715 715 FUDUTOURS International 23.11.24 09:20:42

28.10.2017 FC Hansa Rostock U15 – 1.FC Frankfurt (Oder) U15 6:0 (3:0) / Volksstadion Rostock / 50 Zs.

Es muss so ungefähr im Jahre 1994 gewesen sein, als mich mein Vater erstmals mit zu einem Eishockeyspiel nahm. Der BSC Preussen Berlin gehörte damals zur Crème de la Crème des deutschen Eishockeys und schickte sich von Saison zu Saison an, den Titel zu holen, scheiterte aber jeweils spätestens im Halbfinale. Dennoch habe ich nur die allerbesten Erinnerungen an das Wunderkerzenmeer in der Eissporthalle an der Jafféstraße, an die Stimme Detlev Minters und an Namen wie Tanti, Malo, O’Regan und John Chabot. Der Niedergang der Preussen begann mit dem Abriss der altehrwürdigen Spielstätte und dem Umzug in die Deutschlandhalle. Nach dem sportlichen Abstieg der Berlin Capitals in den Play-Downs gegen die Schwenningen Wild Wings im Jahre 2002 war nur wenige Sekunden nach der Schlusssirene in der Halle klar, dass es das wohl gewesen sein wird für Eishockeyprofisport im ehemaligen Westteil der Stadt. Unter dem Namen Berliner Schlittschuhclub Preussen gab es noch einmal finanziell ambitionierte Zuckungen, doch nach der Saison 2004/05 durfte auch dieses Projekt Insolvenz anmelden und ich verabschiedete mich vorerst von dem Gedanken, weitere Spiele des Vereins zu besuchen. Nach dem Abriss der Deutschlandhalle im Jahre 2011 stand der inoffizielle Nachfolgeverein ECC Preussen (Juniors) kurzzeitig ohne Spielstätte da und dümpelte in einer unattraktiven Regional- bzw. Oberliga in Duellen mit Eishockeyvereinen ostdeutscher Kleinstädte vor sich hin. Mit der Etablierung der neuen Oberliga Nord vor drei Jahren, in der es nun auch überregional gegen einige ehemalige Traditionsvereine um Punkte geht, ist auch mein Interesse an „meinen“ Preussen wieder etwas wachgeküsst worden und so versuche ich, mindestens 2-3 Spiele pro Saison zu besuchen. Und aufgrund der Tatsache, dass die neue Eissporthalle P09, die der Senat „großzügigerweise“ als Ersatz für die Deutschlandhalle zur Verfügung stellte, mit ihren jämmerlichen 1000 Plätzen in etwa so spannend wie ein unausgebauter Kunstrasenplatz in der Berlin-Liga ist, geschieht dies vorzugsweise auswärts.

Es ist Freitag, der 27.10.2017. Meinen freien Herbstferienfreitag verbringe ich an der Ostsee, genauer gesagt im schönen Hansestädtchen Rostock. Die ortsansässigen „Piranhas“ empfangen heute den ECC Preussen Berlin zum Punktspiel in der Eishalle an der Schillingallee in unmittelbarer Nachbarschaft des Ostseestadions und schnell habe ich mir im Vorfeld der Partie meine reservierte Eintrittskarte unweit des „glatten Aals“ am Rostocker Markt abgeholt. Sportlich haben die Preussen in den letzten Spielen ganz schön auf die Mütze bekommen und sind zudem personell stark gebeutelt, sodass meine Erwartungshaltung für das Spiel beim tabellarischen Nachbarn eher niedrig angesiedelt ist. Auch auf den Rängen kommen die Preussen heute mit dem letzten Aufgebot. Eine ganze Busladung Schlachtenbummler hat sich respektablerweise auf den Weg gemacht, wobei sich hier eindeutig das Motto „Masse statt Klasse“ durchgesetzt hat. Schon traurig, dass sich nach all den Jahren sportlicher Bedeutungslosigkeit wirklich nur noch der Bodensatz an treuen Fans gehalten hat. Junge, Junge – was für City-West-Hillbillies.

Das Heimpublikum ist sehr gastfreundlich und sympathisch und wie sooft beim Eishockey kommt es zu keinerlei Komplikationen mit den Gästefans. Auf dem Eis wehren sich die Preussen tapfer und können das Spiel zu meiner Überraschung größtenteils sehr ausgeglichen gestalten. Die an zwei Seiten ausgebaute Eishalle versprüht den Charme alter Eishockeytage, bevor auch in dieser Sportart moderne Arenen mit ihrem amerikanischen Brimborium den Purismus vergangener Tage zu Nichte machten. Mit 822 Zuschauern ist die Eishalle gut gefüllt und die Stimmung ist dem engen Spielverlauf angemessen lautstark, aber gleichermaßen auch von Anspannung und Nervosität geprägt. Nach dem ersten Drittel freuen sich die mitgereisten Preussenfans über eine 1:0 Führung durch Braun, welche Josh Rabbani in der 25. Minute gar auf 2:0 ausbauen kann. Nur eine Minute später gelingt Lemmer der Anschlusstreffer. Ende des zweiten Drittels müssen sich die Preussen der ersten sehr dominanten Druckphase der Hausherren erwehren und es scheint nur noch eine Frage der Zeit, bis das Licht hinter dem Berliner Gehäuse erneut auf rot gestellt wird. Drei Minuten vor der erlösenden zweiten Drittelsirene hat sich der Sturmlauf der Piranhas ausgezahlt und Spister zum 2:2 ausgeglichen. Das letzte Drittel ist an Spannung nicht zu überbieten und der Rumpfkader der Berliner stemmt sich mit Händen und Füßen gegen die drohende Niederlage. Aber alles aufopferungsvolle Kämpfen hilft am Ende nichts, denn Rostocks Top-Torschütze Kurka kann zwei Minuten und 41 Sekunden vor Ultimo den Berliner Schlussmann ein drittes Mal überwinden und sorgt für großen Jubel auf den Tribünen. Stilecht erhält der „Spieler des Spiels“ einen Kasten „Rostocker Pils“ und während die Feierlichkeiten in der Kabine der Raubfische beginnt, begebe ich mich beschwingt durch einen tollen Eishockeyabend fußläufig zurück in mein „Grijpennest“.

Nach einer erholsamen Nacht erschrecke ich angesichts des Blicks aus dem Fenster. Dort wirbelt eine steife Ostseebrise so ziemlich alles durch die Gegend, was nicht niet- und nagelfest ist. Eine kurze Recherche ergibt: Unwetterwarnung, Windstärke 9. Ich entscheide mich gegen einen Besuch des SV Warnemünde, der heute auf dem Kunstrasenplatz des Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadions den SV Blau-Weiß Baabe empfangen hätte. Die 88 km/h starken Windböen werden sich direkt am Meer wohl kaum besser anfühlen und so spiele ich kurzzeitig mit dem Gedanken, heute gänzlich auf Fußball an der Basis zu verzichten und mich in irgendeiner guten sky-Stube bei dem einen oder anderen „Ropi“ niederzulassen, als mich plötzlich der „Groundhopping Informer“ traurig anschaut. Is‘ ja jut, kriegst ja Dein Kreuz.

Als geschickter Kompromiss erweist sich der Plan, der C-Jugend des FC Hansa Rostock einen Besuch abzustatten. Das Volksstadion ist mir bislang noch nicht bekannt und stellt mit seinen Naturtribünen einen recht charmanten Spielort dar. Als besonderer Clou ist anzuführen, dass ich lediglich zwei Mal 35 Minuten im Wind aushalten muss und aufgrund des frühen Anpfiffs um 12.00 Uhr im Anschluss entspannt in einer Kneipe zum Bundesliga-Bohei einkehren kann. Mit der Argumentation hätte ich nun wirklich jedem von diesem Unterfangen überzeugt, sogar mich selbst.

Die 2,8 Kilometer Fußweg gehen mit Rückenwind um so leichter von der Hand. Das Wegbier der Marke „Mahn & Ohlerich“ mundet und auch die Grafitti- und Stickerkultur des FC Hansa Rostock vermag mich ein weiteres Mal zu überzeugen. Es kann einem schon Tränen der Freude in die Augen treiben, wenn man Fische mit Boxhandschuhen oder muskulöse Möwen mit Anglerhüten zur Verzierung des Stadtbildes nutzt…

Das Volksstadion Rostock liegt in der Nähe der Eishalle, des Ostseestadions und weiterer Sportstätten, wie z.B. das Leichtathletikstadion und das Hallenbad Neptun. Wenn man erst einmal den Eingang gefunden hat, freut man sich bei Jugendspielen des FC Hansa über freien Eintritt und darüber, dass einem niemand auf die Nerven geht und sich für den Inhalt des Reisegepäcks interessiert. Die Anlage wurde im Jahre 1928 unter dem Namen „Arbeitersport-Stadion“ errichtet und fasst heute auf drei unausgebauten Grashügeln und einer überwucherten Stehplatztribüne je nach Quelle zwischen 5.000 und 8.000 Zuschauer. Seine größten Stunden erlebte das Stadion in der Saison 1986/87, in der der FC Hansa einige Punktspiele der DDR-Oberliga hier austrug, da im benachbarten Ostseestadion neuer Rasen ausgesät wurde. Internationales Flair wehte dann im Jahre 1989 durch die Spielstätte, als der FC Hansa seine „Intertoto-Cup“-Spiele gegen Boldklubben 1903, TJ Plastika Nitra und Malmö FF an Ort und Stelle absolvierte.

42 von Hand gezählte Zuschauer haben sich heute bei Anpfiff im weiten Rund versammelt (spätere offizielle und stark verlogene Angabe: 50!), um die C-Jugendlichen des FC Hansa gegen den 1.FC Frankfurt (Alles nichts Oder?!) spielen zu sehen. Es ist noch keine Minute gespielt, als ein Eckstoß der Hanseaten irgendwie an Mann und Maus vorbeirutscht und zum 1:0 in den Maschen einschlägt. Kurz vor dem Halbzeitpfiff wird sich dann auch Kjells Bruder Tjark Hildebrandt mit seinem Treffer zum 3:0 in die Torschützenliste eintragen.

Auch im zweiten Spielabschnitt wird der FC Hansa die überlegene Mannschaft bleiben, auch wenn Struktur im eigenen Spiel fehlt und überraschend viele technische Mängel auffällig werden. Es reicht jedoch aus, hoch zu pressen, um die verunsicherten Kicker des 1.FC FFO so sehr unter Druck zu setzen und so zu schnellen Ballgewinnen zu kommen. In der 43., 55. und 68. Minute fallen drei weitere Treffer für die Hanseaten, die das Spiel am Ende standesgemäß mit 6:0 für sich entscheiden können. Bei den Hausherren darf man in vier-fünf Jahren getrost gespannt darauf sein, wie sich die beiden auffälligsten Spieler Sami Mohamad und Theo Gunnar Martens weiter entwickelt haben werden. Der erstgenannte ein bulliger Stürmertyp, der bereits jetzt mit allen Wassern gewaschen zu sein scheint, der zweite ein technisch beschlagener und kreativer Mittelfeldspieler. Könnt ihr ja 2022 mal googlen.

Spannender sind derweil die kleinen Randanekdoten, die mir via Handy zugetragen werden. Mein Cousin berichtet stolz, dass sein Sohn heute den Flug nach Düsseldorf zu seinem Opa ohne Begleitung der Eltern antreten wird. Als wäre dies alleine nicht schon Anlass genug, so ein Erlebnis in ewiger Erinnerung zu behalten, wird dem Kleenen das ganze Abenteuer zusätzlich aufgewertet. Niemand geringeres als die Mannschaft des 1.FC Union Berlin befindet sich nämlich mit an Bord, um sich auf den Weg zu ihrem morgigen Auswärtsspiel beim MSV Duisburg zu begeben. Sebastian Polter lässt es sich dann auch nicht nehmen, meinen als „Unioner“ erkenntlichen Großcousin neben sich sitzen zu lassen, gemeinsam mit ihm Fußball auf seinem Tablet zu schauen (genauer: seine schönsten Tore. Soviel Liebe zu sich selbst muss erlaubt sein!) und am Ende ein Autogramm auf dessen Boardingkarte zu hinterlassen.

Ich kehre in meinem Lieblingsladen in der Kröpeliner-Tor-Vorstadt ein und schaue gut 70 Minuten Bundesliga-Fußball im „Pleitegeier“, völlig unbemerkt von der ortsansässigen „Tanga Polizei“, worin auch immer deren Aufgabe besteht. Dann drängelt die Zeit ein wenig, da die Heimfahrt im Flixbus auf dem Programm steht. Überaus pünktlich kehre ich an der Haltebucht ein und warte. Und warte. Und warte. Es gibt keine Anzeige, keine Durchsagen. In die Bahnhofshalle traut man sich nicht, der Bus könnte ja jederzeit kommen und den Busbahnhof hat man aus dieser Entfernung leider nicht im Blick. Windstärke 9. Es ist schweinekalt, Bier ist alle. Eine verdammte fucking Stunde später rollt das Gefährt in der Farbe der Hoffnung am Rostocker Busbahnhof ein. Drinnen schütteln die Menschen die Köpfe und haben selbige bereits ganz offensichtlich aufgegeben, schließlich habe sich der Fahrer seit Warnemünde bereits drei Mal verfahren, was einen Fahrgast nun animiert, sich neben den Chauffeur zu setzen und ihm sein Handy-Navigationsgerät und seine Assistenz zur Verfügung zu stellen. Da kommt doch Vertrauen auf.

Irgendwann habe ich glücklicherweise Berlin erreicht, was sich am nächsten Morgen jedoch als gravierende Fehlplanung herausstellen wird. Über Nacht hat sich das laue Lüftchen nämlich zu einem amtlichen Sturmtief weiterentwickelt und fegt nun mit bis zu 140 km/h durch das Land. Sturmfluten, Stranderosionen, Stromausfälle, Todesopfer. Und das schlimmste: Die Deutsche Bahn stellt den Fernverkehr in sieben Bundesländern ein und verhindert so die Anreise von mir und dem FUDU-Pärchen zum Auswärtsspiel des 1.FC Union beim MSV Duisburg.

Gestrandet am Berliner Hauptbahnhof wird irgendwann nichts anderes übrig bleiben, als diesen Tag mit nüchternen statistischen Daten zu unterfüttern. Heute werde ich mein erstes Auswärtsspiel seit dem 04.11.2013 verpassen und die Serie von 67 besuchten Auswärtspunktspielen in Folge reißt. Ach, hätte der sympathische Fahrgast gestern Abend doch bloß Duisburg in sein Navigationsgerät als anzusteuerndes Ziel eingetippt. Aber so bleibt nur der Name des Sturmtiefs auf alle Zeiten in den Gehirnwindungen hängen. Wer wart? Der Herwart! /hvg