Posted on Juli 1, 2017
01.07.2017 FSV Barleben – 1.FC Union Berlin 1:7 (0:2) / Sportplatz am Anger / 589 Zs.
Der 01. Juli ist schon so ein denkwürdiger Tag. Alles beginnt damit, dass er als 182. Tag des gregorianischen Kalenders auf die Tage bezogen zur ersten Jahreshälfte gehört (es verbleiben 183 weitere Tage), obwohl er von den Monaten her zur zweiten Jahreshälfte gerechnet wird. Im Jahr 2002 schepperte an diesem ominösen Tag ein russisches Passagierflugzeug mit einer Frachtmaschine der DHL über dem Bodensee zusammen, was ein Unglück mit 71 Toten zur Folge hatte. Und zu allem Überfluss wurde an diesem Tag des Jahres 1899 die TSG Hoffenheim gegründet.
Dennoch treffen am frühen Morgen des 01. Juli 2017 Fetti und drei unerschrockene FreundInnen FUDUs am Berliner Hauptbahnhof aufeinander. Der FSV Barleben hat in diesem Sommer den 1.FC Magdeburg und Eintracht Braunschweig zu Testspielen eingeladen und obwohl in diese Riege ein anderer Berliner Fußballclub besser zu passen scheint, fiel die Wahl der Gastgeber für ihren dritten Testkick auf den 1.FC Union Berlin. Der Slogan „Wir testen die besten“ hätte sich mit dem Zusatz „…und den BFC!“ vermutlich auch einfach weitaus schlechter vermarkten lassen…
Sei es wie es sei. Während ein Obdachloser im formschönen SV Warnemünde Pullover neben uns über das Gleis torkelt, bereiten wir uns mental auf die Klimakatastrophe vor, die uns in Sachsen-Anhalt erwarten wird. 18 Grad, Dauerregen, 0,5 Sonnenstunden. Wie hieß es einst in dem wunderbaren Song „In the Summertime“? When the weather’s fine, you got women, you got women on your mind. Have a drink, have a drive, go out and see what you can find. If her daddy’s rich, take her out for a meal, if her daddy’s poor, just do what you feel!“. Verrückter Mungo!
Während sich die beiden Herren der Schöpfung das erste Bier des Tages munden lassen, präsentieren die beiden Damen stolz die neueste Errungenschaft der Schilkin GmbH & Co. KG: Berliner Luft versetzt mit Ananas und Kokos. Bereits nach dem Öffnen dieser Flasche stinkt es im Abteil so, wie sich der gemeine Ostberliner offenbar die Karibik vorstellt. Ich verzichte dankend auf eine Kostprobe vom „Flamingofurz“, wie das Hirngespinst einiger durchgeknallter Marketingstrategen fortan von mir genannt wird und konzentriere mich stattdessen weiter auf mein polnisches Dosenbier. Warka, Warka, eh-eh!
Kurz darauf ist man auch bereits in Barleben angekommen und hält am Bahnhofsgebäude erst einmal kurz andächtig inne. Ein großes Poster und einige Grablichter erinnern an den kürzlich verstorbenen FCM-Anhänger Hannes, der unter bislang ungeklärten Umständen während einer Auseinandersetzung mit HFC-_________ (Hools? Ultras? Fans? Sympathisanten? Assis?) zu Tode gekommen war.
Auch im weiteren Verlauf des kurzen Stadtspaziergangs (Internationale Grundschule, Dorfanger, Friedhof – machste in einer Barlebener Biographie immer alles in einem Rutsch!) bleibt der Club aus Magdeburg omnipräsent. Während die Graffiti-Kultur einem noch ein kleines Schmunzeln entlocken kann, bieten die stiernackigen und teilweise haarlosen Ordner mit stolz getragenen FCM-Fanartikeln, die vor dem Sportplatz am Anger aufgezogen sind, eher weniger Anlass zur Freude. Es ist schon etwas unangenehm, wenn man derart kritisch beäugt wird und letztlich von denen, die für Sicherheit sorgen sollen, am meisten zu befürchten hat.
Aufgrund der Tatsache, dass es heute lediglich für Kinder und Senioren ermäßigte Eintrittskarten zu erwerben gibt, sorgt der (noch?) lebende FCU-Hannes für weiteren Zündstoff. „Gibt wohl keine Studenten bei Euch in Sachsen-Anhalt, wa?“
Ich zucke zusammen. Beobachte das Szenario. Puh, noch mal Glück gehabt. Den haben die Securitymenschen nicht verstanden, welche von hinten betrachtet übrigens auch nicht besser aussehen, wozu der Firmenname „mekka events“ einen weiteren Beitrag leistet.
Wir flüchten uns an den Bierstand, decken uns mit regionalen Spezialitäten aus Colbitz ein und lassen uns dann auf dem verregneten Gästeblock-Grashügel nieder. Der Ausblick nach oben ist trübe, der nach hinten auf die angrenzenden Grundstücke in Richtung Adamsee recht malerisch und rundherum gibt es einen unausgebauten Sportplatz zu bewundern. Dazu Regen. Regen. Regen. Und die aufmunternde Nachricht, dass das Spiel mit 15 Minuten Verspätung beginnen wird, weil die Gäste des 1.FC Union Berlin noch im Stau stehen würden.
Währenddessen schwingt sich auch heute wieder der Stadionsprecher dazu auf, in ewiger Erinnerung zu bleiben. Die gut 100 Unioner im Gästeblock, davon nur knapp 15 aus Berlin angereist, haben es mit einem klassischen Radiogesicht zu tun, der wohl für Radio Brocken etwas zu altbacken geworden ist und keine neuerliche Anstellung finden konnte. Heute moderiert er jedenfalls jeden noch so schlechten Popsong voller Inbrunst an und weiß dank des Spiels mit der eigenen Stimme die Massen für das kommende Fußballspiel zu elektrisieren. Als er am Ende der Partie verkünden muss, dass es heute leider keine Pressekonferenz geben wird, weiß er auch daraus Kapital zu schlagen: „Na gut, dann kann ich ja noch ein wenig länger quatschen!“.
Vorher haben wir aber noch ein belangloses Testspiel zu überstehen. Das schönste Tor des Tages erzielt Skrzybski zum 0:2 nach 28 Minuten durch einen wunderbaren Schlenzer in den Knick. Die sympathischste Aktion der zweiten Halbzeit liefert Michael Parensen, dessen Flanke so schlecht ist, dass er sich mit demütigen Gesten bei Hosiner entschuldigt, der sich wenige Sekunden zuvor ganz schön verbiegen musste, um die vermurkste Hereingabe zum 0:3 (48. Minute) über die Linie zu bugsieren. Im Anschluss schraubt der Zweitligist, der in der Pause heute lediglich einen einzigen Spielerwechsel vornimmt (Busk für Mesenhöler), das Ergebnis weiter standesgemäß in die Höhe. Nach 75 Minuten erhalten die Nachwuchsspieler Karahman und Taz Einsatzminuten, wobei sich ins Besondere letzterer nach seinem guten Einstand gegen Friedrichshagen auch im verregneten Sachsen-Anhalt dank einiger gelungener Aktionen auf den Notizzettel des Trainers gespielt haben dürfte.
Richtig stimmungsvoll wird es im weiten Rund nach 81 Minuten, als Christopher Kalkutschke einen Angriff der Hausherren zum 1:6 verwandeln kann. Die Stadionregie hat sogar einen Torjingle parat und quält die 589 freiwillig Erschienenen mit dem „Trommelkombinat Safri Duo“. Das lässt Philipp Hosiner nicht lange auf sich sitzen und setzt mit seinem vierten Treffer den Schlusspunkt hinter dieses Spiel. Schiedsrichter Karsten Fettback aus Stendal pfeift ab und noch auf dem Parkplatz des Sportplatzes machen wir die nächste Nahtoderfahrung des heutigen Tages, als uns der Barlebener Spieler mit der Nummer 6 beinahe über den Haufen fährt. Da auch die FCM-Ordner bereits wieder aufgezogen sind, fühlen wir uns nicht mehr sonderlich Willkommen und starten in das hoffnungslose Unterfangen, vor der Rückreise Nahrung und eine geöffnete Kneipe in der „Stadt“ zu finden.
Die „Bördepils Stuben“ liegen auf dem Weg, haben aber leider mutmaßlich seit 1992 geschlossen. Das „Reiterstübchen“ wird aufgrund der verschlossenen Eingangspforte von uns auf den neuen Namen „Bar zum langen Gesicht“ getauft, ehe wir demoralisiert eine Einheimische um Rat bitten. Schnell hat sie uns eine exquisite „Dönergaststätte“ hinter dem „Kreisel“ empfohlen und wir uns dazu entschieden, einfach im Edeka Gin und Tonic zu kaufen und dieses vermaledeite Fleckchen Erde schnellstmöglich zu verlassen.
Im Zug nach Magdeburg treffen wir gegen 19.00 Uhr auf eine alkoholisierte Männergruppe aus Münster, die es sich zum Hobby gemacht hat, gemeinsam deutsche Städte zu bereisen. Warum ihre Wahl auf Magdeburg gefallen ist und wie man darauf kommt, man könnte diese ohnehin schon schlechte Idee durch ein Fußballspiel in Barleben aufwerten, bleibt erst einmal offen. Sie sind jedenfalls sehr an Gin Tonic interessiert und fluten nicht nur ihre Kehlen, sondern auch unsere Reisekasse. Fetti, der Halsabschneider, verdient innerhalb von 15 Minuten 10,40 € und ist nun auf dem besten Weg zur ehrenwerten Auszeichnung „Gastronom des Jahres“, auch weil er aus reiner Dankbarkeit den Jungs zum Abschied noch einen „Flamingofurz“ aufs Haus spendiert.
Die Wartezeit in Magdeburg wird dann genutzt, um das verdiente Geld sinnvoll zu reinvestieren und so schlägt FUDU im Kaufland noch einmal zu. Dieses Mal wandern in den Warenkorb: Gin, Tonic UND eine Gurke. Die Sonnencreme lassen wir draufgängerisch im Regal stehen, obwohl das sommerliche Zentralgestirn eigentlich gleich für eine halbe Stunde richtig zu ballern beginnen sollte. Kurz darauf ist der Tisch in der Regionalbahn fürstlich gedeckt und die feinen Herrschaften lassen die Fußballfahrt in Reminiszenz an alte Wochenendticket-Touren stilvoll mit Longdrinks ausklingen. Ach ja, das ist dieses Barleben, das ich so mag. Have a drink, have a drive, go out and see what you can find! /hvg
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