Posted on November 5, 2017
05.11.2017 Berliner AK 07 – BSG Chemie Leipzig 3:0 (2:0) / Poststadion / 1.107 Zs.
Wenn der 1.FC Union Berlin den FC St. Pauli erwartet, kommen alle aus ihren Löchern gekrochen. Unmengen an Hoppern und Gelegenheitsunionern fluten dann das „Stadion an der Alten Försterei“ und sorgen durch diverse Diskussionsrunden im Vorfeld der Partie bereits dafür, dass man dieses Duell von Jahr zu Jahr anstrengender findet. Für eine gepflegte Partie „Bullshit-Bingo“ dürfen dann die Begriffe „Kult“, „Eintrittskarten“, „Blutsbrüder“ oder aber auch „Politik“ nicht fehlen. Aber es ist ja auch nicht alles schlecht daran, dass dieses Spiel eben für viele eines der Saisonhighlights darstellt. So kann FUDU-Tours beispielsweise den verrückten Tischfinnen an diesem Spieltag in seinen Reihen begrüßen, der eigens für diese Partie aus Helsinki eingeflogen war.
Nun liegt der hart erkämpfte 1:0 Heimsieg durch einen späten Kopfballtreffer von Sebastian Polter nach einer Freistoßflanke von Trimmel bereits einige Stunden hinter uns und wir begießen diesen Erfolg standesgemäß in unserer Stammkneipe im Friedrichshain, deren Namen ich aus ultrataktischen Gründen natürlich nicht Preis geben werde. Wer uns überfallen will, der darf sich schon ein wenig mehr Mühe geben…
Der verrückte Tischfinne, der eben so heißt, weil er einst meinen – zugegebenermaßen etwas instabilen – Wohnzimmertisch in seine Einzelteile zerlegte und für ein wüstes Bierflaschenfiasko sorgte, ist auch dieses Mal mit von der Partie, als beinahe ein nächstes Unglück FUDU in seinen Grundfesten erschüttert. Fetti neigt keineswegs zu Übertreibungen, aber in diesem Falle muss man schon davon sprechen, dass um ein Haar unsere Stammkneipe abgebrannt wäre.
Was war geschehen? Ein Kerzenglas, welches der Brandschutz- und Dekorationsbeauftragte der Lokalität mit Pergamentpapier umhüllt hatte, war geplatzt, woraufhin der Papiermantel Feuer fing. Man kann von Glück reden, dass zur Zeit des Unglücks die Freiwillige Feuerwehr Friedrichshain durch Anwesenheit glänzt und sich spontan bereit erklärt, sich auch um diesen Brand zu kümmern. Man mag sich gar nicht ausmalen, was der Verlust der Stammkneipe für die Zukunft unserer Gruppe bedeutet hätte. Ein ARD-Brennpunkt wäre jedoch zweifelsfrei pietätlos gewesen.
Einen Tag später steckt der kleinen FUDU-Abordnung, die sich dem finnischen Besucher zu Liebe bereit erklärt hat, dem Poststadion Berlin einen Besuch abzustatten, der Schock noch in den Knochen. Bei einem ersten Bier des Tages und der Gewissheit, dass gestern sowohl auf dem grünen Rasen als auch am grünen Tisch noch gerade eben so alles gut gegangen war, keimt aber schnell Vorfreude auf das heutige Spiel auf. Aus Hopper-Gesichtspunkten befindet man sich heute immerhin an einer historischen Spielstätte, die für den deutschen Fußball durchaus von Relevanz ist, haben hier schließlich bereits in den 1930er Jahren Finalspiele um die Fußballmeisterschaft vor mehr als 45.000 Zuschauern stattgefunden. Im Jahre 1936 wurde im Rahmen des Länderspiels zwischen Deutschland und Norwegen mit 55.000 Zuschauern der Zuschauerrekord aufgestellt, ehe das Stadion spätestens Ende der 1980er Jahre nach den letzten Nutzungen durch Hertha BSC an Bedeutung verlor und jämmerlich dahin rottete. Nur dem aufstrebenden Berliner AK 07 und der Denkmalbehörde ist es letztlich zu verdanken, dass diese historische Spielstätte auch heute noch existiert und seit 2003 sukzessive wieder hergerichtet wird. Die nostalgische Haupttribüne darf man getrost als saniert beschreiben, während auf der Gegengerade einige neue Betonstufen zu einer Kapazität von immerhin wieder 10.000 Plätzen führen. In den von Bäumen bewachsenen Kurvenbereichen ist noch nichts neues entstanden, die Weitläufigkeit und einige rudimentär erkennbare Stufen lassen jedoch einstige Größendimensionen erahnen und den geneigten Hopper mit offenem Mund zurück.
Eintritt für dieses Erlebnis unweit des Berliner Hauptbahnhofs und der Justizvollzugsanstalt Moabit müssen heute nicht alle FUDU-Schweine berappen, da über ein Facebook-Gewinnspiel eine Freikarte für das heutige Spiel ergattert werden konnte. Spätestens bei Abholung der „Ehrenkarte“ ist klar, wer diese heute nutzen werden darf. Es ist selbstverständlich der weit angereiste verrückte Tischfinne. Ehre, wem Ehre gebührt! Nahezu zeitgleich stelle ich fest, dass ich vergessen habe, den Akku meiner Kamera zu laden und erkläre den Ehrengast zum Kamerakind in Personalunion. An dieser Stelle darf man sich ohne Umschweife für die schönen Fotos bedanken – kiitos! Um Haaresbreite wird uns jedoch das Stadionerlebnis verwehrt, da uns der Präsident des BAK, Mehmet Ali Han, auf dem Stadionvorplatz beinahe überfährt. In einer unfassbaren Bescheidenheit, wie sie nur türkische Präsidenten an den Tag legen können, lenkt er seinen unscheinbaren schwarzen Mercedes Benz rückwärts durch die Menschenmassen, um seinen VIP-Parkplatz direkt am Tribüneneingang nutzen zu können. Sympathisches Understatement!
Kurz darauf haben wir es jedoch auf unsere Plätze geschafft und werfen zunächst einmal einen Blick in den Gästeblock. Dort haben sich immerhin knappe 300 Chemiker versammelt, die das gesamte Spiel über nicht besonders laut werden, aber kontinuierlich durch schöne ultratypische Gesänge auffallen werden. Darf man an der Stelle vielleicht wertend kundtun, dass ich diesen Verein und seinen Anhang ansprechend finde? Obwohl sich der große Hoffnungsträger Alexander Bury noch gerade eben so für dieses Spiel fit gemeldet hat, läuft es auf dem Rasen alles andere als rund für die Leutzscher. Der BAK bestimmt das Spiel, hat den Ball am Fuß, diktiert das Tempo. Die Chemiker verhalten sich auch an diesem 14. Spieltag der Regionalliga Nordost wie das Kaninchen vor der Schlange und zeigen eine fußballerische Qualität, die ihrem Tabellenstand (15.) entspricht. So deutlich muss man es leider formulieren.
Das Publikum um uns herum setzt sich zusammen aus ca. 30 von den gestrigen Feierlichkeiten zum Teil schwer gezeichneten Unionern, die hier heute ebenfalls dem Hoppingvergnügen nachgehen. Dazu gesellen sich einige Freunde und Familienangehörige der Spieler des semi-professionellen BAK, Nachwuchsspieler des BAK und der Rest ist dann doch einigermaßen skurill. Da gibt es diesen einen Herren zu bestaunen, der in vollständiger Kutte des nationalen Chemnitzer FC unbehelligt seine Kreise über die Tribüne zieht. Und dann ist da noch diese fanatische Gruppe Jugendlicher, die den BAK in deutscher und türkischer Sprache nach vorne peitschen. Erstmals wurde diese Gruppierung übrigens beim vergangenen Heimspiel gegen den BFC Dynamo gesichtet und schnell machen Gerüchte die Runde, der große Mehmet Ali Han würde hier etwas Taschengeld ausschütten, um so etwas wie Atmosphäre in das Poststadion zaubern zu können.
Als in der 21. Minute das 1:0 durch Sindik fällt, der eine eigentlich bereits verteidigte Freistoßflanke irgendwie über die Linie würgt, wird dies durch eben jene Gruppe angemessen mit Böllern und Kanonenschlägen gefeiert, was sogleich den Stadionsprecher auf den Plan ruft. „Das macht doch alles keinen Spaß und keinen Sinn!“, gibt er zum Besten, woraufhin man den armen, alten Mann am Liebsten in die Arme nehmen und entgegnen würde: „Na doch. Sonst würde es ja keiner machen“. Auf dem heimischen Sofa wird es indes feucht zwischen Jörg Dahlmanns Beinen: „Südländische Atmosphäre“!
Nur zwei Minuten später erhöht Brügmann nach einem wunderbar über die rechte Seite vorgetragenen Angriff auf 2:0. Vom schnellen Doppelpack der Hausherren muss sich einerseits die BSG Chemie erholen, andererseits muss auch der „Wirtschaftsflüchtling“ einen Nackenschlag überstehen. Aus bloßer Furcht vor einer Wespe hatte er soeben durch seine wilde Fuchtelei einen halben Becher Bier über den Rücken seines Vordermanns verteilt und sitzt nun auf dem Trockenen. Während Chemie sich auf dem Rasen noch deutlich schüttelt, hat der Bierverkippende bereits einen Entschluss gefasst und geht in die Aktion, die daraus besteht, die Tribüne zu verlassen, die Ordnerschleuse zu passieren und einen weiteren Weichplastikbecher mit Pfandmarke und Füllgut zu erwerben. Kaum ist er zurückgekehrt, verkündet er vollmundig große Pläne. Bis zu dem Beginn seiner Mitgliedschaft beim Berliner AK 07 kann nicht mehr viel Zeit ins Land gehen. Einige Werbeplakate, die darauf hinweisen, dass man beim BAK für 9,00 schlanke Euro im Monat freien Eintritt zu allen Heimspielen erhält und sich dazu noch gratis den Wanst an den Imbissbuden vollschlagen darf, sind in der Tat überzeugend. Und da hab ich euch noch gar nicht verraten, dass man sich auch ohne Gegenleistung hemmungslos die Lichter anknipsen kann – frei saufen gehört hier ebenfalls mit zum Rundum-sorglos-Paket.
Nach der Halbzeitpause läuft das Spiel weiter in die altbekannte Richtung. Der BAK dominiert den Gegner nach Belieben, sodass keinerlei Spannung aufkommen kann. Mehrere aussichtsreiche Gelegenheiten werden von den Gastgebern verpasst. Die Qualität der Chancen nimmt von Minute zu Minute zu und findet den vorläufigen Höhepunkt in der 83. Minute, als es Brügmann gelingt, den Gästekeeper Lattendresse auszuspielen, dann aber aus spitzem Winkel den Ball nicht im leeren Tor unterzubringen, sondern lediglich an den Pfosten zu bugsieren. Von der BSG Chemie kommt sehr wenig Gegenwehr, vielmehr erstarrt man in Ehrfurcht und hat sich mit wehenden weißen Fahnen seinem Schicksal bereits ergeben. Herr Yildirim ist dann in der Nachspielzeit so freundlich und nutzt die Gunst der Stunde, indem er aus Nahdistanz zum in dieser Höhe völlig verdienten 3:0 abschließen kann.
Nach dem Spiel kehren wir im „Neumann’s“ in Berlin-Moabit ein und lassen den Nachmittag ausklingen. Der Laden ist im Stile eines englischen Pub eingerichtet, im Nebenzimmer feiern minderjährige Cheerleaderinnen mit ihren Betreuerinnen eine große Sause und arabische Kellner servieren altdeutsche Küche. Sagen wir mal so: da hatte der BAK eine klarere Linie in seinem Spiel. Aber so lange hier nicht gleich wieder die Kneipe brennt, kann uns all das ja herzlich egal sein. /hvg
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