Posted on Oktober 14, 2017
14.10.2017 1.FC Schweinfurt 05 – FC Ingolstadt II 0:3 (0:2) / Willy-Sachs-Stadion / 994 Zs.
Einmal kurz den Globus gedreht, schon hat man festgestellt, dass sich zwischen Malta und Regensburg ein weiterer Ort befindet, dem man einen Besuch abstatten könnte. Fetti wackelt voller Vorfreude mit dem Ringelschwanz. Was kann es schöneres geben, als Schweinfurt eine Visite abzustatten?
Ich hingegen starte etwas lädiert in das Unterfangen, hat mir meine letzte Mahlzeit in Südeuropa doch etwas den Magen verdorben. Unser Nürnberger Gastgeber öffnet jedoch auf Nachfrage zu meiner Überraschung einen Medizinschrank, der einem echten Waffenlager gleicht und bietet mir eine Medikation an, die ihm und seinem Magen-Darm-Trakt in Indonesien treue Dienste geleistet hätte. Geschätzte zwei Sekunden nach Einnahme haben sich dann auch alle Poren und Körperöffnungen irreversibel zusammengezogen und ich traue mich nach dieser Super-Tablette an den Morgenkaffee aus einer Super-Tasse mit dem Logo eines recht bekannten Fußballclubs. Ich bin ja als wandelndes Fußball-Lexikon bekannt, doch dass der FC Bayern amtierender „Deutscher Super-Meister“ ist, überrascht mich dann doch.
Kurz nach diesem Erkenntnisgewinn gelingt es uns am Nürnberger Hauptbahnhof mit nahezu spielerischer Leichtigkeit, unsere Proviantbeutel zu füllen. Einige Hackepeterbrötchen und das gute „Grüner Vollbier hell“ (in Nürnberg nur Fürther Bier!) wandern in unseren Fundus, was auch daran liegt, dass unser Gastgeber, der so heißt wie eine Stadt in NRW, bereits ordentlich Brand(t) hat.
Während unserer Frühstückszeremonie rumpelt die Regionalbahn rustikal durchs Frankenland, wobei es bei diesem Satz schon darauf ankommt, das „R“ angemessen regional zu rollen. Nachdem illustre Siedlungen wie Hirschaid, Frechaid und Haßfurt passiert worden sind, haben wir nach gut 90 Minuten „Pigfurt Main Station“ erreicht. Mit Blick auf das Bahnhofsgebäude und in die Hauptstraße keimt nicht sonderlich viel Vorfreude auf die Stadt auf. Die 70’er-Jahre-Zweckbauten lassen erahnen, dass wir es mit einer typischen westdeutschen Stadt zu tun bekommen werden. Kennt man ja. Bahnhof-Fußgängerzone-Ableben.
In Schweinfurt jedoch muss man gehörig aufpassen, nicht bereits vor dem Erreichen der Fußgängerzone dahinzuscheiden. Irgendein findiger Städteplaner ist hier nämlich auf die Idee gekommen, einen Stadtplan zur ersten Orientierung auf die Mittelinsel zu setzen und den geneigten Besucher dazu zu zwingen, sich auf die Straße und mitten in die Einflugschneise der Taxis zu stellen. Eigentlich eine gute Idee, die es für Berlin zu adaptieren gilt. Kann ja nicht schaden, wenn der erste Schwung Partytouristen direkt am Flughafen über den Haufen gekachelt wird.
Gezwungenermaßen haben wir uns schnell einen Überblick über Schweinfurt verschafft und entschieden, den direkten Weg zum Stadion anzutreten, welches wesentlich mehr Charme verspricht, als der Rest der Stadt zu versprühen vermag. Selbstredend wird FUDU diesen gut halbstündigen Spaziergang nicht ohne Wegbier antreten und so kommen wir in den zweifelhaften Genuss, Kontakt mit „Schweinfurter Brautradition“ herzustellen. Die „Roth Bier GmbH“ ist sich nicht zu schade, ihr neuestes Machwerk mit dem pfiffigen Namen „Roth runner“ zu versehen und es auf ihrer eigenen Website vollmundig mit „Unser Trendbier. Süffig und mit gelungenem Design.“ anzukündigen. FUDU würde dann gerne ergänzen: „und mit einer hemdsärmeligen Strenge im Abgang!“
Am Stadion angekommen, fällt unser erster Blick auf das Willy-Sachs-Denkmal, welches aus dem Jahre 1936 stammt und nicht nur nach Nazischeiße aussieht, sondern auch Nazischeiße ist. Der Namenspatron des Schweinfurter Stadions ist der Sohn des Schweinfurter Industriellen Ernst Sachs, wurde bereits 1933 Mitglied der NSDAP und SS und schwang sich im dritten Reich dann zum Obersturmbannführer und zum Wehrwirtschaftsführer auf. Heinrich Himmler verlieh ihm Orden und Ehrentitel. Zu seinen größten Hobbys zählte er saufen, Vielweiberei auf Schloss Mainberg und mit Hermann Göring auf die Jagd gehen. 1936 stiftete er der Stadt dann das Stadion und eröffnete es feierlich mit den Worten „Unserem großen und geliebten Führer Adolf Hitler ein dreifaches Sieg Heil!“, wofür die Bürger und Politiker Schweinfurts bis heute so unfassbar dankbar sind, dass sie sich im Jahre 2015 deutlichst gegen eine Umbenennung der Sportstätte entschieden. Warum auch, schließlich wurde Willy Sachs nach Kriegsende als „Mitläufer Kategorie IV“ locker-flockig entnazifiziert und im Jahre 1957 erhielt er dann das Bundesverdienstkreuz. Letztlich also eine ganz normale steile bundesdeutsche Karriere. Und man muss ja jetzt auch nicht bis in alle Ewigkeit nachtragend sein, Schwamm drüber, Willy, irgendjemand musste Kackeland nach 45 ja wieder aufbauen!
2017.
Die Zeit des nationalsozialistischen Regimes ist glücklicherweise schon lange vorbei und bis zum Beginn des nächsten verbleibt hoffentlich noch etwas Luft. Heute ist Fetti mit recht banalen Absichten im Frankenland unterwegs: einfach nur entspannt sein Hakenkreuz im Groundhopping-Informer setzen. Das Willy-Sachs-Stadion, einst als eines der modernsten Stadien Deutschlands eröffnet, ist mittlerweile nämlich angenehm in die Jahre gekommen und stellt mit seinen alten Stehplatzrängen ein wohltuendes Pendant zu den modernen Arenen dar.
Während wir das Stadionumfeld erkunden, kommen uns erste Spieler und der Trainer des 1.FC Schweinfurt auf dem Weg zum Warmmachen auf dem Nebenplatz entgegen. Die Regionalliga Bayern ist so angenehm unterklassig, dass man hier als vermeintlicher Fan noch mit einem freundlichen „Servus“ von eben jenen Menschen begrüßt wird, deretwegen man Eintrittsgelder bezahlt, um diese spielen und arbeiten sehen zu dürfen. Der nächste dicke Pluspunkt wandert wenige Augenblicke später am Bierstand in die Notizblöcke, als der Schankwart auf unsere bayrisch vorgetragene Bestellung: „Ein Helles, bitte“ mit: „Also ein Bier?!“ antwortet. Scheint die Sprachbehinderung in diesem Teil des Freistaats also noch nicht mit aller Härte zugeschlagen zu haben.
Dafür ist es jedoch der Stadion-DJ, der mit unerbitterlicher Härte zuschlägt und das Publikum mit furchtbarer deutscher Popmusik malträtiert. „Lass uns leben wie ein Feuerwerk, oh-oh, denn dieser Augenblick kommt nie zurück, die ganze Welt kann uns gehören, oh-oh“. Auf jeden Fall eines der belanglosesten Musikstücke, seit Roger Cicero vom Müll runterbringen gesungen hat. Und was aus dem geworden ist, wissen wir ja alle.
Das Spiel beginnt. Der 1.FC Schweinfurt, der mit dem Ziel in die Saison gestartet war, dem großen Staffelfavoriten des TSV 1860 München Paroli zu bieten, liegt bereits 10 Punkte hinter den Löwen zurück. Zuletzt gelang ihnen drei Spiele in Folge kein Sieg. Leider kommen sie auch heute nicht gut ins Spiel und die Zweitvertretung des FC Ingolstadt übernimmt das Kommando auf dem Platz. In der 23. Minute gibt Ryoma Watanabe aus 20 Metern einen Schuss ab, mit dem er in Japan vermutlich nicht einmal seine Kois hätte erschrecken können, doch Schweinfurts Keeper Eiban greift beherzt daneben, legt sich das Ei selbst ins Nest und sorgt für ein erstes Raunen in den Reihen der alten Meckermänner um uns herum. Als nur neun Minuten später nach einer Flanke aus dem Halbfeld Langen mit dem Kopf zur Stelle ist und auf 2:0 erhöht, werden die Unmutsbekundungen schon etwas größer und ein erstes Pfeifkonzert fegt durch das weite Rund. Auch die maximal 150 aktiven Supporter der „Schnüdel“ hinter den Zaunfahnen auf der Gegengerade, von denen man sich generell etwas mehr Lautstärke erhofft hatte, stellen nun ihre Unterstützung für die eigenen Farben ein.
Währenddessen haben Teile der Reisegruppe FUDUs ihre ganz eigenen Probleme. In einer App, in der man festhalten kann, welche Biersorten man an welchen Tagen getrunken hat, fehlt doch tatsächlich das „Roth Original – Schweinfurter Hell“ in der Auswahl. So wird natürlich die Bilanz verfälscht und kein realistisches Abbild des eigenen Trinkverhaltens möglich sein. Fetti hofft inständig, dass diese Fakten in der Suchtberatung offen gelegt werden! Kurz juckt es uns dann allen in den Beinen, als im Rahmen eines Halbzeitspiels mit dem Namen „Schnüdelschuss“ Fußbälle auf Bierkästen geschossen werden müssen, doch können wir uns noch gerade eben so zurückhalten.
Ich gedenke aus Rücksicht auf meinen Magen in der zweiten Halbzeit auf ein weiteres Bier zu verzichten, werde jedoch mit der unschlagbaren Gegenargumentation, dass noch Tabletten aus Indonesien übrig wären, schnell von diesem Plan abgebracht.
Das Spiel läuft auch in der zweiten Halbzeit in die altbekannte Richtung. Die „Schanzer“ präsentieren sich sehr gefestigt und lassen bis auf einen Kopfball von Jabiri defensiv nichts zu. Nach 68 Minuten hat Schweinfurts Trainer Klaus die Nase voll und wechselt gleich dreifach aus, doch auch im Anschluss dieses deutlichen Zeichens der Unzufriedenheit geht kein Ruck durch seine Mannschaft. Mit einer ordentlichen Portion Härte versuchen die „Schnüdel“ sich irgendwie in das Spiel hineinzubeißen, aber bis auf gleich sieben gelbfarbige Verwarnungen springt nichts messbares dabei heraus. Als Keeper Eiban in der 74. beinahe das zweite Mal folgenschwer daneben greift, wird er von den alten Meckermännern noch eben schnell als „Fliegenfänger“ beschimpft, bevor diese kopfschüttelnd das Stadion verlassen. Wesentlich effektiver und effizienter treten die Gäste auf, die neun Minuten vor Ultimo mit einem Strafstoß auf 3:0 erhöhen. Watanabe hatte einen Freistoß in die Mauer der „Schnüdel“ getreten und der souveräne Schiedsrichter Treiber zurecht auf Handspiel entschieden. Im Anschluss setzt im Stadion eine regelrechte Völkerwanderung ein und die Reihen lichten sich rasant. Ohnehin war die Zuschauerzahl von nur 994 sehr enttäuschend gewesen, besonders, wenn man bedenkt, dass hier in gerade einmal zwei Wochen in der zweiten Runde des DFB-Pokal gegen Eintracht Frankfurt mit 15.000 Zuschauern die Bude richtig brennen wird. Vielleicht seinen Arsch auch einfach mal ins Stadion bewegen, wenn kein Feiertag ansteht?
Wenige Sekunden später segelt ein weiterer hoher Ball in den Strafraum der Schweinfurter. Der eingewechselte Senger steigt hoch, köpft – und der Ball senkt sich über den verdutzten Eiban hinweg auf die Querlatte. Jetzt platzt den verbliebenen Zuschauern endgültig der Kragen und mit dem markigen Slogan „Klaus muss raus!“ will man ganz offensichtlich an selbigen des Cheftrainers. Nicht besonders kreativ, aber eingängig. Klaus muss raus, Klaus muss raus, Klaus muss raus! FUDU stimmt trotzdem nicht mit in den Kanon ein, schließlich hat er immer nett gegrüßt.
Und während die Mannschaft ohne jegliche Kontaktaufnahme mit der eigenen Anhängerschaft den Rasen verlässt, steht ein Großteil der Schweinfurter Szene bereits vor der Tribüne und bellt die oben genannten Parolen in die Kabine. Etwas skurril mutet es an, das parallel dazu einige Entsandte Gelder für die Choreographie gegen die Eintracht sammeln. Das wird sicherlich ein schönes Spiel, Klaus muss raus, Klaus muss raus, gegen einen Bundesligisten, 15.000 Zuschauer, Klaus muss raus!
Wir verlassen das Stadion. Im Hintergrund verblassen nach und nach die Stimmen der Krakeeler und wir werden bereits erneut mit Schwermut erdrückt. Eine ehemalige Kaserne dient hier mit ordentlich Stacheldraht umzogen als Flüchtlingsunterkunft. Der erste gruselige Adler, aus dem mit viel Liebe zum Detail wenigstens das Hakenkreuz entfernt wurde, gibt Anlass zur schnellen Recherche. Oh, wie schön. Es handelt sich um die ehemalige „Adolf-Hitler-Kaserne“, erbaut 1935/36. Also, wo, wenn nicht hier, sollte man sich als Geflüchteter so richtig wohl fühlen? Und ein bisschen Dankbarkeit hat ja noch keinem geschadet. Oh, Kackeland, wie verachtenswert du bist!
Die Innenstadt hat dann optisch leider auch nicht sonderlich viel zu bieten, obwohl das Stadtmarketing große Erwartungen geschürt hatte. Die in viel größerem Umfang erhoffte Kleinstadtidylle mit Fachwerkhäuschen und schmalen Gassen sammeln wir im Vorbeigehen auf dem Markt mit Blick auf das Rathaus und flanieren dann zum Abschluss des Tagesausflugs am Mainufer entlang, welches von kiffenden Jugendlichen gesäumt wird. Anschließend treten wir unsere Weiterreise nach Regensburg an und verpassen in Nürnberg beinahe unseren Anschlusszug, weil wir zu lange fotografierend um den „Orient-Express“ herumgeschlichen waren. Na, ob diese Ausrede bei den in Regensburg wartenden Damen gezogen hätte?
Zu viert versacken wir im Regensburger „Weißbräuhaus“, in der urigen „Piratenhöhle“ mit dem wohl schlechtesten Gin Tonic der Menschheitsgeschichte, den der Barkeeper nach Reklamation aber wenigstens stilecht einfach selbst säuft, und abschließend in der „Orange Bar“. Und plötzlich ist auch die eingangs gestellte Frage, was es schöneres geben könnte, als Schweinfurt eine Visite abzustatten, beantwortet. Das hier. Zum Beispiel. /hvg
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