719 719 FUDUTOURS International 23.11.24 09:13:38

29.12.2016 Aston Villa FC – Leeds United AFC 1:1 (0:0) / Villa Park / 37.087 Zs.

Schwer gezeichnet vom mehrtägigen Manchester-Sightseeing schleppen sich der Fackelmann und ich zum Frühstücksbuffet in die IBIS-Lobby. Wieder einmal hat die sympathische spanische Rezeptionistin Alba, die FUDU-intern längst auf den Namen Telekom Baskets getauft wurde, unsere Zimmernummer vergessen und muss diese nun erfragen, um uns auf der Frühstücks-Checkliste abhaken zu können. Heute überrascht uns das Buffet erstmals, schließlich sind Würstchen, Eier, Bohnen, Speck und Kartoffelecken spiegelverkehrt angeordnet. Die kurzzeitige Verwirrung ist gerade aus den Klamotten geschüttelt, als wir uns an unserem Stammplatz mit Blick auf den Fernseher niedergelassen haben. Wie jeden Tag ist das Potpourri an Nachrichten einigermaßen skurril. Nachdem wir gestern über das neuartige schottische Wetterphänomen der „Fogbows“ informiert worden sind (wenn’s zu trist wird, darf’s ruhig auch mal bunter Nebel sein…), hat heute tatsächlich irgendein ganz ausgefuchster Wissenschaftler im Rahmen einer Health Study herausgefunden, dass viele Briten zu ungesund essen und zu viel Alkohol konsumieren würden. Neben dieser weltexklusiven Sensationsmeldung bestimmt heute die Queen und ihre Residenz das Frühstücksfernsehen. Man mag es kaum glauben, doch der Putz bröckelt, hier und da gibt es Kalkablagerungen und auch sämtliche Rohrleitungen sind veraltet und müssen saniert werden.
Und beim Buckingham Palace sieht es kaum besser aus.

2014 hatte FUDU sein zehntägiges Basislager übrigens in Birmingham aufgeschlagen. Damals gelang es den dummen Schweinen jedoch nicht, auch nur ein einziges Fußballspiel in dieser Stadt zu besuchen. Diesen Makel der eigenen Vita gilt es nun auszumerzen und so begeben sich die beiden verfetteten Alkohooliker direkt vom Frühstücksbuffet zum Busbahnhof Manchesters, von dem aus ein Megabus-Lumpensammler zum unschlagbaren Dumpingpreis von drei Pfund (!) die knapp 100 Meilen zurücklegen wird.

Als der Bus überpünktlich in seiner Haltebucht zum Stehen kommt, kramen wir aus unserem unübersichtlichen Konglomerat an Bus- und Bahntickets für die Reisen der kommenden Tage das passende heraus. Traurig, dass diese schweißtreibende Angelegenheit im wahrsten Sinne keines Blickes gewürdigt wird, da wir den Bus ohne Vorzeigen eines Billets betreten dürfen. Kaum habe ich Platz genommen, beginnt das große Psycho-Spektakel, dem ich mich leider mitunter ausgesetzt sehe, wenn ich in Bussen oder Autos Platz nehme. Ein beklemmendes Gefühl setzt ein, das Herz rast, kalter Schweiß, Nervosität. Kenne ich, kann ich mit umgehen. Aber plötzlich stellt mein Kopf eine Frage, die ich so bislang nicht kannte. Was ist, wenn wir im falschen Bus sitzen? Immer und immer wieder. Ich versuche mich zu beruhigen, indem ich mir einrede, dass es schon der richtige Bus sein wird. Die Uhrzeit stimmt annähernd, die Lackierung des Busses passt, was also soll dieser Quatsch, Kopf? Dann wird die Intensität der Frage aber doch zu heftig und ich muss mich einfach an den Kollegen Fackelmann wenden, der auf der Emotionsskala von Wellness bis Weltkrieg aktuell aus meiner Perspektive betrachtet am anderen Ende zu verorten ist und bereits halb dösend neben mir den zweieinhalb Stunden Fahrt entgegensieht. „Ach, das ist schon der richtige Bus, ganz entspannt!“, sagt er – und sieht auch danach aus. Als der Bus dann fünf Minuten vor der eigentlich geplanten Abfahrt den Busbahnhof verlässt, fallen alle Hemmungen und ich gehe das Risiko ein, mich mit einer Frage beim Busfahrer vollends zu blamieren. Wir sind bereits zwei-drei Mal abgebogen, als ich diesen frage: „Excuse me, is this the bus to Birmingham?“

„No. This is the bus to London!“

Der Fahrer hält in zweiter Spur, nachdem ich deutlich gemacht habe, dass wir dann offenbar versehentlich in den falschen Bus eingestiegen sind. Ich rufe den Fackelmann lautstark herbei.
„Do you have any luggage locked?“ fragt der Chauffeur höflich und entlässt uns dann nach unserer Verneinung freundlich auf offener Straße.

Die nächsten viereinhalb Minuten unseres Lebens bestehen aus einem Sprint, welchen mein Knie überraschend kooperativ mitgestaltet, zurück zum Busbahnhof, um unseren eigentlichen Bus zu erwischen. Knappe 30 Sekunden vor Abfahrt fallen wir schnaufend auf dessen Sitze. Ich bin kurz darauf tiefenentspannt, obwohl ich erneut in einem Bus gleicher Bauart sitze, während Fackelmann auf der Skala über Kreuz an mir vorbeizieht. So ist das nun mal mit der Irrationalität von Ängsten.

Die Fahrt durch die Countryside zieht sich dann dank diverser Stop-and-Go-Passagen ziemlich in die Länge. Das eine oder andere Wildpferd ist zu beobachten, während die beiden jungen Damen vor uns verzweifelt Ausschau nach Schweinen halten. Vielleicht einfach mal umdrehen, denkt sich Fetti. Das Gute liegt eben manchmal doch so nahe.

10 Meilen vor Birmingham haben wir auch das letzte Nebelfeld passiert und der Himmel reißt auf. Bei bestem britischen Wetter (trocken, hell) starten wir unsere Mission, Tickets für das heutige Spiel zu organisieren. Dank unserer 2014’er Stadterkundungen ist der Weg zum Fanshop Aston Villas schnell gefunden, doch die Antwort auf unsere Ticketfrage, die wir dort erhalten, ist ein echter Schlag in den Schweinemagen. Aus Sicherheitsgründen darf leider niemand Karten erwerben, der nicht bereits als Aston Villa Fan registriert ist und somit keine „Booking Reference Number“ vorzuweisen hat. Ach so, Abendkassen wird es auch keine geben. Sorry.

Fetti und seine Freunde reagieren blitzgescheit und entschließen, erst einmal ein Bier trinken zu gehen. Gesucht wird ein Pub mit Wi-Fi, um ein wenig Recherche zu betreiben, welche Schlupflöcher sich für heute Abend eventuell auftun könnten. Der Fackelmann startet in diesen Arbeitsauftrag, während ich mich in die Menschenmenge vor dem Ausschank mische. Hier gilt offenbar die sehr unbritische Devise: „Der lauteste bekommt zuerst“ und so trete ich 15 Minuten später ohne Bier, ohne Eintrittskarte, aber mit voller Schnauze den Rückweg an. Fackelmann übernimmt zusätzlich hauptverantwortlich die Biermission und kehrt wenig später mit zwei vollen Gläsern und der Information, dass es eine Ticketbörse (wenn auch mit horrenden Zusatzgebühren) am Stadion geben wird, an den Tisch zurück. Guter Mann.

Überaus zeitig machen wir uns auf den Weg hinaus zum Villa Park. Wir kommen so immerhin in den Genuss, das Stadion bei Tageslicht sehen und fotografieren zu können und sind angesichts der Backsteinbauten und der liebevoll gestalteten Dekorationen an den Einlasstoren mit dem bislang recht stressigen Tagesverlauf versöhnt. Hier trifft Industrialisierung auf britischen Fußballkult und unser Wunsch, heute Abend Teil des Spektakels sein zu können, steigt ins Unermessliche. Eine Eintrittskarte versuchen wir noch einmal auf einem offiziellen Weg zu ergattern und lassen die ominöse Ticketbörse erst einmal links liegen. Im Ticket Office erhalten wir jedoch die selbe Auskunft wie im Fanshop. Keine Karten für Hoppertrottel. Die freundliche Dame mittleren Alters gibt uns jedoch den Hinweis, uns einfach auf den Parkplatz zu stellen und ankommende Fans mit Reference Number darum zu bitten, Karten für uns zu erwerben.

Gemacht, getan. Wir hausieren bei einsetzendem Regen auf dem Parkplatz auf dem Vereinsgelände und quatschen erfolglos skeptische Briten von der Seite an. Selbst ein norwegischer Dandy-Großvater, der seit 8 Jahren eine Dauerkarte bei Manchester United hält, um 2-3 Spiele pro Jahr sehen zu können (Gegen den modernen Fußball! Kampf dem Kapital!), mag uns nicht aushelfen. Mittlerweile sind mehrere Ordner auf uns aufmerksam geworden und drohen uns nun zu umzingeln und schlimmstenfalls des Feldes zu verweisen. Kurz bevor sie zuschlagen können, winkt uns die Dame hinter der Kasse heran. Kurz darauf stehen wir ihr erneut Angesicht zu Angesicht gegenüber. Wir sind den weiten Weg aus Deutschland gekommen, nur um Aston Villa zu sehen. Und wir haben da diesen Dackelblick und wir könnten ihre Söhne sein. Nur noch eine Frage der Zeit, bis ihr Herz bricht.

Einige Minuten später hat sie dann auch unsere Personalausweise kopiert und druckt uns zwei Eintrittskarten aus, die wir jedoch nicht erhalten, ohne ihr zu versprechen, unser „Best behaviour“ an den Tag zu legen. Nichts leichter als das. Oder: Wer FUDU kennenlernt, der lernt irgendwann auch den Umgang mit Enttäuschungen.

Nun gilt es noch knappe zwei Stunden bis zum Anpfiff zu überbrücken. In Stadionnähe befinden sich lediglich zwei Pubs. Der eine sieht von Außen unfassbar schäbig aus, der andere überborden elitär. Fetti versucht kurzerhand Niveau zu simulieren und steuert schnurstracks in die „Aston Tavern“. Dort sitzt ein adrett gekleideter Schnösel hinter der Eingangstür, der allen Ernstes drei Pfund (!) Eintritt von uns verlangt. Offenbar schlafen uns analog zu dieser Forderung deutlich sichtbar die Gesichtszüge ein, anders ist es nicht zu erklären, dass er ungefragt die Erklärung nachliefert. „Because it is a Victorian Pub!“. Gelaber. Für drei Pfund würde Fetti dem Schnösel höchstens die viktorianische Brille aus dem Gesicht scheppern, aber er zahlt doch nicht, ohne irgendeine Gegenleistung zu erhalten. Womit dann wohl auch klar wäre, dass er in dem anderen Pub doch deutlich besser aufgehoben ist.

Dort gibt es dann zwar nichts zu essen, dafür aber einige nette Aston Villa Fans, die mit uns das eine oder andere Bier heben. Einer unserer neuen Freunde wird uns als Jurgen Klopp vorgestellt und eine optische Ähnlichkeit ist zumindest nicht gänzlich zu leugnen. Die Supporter zeigen uns Videos und Fotos vergangener Spiele und Fußballreisen auf ihren Handys und wir freuen uns sehr auf das Match und die zu erwartende Fußballatmosphäre im Villa Park.

Im Villa Park haben sich zum Anpfiff stattliche 37.000 Zuschauer eingefunden. Leeds United hat auf zwei Rängen verteilt gut 3.500 eigene Zuschauer im Rücken, die vor Beginn des Spiels bereits ordentliche Stimmung verbreiten. Nach Anpfiff erleben wir allerdings die Tragödie des Niedergangs des britischen Fußballs mit seiner vollen Breitseite. Über weite Teile der niveauarmen Partie ist es dermaßen ruhig, dass wir den Generator aus dem angrenzenden VIP-Bereich brummen hören. Immerhin ist in diesem Moment ein Running Gag für die nächsten Tage geboren. Wann immer wir an irgendwelchen Fabrikhallen vorbeiflanieren und ein sonores Dröhnen vernehmen werden, wird einer von uns sagen: „Is‘ ja ’ne Stimmung wie bei Aston Villa hier!“

Nach 30 Minuten stehen zwei jämmerliche Halbchancen für den Premier-League-Absteiger aus Aston zu Buche. Nach 40 Minuten leert sich das Stadion nahezu komplett. Das minderwertige Stadionerlebnis wird durch nervtötende Ordner, die ihr „Sit down, please“ gebetsmühlenartig vortragen, sobald es mal jemanden für 10 Sekunden aus der Sitzschale getrieben hat, zusätzlich abgewertet.

In der Halbzeitpause fällt mir meine Kamera, die mir seit 2010 treue Dienste leistete und die dank ihres Linsenschmands stets unverwechselbare Fotos produzierte, aus der Hand. Nachdem sie, wie schon sooft in ihrem Leben, laut scheppernd auf dem Betonboden einer Tribüne aufgeprallt ist, versuche ich, sie wieder in Gang zu bringen. Dieses Mal kommt jedoch jede Hilfe zu spät. Linse gesplittert, Zoom kaputt. RIP, Lumix! Vielleicht ist es etwas verfrüht, von einem gebrauchten Tag zu sprechen. Ein wenig im „Used Look“ kommt er aber allemal daher, dieser Donnerstag.

Die zweite Halbzeit findet also ohne Fotos statt. Klar, dass da auch Aston Villa nicht richtig im Bilde sein kann. In der 54. Minute köpft Pontus Jansson völlig freistehend nach einem Eckball zum 0:1 ein. Der Mob aus Leeds zeigt endlich wieder Präsenz und feiert das Tor angemessen lautstark. Sogleich sind an die 100 Ordner auf den Plan gerufen, die nun rund um den Gästeblock aufmarschieren und die aufkommende Atmosphäre abermals im Keim ersticken. Nur zwei Minuten später gelingt es dem LUFC beinahe, mit exakt der selben Eckenvariante auf 2:0 zu erhöhen, doch scheitert Jansson dieses Mal denkbar knapp an der Torlatte. Kurz nachdem die Gäste aus Leeds in der 77. Minute den Matchball liegen gelassen haben, fangen wir an, immer häufiger nervös auf die Uhr zu schielen. Der letzte Zug nach Manchester ist etwas knapp kalkuliert, zumal dieser nicht ab Aston, sondern erst ab dem etwas weiter entfernten Bahnhof Witton abfahren wird. Wenn man sich also vornimmt, das Spiel in etwa zur 85. Minute zu verlassen, dann ist es schon eher unpraktisch, wenn dieses ausgerechnet in eben jenen Minuten an Fahrt aufnimmt. So kommt es, dass wir den Ausgleich der Hausherren per (Hand-)Elfmeter in der 86. Minute halb auf dem Sprung nach draußen, halb im Disput mit einem Ordner wegen des Stehens auf der Fluchttreppe, mitbekommen. Etwas mehr haben wir von der Bierdusche, die von oben (zu Recht!) auf die vor Spielschluss gehen wollenden Hopperspastis niederprasselt. Und während wir noch so mit dem Ordner diskutieren, setzt Leeds‘ Rechtsaußen Hadi Sacko einen Fernschuss ans Gebälk. Das Stadion beginnt zu kochen, das Spiel zu leben und FUDU muss mit hängenden Schweineköpfen in der 88. Minute durch die Katakomben schleichen. Very bitter.

Der anschließende Sprint zum Bahnhof Witton ist immerhin dermaßen erfolgreich, dass wir uns unterwegs noch mit Carling für die Rückfahrt eindecken können. Irgendwann zwischen Weihnachten und Neujahr müssten dann auch die Bilder des Knie-MRT in meinem Berliner Briefkasten liegen. Ob der Arzt mit seiner Diagnose „Kreuzbandriss“ wirklich Recht behalten wird, sei an dieser Stelle dahingestellt. Ich öffne das Carling, spreche einen Toast auf die von uns gegangene Kamera und wünsche auch der Queen für ihre Sanierung nur das Allerbeste. /hvg