Posted on April 6, 2018
06.04.2018 FSV Bernau – SG Union Klosterfelde 3:2 (2:0) / Stadion Rehberge / 388 Zs.
Berlin ist der Ort, an dem man bei schlechtem Wetter wegen des Wetters schlecht gelaunt ist und bei gutem Wetter wegen der abscheulichen Menschen, die dann gutgelaunt und furchtbar angezogen die Friedrichshainer Straßencafés säumen. Grund genug für mich, an dem ersten sonnigen Tag des Jahres 2018 Reißaus zu nehmen und meinen freien Ferienfreitag andernorts zu verbringen.
In der Stichwahl setzt sich Bernau knapp gegen Bonn durch und der Besuch des „Sportpark Nord“ wird noch ein wenig auf Eis gelegt. Heute führt mich mein Weg in die Brandenburger Kleinstadt am nordöstlichen Stadtrand, die man aufgrund ihrer fast 40.000 Einwohner genaugenommen gar nicht mehr „Kleinstadt“ nennen darf, sondern gemäß „Gabler Wirtschaftslexikon“ offiziell als „Mittelstadt“ führen muss.
Im Herzen der Stadt nimmt man mich im Tourismusinformationsbüro herzlich in Empfang. Selbstverständlich gehört ein Besuch einer solchen Einrichtung zur perfekten Urlaubssimulation und zum geschickten Selbstbetrug unweigerlich dazu. Versorgt mit einem hübsch gestalteten Flyer („Bernauer Stadtrundgang – Innenstadtplan mit Sehenswürdigkeiten!“) wird es mir schon gelingen, die gleich 49 Höhepunkte der Stadt zu erkunden.
Steintor, Stadtmauer und Pulverturm bieten recht schnell ein ansehnliches mittelalterliches Ambiente, in welchem sich das alljährliche „Hussitenfest“ sicherlich gut feiern lässt. Ein jedes Jahr taucht Bernau am zweiten Juniwochenende in seine Stadtgeschichte ein und verwandelt sich in einen mittelalterlichen Jahrmarkt. Weniger stolz kann man auf die Stadtgeschichte der 1970er Jahre sein, in der Großteile der Altstadt vernichtet worden sind. Anstatt die sanierungsbedürftigen Fachwerkhäuser zu restaurieren, entschied man sich aus Kostengründen zu einem Abriss und schaffte Wohnraum im Stile einer „sozialistischen Musterstadt“. Die entstandenen Plattenbauten fügen sich mit lediglich vier Stockwerken wenigstens in der Höhe in das Gesamtbild ein, dennoch entstehen beispielsweise in der „Hohe Steinstraße“ einige surreale Anblicke – auch, wenn die Plattenbauten in der Zwischenzeit renoviert und farblich etwas aufgehübscht worden sind.
Dr. Wilhelm Külz hat auch in Bernau seine Spuren hinterlassen und noch beim Betreten des nach ihm benannten Parks klingelt mir Günters Referat aus Fürstenwalde in den Ohren. Um 16.30 Uhr habe ich den Stadtspaziergang erfolgreich abgeschlossen – von wegen keine „Kleinstadt“. Noch drei Stunden bis zum Anpfiff. Ich kehre in den „Gasthof zum Zickenschulze“ ein, nehme auf der sonnigen Terrasse Platz und lasse mich in meiner Simulation nicht einmal vom „Berliner Pilsner“ irritieren. Kurzzeitig erwächst der Wunsch in mir, diesen ersten Sonnentag des Jahres mit einem hübschen Menschen zu teilen und so nehme ich Kontakt zur Frauenwelt der näheren Umgebung auf und erhalte die erwartete Antwort. „Habe ich ja eigentlich total Lust drauf, aber…“ – und wie wir alle wissen, negiert dieses kleine unschuldige „aber“ bekanntlich ein jedes Mal alles vor dem Komma Gesagte…
Ich zum Beispiel bin ja eigentlich kein Trinker und kein Sonnenfreund, aber heute nutze ich die Gelegenheit und lasse mir bei einem weiteren Bierchen einen frühlingshaften Teint verpassen. Dabei werde ich Zeuge eines einigermaßen spektakulären Schauspiels, als ein Senior vor der Gaststätte parkt, sich einen Parkschein löst und nach der Lektüre des Zettels in den Rumpelstilzchen-Modus verfällt. Schon bitter, wenn um 17.58 Uhr der letzte Groschen in den Automaten und erst kurz darauf der wesentlich wichtigere Groschen fällt, dass man hier ab 18.00 Uhr umsonst hätte parken können. Mit einem beherzten „Die ham doch wohl ’ne Macke!“ schließt er die Szene. Da auch von einer später einsetzenden Selbstreflektion nicht ausgegangen werden kann, ruhen die Hoffnungen nun in seiner Frau. Hoffentlich wird sie ihm am Abendbrottisch auf seine Schimpftirade einfach entgegnen: „Biste doch selber Schuld, wennde da noch kurz vor Feierabend dein Jeld reinsteckst, Heinz!“, während er im Hintergrund weiter „die ham doch ’ne Macke, die ham doch ’ne Macke, die ham doch ’ne Macke…“ in seinen Bart grummeln wird.
Das „Stadion Rehberge“ des FSV Bernau e.V. befindet sich in 2,5 Kilometern Entfernung und lädt zu einem weiteren Stadtspaziergang ein. Kurz nachdem der „Sportplatz am Wasserturm“ und somit die Spielstätte des Lokalrivalen TSG Einheit passiert ist, rettet ein „Getränke Hoffmann“ mein Leben. Mit einem kühlen Wegbier ausgestattet geht dann auch die letzte Etappe leichter von der Hand, die mich noch weiter an den Stadtrand führt. Im Gewerbepark Bernau-Rehberge rotten sich die Bernauer Ronnys und Mandys mit ihren röhrenden Boliden an der Tuning-Tanke zusammen und ich werde dank des Holzbödenfachgeschäfts „Berliner Dielen“ erstmals am heutigen Tage an meine Heimat erinnert. Ja, weeß ick doch. Uff der Warschauer Brücke zum Beispiel.
„Fünf Euro wegen zwei Euro Topspielzuschlag“, pfeffert einem der Kassierer entgegen, noch bevor man „Hallo“ sagen kann. Es ist „Derbytime“ in Bernau und bereitwillig zahle ich das geforderte Eintrittsgeld, um der Partie gegen die SG Union Klosterfelde beiwohnen zu können. Die Spielstätte ist mit ihren 200 überdachten Tribünenplätzen und gut 1.800 Stehplätzen am Spielfeldrand durchaus ansehnlich und knapp eine Dreiviertelstunde vor Anpfiff bereits recht gut gefüllt. Im Stadionheft, welches aus vier Seiten besteht, gibt es neben Werbung und einer Tabelle genau 16 Zeilen Text, die Bernaus Präsident Krüger dazu nutzt, einen Rückblick auf das Stadtderby („nach dem Derby ist vor dem Derby“) gegen die TSG am vergangenen Wochenende zu werfen und Seitenhiebe auszuteilen. Es ist von „dem anderen Bernauer Fußballverein“ die Rede und selbstredend darf der Verweis darauf nicht fehlen, dass die „jahrelange Rivalität“ mit Klosterfelde „vornehmlich geprägt durch Respekt und Achtung über das Erreichte des jeweils anderen Vereins“ ist. Übersetzt heißt das soviel wie: Diese Scheißkerle von der TSG sind von der Kreis- bis in die Brandenburgliga marschiert und meinen jetzt, auf ihrem dämlichen Kunstrasenplatz den dicken Max markieren und uns an den Karren pinkeln zu müssen. Das schreibe ich jetzt so ins Stadionheft – und sonst gar nichts!
Bei hausgemachter Boulette und frischem Pils vom Fass beobachte ich von der Terrasse der Stadiongaststätte die Akteure beim Erwärmen. Zwar erweckt der Rasen dank seiner saftig grünen Farbe zunächst den Anschein eines echten Teppichs, doch bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass die Spieler beim Führen des Balles vor erhebliche Probleme gestellt werden. Jeder Pass wird auf diesem holprigen Feld zu einem Vabanquespiel und der Torwarttrainer der Gäste versucht seinen Schützling adäquat vorzubereiten, verstolpert aber jedoch selbst jeden springenden Ball.
Zu Spielbeginn haben sich stolze 388 Zuschauer auf der Anlage eingefunden und fiebern der Partie zwischen dem Tabellenzweiten aus Bernau und dem Achten aus Klosterfelde entgegen. Ich habe meinen Platz neben der Tribüne bezogen und freue mich darüber, dass es sogar sichtbaren Gästeanhang hinter einigen Fahnen zu bestaunen gibt. Im Tor der Bernauer steht Ex-Unioner Eric Niendorf und Verteidiger Töpfer begrüßt mich und die anderen Zuschauer bei seinem ersten Einwurf mit einem herzlichen „Moin“. Hier wird einem noch etwas geboten für sein Geld.
Nach 15 Minuten geht der FSV dank einer schönen Kombination, mit der die gesamte Klosterfelder Abwehr und auch ihr Torwart ausgehebelt werden, mit 1:0 in Führung. Georg Machut lässt sich als Torschütze feiern. Insgesamt wirkt der FSV wacher und hat viel schneller in das Spiel gefunden als die Gäste aus dem 15 Kilometer entfernten Wandlitz, Ortsteil Klosterfelde. Nach 21 Minuten schallt bereits das zweite Mal „Scooter“ durch das weite Rund. Machut hat dem Boden getrotzt und sich nicht davon aus der Ruhe bringen lassen, dass der Ball kurz vor dem Abschluss falsch aufgesprungen war. Alleine auf den Torhüter zulaufend wartet Machut einfach in aller Seelenruhe, bis der versprungene Ball wieder auf dem Boden ruht, um ihn dann einzuschieben. Döp döp döp de de döp döp döp!
Dreißig Minuten sind gespielt, als meine Kamera nach einer Doppelchance des FSV Bernau ihren Geist aufgibt. Da war es wohl zu lange am Stück zu warm und zu trocken für das „englische Fabrikat“ aus Birmingham. Der Ausfall ist jedoch zunächst zu verschmerzen, da es sich nun doch deutlich verdunkelt hat und die jämmerlichen Flutlichtfunzeln für keine fototauglichen Lichtverhältnisse sorgen können. Zeitgleich sorgt die einsetzende Abendkühle für etwas Feuchtigkeit und der Boden leidet zusätzlich. Holprig. Tief. Seifig. Das wird Kräfte kosten!
Erst nach 37 Minuten sendet Klosterfelde ein Lebenszeichen und kann in die deutliche Überlegenheit der Gastgeber eindringen. Wie aus dem Nichts feuert Morten Jechow, der schon bei allen unsympathischen Clubs Berlins gespielt hat, einen satten Fernschuss ab, der nur knapp links über die Latte streift.
In der zweiten Hälfte hat Bernau weiterhin Feldvorteile, bis Schiedsrichter Kai Kaltwasser entscheidend in die Partie eingreift und den ersten Angriff Klosterfeldes nach 70 Minuten mit einem sehr fragwürdigen Elfmeterpfiff belohnt. Jechow lässt sich nicht zwei Mal bitten und verwandelt sicher zum Anschluss.
Niendorf sieht schwere Zeiten auf sich zukommen und versucht sich als Lautsprecher der Mannschaft. „Ruhig bleiben, Männer“ schreit er fünf Mal hintereinander über den Sportplatz, kontinuierlich lauter werdend. Genauso wenig ruhig verhält sich Trainer Städing, der sich wegen der Elfmeterentscheidung mit Kaltwasser anlegt und in Folge der Diskussion einen Verweis erhält, den Innenraum verlassen muss und sich nun vermutlich genauso drangsaliert führt wie Warmbier.
Direkt im Anschlus des Innenraumverweises gelingt Klosterfelde durch Yaman der Ausgleich. Nur zwei Minuten sind zwischen Anschluss und Ausgleich vergangen und auf der Haupttribüne geben sich knapp 30 weitere Klosterfelder jubelnd zu erkennen.
Das vielzitierte „Momentum“ liegt nun bei Klosterfelde, die sich anschicken, die Partie zu drehen. In der 74. und 77. Minute lassen sie jedoch gute Gelegenheiten liegen, dem Spiel die letztlich ziemlich unfassbare Wendung zu geben. Ich bin bereits zu diesem Zeitpunkt vollends auf meine Kosten gekommen und glücklich darüber, mich nicht für eine Reise nach Bonn entschieden zu haben, als Bernau die nächste Pointe des Spiels setzt. Mit dem allerersten Angriff seit der Schockstarre des doppelten Gegenschlags erzielt Jean-Pierre Dellerue nach 78 Minuten das 3:2. Das Stadion Rehberge wird nun endgültig zu einem Tollhaus, in dem auch die Akteure die Sicherungen rausfliegen. Eine Rudelbildung endet nach 82 Minuten mit einem Platzverweis für Tobias Marz, der sich weigert, den Platz zu verlassen und von einem Ordner Bernaus von selbigen geschoben werden muss. Das wiederum missfällt nun den übrig gebliebenen zehn Klosterfeldern, die auf den Ordner zurennen und ihn auffordern, Kollegen Marz loszulassen. Der alte Mann mit Ordnerweste ruft nun seinen Kollegen Wolfgang zu Hilfe, der aber in etwa genauso alt und schnell ist, wie es sein Name vermuten lässt und so dauert es ein wenig, bis ein zweiter neonfarbiger Mensch auf dem Rasen erschienen ist. Langsam löst sich die Situation in Wohlgefallen auf und das Spiel kann fortgesetzt werden – nachdem die beiden alten Männer, die glücklicherweise ohne gesundheitliche Schäden aus der Eskalation herausgekommen sind, sich sichtlich erschöpft vom Feld geschleppt haben. Hab doch gesagt, das hier wird Kraft kosten!
Nach einer letzten Ausgleichschance in der Nachspielzeit erlöst Schiedsrichter Kaltwasser die Bernauer mit seinem Schlusspfiff. Ich begebe mich zu Fuß durch das dunkle Bernau in Richtung S-Bahnhof und fühle mich plötzlich wie in einem verschlafenen polnischen Dorf, nur, dass es nicht nach Kohleöfen riecht. In der S-Bahn kümmere ich mich um meine Kamera und wende alle Reperaturtricks an, die man so kennt. Auf Höhe Zepernick funktioniert sie dann plötzlich wieder. Na, dann kann das nächste Derby ja kommen! /hvg
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