Posted on April 22, 2019
22.04.2019 BSV Eintracht Mahlsdorf – SC Charlottenburg 3:1 (1:1) / Sportplatz am Rosenhag / 54 Zs.
Am Montagmorgen zeigt sich der nimmermüde Fetti von den Erlanger Alkoholeskapaden gut erholt und unternehmungslustig wie eh und je. Nach einem entspannten Couchsonntag ohne Fußball sollte es heute tunlichst ein neues Abenteuer geben, möchte man meinen, wenn man sich das arme Schwein so aus der Nähe betrachtet. Wie es schon wieder aufgeregt mit dem Ringelschwänzchen wackelt, wie es rastlos durch den Flur hastet, wie es auf der Suche nach neuen Trüffeln die Schnauze in den Groundhopping-Informer bohrt. Da kann die Devise für den Menschen zwangsläufig nur lauten: Keine Erschöpfung vortäuschen, die dumme Sau will schon wieder beschäftigt werden.
Da sich meine Reiselaune jedoch noch in überschaubaren Grenzen hält, kann ich mit Fetti wenigstens einen Kompromiss aushandeln. Heute kümmern wir uns endlich einmal um die Komplettierung der Berlin-Liga, in der es sozusagen in der Nachbarschaft noch den einen oder anderen Sportplatz abzuklappern gilt, anstatt quer durch die Republik zu düsen. Nur 18 Minuten Fahrzeit müssen heute bis zum S-Bahnhof Mahlsdorf in Kauf genommen werden, um am Ostermontag ein Kreuz machen zu können. Klingt entspannt – und Fetti kommt mal wieder an die frische Luft.
Die Fahrt verläuft zunächst einmal ereignislos, jedenfalls in den ersten 23 Sekunden. Dann bleibt die Bahn auf offener Strecke zwischen Warschauer Straße und Ostkreuz stehen und eine Durchsage von „technischen Problemen“ verheißt nichts Gutes. Schlimmer noch, dass sich nur ganz kurz darauf herausgestellt hat, dass das Familiensystem auf dem Vierersitz neben mir, bestehend aus einem Satellitenelternpaar und einem Terror-Sören, hier ganz offensichtlich den größten Schaden vorzuweisen hat. Ich habe meine helle Freude damit, zu beobachten, wie der kleine Teufel durch das Abteil tobt und seinen Eltern auf der Nase herumtanzt. Ein Trauerspiel, wie die Eltern all dies über sich ergehen lassen und wie jedes Verbot als liebevoll formulierte Bitte an Klein Sören herangetragen wird. Sören denkt jedoch gar nicht daran, eine dieser Bitten auch nur in Ansätzen Folge zu leisten und anstatt nun eine Konsequenz folgen zu lassen, orientiert man sich eben an Sörens Bedürfnissen. „Oder möchtest Du doch lieber noch einmal durch den Wagen rennen?“. Ihr Kind darf sich eben frei entfalten, da muss man dann auch damit leben, dass der fünfjährige Junge zu seinem Vater „Chill mal, Alter!“ und zu seiner Mutter „Ist jetzt mal Ruhe im Karton?“ sagt. Wird sicher später mal ein wertvoller Teil der Gesellschaft, dieser Wildfang. Mit fantastisch ausgeprägten Sozialkompetenzen. Und immer in der Lage, sich in gewissen Situationen unterzuordnen und Kompromisse zu schließen, wenn es notwendig ist. Da bin ich optimistisch.
In der Zwischenzeit ist der „schadhafte Zug“ in Berlin-Lichtenberg ausgetauscht worden und ich habe mir einen Platz fernab der Sozialen Arbeit gesichert. So vergehen also auch die letzten 23 Sekunden der Fahrt ereignislos. Kurz darauf betrete ich das „Grillhaus Mahlsdorf“ und bestelle einen Döner mit Sucuk. Dies hat zur Folge, dass ich dem guten Mann erklären muss, was ich mit dieser Bestellung denn meine und er reagiert gleichermaßen überrascht wie begeistert: „Was? Sowas gibt’s auch?“. Jede Wette, dass das „Grillhaus Mahlsdorf“ schon bald auf den unaufhaltbaren Knoblauchwurstzug aufspringen wird. Noch aber kredenzt man 1500 Meter von der brandenburgischen Landesgrenze entfernt der Stadtrandbevölkerung ausschließlich Döner Kebap à la 1999. Nix mit gegrilltem Gemüse, kein Schafskäse und hau mir ab mit einem Spritzer Limette. Komm mal schön von deinem hohen Ross herunter, Innenstädter! Ich jedenfalls falle mit meinen Wünschen derart unangenehm auf, dass ich meinen Döner und das Berliner bezahlen muss, bevor ich auf der Terrasse Platz nehmen darf. Bis um 12.45 Uhr scheint mir hier die Sonne ins Gesicht und so lässt sich die kulinarische Zeitreise zurück in meine Jugend ganz gut aushalten.
Auch der Fußweg zum Rosenhag knüpft nahtlos an diese Dekade meines Lebens an und so hat die spießige Einfamilienwohnhaussiedlung durchaus das Potential, an Heiligensee, Konradshöhe und Co zu erinnern. Unschlagbar schlimm sind die Dekorationsartikel, die der gemeine Mahlsdorfer offenbar gerne in Fenster und vor Eingangstüren stellt oder an Wände hängt. „Zu Hause ist dort, wo jemand bellt, um dich zu begrüßen!“ landet letztlich auf dem ersten Platz der kitschigen Grausamkeiten, regt mich aber auch zum Nachdenken an. In meiner Wohnung fühle ich mich jedenfalls selten bis nie „zu Hause“, war bislang aber davon ausgegangen, dass dies andere Gründe haben könnte. Wenn’s jetzt wirklich an einem fehlenden Kläffer liegt, wünsche ich mir an der Stelle doch glatt, dass ich in meinem Leben nie wieder ein zu Hause haben werde…
Der Kiezspaziergang wird glücklicherweise durch die Gewerbetreibenden des Viertels aufgewertet. An den „Frisurentrends“ aus Mahlsdorf (vergesst Rom, Paris, Erkner!) kann ich noch gerade eben so vorbeigehen, doch bei 26 Jahren „Intimvitrine“ drohe ich schwach zu werden. Annerose „Röschen“ Koschinski (70) betreibt einen Sexshop in ihrer Gartenlaube in der Florastraße. Zu schön, um wahr zu sein. Mein lieber Kokoschinski, heute ist ja Ostermontag und sämtliche Geschäfte sind geschlossen, fällt es mir bald wie Schuppen von den Augen. Schade, kann das Röschen wohl nicht defloriert werden…
Kurz nachdem das erotische Momentum in die Hose gegangen ist, stehe ich auch bereits vor dem „Sportplatz am Rosenhag“. Gegen eine Eintrittszahlung in Höhe von 5 € darf man den Sportplatz ohne jegliche Ausbauten betreten. Wegen des enormen Zuschauerandrangs (alles andere wäre zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation) wird das Spiel mit einer fünfzehnminütigen Verspätung beginnen. So bleibt genügend Zeit für einen kleinen Stadionrundgang und der Mahlsdorfer Schilderwald setzt sich fort. Fahrradfahren verbieten entspricht schon mal ganz meinem Geschmack, wird aber durch ein wunderschönes hundefeindliches Meisterwerk getoppt. „Hunde sind unerwünscht“ – was zumindest diesen einen Nachbarn als potentiellen Stadionbesucher ausschließen wird. Der fasst sich sicherlich just in diesem Moment an den Kopf: Und das bei einem Heimspiel? Wie soll man sich denn da wie zu Hause fühlen?
Kaum ist der Ärger über das Aufwärmtor verflogen, welches dergestalt versetzt auf der Tartanbahn herumsteht, dass die eine oder andere optische Täuschung beim Fußballgucken entsteht und welches die Fotomotive zudem enorm abwertet, sind auch schon die ersten 20 Minuten des Spiels ereignislos ins Land gezogen. Sieht ja aus wie in der Kreisliga – auf und neben dem Rasen. Nach eben diesen 20 Minuten zieht Mahlsdorf das Tempo erstmals an und geht nach einem ersten gut vorgetragenen Angriff direkt in Führung. Borchardt tankt sich auf der rechten Außenbahn durch, spielt den Ball mustergültig in den Rücken der Abwehr, wo Christoph Zorn wieder einmal an der richtigen Stelle steht und nicht nur eiskalt einschiebt, sondern sich auch derart robust gegen Charlottenburgs Verteidiger Steinert durchsetzt, dass dieser nach dem Treffer minutenlang behandelt und schließlich ausgewechselt werden muss. Bereits das 10. Saisontor von Zorn – sein 131. Karrieretor in der Berlin-Liga. Der Mann weiß, wie man sich im Strafraum bewegt.
In Folge spiegeln sich die Kräfteverhältnisse auf dem Rasen deutlich besser wider. Der Tabellensechste aus Mahlsdorf, der der Berlin-Liga seit 2006 angehört und in schöner Regelmäßigkeit in der Spitzengruppe mitmischt, spielt den Aufsteiger aus Charlottenburg nun kurzzeitig an die Wand. Der sportliche Leiter Torsten „Dackel“ Boer hat wieder einmal eine schlagkräftige Truppe zusammengestellt, zu der in diesem Jahr auch die drei Ex-Unioner Fritsche, Mrkaljević und Antunović gehören. Der Kader ist in der Spitze also bestens aufgestellt, nur in der Breite scheint es etwas zu mangeln. Neben Ersatzkeeper Greulich ist heute Adrian Antunović der einzige Auswechselspieler, der Trainer Volbert zur Verfügung steht.
Während ich diese Beobachtungen tätige, hat Christoph Zorn zwei weitere Hochkaräter auf dem Fuß. In der 25. Minute scheitert er nahezu unbedrängt aus fünf Metern Entfernung, zwei Minuten später setzt er zu einem sehenswerten Dribbling an, schickt zwei-drei SCC-Verteidiger ins Kino und lässt auch den letzten Verteidiger mit einem Haken ins Leere laufen, platziert dann den Heber aber lediglich auf das Tordach (auf das echte Tor, nicht auf das Aufwärmtor, glaube ich). Wer solche Gelegenheiten ungenutzt lässt, wird auch in der Berlin-Liga bestraft und so kommen die Gäste aus heiterem Himmel zum Ausgleich. Eine Freistoßflanke auf den ersten Pfosten kann Barz irgendwie über die Torlinie löffeln (33.). So geht es mit einem eher schmeichelhaften Remis in die Kabinen, das im zweiten Abschnitt aber für Spannung sorgen könnte.
In der Halbzeitpause statte ich natürlich dem Imbisswagen des Sportplatzes einen Besuch ab. Das Bier für 2,50 € erhalte ich jedoch leider nicht von der Tochter der Familie, die heute offenbar besseres zu tun hat, als ihren Vater beim Verkauf zu unterstützen. Es wäre sicherlich ein schönes Wiedersehen geworden, schließlich war sie es, die auf einer Hochzeitsfeier im Sommer 2013 hinter dem Tresen stehend dafür gesorgt hat, dass ich Baumstammsägen, Strumpfbandversteigern und manch unangenehmen Gast gerade so überlebt habe. Ein unvergesslicher Abend voll der Selbstgeißelung! Klar, dass die wohl schönste Erinnerung an diese Feier daher aus der S-Bahn-Fahrt nach Hause rührt und in der die Bardame eine zentrale Rolle spielt. Unvergessen, wie der feingeistige „Schurke“, kurz nachdem sie ihr Deodorant nach Abfahrt zum Einsatz gebracht hatte, lauthals durch die Bahn blökte: „Boah, Alter. Hast Du das Ding auf Nutte eingestellt?“. Naja, trotz dieser humorigen Randanekdote ist eines gewiss – sollte ich in meinem Leben jemals wieder auf einer Hochzeit (meine eigene inkludiert) erscheinen, dann könnt ihr Euch als Einladende aber sicher sein: Euch mag ich wirklich!
Die zweite Halbzeit beginnt ähnlich zäh wie die erste. Charlottenburg dicht gestaffelt, Mahlsdorf vorsichtig abtastend. Gut, dass der Wind da andere Pläne geschmiedet hat und nur zehn Minuten nach Wiederanpfiff eine eher harmlose Ecke unberechenbar auf den zweiten Pfosten verlängert, an dem natürlich Christoph Zorn parat steht, um das krumme Ding über die Linie zu drücken. So etwas kann einen Matchplan natürlich auch zunichte machen – der SCC hat nach diesem Schockmoment jedenfalls deutlich sichtbare Probleme, die Ordnung wiederherzustellen und Mahlsdorf drückt die folgenden 20 Minuten ordentlich auf die Tube, um hier den sprichwörtlichen Deckel drauf zu machen. Bis es jedoch so weit sein wird, wird mir erneut vor Augen geführt, dass man keine großen Hoffnungen in nachfolgende Generationen setzen sollte. Dieses Mal ist es ein kleiner Junge, der von seinem großen Bruder eine Schale Pommes mit Ketchup serviert bekommt, sogleich zu heulen und stampfen beginnt und die Mahlzeit wutentbrannt auf die Tartanbahn pfeffert. „Ich wollte ohne Ketchup!!! Geh neue holen!“. Ich als Vater würde jetzt vermutlich irgendetwas pädagogisch sinnvolles entgegnen (die Bandbreite reicht von „Bist du bescheuert, oder was?“ bishin zu „Kannst schön die Pommes ohne Soße von der Rennbahn lecken, du Leichtathlet!“), aber Parenting 2000 geht offenbar anders. Da ist man dermaßen stolz auf die Willens- und Meinungsstärke des Sprösslings, dass man selbstredend ohne jegliche Widerworte gen Imbiss trottet und eine neue Portion käuflich erwirbt, von der der kleine Teufel dann vier Pommes essen und dann satt sein wird.
Wird sicher später mal ein wertvoller Teil der Gesellschaft, dieser Wildfang. Mit fantastisch ausgeprägten Sozialkompetenzen. Und immer in der Lage, sich in gewissen Situationen unterzuordnen und Kompromisse zu schließen, wenn es notwendig ist. Da bin ich optimistisch, sagt Fetti und möchte am Liebsten wieder nach Hause. Genug Menschen, genug frische Luft für heute.
Glücklicherweise kann ich ihn jedoch überreden, noch bis zum Abpfiff auf der Sportanlage zu verweilen. So kommen wir in den Genuss einer sehenswerten Koproduktion der Ex-Unioner: Fritsche hebelt mit einem Pass die Abwehrkette des SCC aus, Mrkaljević läuft alleine auf Gästekeeper Bauer zu und verwandelt eiskalt (73.). Eine gute Viertelstunde später holen sich die lila-weißen Eintracht-Akteure dann den verdienten Applaus der 54 zahlenden Zuschauer ab, darunter auch fünf Ultras hinter einer Zaunfahne. FUDU hat genug gesehen und macht flinke Füße, um vor dem Rest des Mobs am einzigen Pissoirs der Sportanlage ankommen zu können. Das Kreuz am Rosenhag kann uns jetzt keiner mehr nehmen. Und bis „nach Hause“ sind es ja glücklicherweise auch nur 18 Minuten… /hvg
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