Posted on Oktober 14, 2017
14.10.2017 1.FC Schweinfurt 05 – FC Ingolstadt II 0:3 (0:2) / Willy-Sachs-Stadion / 994 Zs.
Einmal kurz den Globus gedreht, schon hat man festgestellt, dass sich zwischen Malta und Regensburg ein weiterer Ort befindet, dem man einen Besuch abstatten könnte. Fetti wackelt voller Vorfreude mit dem Ringelschwanz. Was kann es schöneres geben, als Schweinfurt eine Visite abzustatten?
Ich hingegen starte etwas lädiert in das Unterfangen, hat mir meine letzte Mahlzeit in Südeuropa doch etwas den Magen verdorben. Unser Nürnberger Gastgeber öffnet jedoch auf Nachfrage zu meiner Überraschung einen Medizinschrank, der einem echten Waffenlager gleicht und bietet mir eine Medikation an, die ihm und seinem Magen-Darm-Trakt in Indonesien treue Dienste geleistet hätte. Geschätzte zwei Sekunden nach Einnahme haben sich dann auch alle Poren und Körperöffnungen irreversibel zusammengezogen und ich traue mich nach dieser Super-Tablette an den Morgenkaffee aus einer Super-Tasse mit dem Logo eines recht bekannten Fußballclubs. Ich bin ja als wandelndes Fußball-Lexikon bekannt, doch dass der FC Bayern amtierender „Deutscher Super-Meister“ ist, überrascht mich dann doch.
Kurz nach diesem Erkenntnisgewinn gelingt es uns am Nürnberger Hauptbahnhof mit nahezu spielerischer Leichtigkeit, unsere Proviantbeutel zu füllen. Einige Hackepeterbrötchen und das gute „Grüner Vollbier hell“ (in Nürnberg nur Fürther Bier!) wandern in unseren Fundus, was auch daran liegt, dass unser Gastgeber, der so heißt wie eine Stadt in NRW, bereits ordentlich Brand(t) hat.
Während unserer Frühstückszeremonie rumpelt die Regionalbahn rustikal durchs Frankenland, wobei es bei diesem Satz schon darauf ankommt, das „R“ angemessen regional zu rollen. Nachdem illustre Siedlungen wie Hirschaid, Frechaid und Haßfurt passiert worden sind, haben wir nach gut 90 Minuten „Pigfurt Main Station“ erreicht. Mit Blick auf das Bahnhofsgebäude und in die Hauptstraße keimt nicht sonderlich viel Vorfreude auf die Stadt auf. Die 70’er-Jahre-Zweckbauten lassen erahnen, dass wir es mit einer typischen westdeutschen Stadt zu tun bekommen werden. Kennt man ja. Bahnhof-Fußgängerzone-Ableben.
In Schweinfurt jedoch muss man gehörig aufpassen, nicht bereits vor dem Erreichen der Fußgängerzone dahinzuscheiden. Irgendein findiger Städteplaner ist hier nämlich auf die Idee gekommen, einen Stadtplan zur ersten Orientierung auf die Mittelinsel zu setzen und den geneigten Besucher dazu zu zwingen, sich auf die Straße und mitten in die Einflugschneise der Taxis zu stellen. Eigentlich eine gute Idee, die es für Berlin zu adaptieren gilt. Kann ja nicht schaden, wenn der erste Schwung Partytouristen direkt am Flughafen über den Haufen gekachelt wird.
Gezwungenermaßen haben wir uns schnell einen Überblick über Schweinfurt verschafft und entschieden, den direkten Weg zum Stadion anzutreten, welches wesentlich mehr Charme verspricht, als der Rest der Stadt zu versprühen vermag. Selbstredend wird FUDU diesen gut halbstündigen Spaziergang nicht ohne Wegbier antreten und so kommen wir in den zweifelhaften Genuss, Kontakt mit „Schweinfurter Brautradition“ herzustellen. Die „Roth Bier GmbH“ ist sich nicht zu schade, ihr neuestes Machwerk mit dem pfiffigen Namen „Roth runner“ zu versehen und es auf ihrer eigenen Website vollmundig mit „Unser Trendbier. Süffig und mit gelungenem Design.“ anzukündigen. FUDU würde dann gerne ergänzen: „und mit einer hemdsärmeligen Strenge im Abgang!“
Am Stadion angekommen, fällt unser erster Blick auf das Willy-Sachs-Denkmal, welches aus dem Jahre 1936 stammt und nicht nur nach Nazischeiße aussieht, sondern auch Nazischeiße ist. Der Namenspatron des Schweinfurter Stadions ist der Sohn des Schweinfurter Industriellen Ernst Sachs, wurde bereits 1933 Mitglied der NSDAP und SS und schwang sich im dritten Reich dann zum Obersturmbannführer und zum Wehrwirtschaftsführer auf. Heinrich Himmler verlieh ihm Orden und Ehrentitel. Zu seinen größten Hobbys zählte er saufen, Vielweiberei auf Schloss Mainberg und mit Hermann Göring auf die Jagd gehen. 1936 stiftete er der Stadt dann das Stadion und eröffnete es feierlich mit den Worten „Unserem großen und geliebten Führer Adolf Hitler ein dreifaches Sieg Heil!“, wofür die Bürger und Politiker Schweinfurts bis heute so unfassbar dankbar sind, dass sie sich im Jahre 2015 deutlichst gegen eine Umbenennung der Sportstätte entschieden. Warum auch, schließlich wurde Willy Sachs nach Kriegsende als „Mitläufer Kategorie IV“ locker-flockig entnazifiziert und im Jahre 1957 erhielt er dann das Bundesverdienstkreuz. Letztlich also eine ganz normale steile bundesdeutsche Karriere. Und man muss ja jetzt auch nicht bis in alle Ewigkeit nachtragend sein, Schwamm drüber, Willy, irgendjemand musste Kackeland nach 45 ja wieder aufbauen!
2017.
Die Zeit des nationalsozialistischen Regimes ist glücklicherweise schon lange vorbei und bis zum Beginn des nächsten verbleibt hoffentlich noch etwas Luft. Heute ist Fetti mit recht banalen Absichten im Frankenland unterwegs: einfach nur entspannt sein Hakenkreuz im Groundhopping-Informer setzen. Das Willy-Sachs-Stadion, einst als eines der modernsten Stadien Deutschlands eröffnet, ist mittlerweile nämlich angenehm in die Jahre gekommen und stellt mit seinen alten Stehplatzrängen ein wohltuendes Pendant zu den modernen Arenen dar.
Während wir das Stadionumfeld erkunden, kommen uns erste Spieler und der Trainer des 1.FC Schweinfurt auf dem Weg zum Warmmachen auf dem Nebenplatz entgegen. Die Regionalliga Bayern ist so angenehm unterklassig, dass man hier als vermeintlicher Fan noch mit einem freundlichen „Servus“ von eben jenen Menschen begrüßt wird, deretwegen man Eintrittsgelder bezahlt, um diese spielen und arbeiten sehen zu dürfen. Der nächste dicke Pluspunkt wandert wenige Augenblicke später am Bierstand in die Notizblöcke, als der Schankwart auf unsere bayrisch vorgetragene Bestellung: „Ein Helles, bitte“ mit: „Also ein Bier?!“ antwortet. Scheint die Sprachbehinderung in diesem Teil des Freistaats also noch nicht mit aller Härte zugeschlagen zu haben.
Dafür ist es jedoch der Stadion-DJ, der mit unerbitterlicher Härte zuschlägt und das Publikum mit furchtbarer deutscher Popmusik malträtiert. „Lass uns leben wie ein Feuerwerk, oh-oh, denn dieser Augenblick kommt nie zurück, die ganze Welt kann uns gehören, oh-oh“. Auf jeden Fall eines der belanglosesten Musikstücke, seit Roger Cicero vom Müll runterbringen gesungen hat. Und was aus dem geworden ist, wissen wir ja alle.
Das Spiel beginnt. Der 1.FC Schweinfurt, der mit dem Ziel in die Saison gestartet war, dem großen Staffelfavoriten des TSV 1860 München Paroli zu bieten, liegt bereits 10 Punkte hinter den Löwen zurück. Zuletzt gelang ihnen drei Spiele in Folge kein Sieg. Leider kommen sie auch heute nicht gut ins Spiel und die Zweitvertretung des FC Ingolstadt übernimmt das Kommando auf dem Platz. In der 23. Minute gibt Ryoma Watanabe aus 20 Metern einen Schuss ab, mit dem er in Japan vermutlich nicht einmal seine Kois hätte erschrecken können, doch Schweinfurts Keeper Eiban greift beherzt daneben, legt sich das Ei selbst ins Nest und sorgt für ein erstes Raunen in den Reihen der alten Meckermänner um uns herum. Als nur neun Minuten später nach einer Flanke aus dem Halbfeld Langen mit dem Kopf zur Stelle ist und auf 2:0 erhöht, werden die Unmutsbekundungen schon etwas größer und ein erstes Pfeifkonzert fegt durch das weite Rund. Auch die maximal 150 aktiven Supporter der „Schnüdel“ hinter den Zaunfahnen auf der Gegengerade, von denen man sich generell etwas mehr Lautstärke erhofft hatte, stellen nun ihre Unterstützung für die eigenen Farben ein.
Währenddessen haben Teile der Reisegruppe FUDUs ihre ganz eigenen Probleme. In einer App, in der man festhalten kann, welche Biersorten man an welchen Tagen getrunken hat, fehlt doch tatsächlich das „Roth Original – Schweinfurter Hell“ in der Auswahl. So wird natürlich die Bilanz verfälscht und kein realistisches Abbild des eigenen Trinkverhaltens möglich sein. Fetti hofft inständig, dass diese Fakten in der Suchtberatung offen gelegt werden! Kurz juckt es uns dann allen in den Beinen, als im Rahmen eines Halbzeitspiels mit dem Namen „Schnüdelschuss“ Fußbälle auf Bierkästen geschossen werden müssen, doch können wir uns noch gerade eben so zurückhalten.
Ich gedenke aus Rücksicht auf meinen Magen in der zweiten Halbzeit auf ein weiteres Bier zu verzichten, werde jedoch mit der unschlagbaren Gegenargumentation, dass noch Tabletten aus Indonesien übrig wären, schnell von diesem Plan abgebracht.
Das Spiel läuft auch in der zweiten Halbzeit in die altbekannte Richtung. Die „Schanzer“ präsentieren sich sehr gefestigt und lassen bis auf einen Kopfball von Jabiri defensiv nichts zu. Nach 68 Minuten hat Schweinfurts Trainer Klaus die Nase voll und wechselt gleich dreifach aus, doch auch im Anschluss dieses deutlichen Zeichens der Unzufriedenheit geht kein Ruck durch seine Mannschaft. Mit einer ordentlichen Portion Härte versuchen die „Schnüdel“ sich irgendwie in das Spiel hineinzubeißen, aber bis auf gleich sieben gelbfarbige Verwarnungen springt nichts messbares dabei heraus. Als Keeper Eiban in der 74. beinahe das zweite Mal folgenschwer daneben greift, wird er von den alten Meckermännern noch eben schnell als „Fliegenfänger“ beschimpft, bevor diese kopfschüttelnd das Stadion verlassen. Wesentlich effektiver und effizienter treten die Gäste auf, die neun Minuten vor Ultimo mit einem Strafstoß auf 3:0 erhöhen. Watanabe hatte einen Freistoß in die Mauer der „Schnüdel“ getreten und der souveräne Schiedsrichter Treiber zurecht auf Handspiel entschieden. Im Anschluss setzt im Stadion eine regelrechte Völkerwanderung ein und die Reihen lichten sich rasant. Ohnehin war die Zuschauerzahl von nur 994 sehr enttäuschend gewesen, besonders, wenn man bedenkt, dass hier in gerade einmal zwei Wochen in der zweiten Runde des DFB-Pokal gegen Eintracht Frankfurt mit 15.000 Zuschauern die Bude richtig brennen wird. Vielleicht seinen Arsch auch einfach mal ins Stadion bewegen, wenn kein Feiertag ansteht?
Wenige Sekunden später segelt ein weiterer hoher Ball in den Strafraum der Schweinfurter. Der eingewechselte Senger steigt hoch, köpft – und der Ball senkt sich über den verdutzten Eiban hinweg auf die Querlatte. Jetzt platzt den verbliebenen Zuschauern endgültig der Kragen und mit dem markigen Slogan „Klaus muss raus!“ will man ganz offensichtlich an selbigen des Cheftrainers. Nicht besonders kreativ, aber eingängig. Klaus muss raus, Klaus muss raus, Klaus muss raus! FUDU stimmt trotzdem nicht mit in den Kanon ein, schließlich hat er immer nett gegrüßt.
Und während die Mannschaft ohne jegliche Kontaktaufnahme mit der eigenen Anhängerschaft den Rasen verlässt, steht ein Großteil der Schweinfurter Szene bereits vor der Tribüne und bellt die oben genannten Parolen in die Kabine. Etwas skurril mutet es an, das parallel dazu einige Entsandte Gelder für die Choreographie gegen die Eintracht sammeln. Das wird sicherlich ein schönes Spiel, Klaus muss raus, Klaus muss raus, gegen einen Bundesligisten, 15.000 Zuschauer, Klaus muss raus!
Wir verlassen das Stadion. Im Hintergrund verblassen nach und nach die Stimmen der Krakeeler und wir werden bereits erneut mit Schwermut erdrückt. Eine ehemalige Kaserne dient hier mit ordentlich Stacheldraht umzogen als Flüchtlingsunterkunft. Der erste gruselige Adler, aus dem mit viel Liebe zum Detail wenigstens das Hakenkreuz entfernt wurde, gibt Anlass zur schnellen Recherche. Oh, wie schön. Es handelt sich um die ehemalige „Adolf-Hitler-Kaserne“, erbaut 1935/36. Also, wo, wenn nicht hier, sollte man sich als Geflüchteter so richtig wohl fühlen? Und ein bisschen Dankbarkeit hat ja noch keinem geschadet. Oh, Kackeland, wie verachtenswert du bist!
Die Innenstadt hat dann optisch leider auch nicht sonderlich viel zu bieten, obwohl das Stadtmarketing große Erwartungen geschürt hatte. Die in viel größerem Umfang erhoffte Kleinstadtidylle mit Fachwerkhäuschen und schmalen Gassen sammeln wir im Vorbeigehen auf dem Markt mit Blick auf das Rathaus und flanieren dann zum Abschluss des Tagesausflugs am Mainufer entlang, welches von kiffenden Jugendlichen gesäumt wird. Anschließend treten wir unsere Weiterreise nach Regensburg an und verpassen in Nürnberg beinahe unseren Anschlusszug, weil wir zu lange fotografierend um den „Orient-Express“ herumgeschlichen waren. Na, ob diese Ausrede bei den in Regensburg wartenden Damen gezogen hätte?
Zu viert versacken wir im Regensburger „Weißbräuhaus“, in der urigen „Piratenhöhle“ mit dem wohl schlechtesten Gin Tonic der Menschheitsgeschichte, den der Barkeeper nach Reklamation aber wenigstens stilecht einfach selbst säuft, und abschließend in der „Orange Bar“. Und plötzlich ist auch die eingangs gestellte Frage, was es schöneres geben könnte, als Schweinfurt eine Visite abzustatten, beantwortet. Das hier. Zum Beispiel. /hvg
Posted on Oktober 10, 2017
10.10.2017 Tarxien Rainbows FC – Hibernians FC 0:9 (0:6) / Charles Abela Memorial Stadium / 36 Zs.
Unmenschliche Höllenqualen liegen hinter mir. Arbeit. Vier Tage am Stück. Das kann ja nun wirklich niemand ertragen. Von daher ist es nur logisch konsequent, sich möglichst schnell wieder aus dem Staub zu machen. In Koppelung mit der von mir betriebenen Bilanzfälschung, dass Geburtstage, die man im Ausland feiert, nicht in die Statistik eingehen, ergibt plötzlich alles einen tieferen Sinn und so sitze ich am Freitag, den 08.10. im Flugzeug und fliege in Richtung Malta, um meinen 29. Ehrentag angemessen gestalten zu können.
Zwei Tage später erlebt der maltesische Herbsturlaub, der bis dato aus Biergelage im „Funky Monkey“ und jeder Menge Sonne und Faulenzerei am Meer bestand, eine jähe Zäsur. Heute dringt König Fußball in die Tagesplanungen ein. Oder sagen wir mal lieber: so etwas ähnliches wie Fußball. Das Länderspielwochenende hat seine finsteren Spuren nämlich auch im Terminkalender Maltas hinterlassen und so rollt der Ball auf der Insel während meines Urlaubs lediglich in der ersten Frauenfußball-Division.
Um uns den Tag bis zum Anpfiff am Abend so angenehm wie möglich zu gestalten, steht zunächst ein Ausflug nach Vittoriosa auf dem Programm. Mit der Fähre fahren wir von Sliema hinüber nach Valetta und setzen von dort die Anreise mit einer weiteren Fährlinie nach Cospicua fort. Direkt nimmt uns am großen Hafen der kleinen Stadt mit nur 2484 Einwohnern das Fort St. Angelo in Empfang. Dieses Fort ist letztlich der Grund für den seit 1565 gültigen Stadtnamen Vittoriosa („die Siegreiche“), da bei einem Überfall der Türken in eben diesem Jahr das Bauwerk eine wesentliche Rolle bei der Verteidigung der Insel spielte. Die Bewohner des Städtchens ziehen es aber bis heute vor, es weiterhin mit dem bis dato gültigen Namen „Birgu“ zu bezeichnen.
Der „Palazzo Huesca“ von 1883 mit seinen großen Sälen und seiner majestätischen Fassade scheint uns gerade gut genug zu sein, um einzukehren. Auf der sonnigen Terrasse des zum Palast zählenden Restaurants „Be Birgu“ lässt es sich bei Speis und Trank ganz gewiss aushalten. Eine vierköpfige und dickbäuchige englische Altherrenmännergruppe sieht dies nach einem flüchtigen Blick in die Karte etwas anders. Wenn es kein gezapftes Bier gibt, bleiben sie nicht. No draft beer, no party! Manchmal sollte man eben so seine Prinzipien haben…
Günter und ich lassen uns jedoch nicht abschrecken und bestellen etwas zähneknirschend das vier Euro teure Flaschenbier. Im Urlaub kann man bekanntlich auch einmal Fünfe gerade sein lassen und so wandern nach Fettis Gusto die 12,90 € teuren Meatballs von der Vorspeisenkarte ebenfalls mit auf den Zettelblock des Kellners. Wenige Minuten später wird serviert. Stilvoll auf einer Granitplatte präsentierter Salat, ein kreatives Körbchen Pommes und als weiterer optischer Höhepunkt der Mahlzeit runden die appetitlich aussehenden Fleischklöße mit frischen Kräutern und rotem Pfeffer das Gemälde ab. Ich schneide die erste Boulette an, betrachte das Fleischbrät und Skepsis macht sich in mir breit. Dieses Bild kommt mir aus meiner Studentenzeit doch irgendwie bekannt vor und auch der Geschmackstest bestätigt die Annahme. Hier haben wir es mit dem Hause „Maggi“ und somit mit aufgewärmtem Convenience-Food zu tun. Das Gericht geht somit unter der Überschrift „mehr Schein als Sein“ als weitere Anekdote in das Tagebuch des Cateringverlierers ein, der nun aber wenigstens etwas näher an den Zeitgeist herangerückt ist. In einer auf Hochglanz polierten Zeit ist die Optik bekanntermaßen immer häufiger wichtiger als der Inhalt…
Im Bus in Richtung Stadion darf FUDU dann weitere Zeitgeiststudien betreiben und sich nun dem Themenkomplex „Kommunikation“ und „Sozialkompetenz“ zuwenden. Als Beobachtungsobjekte bieten sich zwei Jugendliche an (ein Stück männlich, ein Stück weiblich), die sich gegenüber sitzen. Gar nicht widersprüchlich ist, dass er sich von ihrem ausladenden Dekolleté eingeladen fühlt. Im Jahre 2017 schaut und spricht man sich jedoch bei Interesse füreinander nicht mehr direkt an, sondern hat den Colt für alle Fälle in Form eines Smartphones in der Hosentasche. Während sie also nichtsahnend einen halben Meter von ihm entfernt sitzt, blättert er durch ihre Fotos auf Facebook und zoomt ihr mit zwei Fingern regelmäßig in den Ausschnitt. Dazu hinterlässt er zwei-drei „Gefällt mir“-Klicks, was die Hoffnung nährt, dass sie ihm dann schreiben wird. Na, dann drücken wir mal die Daumen.
An der Station „Technopark“ verlassen wir den Bus und machen uns auf den Weg zum „Charles Abela Memorial Stadium“, wo wir heute einen unvergesslichen Abend ohne Bässe erleben werden. Für 2,50 € Eintritt passieren wir das Stadiontor und stellen fest, dass zehn Meter weiter eine offenstehende Tür zum freien Eintritt eingeladen hätte. Bevor das Spiel in Mosta zur 20:15 Uhr Primetime angepfiffen werden wird, decken wir uns in der Vereinskneipe noch mit „Cisk“ ein und ahnen zu diesem Zeitpunkt bereits, dass das Juventus-Logo hinter der Theke für lange Zeit das Einzige bleiben wird, das hier etwas mit Fußball zu tun haben wird.
Es ist der zweite Spieltag der höchsten maltesischen Damenfußballliga. Das Spiel zwischen den Tarxien Rainbows und den Hibernians beginnt. Die 17-jährige Torhüterin der Heimmannschaft ist 1,60 Meter groß und heißt Mandy Caruana. Heute wird sie den Ball immer dann aus ihrem Netz holen müssen, wann immer dieser vom Meisterschaftsfavoriten aus Paola auf das Tor geschossen wird. Schon in der 41. Minute wird Dorianne Theuma ihren Hattrick perfekt gemacht und die Hibernians mit 6:0 in Führung gebracht haben. Günter hat derweil einzig und allein einen Blick für die Nummer 11 der Regenbogenamazonen. Schnell hat er sich auch in die fußballerischen Qualitäten der Mittelstürmerin verliebt, die seiner Aussage nach mindestens 40 Saisontore erzielen würde, wäre er seine Mitspielerin* und könnte sie mit Flanken füttern. Nach 18 Minuten ist Günter nur noch schwer zu bändigen und auf der Tribüne zu halten. Zu groß ist sein Begehr, den Platz zu stürmen und der verletzt auf den Boden liegenden 11 die Wunden zu lecken. Wir entwickeln dann gerade noch rechtzeitig gemeinsam eine etwas dezentere Methode der Kontaktaufnahme und planen, groß in das Spielerinnenberatergeschäft im unterklassigen Frauenfußball einzutreten und unsere guten Kontakte nach Frankreich spielen zu lassen. Da werden bekanntlich schon in der dritten Liga Melonenbeträge im unteren einstelligen Bereich gezahlt.
In der Halbzeitpause entere ich die Vereinsgaststätte erneut und ordere eine Runde „Skol“, um dem albernen Geplänkel auf der Tribüne neuen Treibstoff zu geben. Der angenehme Nebeneffekt dieses Vorhabens besteht darin, dass das „Skol“ nur halb so teuer wie das vorhin von Günter bestellte und bezahlte „Cisk“ ist und ich endlich einmal auf der Gewinnerseite in Sachen Catering auftauche. Fühlt sich ja auch mal ganz gut an.
Als in der 55. Minute das 0:7 fällt, verstummt auch endlich die Co-Trainerin der Rainbows, die bislang durch permanentes Rumgeschreie auffällig geworden war. Günter, anerkannter Fachmann des maltesischen Frauenfußballs, konstatiert trocken: „Das macht die immer so!“. Ich habe es bei den Lichtverhältnissen auch längst aufgegeben, auch nur ein einziges vernünftiges Erinnerungsfoto der Sportstäte zu schießen. Der einzige, der dieses Spiel nun noch ernst nimmt, ist der Schiedsrichterassistent, der es der minderjährigen Einwechselspielerin der Rainbows nicht erlaubt, sich vor der Tribüne stehend mit ihrem Vater zu unterhalten, sondern sie mit professioneller Gestik zum Aufwärmen hinter das Tor verweist. Nach zwei weiteren Gegentoren und dem Abpfiff der Partie ist die Kneipe verschlossen und verwehrt den FUDU-Schweinen weitere Flüssignahrung und auch den Toilettengang. Aus Frust über diese Gastunfreundlichkeit verbreitet Günter das Gerücht, nicht alle Spielerinnen unter der Regenbogenfahne seien in Wahrheit homosexuell. Habt ihr jetzt davon.
Meinen Ehrentag werde ich dann einige Tage später stilecht am Strand verbringen und abends in Sliema in einem Laden namens „The Brew Malta“ versacken. Anlässlich der Auszeichnung für die Stadt Valetta, sich im kommenden Jahr „Kulturhauptstadt Europas“ nennen zu dürfen, hat sich das Brauhaus etwas ganz Besonderes einfallen lassen und eigens ein „Official Valetta 2018 Craft Beer“ aufgelegt. Nachdem wir als letzte Gäste aus dem Laden geschmissen worden sind, ist die Entscheidung schnell getroffen, dass genau genommen nichts gegen ein nächtliches Bad im Meer sprechen würde. Herrlich erfrischend, aber für den anschließenden Spaziergang durch San Ġiljan in unpassender Kleidung möchte ich mich bei allen Maltesern im Namen FUDUs aufs Förmlichste entschuldigen. Aber bereuen tun wir nichts, nicht einmal das Frauenfußballspiel.
Als ich am Ende der Reise in einer RyanAir-Maschine nach Nürnberg sitze und mich somit auf indirektem Wege zum Auswärtsspiel des 1.FC Union Berlin bei Jahn Regensburg befinde, steht bereits fest, dass ich auch im kommenden Jahr im Oktober NICHT in Kackeland verharren werde. Ihr dürft also gespannt sein, wo ich meinen 29. Geburtstag verbringen werde. /hvg
Posted on Oktober 3, 2017
03.10.2017 SG FC Motor Zeulenroda – BSG Chemie Kahla 0:1 (0:0) / Waldstadion Zeulenroda / 100 Zs.
Tag der Deutschen Einheit. Für viele Grund zur Freude, für einige wenige eher bedrückender Anlass, um nostalgisch verklärt sehnsüchtig in die Vergangenheit zu blicken. Klar, dass es bei einer derartigen einschneidenden gesellschaftlichen Veränderung nicht nur Gewinner geben kann. Matthias Liebers zum Beispiel absolvierte 59 Länderspiele für die DDR, gewann 1980 eine olympische Silbermedaille, hielt für Lokomotive Leipzig 321 Mal die Knochen hin und lief in der Nachwendezeit noch 99 Mal für den VfB Leipzig auf, darunter 25 Einsätze in der Fußball-Bundesliga. Heute ist er Trainer des thüringischen Landesklasse-Clubs SG FC Motor Zeulenroda.
Am Morgen des 3. Oktober begeben sich die drei Wendeverlierer in Reihen FUDUs auf den Weg von Praha in eben jenes Zeulenroda, um Matthias Liebers Trost zu spenden und sich im persönlichen Kontakt einen Überblick zu verschaffen, ob es um den ehemaligen Fußballprofi wirklich so schlecht bestellt steht, wie es ein gefundenes Portraitfoto vermuten lässt. Doch bevor dieses sozialromantische Unterfangen in die Tat umgesetzt werden kann, gilt es zunächst einmal, den Tschechenbentley vor der imposanten Gölzschtalbrücke zu parken und noch ein wenig Architektur im Nachgang des gestrigen Brückentages zu studieren.
Die Brücke liegt knappe 20 Kilometer von unserem eigentlichen Reiseziel entfernt und geizt nicht mit Superlativen und Anekdoten. Nach ihrer Fertigstellung im Jahre 1851 war sie die höchste Eisenbahnbrücke der Welt. Noch heute gilt das Bauwerk als größte Ziegelsteinbrücke weltweit. 31 Arbeiter starben bei Unfällen auf der Baustelle und seitdem 2002 acht Menschen in acht Monaten in den Freitod sprangen, wird die Brücke von der Bundespolizei überwacht. All das ist nur möglich, da die Brücke in den letzten Tagen des zweiten Weltkrieges der angedachten Sprengung durch die Wehrmacht noch eben gerade so entgangen ist. Glück gehabt.
Am späten Nachmittag wird die Reisegruppe übrigens auf der Autobahn die Bleilochtalsperre passieren. Der größte Stausee Deutschlands darf als zweiter baulicher Superlativ des heutigen Tages zumindest in Form einer Randnotiz in diesem Bericht nicht fehlen.
In direkter Nähe des Waldstadions von Zeulenroda-Triebes befindet sich seit 1968 ein Tiergehege, welches auch nicht drumherum kommt, von den FUDU-Schweinen besucht zu werden. Zum Ehrenmitglied wird kurz darauf ein Ziegenbock ernannt, der erfolglos eine Zicke umgarnt und sich dann stilvoll entscheidet, sein Ejakulat einfach wild umherzuspritzen, um sich dann endlich dem nächsten Bedürfnis zuwenden und fressen zu können. Ach, FUDU hat ein Herz für alte Stelzböcke!
Da wir das Matthias Liebers Gehege nirgends finden können, halten wir uns nicht länger als nötig in dem Tierpark auf und betreten folgerichtig die ehemalige Karl-Marx-Sportstätte, in der heute der FC Motor die BSG Chemie empfangen wird. Noch mehr ostdeutschen Einheitsbrei auf einen Schlag hatte der Spielplan des 3.10. nicht zu offerieren. Auf dem „unteren Platz“ der Sportanlage eröffnet Schiedsrichter Annemüller um 15.00 Uhr die Partie. 4900 Stehplätze bleiben heute leer und der „dramatische Zuschauerschwund“, von dem im Stadionheft die Rede ist, wird spürbar. Wir nehmen Platz auf einer klassischen Parkbank, lassen uns das nur 1,80 € teure Greizer Schloß Pils schmecken und zeitgleich ein furchtbares Geholze bei kaltem Wind über uns ergehen. Trainer Liebers ist weit und breit nicht zu sehen und kann keine tröstenden Umarmungen von uns entgegennehmen. Die Akteure beider Mannschaften laufen in den ersten 15 Minuten gefühlt 200 Mal ins Abseits und den Rest des ersten Spielabschnitts vermag der Liveticker von fupa.net adäquat widerzuspiegeln: „10. Minute: bisher keine Chancen im Spiel, 27. Minute: es passiert nicht viel, 33. Minute: es passiert einfach nichts in den Strafräumen, 42. Minute: nach wie vor kein Abschluss. Beide Mannschaften suchen ihre Form“. Dem gibt es nichts hinzuzufügen.
In der Halbzeitpause erfreut uns das Vereinsheim mit nostalgischen Fotos, der Stadion-DJ mit dem Rocky Soundtrack und der Wifi-Hotspot „Waldstadion Zeulenroda“. Soeben hat sich der Hoollege erfolgreich ins Internet eingeloggt und der heute morgen in Prag für tot erklärte Tom Petty lebt plötzlich wieder, wird im Verlauf der zweiten Halbzeit neueren Nachrichten zu Folge allerdings erneut versterben und von seiner Tochter immer wieder in das Reich der Lebenden zurückbeordert. Was für ein hin und her. Da soll der arme Hoollege noch den Überblick behalten, wen er jetzt als verstorben einspeichern darf und wen besser nicht.
Glücklicherweise ist in der zweiten Halbzeit auch auf dem Rasen ebenso viel Abwechslung und Kurzweil geboten. Kahla setzt seine leichte Dominanz aus der ersten Hälfte fort und Kapitän Hort avanciert zum besten Spieler auf dem Platz, der seine Mannen mit viel Leidenschaft nach Vorne treibt. Fupas Livetickermann muss aufgrund der ermüdenden ersten 45 Minuten etwas seiner Aufmerksamkeit eingebüßt haben. Ihm entgeht, dass nach 52 Minuten Torwart Müller das Gehäuse Kahlas verletzungsbedingt verlassen muss und in Ermangelung eines Ersatztorwarts Feldspieler Marcel Schlönvoigt ein Torwarthemd überzieht. Gästeakteur Sergei Olenberg sorgt in der 77. Minute für den Höhepunkt des Tages, indem er aus gut 20 Metern einen wunderbaren Volleyschuss in den Knick platziert. Dieser Schuss war die 3,50€ Eintritt wert! Die pomadigen Hausherren schaffen es bis zur 85. Minute nicht, den Feldspieler im Tor zu testen. Dann zappelt der Ball nach Flanke und Kopfstoß plötzlich im Netz, doch das Schiedsrichtergespann entscheidet auf Abseits und beendet kurz darauf die insgesamt doch eher durchwachsene Partie.
In der Gegenwart kann sich Chemie Kahla nun mit 13 Punkten zum Verfolgerfeld des Tabellenführers Motor Altenburg zählen, während die Hausherren mit nur 7 Punkten langsam aber sicher aufpassen müssen, nicht in den Abstiegssog gezogen zu werden. Matthias Liebers wird sich damit trösten können, von alten Zeiten zu schwärmen und von „Früher“ zu schwadronieren. Im Vereinsheim werden sie sich davon erzählen, wie Zeulenroda in der Saison 1979/80 unter Trainer Gerd Bürger (Vater von Henning Bürger) ein Jahr lang in der zweithöchsten Spielklasse der DDR mitmischen durfte. Man wird von alten Pokaltriumphen sprechen. Motor Zeulenroda war Finalist des Thüringenpokals der Saison 1990/91. Dort unterlag man im Endspiel dem SV 1910 Kahla und verpasste so ein Erstrundenspiel im DFB-Pokal gegen den FC Rot-Weiß Erfurt. 1994/95 konnte man dann aber an diese alten Erfolge anknüpfen und stürmte erneut in das Endspiel des Landespokals, in welchem man dem großen FC Carl-Zeiss Jena mit 0:1 unterlegen war. Dank des Aufstiegs von Carl-Zeiss in die 2. Bundesliga schlug Motors große Stunde nichtsdestotrotz und man durfte im DFB-Pokal starten. Gegen den FSV Zwickau setzte es in der Saison 1995/96 vor 2.500 Zuschauer im Waldstadion eine 0:1 Niederlage (Torschütze: Hans-Uwe Pilz). Der heutige Platzwart Tino-Ralf Focke hieß damals noch Ralf-Tino und war erster Torwart. Das waren Zeiten! Oder: Früher war alles besser. Sogar Motor Zeulenroda. /hvg
Posted on Oktober 2, 2017
02.10.2017 AC Sparta Praha U21 – SK Slavia Praha U21 1:0 (1:0) / Stadion Strahov, Hřiště Č. 1 / 250 Zs.
Während ich mich noch darüber gräme, dass mir am gestrigen Abend eine 50KČ-Münze aus der Hosentasche gefallen sein muss und ich dies nun zeitnah dem rumänischen Kassenwart beichten sollte, rollt der Tschechenbentley auch schon auf dem Parkplatz des lokalen „Albert Hypermarket“ ein. Neugierig stromern die drei FUDU-Schweine kurz darauf durch die Regale der Getränkeabteilung und verladen palettenweise Dosenbier und das liebgewonnene „Ježek“ in Flaschenform in den Einkaufswagen. Nachdem auch vor dem Schnapsregal alle „Magister“ gezogen worden sind, treten wir unsere Weiterreise nach Praha im nunmehr gut mit Sprit gefüllten Škoda an.
Gut eine Stunde sind wir auf der Autobahn unterwegs, als es plötzlich einen ohrenbetäubenden Knall gibt. Die Fahrerin reagiert geschickt und kann den Wagen mit dem geplatzten Reifen gut unter Kontrolle bringen und in Richtung des Seitenstreifens manövrieren. Nachdem wir alle einmal tief durchgeatmet und uns in schmissige orangene Westen gehüllt haben, verlassen wir das Auto, um das Malheur zu begutachten. Ich bin kein Experte, aber das Ding ist hin, denke ich mir, während ein LKW nach dem anderen in abnormer Geschwindigkeit an uns vorbeizieht. Wenn jetzt irgendein Pavel auf der rechten Spur ein Nickerchen hält und uns zu spät sieht, dann… lieber nicht weiter darüber nachdenken. Es steht ein Reifenwechsel an! Um das von Dosenbier und Schnaps bedeckte Reserverad freizulegen, stelle ich mein „Ježek“ an den Straßenrand und helfe, die alkoholischen Vorräte vor der Leitplanke aufzutürmen. So sieht eine echte tschechische Autopanne aus, Freunde! Beeindruckend kompetent und mit brillantem Teamwork hat das FUDU-Pärchen kurz darauf den schlabberigen Reifen demontiert und durch den freigelegten Reservisten ersetzt. Schnell ist der Kofferraum wieder beladen und die Fahrt wird fortgesetzt. Dass diese ganze Aktion doch Spuren hinterlassen hat, merke ich erst einige Kilometer später. Habe ich doch glatt mein Igelchen auf der Autobahn stehen lassen. War der Schreck offenbar doch größer, als zunächst angenommen.
Kurz vor knapp erreichen wir die „Pension Filip“, die diesem in Alkoholikerkreisen wohl bekannten Namen alle Ehre bereiten kann. Dies gelingt in spielerischer Leichtigkeit in Form des Logos, welches ein Papagei ziert, der ein gut gefülltes Martiniglas in den Krallen hält. Wir müssen den Vogel aber leider links liegen lassen und legen das Einchecken und das Willkommensgetränk erst einmal auf Eis.
Der Fußweg zum „Velký strahovský stadion“ führt etwas bergauf, ist aber auch unter Zeitdruck spielend leicht zu meistern. Ich stehe kurz darauf zum dritten Mal in meinem Leben vor dieser unfassbar riesigen Schüssel, in welcher einst bis zu 250.000 Menschen politischen Veranstaltungen, sozialistisch durchsynchronisierten Turnfesten und Rockkonzerten beiwohnten. Falls sich aus Versehen ein Bildleser hierhin verirrt haben sollte, kann ich zur Einschätzung der Größendimension folgende Serviceleistung anbieten: Der Innenraum des Stadions ist in etwa so groß wie acht Fußballfelder. Reicht ja bekanntermaßen nicht aus, dass man schreibt, der halbe Regenwald sei abgebrannt. Wenn der Deutsche an sich nicht weiß, wie viel das in Fußballfeldern ist, geht empathisch erst mal gar nichts. Sei es wie es sei, auf einem dieser acht Fußballfelder, die alle zur Jugendakademie des Lokalmatadoren AC Sparta gehören, wird heute jedenfalls die U21 im Stadtderby den SK Slavia empfangen und ich endlich in den Genuss kommen, an dieser historischen Stätte erstmals ein Spiel miterleben zu können.
Ohne einen Eintritt entrichten zu müssen, haben wir auf der Tribüne des Hauptfeldes Platz gefunden. Um uns herum bröckelt die Bausubstanz, wunderschöne alte Telefunken-Großlautsprecheranlagen von 1935 schießen pilzförmig aus dem Boden, Oma und Opa lassen sich im Klappstuhl nieder und eine Jugendgang, die den Swag aufdreht, kommt uns bedrohlich nahe. Mit etwas Verwunderung nehmen wir einen modernen Mediencontainer zur Kenntnis, in dem rege Betriebsamkeit herrscht. Videokameras, Monitore und sonstige Technik werden hier emsig umhergetragen. FIFA-Schiedsrichter Pavel Orel eröffnet um 13.00 Uhr die überraschend gut besuchte Partie der „Juniorská Liga ČFL“ vor 250 Zuschauern auf Platz 1.
Es entwickelt sich ein wirklich ansehnliches Fußballspiel auf technisch hohem Niveau. Die Jungspunde bringen naturgemäß alle ein hohes Tempo und eine imposante Dynamik mit auf das grüne Geläuf. Anders als bei unserem letzten Nachwuchskick in Dänemark wird heute aber auch die notwendige Härte nicht vermisst. Jeder ballführende Spieler erhält reichlich Druck seiner Gegenspieler, sodass wenig Zeit bleibt, die Bälle in Ruhe zu verteilen und das eigene Spiel aufzuziehen. Hier zeigt sich, wer das Zeug zum Profi hat und schnell kristallisiert sich heraus, dass Spartas Schwarzafrikaner heute den kreativen Unterschied auf den Platz bringen. Der SK Slavia, der unlängst von einem chinesischen Investor aufgekauft wurde und auch im Nachwuchsbereich mit unsagbar albernen chinesischen Schriftzeichen auf dem Trikot aufläuft, hält mit Körperlichkeit dagegen und hat seinerseits nach 15 Minuten die erste gute Kopfballchance nach einem ruhenden Ball. Dessen ungeachtet bringt Sparta nach und nach seine Qualitäten auf den Platz und ist die tonangebende Mannschaft. Die Überlegenheit wird in der 24. Minute messbar. Nach einer schnellen Ballstafette auf der linken Seite, einer Flanke auf den langen Pfosten und einer mustergültigen Kopfballrückgabe steht der bullige Neuner Lukáš Juliš, der bereits 49 Spiele für Spartas Herrenteam in der höchsten tschechischen Spielklasse bestreiten durfte und dabei neun Treffer erzielen konnte, am ersten Pfosten bereit und verwandelt eiskalt zur Führung der Heimmannschaft. Slavia bleibt bis zur Pause nur sporadisch nach Standardsituationen gefährlich und auch Spartas Fans müssen sich bis zur 44. Minute bis zum nächsten Höhepunkt des Spiels gedulden. Doch Slavias Keeper Martin Otáhal kann seinen eigenen Fehler, beim Herauslaufen zu lange gezögert zu haben, im letzten Moment noch eben gerade wett machen und dem Schützen den Ball in letzter Sekunde vom Fuß kratzen.
In der Halbzeitpause ist der Ärger darüber, dass es keinen Klobása-Grill gibt, schnell verflogen. Trost findet Fetti nämlich in einem Kartoffelpuffer mit Speck und Zwiebeln, der für gerade einmal 15 Kronen und mit reichlich Fett als Geschmacksträger so sehr überzeugen kann, dass etwas später noch ein zweiter in den Schweinemagen wandern wird.
Die 47. Minute wird ganz Fußball-Tschechien monatelang in Aufruhr versetzen. Expertenrunden um Antonín Panenka, Karel Poborský und natürlich Radek Drulák werden sich im TV die Köpfe heiß diskutieren. Was war geschehen? Sparta-Jungspund Dao zieht mit dem Ball am Fuß in den Strafraum Slavias ein, gerät ins Straucheln und stürzt. „Klar in die Hacken getreten!“, konstatiert FUDU auf den Rängen, doch Schiedsrichter Orel hält inne und lauscht den Hinweisen, die er offensichtlich über sein Headset empfängt. Plötzlich ist klar, was es mit diesem Mediencontainer auf sich hat – wir dürfen hier einen der ersten tschechischen Videobeweis-Testballons miterleben. Orel verschwindet im Kabuff und kehrt kurz darauf mit hochprofessionellen stadiontauglichen Gesten zurück auf den Rasen. Ergebnis nach viereckigem Fingerzeig und Videobeweis: kein Strafstoß! Auch die gelbe Karte gegen den Verteidiger wird zurückgenommen und stattdessen dem Angreifer gezeigt, der nun offiziell einer Schwalbe bezichtigt wird und die Welt nicht mehr versteht. Fetti beißt in den Kartoffelpuffer. Wieder was erlebt.
Vom Rest der zweiten Halbzeit wird nicht viel in Erinnerung bleiben. Das Niveau der Partie sinkt kontinuierlich, Sparta verwaltet die Führung seriös und Slavia lässt auch die Gelegenheit, die ihnen der Heimtorwart anbietet, indem er den Ball kurz vor dem eigenen Sechzehner vertändelt, fahrlässig liegen (75. Minute). Eine letzte Chance versieben sie dann in der 82. Minute kläglich, als es eigentlich nur noch gilt, den Ball nach einem klugen Pass in den Rückraum im mehr oder minder leeren Tor zu versenken, es der Angreifer aber schafft, die Kugel gar über den Zaun zu jagen und die Ordner so in den Genuss kommen, das Spielgerät in der wild bewachsenen Botanik zu suchen. Und so beenden die Nachwuchskicker Spartas diesen Spieltag mit einem 1:0 Heimsieg gegen den Lokalrivalen und träumen weiter von der Meisterschaft, während sich Slavia langsam aber sicher im unteren Tabellenmittelfeld sorgen muss, die Meisterrunde zu verpassen.
Nachdem Fetti im Vereinslokal des AC Sparta ein neues Lebensmotto entwickeln konnte („gehta besoffen inne Kneipe, sparta Geld!“) und einen Hopper aus dem Saarland kennenlernen musste, bezieht er mit seinen Freunden endlich das Hotelzimmer. Schnell werden einige Getränke und das Reisegepäck durch das Fenster des Erdgeschosszimmers gereicht, ehe sich Fetti nach dem erfolgreichen Verladen in die Kette historischer tschechischer Begebenheiten einreiht und erfolgreich aus dem Fenster stürzt. Der vierte schon!
Aufgrund der viel zu hohen Touristendichte wird die Sehenswürdigkeitentour auf das Nötigste begrenzt. Den „Petřínská rozhledna“, einen verkleinerten Nachbau des Eiffelturms, hat von uns trotz mehrmaliger Pragbesuche noch niemand gesehen und wird daher zielstrebig angesteuert. Ein Besteigen des Turms wird aber aufgrund der abnormen Eintrittspreise und wegen des Umstandes, dass Nadjuschkas Lothar-Matthäus-Muskel kurz vorher beim Kraxeln durch den Park dicht gemacht hatte, verworfen. So entschließen wir uns stattdessen, im nahe gelegenen „Restaurant U Kříže“ bei leckerem Gulasch in den Tag der Deutschen Einheit hineinzuvöllern.
Recht bald hat Fetti angenehm einen in der Krone und für nur 24 Münzen selbiger Währung wird der Rückweg zum Hotel touristisch dekadent mit der Standseilbahn angetreten. Das Absackerbier im Hotelzimmer wird vom tschechischen Spitzenfernsehsender „Šlágr TV“ musikalisch untermalt. Wenn man denkt, man hat in seinem Leben bereits alles an Absurditäten erlebt, gibt es immer noch einen, der einen oben drauf setzt. Und so glauben wir unseren Augen kaum zu trauen, als plötzlich fünf Tschechen mit Sombreros und ihrer mexikanischen Mariachi-Musik mit tschechischen Texten in die volkstümliche Traktoren-Idylle platzen. Diese Welt ist in ihrer Verrücktheit wohl nicht mehr zu retten. In uns platzen Träume, Hoffnungen, Adern. Aber alles besser, als noch ein geplatzter Reifen. /hvg
Posted on Oktober 1, 2017
01.10.2017 FC Vysočina Jihlava – SK Sigma Olomouc 0:1 (0:0) / Stadion v Jiráskově ulici / 3.043 Zs.
Am Frühstückstisch zeigt sich die Reisegruppe erstmals an diesem Wochenende uneinig. In etwa 1.200 Kilometern Entfernung wird heute Abend an der Côte d’Azur der OGC Nice auf Olympique de Marseille treffen. Das Duell elektrisiert die Massen bis nach Praha, worauf hindeutet, dass ein Mitglied der Reisegruppe in Nizzabuchse, ein anderes in Marseillenicki zum Frühstückstermin erscheint. Gerade droht die Situation zu eskalieren, als der Gastwirt den ersten Kaffee des Morgens reicht. Dazu zeigt er auf seinem Laptop Bewegtbilder aus seiner Heimatstadt Hà Nội und sorgt somit einerseits für weitere geographische Verwirrung, andererseits für endgültige Entspannung der Situation.
Nach dem Frühstück wagen nur drei Viertel des Vierbettzimmers den Gang in die grenzwertig hygienische Gemeinschaftsdusche auf dem Flur. Der Wirtschaftsflüchtling gibt an, dass Pilze sammeln nicht zu seinen allergrößten Hobbys zählen würde und bittet um Asyl beim FUDU-Pärchen. Kurz darauf wird ihm der Zugang zu einer Luxus-Suite mit eigenem Badezimmer gewährt, während der schäbige Rest auf den Schreck erst einmal ein Bier auf dem Parkplatz trinkt.
Dort kommt es wenige Minuten später zu einer emotional aufwühlenden Abschiedssequenz, da nur 50% der Reisegruppe die Weiterreise nach Jihlava antreten werden. Kurz bevor die andere Hälfte im kleinen Bruder des Tschechenbentley Platz nehmen kann, befördert ein Mitglied der Reisegruppe Sachsen sein Frühstück wieder zu Tage. Was will man machen. Dresden ist nun mal einfach zum Kotzen.
Knapp 90 Minuten später haben das FUDU-Pärchen und meine Wenigkeit das 50.000 Einwohner-Städtchen Jihlava erreicht und das Automobil auf dem Hotelparkplatz abgestellt. Bei einem ersten Stadtbummel erweist sich der Igel als omnipräsentes Tier. Auf Werbeplakaten. Auf Gullideckeln. Auf Mülleimern. Überall. Der Hintergrund der Verbundenheit zu diesem Tier ist schnell ermittelt: Jihlava liegt an der Grenze zwischen Böhmen und Mähren, just dort, wo die Jihlávka (→ die kleine Igel) in den Fluss Jihlava (→ die Igel) mündet. Im deutschsprachigen Raum hat diese Lage der Stadt den Namen „Iglau“ beschert und sogar im Stadtwappen ist der Igel als Repräsentant vertreten.
Wir schlendern ein wenig über den Masarykovo náměstí (Ringplatz), der als der schönste Platz der Stadt gilt. Hier gibt es das Rathaus und die Kirche des heiligen Ignatius zu bewundern, allerdings keinen Hinweis darauf, wo sich der Zugang zu den Katakomben befindet. Vorab war recherchiert worden, dass Jihlava als ehemalige Bergbaustadt über ein unterirdisches Labyrinth verfügt. Dieses befindet sich in bis zu 14 Metern Tiefe, ist ca. 25 Kilometer lang und 50.000 Quadratmeter groß. Ganz schön viel Aufwand, den die Bergleute da betrieben haben, nur um nach Feierabend noch ein wenig ungestört Trinken zu können. Etwas ernüchternd ist jedoch der Umstand, dass die Katakomben in Znojmo noch ein wenig größer sind und für Jihlava daher nur der Claim „Erleben Sie die zweitgrößten Katakomben der tschechischen Republik!“ bleibt. Für FUDU ist damit die Entscheidung gefallen, dieser Sehenswürdigkeit keinen Besuch abzustatten. Nur das zweitgrößte? Das kann ja nun wirklich nicht unser Anspruch sein!
Stattdessen wird das Brána Matky Boží besichtigt, welches in sämtlichen Medien mit „Frauentor“ übersetzt wird, lediglich der Wikipedia-Autor weiß es besser und hat es auf den Namen „Mutter-Gottes-Tor“ getauft. Fakt ist jedoch, dass es sich um das einzig erhaltene Stadttor von ehemals fünf mittelalterlichen Toren handelt und ein recht passables Fotomotiv darstellt.
Nach dieser kräftezehrenden touristischen Exkursion liegt der Fokus im Anschluss recht schnell auf dem Themenkomplex Nahrungsaufnahme. Heute darf es dann gerne so urig wie möglich zugehen, nachdem man gestern das wohl untschechischste Essen aller Zeiten im Land des Knödels und Krauts serviert bekam. Kurz darauf hat Fetti sich wieder einmal selbst übertroffen und seine Freunde werden von ihm zielsicher in eine Ritterburg geführt. Das „Restaurace Na Hradbách“ ist eines dieser wunderbaren böhmischen Lokale, in denen man für die Verwendung des Wortes „vegan“ auf den Scheiterhaufen geworfen würde und so ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die hungrigen FUDU-Schweine über deftige Fleischteller hermachen. Mein mit Käse aus Olomouc (ausgerechnet Olomouc!) gefülltes Schnitzel würde ich jedenfalls jederzeit wieder bestellen, auch weil man über den „Olomoucký tvarůžek“, der als einziger ursprünglicher tschechischer Käse gilt, eine kleine Randanekdote erzählen kann, die diesen Bericht enorm bereichern wird. Also folgt ein…
… Einschub, der nun wirklich gar nichts mit Fußball zu tun hat. Thema: Bananenknappheit in der USA und die kreative Aufarbeitung des Dilemmas.
Im Jahre 1922 kam es in den Vereinigten Staaten von Amerika zu einer Bananenknappheit. Grund hierfür waren Lieferengpässe aus Brasilien, die aufgrund einer Braunfäule der Bananenpflanzen zu Stande gekommen waren. Der Broadway verarbeitete dies musikalisch und der Song „Yes! We have no Bananas!“ entstand. Die eingängige Melodie wurde alsbald nach Deutschland transportiert und fand sich in dem schmissigen Schlager „Ausgerechnet Bananen!“ wieder. In dem Lied heißt es:
„Ausgerechnet Bananen,
Bananen verlangt sie von mir!
Nicht Erbsen, nicht Bohnen, auch keine Melonen,
das ist ein‘ Schikan‘ von ihr!
Ich hab Salat, Pflaumen und Spargel,
auch Olmützer Quargel,
doch ausgerechnet Bananen,
Bananen verlangt sie von mir!“
Wer in dem Text jetzt meinen Käse wiedergefunden hat, darf ihn behalten. Einschub Ende.
Gut gesättigt checken wir endlich in unserem Hotel ein, dessen Lobby zur Freude für Fans von Randsportarten mit diversen Eishockeytrikots geschmückt ist. Auf dem Weg zum Stadion begegnen wir ziemlich vielen abgestürzten Typen und küren „Alcoholix“ zum neuen Gruppenmaskottchen, sofern Fetti andere Maskottchen neben sich dulden sollte.
Das Stadion v Jiráskově ulici erreichen wir nach einem kurzen Fußweg. Die Flutlichtmasten, die schon aus der Entfernung deutlich sichtbar sind, versetzen uns bereits in Verzückung. Mit dem modernen Fußball kann von uns niemand etwas anfangen und bei dem einen oder anderen Transfer kann man sich schon die Frage stellen: „Wieso China?“. Aber bei Vysočina ist die Welt noch in Ordnung – eine bessere Eselsbrücke kann ich nicht anbieten, um sich diesen Vereinsnamen zu merken. Die wohl niedlichste Sitzplatztribüne seit Bayern Hof überzeugt genauso wie die gammelige Gegengerade, der preiswerte Eintritt und die charmante Regel, dass Igel unter 1,30m umsonst in das Stadion dürfen. Das bunte Igelmaskottchen als solches braucht zwar auch kein Mensch, aber immerhin haben offenbar einige gewaltaffine Fans aus Ostrava dem hampelnden Ungetüm bereits den einen oder anderen Stachel gezogen.
Den ersten Spielabschnitt verfolgen wir von der modernen Hintertortribüne, die so gar nicht zum Rest des Stadions passen mag. Die Bierverkäuferin ist aber auf zack, versorgt uns mit Flüssignahrung und so stellt sich schnell Zufriedenheit mit unserer Platzwahl ein. Außerdem verhält es sich mit der Aussicht so wie im wahren Leben des kleinen Mannes: Schon geiler im Plattenbau zu wohnen und auf einen Park mit Stadtvilla zu gucken, als andersherum.
Die Gäste aus der Käsestadt starten dann gut in das Spiel, treten dominant auf und verzeichnen in der 16. Minute die erste Großchance, doch Tomáš Zahradníček verpasst leicht bedrängt das leere Tor, nachdem er den Heimkeeper Jan Hanuš bereits umkurvt hatte. Sigma bleibt eine halbe Stunde lang das gefälligere Team und hätte spätestens nach 37 Minuten die Führung verdient gehabt, doch einen wunderbar getretenen direkten Freistoß kann Hanuš noch gerade eben so an das Lattenkreuz lenken. Der kleine, aber feine Fanblock Jihlavas scheint eine innige Beziehung zum Schlussmann zu pflegen und feiert ihn mit eigenen Sprechchören, woraufhin Hanuš winkend zurück grüßt. Seinen Negativhöhepunkt findet die Partie dann beinahe in der Nachspielzeit, als ein verunglückter Fernschuss Sigmas um ein Haar die Bierfrau und ihr gut gefülltes Tablett getroffen hätte. Es ist davon auszugehen, dass bei einem Treffer das Spiel sofort abgebrochen worden wäre. Mit Bier treibt man in Tschechien kein Schindluder!
In der zweiten Hälfte wechseln wir auf die Gegengerade und verschaffen uns nun einen genaueren Einblick in das Gesangsrepertoire der gut 50 Gästefans, die die 180 Kilometer heute zurückgelegt haben. Auf dem Rasen kann Jihlava nur ganz vereinzelt offensive Akzente setzen, doch Sigma dominiert die Partie weiterhin. In der 66. reißt ein schöner Pass die Abwehr der Heimmannschaft auf, aber Jiří Texl scheitert abermals im Duell mit dem Torwart. Einige Schüsse aus der zweiten Reihe verfehlen das Ziel nur knapp und in der 70. Minute versucht es ein Sigma-Stürmer mit einer Schwalbe, auf die ich persönlich hereingefallen wäre und auf Elfmeter entschieden hätte, nicht jedoch der souveräne Schiedsrichter. Im Anschluss rettet immer wieder Hanuš seine Farben vor dem Rückstand (72., 77., 79.). Das Remis ist längst als überaus schmeichelhaft zu bezeichnen, ehe in David Houska der auffälligste Offensivakteur der Gäste den Bann in der 87. Minute mit einem Flachschuss aus Nahdistanz endlich brechen kann. Verdienter kann man wohl keinen Auswärtssieg einstreichen.
Nach der Partie kehren wir noch in der Hotelbar ein und treffen endlich auf den angenehmsten Igel des Tages. Die „Ježek“-Brauerei schickt ihr in Jihlava gebrautes Bier ins Rennen, kann vollends überzeugen und eine neue tschechische Vokabel wandert in FUDUs Wortschatz. Ježek heißt: Igel. Und Fetti wohnt jetzt hier. /hvg
Posted on September 30, 2017
30.09.2017 FK Dukla Praha – AC Sparta Praha 0:0 (0:0) / Stadion Juliska / 6.547 Zs.
„Danger-Mike“, seines Zeichens glühender Anhänger der BSG Wismut Aue, ist kürzlich aus seinem Nepal-Urlaub zurückgekehrt. Ein besonderer Urlaub, da er bei seinem vorangegangenen Ausflug in das Himalaya-Gebirge das Erdbeben-Drama von 2015 am eigenen Leib miterleben musste. Nun berichtet er von Leid und Elend, zerstörten Straßen, Häusern, brachliegender Infrastruktur und finanzieller Not, um all die Schäden wieder zu beheben. Wir fahren durch das Erzgebirge, ich schaue aus dem Fenster und frage mich, ob er noch immer von seinem Urlaub oder von seiner Kindheit in Sachsen erzählt.
Ehe ich eine Antwort auf diese Frage finde, haben wir das neue Stadion der Erzgebirgler auch bereits erreicht. Dieses ist nunmehr zu drei Vierteln fertiggestellt und hat in etwa drei Viertel seines einstigen Charmes eingebüßt. Die schönen breiten Stufen in den Kurven, die wunderbare Aussicht in das Gebirge, die große Anzeigetafel aus dem Parkstadion – alles Geschichte. Dafür erhält man nun ein Stadion der Marke Einheitsbrei, bei dem aber immerhin die alten Flutlichtmasten erhalten bleiben. Ich verabschiede mich von der Wagenladung Auer Fußballfreunde und kann mich 90 Minuten später gemeinsam mit dem „Wirtschaftsflüchtling“ über einen 2:1 Auswärtssieg des 1.FC Union Berlin freuen, welchen ich aufgrund der baulichen Situation gemeinsam mit nur 1.448 anderen Auswärtsreisenden stehend auf den neuen Sitzschalen erleben durfte.
Aufgrund der Eintrittskartenknappheit hatte leider auch das FUDU-Pärchen in der Schlacht am kalten Ticketbuffet das Nachsehen. Dennoch haben die beiden sich mit dem Tschechenbentley auf den Weg gemacht und diverse Wutbürgerhochburgen (Freital, Pirna, Heidenau) passiert, während im Radio MDR Sachsen der Liveübertragung des Spiels aus dem Erzgebirgsstadion in schlechter Qualität gelauscht wurde. Ich persönlich gehe ja davon aus, dass es für einen sächsischen Radiokommentator keinen schöneren Namen als „Grischa Prömel“ geben kann, aber das nur nebenbei. Auch im Radio hat der 1.FC Union letztlich mit 2:1 gewonnen und die beiden vermelden bereits ihre Ankunft in unserer gemeinsamen Prager Pension in unmittelbarer Nähe des Stadion Juliska, in dem heute Abend um 20.00 Uhr das kleine Stadtderby stattfinden wird.
Bedauerlicherweise können sie ihr Zimmer jedoch noch nicht beziehen, da der heute gastgebende FK Dukla die Herberge als Tageshotel für die Spielvorbereitung nutzt. Während Torwart Filip Rada genüsslich am Fenster im Korbstuhl eine Zigarette nach der anderen durchzieht, hat das FUDU-Pärchen eine organisatorische Hausaufgabe zu bewältigen. Da in Aue die Reisegruppe nach Abpfiff spontan von drei auf vier Menschen angewachsen ist, gilt es, den „Sprengmeister“ dazuzubuchen und eine Aufbettung in die Wege zu leiten. Letztere Aufgabe scheint auf den ersten Blick nicht sonderlich kniffelig zu sein, da es sich bei unserem gebuchten Zimmer ohnehin um eines mit vier Betten gehandelt hatte, doch der Teufel steckt wie so oft im Detail. Die Leiter für das Doppelstockbett ist nämlich unauffindbar und so geht Familie Hooleisel gemeinsam mit dem tschechischen Herbergsvater (mit vietnamesischen Migrationshintergrund) auf die Suche durch die Katakomben der etwas verwohnten Absteige. Am Ende wird der asiatische Sprossen- und Keimlingsexperte fündig und so kann man abschließend erleichtert festhalten: Leiter geil!
Von all dieser Aufregung bekommen wir im kleinen Bruder des Tschechenbentley gar nichts mit. Das bereits gesehene Fußballspiel wird mit Beginn der Abreise aus Aue diplomatisch geschickt thematisch ausgespart. Während wir über die Autobahn in Richtung Praha brettern, haben wir schnell bemerkt, dass sämtliche Werbetafeln heute nicht ihrem eigentlichen Zweck dienen, sondern mit tschechischen Nationalflaggen geschmückt sind. Vermutlich sind hier bereits die Vorbereitungen im vollen Gange, die Gründung der ersten tschechoslowakischen Republik am 28.10.1918 im Rahmen eines Nationalfeiertags zu würdigen.
In Praha angekommen, hat die nun vollständige Reisegruppe mit dem Herbergsvater schnell geklärt, dass die asiatische Küche auch nach Abpfiff für uns ihre Pforten geöffnet halten wird. So können wir uns vor dem Beginn des Spiels darauf konzentrieren, kühles tschechisches vom Hahn zu verköstigen, ohne durch sinnlose anderweitige Nahrungsaufnahme wertvolle Zeit zu vergeuden. Nadjuschkas akribische Vorbereitung, die daraus bestand, auf tschechisch „Fünf Bier, bitte!“ zum Besten geben zu können, ist natürlich durch die Umbuchung zu Nichte gemacht, doch das größere Problem besteht ganz offenkundig darin, dass der Kneipe aufgrund des Ansturms der Sparta-Fans aktuell die Biergläser ausgegangen sind. Am Ende haben wir dann aber doch sechs (= „šest“; auch das hätte ihr ihr ach so hilfsbereiter Medizinstudent aus Hradec Králové ruhig noch beibringen können!) formvollendete Pivo vor uns stehen und jeder gerade einmal 28 Kronen weniger in der Tasche.
Teile der Reisegruppe haben das Stadion Juliska bereits einmal gekreuzt. Im April 2015 waren jedoch lediglich 1.898 Zuschauer zugegen, als Dukla die Gäste aus Jablonec mit 1:0 besiegen konnte. Heute besteht Hoffnung auf eine wesentlich höhere Zuschauerzahl und einen Gästeanhang, der dem wuderschönen Juliska mit seiner markanten Haupttribüne und dem malerischen Ausblick aus der Höhe auf Praha etwas Leben einhauchen wird.
Das Gedrängel vor den Kassenhäuschen lässt dann schnell erahnen, dass sich genau diese Hoffnung erfüllen werden wird. Leider ist auch der Eintrittspreis dem Spektakel angepasst worden und so wechseln – für tschechische Erstligaverhältnisse abnorme – 180 Kronen den Besitzer, bevor wir die steil gebaute und den Rest des Stadions deutlich überragende Haupttribüne betreten dürfen. Diese ist bereits sehr gut gefüllt und es lässt sich nicht überblicken, ob es überhaupt noch irgendwo sechs nebeneinander gelegene Plätze zu erobern gibt. Lediglich ein paar Verliererplätze im unteren Drittel der Tribüne sind noch sichtbar verwaist, aber angesichts der weiten Laufwege zum Bierstand können diese FUDUs Herzen nicht im Sturm erobern. Als dann auch noch Klops&Kloppi in kompletter Union-Kutte gesichtet werden, gilt es schamerfüllt die Flucht anzutreten. FUDU entscheidet sich für die Stehränge auf der gegenüberliegenden Seite und freut sich bereits darauf, die Sparta-Anhängerschaft im Blick haben zu können.
Auf der Gegengerade wird uns jedoch der Eintritt verwehrt, da unsere teuren Tickets für die billigen Plätze keine Gültigkeit besitzen. Sehr gute Haltung. Immer schön den Pöbel von der High Society trennen! Dass wir jedoch eher zu ersterer Kategorie gehören, stellen wir in den folgenden 90 Minuten eindringlich unter Beweis. Hinter dem Tor im Kurvenbereich, der eigentlich für Journalisten und Policie freizuhalten und deswegen abgesperrt ist, finden wir einen zufriedenstellenden Stehplatz. Außer uns kommt niemand auf die Idee, sich hier in das Nirwana des Stadions kurz vor den Tannenwald zu stellen, sodass lediglich ein pickeliger 16-jähriger mit Schülerlotsenautorität zur Überwachung abgestellt wurde. Dieser versucht uns nun auf tschechisch zu erklären, dass wir hier nicht stehen dürften. Wir verstehen ihn nicht und er spricht kein Englisch, woraufhin er schulterzuckend und mit angsterfülltem Blick das Weite sucht. „Danger-Mike“ fängt an zu rauchen (verboten!) und jedes zweite Bier wird wild pinkelnd im Tannenwald entsorgt (verboten!). Da aber auch diese Vokabeln nicht Teil der Vorabschulung Nadjuschkas gewesen waren, verstehen wir diese Verbote leider ebenfalls nicht und haben somit endgültig etwas für den Ruf deutscher Krawalltouristen im Ausland beigetragen. Immerhin hat der Teenager einen Lerneffekt zu verzeichnen, indem er erfahren durfte, dass auch die Macht einer Uniform endlich ist. Gerngeschehen!
Währenddessen rollt der Ball eher langsam über den Rasen. Nach 20 Minuten haben beide Teams ihre ersten Halbchancen vergeben und es entwickelt sich ein wirklich unattraktives Spiel vor 6.500 Zuschauern, darunter knappen 4.000, die es mit Sparta halten. Der maue Kick wird auch durch die Kulisse nicht nachhaltig aufgewertet. Aus dem „Sparta-Block“, der sich inmitten der großen Haupttribüne befindet, gibt es keinen organisierten Support, kaum Gesänge, kaum Anfeuerungsrufe, sodass es ausreichend Gelegenheit gibt, sich mit den Personalien beider Clubs auseinanderzusetzen. Freunde des Fußballs der 90er-Jahre kommen vor allen Dingen mit Blick auf den Sportchef des FK Dukla vollends auf ihre Kosten. Wer von euch hat alles Günter Bittengel im Bayer-Uerdingen-Trikot in sein Paniniheft geklebt?
In der zweiten Halbzeit wird der erste aufkommende Hunger der Reisegruppe dann stilecht mit einer Klobása gestillt, die hier bei Dukla ebenfalls gut 30 Kronen teurer ist als anderswo. Die: Armeeschweine, wir: arme Schweine! Im Schatten dieses finanziellen Husarenritt hat unser pubertierender Privatordner mittlerweile kapituliert und auf dem Rasen und den Rängen kehrt so etwas wie Leben ein. Nach einem Böllerwurf in der 50. Minute eines Sparta-Fans gerät die Tribüne in Bewegung und einige Bierbecher fliegen wild hin und her. Da konsequent auf Fantrennung verzichtet wurde, ist sicherlich der eine oder andere Wirkungstreffer auf kurzer Distanz erzielt worden. Wir freuen uns darüber, dass auf Seiten Spartas Tomáš Rosický nach gut einer Stunde eingewechselt wird und verzeichnen nach 64 Minuten den ersten und einzigen echten Höhepunkt der Partie, als Duklas Mittelstürmer Holenda alleine vor dem Torwart auftauchend mit seinem Schuss am Pfosten scheitert. Das Spiel endet mit einem gellenden Pfeifkonzert der vielen Sparta-Fans, die aber angesichts zweier weiterer Halbchancen Duklas in der Nachspielzeit mit dem Remis zufrieden sein sollten.
Wir eilen aufgrund einsetzender Abendkühle geschwind in die Asiaküche des Vertrauens, in der der Wirt wie versprochen um 22.00 Uhr noch einmal den Wok für uns anschmeißt. Etwas skurril mutet es schon an, in einem Prager Außenbezirk in einer Kaschemme zu sitzen und asiatisch zu dinieren, das aber wenigstens zu tschechischen Preisen. Und am Ende des Abends ist es auch gar nicht mehr so schlimm, dass niemand weiß, wie man sechs Bier in der Landessprache bestellt. Es sei denn, der Medizinstudent hätte uns auch in der nun gültigen Landessprache etwas an die Hand geben können. Xin vui lòng cho sáu ly bia! /hvg
Posted on September 17, 2017
17.09.2017 U.S. Sassuolo Calcio – Juventus FC 1:3 (0:1) / Stadio Giglio / 21.584 Zs.
Der 1.FC Union Berlin hat sein Heimspiel gegen Eintracht Braunschweig am Freitagabend mit 1:1 erneut nicht siegreich gestalten können. Nach Abpfiff eilt Fetti dieses Mal recht geschwind aus dem Stadion, nicht aber aus Enttäuschung ob der dargebotenen Leistung. Als Anhänger des 1.FC Union sollte man schlimmeres gewohnt sein, als eine kleine Durststrecke im oberen Tabellendrittel der zweiten Bundesliga auszuhalten. Auf den ersten Blick möchte man es gar nicht glauben, aber Fetti ist einfach ein echter Gewinnertyp, obwohl er es mit einem Verliererverein hält. Er jedenfalls entschwindet schnell, weil er sein Wochenende abermals gewinnbringend verplant hat. Es geht endlich einmal wieder nach Italien!
Kapitel 1: Die Anreise
Und so stehen mein Bianconeri-Bruderherz und ich am Samstagmorgen zu einer echten Unzeit am U-Bahnhof Frankfurter Tor und treten die Reise in Richtung Reggio Emilia an. Jene Stadt in der Emilia Romagna, die für mich selbstverständlich in erster Linie mit einem weltbekannten pädagogischen Konzept in Zusammenhang steht. Das progressive Konzept der „Reggio-Pädagogik“ wurde in den 1970er Jahren entwickelt und gut zwanzig Jahre später zum weltweit besten Programm frühkindlicher Bildung gekürt. Mit den genauen Inhalten will ich euch nicht langweilen, aber wenigstens mit einem kleinen Augenzwinkern darauf hinweisen, dass Berlin im Jahre 2003 erstmals mit einem für alle Kindertagesstätten gültigen Konzept aufwarten konnte. Respekt.
Am Flughafen Schönefeld ist das „Christinen Carat Naturelle“, also das stille Wasser im Tetra Pak, das ich mir immer für einen Euro kaufe und am Ende einer jeden Reise ungeöffnet wieder aus meinem Rucksack hole, heute leider ausverkauft. Es fällt mir schwer, mit Gewohnheiten zu brechen und ich kann nur hoffen, dass wenigstens im weiteren Verlauf der Reise nichts mehr schiefgehen wird.
Im Flugzeug erfahre ich dann aber sogleich, was echte Probleme sind. Die wasserstoffblondierte Dame vor uns hat sich doch allen ernstes soeben einen Fingernagel abgebrochen und jammert nun ihrem Freund die Ohren voll. Ausgerechnet am Handtaschenärmchen! Wie konnte das nur passieren? Und wie das weh tut! Da kommt sie natürlich nicht umhin, per Knopfdruck eine Stewardess an den Platz zu beordern. Die Frage: „Can I have a Pflaster?“ kann dann leider auch nicht zu ihrer Zufriedenheit beantwortet werden. Kurz darauf sind wir in Bergamo gelandet, sitzen im Shuttlebus in die Innenstadt und werden, wie überraschend oft in Italien, von Ticketkontrolleuren belästigt. Nach erfolgreicher Kontrolle haben wir dann knapp zwei Stunden Zeit für ein ausgiebiges Frühstück, wobei sich das Tischgebet natürlich mit dem Schicksal der Fingernagellosen auseinandersetzt und ihr viel Kraft und erfolgreiches Überleben wünscht.
Im Zug nach Reggio Emilia werden wir nicht kontrolliert, fallen aber trotzdem positiv auf, als wir einer etwas orientierungslosen Zugbegleiterin erklären, in welchem Zugabteil sie sich aktuell befindet. Etwas spektakulärer als die Fahrt an sich ist dann der Weg vom Bahnhof zu unserem Hotel, welcher uns schnurstracks am „Stadio Comunale Mirabello“ vorbeiführt. Bis in das Jahr 1993 stellte dieses Stadion die Heimspielstätte für die A.C. Reggiana Calcio dar, ehe man sich nach dem Aufstieg in die Serie A in selbigem Jahr für den Neubau eines modernen Stadions entschied. Heuer spielt der Club nur noch in der Serie C und dennoch ist das eigentliche Heimatstadion mit nur noch 4.400 Plätzen eine Nummer zu klein. Noch immer besuchen knapp 5.000 Tifosi im Schnitt die Spiele der nach einer Insolvenz neugegründeten A.C. Reggiana. An der Tribünenwand befindet sich ein Stencil eines Fußballspielers namens „El Trinche“, von dem ich noch nie etwas gehört habe und mich gerade deshalb auf die nachträgliche Recherche freue.
[ Exkurs: Tomás “El Trinche“ Carlovich]
Das über booking.com reservierte Hotel stellt sich dann recht schnell als eher ungewöhnlich heraus. Aus Prinzip verzichte ich auf Buchungen über Portale wie „Airbnb“, weil ich etwas idealistisch die Grundhaltung einnehme, dass man als Tourist gefälligst aufzupassen hat, den Wohnungsmarkt der Städte, die man besucht, nicht zu beschädigen. Nun stellt sich leider heraus, dass man auch über booking an solche Angebote geraten kann. Wir befinden uns inmitten eines Wohngebiets und haben am Klingelbrett einen kleinen Hinweis auf das „B&B Santa Maria“ gefunden. Ganz offenbar hat sich ein findiger Italiener in einem Mehrfamilienhaus eine Wohnung gekauft, die er an Touristen vermietet. Klar, dass man zu dieser Zeit auch noch nicht einchecken kann, weil es keine Rezeption im klassischen Sinne gibt. Nach einer telefonischen Absprache und einer Verabredung zum 17.00 Uhr Check-In erkunden wir die Stadt entgegen unsere eigentlichen Absicht mit unserem Reisegepäck auf dem Rücken.
Als wir in Richtung Innenstadt laufen, stockt uns kurz der Atem. Mitten auf einem großen Platz haben sich zwei Autos ineinander verkeilt, das Rote Kreuz steht drumherum und Menschenmassen über Menschenmassen begaffen das Szenario. Wir wollen uns der Schaulust nicht schuldig machen, biegen ab, erreichen die Altstadt und müssen mit ansehen, wie in der ersten kleinen Gasse ein Mensch vom Roten Kreuz reanimiert wird. Na, hier ist ja was los. Etwas skeptisch werden wir dann auf dem Marktplatz, der ebenfalls mit Krankenwägen, Sanitätern und Informationsständen übersät ist. So langsam dämmert es uns, dass hier irgendein Treffen des italienischen Roten Kreuzes stattfindet und an verschiedenen Orten der Stadt Unfälle simuliert werden, die die Einsatzkräfte zu meistern haben.
Wir kehren in einer netten Bar ein, von deren Terrasse aus wir dem Roten Kreuz Apulien bei der Arbeit zuschauen können. Die Einsatzleiterin schreit sich die Lunge aus dem Leib, während die überaus charmante Kellnerin uns in brüchigem Englisch die Bierkarte erklärt. Ich entscheide mich für ein dunkles Starkbier, während mein Bruder etwas experimentierfreudiger ist und sich von dem „Salad from the Sea“-Bier überzeugen lässt. Unseren Tipp, dass es sich bei ihrer Umschreibung um das Wort „Alge“ handelt, bestätigt sie gestenreich und voller Freude darüber, verstanden worden zu sein. Das italienische Wort „alga“ hätte es dann aber wohl auch getan…
Nachdem das Bier genossen wurde, kehren wir im Tourismusbüro ein und versorgen uns mit Stadtplänen. Die freundliche Dame kringelt wie von allen guten Geistern verlassen alle Sehenswürdigkeiten Reggio Emilias ein und man muss sich schon große Sorgen um die zwei-drei Quadratmeter der Stadt machen, die von ihrem Kugelschreiber verschont geblieben sind. Wie es da wohl aussehen mag? Vom „Piazza Antonio Fontanesi“ und seinen prunkvollen Arkaden schwärmt sie ganz besonders und wir malen uns vor unserem inneren Auge das zu Erwartende in den prächtigsten Farben aus.
Nun gilt es aber zunächst einmal, uns an die Verabredung mit unserem Gastgeber zu halten. Pünktlich werden wir in Empfang genommen und nur wenig später werden uns die Hausregeln verklickert. Kein Alkohol im Zimmer, bitte. Die letzten Gäste hätten sich nicht gut benommen, weiß Mario Montanari uns zu berichten, während er beiläufig eine angebrochene Flasche Gin von Omas Anrichte im Flur entfernt. Man muss jetzt nicht unbedingt kriminalpolizeilich ausgebildet sein, um herauszufinden, welchen Gästen man diese strenge Ansprache zu verdanken hat. Am 14.09. hatte Atalanta aus Bergamo den Everton FC in Reggio Emilia empfangen, da sich ihr eigenes „Stadio Atleti Azzuri d’Italia“ aktuell im Bau befindet. Keine weiteren Fragen an der Stelle.
Kurz nachdem wir erfahren haben, dass es in unserem Bed&Breakfast-Schuppen leider kein Breakfast für uns geben wird, stehen wir auch schon an der Kasse des „Conad“ von nebenan. Dort stellen wir uns an wie die ersten Menschen, verstehen das unschlagbare Angebot, zwei Wurstpackungen zum Preis von einer zu erhalten nicht und kaufen zu allem Überfluss auch noch einen Würfel Trockenhefe statt Butter, wie wir am nächsten Morgen feststellen werden. Ideal für „Pane et Dolci“, nicht aber, um es auf Toastbrot zu verschmieren.
Doch bevor man sich mit den Problemen des Morgens auseinandersetzt, muss man zunächst einmal den Abend in Reggio Emilia gestalten – und das ist schwer genug. Die Industriestadt mit historischem Stadtkern ist nämlich einigermaßen ausgestorben und auch die Suche nach einer Lokalität, in der wir die Roma gegen Hellas Verona im Fernsehen spielen sehen können, gestaltet sich schwierig. Kurz vermag uns das „Festa Della Birra“ mit einem Pink Floyd Tribute Band Konzert in Verzückung zu versetzen, doch eine kurze Recherche ergibt: 7 Kilometer Entfernung, fußläufig nicht erreichbar, Busverbindungen nachts zurück in die Stadt Fehlanzeige. Via Nervi!
Irgendwann haben wir dann doch eine Kneipe gefunden, die unheimlich italienisches Flair versprüht und so trinken wir in der „Brasserie des Amis“ ein „Löwenbräu Oktoberfestbier“, während im Hintergrund Hellas Verona bereits am 4. Spieltag augenscheinlich dem Abstieg entgegentrudelt.
Am Ende des Abends kehren wir noch auf der sagenumwobenen „Piazza Antonio Fontanesi“ ein, beäugen die drei-vier Säulengänge und konstatieren: Aha. Nett hier. Aber waren sie schon einmal in Torino oder Genova? Das ist das Schicksal der Weitgereisten – so leicht zu begeistern sind wir nicht mehr. Ebenfalls wenig Begeisterung lösen die Getränkekarten aus, die einem auch hier ausschließlich deutsches Bier anbieten. Da wir keine „Spaten“ sind, verzichten wir auf die erstbesten Gelegenheiten und finden am Ende Trost in einer hippen Craftbeer-Bar, in welcher es aber immerhin einheimisches Pils aus Triest käuflich zu erwerben gibt.
Kapitel 2: Das Spiel
Am Sonntag können wir uns nach unserem Hefewürfel-Frühstück endlich dem Spieltag widmen und uns mit dem gastgebenden Verein auseinandersetzen. Sassulo ist ein Örtchen in der Emilia Romagna mit knapp 40.000 Einwohnern. Das städtische „Stadio Enzo Ricci“ fasst lediglich 4.008 Zuschauer und ist daher bereits seit dem ersten Aufstieg der Vereinsgeschichte in die Serie B im Jahre 2007 (übrigens unter dem heutigen Juve-Trainer Massimiliano Allegri) nicht mehr die Spielstätte der grün-schwarzen. Zunächst wich man nach Modena aus und seit dem Aufstieg in die Serie A im Jahre 2013 pendelt man regelmäßig in das 27 Kilometer entfernte Reggio Emilia.
Dort sind die Arbeiten am neuen Stadion nach einer Bauzeit von bemerkenswerten acht Monaten im August 1995 für beendet erklärt worden. Dank des Einsatzes diverser Betonfertigteile hielten sich auch die Kosten mit 15 Millionen Euro in einem überschaubaren Rahmen. Entstanden ist ein recht ansehnliches Fußballstadion. Alle Tribünen sind nahe am Rasen gebaut und selbst vor dem Gästeblock versperren keinerlei Zäune die Sicht. Ist in Italien ja auch nicht alltäglich. Dafür trennen kleine Wassergräben die Hintertortribünen vom Spielfeld, was die Absurdität nach sich zieht, dass die Ballholerinnen hier mit Keschern arbeiten müssen. Eröffnet wurde die 29.546 Zuschauer fassende Spielstätte am 15.04.1995 mit einer Partie der A.C. Reggiana gegen den Juventus FC unter dem Namen „Stadio Giglio“. Von 2012 nannte sich die Arena für ein Jahr „Stadio di Reggio Emilia Città del Tricolore“, ehe ein Sponsor Interesse daran bekundete, das Stadion mit seinem Namen zu entwerten. Für euer Allgemeinwissen darf kurz Bezug auf das „Città del Tricolore“ genommen werden. Reggio Emilia ist der Geburtsort der italienischen Nationalflagge, die dort von Ludovico Bolognini 1797 gestaltet wurde. 207 Jahre später eröffneten die Stadtväter dann feierlich ein Shopping Center in der Gegentribüne, um den Charme des Stadions weiter abzumildern.
Die größten Spiele der Vereinsgeschichte absolvierte Sassuolo hier in der vergangenen Saison, in welcher man erstmals für einen europäischen Wettbewerb qualifiziert war. Nicht unwesentlichen Anteil hieran hatte Juventus, die den italienischen Pokal gewannen und so aufgrund ihrer gleichzeitigen Qualifikation für die Champions League dafür sorgten, dass auch der Tabellensechste der Serie A ein Anrecht auf einen internationalen Startplatz hatte.
Heute erwartet der „Dorfclub“ aus Sassuolo die „alte Dame“ bereits um 12.30 Uhr zum Volksfest. Das Stadion ist mit mehr als 21.000 Zuschauern sehr gut gefüllt und das, obwohl Sassuolo Preise aufgerufen hat, die nicht von dieser Welt stammen. Nach einem kurzen Rundumblick wagt es mein Bianconeri-Bruderherz auch, seine Mütze mit Juventus-Logo aufzusetzen. Ungelogen, unter den 21.584 Zuschauern befinden sich heute gut und gerne 15.000, die es ganz offenkundig mit der Juve halten. Wir bezahlen für unsere Sitzplätze am linken Rand der Gegentribüne nahe des Gästeblocks stolze 82,50 € und sind ergriffen davon, dass das Champions League Finale der Frauen das Cateringangebot nachhaltig erschüttert hat. Am 26.05.2016 unterlag der VfL Wolfsburg Olympique Lyon nach Elfmeterschießen und noch immer haben die Getränkekarten von damals Gültigkeit. Na, wie wäre es mit einer „doppelten Verneinung“ (gemeinhin eher bekannt als alkoholfreies Radler. Grüße an suk!)?
Das Spiel beginnt. Am vierten Spieltag trifft der 17. auf den 2. und schon zu dieser frühen Phase der Saison scheint sich hier ein Trend abzuzeichnen, der sich auch auf dem Rasen widerspiegelt. Nach einer Viertelstunde geht der haushohe Favorit durch einen wunderschönen Distanzschuss durch Paulo Dybala mit links ins lange Eck in Führung, nachdem Pjanić und Higuaín bereits zwei Gelegenheiten ausgelassen hatten. In der ersten halben Stunde des Spiels agiert ausschließlich Juventus – mit gefühlten 80% Ballbesitz legen sie sich den Gegner zurecht. In dieser kompletten Überlegenheit fällt es auch nicht weiter ins Gewicht, dass Mandžukić als Flügelstürmer in meinen Augen etwas fehl am Platz ist, zumal auf seiner eigentlichen Position in Gonzalo Higuaín ein Spieler agiert, der heute offenbar so rein gar keine Lust hat. Etwas pomadig schiebt er seine Büffelhüfte über den Rasen und mit einer solchen Laufleistung darf man wohl getrost von einem aussterbenden Stürmertypus sprechen.
Nach einer halben Stunde sendet Sassuolo ein Lebenszeichen. Ein schöner Steckpass in die Schnittstelle der Abwehrkette ermöglicht Falcinelli urplötzlich ein 1:1 gegen den Großmeister Gianlugi Buffon, der aber Sieger des Duells bleibt. Im Anschluss nimmt Sassuolo etwas mehr am Spiel teil, doch die Juve, die ihrerseits nun etwas mehr auf Stabilität bedacht ist, lässt nichts mehr anbrennen.
Die zweite Halbzeit beginnt mit einem echten Paukenschlag. Gerade drei Minuten sind gespielt, als Paulo Dybala einen Pass von Cuadrado im Strafraum annehmen kann und sich angesichts von gleich fünf Gegenspielern, die ihn umringen, aber wenig bedrängen, dazu entschließt, den Ball einfach humorlos mit der Bauernpike am verdutzten Keeper vorbei zu befördern. Teufelskerl.
Nun haben wir ein wenig Angst, dass Juventus das Spiel bis zum Abpfiff nur noch verwalten wird, doch der schnelle Anschluss durch Matteo Politano in der 51. Minute nimmt uns diese Sorge. Aber wer einen solchen Dybala in seinen Reihen hat, der kann gar nicht verlieren. Nach einem unnachahmlichen Dribbling wird er in der 63. Minute in aussichtsreicher Position gelegt. Die Kinder um uns herum fordern Pjanić als Freistoßschützen, doch selbstverständlich lässt es sich Dybala nicht nehmen, das Ding einfach selbst formschön zu vollenden. Higuaín darf sich noch bis zur 76. Minute über den Platz schleppen, während Juventus etwas fahrig agiert, dafür aber vom schwachen Gastgeber nicht bestraft wird. Dybala holt sich in der 85. Minute die verdienten stehenden Ovationen des ganzen Stadions inklusive des Sassuolo-Heimblocks ab und dann wird das Spiel auch schon abgepfiffen.
Ich freue mich darüber, dass ich endlich einmal wieder mit einem Tipp richtig gelegen habe und die vergesslichen schwedischen Groundhopper darüber, dass wir sie darauf hinweisen, dass sie nahezu ihr gesamtes Hab und Gut auf der Sitzschale haben liegen lassen. Da wir lediglich furchtbare Online-Tickets unser Eigen nennen, gehen wir auf der Tribüne auf Eintrittskartensuche und werden schnell fündig. Bedauerlicherweise müssen wir feststellen, dass Sassuolo offenbar einen Großteil des Stadions verramscht hat und wir dafür bluten mussten. Roberto Caroli musste jedenfalls für seinen Platz im Block E, Reihe 3, Platz 14 läppische ZWEI EURO zahlen. Das prangere ich an!
Kapitel 3: Die Rückreise
Vom Stadion am nördlichen Stadtrand verkehrt kein Zug in die Innenstadt und auch am Busbahnhof mit exakt 35 Haltebuchten ist lediglich genau ein Gefährt vorzufinden. Wir ziehen daher den Fußweg vor und erreichen den 2,6 Kilometer entfernten Hauptbahnhof von Reggio Emilia um kurz nach 15.00 Uhr. Noch haben wir bis zur Abfahrt unseres Zuges nach Milano aufgrund einer Zugverspätung eine knappe Stunde Zeit, um uns mit Verpflegung einzudecken. Im ersten Supermarkt in Bahnhofsnähe stromern wir um das Kühlregal herum und lassen uns durch die Verkäuferin nicht irritieren, die uns schon das dritte Mal irgendetwas gesagt hat. Letztlich fällt die Wahl auf ein-zwei kühle Moretti, doch mit nun immer wilderen Gesten verweigert man uns den Einkauf von Flüssignahrung. Zu unserem besseren Verständnis zeigt sie uns dann auch ein Schild, auf dem zu lesen steht, dass der Verkauf von Alkohol nach 15.00 Uhr untersagt sei. Glücklicherweise steht am Ende der Smartphone-Analyse die Erkenntnis, dass es in unmittelbarer Nähe noch ein asiatisches Lebensmittelgeschäft gibt, welches wir nun unsere Aufwartung machen und ebenso glücklicherweise hält der Ladeninhaber das italienische Gesetz für einen echten Huan Son, scheißt auf Regeln und verkauft Bier. So lob ich mir das und gönne mir zusätzlich eine asiatische Brause mit unklarer Geschmacksrichtung und unklarer Wirkung auf den menschlichen Körper. Banzai!
Natürlich verpassen wir in Milano unseren Anschlusszug nach Bergamo und müssen aufgrund der ungünstigen Zugtaktung auf den Bus ausweichen. Dort treffen wir auf eine Frauengruppe aus Berlin, die einen depperten Junggesellinnenabschied gefeiert hat. Die Gespräche drehen sich um Schminke, gute Backgrounds in Berlin für Fotoshootings des Brautpaars und andere Hochzeitsscheiße, garniert mit Reisegeschichten, die Lust auf die Flitterwochen machen sollen. Ich nehme die eine oder andere Anregung für Wandtattoos in meinem Wohnzimmer mit und küre den nahezu philosophischen Satz: „Als ich Frankreich war, hab ich erstmal Fenster aufgemacht!“ zum Sieger des frühen Abends. Die mit Händen zu greifende Idiotie und die Omnipräsenz von Sch-Lauten ist genauso lange lustig, bis die Damen anfangen, sich über ihre Bachelor-Thesen zu unterhalten und auszumachen, dass man morgen wohl die Uni schwänzen würde. Ob ich mal heiraten werde? Vielleicht, wenn ich als Kandidat bei „Wer wird Millionär“ vor dem Auftritt einen kiffe. Und dann hoffe ich, gefragt zu werden, wo die italienische Nationalflagge entstanden ist. Das weiß doch jeder. /hvg
Posted on September 3, 2017
03.09.2017 FC Honka – Kokkolan Pallo-Veikot 3:1 (0:1) / Tapiolan urheilupuisto / 1.254 Zs.
Da erwacht man am Sonntag gut erholt in Espoo auf der Wohnzimmercouch des Tischfinnen, denkt an nichts böses, blickt voller Vorfreude auf den heutigen seichten Ausklang des Kurzurlaubs in Finnland und – schwups – schon ist man in die Falle gegangen. „Ach ja, da war ja was“, denkt sich Fetti kurz darauf und erinnert sich an seinen Sommerurlaub in Rimini, als er „Ursus“ trinkend auf dem Balkon saß und via Facebook mit dem heutigen Gastgeber kommunizierte. Dieser hatte damals in vorauseilender Gehorsamkeit gebeichtet, sich auf einer Groundhopping-Tour in der Slowakei und in Österreich irgendwelche Parasiten eingeschleppt zu haben, die nun ihn und seine Wohnung unsicher machen würden. Nun, gut drei Wochen nach der Übermittlung dieser Information, bestehen ¾ des Fußbodens aus doppelseitigem Klebeband, um die vermaledeiten Biester zu fangen. Ärgerlich nur, dass sich bis heute aber kein einziges Tier, bis auf das Gastschwein aus Berlin, in der Eigenkonstruktion verheddert hat.
Sei es, wie es sei. Fetti kann sich gerade so aus eigener Kraft befreien und genießt nur kurz darauf einen Frühstückskaffee und eine „Omenapiirakka“ mit seinem Gastgeber, der die Jagd nach dem Ungeziefer bereits mehr oder minder aufgegeben hat. „Omenapiirakka“ bedeutet „Apfeltasche“ und ist nach „Elchpisse“, „Arschwasser“, „Mietminderung“ und „sich alleine zu Hause in Unterhosen betrinken“ schon der fünfte Begriff in meinem aktiven Wortschatz – bei FUDU lernt man weiter fleißig finnisch!
Heute steht übrigens ein Besuch des örtlichen Fußballclubs an, der in der zweiten finnischen Liga „Ykkönen“ aktuell auf dem dritten Tabellenplatz rangiert (36 Punkte) und heute den um einen Rang besser platzierten Club aus Kokkola (39 Punkte) empfangen wird. Gelingt heute ein Sieg, würde der FC Honka sechs Spieltage vor Ultimo auf den zweiten Tabellenplatz vorrücken, der am Ende der Saison von besonderer Bedeutung sein wird, da er zur Teilnahme an der Qualifikation zur „Veikkausliiga“ berechtigt. Und auch der direkt aufsteigende Tabellenführer Turun Palloseura (kurz: TPS) aus Turku wäre mit ebenfalls 39 Punkten noch nicht gänzlich außer Reichweite. Der FC Honka strebt eine Rückkehr in die Beletage des finnischen Fußballs an. 2014 wurde dem Club aus Espoo die Lizenz verweigert, was einen Zwangsabstieg in die Drittklassigkeit zur Folge hatte. Zuvor hatte man 7 lange Jahre sogar international gespielt und im UEFA-Pokal beispielsweise den Real Racing Club de Santander in Empfang nehmen dürfen.
Bei dieser besonderen sportlichen Ausgangslage droht das kleine Stadion mit 3.500 Plätzen natürlich aus allen Nähten zu platzen, was den verrückten Tischfinnen dazu animiert, sicherheitshalber via Smartphone im Vorverkauf zuzuschlagen und uns Tribünenplätze zu je 15 € zu sichern.
Nur wenig später haben wir den Tapiolan urheilupuisto (→ Sportpark) erreicht und ich habe mit großem Bedauern festgestellt, dass das Stadion in den vergangenen Jahren massiv zurückgebaut worden sein muss und es sich bei der Haupttribüne um eine furchtbare Stahlrohrtribüne handelt, auf der man zu allem Überfluss seine reservierten Plätze mangels Ausschilderung nicht finden kann. Das Dach besteht aus einer Zeltplane, die jämmerlich im Wind auf- und abflattert und ein furchtbar nerviges Klappern erzeugt. Dazu sorgt eine Dachstütze für signifikante Sichtbehinderung, während den Menschen auf der Gegenseite auf zwei kleinen Stehtribünen am linken und rechten Rand der Gegengerade die Sonne ins Gesicht scheint. Bei uns zieht es wie Hechtsuppe&Hulle, ich friere und frage mich angesichts 2.300 freier Plätze im Stadion, worin genau der Vorteil an der vorab getätigten Bestellung gelegen hat. Mal ganz zu schweigen davon, dass ich am Ende des Tages leider kein Papierticket für die Sammlung daheim mein Eigen nennen kann. Da muss sich Fetti, das haptische Wesen, schon eine kleine Träne verdrücken.
Da man dem alkoholisierten Finnen an sich nicht zutraut, unfallfrei Treppen zu steigen, ist das Konsumieren alkoholischer Getränke auf unserer Vollversagertribüne nicht gestattet. Da kullert sie dann doch, die erste Träne, doch schnell sorgt Schiedsrichter Mohammad Al-Emara für Ablenkung, indem er das Spiel eröffnet.
Der FC Honka, 1957 ursprünglich als Tapion Honka gegründet, führt aktuell einen Sponsorennamen über dem Vereinslogo und somit semioffiziell auch im Vereinsnamen. Ein lokales Sportzentrum hat es mit einem geschickten Wortspiel aus „Espoo“ und „Sport“ geschafft, in die heiligsten Sphären des Fußballclubs vorzudringen. Verwunderlich ist, dass sie hingegen auf den schwarz-gelben Trikots paradoxerweise nicht als Hauptsponsor vertreten sind. Dafür warten die Gäste aus Kokkola gleich mit acht (!) verschiedenen Brustsponsoren auf und gehen in dieser Kategorie uneinholbar in Führung.
Auf dem Platz sehen die Vorzeichen jedoch schnell anders aus. Hier ist der Gastgeber in der Anfangsphase deutlich überlegen und nach lediglich acht Spielminuten sind bereits drei hochkarätige Abschlussgelegenheiten und ein Abseitstor vom aufmerksamen Protokollanten erfasst worden. Nachdem die Anfangseuphorie ergebnislos verpufft ist, lädt der FC Honka seine Gäste auf ziemlich fahrlässige Art und Weise ein, ebenfalls am Spiel teilzunehmen. Gleich zwei eklatante Fehler im Spielaufbau kann Kokkola seinerseits jedoch ebenfalls nicht in zählbares ummünzen. Nachdem Honkas Nummer 11 Ömer Masar in der 20. Spielminute bereits seine zweite große Chance ausgelassen hat, verflacht die Partie zusehends und der Schwung der Anfangsminuten geht endgültig verloren. Die Gäste laufen nur hinterher und lauern ausschließlich auf Fehler der Hausherren, wobei die Taktik nicht gänzlich in Frage zu stellen ist, da Honka dann und wann immer mal wieder kleinere Ungenauigkeiten im Spielaufbau zeigt, die schnell ins Auge gehen könnten. Mit dem allerersten selbst initiierten Angriff gelingt Kokkola durch Konstiantyn Iaroshenko nach 38 Minuten die Führung. Auf den Passgeber Irakli Sirbiladze weise ich aus zweierlei Gründen hin. Erstens ist der 34 Jahre alte Georgier mit vier Länderspielen und 46 Toren in der Veikkausliiga der wohl erfahrenste Mann auf dem Platz und zweitens sieht sein Name im georgischen Alphabet einfach nur wunderschön aus: ირაკლი სირბილაძე. Guter Mann!
In der Halbzeitpause vergnügen sich die Kinder auf der Hüpfburg an der Eckfahne links der Haupttribüne und wir uns an der gegenüberliegenden Seite. „Eckfahnenkneipe“ nennt der Tischfinne das mit Hamburger Gittern abgesperrte Trinkerareal etwas euphemistisch und ich bin nach dem Sturzbier bereit, auch die zweite Halbzeit im Eiskanal zu Espoo zu bestreiten.
Etwas weniger Lust als FUDU verspürt Lucas Kaufmann auf den zweiten Spielabschnitt. Der brasilianische Regisseur Honkas überzeugt mit guter Technik, feiner Ballkontrolle, guter Spielübersicht und genauen Flanken. Problematischerweise sind seine Mitspieler zu keiner Zeit in der Lage, mit ihm und seinen Gedanken Schritt zu halten. Und so wird sein Gezeter und Lamentiere von Minute zu Minute größer und die eine oder andere abschätzige Geste untermauert das von uns Beobachtete. Da können wohl auch die Sambaklänge, die der Stadion-DJ mit Handschuhen in der Halbzeitpause einspielte, auf Dauer nicht trösten.
Mehr Trost spendet dann ein Doppelschlag in der 58. und 60. Minute, mit dem der FC Honka 2:1 in Führung gehen kann. Erst trifft Abwehrspieler Laevuo nach einer Ecke per Fuß, ehe Masar Ömer seine dritte Gelegenheit nach einem schönen Angriff über den linken Flügel und Flachpass in den Strafraum zur Führung veredeln kann. Einmal in Fahrt gekommen, ist der Finnland-Türke nicht mehr zu halten und so legt der bullige Mittelstürmer in der 78. Minute noch einen nach und versetzt die 1.254 Zuschauer (Rekordbesuch!) mit seinem 8. Saisontor in Verzückung. Eine Minute später verlässt in Michal Mravec der auffälligste Akteur der Gäste humpelnd den Rasen – und das nicht nur wegen des Klebebands an seinen Stutzen und Schuhen. Kurz darauf eskaliert die Situation auf dem Rasen auf das Heftigste, als nach einem Abseitspfiff ein Foulspiel erfolgt und es zu einer Rudelbildung kommt. In dem Gerangel verpasst der Moldawier Victor Shevchenko seinem Gegenspieler eine Kopfnuss und erhält folgerichtig die rote Karte. Nachdem der Schiedsrichter den eigentlichen Kernkonflikt gelöst und die Streithähne voneinander getrennt hat, lässt es sich Honkas russischstämmiger Robert Ivanov nicht nehmen, Shevchenko noch die eine oder andere Beleidigung mit auf den Weg zu geben, woraufhin er mit gelb-rot ebenfalls zum Duschen geschickt wird.
In der 88. Minute gibt es einen letzten Schockmoment für die Hausherren zu verdauen, als Doppeltorschütze Ömer ebenfalls verletzungsbedingt vom Platz getragen werden muss und nun für die kommenden Aufgaben im Kampf um den Aufstieg auszufallen droht.
Damit Fetti für die kommenden Aufgaben in Berlin nicht ausfällt, bleibt er nach der Rückfahrt mit dem Linienbus nach Espoo-City, in dem das defekte Display nichts anderes anzeigen kann als den wichtigsten aller finnischer Buchstaben, für den Rest des Abends hoch fokussiert. Er kennt jetzt jede Falle, er kennt jetzt jeden Kniff. Und so zieht er, ohne ein weiteres Mal in doppelseitiges Klebeband zu tappen, einen Strich unter einen gelungenen Finnland-Ausflug. In der Hoffnung, sich keine österreichisch-slowakischen Insekten ins Handgepäck geholt zu haben, ist die Hauptstadt von Kackeland am Montagmorgen mit dem wohl letzten Air-Berlin-Flug in Fettis Leben erreicht. Air Berlin ist tot – lang lebe Fetti! /hvg
Posted on September 2, 2017
02.09.2017 Suomi – Ísland 1:0 (1:0) / Ratinan stadion / 15.835 Zs.
Der Morgen beginnt im Hotel „Cumulus“ mit einer dunklen Wolkenfront. Der finnische Mobilfunkbetreiber hat direkt vor unserem Fenster eine seiner Niederlassungen platziert. Gar nicht mal so angenehm, wenn der Name „Elisa“ das erste Wort des Tages ist, welches einem visuell begegnet. Aber, bevor es hier zu privat werden kann, sollte sich der Autor schnell damit trösten, dass nur wenige Meter weiter entfernt der Ausblick durch die Flutlichtmasten des Ratinan stadion exorbitant aufgewertet wird.
Auch das Frühstücksbuffet ist sein Geld wert und hat neben dem mitteleuropäischen Einheitsbrei auch einige landestypische Spezialitäten im Angebot, welche es für Fetti zu probieren gilt. Als besonders foodblogtauglich erweist sich die „Mustamakkara“, eine mit Roggengrütze gefüllte Blutwurst, welche man neudeutsch getrost als „Local Thing“ anpreisen könnte. Auch am Hafen von Tampere wird die schwarze Wurst nämlich aus einem Imbisswagen heraus verkauft und traditionell mit Preiselbeeren und Milch gegessen. Aufgrund des erhöhten Sättigungspotentials des Lebensmittels ist es übrigens empfehlenswert, vor dem Konsum zwei Tage lang nichts zu sich zu nehmen (A) oder alternativ direkt im Anschluss des Verzehrs ein Bier zu trinken (B). Fetti entscheidet sich für Variante B und hat kurz darauf ein wohlig warmes Gefühl im Magen. Frühstück ist eben doch die wichtigste Mahlzeit des Tages!
Uns treibt es gut gesättigt hinaus in den Stadtteil Pyynikki, in dem der „Pyynikin näkötorni” aus 26 Metern Höhe eine Aussicht auf die beiden Seen Näsijärvi und Pyhäjärvi ermöglicht, zwischen denen Tampere recht malerisch eingebettet ist. Der Stadtspaziergang führt dann weiter nach Pispala, wo man dank diverser Holzhäuser skandinavische Katalogidylle kredenzt bekommt. Doch selbst in dieser „einfachen Wohnlage” muss man als Anwohnerin den Beton noch selbst anrühren, aber um wenigstens ein optisches Statement zu setzen, trägt man hierbei in Pispala bei der Arbeit eine Yogahose. Konterkariert wird all der Reichtum und Wohlstand durch einige linke Kultureinrichtungen, in denen ganz offenbar regelmäßig Konzerte und politische Veranstaltungen stattfinden dürften, worauf die Stickerkultur des Viertels, die auf den ersten Blick gar nicht zu selbigen passen mag, deutlich hindeutet. Schaut man jedoch in die Historie des Viertels, ist schnell wieder alles stimmig. Pispala wurde nach seiner Eingemeindung 1937 ursprünglich als Arbeiterviertel errichtet und nicht wenige Bauten wurden damals aus den preiswertesten Materialien errichtet. Heute, wer hätte es geahnt, haben sich viele Künstler, Kreative (und andere Kleinkriminelle?) vor Ort niedergelassen.
Da das stadtbekannte Café „Rajaportti“ mit Sauna leider noch geschlossen ist, lassen wir uns in Pispala nicht länger nieder als nötig. Es gilt nämlich nicht nur über das Länderspiel zu berichten. Nein, das Ganze wird heute noch ein Vorspiel haben!
Im altehrwürdigen „Pyynikkin urheilukenttä“, welches der Tischfinne mit dem Hopperfänger-Begriff „Holztribüne“ bewirbt, erwarten heute um 13.00 Uhr die Damen von Ilves-Kissat die Gäste von Hämeenlinnan Härmä zum Stelldichein. Nach vier gespielten Minuten haben die Außenseiterinnen zum 1:1 ausgeglichen und machen sich auf, den Favoritinnen aus Hämeenlinna einen Punkt abzuluchsen. Doch vor 24 begeisterten Zuschauern wemmst Torhüter-Rubensfrau Kiia Häkkilä in der achten Minute die gegnerische Stürmerin im Strafraum vollkommen unkoordiniert um und nach dem Elfmeterpfiff nimmt das Unheil seinen Lauf. In der 19. Minute erhöhen die Gäste auf 3:1 und schon jetzt ist klar, dass die Trauben für Ilves hier höher hängen als die Brüste ihrer Nummer 1. Einen wahren Reigen an Großchancen lassen die grün gekleideten Damen von Härmä in Folge liegen, was ihren Trainer dermaßen auf die Palme bringt, dass er trotz 3:1 Führung in der 30. Minute leistungsbedingt wechselt. Welch besonderen Luxus das darstellt, offenbart der Blick auf die Bank der Heimmannschaft, auf der lediglich eine Dame auf ihren Einsatz wartet. Wie die wohl Fußball spielen können wird? Jedenfalls geht es bereits jetzt um Schadensbegrenzung und die Ilves-Damen schinden Zeit, wo sie nur können, besonders beim Holen der Bälle, um Einwürfe auszuführen. Nach 45 Minuten gilt das Stadion für uns offiziell als gekreuzt und wir ziehen bestens unterhalten weiter in die Innenstadt…
… in der einem schnell klar wird, warum sich Tampere „Manse” – also „Manchester des Nordens“ – schimpft. Viele Industriebauten aus Backstein, die meisten an der Tammerkoski-Stromschnelle gelegen, bestimmen das Bild. Nicht wenige von ihnen sind in der Zwischenzeit zu Restaurants, Bars, Museen oder Veranstaltungsorten umfunktioniert worden, was in Verbindung mit dem Wasserreichtum der Stadt durchaus dazu führt, viele schöne Orte zum Verweilen vorzufinden.
Wir kehren dann in der „Plevna Fabrik“ ein, eine Brauerei, die ebenfalls eine erwähnenswerte Vergangenheit aufzuweisen hat. Sie liegt auf dem Finlayson-Gelände, welches von einem Schotten im Jahre 1837 ins Leben gerufen wurde und den Bürgern Tamperes Arbeit in Gießereien, Maschinenwerkstätten und in der Textilindustrie bot. Im Jahre 1877 wurde dann unter dem Namen „Plevna“ die größte Weberei des Landes eröffnet, die historisch besonders relevant ist, da hier an Ort und Stelle im Jahre 1882 (nur drei Jahre nach der Erfindung durch Thomas Alva Edison) das erste elektrische Licht der nordischen Länder brannte. Bei der Verköstigung des ersten „Plevna Pils“ stelle ich mir wissbegierig die Frage, warum man in Finnland eine Weberei nach einer bulgarischen Stadt benannt hat und erfahre in einer ersten Recherche, dass im Russisch-Türkischen Krieg (1877-78) auch Arbeiter der Finlayson-Weberei in Zarendiensten in der Schlacht um die Stadt Plevna kämpften. Im Hintergrund beginnt derweil eine Gruppe Fans der Grizzlys aus Wolfsburg, die heute ein CHL-Gastspiel bei Tappara Tampere zu bestreiten haben, zu deutscher „Musik“, die im Laden gespielt wird („Cowboy und Indianer“), abzufeiern, während Werbeplakate darauf hindeuten, dass in dieser Lokalität vom 29.09. bis zum 08.10. das Oktoberfest begangen werden wird. Müsst ihr jetzt entscheiden, ob sich die Menschheit im Jahre 2017 an allen Punkten in die richtige Richtung entwickelt.
Kurz nachdem der Tischfinne herausgefunden hat, dass I-Kissat gegen Härma am Ende mit 2:7 den Kürzeren gezogen hat, machen wir uns auf den Fußweg zum Ratinan stadion, welches heute ausverkauft sein wird und einen stimmungsvollen Abend verspricht. Angesichts des Umstandes, dass die finnische Nationalmannschaft in der Qualifikation noch sieglos ist und der letzte Heimsieg der Nationalmannschaft vom 07.09.2015 (1:0 gegen die Färöer) datiert, ist die Erwartungshaltung hinsichtlich des sportlichen Erfolges für die Gastgeber eher niedrig. Der Finne tippt auf 0:2, ich hingegen hoffe, dass ich als Glücksbringer wenigstens ein 1:1 bescheren kann.
Schnell hat sich das am Wasser gelegene Stadion mit seinen markanten Flutlichtmasten und den freistehenden Hintertortribünenteilen à la Bari und Kaunas gefüllt. Gut 3.500 Isländer begleiten ihr Team und auch die Finnen sind von Anbeginn in bierseliger Feierlaune. Eine Gruppe hinter uns hat noch vor Anpfiff einen Ordner auf den Plan gerufen, der das Rauchen im Stadion und das Stehen auf den Sitzschalen verbietet. Die jungen Finnen scheinen anfangs nicht besonders obrigkeitstreu, doch als ihnen der Steward damit droht, das Bier wegzunehmen, geben sie schnell klein bei.
Zu einem echten Stimmungsanheizer schwingt sich Alexander Ring auf, der nach acht Minuten einen direkten Freistoß in traumhafter Eleganz verwandeln kann. Wunderbar getreten, Halldórsson chancenlos! Die Zuschauer schmettern die Buchstaben S-U-O-M-I durch das weite Rund und auch die vielen Kindergruppen, die sich im Stadion befinden, feuern aus Leibeskräften (oder: was die zarten Stimmchen so hergeben) mit an. Das isländische „HUH“ wird in Finnland übrigens nicht in Gänze ernst genommen, sondern mit „Dschinghis Khan“-Gesängen komplettiert und verballhornt. Die finnische Mannschaft hat auf dem Rasen gerade einigermaßen die Kontrolle über das Spiel gewonnen, als Schlussmann Hradecky im Aufbauspiel fahrlässig einen Ball vertändelt, glücklicherweise aber nicht hierfür bestraft wird. Die Finnen setzen ihrerseits kleinere Nadelstiche und verpassen nach 25 Minuten in aussichtsreicher Position auf 2:0 zu erhöhen. Im Block der Isländer klaffen im Verlauf des Spiels immer wieder größere Lücken, weil sich die Wikinger lieber über das billige finnische Bier (heute im Stadion: Heineken für 8 €) hermachen, als Fußball zu schauen, so jedenfalls die Mutmaßung des verrückten Tischfinnen. Alexander Rings Freistoß-Show findet in der 36. Minute beinahe einen zweiten Höhepunkt, während die Isländer über die gesamte erste Halbzeit zu keinem nennenswerten Abschluss kommen, obwohl sie häufig mit dem Ball am Fuß in der Nähe des Strafraums aufzufinden waren. Doch ohne letzten Pass und ohne Torschuss keine Aussicht auf Erfolg!
Im zweiten Spielabschnitt steigt der Ballbesitz für die Isländer immer weiter an. Phasenweise werden die Finnen in ihrer eigenen Hälfte eingeschnürt und endlich gelingt es dem Favoriten auch, gefährliche Abschlüsse zu kreieren. Nach einer Stunde rettet Hradecky mit einer Glanztat und es scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis der Spielstand hier egalisiert wird. Wie aus dem Nichts erzielen die Finnen in der 64. per Kopfstoß nach Eckball beinahe das 2:0, doch ein isländischer Verteidiger kann knapp vor der Linie klären. Dann erweist der in der 59. Minute eingewechselte Nürnberger Rúrik Gislasson seiner Mannschaft einen Bärendienst und bringt das Kunststück fertig, sich innerhalb von 15 Minuten eine gelb-rote Karte einzuhandeln. Die Finnen kommen in Überzahl wieder besser ins Spiel und können den einen oder anderen Entlastungsangriff fahren, finden aber teilweise nicht mehr die richtige Balance und verteidigen erschreckend luftig. Für den Zuschauer ergibt sich aus dieser Gesamtgemengelage aber ein unterhaltsames Fußballspiel mit Torchancen auf beiden Seiten. Die größte Gelegenheit auf finnischer Seite lässt der talentfreie Neu-Dresdner Eero Markkanen in vollkommen überheblicher Manier liegen. Wenn man mal bei Real Madrid gespielt unter Vertrag gestanden hat, meint man vielleicht, sich so etwas erlauben zu dürfen. Die Quittung erhält sein Team dann um ein Haar in der Nachspielzeit, doch auch die letzte wilde Mehrfachchance können die Isländer nicht nutzen. Und so kommt es nach Abpfiff zu stehenden Ovationen und schönen Feierszenen zwischen den finnischen Fans und ihrer Mannschaft, der die Freude über das Ende der langen sieglosen Durststrecke in der Qualifikationsgruppe deutlich anzusehen ist. Auch die nicht eingewechselten Spieler hüpfen und jubeln, als gäbe es kein Morgen mehr. So komme ich noch in den Genuss, Teemu Pukki zu sehen, der seit seinem Dreierpack für Brøndby IF gegen Hertha BSC am 04.08.2016 bei mir so eine Art Heldenstatus genießt.
Gar nicht so viel schlechter gelaunt sind dann die unzähligen Isländer, die sich nur wenig später gemeinsam mit uns im Zug in Richtung Helsinki befinden. Da der Isländer an sich offenbar nicht in der Lage ist, die richtige Wagennummer und seinen Sitzplatz zu finden, sitzen etliche Menschen auf dem Boden des Zuges und verstopfen die Gänge. Die Durchsage, dass das Trinken alkoholischer Getränke außerhalb des Bordbistros untersagt ist, entlockt dem einen oder anderen Wikinger ein lautes Lachen. Na dann: kippis!
Nach knappen zwei Stunden Fahrt mit Umstieg in Pasila haben wir Leppävaara erreicht und erhalten nun Gelegenheit, uns auch um unseren Bierdurst zu kümmern. Das „Oluthuone William K.“ ist dann so freundlich, uns noch bis gut 2 Uhr zu beherbergen und für nur 6,30 € pro Glas (Halvin Olut?) wandert das eine oder andere „Karhu IV“ den Besitzer. Und so endet dieser finnische Tag mit ganz schön viel Tamtam-Pere gänzlich wolkenlos. /hvg
Posted on September 1, 2017
01.09.2017 FC Haka – Ekenäs IF 2:1 (2:0) / Tehtaan kenttä / 930 Zs.
Aufmerksame Leser des Blogs reiben sich nun womöglich verwundert die Augen. Ein Bericht aus Finnland? Fehlt da nicht noch ein Eintrag aus Andalusien? Nein, ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich es in sechs Tagen Málaga nicht zu einem einzigen Fußballspiel geschafft habe. Dank der „Feria de Málaga“ und des „Bottelón“, also das gesellschaftlich akzeptierte Trinkgelage auf öffentlichen Plätzen mit dem Ziel, möglichst schon gegen Mittag betrunken zu sein, hatte ich aber auch ohne unseren geliebten Ballsport ausreichend Unterhaltung. Nun liegen acht Tage harter Arbeit in Berlin hinter mir und endlich wird es wieder einmal gelingen, meine beiden Lieblingsbeschäftigungen Reisen und Fußball zu kombinieren.
Heute bin ich besonders froh, dass dieses Unterfangen gelingen wird, da ich mir vor einigen Monaten auf Verdacht einen günstigen Flug der strauchelnden Luftfahrtgesellschaft „Air Berlin“ gebucht und die Nachrichtenlage der letzten Wochen intensiv verfolgt habe. Zeitweise sah Fetti seine Felle bereits davonschwimmen, da mehrere Flüge vergangener Tage ersatzlos gestrichen wurden und auch das Damoklesschwert der drohenden Insolvenz Air Berlins über Fettis Ringelschwanz schwebte. Der heutige Flug steht jedoch pünktlich zum Abflug bereit und auch die Landung am Flughafen Helsinki-Vantaa erfolgt um 11.35 Uhr Ortszeit planmäßig. Zum Abschied bekommt man leider kein Schokoladenherz mehr gereicht, was durchaus etwas Melancholie auszulösen vermag. Lange wird es sie wohl nicht mehr geben, diese Fluglinie meiner Heimatstadt, aber so lange sie mich wenigstens am Montagmorgen wieder zurückbefördern wird, soll mich diese Herzlosigkeit emotional nicht all zu nachhaltig erschüttern.
Leider muss der verrückte Tischfinne an diesem Freitag lange im Büro verweilen und kann mich daher nicht standesgemäß in Empfang nehmen. Naja, dann muss ich mein „Lapin Kulta“, oder „Poronkusta“, wie der Finne zu sagen pflegt, eben alleine auf der Überfahrt in die Innenstadt trinken. Der Fußweg vom Hauptbahnhof („Päärautatieasema“) bzw. vom großen Vorplatz des Hauptbahnhofs („Rautatentiori“) zum Busbahnhof Kamppi ist dann schnell gefunden und zurückgelegt. Einigermaßen imposant kommt er schon daher, dieser Busbahnhof, der im Stadtteil Kamppi 1935 in einer ehemaligen Kaserne eröffnet wurde und seit der ambitionierten Bauarbeiten von 2002-2005 nunmehr als modernster Busbahnhof Europas gilt. Täglich nutzen etwa 200.000 Fahrgäste die insgesamt 55 unterirdisch gelegenen Bussteige und in dem darüber liegenden Einkaufszentrum bleiben keine kapitalistischen Sehnsüchte unerfüllt.
Mich erwartet heute eine knapp zweistündige Busfahrt in das Landesinnere mit Ziel Valkeakoski. Das Ticket ist ökologisch bewusst „papierlos“ und kostet 16,50 €. Aus Sicherheitsgründen habe ich die Buchungsbestätigung ausgedruckt dabei und unterwandere so geschickt die Nachhaltigkeitspläne des finnischen Busunternehmens „Matkahuolto“, das seinerseits aber auch dazu beiträgt, die darbende finnische Papierindustrie zu unterstützen, indem der Fahrer, nachdem ich bei Einstieg lediglich meinen Personalausweis vorzeigen muss, nun durch diverse DIN-A4-Seiten blättert, um meinen Namen abhaken zu können.
Der „Express Bus“ macht schnell Strecke und scheitert dann kurz vor dem Ziel an seinem Zeitplan, da auf einer einspurigen Straße ein Traktor, der eine Wagenladung Holz nach sich zieht, ein unüberholbares Hindernis darstellt. Tja, das habt ihr jetzt von euren „papierlosen“ Tickets. Hättet ihr jedem Fahrgast einfach eine kleine Fahrkarte ausgehändigt, müsste hier womöglich weniger Papier produziert werden…
Schnell stellt sich jedoch heraus, dass die 15 Verspätungsminuten beim Sightseeing nicht auffällig fehlen werden. Die von Seen gesäumte Stadt mit ihren 21.346 Einwohnern ist derart schnell besichtigt, dass Fetti bereits knapp zwei Stunden vor Anpfiff auf Einlass in das Fußballstadion lauert. Erst langsam setzt im Stadion rege Betriebsamkeit ein und als einer der ersten Gäste durchquere ich dann die Stadiontore. Die Ordnerin hat wenig Interesse, sich einen Überblick über mein Reisegepäck zu verschaffen und stellt daher nur die alles entscheidende Frage, ob ich Waffen oder Alkohol dabei hätte. Mit einem charmanten „I trust you!“ lässt sie mich nach meiner Verneinung ungeprüft passieren.
Das „Paviljonki“ ist kurz darauf der erste Blickfang. Ein wunderbares Holzhaus dient hier als Vereinsheim und lädt zu einer Zeitreise durch die Vereinsgeschichte des FC Haka ein, der zwischen 1960 und 2004 immerhin neun Mal finnischer Meister und zwischen 1955 und 2005 zwölf Mal Pokalsieger werden konnte. An den Wänden finden sich Spuren unzähliger Europapokalspiele wieder – Wimpel von solch Mehlvereinen wie den Rangers aus Glasgow, dem Liverpool FC und Brøndby IF bestimmen das Ambiente. Da stößt es einem schon übel auf, dass der FC Haka seine beiden größten Europapokalschlachten gegen den 1.FC Union Berlin im Jahre 2001 (1:1, 0:3) offenbar völlig vergessen hat.
Aber glücklicherweise hat das „Paviljonki“ nicht nur eine Ruhmeswand, sondern auch eine optisch ansprechend holzvertäfelte Bar zu bieten. Dort steht der Zapfhahn heute zwar leider still, doch Fetti lässt es sich nicht nehmen, für 6€ ein „Olvi“ aus der Dose zu bestellen, welches er kurz darauf aus einem Plastikbecher auf der Terrasse mit Blick in das Stadion bei finnischer Abendsonne genießt.
Im Hintergrund hält währenddessen der Präsident des Clubs eine Rede, welcher fünf Menschen andächtig lauschen. Das Mikrofon, welches die Rede durch die offenen Fenster auch auf die Terrasse transportiert, hätte es nicht gebraucht, da sich neben mir niemand auf selbiger befindet und ich eh nichts verstehe. Ich verstehe allerdings etwas von Stadien und heute befinde ich mich in einem besonders hübschen Exemplar. Zwei alte Tribünen an den Längsseiten, eine kleine Hintertortribüne und eine herrlich nostalgische Uhr und Spielstandanzeige hinter dem anderen Tor sorgen optisch für beste Unterhaltung. Auch die Schlote der angrenzenden Papierfabrik fügen sich nahtlos in das stimmige Gesamtbild ein und rechtfertigen den Namen des Stadions, welcher frei mit „Fabrikfeld“ übersetzt werden könnte.
Ich nehme Platz auf der Hintertortribüne und lasse mir weiter die Sonne ins Gesicht scheinen. Vor mir lässt sich der wohl größte Fan des Clubs vom Stadion-DJ emotionalisieren und tanzt herzerfrischend den HAKA zu einem großartigen finnischen Popsong, der zwar genau genommen lediglich eine Schlüpferstürmer-Anekdote erzählt, diese aber geschickt mit Diego Armando Maradona und der WM 1986 koppelt.
Kurz darauf eröffnet der Schiedsrichter diese finnische Zweitligabegegnung und schnell ist klar, dass es kein besonders großer Nachteil ist, dass die Sonne so sehr blendet, dass man nicht alles sehen kann. Nach 11 Minuten geht die Heimmannschaft durch Erkka Helminen in Führung, nachdem Gästekeeper Jäntti eine flache Hereingabe von der Seite recht stümperhaft nach Vorne abprallen gelassen hatte.
Nach 20 gespielten Minuten hat endlich auch der Tischfinne das Stadion erreicht und nimmt neben mir Platz. Nun werden wir während des Spiels gemeinsam mit Werbejingles malträtiert und leisten den hoffnungslosen Animationsversuchen des Stadionsprechers ebenso Widerstand wie alle restlichen 928 Zuschauer. Schade, dass heute im „Tehtis“, wie die Fans ihr Stadion liebevoll nennen, gut 5.500 Plätze verwaist bleiben. Doch allgemein scheint der FC Haka ein Problem mit der Fanbasis zu haben, erst kürzlich scheiterte ein Crowdfunding kläglich, wie der Tischfinne zu berichten weiß und statt über avisierte 50.000 € konnte sich der Club letztlich nur über 6.500 € freuen.
Der Gästekeeper versucht derweil seine Vorderleute in englischer Sprache zu navigieren. Ein Blick auf den Aufstellungsbogen des Ekenäs IF offenbart ein buntes Potpourri an Nationalitäten: zwei Spieler von der Elfenbeinküste, einer aus Burkina Faso, ein Brasilianer und ein Innenverteidiger aus Haiti versuchen hier gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen. In der 37. Minute gelingt diese Navigation nicht und so können die Spieler des FC Haka den Ball ungestört vor dem Gästestrafraum zirkulieren lassen, bis sich eine Lücke auftut, die abermals Helminen nutzen kann und mit seinem vierten Saisontreffer auf 2:0 erhöht.
Teile der zweiten Halbzeit begutachten wir von der Terrasse des „Paviljonki“ aus, auf der neben uns auch einige ältere Herren eingekehrt sind. Die Mitglieder der Seniorengruppe verbieten sich heute aus gesundheitlichen Gründen und mit Verweis auf diverse verstorbene Jugendfreunde gegenseitig das Biertrinken. Ihre Diskussion darüber, ob dann alternativ die Einnahme von Amphetaminen in Ordnung wäre, ist noch nicht gänzlich abgeschlossen, als der brasilianische Starstürmer der Gäste namens Felix de Bona nach einem katastrophalen Fehlpass des Haka-Schlussmanns dankend zum 1:2 einnetzt. Nach 72 Minuten holt sich der Doppeltorschütze Helminen bei seiner Auswechslung seinen verdienten Applaus ab und sogar die beiden ansehnlich frisierten Hunde auf der Haupttribüne spendieren ein aufgeregtes Bellen. In Folge drücken die Gäste auf den Ausgleich, doch bei spärlicher Flutlichtbeleuchtung finden weder sie das Ziel, noch gelingt es den Hausherren, einen ihrer vielen hochkarätigen Konter zu verwandeln und so geht ein lauer finnischer Spätsommerabend mit unverändertem Spielstand zu Ende.
Nach Abpfiff eilen Fetti und seine Freunde zum Busbahnhof, auf dem die Suche nach der Linie Valkeakoski-Tampere glücklicherweise erfolgreich gestaltet werden kann. 50 Straßenkilometer später haben wir Tampere erreicht, in unser Hotel eingechecked und einen ersten kleinen Stadtspaziergang unternommen. Tampere hat sich bereits für das morgige Länderspiel Finnland-Island festlich herausgeputzt und so tragen die mannshohen Statuen auf der Brücke patriotisch überdimensionierte Finnlandschals um die Hälse. Ebenso überdimensioniert ist dann unsere mit Thunfisch, Salami, Schinken und Dönerfleisch belegte Pizza, die sich als lukullischer Endgegner erweist und schnell zu einer gewissen Bettschwere führt. Und so kommt es, dass Fetti am Ende dieses Tages, der so herzlos begann, gut gesättigt sein neues finnisches FUDU-Motto während des Einschlafens ins Kissen säuselt: Liian pikanen, vähän likanen, mielenvikanen, niinku Maradona! /hvg