Posted on Januar 1, 2018
01.01.2018 Leeds United AFC – Nottingham Forest FC 0:0 (0:0) / Elland Road / 32.426 Zs.
Es ist noch nicht all zu viel Zeit ins Land gegangen, seit wir unseren Stadtbummel in Nottingham beendet haben. Town Hall, Old Market Square, Castle und Robin Hood sollte man schon gesehen haben, ehe man sich mit der Frage auseinandersetzt, in welcher Lokalität man in das neue Jahr hineinfeiern mag.
Am Ende beantworten wir diese schwerwiegende Frage einhellig und entscheiden uns für einen Pub mit möglichst großer Fensterfront, vor der wir es uns gemütlich machen, um das bunte Treiben auf den Straßen gut beobachten zu können. Die Herren in Ausgehanzügen, die Damen, egal welchen Alters und welcher Statur, in glitzernden und sehr knappen Röcken, meistens auf abnorm hohen Absätzen durch den englischen Regen staksend. Bereits gegen 20.00 Uhr liegen erste Alkoholleichen in den Rinnsteinen und englische Boulevardjournalisten drehen fotografierend ihre Runden, um den Neujahrsausgaben der Yellow Press genügend Futter für die Rubrik „Bilder der Schande“ zu liefern, die Jahr für Jahr das britische Silvesterwaterloo illustriert. Unvergessen diese fotografische Perle, die in der Silvesternacht 2015/16 in Manchester einen alkoholgeschwängerten goldenen Schnitt für die Nachwelt festhalten konnte. Wie jedes Jahr in England stehen die Menschen auch in Nottingham bereits um 21.00 Uhr Schlange, um utopische Eintrittspreise für irgendwelche belanglosen Clubs, Bars und Lounges zu berappen, während wir inmitten einiger Herrschaften mittleren Alters ein gediegenes Pint nach dem anderen konsumieren und unsere Ruhe haben.
Einige Stunden nach Mitternacht kehren wir angemessen alkoholisiert im Hostel ein und verspüren plötzlich diesen Appetit, der einem in diesem Zustand ein jedes Mal vom Schlafen abhält. Doch FUDU wäre nicht FUDU, wenn man jetzt nicht die 27-Pence-Pizzen in der Hinterhand hätte und der Gemeinschaftsküche seine Aufwartung machen würde. Dort sitzen mitten in der Nacht einige gescheiterte Existenzen, darunter auch der grau- und langhaarige im Bademantel, der aus Marokko kommend im Hostel gestrandet ist und seinen Import-Export-Schuppen noch nicht zum Laufen gebracht hat. Unnachahmlich, wie diese Kreaturen nun erst einmal dumm aus der Wäsche schauen, als wir mit Bierdosen in den Händen und laut herumalbernd in diese Idylle platzen. Mark hat uns erlaubt, hier zu saufen, ihr Amateure! Der Fackelmann schwingt sich zum Pizzabäcker auf, wir prosten den stummen Kameraden zu und entschwinden dann doch recht zügig und gut gesättigt in unsere Kojen.
Nach drei-vier Stunden Schönheitsschlaf belästigt das „Sex-Schwein im Union-Shirt“ erst einmal eine Frau in der Gemeinschaftsdusche. Guter Start ins neue Jahr! Um den Check-Out am Neujahrsmorgen zu absolvieren, sollen wir den Zimmerschlüssel einfach auf den Tisch der Gemeinschaftsküche legen, so die Anweisung Marks vor wenigen Tagen. Gesagt, getan. Und zu unserer Überraschung sitzen genau die selben Typen in genau den selben Positionen in genau der selben Lethargie noch immer an Ort und Stelle. Endstation Stillstand.
Wir bleiben hingegen in Bewegung. Um kurz vor 9.00 AM löst sich der Wirtschaftsflüchtling am Bahnhof noch eben schnell ein Zugticket nach Leeds und bezahlt hierfür stolze 47,80 £, während wir im Vorfeld der Reise bereits alles minutiös geplant, gebucht und bezahlt hatten und mit läppischen 7,50 £ davongekommen waren. Spontaneität macht eben doch nicht immer nur Gewinner. Oder: Egal, wie dumm Du bist, Pierre-Michel Lasogga!
Auf der Überfahrt nach Leeds setzen 2/3 der Reisegruppe auf das bewährte Konterbier, während es der Benjamin mit einer „Mars-Milch“ probiert. Überraschenderweise sind alle drei FUDU-Schweine um 11.30 Uhr gleichermaßen fit, als uns erste Menschen mit Leeds-United-Schals in Bahnhofsnähe begegnen. Dennoch attestieren wir uns gegenseitig eine gewisse Sightseeingmüdigkeit und entscheiden uns daher, den direkten Weg zum Stadion per Pedes anzutreten – und der ist in etwa genauso schäbig wie wir. Unheimlich viel Dreck und Unrat säumt den Weg, der uns an diversen Schnellstraßen entlang und durch gammelige Fußgängerunterführungen hindurch führt. Kurz vor dem Erreichen der „Elland Road“ gibt es noch heruntergekommene Industrie- und Gewerbeparks zu bestaunen und erst mit dem ersten Blick auf das Stadion schlägt der Attraktivitätsradar wieder in die richtige Richtung aus.
Das Stadion sieht von Außen nämlich so aus, wie ein englisches Fußballstadion aussehen muss. Wenig Glas, wenig Hochglanz, wenig Brimborium. Wenn überhaupt, kann man dies der neuen Haupttribüne unterstellen. Dafür gibt es aber drei wesentliche niedrigere Tribünen, die deutlich in die Jahre gekommen sind. Als besonderer Glücksgriff erweist sich unser „East Stand“ aus den 90er-Jahren mit Gammelbeton und einer grundsoliden Pissrinne à la Hafenstraße-Essen. Da schlagen unsere Herzen höher.
Aber zunächst einmal gilt es, noch etwas Zeit im angrenzenden Supporters-Pub samt Biergarten zu verbringen. Bei Livemusik und freundlich über den Eichstrich gefüllten Pintbechern geraten die Leeds-Fans schnell in Stimmung. Großartig, wenn diese gewisse Spannung mit Händen greifbar ist. Wenn diese besondere Atmosphäre in der Luft liegt und man den Leuten anmerkt, dass es immer um ein wenig mehr als nur um drei Punkte geht. Zwei Stunden vor Anpfiff ist der Biergarten jedenfalls brechend voll und die Leute trinken, lachen, reden, feiern. Vorfreude…
… welche mir persönlich vom neuen Nottingham-Coach Gary Brazil direkt vor Anpfiff wieder genommen wird, hat er doch tatsächlich Jason Cummings aus dem Kader gestrichen. Dafür ist der andere personelle Wechsel, auf den Sicherheitspassgriechen zu verzichten und an dessen Stelle Traoré zu bringen, sehr gut nachvollziehbar. Wir nehmen in der siebenten Reihe für 37 Zweitligapfund Platz und haben allerbeste Sicht auf Rasen und Traversen. Die LUFC-Akteure (obwohl der Verein offiziell AFC heißt, verwendet der Club dieses Kürzel im Logo) laufen unter „I Predict a Riot“-Klängen ein, doch ist es Nottingham, das dieser Devise zunächst resoluter folgt. Nach sieben Minuten ist Dowell bereits zwei Mal mit offener Sohle im Mittelfeld zu Werke gegangen und kommt jeweils um eine Verwarnung drumherum. Das ist dann wohl diese englische Härte, von der man immer spricht.
Nach 12 Minuten brennt es im Strafraum von Leeds lichterloh, aber mit einer beherzten Grätsche kann ein Verteidiger noch gerade eben Gegenspieler und Ball aus der Gefahrenzone befördern. Da die Reihenfolge der Getroffenen nicht auf den ersten Blick zu erkennen war, fordern 917 Nottingham-Fans im Gästeblock vehement Elfmeter, bekommen ihn aber nicht. In Folge werden die Hausherren etwas stärker und dominanter und kommen ins Besondere durch Kopfbälle von Pontus Jansson zu guten Gelegenheiten. Doch gleich drei Mal scheitert der Schwede in aussichtsreichen Positionen. Nachdem dann auch die größte Gelegenheit per Kopf und der abschließende Abpraller per Seitfallzieher ausgelassen wird, beruhigt sich das Spiel. Nottingham greift wieder auf den Tempoverschleppungstrick zurück und bei Leeds muss in Ayling der auffälligste Flügelspieler und Flankengeber der ersten 25 Minuten verletzungsbedingt ausgewechselt werden.
So muss nach dreißig Minuten konstatiert werden, dass das Niveau auf dem Rasen sinkt und damit einhergehend auch der bislang recht ordentliche Lautstärkepegel auf den Rängen. Nottingham hält den Gegner mit biederen fußballerischen Mitteln in Schach und Leeds kann nur noch halbwegs Gefahr durch Standards oder mittels uninspirierter Flanken aus dem Halbfeld kreieren und so geht die Partie mit einem enttäuschenden 0:0 in die Pause.
Im zweiten Spielabschnitt wechselt Leeds dann den von uns „ersehnten“ Pierre-Michel ein, der in seinem körpernah geschnittenen weißen Kappa-Hemd so angenehm wurstig aussieht, dass Fetti kurz vom Zuzeln träumt, dann aber recht schnell wieder seine Aufmerksamkeit auf das Spiel lenkt. In der 55. Minute zieht der Spanier Samu Sáiz nämlich urplötzlich auf der linken Seite unnachahmlich auf, bewegt sich mit viel Tempo nach Innen und bezieht Roofe mit einem tollen Anspiel in die Aktion mit ein. Dieser schließt technisch hochwertig ab, trifft dann leider aber nur die Querlatte. Jetzt ist endlich wieder Leben in der Bude und es folgt ein Feuern aus allen Rohren und Distanzen des Leeds United AFC. Mitten in die große Drangperiode setzt Nottingham nach gut einer Stunde einen Konter, der den Spielverlauf der zweiten Hälfte beinahe auf den Kopf gestellt hätte, doch Felix Wiedwald kann den abgefälschten Schuss gerade noch aus der Ecke fischen.
Nun verlässt Leeds etwas der Mut und nur noch selten gelingt es, mit Tempodribblings die massiert stehende Defensive Forests zu irritieren. So dauert es bis zu 83. Minute, ehe eine weitere hochkarätige Chance herausgespielt werden kann, doch Pablo Hernández scheitert und so langsam kann man schon die Hoffnung verlieren, hier und heute noch Zeuge eines Tores werden zu können.
Pierre-Michel vergibt noch eine gute Kopfballchance und verheddert sich im Laufe der sechs Minuten Nachspielzeit mehrmals kläglich in Eigensinn. Wenn der eine Coach auf Jason Cummings verzichtet und der andere freiwillig auf Lasogga setzt, dann kann im Endeffekt ja gar nichts anderes bei herumkommen als ein 0:0 und so beträgt FUDUs historische Torlosserie im Jahre 2018 nun bereits 96 Minuten. Danke vielmals.
Doch schnell ist nach Abpfiff der Ärger über das Gesehene verflogen und gegen schallendes Gelächter ausgetauscht, als nach Schlusspfiff mehrere Ordner in unserer unmittelbaren Nachbarschaft aufziehen und ihrem wohl schönsten Job des Tages nachgehen müssen. Wie offenbar nach jedem Heimspiel müssen sie nun einer verfetteten Engländerin, die im Verlauf der 96 Minuten eine Synthese mit ihrer blauen Sitzschale eingegangen ist, aus dem Schemel helfen. Zu fett zum Aufstehen. This is England!
Am Abreisetag kommen wir dann endlich in den Genuss des legendären britischen IBIS-Frühstück, das uns schon die vergangenen Aufenthalte auf der Insel versüßen konnte. Etwas getrübt wird das leckere Mahl dadurch, dass am Nachbartisch deutsch gesprochen wird. Es ist das erste Mal, dass uns auf unserer Reise deutschsprachige Touristen begegnen und wieder einmal ist klar, warum man über Weihnachten und Neujahr einen großen Bogen um London machen und stattdessen lieber durch Mittelengland tingeln sollte. Wie hart das nerven würde, auch noch zum Jahreswechsel ständig von Kartoffeln umgeben zu sein.
Noch verbleiben einige Stunden auf der Uhr, um das gestern ausgesparte Sightseeing nachzuholen. Wir stromern etwas durch die Stadt, brechen das Unterfangen wegen des typisch englischen nasskalten Wetters aber vorschnell ab. Auf der anderen Seite scheint Leeds auch nicht sonderlich viel zu bieten zu haben und so erscheint uns ein logistisch günstig gelegener Pub, von dem der Wirtschaftsflüchtling den Bahnhof und wir die Buslinie 757 zum Flughafen Leeds-Bradford gut erreichen können, als der bestmögliche Aufenthaltsort für die kommenden Stunden. Im Pub erfahren wir, dass Leeds beinahe 500.000 Einwohner hat und man stellt sich schon die Frage, wo die denn bitteschön alle wohnen sollen. Der 2:0 Sieg des 1.FC Union Berlin in einem Freundschaftsspiel gegen Leeds United wird auf das Jahr 2007 taxiert (Tore: Marco Gebhardt, Nico Patschinksi) und schon neigt sich die Jahresendreise dem Ende entgegen.
Am Flughafen ziehen der Fackelmann und ich am Nachmittag des zweiten Januar einen Strich unter die Reise. Das Wetter war schlecht, die Frauen nicht sonderlich hübsch, die Fußballspiele hatten wenig Qualität, die Stimmung war mies, das Essen mittelmäßig und wir haben richtig Lust auf Berlin und Union – kann es einen besseren Urlaub geben als einen, der mit Heimweh endet?
Am Gate des britischen Billig-Bumsbombers „Jet2“ wünscht uns die junge Dame nach erfolgreicher Ticketkontrolle „Happy Holidays!“ und plötzlich ist uns klar, dass wir offenbar so aussehen, als könnten wir endlich Urlaub gebrauchen. An Bord stinkt es nach fettigen Kartoffelchips und die Briten beginnen bereits im Anflug auf Berlin, sich saufend auf den Simon-Dach-Kiez vorzubereiten. England ist kein Urlaub, sondern harte Arbeit. /hvg
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