Posted on Juni 16, 2018
16.06.2018 Berliner SC – SV Tasmania Berlin 2:2 (2:1) / Hubertussportplatz / 50 Zs.
Heute hat Fetti einen Tagesausflug nach Grunewald geplant. Berlin-Grunewald ist ja bekanntermaßen der Teil der Stadt, in dem das abgehängte Prekariat separiert am Stadtrand sein tristes Dasein fristet. Damit diese armen Seelen untereinander nicht in Kontakt treten können, wohnen sie nicht etwa in Mehrfamilienhäusern, sondern in abgesonderten und hermetisch abgeriegelten Stadtvillen. Auch den Austausch mit dem Rest der Berliner Bevölkerung wissen die Hintermänner dieses Paralleluniversums geschickt zu verhindern. So endete der letzte Fluchtversuch eines Hinter(grune)wäldlers damit, dass ein Künstler das verwendete Fluchtfahrzeug schlicht und ergreifend abgefangen und in Beton gegossen hat. Noch immer steht dieses Mahnmal in der Nähe des S-Bahnhofs Halensee am Rathenauplatz und kann von der interessierten Weltöffentlichkeit bestaunt werden.
Das Strandbad Halensee nennt sich dank irgendeines Marketingstudenten „Ku’damm Beach“ und besticht durch exklusive Atmosphäre im „Grand Café“, feinsten Sandstrand und luxuriöse Sonnenliegen in elegantem Weiß. Selbst bei dem überaus fairen Eintrittspreis von gerade einmal 12 € kann sich in diesem sozialen Brennpunkt bedauerlicherweise niemand den Besuch des Freibades leisten und so zeigt sich der „Ku’damm Beach“ heute menschenleer. Aus reiner Rücksichtnahme auf all die Abgehängten verzichtet Fetti auf einen Strandbesuch und somit auch darauf, seinen unendlichen Reichtum zur Schau zu stellen. Die 120-minütige Wartezeit bis zum Anpfiff wird er auch anderweitig überbrücken können und parallel zu dieser hoffnungsvollen Losung trudeln die ersten positiven Nachrichten seiner Freunde ein. Im Laufe der nächsten Stunden werden sich auch der Hoollege und Günter Hermann durch den Stadtdschungel bis in dieses Elendsviertel vorkämpfen.
Fetti zieht es zwecks Zeitüberbrückung an den Hubertussee. Der Hubertussee ist 1889 künstlich erschaffen worden und wird nun aus der Straßenentwässerung des umliegenden Wohngebiets gespeist. Weitere Wasserzufuhr erfährt er übrigens aus dem Herthasee, was letztlich die besorgniserregende und gesundheitsgefährdende Wasserqualität erklären sollte. Hier ist Baden strengstens verboten und damit sich die ohnehin bereits Dahinsiechenden aus der Nachbarschaft nicht auch noch zusätzlich mit Kolibakterien verseuchen, sind die villenähnlichen Gefängnisse in Ufernähe mannshoch eingezäunt. Manchmal muss man Menschen eben vor sich selbst schützen.
Auf der Suche nach einem Bier stellt Fetti kopfschüttelnd fest, dass es auch um die Versorgungslage vor Ort nicht gut bestellt ist. Anschläge an Bäumen und Anhänger krimineller Vereinigungen (ruhig Blut, Herr Innenminister!) bieten Eigentumswohnungen und Katzen feil. Hier versucht man offenbar wirklich alles zu Geld zu machen. Fetti, durstig, aber voll des Mitleids, erschrickt kurz darauf und schaudert, als die SS durch die Straßen marschiert. Im Hintergrund parken mit Hakenkreuzfahnen geschmückte Militärfahrzeuge vor einem mondänen Herrenhaus. Nazis! Ach, die gibt’s hier noch? Fetti ist ganz offenbar einer großen Sache auf der Spur, doch eine neongelbe Warnweste mit dem mysteriösen Aufdruck „Filmcrew“ weiß geschickt zu verhindern, dass er Beweisfotos anfertigen kann.
Immerhin stößt Fetti kurz darauf dank dieses erfrischenden Ausflugs nach Nazideutschland auf einen Einkaufsladen der Handelskette „Netto City“. Hier gibt es Dosenbier in wohlig warmer Raumtemperatur käuflich zu erwerben. Fetti schlägt angesichts der verheerenden Zustände, die er bislang erleben musste, dennoch zu. „Verdurstet im Grunewald“ ist wirklich nichts, was man auf seinem Grabstein stehen haben mag.
Mit der Bierdose in der Hand wird der Spaziergang fortgesetzt. Fetti passiert die Botschaft des Staates Israel und überlegt kurz, ob er mal klingeln und das mit den Nazis brühwarm weitertratschen sollte. Ein Schutzmann schaut grimmig herüber und verhindert so, dass sich Fetti näher herantraut, um die gutgemeinte Warnung auszusprechen.
Es verbleibt immer noch eine dreiviertel Stunde bis zum Anpfiff. Fetti stellt die leere Bierdose an den Straßenrand. Nur wenige Minuten später nähert sich ein Mann in Polohemd und Lederslippern – anhand des verwahrlost schief sitzenden Kragens deutlich als Unterschichtler zu erkennen – schaut sich verschämt um und greift dann beherzt zu. Wie schlimm es um dieses Banlieue bestellt ist, wird Fetti erst in diesem Moment eindringlich klar. Hier müssen die Menschen sogar den Müll von der Straße sammeln. Die politische Aktion „Dose runter! 25 Cent zur Rettung des Grunewalds!“ wird zeitnah initiiert.
Fetti spaziert in Folge dieses Trauerspiels noch einmal 650 Meter zurück, um sich das Bismarck-Denkmal am Bismarckplatz anschauen zu können. Da steht er, der Otto! Gut behütet, den Hering unter dem langen Mantel versteckt, der muskulöse Vierbeiner treudoof neben ihm. „Hübschet Tier“, würde Günter jetzt sagen, wäre er schon in Gruselwald angekommen.
Nur noch 30 Minuten bis zum Anpfiff. Die Schweinefußsohlen qualmen ein wenig. Fetti spielt mit dem Gedanken, einen Bus zu besteigen. Jenes Fortbewegungsmittel der einfachen Leute, die kein Geld für Benzin besitzen und gerne einmal auf Sitzgelegenheiten Platz nehmen, von denen man nicht genau weiß, welche Flüssigkeiten sich in welcher Häufigkeit bereits auf ihnen befunden haben. Da die Station am Sportplatz jedoch „Herthastraße“ heißt, verzichtet Fetti auf diese wohl heftigste Grenzerfahrung der heutigen Expedition, mobilisiert die letzten Kraftreserven und erreicht den „Hubertussportplatz“ fußläufig, ermattet, pünktlich.
Hier trifft heute am letzten Spieltag der Berlin-Liga der ortsansässige Berliner SC in einem unbedeutsamen Spiel auf den SV Tasmania Berlin. In der Zwischenzeit ist auch der Hoollege eingetroffen und so freut man sich gemeinsam, dass man den Sportplatz unentgeltlich betreten darf. Wir nehmen auf grauen Sitzschalen auf einem Nebenfeld Platz, da das Hauptfeld an diesem Nachmittag für die rugbyspielende Bevölkerung reserviert ist. Klar, dass diese barbarische Klopperei von den Grunewalder Rednecks eher goutiert wird als das elitäre Fußballspiel.
Trainerlegende Wolfgang Sandhowe schleppt sich mit Hüftschaden die Treppen herunter und während wir im Stadionheft amüsiert feststellen, dass seine Frau mit ihrem Bestattungsunternehmen zu den Sponsoren des Vereins zählt, nimmt auch Günter neben uns Platz. FUDU ist also vollzählig, als Schiedsrichter Metin Ucar, der heute das letzte Spiel seiner Karriere leiten wird, mit einem Blumenstrauß und einigen warmen Worten bedacht wird. Bereits in der vergangenen Woche hatten sich FUDUs Wege mit denen Ucars gekreuzt. So wird das Blog noch zum Fortsetzungsroman – liest man nicht alle Artikel, kommt man irgendwann gar nicht mehr rein…
Der Anpfiff verzögert sich um zehn Minuten. Zeit, um sich im Casino noch eben auf die Schnelle mit einem kleinen Bayreuther oder Veltins im gelben Plastikbecher ohne Eichstrich für 2,20 € zu bewaffnen. Auf die Frage, wie viel Bier der Becher fassen würde, antwortet der Zapfer nicht zufriedenstellend: „So annähernd 0,3. Kommt halt drauf an, wie viel Schaum mit drin ist“. Echt keine Kultur hier.
Tasmania geht durch Kirli sehr früh in Führung, nachdem man bereits einen vielversprechenden Angriff ausgelassen hatte. In der 11. und 13. Minute muss Wolfgang Sandhowe zwei eklatante Abwehrfehler seiner Mannen notieren, doch beide Ausrutscher lässt Tas ungesühnt. Mit dem ersten Angriff der eigenen Farben kann Ex-Unioner Ricky Djan-Okai mit seinem 23. Saisontreffer die Partie etwas überraschend ausgleichen (24.). Nur fünf Minuten später kommt es noch besser, als Kota Murakami mit einem schönen Rechtsschuss in die lange Ecke für die insgesamt eher unverdiente Halbzeitführung des BSC sorgen kann.
Nach Wiederanpfiff vergibt Djan-Okai die letzte gute Gelegenheit seiner Mannschaft. Die Partie trudelt im Stile eines klassischen Sommerkicks 30 Minuten ereignislos vor sich her, ehe sie dann in der letzten Viertelstunde noch einmal explodiert. Unser Lieblingsspieler Nicola Thiele, bislang mit einigen maßgeschneiderten Diagonalbällen positiv aufgefallen, erzielt mit einem geschickten und eleganten Heber aus vollem Lauf in die lange Ecke das 2:2 (72.). Da jubelt der kleine, aber feine Tasmanen-Gästeanhang ausgelassen. Nachdem sich BSC-Akteur Burak Nas wegen Drüberhaltens die gelb-rote Karte eingehandelt hat, setzt Thiele zum Schlussakkord an, doch leider trifft sein sehenswerter Fernschuss lediglich die Querlatte. Kurz darauf sammelt Wolfgang Sandhowe schwerfällig die Eckfahnen ein und sieht hierbei etwas älter aus als das Bismarck-Denkmal.
Uns zieht es nach Schlusspfiff in die Stadiongastronomie, in der irgendein Banause im weißen Kochjäckchen vor dem Grill steht. Die Salatbar ist üppig gefüllt, doch die Preisgestaltung intransparent. Der Hoollege soll sich einfach so viel auftun, wie er mag – der „Koch“ würde dann schon sagen, wie teuer die Mahlzeit wäre. Schön die Städter verarschen – dit ham wa jerne.
Dennoch verweilen wir noch ein wenig und erleben gemeinsam mit dem Subproletariat den zeitlos schönen WM-Klassiker Argentinien gegen Island vor dem TV-Bildschirm. Am Ende entführen die tapferen Wikinger nach beeindruckendem Kampf einen Punkt aus der Schlacht. Der eine oder andere Randberliner mag angesichts der Spieler aus fernen Ländern womöglich vom Reisen und der weiten Welt geträumt haben. Ein kurzer Moment der Hoffnung, zerplatzt wie eine Seifenblase, wohlwissend, dass Träume und Reisen in Ghetto-Grunewald spätestens am Rathenauplatz enden. Manchmal sogar in Beton. /hvg
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