Posted on November 2, 2018
02.11.2018 FC Augsburg II – 1.FC Nürnberg II 0:1 (0:0) / Rosenaustadion / 220 Zs.
Ende Oktober reibt man sich in der Personalabteilung meines Arbeitgebers verwundert die Augen. Was für einen schwachsinnigen Urlaubsantrag hat der van Grijpendorp denn da schon wieder eingereicht? So oder so ähnlich muss die Frage im Kopf der Sachbearbeiterin angesichts meines Antrages offenbar gelautet haben, anders ist es nicht zu erklären, warum sie sich telefonisch absichert, ob das denn so alles seine Richtigkeit haben kann. Ich bestätige, dass ich wirklich nur den Mittwoch, Montag und Dienstag frei nehmen mag und donnerstags problemlos auf der Arbeitsstelle erscheinen kann, während der Freitag dank der Herbstferien ohnehin zum Überstunden abbummeln gedacht war. Sie stellt glücklicherweise keine Detailfragen, aber Euch gebe ich meine Planung der nächsten sieben Tage gerne an die Hand: Mittwoch Pokal in Dortmund, Rückfahrt über Nacht, Ankunft 9.06 Uhr, Arbeit von 10.00-16.00 Uhr, Abfahrt 18.05 Uhr, drei Übernachtungen in der FUDU-Außenstelle Nürnberg mit Freitags-Hopping in Augsburg und Samstag in Weismain, am Sonntag dann zweite Bundesliga in Regensburg, kurz nach Hause, ist ja um die Ecke, Tasche auskippen, Tasche neu packen, Abflug am Montag um 7.00 Uhr nach Billund (etwas ist faul im Staate Legoland), abends Hopping in Vejle, dienstags dann Union international im Baltic Sea Cup in Odense, Rückfahrt per Zug, Mittwoch wieder arbeiten gehen. Wie sagte doch gleich einst Werner Lorant?
Während der eine oder andere womöglich diese Form der Planung mit Worten wie „Stress“ oder „anstrengend“ assoziieren mag, geht mir mein Herz auf, wenn mein Terminkalender auf diese Art und Weise gefüllt ist. Sechs Fußballspiele in sieben Tagen, nur wenige Stunden Aufenthalt in Berlin und sogar noch einen Abstecher ins Ausland dabei mit nur drei eingereichten Urlaubstagen. Wahrlich, es gibt nichts, das mir mehr Energie geben würde als solch abstruse Touren…
Der erste Plan gerät jedoch bereits in Dortmund ins Wanken, allerdings zu meinen Gunsten. Nach der bitteren 3:2 Niederlage nach Verlängerung durch ein Elfmetergegentor in der 120. Minute hält sich meine Lust, noch bis um 5.46 Uhr in der Stadt auszuharren, in überschaubaren Grenzen. Mit meinem „Super-Sparpreis“-Ticket renne ich bereits um kurz vor Mitternacht über den Dortmunder Hauptbahnhof und flehe die Schaffnerin an, mich aus reiner Nächstenliebe und Kulanz mit dem letzten ICE des heutigen Tages mit nach Berlin zu nehmen. „Schau Dich doch mal um, der Zug ist voller Unioner und denkste, da komm ick auf der letzten Fahrt vor Feierabend noch mal durchjeloofen?“ Mit einem freundlichen Lächeln und einer „Spring rein!“-Geste ermöglicht sie mir eine gemeinsame Rückfahrt mit weiteren Truppenteilen FUDUs über Nacht, eine Ankunft am Berliner Hauptbahnhof gegen sechs Uhr und somit noch knappe drei Stunden Schlaf vor der Arbeit im eigenen Bett. Manchmal ist die Deutsche Bahn eben doch besser als ihr Ruf.
Aber manchmal eben auch nicht. Der Zug am Donnerstagabend nach Nürnberg ist jedenfalls bereits der dritte in Folge, in dem die Reservierungsanzeigen nicht funktionieren. Abermals nimmt Fetti die Einladung auf eine Partie „Reise nach Jerusalem“ dankend an und begibt sich nach jedem zweiten Bahnhof auf die Suche nach einem (neuen) freien Sitzplatz. So lernt man Leute kennen, auch wenn ich auf die Bekanntschaft mit der „Super Food“-Trulla, die ihren „Organic Liquids“-Joghurt mit Hilfe eines Holzlöffels in sich hineinspachtelt, während sie sich am Tisch die Haare kämmt und selbige hierbei großzügig im Raum verteilt, auch gerne hätte verzichten können. Was für eine ekelhaft überzeichnete Figur, wird sie womöglich über mich gedacht haben, als ich mir mit Pokal-Augenringen das nächste Bier öffne und dabei leider erst jetzt feststelle, dass meine Hose unter Umständen beim doppelten Polter-Jubel im Westfalenstadion in Schrittnähe gerissen ist. Naja, zwischen Verlängerung und Arbeit passieren eben kleine Fehler. Müssen wir jetzt alle durch.
Um kurz vor 21.00 Uhr bin ich in Nürnberg angekommen und werde vom „REWE“-Verkäufer direkt auf eine harte Probe gestellt, wie es denn nach den vergangenen 36 Stunden so um meinen Wachheitsgrad bestellt ist. Mit etwas Abendbrot und einigen Flaschen Vollbier der Marke „Grüner“ (in Nürnberg nur Fürther Bier – ihr erinnert Euch!) in den Händen, habe ich es balancierend gerade so an die Kasse geschafft und den Bezahlvorgang eingeleitet. Mathematisch geschickt wie und eh je, stelle ich natürlich sofort fest, dass der gute Mann mir 5 € zu wenig herausgegeben hat. So eine Sauerei kann Fetti natürlich nicht unkommentiert lassen und geht am Ende mit einem Siegerlächeln aus der Schlacht hervor.
Zwar befindet sich der Eigentümer der Nürnberger FUDU-Wohnung aktuell in Berlin, der Schlüssel zu der Bude aber dankenswerterweise seit Montag in meinem Besitz und so kann ich den Abend stumpfsinnig unweit des Rotlichtviertels vor dem Fernseher ausklingen lassen. Am Freitagmittag trudelt dann Verstärkung ein. Mein FUDU-Kompagnon, der noch über keinen Spitznamen verfügt, einen solchen für die Berichte des kommenden Wochenendes aber vehement einfordert, wehrt sich noch gegen den angedachten Ehrentitel „der eingebildete Kranke“, obwohl er nachweislich wegen des Dänemark-Gastspiels einer Nachwuchsmannschaft des 1.FC Union Berlin am Dienstag unter einem Vorwand auf der Arbeitsstelle fehlen wird. Da er sich für die kommenden beiden Tage jedoch als Fahrer angeboten hat, möchte ich nicht mit ihm in Streit geraten, lege die Kosenamenfindung vorerst auf Eis und hole den großen Unbenannten freundlicherweise vom Nürnberger Hauptbahnhof ab. Hier weist ein neues Schild darauf hin, dass das Konsumieren alkoholhaltiger Getränke im Bahnhofsgebäude neuerdings verboten ist. Für Erheiterung sorgt der Nebensatz, dass es ebenfalls verboten ist, alkoholhaltige Getränke „zum Zweck des Konsums mitzuführen“. Auf die Diskussion mit den Ordnungshütern darf man also gespannt sein, wenn man sich gleich für die Überfahrt nach Augsburg mit „Grüner“ eindecken wird. „Ja, Herr Wachtmeister, ich habe Bier gekauft, aber ich habe wirklich nicht vor, es auch zu trinken!“. Oder so.
Gemeinsam brechen wir dann nach dem ungesühnten Einkauf von Alkoholika zur Abhoolung unseres Mietwagens nach Nürnberg-Schweinau (Fetti wedelt vor Freude mit dem Ringelschwanz) auf und begehen angesichts der lediglich dreiminütigen Bahnfahrt und den Verzicht auf den Kauf einer 1,60 € teuren Kurzstreckenfahrkarte bereits die zweite Ordnungswidrigkeit binnen kürzester Zeit. I soag’s dir frrrrank und frrrrrei: FUDU ist es einerlei.
Die Entgegennahme unseres flotten Franzosen verzögert sich leider ein wenig, da die gleichermaßen attraktive wie überforderte „Buchbinder“-Dame alleine im Ladengeschäft steht, diverse Kundenkontakte vis-AVIS und per Telefon zu meistern hat und uns zwischendurch kurz zu verstehen gibt, dass die Reinigung unseres Autos noch nicht ganz abgeschlossen ist. Irgendwann hat der Parkplatz-HiWi aber den Staubsauger zu Ende geschwungen, die letzten Brezn-Reste aus den Polsterrrrrritzen entfernt und grünes Licht gegeben. Miss Daisy und ihr Chauffeur müssen nun auf die Tube drücken: Noch 150 Kilometer Strecke, noch zwei Stunden bis zum Anpfiff.
Glücklicherweise sind die Landstraßen frei und gut befahrbar, sodass wir zügig genug vorankommen. Um Punkt 18.45 Uhr haben wir einen Parkplatz direkt vor dem altehrwürdigen „Rosenaustadion“ gefunden. Vor dem Kassenhäuschen stehen die Menschen nicht unbedingt Schlange, was uns einen Eintrittskarten- und Bierkauf in weniger als 15 Minuten ermöglicht. Unsere Hoffnung, dass Ultras des FCA ihre Zweitvertretung im Abstiegskampf unterstützen, erfüllt sich nicht. Auch die Gäste aus Nürnberg müssen in diesem Freitagabendspiel auf Support verzichten. Schade. Da beide Vereine morgen in der Bundesliga in Augsburg aufeinandertreffen werden, hatte zumindest eine vage Hoffnung darauf bestanden, dass sich beide Fanlager hier und heute schon einmal auf die morgigen Partie einschwören werden.
Die Enttäuschung über die Kulisse hält sich aber in Grenzen, weil der Fokus des Interesses ohnehin auf dem Stadion als solches liegt. Das „Rosenaustadion“ wurde 1951 errichtet und galt seiner Zeit als „eines der schönsten Stadien Europas“ (Neue Zeitung). Der Zuschauerrekord wurde 1952 in einem Länderspiel zwischen Deutschland und der Schweiz mit 64.856 Besuchern aufgestellt. 1957 fand das DFB-Pokalendspiel in diesem Stadion statt, 1972 folgten im Rahmen der Olympischen Spiele von München fünf Vor- und Zwischenrundenspiele. In der Vereinsgeschichte des FC Augsburg stellen 42.000 Zuschauer in einem Regionalligaspiel gegen den „Club“ aus Nürnberg im Jahre 1973 den Höchstwert dar. In der Drittligasaison 2004/05 pilgerten 27.000 Menschen in die Spielstätte, um gegen den SSV Jahn Regensburg den Aufstieg in die zweite Bundesliga feiern zu können. Am 01.05.2009 war das „Rosenaustadion“ letztmalig gut gefüllt. 28.000 Zuschauer nahmen gegen den TSV 1860 München mehr oder minder Abschied von der altehrwürdigen Spielstätte. Der FCA spielte dann noch bis Sommer 2009 an Ort und Stelle, ehe man in einen seelenlosen Neubau zog, den man irgendwo weit draußen zwischen ein eingemeindetes Maisfeld und der Autobahn aus dem Boden gestampft hat.
Obwohl das „Rosenaustadion“ seit dem Aufstieg des FCA in die Bundesliga und dem Stadionneubau im Dornröschenschlaf liegt, blieb es bislang baulich glücklicherweise unverändert. Noch immer könnten 32.354 Menschen im Stadion Platz finden, darunter 26.443 auf Stehplätzen, welche auf einem 13 Meter hohen Wall aus Kriegsschutt auf der Gegengeraden errichtet worden sind. Ziemlich geile Schüssel!
Das Spiel beginnt zunächst einmal mit einer Schweigeminute. Heute morgen ist Peter Bircks im Alter von 66 Jahren in Folge eines Verkehrsunfalls verstorben. Bircks hatte den FCA 1990 in einer finanziell prekären Lage ehrenamtlich als Präsident übernommen, später war er als Ehrenrat und im Aufsichtsrat des Vereins engagiert. Ab 2012 prägte er auch in der Geschäftsführung den Klub. Zuletzt stand Peter Bircks dem Verein als Aufsichtsratsvorsitzender vor. Schön, dass es die Ultras des FCA zumindest geschafft haben, in der Kürze der Zeit eine Tapete zu beschriften, welche nun einsam auf der menschenleeren Gegengerade präsentiert wird. „PETER, DANKE FÜR ALLES. RUHE IN FRIEDEN!“
Pünktlich zum Spielbeginn wird die Tapete wieder eingerollt. Auf Seiten der Augsburger kennt man Markus Feulner und Jan-Ingwer Callsen-Bracker, der gemeinsam mit Leonhard von Schroetter ein kongeniales Verteidigerduo bildet, welches wohl jeden Trikotbeflocker vor ungeahnte Herausforderungen stellen dürfte. Nürnberg kommt ohne Verstärkung der Profiabteilung aus, kann aber auch ohne eine solche schnell die Oberhand über die Partie gewinnen. Die aktuelle Tabellensituation (17. gegen 5. am 18. Spieltag) scheint sich schnell auf dem Spielfeld widerzuspiegeln – nach 20 Minuten ist Nürnberg einmal an einer Fußabwehr des Augsburger Keepers Niemann und einmal an der Querlatte gescheitert. Nach einer guten halben Stunde gelingt Augsburg der erste Abschluss, der ihnen deutlich Auftrieb und etwas Selbstbewusstsein verleiht. Bis zur Pause kann man im Anschluss wenigstens gefällig mitspielen.
In der Halbzeitpause ist auch der Grillstand einen Besuch wert. Für 3,50 € erhält man eine Rote mit Zwiebeln, während die Stadionregie auf jegliche Musikuntermalung verzichtet und nur den/die Stadionsprecher/in ins Rennen schickt. Diverse Ansetzungen der Jugendmannschaften des FCA des kommenden Wochenendes werden verlesen, die offiziell 220 „Fans“ euphorisch begrüßt und die Ergebnisse der Parallelspiele aus Memmingen und München verkündet. Staffelfavorit Bayern II liegt bereits mit 0:2 gegen Eichstätt zurück. Unklar bleibt da lediglich das Geschlecht des sprechenden Menschen.
Im zweiten Spielabschnitt gelingt dem „Club“ nach gut einer Stunde der Führungstreffer. Nach einem Pfostenschuss steht Erik Engelhardt goldrichtig, nimmt den Abpraller auf und wackelt Torwart Niemann aus. Darüber hinaus hat die Partie in den kommenden 30 Minuten nicht viele Aufreger zu bieten. Der FCA mischt passabel mit, wird aber nicht zwingend und bei den Nürnbergern geht Nürnberger, der gar kein Nürnberger, sondern Hamburger ist (84.). Mit der letzten Aktion gelingt dem FCA nach einer Ecke per Kopf beinahe der Ausgleich, doch die einzige Chance der Heimmannschaft in Spielminute 90+1 bleibt ungenutzt. FUDU begibt sich nach dieser Fußball-Magerkost (in einem wunderschönen Stadion) alsbald in das warme Interieur des flotten Franzosen, um in Nürnberg die richtig dicke Ernte einfahren zu können.
„Mich the Greek“ ist um kurz vor Mitternacht nämlich noch so freundlich, unsere Online-Bestellung entgegenzunehmen. Einmal Zaziki, Reis, Panseta, Bifeki, Souvlaki, Gyros und eine griechische Bauernwurst für 17,90 €, bitte. Auf dem Reise-Tablet sind noch immer die Personendaten von Dr. Dieter Fotznhobel gespeichert, seinerseits in England geborener Wi-Fi Genius, der sich oft im Namen FUDUs in die offenen Netzwerke dieser Welt einwählt und tapfer in die Bresche springt, um die Preisgebung persönlicher Daten der Gruppenmitglieder so gering wie möglich zu halten. Ein wirklich treuer Gesell, der heute nun auch noch sportlich fair im Feld „Anmerkungen“ notiert: „Klingel defekt. Bitte anrufen, wir holen das Essen unten ab!“. Glücklicherweise denken wir auch noch daran, den Nachnamen vor Abschicken der Bestellung gegen einen echten auszutauschen und so sieht die ganze Geschichte dann beinahe seriös aus:
Dr. Dieter G. – Schottengasse, Nürnberg.
In der Wartezeit auf die Fleischvöllerei spielen wir das Spiel mit dem Krokodil (aka „Lederer Pils“) und um 0.34 Uhr ist es dann endlich soweit. Kalimera, „Mich the Greek“ ist am Telefon und Fetti flitzt treppab. Nur unwesentlich später ist unser Frankenapartment in Knoblauch-Odeur getaucht und wir einigermaßen bettschwer. Morgen steht dann ein Spiel in der Kreisliga Coburg/Kronach auf dem Programm. Und wieder höre ich den einen oder anderen und auch den Herrn Fotznhobel fragen: Oh Gott, warum das denn? Na, Weismain Hobby ist, Herr Doktor! /hvg
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