Posted on März 10, 2019
10.03.2019 Γυμναστικός Σύλλογος Απόλλων Σμύρνης – Όμιλος Φιλάθλων Ηρακλείου 0:0 (0:0) / Γήπεδο Ριζούπολη / 505 Zs.
Meine Nacht in der Flüchtlingsunterkunft wird um 8.00 Uhr jäh unterbrochen. Auf dem Fünften hat sich eine wilde Feiermeute versammelt, traditionelle Musik dröhnt durch die Flure und farbenfrohe Gewänder werden präsentiert. Nur kurz überlege ich, an dieser Pakiparty teilzunehmen, ziehe es dann aber doch vor, mich in mein begehbares Bidet zurückzuziehen. Ich öffne die Tür – und eine erste Flutwelle schwappt mir entgegen. Der Nachteil an dem Abfluss inmitten des Raumes scheint offenbar darin zu liegen, dass einem die Suppe aus den anderen Etagen im eigenen Badezimmer hochkommen kann. Ich reagiere geistesgegenwärtig, ziehe meine Schuhe an und wate knöcheltief durch die Abflusspfütze, um meine Morgenroutine erledigen zu können. Angesichts der Umstände verzichte ich dankend auf eine Dusche und halte fest: besser als mit diesem Zimmer kann man sich nicht auf griechischen Abstiegskampf vorbereiten…
Im „The Old Omonia“ wird dann auch der Rest der Bande bei Beer&Breakfast auf das eingeschworen, was heute auf uns zukommen wird. Απόλλων Σμύρνης (Apollon Smyrnis) ist Tabellenletzter und hat in bislang 23 Saisonspielen starke neun Punkte einfahren können. Die Gäste vom Όμιλος Φιλάθλων Ηρακλείου – oder kurz: „Ό.Φ.Η.“ (Verein der Sportfreunde von Iraklio, daheim als ‚OFI Kreta‘ bekannt) – befinden sich genau einen Tabellenrang vor ihren heutigen Kontrahenten, haben aber immerhin doppelt so viele Punkte auf der Habenseite und die Nichtabstiegsränge sieben Spiele vor Saisonende noch nicht gänzlich aus den Augen verloren. Der kurze Innenstadtbummel im Anschluss des Frühstücks weckt alte Erinnerungen, die ich 2010 an Ort und Stelle gesammelt habe. Seitdem sind folgende Begriffe im Zusammenhang mit der griechischen Metropole bei mir abgespeichert: voll, laut, chaotisch, stressig, stickig, Beton. Glücklicherweise sehen das meine beiden Mitreisenden ähnlich und so lassen wir den Trubel rund um einen Straßenflohmarkt, das hektische Treiben auf dem Πλατεία Μοναστηράκι (Monastiraki-Platz), die verkleideten griechischen Faschingskinder sowie die traditionellen Festivitäten der bulgarischen Minderheit in der Stadt recht schnell hinter uns und entscheiden, bereits überaus rechtzeitig in Richtung Ριζούπολη (Rizoupoli) aufzubrechen.
Mit der Metrolinie 1 ist der Bahnhof Στ.Περισσός (Perissos) in nur 16 Minuten erreicht. Seit 1948 ist Απόλλων in diesem Stadtteil zu Hause, blickt aber auf eine weitaus längere Vergangenheit zurück. 1891 in Smyrna (das heutige Izmir auf türkischem Staatsgebiet) gegründet, zog man nach dem ersten Weltkrieg im Jahre 1922 nach Athen und musste dort nach gut 25 Jahren seine erste neue Heimat wieder aufgeben, ehe man in Ριζούπολη heimisch wurde. Wir stromern ein wenig durch den Kiez, in dem die kommunistische Partei Griechenlands (KKE) ihren Sitz hat, bewundern Bauruinen und eine durchaus nicht zu verachtende Dichte an Straßenkunstwerken. Selbstverständlich drehen wir auch eine erste Runde um das Stadion, welches malerisch zwischen Friedhof, Bahntrasse und Hauptverkehrsstraße eingebettet ist. Das Στάδιο Ριζούπολη (Stadio Rizoupoli), welches mittlerweile offiziell den Beinamen Γεώργιος Καμάρας (Georgios Kamaras) trägt und so seit den frühen 2000er Jahren an eine Vereinslegende erinnert, erweckt von Außen einen charmant gammeligen Eindruck, jedoch wurde das an drei Seiten hufeisenförmig ausgebaute Stadion im Jahr 2002 mit viel Aufwand renoviert und modernisiert. Ολυμπιακός (Olympiakos aus Piräus) hatte damals aufgrund der Bauarbeiten am eigenen Stadion eine Ausweichspielstätte benennen und diese wegen der Teilnahme an der Champions-League nach internationalen Richtlinien auf Vordermann bringen müssen. So wurde die Haupttribüne mit einem Dach versehen, eine Flutlichtanlage errichtet und alle Tribünen mit 14.200 neuen Sitzschalen versehen – der alte marode Stehplatzcharme ist verschwunden, aber für Απόλλων eine vorzeigbare Heimat erhalten geblieben.
Wir kehren zur Überbrückung bis zum Spielbeginn im „Καφε Ζαχαροπλαστείο ΧΑΡΑ“ ein. Ein kleines unscheinbares Bistro an der Straße, eine kleine Terrasse davor, mit Blick auf eine Grünanlage und auf eine Mauer, auf der sich minderjährige Fußballfreunde von A.E.K., Ολυμπιακός und Παναθηναϊκός ganz offensichtlich mit Edding und Sprühdose austoben dürfen. Naja, aller Anfang ist schwer. Insgesamt also alles nicht der Rede wert, wäre da nicht dieser Wirt, der am Ende unseres Aufenthalts und nach dem Konsum von drei Espresso Freddo und drei Bier die Rechnung freiwillig abrundet und sich mit Händen und Füßen gegen ein minimales Trinkgeld wehrt. Als er herausfindet, dass wir wegen des Fußballspiels in Ριζούπολη zu Gast sind und auch noch einen Niederländer in unseren Reihen wissen, lässt er sich nicht lumpen und holt ein privates Photoalbum aus der Schatulle. Schaut mal, 1986 war ich mit Ολυμπιακός im Pokal der Pokalsieger auswärts beim AFC Ajax! Das Endergebnis in Höhe von 4:0 für die Niederländer verschweigt er uns zwar ebenso wie die Torschützen Bosman, Rijkaard, van Basten und Muhren, aber dennoch ist wieder einmal klar geworden, warum man Griechenland einfach lieben muss. Überall rühmt man sich mit Gastfreundschaft und Herzlichkeit, aber hier kann man diese Lebenseinstellung wahrhaftig spüren.
20 Minuten vor Anpfiff kehren wir zurück zum Stadion. Ein Kassenhäuschen steht in der gleißenden Sonne, nicht all zu stark von Kundschaft frequentiert. Für insgesamt 30 € erhalten wir drei Tickets, ohne dass hinter der Scheibe irgendwer auch nur den Ansatz eines Zweifels kommuniziert. Auch der Einlass geht für mich und den bärtigen Bruder zunächst problemlos vonstatten, ehe Günter Hermann von den Ordnern angehalten wird und erste skeptische Fragen über sich ergehen lassen muss. Nichtsdestotrotz gelingt es am Ende auch dem letzten FUDU-Schwein, die Sicherheitsschleuse zu passieren und einen ersten Blick in die Spielstätte zu werfen. Verdammt, irgendetwas stimmt hier nicht. So langsam dämmert es uns, dass wir uns aus Versehen Karten für den Gästeblock gekauft haben. So lustig es auch ist, dass die Ordner die zum Teil ungewaschenen und langhaarigen Bärtigen ohne mit der Wimper zu zucken als Kreter durchgewunken haben und erst beim adrett gestriegelten Günter Hermann stutzig geworden sind – und damit mehr Rassismus an den Tag gelegt haben, als ich es mich als deutscher Schreiberling je getraut hätte – so richtig gehören wir hier doch nicht hin. Und so kehren wir wie geprügelte Hunde zurück zu den Ordnern und geben reumütig zu, dass uns beim Einkauf der Karten ein Irrtum unterlaufen ist.
Schnell ist ein englischsprachiger Kollege gefunden, der sich unserem Problem annimmt. Ein kurzer „Walkie-Talkie“ mit den Kollegen auf der Haupttribüne folgt und schnell ist klar, dass Fetti und seine Freunde hier nun überhaupt keinen irreversiblen Bock geschossen haben. Freundlich, wie die Griechen nun einmal sind, lässt man uns mit unseren Gästeblockkarten einfach auf die Haupttribüne wechseln, ohne dass wir einen entsprechenden Aufpreis zu zahlen haben. Mit diesem perfiden Trick haben wir die Pleitegriechen im Vorbeigehen noch eben um 5 € pro Penis geprellt und nehmen dann Platz in der ballernden Nachmittagssonne.
Die Gäste aus Kreta haben heute gut 200 Mann im Gästeblock versammelt und auch auf der Haupttribüne haben sich einige Menschen versammelt, die es mit den schwarz-weißen Insulanern halten. Da Kreta und Athen in etwa 400 Kilometer trennen, ist wohl davon auszugehen, dass sich auch einige Exil-Kreter darunter befinden mögen. Bei einer Gesamtzuschauerzahl von 505 darf man die zahlenmäßige Unterstützung für „Ό.Φ.Η.“ heute dennoch als stattlich bewerten.
Schiedsrichter Konstantinos Kotsanis eröffnet die Partie. Es spielt eine schwarz-weiße Mannschaft gegen eine blaue Mannschaft. In der 15. Minute scheitert der blaue Spieler mit der Nummer 79 nach einem Alleingang am Keeper und der abgewehrte Ball kann von dem lupfenden Mann mit der Nummer 55 nicht im Tor untergebracht werden. Die Reaktionen des Publikums sind etwas sonderbar, gehen doch gerade die Fans, die man eigentlich den Gästen aus Kreta zugeordnet hatte, auffällig aus dem Sattel, obwohl doch die ‚Blauen‘ diese Großchance versemmelt haben. Nach dem Sammeln weiterer Verdachtsmomente scheint dann alles darauf hinauszulaufen, dass hier beide Mannschaften mit vertauschten Vereinsfarben auflaufen, doch ein wenig Unsicherheit bleibt. Das nächste Mal werde ich mich jedenfalls nicht darüber amüsieren, wenn irgendein TV-Kommentator seine Berichterstattung damit beginnt, zu erklären, welches Team in welchen Farben von wo nach wo spielt. Heute hätte man diese grundsätzlich nicht ganz uninteressante Information tatsächlich gebrauchen können. Die Astralkörper von Günter und mir brutzeln in der Sonne, während der bärtige Bruder seinen blässlichen niederländischen Teint lieber im Schatten des Tribünendachs zu schützen gedenkt. Aus dem Schatten flattert nach 25 gespielten Minuten eine SMS bei uns ein, die zumindest darlegt, dass wir alle gleich doof sind. „Ich realisiere jetzt erst, dass die Weißen Apollon sind“, lautet die Hilfestellung von weiter oben, um das Spielgeschehen vollumfänglich begreifen zu können.
Mit diesen Detailinformationen lässt sich klar benennen, dass das in blau spielende Ό.Φ.Η. in der 29. Minute eine Doppelchance ungenutzt lässt. Giannoulis‘ Linksschuss aus 25 Metern wird im Strafraum leicht abgefälscht und landet am linken Pfosten, den Nachschuss setzt Souza Ferreyra an den rechten Pfosten. In Folge wächst der Druck der Gäste und spätestens, als Mihojević in der Nachspielzeit per Drop-Kick aus Nahdistanz an der Latte scheitert, wäre eine Führung mehr als nur verdient gewesen.
In der Halbzeitpause erhalten wir erneut Bier aus einem Geheimversteck für 2,50 €, während der Stadion-DJ mit seinem Musikgeschmack und der wunderbar-nostaglischen Knarzhymne vom Grammophon überzeugen kann. Günter Hermann gibt später zu Protokoll, dass auch „The Stranglers“ mit „Golden Brown“ ihren Platz in der Halbzeitshow gefunden haben. Die Textzeile „Every time, just like the last“ habe hierbei bereits darauf hingedeutet, was nach dem 0:0 am gestrigen Abend heute eventuell eintreten könnte…
Neben Hilal El-Helwe, den man aus Halle kennt, soll es auf Seiten der Gastgeber nun auch ein Geistlicher richten, der im langen schwarzen Mantel den frühlingshaften Temperaturen trotzt und der neben den Zuschauern in kurzen Hosen und T-Shirts ein ebenso absurdes Bild abgibt, wie die beiden Eierläufer in Reihe 1, die sich mit bunten Schirmhüten so gut blamieren, wie sie eben können. Bestimmt amerikanische Touristen.
Umgehend scheint die bloße Anwesenheit des orthodoxen Priesters zu helfen. Plötzlich wachen Mannschaft und Publikum auf, nehmen ihr Herz in beide Hände und besinnen sich darauf, was ‚Abstiegskampf‘ bedeutet. Nach 60 Minuten rutscht Nazilidis am zweiten Pfosten nur denkbar knapp an einer scharfen Hereingabe bzw. eines verunglückten Schusses von Bedinelli vorbei, aber das war es dann auch schon mit der Herrlichkeit. Im weiteren Verlauf des Spiels erfreuen wir uns daran, dass die Vögel zwitschern und Schmetterlinge durch die Arena fliegen, während die Gäste aus Kreta im Fünf-Minuten-Takt unorthodox Halbchancen vergeben. Neben dem hilfreichen göttlichen Beistand, verdient sich vor allen Dingen Heimkeeper Huanderson Bestnoten, landet aufgrund seines fortgeschrittenen Alters (35) jedoch auf keiner ernsthaften FUDU Scouting-Empfehlung. In der 80. Minute verlässt Christopher Braun, den man in erster Linie aus der Regionalliga Nord kennt, unter gellenden Buh-Rufen des bärtigen Bruders den Platz. So klein ist die Fußballwelt, da kann man wegen zwei Spielzeiten in Diensten von Fortuna Sittard schon einmal in einem griechischen Stadion ausgepfiffen werden, wenn man auf die falschen Leute trifft. So geht das zweite Spiel des Wochenendes also humorig, aber abermals mit einem 0:0 zu Ende, wobei sich die Spieler aus Kreta hierüber deutlich mehr grämen sollten. FUDU ist angesichts des schönen Stadions, des guten Wetters und des lebendigen Spiels mit diesem 0:0 der besseren Sorte allerdings recht zufrieden. Wenn man beim 1.FC Union Berlin bzw. bei Roda JC fußballsozialisiert wurde, bleibt man eben genügsam.
Für uns ist nach den Eindrücken der letzten 180 Minuten nunmehr klar, dass die Achillesferse des griechischen Fußballspiels in der Offensive zu suchen ist, was uns aber nicht all zu sehr verwundert. Wie sonst wäre es beispielsweise zu erklären, dass Thor die Zugehörigkeit zur griechischen Mythologie verwehrt worden ist? Na, eben.
Trotzdem gibt es da auf einmal diesen Impuls des Niederländers, sein Glück noch ein drittes Mal zu versuchen. Um 18.30 empfängt Ολυμπιακός den Π.Α.Ε. Άρης (ARIS) aus Thessaloniki im Γήπεδο Γεώργιος Καραϊσκάκης (Stadion Georgios Karaiskakis). Obwohl ich den Ground im Jahre 2010 im Rahmen eines unvergesslichen Länderspiels zwischen Ἑλλάς (Griechenland) und ישראל (Israel) gekreuzt habe und auch Günter Herrmann bereits 2017 anlässlich des Europa-League-Qualifikationsspiels gegen den HNK Rijeka zu Gast war, begleiten wir unseren bärtigen Bruder hinaus nach Piräus.
Auf dem Stadionvorplatz angekommen, verbleibt nicht mehr viel Zeit bis zum Anpfiff, aber gerade noch genügend, um der dänischen Damengruppe der Sektion Minirock zwei-drei Blicke zuwenden zu können. Heppa, es ist Frühling! Die Länge der Schlange am Tickethäuschen weckt wenig Hoffnung, pünktlich zum Spielbeginn im Stadion sein zu können. Wir stellen uns nichtsdestotrotz erst einmal an und schicken den bärtigen Bruder vor, um Informationen einzuholen. Leider behält Günter Recht und für den Einkauf einer Tageskarte wird der geneigte Stadionbesucher gebeten, all seine Daten preiszugeben und sich registrieren zu lassen. Nur wer bereit ist, sich in einer weiteren Schlange einzureihen und gegen einen Aufpreis in Höhe von 10 € eine Plastikkarte an sich zu nehmen, darf sich danach dann gerne wieder gegenüber anstellen. Als Günter auch noch erfährt, dass seine Registrierung von 2017 wegen eines „neuen Systems“ mittlerweile ungültig geworden ist und er noch einmal zur Kasse gebeten würde, haben bereits 2/3 der Reisegruppe keine Lust mehr auf das Spiel.
Günter und ich streichen die Segel, während unser Niederländer unter Beweis stellt, dass er eindeutig den längsten Athen hat. Der Lohn für dieses Durchhaltevermögen: 19.172 Zuschauer, fünf Tore (4:1) und eine Teilnahme am fußballerischen Highlight des Wochenendes in unserer Abwesenheit. Gefeliciteerd!
Irgendwann abends treffen wir in einem kleinen Fischrestaurant wieder aufeinander. Während Günter und ich schon in irgendeiner Fleischimbissbude der Stadt zugeschlagen haben, lässt sich der bärtige Bruder nun gedämpfte Huscheln schmecken. Bei Bier und Ouzo lassen wir unseren Griechenland-Ausflug ausklingen, ehe es am Montagmorgen per Direktflug zur Arbeitsstelle gehen wird.
Am Montagmorgen fällt mir auf, dass ich noch kein Ticket für den Rückflug besitze. Aus meinem Plan, es mir einfach im Hotel ausdrucken zu lassen, ist in den vergangenen Tagen leider nichts geworden. An dieser Rezeption hätte man vermutlich größere Chancen gehabt, gefälschte Aufenthaltsgenehmigungen zu erhalten oder sich schwarz ein bisschen Taschengeld zu verdienen. Da mein Handy nicht ganz dem aktuellen technischen Standard entspricht, kann ich das Ticket leider nicht in die App laden, sondern nur als PDF speichern. Auf dem Weg zum Flughafen lädt mein bärtiger Bruder meine Bordkarte zu meiner Beruhigung dankenswerterweise zusätzlich in seine App, auch wenn er mir noch nicht so recht glauben mag, dass es ein Problem darstellt, wenn man sein Ticket nur als Datei, nicht aber in der App vorliegen hat. Auf dem Flughafen muss man dann natürlich derart viele Sicherheitsschleusen passieren, wie noch an keinem anderen Flughafen zuvor. Gefühlt alle 15 Meter warten Glastüren darauf, per Scan des Tickets geöffnet zu werden und natürlich lassen sich alle fünf errichteten Hürden bis zur Ankunft am Gate problemlos mit dem PDF-Ticket öffnen, weil da nun einmal der gottverdammte Code genauso drauf zu erkennen ist, wie auf der App. Trotzdem kommt es so, wie es kommen musste und am Gate nach Berlin funktioniert dann der letzte Scan plötzlich nicht mehr. Die freundliche Dame in Diensten des Inkassounternehmens irischer Abstammung weist mich darauf hin, dass das Ticket so nicht gültig ist und ich mir für 25 £ eines ausdrucken lassen müsste.
Während ich mir die Holzklasse mit irgendwelchen bunten Einhörnern teilen muss, fliegt der Ausländer natürlich „Priority“. So weit ham se uns schon. Und so komme ich nicht drumherum, den bärtigen Bruder aus seinem Ledersessel im Luxus-Wartebereich noch einmal heranzuwinken und ihn darum zu bitten, mir sein Handy in den abgetrennten Bereich des Pöbels zu reichen, damit ich meinen Boardingpass einscannen kann. Wenige Augenblicke später ist piepend geklärt, dass Reibach-Reiner bei FUDU auf Granit beißt und schon könnte der Flug nach Hause starten.
Wäre da nicht dieser eine jämmerlich zugerichtete Typ in vorderster Reihe. Ich weiß nicht, was man erleiden muss, um hinterher so auszusehen. Vielleicht mit dem Roller die Akropolis heruntergefallen, vielleicht im „Hotel Alma“ vom Gerüst gestürzt oder Bekanntschaft mit den olympischen Knüpppelkindern gemacht. Der Kerl ist jedenfalls so ziemlich das ekeligste, das ich seit Pierre-Michel Lassoga und seiner ölverschmierten Mutti gesehen habe und auch die Stewardess ist sich nicht so ganz sicher, ob man Freddy Krueger in dem Zustand jetzt unbedingt mitnehmen sollte. Seine Krankenhausentlassung liegt vor, ein Gutachten über seine Transportfähigkeit ebenso – und dennoch entscheidet am Ende der Pilot, der fachmännisch das vernarbte Gesicht des Fluggastes mustert, darüber, den guten Mann mitzunehmen. Der bärtige Bruder hat mich über all die Wartezeit aus dem hinteren Teil des Flugzeugs mit Textnachrichten zugeballert, mich auf „hübsche“ Frauen aufmerksam gemacht und dann darum gebeten, nicht so auffällig hin zu gucken. Ach, komm. Schalt mal in den Flugmodus jetzt, du bringst uns noch alle um! Kurz darauf hat er eh andere Sorgen, als klar wird, wer heute sein Sitznachbar sein wird. Es ist die aufgeplatzte Tüte Mettwurst auf zwei Beinen, die ihre offenen und suppenden Wunden im Verlauf der nächsten Stunden dann und wann verlegen am Oberarm des bärtigen Bruders abreiben wird. Ach, Körperkontakt ist doch was schönes!
Um 12.45 Uhr Ortszeit landen wir in Berlin-Schönefeld. Zur Arbeit komme ich planmäßig eine knappe Stunde zu spät. Ich freue mich schon jetzt auf meine Dusche nach Feierabend und auf den nächsten Low-Budget-Ausflug mit FUDU-Tours. Natürlich nur echt mit der goldenen Harfe! /hvg
Neueste Kommentare