Posted on Juli 28, 2018
28.07.2018 Queens Park Rangers FC – 1.FC Union Berlin 3:0 (2:0) / Loftus Road / 4.097 Zs.
„Irgendwann, irgendwann einmal, frühstückt Union auch international“, summt FUDU am Samstagmorgen vor sich her. Gut, dass Señor Schurke und der Fackelmann gestern bereits die nähere Hotelumgebung erkundet haben und nun in der Lage sind, zielstrebig einen arabischen Imbiss anzusteuern. Kurz nachdem auch Richard Martin eingetroffen ist, serviert der freundliche libanesische Gastgeber, dessen Bude sich inmitten von Autowerkstätten und zwielichtigen Import-Export-Schuppen irgendwo im Nirgendwo befindet, Brause und Fleisch zu unserer vollsten Zufriedenheit. Das Mahl fällt derart üppig aus, dass man hinterher nicht sagen wird, man würde voller Kraft strotzen und könnte Bäume ausreißen. Stattdessen kehrt eher eine leichte Bettschwere ein, die zum Abschluss der ersten Mahlzeit des Tages erfolgreich mit libanesischem Mokka bekämpft werden kann.
Dennoch scheint es illusorisch, die drei Meilen vom „A Kayfak“ zur Station „Shepherd’s Bush“ zu Fuß zurücklegen zu können. Sportlich ambitionierte 59 Minuten veranschlagt ein virtuelles Helferlein hierfür und so entscheidet sich FUDU, doch noch einmal die Kreditkarte an den U-Bahn-Drehkreuzen glühen zu lassen. Wunderbar, dass ich dank meiner BC25 mit Kreditkartenfunktion und dem Bonuspunktesystem nun mit jeder Undergroundfahrt in London meiner nächsten Freifahrt zu einem Auswärtsspiel des 1.FC Union etwas näher komme. Ebenso wunderbar ist das Ziel unserer Nahverkehrsfahrt. Heimlich, still und leise hat sich über alle erdenklich möglichen privaten Kommunikationskanäle ein Pub namens „BrewDog“ als Treffpunkt für die Fanszene des 1.FC Union Berlin herumgesprochen. Der offizielle Treffpunkt am U-Bahnhof Hammersmith, von dem aus ursprünglich ein Fanmarsch geplant war, war seitens der Sicherheitsbehörden abgesagt worden. Als Grund wurde ein Fahrradrennen genannt, welches angeblich dafür sorgt, dass ein Großteil der Stadt bereits für den Autoverkehr abgesperrt werden und polizeilich überwacht werden muss.
Anlass genug für all die Fußballverschwörungstheoretiker, die Kommentarspalten der bekannten Fußball- und Pseudoultraportale mit wilden Gerüchten zu überfluten: Bochum spielt parallel in Millwall und hat etliche tausend befreundete Hohenschönhausener im Schlepptau – nur logisch, dass es da bereits auf der Fähre von Calais nach Dover wilde Auseinandersetzungen zwischen den verfeindeten Lagern gegeben hat. Klar ist auch, dass QPR einen Rachefeldzug plant, nachdem es vor gut einem Jahr beim „Hinspiel“ in Köpenick eine Auseinandersetzung in der „Abseitsfalle“ gegeben hat, bei der der eine oder andere Barhocker (= Engländer) mit dem einen oder anderen Barhocker (= Sitzgelegenheit) bekanntgemacht wurde.
Etwas ernster nimmt man da schon die Warnungen der Sicherheitsbehörden, die nicht nur den Marsch verboten, sondern auch öffentlich verkündet haben, dass dem Spiel die Absage drohen würde, würden Unioner dieses Verbot unterwandern wollen. Und so begibt sich FUDU nicht nur voller Vorfreude und Adrenalin zum neuen Treffpunkt. Es schwingt durchaus auch etwas Anspannung mit, wie die Engländer im Allgemeinen und die Polizei im Besonderen, auf diesen unerwarteten Ansturm reagieren werden.
Die Frühschicht in der Hostelbar traut jedenfalls ihren Augen nicht, als sich ihr Laden morgens um halb Elf nach und nach wie von Geisterhand mit rot-weiß gekleideten Fußballfans füllt. Eiligst wird hinter der Theke personelle Unterstützung eingefordert und mit britischer Höflichkeit und einer ziemlichen Bierruhe werden alle durstigen Kunden bedient. Da die Kapazität des Ladens jedoch schnell erschöpft ist, sich aber rein zufällig knapp 100 weitere Unioner genau diesen einen Pub für ein Pint vor dem Spiel auserkoren haben, wird das Biergelage auch auf die Straßenseite verlegt – auch weil der komplett leere Pub nebenan wenig Interesse daran hat, Geld zu verdienen: „Sorry, Home Supporters Only!“. Aber natürlich ist es in Great Britain strengstens verboten, Gläser aus Pubs zu entführen und Bier im öffentlichen Raum zu konsumieren und so dauert es selbstredend auch nicht mehr lange, bis die Polizei erscheint, mutmaßlich feststellt, dass hier etwas im Busch sein könnte und sich vor Ort einen Überblick über die Lage verschafft. „300 Lads from Germany. Drinking Beer. Nothing to worry about“, mag der Officer womöglich kurz darauf in sein Funkgerät gesäuselt haben. Mehr als Präsenz – und diese auch noch in allerhöflichster Zurückhaltung am Rande der Veranstaltung – halten die Bobbys jedenfalls nicht für nötig.
Um Punkt 12.00 Uhr setzt sich der 300 Mann starke Tross auf Kommando in Bewegung. High Noon in Shepherd’s Bush. Der rot gekleidete Pulk kommt im gegenüberliegenden Park „Shepherd’s Bush Green“ zum Stehen und erste Schlachtrufe werden der britischen Mittagssonne bzw. der ortsansässigen polnischen Trinkerszene entgegen geschrien. Die Polizei bleibt beeindruckend entspannt, flankiert den Mob und sperrt schleunigst eine Spur der Hauptstraße ab, sodass der improvisierte Corteo ungestört durchgeführt werden kann. Bei all der Anspannung im Vorfeld, überrascht die Haltung der Sicherheitskräfte doch sehr. Angenehm freundlich, zurückhaltend, teilweise sogar zu deutschsprachigem Smalltalk aufgelegt – viel mehr Deeskalation geht nicht. Noch einmal Glück gehabt, aber irgendwie auch schade um den bereits fertiggestellten kreativ-gewaltaffinen T-Shirt-Claim: „Gleich scheppert’s im Busch!“. Wäre natürlich nach „Auflaufkids Stockholm“ der zweite legendäre textile Aufdruck mit internationalem Testspielbezug geworden.
Die Vorfreude auf den Auftritt im Stadion wächst von Sekunde zu Sekunde. Weiterhin werden Lieder und Anfeuerungen durch die Straßen geschmettert und nicht wenige Einheimische hängen ungläubig guckend an den Fenstern und filmen das Spektakel mit ihren Handys. So wie damals, als man mit 150 Mann auf dem Weg zum Stadion Ortschaften wie Emden oder Torgelow vollkommen zum Erliegen gebracht hatte. Nachvollziehbar, dass singende Fußballfans den tristen Alltag in der deutschen Provinz dermaßen aufwerten, dass die Eingeborenen das Gesehene für die Nachwelt festhalten. Aber wir sind hier doch in London, der englischen Hauptstadt mit 8,9 Millionen Einwohnern, im Mutterland des Fußballs. Und die Leute gaffen, staunen, reiben sich verwundert die Augen – als wäre soeben ein Raumschiff gelandet. Das ist Fußball. Das ist Fußballkultur. Und das ist verdammt noch einmal ein ziemlich erhabenes Gefühl, Teil dieser Masse zu sein, die einen Stadtteil dieser Größenordnung für eine halbe Stunde lahmlegt und die bei den Einwohnern Eindruck hinterlassen wird. So wird man sich hier an Ort und Stelle wohl noch Jahre später erzählen: These Guys from Union, they were crazy!
Am Stadion an der „Loftus Road“ steht dann wohl der schmalste Eingang, den man je vor einem Gästeblock gesehen hat, zur Verfügung. Während wir vor dem Einlass im Stau stehen und erste Blicke auf die wunderbar gammelige Gästetribüne werfen können, kann man schon dezent darüber in Sorge geraten, welche Flüssigkeit da gleich von oben auf uns heruntertropfen wird. Ganz so schlimm wird es schon nicht sein und so bringen auch wir die nötige Geduld auf, die heute gut 2.000 Unioner aufbringen müssen, bis sich alle nach und nach durch das Drehkreuz geschoben haben. Auch die schmalen Gänge im Tribünenbauch sind dermaßen verstopft, dass der Einkauf von Bier in Plastikflaschen zu einem Vollkontaktsport wird. Im Anschluss nehmen wir unsere Plätze auf der Hintertortribüne des wunderschönen Stadions ein, welches heute außerhalb unserer Kurve leider nur spärlich gefüllt sein wird.
Vor Anpfiff gibt es dann direkt die ersten erwarteten Scharmützel mit dem Ordnungsdienst, der all das zu verteidigen weiß, das den englischen Fußball zerstört und jedwede Kultur aus den Stadien verbannt hat. Man kann sich jetzt natürlich daran aufreiben, dass man kein Bier in den Block nehmen, dass man nicht rauchen, dass man keine Banner über die Werbebanden hängen und dass man nicht zu nahe an den „Balkonen“ stehen darf. Am Ende müssen sich die Stewards so oder so eingestehen, dass man gegen 2.000 Gästefans nicht den Hauch einer Chance hat, seine idiotischen Regeln durchzusetzen. Wir feiern dieses Fest jedenfalls nach unseren Spielregeln und so wird im rot-weißen Block gesoffen, geraucht, gestanden und gesungen, was die Stimmbänder so hergeben. Da fragt man sich schon, warum sich die Engländer ihre Stadien nicht einfach zurückerobern – es scheint ja zu gehen.
Das Spiel beginnt. Die Engländer im Stadion schauen genauso ungläubig auf die Union-Kurve, wie es die Nachbarschaft vorhin am Fenster mit Blick auf den Fanmarsch tat. So etwas scheint man hier noch nicht erlebt zu haben, dass 2.000 Menschen lauthals ihre Farben in einem Testspiel nach vorne peitschen und ihre Liebe zum Club 90 Minuten am Stück stimmlich unterfüttern. Nach Abpfiff wird ein Großteil der 2.000 Heim-Supporter unserem Block applaudieren und die Videoportale des WWW mit Handyvideos fluten. Und gewissermaßen darf ich den Herren und Damen Recht geben – What a Support! Auf der anderen Seite denke ich aber auch daran, dass QPR hier in der zweithöchsten Spielklasse regelmäßig namhafte Vereine wie Nottingham Forest, Leeds United, Aston Villa etc. zu Gast hat. Immer wieder bedauerlich, den Zustand des englischen Fußballs und der Fanszenen vor Augen geführt zu bekommen. Wenn man in einem Testspiel mit 2.000 Mann derart Eindruck hinterlässt, ahnt man, dass der Alltag an der „Loftus Road“ von toter Hose geprägt sein muss.
Rein sportlich stecken uns die Rangers jedoch locker in die Tasche. Nach 18 Minuten zeigt sich Unions Außenverteidigung wenig entschlossen und setzt den Flügelstürmer QPR’s nicht ausreichend unter Druck. Dieser bringt Strafraumwühler Osayi-Samuel ins Spiel, der ebenfalls viel zu viel Platz hat und QPR mit 1:0 in Führung bringen kann. Auch beim 2:0 nach 30 Minuten lassen Unions Verteidiger Konsequenz vermissen: Einen Kopfballgegentreffer nach einem Eckball am kurzen Pfosten sollte man in dieser Form nun wirklich nicht all zu häufig kassieren…
Immerhin kommen wir so in den zweifelhafen Genuss, die Hymne der Rangers, die auch als Torjingle herhalten muss, zum dritten Mal zu hören. Spätestens jetzt hat sie sich als hinterhältiger Ohrwurm in unseren Köpfen eingenistet und wird in Cottbuser „Kernkraft 400“-Manier schlicht und ergreifend annektiert. Schnell hat „Pigbag“ auch die FUDU-Schweine im Sack: Döp döp döp döp, FC UNION!
In der Halbzeitpause darf sich Sebastian Polter einem humorigen Interview stellen. Kumpel Toni Leistner, der nun auf der Gegenseite spielt, kriegt ein wenig sein Fett weg. Polter entschuldigt sich u.a. für dessen Haircut. Naja. In etwas so kreativ wie unser Spiel in der ersten Hälfte…
… welches sich leider auch in der zweiten Hälfte nicht wesentlich bessern wird. Immer einen Schritt zu spät, kaum eigene Ideen im Spiel nach Vorne, viele überhastete Abschlüsse aus der zweiten Reihe. Spätestens nach dem Elfmeter-Gegentreffer durch Eze in der 59. ist allen klar, dass man die Heimreise mit einer Niederlage im Gepäck antreten wird. Schade, dass Mees in der 75. aus spitzem Winkel nach schönem Anspiel von Gogia scheitert und den unermüdlich singenden Gästefans ein Ehrentreffer verwehrt bleibt. Schade auch, dass der tolle Gesamteindruck der Kurve am Ende von einigen Idioten beschädigt wird, da diese dazu übergehen, die leeren Carlsberg-Plastikflaschen in Richtung Spielfeld zu entsorgen. So unnötig wie die Eier vom Papst.
Pünktlich zu unserer sonntäglichen Sightseeingrunde wartet London dann mit dem Wetter auf, welches man gemeinhin mit London assoziiert. Obwohl Grau die dominierende Farbe des Tages ist und der Regen kontinuierlich fällt, lässt sich die Reisegruppe nicht die Motivation nehmen, London zu erkunden. Was möglicherweise auch an der verabredeten Regelung: „Two Sights, One Pub!“ liegen könnte. So streift FUDU also den ganzen Tag durch London, hakt jeweils zwei klassische Sehenswürdigkeiten ab, um im Anschluss die malträtierten Stimmbänder mit einem neuen Pint zu umschmeicheln. Buckingham Palace, Westminster Abbey, Tower Bridge, London Eye, Big Ben, China Town, Piccadilly Circus, Trafalgar Square, das Fahrradrennen – alles gesehen.
Für den Fackelmann und mich gilt es nun, die Nacht irgendwo zu überbrücken und mit unseren 4-Uhr-Zügen nach Brüssel bzw. zum Flughafen aufzubrechen. Mich erwartet Bordeaux, der zweite Teil meines Sommerurlaubs, eine Temperatur von 29°C mit jeder Menge Sonnenschein und ein Europapokalspiel gegen Ventspils. Und irgendwann, irgendwann einmal, spielt bestimmt auch Union mal wieder international! /hvg
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