157 157 FUDUTOURS International 03.12.24 18:27:08

24.05.2019 SV Wehen-Wiesbaden – FC Ingolstadt 04 1:2 (0:1) / Arena Wiesbaden / 7.698 Zs.

Es ist Donnerstag, der 23.05.2019. Der 1.FC Union Berlin steht vor dem wohl wichtigsten Spiel seiner Vereinsgeschichte. Im Hinspiel beim VfB Stuttgart geht es darum, sich im Kampf um den Aufstieg in die Fußball-Bundesliga eine gute Ausgangsposition zu verschaffen. Die Anspannung ist groß, die Aufregung auf die Begegnung stieg seit des Abpfiffs der Partie in Bochum (2:2, 29.05.20) nahezu minütlich. Ausgerechnet jetzt haben sich Fetti und seine Freunde allesamt einen mittelschweren Schnupfen eingefangen und müssen sich bedauerlicherweise arbeitsuntauglich melden. Naja, kriminelle Ossis supporten (koS) eben auch unter der Woche…

Nach 90 hart umkämpften Minuten hat der 1.FC Union Berlin auswärts ein phantastisches 2:2 errungen und steht mit einem Bein in der Beletage des deutschen Fußballs. Im Rückspiel, welches in vier Tagen (Montagabend) in Berlin-Köpenick stattfinden wird, würde beispielsweise schon ein 0:0 genügen, um das „Fußballwunder“ perfekt zu machen. Aber das ist alles Zukunftsmusik – jetzt muss Fetti erst einmal im Südwesten seine Rotznase auskurieren. Die Luft soll hier ja sehr gut sein.

Da sich meine Stuttgarter Freunde momentan auf Weltreise befinden, steht in der Baden-Württembergischen Landeshauptstadt ausnahmsweise kein Domizil zur Verfügung. Vom „Hotel Lamm“ an den Mineralbädern verspricht sich Fetti einen überaus erholsamen Wellnessurlaub, doch schnell stellt sich heraus, dass ihm sein rumänischer Kassenwart nur eine heruntergekommene Bruchbude mit Gemeinschaftsbad gegönnt hat, die seine Landsleute hier in ruhiger Parknähe für überzogene 50 € die Nacht an gut situierte erkältete Obdachlose vermieten. Fakt ist: Auch auf der schlechtesten Matratze der Welt lässt es sich gut von der Bundesliga träumen.

Am nächsten Morgen stärkt sich Fetti zunächst am überraschend passablen Frühstücksbuffet und schlägt sich so lange den Bauch voll, bis er das Gefühl erhält, in den Wehen zu liegen. Genau der richtige Zeitpunkt also, um nach Wiesbaden aufzubrechen. Am U-Bahnhof „Mineralbäder“ packt die fancy Landeshauptstadt kurz darauf alle coolen Kids an der Emojiehre und präsentiert ein Meisterwerk des Schwachsinns, welches aufzeigt, wie 2.0 Müllentsorgung sein kann. Die „Gum-Wall“ ermöglicht all denjenigen, die zu blöd sind, ihren Kaugummi in den Mülleimer zu werfen, eine Alternative zum achtlosen Fallenlassen des klebrigen Schuhsohlenstörers. Hier kann man seinen ausgelutschten Kaugummi nun also auf ein Emoji seiner Wahl kleben. Fetti sieht vor seinem geistigen Auge bereits den armen Vasall aus dem Niedriglohnsektor, der den durchgekauten Ekel mit bloßem Fingernagel irgendwann wieder von der Wall kratzen muss und zerschlägt vor lauter Verzweiflung seine Bierflasche am Kackehaufen. Kann doch alles nicht Euer Ernst sein…

Am Stuttgarter Hauptbahnhof verkündet die „DB“ sogleich, dass mein Zug nach Mainz 20 Minuten Verspätung haben wird. Aufgewertet wird diese schlechte Nachricht durch einen kleinen Jungen neben mir, der just in diesem Moment seiner Mama offenbart, dass er jetzt sofort ganz dringend strieseln muss. Perfekter Zeitpunkt, muss sich da die Mutter denken, die angesichts fehlender Bäume und Möglichkeiten lediglich eine Flasche anbieten kann. Nun aber geht der kleine Bruder auf die Barrikaden, der nicht will, dass in seine Trinkflasche gestrullt wird, aber auch hierauf kann die Erziehungsberechtigte flexibel reagieren, leert ihre Selters in einem Zug und reicht sie für die Notdurft herüber. Kaum hat sich der Große – versteckt hinter einem durchsichtigen Wartehäuschen – erleichtert, will der Kleine natürlich auch in seine Pulle pullern, deswegen heißt sie ja auch so.

Ach, es hätte stundenlang so weitergehen können und vermutlich wäre auch noch eine „Urinella“ zum Einsatz gekommen, hätte die „DB“ diese Familie und andere Reisende nicht mit einer Durchsage aufgescheucht. „Die Abfahrtszeit ihres Zuges ist derzeit nicht absehbar“ ist eine so auch noch nie gehörte Durchsage und auch die Verbindungsalternative, die die „DB“ ihrer Kundschaft mit an die Hand gibt, ist nach kurzer Recherche als völliger Unsinn zu entlarven. So rennt also alles kreuz und quer über den Bahnhof, während unsereins entspannt am selben Gleis auf den IC von Konstanz nach Emden via Mainz wartet, der hier recht bald auf die Minute pünktlich einrollen wird. Auch die von der „DB“ verjagten Reisenden kehren nach und nach an ihr angestammtes Gleis zurück und im „Intercity“ in Richtung Ostfriesland hat sich die Aufregung dann auch schnell wieder gelegt. Nur das schwäbische Rentnerehepaar wird den Schaffner noch zwei Mal anhalten und erst einmal fragen, ob sie im richtigen Zug „hocke“ und später, ob der Zug in Köln auch wirklich „am Bahnhof“ halten wird. „Ja, natürlich am Bahnhof, wo sollten wir denn auch sonst halten?“, weiß der Zugbegleiter aber auch die letzte Unsicherheit gekonnt zu nehmen. In Mainz hüpfe ich in die S8 und ohne weitere Höhepunkte habe ich mein Ziel bereits um 14.15 Uhr erreicht, um mich sogleich in das Getümmel der hessischen Landeshauptstadt stürzen zu können.

Der Fußweg vom Bahnhof in meine Unterkunft nimmt in etwa 30 Minuten in Anspruch und sorgt dafür, dass ich mir bereits einen ersten Überblick über die Stadt verschaffen kann. Wiesbaden punktet mit einigen Vorzeigebauten (Marktkirche, Neues Rathaus, Hessisches Staatstheater, Kurhaus), wartet aber auch mit einer herben Enttäuschung auf, die es nicht einmal auf ein Foto schaffen wird. Vom Wiesbadener Stadtschloss, das als Sitz des Hessischen Landtags genutzt wird, hatte sich Fetti deutlich mehr erhofft. Gleichzeitig bietet Wiesbaden auch gepflegte westdeutsche Fußgängerzonenlangeweile mit den typischen architektonischen Verbrechen der 70er Jahre.

Ich flaniere dann lieber entlang der Wilhelmstraße, die schon eher meinen Ansprüchen genügt. Ein Boulevard, der einst vom nassauischen Baudirektor Carl Florian Goetz geplant und dann anno 1810 von Baumeister Christian Zais zwischen Kurgebiet und Friedrichstraße angelegt wurde, lässt auch Fetti mit der Zunge schnalzen. Das hier geht getrost als repräsentative Prachtstraße durch, denkt er sich gerade, aber da muss er „Am Warmen Damm“ auch schon wieder rechts einbiegen.

Das „Hotel Klee“ liegt direkt am Kurpark und für die eine Übernachtung hat Fetti 3€ FerkelKurtaxe zu entrichten. Hätte man vielleicht wissen können, dass es sich bei Wiesbaden um einen Kurort handelt, war mir und meinem Schwein im Vorfeld der Reise jedoch nicht bewusst. So aber freuen wir uns, dass das, was die Mineralbäder in Stuttgart nicht geschafft haben, nun die Thermal- und Mineralquellen der hessischen Landeshauptstadt nachholen können. Einer endgültigen Gesundung bis Montag kann man nun aufgrund der Verlängerung des Wellnessurlaubs optimistisch entgegen sehen.

Doch zunächst einmal steht der nächste Relegationsschlager auf dem Programm. Der SV Wehen-Wiesbaden aus der dritten Liga muss gegen den FC Ingolstadt 04 aus der zweiten Bundesliga ran. Wer bei diesem „Super-Plástico“ keine Gänsehaut verspürt, der ist selber Schuld. Mit meinem online gebuchten Stehplatzticket in der Tasche durchquere ich die Stadt also erneut, um die südwestlich gelegene Spielstätte zu erreichen. Da sich am Wegesrand leider keine vernünftige Gaststätte auftut, erreiche ich die Arena überpünktlich, durstig und etwas hungrig. Wenigstens komme ich so in den Genuss, den benachbarten „Helmut-Schön-Sportpark“ besuchen zu können und ausgiebig zu bewundern. Ein echtes Fußballstadion – da kann man ja angesichts dessen, was heute noch auf einen zukommen wird, schon jetzt nicht genug davon bekommen.

Dagegen wirkt die Arena nebenan, die 2007 eröffnet wurde und mit ihren Stahlrohrtribünen eigentlich nur als fünfjährige Übergangslösung gedacht war, auf den Fußballtraditionalisten von Welt in höchstem Maße bedrohlich. Bis vor kurzem fanden 12.566 Menschen Platz in der Blechbude, doch nachdem vor zwei Monaten die Westtribüne weggerissen wurde, um an selber Stelle eine neue Betontribüne mit damit einhergehender Kapazitätserweiterung auf 15.200 zu errichten, fasst die Spielstätte bis zum Abschluss der Bauarbeiten nur noch 9.100 Besucher. Was will man machen, die DFL fordert nun einmal 15.000 Plätze, so man längerfristig in der zweiten Bundesliga spielen mag. Ich darf an dieser Stelle kurz auf den aktuellen Zuschauerschnitt der Wiesbadener verweisen: 3.153. Alles in allem also eine in sich stimmige, nachvollziehbare und zwingend notwendige bauliche Veränderung.

„Herzrasen kann man nicht mähen“, steht in übergroßen Lettern an der Fassade der Stahlrohrhaupttribüne geschrieben und man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Erste Schalrocktrottel mit Lederwesten, Mittfünfzigerinnen mit rosa Fanartikeln und der „SVWW Kids Club“ beziehen vor dem Stadion Position und werten das wider„Licher“ von der „Jet“-Tankstelle um die Ecke zusätzlich ab, welches ich mir mangels Optionen (Bierstand vor dem Stadion? Kneipe? Fehlanzeige!) nach der schönen Stadionbesichtigung organisiert hatte. Ein übermotivierter Ordner verweigert mir kurz nach Beendigung des Biergenuss den Einlass auf die Südtribüne, da ich einen Turnbeutel mit mir führe. Meine Argumentation, dass dieser nicht größer als DINA4 sei, soll ich mir für die Diskussion mit seinem Chef aufheben, sagt er und lässt mich passieren. Den Chef erkenne ich daran, dass seine Weste eine andere Farbe hat, ruft er mir noch hinterher, aber da stehe ich genaugenommen ja bereits auch schon mit Turnbeutel auf dem Rücken im Stadion und frage mich, warum zur Hölle ich jetzt jemanden suchen sollte, der mir auf die Nerven gehen will und entscheide mich stattdessen, einfach meinen Platz auf der „Süd“ einzunehmen.

Vor mir steht eine Frau mit SVWW-Fanshoptüte und Darmstadttrikot, neben mir befindet sich der mit 1.500 „Schanzern“ gefüllte Ingolstadtblock und die weggerissene Gegengerade zu meiner Linken ermöglicht einen unbezahlbaren Blick auf Sandhügel und Bürohäuser. Natürlich ist das Stadion trotz der begrenzten Kapazität und der Wichtigkeit der Partie nicht ausverkauft. Im „Sendung mit der Maus“-Stil wird dem geneigten Stadionbesucher die Funktion des VAR näher gebracht und auch der „taktische Sicherheitssprecher“ der Polizei erhält die Gelegenheit, sich persönlich an das Publikum zu wenden. „Bitte sprechen Sie uns an!“, bittet er beinahe flehentlich und ein Adlerträger neben mir fasst all die Absurditäten treffend zusammen: „Und ich dachte, ich hätte in der Europa League schon alles gesehen!“. Oder wie Fetti sagen würde: Schon jetzt ist klar, dass das hier das schlimmste Stadionerlebnis seit Sonnenhof Großaspach ist, aber hoppen muss manchmal eben weh tun…

Die Vereinshymne steht all den bislang erlebten Grausamkeiten in Nichts nach und weist neben hochgradig individuellen Textzeilen („Keiner wird uns jemals trennen, unser Herz wird ewig brennen!“) auch etwas Geschichtsklitterung in Bezug auf die Vereinshistorie auf („Wehen-Wiesbaden, das ist mein Verein. 1926 fing alles an und bis heute glauben wir daran!“). Kenner wissen natürlich, dass der SV Wehen-Wiesbaden den Freunden von Traditionsvereinen erst seit 2007 auf die Taunüsse geht, aber da auf der Gegenseite mit dem FC Ingolstadt 04 auch nicht gerade ein Gegenentwurf auf dem grünen Rasen steht, tut all dies heute auch nicht besonders viel zur Sache.

Die Fans des SV Wehen (der Austragungsort Wiesbaden spielt auf Fahnen, Bannern und auch in den Gesängen der Zuschauer keine Rolle – mal abgesehen von dem brachialen Wechselgesang Weeeehen – Wiesbaaaaden) rollen gerade noch die Stoffbahnen ihrer Choreographie zusammen und lassen letzte Luftballons zerplatzen, da zerplatzen auch bereits erste Aufstiegshoffnungen. Ingolstadts südamerikanischer Vollsympath Darío Lezcano kann den allerersten Angriff nach Pledl-Pass aus Nahdistanz verwerten. 31 Sekunden sind gespielt. Neben mir schlagen sich die Leute die Hände vor den Köpfen zusammen, ich juble innerlich: Yes, wenigstens kein 0:0!

Die Heimelf von Trainer Rüdiger Rehm reagiert gut auf den frühen Rückstand. Angetrieben von Routinier und „Fußballgott“ Alf Mintzel verschafft man sich in den folgenden 25 Minuten ein Übergewicht auf dem Feld und ist die deutlich aktivere Mannschaft. Immer wieder wird der starke Strafraumwühler Schäffler gesucht, doch mehr als ein Fallrückzieher springt bei allen Bemühungen nicht heraus. Der letzte Pass ist oft zu ungenau, die technischen Qualitäten mangelhaft und die Standards von Kuhn dermaßen unpräzise, dass Ingolstadt wenig Mühe hat, den knappen Vorsprung bieder verteidigend in die Kabinen zu retten. Und beinahe hätte es mit dem zweiten Angriff in der 45. Minute noch zu mehr gereicht, doch der im Strafraum freigespielte Lezcano verpasst den Wehener Kasten mit einem Heber über den herauseilenden Kolke nur knapp. Nun haben auch die mitgereisten Ingos nebenan endlich Pause und stellen ihren nervtötenden und uninspirierten Dauersingsang auf Dorfverein-Niveau ein („Werdet zur Legende. Kämpfen bis zum Ende. Für die zweite Liga. Blablabla“) und mich zieht es auf den Stadionvorplatz.

Hier wird schnell deutlich, dass die Arena auch infrastrukturell an Grenzen stößt, sobald sich mehr als die übliche Handvoll Zuschauer darin tummeln. Die vier Dixis und der WC-Container mit Pissrinne für exakt drei Menschen werden dem heutigen Zuschauerharndrang jedenfalls nicht gerecht – erst recht nicht, wenn es Spezialisten gibt, die sich nach Rückkehr vom Pissoir ihre Schnürsenkel noch auf der Treppe des Containers binden müssen. Jede Wette: Genau solche Experten entsorgen ihre Kaugummis bestimmt an der „Gum-Wall“. Da auch die Schlange vor dem Bierstand in etwa von Wiesbaden bis nach Wehen reicht, kehre ich nach 14 Minuten Wartezeit unverrichteter Dinge zurück in den Block.

Gerade habe ich meinen Platz mit nun unfassbar schlechter Sicht wieder eingenommen, da hat Schiedsrichter Winkmann auch bereits auf Elfmeter entschieden. 41 Sekunden sind gespielt. Wehens Keeper Kolke muss Darío Lezcano von den Beinen geholt haben. Lezcano selbst legt nun den arrogantesten Hurensohnanlauf aller Zeiten auf’s Parkett und verwandelt dann zittrig wie ein Kreisklassekicker. Solche Superstarimitatoren sind wohl in etwa so unnötig wie Fanfreundschaften zwischen Weltklasseszenen wie beispielsweise Wehen und Ingolstadt (wirklich wahr!). Puh. Ich habe für’s Erste genug gesehen und versuche erneut mein Glück am Bierstand.

Hier ist die Schlange nur unwesentlich kürzer geworden, aber wenigstens sind die Ingolstädter Gästefans bereits wieder in ihren Block zurückgekehrt. Und während die Wehen-Wiesbadener da in ihrem Heimbereich brav in Reih und Glied stehen, betreibt der gewitzte Fetti schnellen Handel mit der Gästeblockgastronomie und lässt sich sein Bier einfach durch den Zaun reichen. Macht’s gut, ihr Trottel, möchte man da den noch immer Wartenden im Grunde genommen zurufen, aber Contenance, wird sind hier nur zu Gast.

Mit dem frisch Gezapften in der Hand erschleiche ich mir Zutritt in einen falschen Block, aus dem die Sicht auf das Spielfeld nun wieder deutlich besser ist. Dies stellt sich alsbald als Fehler heraus, denn auf dem grünen Rasen gibt es rein gar nichts attraktives mehr zu sehen. Ingolstadt verwaltet, Alf und seine Mannen bauen außerirdisch ab und zu allem Überfluss übernehmen die Gästefans auch noch die Stimmungshoheit. „Wer nicht hüpft, ist Ingolstädter“ halten die Heimfans mit Fremdschämpotential nur einmal trotzig dagegen und verfallen sonst in eine Art Totenstarre. Nach 72 Minuten muss Wiesbadens bester Mann Schäffler verletzungsbedingt vom Platz und spätestens jetzt hätte wohl kaum noch jemand einen Pfifferling auf den SVWW gesetzt. Außer vielleicht die Herrengruppe neben mir, die nun anlässlich der Einwechslung von Niklas Schmidt regelrecht aus dem Sattel geht: „Mit dem habe ich in der Jugend mal Fußball gespielt!“. Eine Ekstase wie auf dem Dorfplatz. Und gerade, als man das Fazit der Partie aus der Sicht der Heimmannschaft bereits gezogen hat (→ in der ersten Halbzeit war mehr drin, in der zweiten klar an Grenzen gestoßen) und denkt, man hätte es überstanden, spendiert einem das Schiedsrichterkollektiv sechs Minuten Nachspielzeit und weitere Qualen zu Scooter-Klängen. Daniel Kofi Kyereh drückt nach 96 Minuten am langen Pfosten tatsächlich einen Flachpass, der quer durch den Fünfmeterraum gerauscht war, über die Linie und verkürzt zum 1:2. Döp Döp Döp de de Döp Döp Döp, sag ich mal.

Leider finde ich beim Verlassen des Stadions keine echte Eintrittskarte für die Sammlung daheim und werde so nicht zweifelsfrei beweisen können, wahrhaftig Augenzeuge dieses spektakulären Relegationsspiels gewesen zu sein. Um mich herum finden neuerliche Verbrüderungsszenen von Wehen- und Ingolstadtfans statt und Satzfetzen wie „Ihr macht eine Stimmung, das ist so geil!“ werden aufgeschnappt und schmunzelnd mit auf die Flucht genommen. Freunde, nichts wie weg hier!

Am Bahnhofsvorplatz will ich den lauen Abend bei Döner und Dosenbier aus dem „Rossmann“ (Mist. Gutscheine in Berlin vergessen. Wird der rumänische Kassenwart wieder schimpfen!) eigentlich nur unaufgeregt ausklingen lassen, bekomme aber noch ein solides Rahmenprogramm geboten. Da ist zunächst dieser Mann mit Rollator, der ungeniert die Hosen herunterlässt und auf offener Szene vor den Bahnhof uriniert und die Pfandflaschensammlerin und Neigetrinkerin in Personalunion, die dieses Bild mit einem eindringlichen „Ai, ai, ai, Leute gibt’s“ zusammenfasst. Und dann wäre da noch die Fanszene des FC Ingolstadt 04 zu beobachten: Vier betrunkene Abenteurer lassen die Köpfe hängen, der fünfte und fitteste im Bunde kauft eine Tüte Fraß beim „KFC“ und obwohl er sich mit dem Einkauf wirklich beeilt, sind in der Wartezeit zwei seiner Compañeros eingeschlafen und zwei weitere haben sich drittklassig erbrochen. Ich an seiner Stelle würde die beiden anderen jetzt besser nicht aufwecken. Was für ein jämmerlicher Haufen, dieser FC Ingolstadt 04.

Ich spaziere nach dem „Genuss“ meines lieblosen Fettdöners für 4,20 € zurück zum Hotel und bewundere neben der illuminierten Wilhelmstraße im Zuge der Entsorgung der ersten Bierdose auch einen Müllplatz, der „mit großem personellem und finanziellem Aufwand“ eingerichtet worden ist und ich frage mich ernsthaft, warum ich mich noch nie gedanklich damit auseinandergesetzt habe, wie genau ich mir den Müllplatz meiner Träume wohl so vorstelle. Diesen soll ich jedenfalls so verlassen, wie ich ihn gerne hätte antreffen wollen. Häh? Wenn Du denkst, dass ich hier jetzt meine vollen Bierdosen hinstelle, haste Dich aber geschnitten, Wiesbaden!

Ein paar Minuten später hat Fetti auch schon den warmen Damm erreicht. Nach zwei emotionalen Relegationsspielen fühlt er sich bereits deutlich besser und ist auf dem besten Weg zu endgültiger Gesundung. Ach, so ein Wellnessurlaub im Südwesten ist schon was feines… /hvg