Posted on März 31, 2018
31.03.2018 FK Teplice – AC Sparta Praha 1:1 (0:1) / Stadion Na Stínadlech / 10.142 Zs.
Der rumänische Kassenwart hat auf die Frage, wie man am Günstigsten zum Auswärtsspiel nach Fürth gelangen kann, wieder einmal eine überzeugende Antwort parat. Ich folge seiner Empfehlung und löse eine Freifahrt von Berlin nach Fürth mit einigen Stunden Aufenthalt in Dresden ein – gerade so, dass genügend Zeit für einen Ausflug nach Tschechien verbleibt. Und so kommt es, dass ich am Samstag bereits um 11.08 Uhr im Eurocity in Richtung Praha sitze und mich auf ein großartiges Wochenende freuen kann.
Im Sechserabteil des tschechischen Zuges nimmt neben mir ein sächsisches Ehepaar Platz. Während ich mich wie schon sooft in diesem Zugtyp über die bequemen Sitze, die Beinfreiheit, alte Gardinen und die drei formschönen Hebel für Heizung an/aus, Ton an/aus und Licht an/aus freue, nutzt sie die kurze Fahrt nach Dresden, um sich über die veraltete Technik zu beschweren. „Da ziehe ich den Flixbus vor“ wird sie am Ende der Reise sagen und auch der Zugbegleiter ist nicht wesentlich besser gelaunt. Mit unheimlicher Niedergeschlagenheit in der Stimme beginnt er kurz hinter Dresden-Neustadt seine Durchsage: „Wir werden alle…“ – es folgt eine melodramatische Pause, die mich vermuten lässt, das nun folgende Wort könnte „sterben“ heißen – doch setzt er dann zu meiner Erleichterung mit „Anschlüsse erreichen!“ fort. Wenn nicht einmal pünktliche Züge einen Mitarbeiter der Deutschen Bahn erfreuen können, dann sind wohl Hopfen und Malz verloren.
Um 13.07 Uhr habe ich Dresden Hauptbahnhof erreicht. „Danger-Mike“ steht bereits mit dem kleinen Bruder des Tschechenbentley zur Abholung bereit. Zwecks Hopfen und Malz wird es uns heute ins Böhmerland verschlagen und schnell ist „Teplice“ als Ziel in das Navigationsgerät getippt, welches doch arg anglophil daherkommt und uns schnell versichert, es würde den Weg nach [tæplaɪs] wie im Schlaf kennen. In Teplitz-Schönau erwartet der freundliche Meteorologe von nebenan heute null Sonnenstunden, Regen und jämmerliche fünf Grad Celsius. Während die Wetterprognose für Teplice also schön mau ausfällt, sind die Aussichten bezüglich des Fußballspiels schon etwas rosiger. Über all die Jahre ist es mir nicht gelungen, das grenznahe „Stadion Na Stínadlech“ zu kreuzen und da heute der große AC Sparta zu Gast sein wird, könnte die Gelegenheit gar nicht günstiger sein, dies nun endlich nachzuholen.
Auch für den Fahrer ist dies heute keine Tour wie jede andere. Als wir den Bahnhof Teplice passieren, erlebt er seinen ersten großen emotionalen Moment des Tages. Hier an Ort und Stelle hat der kleine „Danger-Mike“ mit 13 Jahren das erste Bier seines Lebens getrunken. Solltet ihr in eurem Dasein also jemals an diesem Bahnhof aussteigen und euch über die gusseiserne Statue wundern, die einen Jungen mit Cowboyhut und Flasche am Hals darstellt, dann wisst ihr hiermit Bescheid, welches historische Ereignis durch dieses Kunstwerk gedacht wird.
Auf dem Parkplatz in Stadionnähe setzt sich für „Danger-Mike“ die Auseinandersetzung mit seiner Biographie beinahe zwangsläufig fort. Gleich zwei Mal überprüft er, ob ich die Beifahrertür auch ja ordnungsgemäß verschlossen hätte. Kleinlaut gibt er bei, dass ihm vor 15 Jahren auf genau diesem Parkplatz Pfandflaschen und einige Audiokassetten aus dem Gefährt gestohlen wurden. Ossis, die sich in Tschechien beklauen lassen. Dafür hätte es die Wende nicht gebraucht!
Um Punkt 15.15 Uhr fangen wir an, zurückzuschießen. In einer kleinen Kneipe, in der es fürchterlich nach chlorhaltigen Reinigungsmitteln stinkt, liegen erste Sparta-Fans bereits mit den Köpfen auf den Tischen. Besonders angetan hat es uns eine Reisegruppe der sehr sportlichen Fraktion, deren Mitglieder nebenan grünes Bier trinken und einem alten Osterbrauch folgend mit Weidenpeitschen („Pomlázka“) aufeinander eindreschen. Andere Länder, andere Sitten. Wir sind gute „Radegäste“, beobachten das Szenario amüsiert, doch nach und nach löst sich die Gruppe in ihre Einzelteile auf. Selbst der 130 Kilogramm Stiernacken hat an diesem Osterfeiertag der „Zech Republic“ etwas das Maß verloren und verlässt nach einer letzten Runde Schnaps nun bedrohlich schwankend die Gaststätte.
Wenige Minuten später tun wir dies aufgrund des näher rückenden Anpfiffs der Gruppe gleich, nur weitaus weniger angeschlagen. Vor der Lokalität gilt es ein wenig Slalom zu laufen, sind doch einige Pfützen Hooligankotze als Andenken hinterlassen worden.
Genauso eklig wird es kurz darauf in der Warteschlange am Kassenhäuschen, in der sich doch tatsächlich irgendein Tschechenbengel erdreistet, mir hier mit Hertha-BSC-Wollmütze zu begegnen. Allerdings freue ich mich so sehr auf mein Stadionbier, die Halbzeit-Klobása und das Spiel als solches, dass ich mir bei nun auch noch einsetzendem eiskalten Wind keineswegs die Stimmung vermiesen lasse.
Das „Stadion Na Stínadlech“ hat 18.221 Plätze, wovon sich aufgerundet 94,7% auf den drei überdachten U-Form-Tribünen befinden. Nur 966 Menschen fasst die unüberdachte Stehplatztribüne hinter dem Tor zu unserer rechten. Teplice wird aus einem kleinen Block an der Eckfahne von circa 50 Unentwegten angefeuert und nennt noch einen weiteren Fanblock auf der Gegengerade sein Eigen, in dem weitere 25 Menschen Fahnen schwenken. Sparta darf sich heute der Unterstützung von gut 1.500 mitgereisten Schlachtenbummlern gewiss sein.
20 Minuten sind in der Zwischenzeit bereits gespielt worden. Lediglich ein Fernschuss des FK Teplice sorgt bis hierhin für etwas Unterhaltung in einer Partie, in der sich beide Teams neutralisieren. Fünf Minuten später scheitert Teplice per Kopf, ehe der rechte Verteidiger Teplices namens Tomáš Vondrášek gleich zwei Mal ganz alt aussieht und Sparta zu zwei gefährlichen Flanken einlädt, wovon zweitere nach einer halben Stunde beinahe in Zählbares umgemünzt werden kann, doch aus gut 11 Metern Entfernung schießt Václav Kadlec den Ball weit über das Tor.
Gut zehn Minuten später ist es dann aber doch vollbracht und Sparta kann durch Stanciu in Führung gehen. Ein klassisches Tor der Marke „reingewürgt“: Nachdem zunächst Kadlec selbst im Weg gestanden und einen scharfen Schuss eines Teamkameraden an den Kopf bekommen hatte, folgen zwei weitere Abschlussversuche, die gelb-blaue Abwehrspieler noch gerade eben so verhindern können, ehe der Rumäne der glückliche Nutznießer dieses Flipperspiels wird und den Ball im Sechszehner auf die Füße bekommt und „mulțumire“ sagt.
In der Halbzeitpause eröffnet mir der freundliche Imbissverkäufer, dass er leider keine roten Klobása mehr, sondern nur noch weiße im Angebot hat. Natürlich ist das Kind mit der Hertha-Mütze unauffindbar, wenn man mal jemanden zum Frust ablassen braucht. Ich finde Trost in einem weiteren Stadionbier.
Die zweite Halbzeit tröstet ebenfalls über den etwas enttäuschenden ersten Spielabschnitt hinweg. Das Spiel ist nun deutlich lebhafter und offener, wobei sich der leichte Außenseiter aus Teplice aufmacht, das Spiel zu seinen Gunsten zu drehen. Martin Frýdek verlässt auf Seiten Spartas mit blutender Kopfwunde das Feld, während die 50 Teplice-Hansel im Kuchenblock an der Eckfahne Gästeschals verbrennen. Wenn das der fette Typ mit der Osterpeitsche mitbekommen hat, wird es nachher auf dem Stadionparkplatz wohl die eine oder andere Nackenschelle geben…
Bereits in der 57. Minute gelingt Červenka nach einer schönen Hereingabe vom rechten Flügel der Ausgleich. Für den nächsten Höhepunkt sorgt Kučera, doch leider verfehlt sein sehenswerter Schlenzer den Kasten Spartas nur knapp. Teplice erlangt nun regelrecht Oberwasser und hätte spätestens in der 79. Minute durch den nur kurz zuvor eingewechselten Vaněček in Führung gehen müssen. Sparta wehrt sich auf dem Rasen mit Händen und Füßen und auch der Gästeblock setzt sich nun nicht mehr lediglich akustisch, sondern auch optisch in Szene und zündet einige rote Hoffnungsfeuer. Auf der LED-Tafel wird derweil irgendein Gewinnspiel abgehalten und einige Ziffern rattern wie an einem Spielautomaten wild durcheinander, bis am Ende eine dreistellige Glückszahl stehenbleiben wird. „Das ist bestimmt die Anzahl der aufgebrochenen Autos auf dem Stadionparkplatz“, sagt „Danger-Mike“ und beweist, dass er das Trauma von damals doch nicht gänzlich unbeschadet überstanden hat. Als der Schiedsrichter die Partie beendet, sacken die Akteure des FK Teplice etwas enttäuscht zusammen – hier wäre heute etwas mehr möglich gewesen. Da ich im Vorfeld der Partie ein 1:1 getippt hatte, fühle wenigstens ich mich wie ein Gewinnertyp, als wir kurz darauf bei liebevoll handgemachter tschechischer Countrymusik zurück nach Drezno rasen.
Dort angekommen, lässt mich „Danger-Mike“ allein in seiner Wohnung zurück. Jedenfalls so allein, wie dies in seinem Katzenparadies möglich sein kann. Er muss nun schleunigst in Richtung Erzgebirge aufbrechen, wo morgen früh der Wismut-Sonderzug nach Regensburg rollen wird. Ich habe laut Fahrkarte noch einige Stunden Aufenthalt in Dresden zu überbrücken und nehme zunächst einmal aufmerksam Instruktionen entgegen, wie und womit ich die Katzen vor meiner Abreise füttern soll.
Etwas irritiert schauen die felligen Freunde drein, als ich am nächsten Morgen um 5.30 Uhr zum etwas anderen Katerfrühstück bitte. Eine halbe Stunde später startet der Expresszug nach Franken. Der rumänische Kassenwart reibt sich die Hände: Schon seit gestern auf Achse, ein Spiel im Ausland gesehen und noch nicht einmal 15 € ausgegeben. Und sollte es am Ende der Reise finanziell doch eng werden, klauen wir halt Pfandflaschen und Audiokassetten! /hvg
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