854 854 FUDUTOURS International 21.11.24 07:23:41

31.07.2019 FC Hellas Berlin 1984 – FSV Fortuna Pankow 3:5 (1:3) / Stadion an der Windmühle, Nebenplatz / 14 Zs.

Als ich am 31.07. gegen 17.30 Uhr in den „Bierseidel“ am U-Bahnhof Britz-Süd einkehre und etwas erschöpft in den Terrassenstuhl sacke, wünsche ich mir einmal mehr, die BVG würde eine „Miles and More“-Karte in ihrem Portfolio haben. Heute hätte ich zwischen Wohnung, Arbeitsstelle, Ausflugsort und Feierabendbier immerhin bereits stolze 67,4 Kilometer zurückgelegt und im Rahmen dieses nicht-existenten Bonusprogramms sicherlich einiges an Punkten gesammelt. Für eine attraktive Prämie muss ich derzeit aber (noch!) selber sorgen – da trifft es sich natürlich hervorragend, dass man bei mir für exakt 67,4 BVG-Punkte einen Kurzurlaub in Griechenland erhält. Wer dafür die Punkte nicht einlöst, ist selber Schuld!

Der FC Hellas ist das Ziel dieser Tagesreise. 1984 von griechischen Einwanderern unter dem Vereinsnamen FC Rudow gegründet, hatte der Club Mitte der 1990er Jahre als „Olympiakos Berlin“ seine Hochzeit. Dank der Unterstützung einiger windiger Fußballfunktionäre stürmte man bis in die Verbandsliga hinauf und ließ mit namhaften Transfers aufhorchen. Der wohl bekannteste Spieler, der jemals die Töppen für den FC Hellas schnürte, dürfte Iwan Jaremtschuk gewesen sein. Der Ukrainer gewann mit Dynamo Kiew den Europapokal der Pokalsieger und nahm für die Sowjetunion an den Fußball-Weltmeisterschaften 1986 und 1990 teil, ehe er sein Glück bei Blau-Weiß 90 und Hertha BSC in der zweiten Bundesliga suchte – und scheiterte. Nach einem halben Jahr nutzte Iwan Jaremtschuk das Sprungbrett „Olympiakos“ und verschwand in die weite Fußballwelt. Kurz darauf verschwanden auch die Geldgeber, Olympiakos stürzte sportlich ab und die einstigen Gründer besannen sich auf die Wurzeln des Vereins. Seit dem Jahr 2000 tritt man nun als „FC Hellas 1984“ gegen den Ball und bietet den gut 11.000 in Berlin lebenden Griechen nicht nur eine sportliche Heimat. Es ist die „Besinnung auf das Griechentum: das Essen, die Familie, die Musik, die Geselligkeit, der Stolz auf die ferne, krisengeschüttelte Heimat und natürlich die Liebe zum Fußballsport“, die die Menschen hier zusammenführt. So beschreibt es die „taz“ in einem Beitrag aus dem Jahre 2010 und rührt fortfolgend weiter kräftig die Werbetrommel für einen Tag Kurzurlaub in Griechenland bei Britz: „Die Bouzouki spielt, Retsina wird gereicht und auf dem Grill liegen die Lammkoteletts. Die Sonne scheint, die Menschen lachen und abgerechnet wird pro Tisch und nicht nach Einzelpersonen. Ein Stück gutes, altes Griechenland ist hier zu Hause – wie perfekt inszeniert für ein Werbefoto des Fremdenverkehrsamtes. Im Sommer ist es am Platz ‚An der Windmühle‘ besonders schön“, so der weitere verheißungsvolle Text im Stile einer Hochglanzbroschüre auf Menschenfang. Naja, zugegeben – in diese Falle ist FUDU dann wohl getappt…

Denn noch ist man ja gar nicht in Griechenland, man ist halt doch irgendwie nur in Britz-Süd. Architektonische Tristesse der 1960er Jahre und als Gesamtkunstwerk so langweilig, dass in Berlin der Satz „Kein Mord in Britz!“ zum geflügelten Wort wurde und nun immer dann zum Einsatz kommt, wann immer man mit Nachrichten ohne Nachrichtenwert konfrontiert wird. Aber, so ehrlich muss man an dieser Stelle gegenüber Britz schon sein, so nah dran wie gestern waren sie schon lange nicht mehr. In der Gutschmidtstraße, wenige Meter von hier, wurde vor knapp 30 Stunden ein Mann mit schweren Stichverletzungen aufgelesen. Die vierte Mordkommission ermittelt. Ganz schön was los hier!

Da trifft es sich gut, dass Fetti in der Zwischenzeit Verstärkung erhalten hat. Niemand geringeres als Johannes (der STäufer) ist soeben im „Bierseidel“ gelandet – und der wird schon genügend Schutzpatronen mit sich führen! In einem trügerischen Gefühl vollständiger Sicherheit begibt sich FUDU knapp 30 Minuten später auf den Weg in das „Stadion an der Windmühle“ und passiert hierfür einen Park, in vollkommener Verkennung der Tatsache, dass es sich hier nicht um irgendeinen x-beliebigen Park, sondern um den legendären „Britz-Buckow-Rudow-Grünzug“ handelt, „der in den 1960er Jahren geplant und zuletzt in den 1980er Jahren modernisiert“ wurde. „Der BBR-Grünzug, wie der Britz-Buckow-Rudow-Grünzug auch genannt wird, ist (Anm. d. Red.: Schon jetzt!) landschaftlich gestaltet und bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten für Spiel, Sport, Bewegung und Aufenthalt“. Da das ganze Ding gerade umgestaltet und von Barrieren befreit wird, ist davon auszugehen, dass es hier bald NOCH schöner sein wird. Solltet ihr auf eurem Weg nach Griechenland also dringend einen Zwischenhalt einlegen…

Um exakt 18.54 Uhr haben wir Griechenland am Buckower Damm erreicht. Auf dem Hauptfeld des Stadions herrscht gähnende Leere, obwohl genau auf diesem laut offizieller Ansetzung in sechs Minuten die erste Qualifikationsrunde zum Paul-Rusch-Pokal 2019/20 eröffnet werden soll. Ein Stern-Britz-Fan zeigt sich wenig auskunftsfreudig, was die Austragung des Spiels des FC Hellas betrifft. Statt Lammkoteletts vom Grill gibt es heute übrigens nur eine lieblose Currywurst mit Pommes, die Alternative zum Retsina heißt „Berliner Kindl“ aus der Flasche und anstelle der Bouzouki-Klänge im Sonnenschein gibt es immerhin einsetzenden Nieselregen. Das Spiel findet selbstredend auch nicht auf dem Rasenplatz, sondern im Kunstrasenkäfig statt (obwohl bei fussball.de eindeutig „NR“ steht – Malaka, was soll das bitte heißen, wenn nicht Naturrasen?) und zusammenfassend muss man schon sagen: Dieses ganze Potpourri an Enttäuschungen hat mit Griechenland und Lebensfreude in etwas so viel zu tun wie … sagen wir mal… Britz-Süd!

Pünktlich zum Anpfiff beziehen wir Position am Kunstgræs, wenigstens ohne ein Eintrittsgeld bezahlen zu müssen. 12 weitere Zuschauer sind erschienen, darunter drei junge Männer, die es mit den Fortunen aus Pankow halten. Kaum hat Schiedsrichter Hans Kalupa die Partie eröffnet, schon ziehen schwarze Gewitterwolken auf. Kurz darauf grummelt und grollt es, der Nieselregen ist längst einem Starkregen gewichen und eine Frau mit Regenschirm rennt mitten im Spiel hektisch auf das Feld. Der Schiedsrichterobmann hätte empfohlen, das Spiel sofort abzubrechen, lautet die Ansage. Doch Hobbymeteorologe Hans Kalupa kennt sich mit Gewitter bestens aus und sieht keinerlei Gefahr für die Austragung dieses Spiels. Die junge Frau wird mit einem Fingerzeig des Platzes verwiesen, woraufhin sie nun noch wie wild auf die Ersatzspieler des FC Hellas einredet und sich dann, ohne eine Antwort abzuwarten, zurück in die Katakomben trollt. Da zucken die Griechen nur fragend mit den Schultern. „Wenigstens riecht sie gut“, kann einer der fünf Hoffnungsträger die Gesamtsituation kunstvoll zusammenfassen und abrunden.

FUDU rettet sich im Anschluss unter das schützende Dach der Auswechselbank des Hauptspielfeldes (NR!) und hat fortan die besten Plätze mit Sichtbehinderung, die man sich am „Stadion an der Windmühle“ in diesem Moment sichern konnte. Als besonderes Highlight liegt in dem Unterschlupf mit Sichtschlitz ein Handy modernster Bauart bereit, das sämtliches zur Verfügung stehendes technisches Equipment FUDUs locker aussticht. Die Notizen werden besser denn je sein und auch die Fotos, die man mit diesem Ding anfertigen kann, hochauflösender als alles jemals dagewesene! Scheint hier unter dem Strich also so eine Art Medientribüne zu sein.

Im Kunstrasenkäfig kämpft die bunt zusammengewürfelte Griechenauswahl aus der Kreisliga C derweil tapfer gegen den Favoriten aus der Bezirksliga an. Der FC Hellas hat heute einige deutlich in die Jahre gekommenen Herren und den einen oder anderen Souvlaki-Panzer aufgeboten – im Tor steht bspw. der etatmäßige Keeper der Ü50 – aber, um die Wundertüte komplett zu machen, agiert auch der eine oder andere Akteur, der deutlich höherklassig spielen könnte und in erster Linie der Nationalität wegen bei Hellas spielt, in den eigenen Reihen. So benötigt der Favorit aus Pankow knapp 25 Minuten, ehe der Bann gebrochen ist. Dem Treffer von Michel Schwab (24.) folgt das schnelle 2:0 durch Sebastian Teuscher (31.). Aus nach wie vor sicherer Entfernung bekommen wir mit, wie der Außenseiter nach 41 Minuten durch Kerem Erman verkürzen kann, ehe Yannick Hertel im Gegenzug den alten Abstand wieder herstellt.

In der Halbzeitpause hat Schiedsrichter Kalupa sein schwarz-weiß gestreiftes „Foot Locker“-Trikot gegen einen neongelbes Hemd und Hellas Paschalidis gegen den Torschützen Erman getauscht. Der Platzwart bewirbt sich mit spielerischer Leichtigkeit für ein Greenkeeper-Aufbauseminar, da dieser die Gelegenheit für besonders günstig erachtet, trotz des Starkregens einfach mal damit zu beginnen, den Rasenplatz zu wässern. Vielleicht hat man ihn in Britz schon längst auf den Namen „Bob der Sprengmeister“ getauft. Oder schlicht: Der Typ mit dem Wasserschaden. Zwei Senioren, die sich 45 Minuten auf dem anderen Nebenplatz gegen die A-Jugend des DJK Schwarz-Weiß Neukölln gequält haben, schleichen mit Bierbecher und Kippe im Mund durch das Ambiente und versprühen Fußballweisheiten Alter Herren. „Schnell sein ist nicht das einzige, was zählt, Dicker!“ Fetti nickt zustimmend. Wo er Recht hat, hat er Recht. Ist ja schließlich kein Britzkrieg hier – und falls doch, ist Bob sicher gleich fertig mit wässern…

Nach etwas mehr als einer Stunde kann Hellas durch Georgios Iordanidis auf 2:3 verkürzen. Schade, dass der Favorit wieder keine fünf Minuten benötigt, um zurückzuschlagen. Michel Riske erzielt nach 79 Minuten die vermeintliche Vorentscheidung. Wir kauern noch immer in unserem Regenbunker, als Georgios Iordanidis Gästekeeper Zurell aus gut und gerne 40 Metern auf dem falschen Fuß erwischt. Der Ball schlägt zum 3:4 in die Maschen ein, der Regen hat endlich ein Ende und FUDU kehrt nach 80 gespielten Minuten auf den Platz zurück. Geblieben sind fünf weitere Zuschauer, darunter die drei Pankower Burschen, die die ganze Zeit tapfer an der Seitenlinie ausgeharrt hatten uns nun weismachen wollen, dass es 3:3 steht. Das kommt wohl davon, wenn man zu lange im Regen steht – von der Auswechselbank des Nebenfeldes hat man klar gesehen, dass ihr 4:3 in Führung seid, kann FUDU an dieser Stelle als Korrektiv wirken. Bitte, gern geschehen!

Von unserem neuen Premiumplatz mit bester Sicht auf das Spielfeld erleben wir die Entscheidung in der 88. Minute mit. Hertel schießt den Bezirksligisten in die erste Runde des Hauptfeldes und nimmt uns gegen 20.45 Uhr sämtliche Hoffnungen auf eine Verlängerung dieses rauschenden Pokalabends.

Zum Abschied werfen wir noch einen flüchtigen Blick auf die Britzer Mühle und düsen dann mit irgendeiner der unzähligen Buslinien zum S-Bahnhof Hermannstraße. Hier ist eine Lokführerin so freundlich, einer Touristengruppe aus ihrem Fenster heraus Fragen zu beantworten. „One Station“ müssten sie fahren, um nach Tempelhof zu kommen. Leider scheitert diese Gruppe in Folge aber an der Aufgabe, die Tür zu öffnen und während alle Mann quer über den Bahnsteig sprinten, um zur ersten geöffneten Tür zu gelangen, fordert Fetti die gute Frau im Führerstand auf: „Ach komm, fahr los!“. Diese reagiert mit Kopfschütteln und setzt dann noch einmal verbal nach: „Man, man, man – für so Leute sollte es eigentlich noch viel schwerer sein, die Türen aufzukriegen!“. Dann lächelt sie uns an, winkt freundlich und braust mit der Horde Berlinbesucher, die es gerade noch eben so in die S-Bahn geschafft hat, in Richtung Westen.

Irgendwann im Verlauf der nächsten Tage entnimmt Fetti einem Fußballfachportal, dass die Gäste aus Pankow irgendeinen schwerwiegenden Fehler im Online-Spielformular begangen haben und das Spiel mit 6:0 für den FC Hellas gewertet wird. Sollten sich die Hellenen für den DFB-Pokal qualifizieren, würden wir noch einmal wiederkommen. Bis dahin habe ich sicherlich auch wieder genügend BVG-Punkte gesammelt, die ich beim nächsten Mal dann aber bitte wirklich gegen Lammkoteletts vom Grill und Bouzouki-Klänge einlösen würde… /hvg