in der höchsten Spielklasse des Landes, unter anderen auch gegen die Erstvertretung des heutigen Gegners, damals noch vor knapp 6.000 Zuschauern. Leider stellte man in der Höchstphase des Erfolges wenig bodenständige Planspiele an, die beispielsweise einen Umzug in das gerade einmal 210 Kilometer entfernte Sopron und einen Stadionneubau vorsahen. Genau so schnell wie es bergauf ging, ging es dann auch wieder bergab und heute stellt eben zwei Spielklassen tiefer das Budai II László Stadion den Star des Nachmittags dar.
Dieses besticht durch verrottete Treppenaufgänge, marode Kurven, eine wunderbare Haupttribüne mit gelben und blauen Sitzschalen, eine nostalgische Anzeigetafel, sowie komplett zugemüllte Lagerräume und dabei hat man noch nicht einmal über die wunderbare Aussicht gesprochen, die sich dadurch auszeichnet, dass man freien Blick auf gleich zwei hübsche Kirchen (und einen Penny Markt) genießen kann.
Vor uns sitzt sitzt abermals ein älterer Herr mit einer auffälligen Jacke. Wir staunen nicht schlecht, dass in Ungarn lila-grüne Starter-Jacken der Charlotte Hornets nach wie vor en vogue sind und stellen die steile These auf, dass man im Ostblock modemäßig nach 1990 schnell aufgeholt, nach 1996 aber ebenso schnell wieder stark nachgelassen und stagniert hat.
Das Spiel wird eröffnet, nachdem wir uns ein Löwenbräu aus der Dose aus dem Stadioncatering gegönnt haben, welches höchstwahrscheinlich unmittelbar vor Anpfiff im benachbarten Penny Markt käuflich erworben wurde und hier gegen einen geringen Aufpreis weitergegeben wird.
Auf dem Spielfeld entwickelt sich überraschenderweise eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe, da der bislang punktlose und hoffnungslos abgeschlagene Tabellenletzte die Winterpause offenbar genutzt hat, um ordentlich an den eigenen Schwachstellen zu arbeiten. Das Spiel können sie jedenfalls einigermaßen offen gestalten, wobei leider lediglich Herr Ferkel zum Einsatz kommt, während sich der Vig Peter nicht einmal im Kader befindet. Da wird er aber nicht all zu fröhlich drüber sein. Große Augen machen die Hausherren spätestens in dem Moment, in dem die Gäste nach einer halben Stunde mit 1:0 durch Gere Zoltán László in Führung gehen können. FUDU gerät angesichts dieses ersten historischen Treffers auf ungarischem Boden in Ekstase und gönnt sich noch ein Löwenbräu.
In der 39. Minute setzt ein REAC-Akteur einen Kopfball an den Pfosten und nach und nach kann der ehemalige Erstligist doch seine Qualitäten abrufen und dem Spiel den Stempel aufdrücken. Die gesamte zweite Halbzeit läuft ausschließlich in eine Richtung und REAC drängt mit aller Macht auf den Ausgleich. Eine Wasserstoffblondine mit rosa Basecap feuert die gelb-blauen Akteure ebenso an, wie die Balljungen am Spielfeldrand, ansonsten kommt atmosphärisch eher wenig von den Rängen. Nach einer gespielten Stunde hat REAC zwei Großchancen liegen gelassen, nach 67 Minuten klärt Újpest einen Kopfball auf der Torlinie. Und so läuft dem großen Favoriten nach und nach die Zeit davon, doch der Schlussakkord bleibt den gelb-blauen vorbehalten. In der 90. Spielminute gelingt Kollár Zsolt per direkt verwandeltem Freistoß der vielumjubelte Ausgleich, wobei nach Abpfiff auch die Gäste in Anbetracht ihres ersten Punktgewinns in der laufenden Saison Freudentränen in den Augen haben.
Nach Abpfiff fällt die rosa bekappte Wasserstoffprinzessin dem schlechtesten Spieler auf dem Feld in die Arme, der auf Seiten REACs nach gut 70 Minuten eingewechselt worden war und sich alles andere als nachhaltig um einen Platz in der Startelf beworben hatte. Wir freuen uns angesichts des Medizinkits aus dem zweiten Weltkrieg darüber, dass sich hier kein Akteur ernsthaft verletzt hat und ins Lazarett gebracht werden musste. Mit einem letzten Löwenbräu für den Weg verlassen wir das Stadiongelände und machen uns auf den Weg in den Heimatstadtteil der heutigen Gäste. Auf nach Újpest, IV. Bezirk der ungarischen Hauptstadt, der mit dem unschlagbaren Argument aufwartet, Partnerbezirk von Marzahn-Hellersdorf zu sein.
Dort kehren Fetti und seine Freunde zunächst einmal in einem Restaurant ein, welches mit maritimen Ambiente seine Gäste in die Kombüse zu locken versucht. Da bereits in Praha gute Erfahrungen mit einer ähnlichen Gaststätte gemacht worden sind, lässt sich FUDU heute auch durch die Speisekarte von 2012 nicht abschrecken. Die großen osteuropäischen Seefahrernationen müssen ihr Menü eben nicht ständig updaten, wenn die Qualität von Hause aus stimmt.
Nachdem Fetti mehrere Artgenossen auf einem Teller (Schweinefilet gefüllt mit Wurstbret im Speckmantel) genüsslich verspeist hat, macht er sich auf zu „irgendeinem Eishockeyspiel“, welches am Vorabend bei der Recherche bezüglich der Abendplanung auf dem Hoppingradar aufgetaucht war. Heute spielt der Újpest TE gegen ein Team namens Dunaújvárosi Acélbikák (ach, komm, das habt ihr doch jetzt nicht ernsthaft versucht zu lesen…) und wir haben in der Tat keinerlei Vorstellungen über die Größe des Stadions und der zu erwartenden Qualität des Spiels.
Angekommen an der Halle reiben wir uns aufgrund der langen Schlangen an den Tickethäuschen die Augen. Mit Mühe und Not ergattern wir eine Eintrittskarte und nehmen Platz in der kleinen Eishalle, die mit gut 2.000 Zuschauern bis unter das Dach gefüllt ist und bereits jetzt verspricht, ein echter Hexenkessel zu werden. Das Spiel trägt dann sein übriges zu dem gelungenen Abend bei. Es entwickelt sich ein offener Schlagabtausch, hart und intensiv von beiden Seiten geführt. Die Heimseite supportet laut, leidenschaftlich und durchgängig. Das Spielgeschehen wogt hin und her und kann im Minutentakt in die eine oder andere Richtung kippen. Die Gäste gehen zwei Mal in Führung, doch sechs Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit gleichen die Hausherren aus. Nach 69 Minuten gelingt dem Slowenien-Legionär Anže Ropret der 3:2 Siegtreffer in der Verlängerung und die lila-weißen Schlachtenbummler drohen mit ihren „Hajrá Lilák“ Gesängen das Dach abzutragen. Kein Wunder, da wir, wie wir im Nachhinein erfahren, aus Versehen zu Gast bei einem alles entscheidenden siebenten Play-Off-Spiel des Viertelfinales der MOL-Liga waren.
Glücksbeseelt von diesem überraschend tollen Eishockeyabend treten wir den Rückweg auf’s Schachbett an. Morgen früh wird uns RyanAir zurück nach Berlin und mehr oder weniger direkt auf die Arbeitsstelle befördern. Es bleibt wieder einmal gerade genügend Zeit für einen Abschiedskalauer. Irgendwann noch mal nach Ungarn? Gar nicht mal so ungern…! /hvg
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