Posted on Oktober 2, 2017
02.10.2017 AC Sparta Praha U21 – SK Slavia Praha U21 1:0 (1:0) / Stadion Strahov, Hřiště Č. 1 / 250 Zs.
Während ich mich noch darüber gräme, dass mir am gestrigen Abend eine 50KČ-Münze aus der Hosentasche gefallen sein muss und ich dies nun zeitnah dem rumänischen Kassenwart beichten sollte, rollt der Tschechenbentley auch schon auf dem Parkplatz des lokalen „Albert Hypermarket“ ein. Neugierig stromern die drei FUDU-Schweine kurz darauf durch die Regale der Getränkeabteilung und verladen palettenweise Dosenbier und das liebgewonnene „Ježek“ in Flaschenform in den Einkaufswagen. Nachdem auch vor dem Schnapsregal alle „Magister“ gezogen worden sind, treten wir unsere Weiterreise nach Praha im nunmehr gut mit Sprit gefüllten Škoda an.
Gut eine Stunde sind wir auf der Autobahn unterwegs, als es plötzlich einen ohrenbetäubenden Knall gibt. Die Fahrerin reagiert geschickt und kann den Wagen mit dem geplatzten Reifen gut unter Kontrolle bringen und in Richtung des Seitenstreifens manövrieren. Nachdem wir alle einmal tief durchgeatmet und uns in schmissige orangene Westen gehüllt haben, verlassen wir das Auto, um das Malheur zu begutachten. Ich bin kein Experte, aber das Ding ist hin, denke ich mir, während ein LKW nach dem anderen in abnormer Geschwindigkeit an uns vorbeizieht. Wenn jetzt irgendein Pavel auf der rechten Spur ein Nickerchen hält und uns zu spät sieht, dann… lieber nicht weiter darüber nachdenken. Es steht ein Reifenwechsel an! Um das von Dosenbier und Schnaps bedeckte Reserverad freizulegen, stelle ich mein „Ježek“ an den Straßenrand und helfe, die alkoholischen Vorräte vor der Leitplanke aufzutürmen. So sieht eine echte tschechische Autopanne aus, Freunde! Beeindruckend kompetent und mit brillantem Teamwork hat das FUDU-Pärchen kurz darauf den schlabberigen Reifen demontiert und durch den freigelegten Reservisten ersetzt. Schnell ist der Kofferraum wieder beladen und die Fahrt wird fortgesetzt. Dass diese ganze Aktion doch Spuren hinterlassen hat, merke ich erst einige Kilometer später. Habe ich doch glatt mein Igelchen auf der Autobahn stehen lassen. War der Schreck offenbar doch größer, als zunächst angenommen.
Kurz vor knapp erreichen wir die „Pension Filip“, die diesem in Alkoholikerkreisen wohl bekannten Namen alle Ehre bereiten kann. Dies gelingt in spielerischer Leichtigkeit in Form des Logos, welches ein Papagei ziert, der ein gut gefülltes Martiniglas in den Krallen hält. Wir müssen den Vogel aber leider links liegen lassen und legen das Einchecken und das Willkommensgetränk erst einmal auf Eis.
Der Fußweg zum „Velký strahovský stadion“ führt etwas bergauf, ist aber auch unter Zeitdruck spielend leicht zu meistern. Ich stehe kurz darauf zum dritten Mal in meinem Leben vor dieser unfassbar riesigen Schüssel, in welcher einst bis zu 250.000 Menschen politischen Veranstaltungen, sozialistisch durchsynchronisierten Turnfesten und Rockkonzerten beiwohnten. Falls sich aus Versehen ein Bildleser hierhin verirrt haben sollte, kann ich zur Einschätzung der Größendimension folgende Serviceleistung anbieten: Der Innenraum des Stadions ist in etwa so groß wie acht Fußballfelder. Reicht ja bekanntermaßen nicht aus, dass man schreibt, der halbe Regenwald sei abgebrannt. Wenn der Deutsche an sich nicht weiß, wie viel das in Fußballfeldern ist, geht empathisch erst mal gar nichts. Sei es wie es sei, auf einem dieser acht Fußballfelder, die alle zur Jugendakademie des Lokalmatadoren AC Sparta gehören, wird heute jedenfalls die U21 im Stadtderby den SK Slavia empfangen und ich endlich in den Genuss kommen, an dieser historischen Stätte erstmals ein Spiel miterleben zu können.
Ohne einen Eintritt entrichten zu müssen, haben wir auf der Tribüne des Hauptfeldes Platz gefunden. Um uns herum bröckelt die Bausubstanz, wunderschöne alte Telefunken-Großlautsprecheranlagen von 1935 schießen pilzförmig aus dem Boden, Oma und Opa lassen sich im Klappstuhl nieder und eine Jugendgang, die den Swag aufdreht, kommt uns bedrohlich nahe. Mit etwas Verwunderung nehmen wir einen modernen Mediencontainer zur Kenntnis, in dem rege Betriebsamkeit herrscht. Videokameras, Monitore und sonstige Technik werden hier emsig umhergetragen. FIFA-Schiedsrichter Pavel Orel eröffnet um 13.00 Uhr die überraschend gut besuchte Partie der „Juniorská Liga ČFL“ vor 250 Zuschauern auf Platz 1.
Es entwickelt sich ein wirklich ansehnliches Fußballspiel auf technisch hohem Niveau. Die Jungspunde bringen naturgemäß alle ein hohes Tempo und eine imposante Dynamik mit auf das grüne Geläuf. Anders als bei unserem letzten Nachwuchskick in Dänemark wird heute aber auch die notwendige Härte nicht vermisst. Jeder ballführende Spieler erhält reichlich Druck seiner Gegenspieler, sodass wenig Zeit bleibt, die Bälle in Ruhe zu verteilen und das eigene Spiel aufzuziehen. Hier zeigt sich, wer das Zeug zum Profi hat und schnell kristallisiert sich heraus, dass Spartas Schwarzafrikaner heute den kreativen Unterschied auf den Platz bringen. Der SK Slavia, der unlängst von einem chinesischen Investor aufgekauft wurde und auch im Nachwuchsbereich mit unsagbar albernen chinesischen Schriftzeichen auf dem Trikot aufläuft, hält mit Körperlichkeit dagegen und hat seinerseits nach 15 Minuten die erste gute Kopfballchance nach einem ruhenden Ball. Dessen ungeachtet bringt Sparta nach und nach seine Qualitäten auf den Platz und ist die tonangebende Mannschaft. Die Überlegenheit wird in der 24. Minute messbar. Nach einer schnellen Ballstafette auf der linken Seite, einer Flanke auf den langen Pfosten und einer mustergültigen Kopfballrückgabe steht der bullige Neuner Lukáš Juliš, der bereits 49 Spiele für Spartas Herrenteam in der höchsten tschechischen Spielklasse bestreiten durfte und dabei neun Treffer erzielen konnte, am ersten Pfosten bereit und verwandelt eiskalt zur Führung der Heimmannschaft. Slavia bleibt bis zur Pause nur sporadisch nach Standardsituationen gefährlich und auch Spartas Fans müssen sich bis zur 44. Minute bis zum nächsten Höhepunkt des Spiels gedulden. Doch Slavias Keeper Martin Otáhal kann seinen eigenen Fehler, beim Herauslaufen zu lange gezögert zu haben, im letzten Moment noch eben gerade wett machen und dem Schützen den Ball in letzter Sekunde vom Fuß kratzen.
In der Halbzeitpause ist der Ärger darüber, dass es keinen Klobása-Grill gibt, schnell verflogen. Trost findet Fetti nämlich in einem Kartoffelpuffer mit Speck und Zwiebeln, der für gerade einmal 15 Kronen und mit reichlich Fett als Geschmacksträger so sehr überzeugen kann, dass etwas später noch ein zweiter in den Schweinemagen wandern wird.
Die 47. Minute wird ganz Fußball-Tschechien monatelang in Aufruhr versetzen. Expertenrunden um Antonín Panenka, Karel Poborský und natürlich Radek Drulák werden sich im TV die Köpfe heiß diskutieren. Was war geschehen? Sparta-Jungspund Dao zieht mit dem Ball am Fuß in den Strafraum Slavias ein, gerät ins Straucheln und stürzt. „Klar in die Hacken getreten!“, konstatiert FUDU auf den Rängen, doch Schiedsrichter Orel hält inne und lauscht den Hinweisen, die er offensichtlich über sein Headset empfängt. Plötzlich ist klar, was es mit diesem Mediencontainer auf sich hat – wir dürfen hier einen der ersten tschechischen Videobeweis-Testballons miterleben. Orel verschwindet im Kabuff und kehrt kurz darauf mit hochprofessionellen stadiontauglichen Gesten zurück auf den Rasen. Ergebnis nach viereckigem Fingerzeig und Videobeweis: kein Strafstoß! Auch die gelbe Karte gegen den Verteidiger wird zurückgenommen und stattdessen dem Angreifer gezeigt, der nun offiziell einer Schwalbe bezichtigt wird und die Welt nicht mehr versteht. Fetti beißt in den Kartoffelpuffer. Wieder was erlebt.
Vom Rest der zweiten Halbzeit wird nicht viel in Erinnerung bleiben. Das Niveau der Partie sinkt kontinuierlich, Sparta verwaltet die Führung seriös und Slavia lässt auch die Gelegenheit, die ihnen der Heimtorwart anbietet, indem er den Ball kurz vor dem eigenen Sechzehner vertändelt, fahrlässig liegen (75. Minute). Eine letzte Chance versieben sie dann in der 82. Minute kläglich, als es eigentlich nur noch gilt, den Ball nach einem klugen Pass in den Rückraum im mehr oder minder leeren Tor zu versenken, es der Angreifer aber schafft, die Kugel gar über den Zaun zu jagen und die Ordner so in den Genuss kommen, das Spielgerät in der wild bewachsenen Botanik zu suchen. Und so beenden die Nachwuchskicker Spartas diesen Spieltag mit einem 1:0 Heimsieg gegen den Lokalrivalen und träumen weiter von der Meisterschaft, während sich Slavia langsam aber sicher im unteren Tabellenmittelfeld sorgen muss, die Meisterrunde zu verpassen.
Nachdem Fetti im Vereinslokal des AC Sparta ein neues Lebensmotto entwickeln konnte („gehta besoffen inne Kneipe, sparta Geld!“) und einen Hopper aus dem Saarland kennenlernen musste, bezieht er mit seinen Freunden endlich das Hotelzimmer. Schnell werden einige Getränke und das Reisegepäck durch das Fenster des Erdgeschosszimmers gereicht, ehe sich Fetti nach dem erfolgreichen Verladen in die Kette historischer tschechischer Begebenheiten einreiht und erfolgreich aus dem Fenster stürzt. Der vierte schon!
Aufgrund der viel zu hohen Touristendichte wird die Sehenswürdigkeitentour auf das Nötigste begrenzt. Den „Petřínská rozhledna“, einen verkleinerten Nachbau des Eiffelturms, hat von uns trotz mehrmaliger Pragbesuche noch niemand gesehen und wird daher zielstrebig angesteuert. Ein Besteigen des Turms wird aber aufgrund der abnormen Eintrittspreise und wegen des Umstandes, dass Nadjuschkas Lothar-Matthäus-Muskel kurz vorher beim Kraxeln durch den Park dicht gemacht hatte, verworfen. So entschließen wir uns stattdessen, im nahe gelegenen „Restaurant U Kříže“ bei leckerem Gulasch in den Tag der Deutschen Einheit hineinzuvöllern.
Recht bald hat Fetti angenehm einen in der Krone und für nur 24 Münzen selbiger Währung wird der Rückweg zum Hotel touristisch dekadent mit der Standseilbahn angetreten. Das Absackerbier im Hotelzimmer wird vom tschechischen Spitzenfernsehsender „Šlágr TV“ musikalisch untermalt. Wenn man denkt, man hat in seinem Leben bereits alles an Absurditäten erlebt, gibt es immer noch einen, der einen oben drauf setzt. Und so glauben wir unseren Augen kaum zu trauen, als plötzlich fünf Tschechen mit Sombreros und ihrer mexikanischen Mariachi-Musik mit tschechischen Texten in die volkstümliche Traktoren-Idylle platzen. Diese Welt ist in ihrer Verrücktheit wohl nicht mehr zu retten. In uns platzen Träume, Hoffnungen, Adern. Aber alles besser, als noch ein geplatzter Reifen. /hvg
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