345 345 FUDUTOURS International 23.11.24 14:19:31

26.03.2017 Vicenza Calcio – Brescia Calcio 1:1 (1:1) / Stadio Romeo Menti / 8.175 Zs.

Kaum haben wir den Bahnhof von Piacenza erreicht, wird uns auch schon der erste italienische Moment des Tages geschenkt. Während wir die ersten Sonnenstrahlen auf unserem Gleis genießen, sprintet nebenan ein Mitarbeiter der Trenitalia hektisch über die Schienen hinüber zum Binario Uno, auf dem der Zug bereits zur Abfahrt bereit steht. In einer wunderbaren Parallelmontage hätte man filmisch festhalten können, wie der Zugbegleiter im Schweiße seines Angesichts auf die Plattform klettert und sich wenige Meter von ihm entfernt der Zug in Bewegung setzt. Vaffanculo, Zug verpasst, aber ohnehin sollte kein Mensch der Welt sonntags arbeiten müssen!

Kurz darauf nehmen wir tiefenentspannt Platz in unserer Bahn, die uns nach Milano kutschieren wird. Eine Stunde später kann FUDU die unsägliche Regionalbahn verlassen und endlich in ein Reisemittel umsteigen, welches sämtliche Komfortansprüche zu erfüllen versteht. Im Hochgeschwindigkeitszug „Frecciarossa“ zaubert uns dann der Wetterbericht, der über die Informationsmonitore im Abteil präsentiert wird, erste Sorgenfalten auf die Stirn. Angeblich haben wir im knapp 90 Minuten entfernten Vicenza 12 Grad und Dauerregen zu erwarten.

Je näher wir unserem Ziel kommen, desto weniger schenken wir dieser Prognose glauben. Stetiger Sonnenschein begleitet uns auf unserer Fahrt und auch als der Zug gegen 11.30 Uhr in Vicenza einrollt, hat sich an dieser Sachlage nichts geändert. Bei angenehmen 17 Grad und strahlendem Sonnenschein beginnen wir mit der Erkundung der kleinen Stadt, die in etwa 60 Kilometer von Venezia entfernt liegt.

Abermals hatte sich FUDU nicht sonderlich viele Gedanken über das Reiseziel gemacht. Dieses Mal darf man jedoch endlich einmal wieder getrost von einem Volltreffer sprechen. Bereits die erste Straße, die vom Bahnhof in Richtung Innenstadt führt, ist sehr belebt. Heute findet hier eine Art Straßenfest mit lukullischen Spezialitäten aus aller Herren Länder statt. Dem italienischen Renaissance-Architekten Andrea Palladio haben wir es kurz darauf zu verdanken, durch eine sehr attraktive Innenstadt flanieren zu dürfen. Die Stadt Vicenza hat eben jenem Palladio hingegen zu verdanken, auf der Liste der UNESCO-Weltkulturerbe geführt zu werden. Wir fühlen uns angesichts der wunderbaren Bauten und engen Gassen endlich in unserem geliebten Italien angekommen. In dem kleinen Tourismusbüro direkt neben dem Teatro Olimpico, seines Zeichens das erste freistehende nachantike Theatergebäude Europas, ist man so freundlich und nimmt uns unsere Rucksäcke zur kostenfreien Gepäckaufbewahrung ab.

Deutlich entlastet kehren wir wenig später auf der Terrasse eines kleinen Lokals ein. Zunächst einmal wird uns die Kehrseite der Medaille aufgezeigt, heute in einer sehenswerten Stadt zu Gast zu sein. Wann immer man sich in wirklich hässlichen Städten befindet, die außer Fußball nichts vorzuzeigen haben und die auf keiner spektakulären Liste geführt werden, hat man eines mit Gewissheit: seine Ruhe. Hier dauert es jedoch keine fünf Minuten, bis der Nachbartisch durch eine deutsche Rentnergruppe besetzt wird. Und, wenn man im Ausland eines nicht ertragen kann, dann sind das wohl deutsche Touristengruppen, die ihre belanglosen Themen in einer Sprache kund tun, die man versteht. Zu allem Überfluss ziehen langsam mehr und mehr Wolken auf und verdunkeln den Himmel. Immer diese scheiß Zugezogenen!

Nachdem wir das solide hausgemachte und per Mikrowelle erwärmte Mittagessen verspeist haben, ist es auch bereits an der Zeit, zum örtlichen Fußballstadion aufzubrechen. Dieses liegt gerade einmal einen Kilometer von der Innenstadt entfernt und kann in wenigen Minuten per Fuß erreicht werden. Dennoch reicht die Strecke, um auch ein anderes Bild der venezianischen Stadt mit 112.000 Einwohnern zu erhalten. An der einen oder anderen Stelle bröckelt der Putz dann doch bedenklich und der Vorzeige- und Wohlfühlcharakter schwindet. Ein Umstand, den die etwas heruntergekommenen Mitglieder unserer Reisegruppe nur immer und immer wieder begrüßen können.

Vor dem Stadio Romeo Menti werden die FUDU-Jünger von einem Bild empfangen, welches man getrost mit „Take Me To The Riot“ der kanadischen Band „Stars“ hätte musikalisch unterlegen können. Im Polizeimannschaftswagen sitzt ein Carabinieri mit einer blutenden Kopfwunde und keine 60 Zentimeter neben ihm lässt sich ein Fan, ebenfalls mit einer Platzwunde im Gesicht, von einem Sanitäter behandeln. FUDU ist nun gleichermaßen elektrisiert wie wachsam und schleicht mit dieser knisternden Grundspannung fotografierend um das wunderschöne Stadion herum. Eine halbe Stadionrunde später ist nach der Feststellung, dass alle Kassenhäuschen verschlossen bzw. nur zwecks Abgabe reservierter Karten geöffnet sind, dann auch ermittelt, an welchem Ort man hier Eintrittskarten käuflich erwerben kann. Wir entern ein kleines Büro, das niedlicher und uriger wohl kaum sein könnte. Es hängen Familienfotos an den Wänden und an dem Schreibtisch aus dunklem Massivholz, dekoriert mit einer unnachahmlich schönen Spitzentischdecke, sitzt eine Großmutter und wartet auf eingehende Kartenbestellungen, während die Tochter im Hinterzimmer mit dem Drucker kämpft. Chi va piano, va sano e lontano!

Die Kommunikation mit der älteren Dame geht dann mit Hand und Fuß von statten. Auf dem Stadionplan wird schnell ersichtlich, dass Vicenza Calcio seine Preispolitik offenbar seit mehreren Jahren nicht an die sportliche Situation angepasst hat. Die Preise scheinen jedenfalls eher zur Saison 1997/98 zu passen, in der Vicenza zunächst die Coppa Italia gewinnen und dann im Europapokal der Pokalsieger bis in das Halbfinale vordringen konnte (kleiner Gruß hinüber nach Kerkrade: im Viertelfinale wurde Roda mit 4:1 und 5:0 bezwungen!), als zur heute misslichen Lage in den unteren Tabellenregionen der Serie B. Wir entscheiden uns für 30 € teure Tickets auf der Tribuna Laterale und somit für das mittlere Preissegment. Auf der Fantribüne für 15 € haben wir nichts verloren und noch einmal 15 € mehr bezahlen, nur um ein Dach über dem Kopf zu haben, ist angesichts der noch immer einigermaßen stabilen Wetterverhältnisse auch keine überzeugende Option. Im Hintergrund rattern unsere Billets aus dem Drucker und währenddessen wird Nadjuschka abermals zur Gewinnerin des Nachmittags gekürt, da sie erneut 10 € Rabatt aufgrund ihres Geschlechts erhält. Donnawetter!

Erste Durchsagen in Ohrenschmerzen verursachender Tonqualität im Stile „Bahnhofswartehalle 1974“ oder „Transistorradio 1954“ hallen blechern durch das Stadion, welches schöner kaum sein könnte. Die beiden Stehtribünen hinter den Toren, die steile, ebenfalls unüberdachte Gegengerade, die alte Haupttribüne, die Flutlichtmasten, die Nähe zum Spielfeld – könnte es wichtigere Attribute geben, um bereits jetzt von einem gelungenen Ausflug zu sprechen?

Kurz vor dem Anpfiff dreht der Stadion-DJ völlig an den Knöpfen und legt mit gefühlten 1000 Dezibel klassische Musik auf. Während wir nur etwas verwundert Notiz davon nehmen, dürfte dieses außergewöhnliche Ritual ins Besondere den Rollstuhlfahrern, welche ihren Standpunkt direkt neben einer überdimensionierten Lautsprecheranlage gefunden haben, größere Sorgen bereiten.

Auf dem von irgendwelchen Schädlingen oder Bleich- und Düngemitteln schwer in Mitleidenschaft gezogenen Camouflagerasen stehen sich heute Vicenza Calcio und Brescia Calcio gegenüber. Selbige Partie konnte ich in der Saison 2015/16 bereits über Kreuz in Brescia erleben und weiß in etwa abzuschätzen, welche spielerische Qualität auf uns zukommen wird. Der Blick auf die Tabelle verspricht heute Abstiegskampf pur, da der 18. den 16. empfängt und beide deutlich um das Überleben in der zweiten Liga, welche 22 Teams führt und vier Abstiegsränge ihr eigen nennt, bangen müssen.

Das Spiel beginnt. Leichter Nieselregen setzt ein, der aber so dezent ist, dass man sich noch selbst die Taschen volllügen und von einer angenehmen Abkühlung sprechen kann. Fünfzehn Euro für das Tribünendach ist dieser Niederschlag jedenfalls bei weitem nicht wert. Ein betrunkener Fan im (mit gut 300 Mann gefüllten) Gästeblock zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich, da dieser doch deutliche Schwierigkeiten hat, das Spiel souverän stehend zu erleben. Noch bevor sich der erste Höhepunkt auf dem Spielfeld ereignet, hat er sich auch schon am Rand des Gästeblocks sitzend niedergelassen, während die Gegengerade eine ansehnliche Regenschirmchoreographie vollführt, die nostalgische Gefühle an das Stadion An der Alten Försterei aufkeimen lassen.

Beide Mannschaften gehen wie die Furien aufeinander los. Das Spiel wird über die gesamte erste Halbzeit kurzweilig, athletisch, kampfbetont und rassig bleiben. Nach 25 Minuten haben beide Teams jedoch ihr Offensivpulver bereits verschossen. Zunächst geht das Gast aus Brescia nach einer Freistoßflanke von halb rechts nach gut einer Viertelstunde in Führung, wobei im Stadion nicht klar zu erkennen ist, ob Blanchard wirklich der Torschütze gewesen sein kann oder ob nicht vielmehr ein Verteidiger Vicenzas den Ball in das eigene Tor verlängert hatte. Nur zehn Minuten später sind all diese Diskussionen jedoch Makulatur, da Raffale Pucino das Spiel ausgleichen kann. Ein etwas sonderbarer „Mariachi-Torjingle“ wird dann glücklicherweise alsbald durch solide Pöbeleien von der Gegengerade gegenüber des Gästeblocks abgelöst.

In der Halbzeitpause pausiert in Vicenza nicht nur das Spiel, sondern auch alles andere. Namentlich: der Regen, Großteile des Publikums und der Stadion-DJ. So erfreuen wir uns an einer Viertelstunde beinahe absoluter Stille im Trockenen, die durch vier krakeelende Zuschauer der Gegengerade nur noch aufgewertet wird, indem sie immer mal wieder ein gastfreundliches „Bastardi“ nach Brescia rufen, welches von der Gegenseite jedoch unbeantwortet bleibt. Ist ja schließlich Pause.

Im zweiten Spielabschnitt bleibt das Spiel lebendig, doch nach den beiden letzten Großchancen Vicenzas nach 50 Minuten (ein vielversprechender Weitschuss, ein sehenswerter Fallrückzieher) beschränkt man sich fußballerisch auf zahlreiche Flanken aus dem Halbfeld, die beiderseits irgendwie zum Erfolg führen sollen. Trotz sinkender Qualität des Spiels gelingt es den Tifosi Vicenzas, das Spiel permanent akustisch zu begleiten. Einige melodische Gesänge werden in recht guter Lautstärke vorgetragen und werten das Stadionerlebnis weiter auf. In der Abwehr Vicenzas hält Cristian Zaccardo, ehemaliger Bundesligalegionär und Fußballweltmeister 2006, den Laden zusammen. Der betrunkene Fan aus Brescia hat sich in der Zwischenzeit im Gästeblock hingelegt und hält ein Nickerchen. Er verpasst, wie dem Spiel mehr und mehr die Ordnung flöten geht und die aus dem Mute der Verzweiflung getätigten Abschlussversuche aus abnormen Distanzen zunehmen.

Das Spiel steuert dem unvermeidlichen Unentschieden entgegen, als nach 80 Minuten ein Platzregen sondergleichen einsetzt. Der bei den Gästen eingewechselte Federico Bonazzoli hegt offenbar keine großen Ambitionen, hier einzuregnen und nass bis auf die Knochen die Heimreise anzutreten und so holt er sich nach einem robusten Einsteigen vier Minuten nach seiner Einwechslung die rote Karte ab.

Wir erleben die letzten Spielminuten und den Abpfiff bereits ordentlich durchnässt aus den Katakomben und warten dann einige Minuten, darauf hoffend, dass die sintflutartigen Regenfälle nachlassen mögen. Viel zeitlicher Spielraum besteht jedoch nicht, da unsere Rucksäcke vor Schließung des Tourismusbüros auf Abholung warten und da das FUDU-Pärchen gedenkt, um 18.00 Uhr mit der Bahn weiter nach Padova zu reisen, um dort das Abendspiel gegen Bassano Virtus zu erleben, während ich via Bergamo die Heimreise antreten muss.

Letztlich müssen wir uns wohl oder übel im strömenden Regen auf den Rückweg begeben und nehmen völlig durchweicht unsere Rucksäcke entgegen, welche den Transport zum Bahnhof alles andere als unbeschadet überstehen werden. Ich verabschiede mich von den beiden Padovanen, die sich ihrerseits bereits jetzt triefend von dem Gedanken verabschiedet haben, heute noch ein Spiel zu besuchen und stattdessen wohl eher im warmen Hotelzimmer verweilen werden.

Was für ein Luxusproblem das ist, stellt sich für mich nur wenig später heraus, als ich auf der Bahnhofstoilette herausgefunden habe, dass sämtliche Klamotten in meinem Rucksack ebenfalls auswringbar sind und es mir nicht gelingen wird, mir für meine gut dreistündige Wartezeit am Bahnhof etwas trockenes anzuziehen. Ich komme auf die glorreiche Idee, mir wenigstens meine Schuhe und Socken unter dem Handtrockner trocken zu föhnen und so röhrt die Maschine gut eine halbe Stunde lang im 20-Sekunden-Takt, bis mich ein neongelber Bahnhofsordner zur Rede stellt. Ich vermute aufgrund des Tonfalls und der Lautstärke, dass er mich soeben nicht zum weiteren Verweilen eingeladen hat, sondern seine Ansprache vielmehr die Wörter „Idiot“, „abhauen“ und „bescheuert“ enthalten haben könnte und verlasse die Szenerie, ohne die eigentlich fällige Gebühr von 0,60 € zu entrichten, was mir einen weiteren freundlichen Gruß von hinten einbringt.

Der warme Wartesaal des Bahnhofs von Vicenza hätte sicherlich Potential gehabt, die übrigen 2,5 Stunden abzureißen, doch leider findet an diesem Ort ausgerechnet heute die Jahreshauptversammlung der Stadtstreicher statt. Man gibt mir zu verstehen, dass ich zu dieser exklusiven Veranstaltung keine Zutrittsrechte besitze und so kehre ich in Ermangelung von Optionen im zugigen Bahnhofsbistro ein. Dort vertreibe mir frierend die nächste Zeit bei zwei 0,33 Liter Peroniflaschen à 3,50 €, bis ich um 20.30 Uhr aufgrund des Feierabends auch aus diesem Etablissement geschmissen werde.

Die letzten 30 Minuten sind auf dem Bahnsteig schnell zu Ende gefroren. Mein Zug nach Verona hat neun Minuten Verspätung, doch der Zug, in den ich in Verona umsteigen muss, glücklicherweise ebenfalls acht von der Sorte. Auf Nachfrage, ob ich den Umstieg in Verona schaffen kann, beruhigt mich der Schaffner, indem er sagt: „Maybe, but please be quick!“, was angesichts der letzten Zugverbindung des heutigen Tages nach Bergamo Motivation genug ist, meine ganze Sportlichkeit auf einmal auszuschütten und mit einem beherzten Sprint den „Frecciargento“ zu erreichen.

Irgendwann gegen Mitternacht habe ich vor meinem Hotel in Bergamo den Kampf gegen den Check-In-Terminal gewonnen und erfolgreich meinen Ausweis eingescanned, mit der Kreditkarte gezahlt und alle notwendigen Nummern zitternd eingetippt. Richtig stolz über den Erfolg über die Technik verteile ich meine nassen Klamotten kurz darauf großzügig im ganzen Raum und gönne mir eine warme Dusche. In sechs Stunden sollten wenigstens die wichtigen Kleidungsstücke getrocknet sein, da die frühe Weiterreise per RyanAir nach Berlin ansteht, um pünktlich auf der Arbeitsstelle erscheinen zu können. Vaffanculo – kein Mensch der Welt sollte montags arbeiten müssen! /hvg

25.03.2017 AS Pro Piacenza 1919 – Lupa Roma FC 0:0 (0:0) / Stadio Leonardo Garilli / 390 Zs.

Einige Wochen vor dem Abflug von Berlin nach Bergamo sorge ich mich ein wenig über die zu erwartende Qualität des Reiseberichts, welchen ich in gut einem halben Jahr abliefern muss. Was zur Hölle soll man schon erleben, wenn man gefühlt zum 100. Mal von Berlin-Schönefeld nach Bergamo fliegt? Doch Vorbereitung ist die halbe Miete und so hat der freundliche Fetti im Vorfeld der Reise offenbar ein recht unterhaltsames Drehbuch verfasst und dank seiner guten Kontakte schnell an eine Seifenopernagentur verkaufen können. Nun betreten drei weibliche Komparsen mittleren Alters die RyanAir-Maschine und nehmen in der Reihe hinter meiner Wenigkeit, dem Hoollegen und Nadjuschka Platz. Keine 30 Sekunden später beginnen sie den feinen Serienstoff in breitem berlinerisch zum Amüsement der Reisegruppe wiederzugeben: Leider hat die rothaarige Celina die Schule nicht geschafft. Onkel Freds Geburtstag beim Chinesen hat aber allen Spaß bereitet, obwohl Michelle und Tyson den Laden zeitweise ganz schön aufgemischt haben. Glücklicherweise ist nun auch endlich das Pflegegeld von Tante Ute bewilligt worden. Und, weil Fetti ein echter Kumpel ist, hat er sich als Schauplätze der Geschichten die Orte Borsigwalde und Tegel einfallen lassen, was mir in Erinnerung an meine glückliche Kindheit ein Lächeln auf das Gesicht zaubert und mich emotional besonders nahe an den Plot rücken lässt.

Wir könnten stundenlang zuhören, wäre da nicht diese aufgetakelte Russin eine Reihe vor uns, die unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Ihr stilles Wasser zahlt sie stilecht mit einem 50-Euro-Schein, was den Flugbegleiter aufgrund fehlenden Wechselgeldes in Schwulitäten bringt. Er vertröstet die Dame auf später und setzt seine Arbeit in der Maschine fort. Zwei-Drei Mal wird er in den kommenden zehn Minuten an der Dame vorbeilaufen, um eingegangene Essensbestellungen aus der Bordküche zu organisieren. Ein jedes Mal wird ihn die Dame aufhalten und ihn nach dem Wechselgeld fragen. Beim vierten Mal platzt dem Steward der Kragen und sorgt in unserer RyanAir Sitcom („Quatsch mit Reiner“) für den nächsten Lacher: „Junge Frau, ich werd‘ hier mit ihrem 50 Euro schon nicht abhauen können. Das ist ein Flugzeug – und ich fliege hier auch bis zum Ende mit!“.

Nur wenig später befinden wir uns in der italienischen Regionalbahn in Richtung Piacenza, wo heute der Besuch eines Spiels der dritten Liga für uns ansteht (genauer: Lega Pro 1, Girone A, welche die beiden Big-Player Piacenza Calcio und den AS Livorno beheimatet). Offensichtlich reist der gemeine Drittligafußballer Italiens auch gerne mit der Bimmelbahn, anders ist es nicht zu erklären, warum gleich mehrere athletische und passabel trainierte Reisegäste mit Pro Piacenza Sporttaschen die Gänge passieren. Schnell haben wir den Weg vom Bahnhof Piacenza zu unserem Hotel gefunden, vor dem der Wirtschaftsflüchtling aus München kommend sein Firmenwagengeschoss auf Kopfsteinpflaster bereits in der Pole Position abgeparkt hat. „Warum treffen wir uns eigentlich freiwillig im Bielefeld Italiens?“, fragt er und erwartet ganz offensichtlich eine fundierte Antwort auf diese Frage. Als hätte sich irgendjemand von uns auch nur ansatzweise über das Reiseziel informiert. Nur das Stadion, das haben wir alle im Vorfeld gesehen – und das ist wunderschön. Reicht doch!

Im Hotelzimmer schaltet Fetti erst einmal den Flatti ein. Ein stillschweigendes Abkommen innerhalb der Gruppe besagt, dass im Ausland Musikvideos geschaut werden müssen. Heute wartet der italienische Videoclipchannel dann auch direkt mit längst vergessener musikalischer Hochkultur in Muttersprache  auf. Als es aufgehört hat, im Karton zu rappeln, kann der kulturell interessierte Teil FUDUs endlich mit dem Innenstadtsightseeing beginnen.

Piacenza hat knapp 100.000 Einwohner. Das Industrie- und Handelszentrum der Emilia-Romagna ist bekannt für seine Erdgas- und Erdölraffinerien und für die Herstellung von Zement, Plastik und landwirtschaftlicher Geräte. Da gerät die deutsche Kartoffel natürlich in absolute Verzückung, so muss sich Dolce Vita anfühlen! Wir jedenfalls schlendern kurz am Dom vorbei, wobei ein kleiner Markt die Sichtachse auf das an sich schöne Gebäude versperrt. Wahrscheinlich hat die UNESCO zu viele Kontrolleure in Potsdam-Babelsberg zur Bewachung der Flutlichtmasten abgestellt, sodass dieser Frevel in Piacenza ungesühnt bleibt. Eine kleine Altstadtgasse gibt es zu bewundern und dann ist zur Erleichterung aller, besonders zu der des Wirtschaftsflüchtlings, das kräftezehrende Sightseeing bereits abgeschlossen und wir machen uns fußläufig auf in Richtung Stadio.

Der gleißende Sonnenschein stellt ganz klar einen attraktiven Begleitumstand dieser etwas ernüchternden Eindrücke dar und auch das Birra Moretti für den Weg weiß zu munden. Am Stadion angekommen, staunen Fetti und die vier Sparschweine FUDUs angesichts der Preisgestaltung erst einmal nicht schlecht, will man in Italiens dritter Liga doch tatsächlich 15 € für einen Stehplatz auf der Hintertortribüne, 20 € für die Tribuna Laterale und 30 € für einen Sitzplatz auf der mächtigen Haupttribüne über den Tresen wandern sehen. Unser polyglotter Multilinguist mit Quedlinburger Wurzeln übernimmt in italienischer Sprache die Verhandlungen. Wäre doch gelacht, wenn unter diesen brillanten Voraussetzungen nicht vier ermäßigte Studententickets à 15 € dabei herumkommen könnten. Der Wirtschaftsflüchtling beginnt zu diskutieren, zu gestikulieren. Eine wilde Viertelstunde später steht fest: Nee, keine Chance. Nur die „Donna“ darf für 15 € passieren, der Rest hat gefälligst den Vollzahlerpreis zu löhnen und ich muss schmunzelnd an einen Werbespot aus den Neunzigern denken.

Warum man an den Kassenhäuschen seine Ausweise abgeben und seine Daten verramschen muss, kann spätestens bei der Passage der Ordnerschleuse kritisch in Frage gestellt werden. In Piacenza interessiert es die Sicherheitskräfte der dritten Spielklasse jedenfalls nicht, welche Namen auf welche Tickets gedruckt sind und so führt der Hoollege das System ad absurdum, indem er mit der Eintrittskarte seiner hoolden Maid in den Händen komplikationslos durchgewunken wird.

Es ist der 31. Spieltag der Saison 2016/17. Der kleine Verein aus Piacenza befindet sich aktuell auf Tabellenrang 10, der Gast aus der Hauptstadt rangiert als 18. und somit Vorvorletzter der Tabelle. Das Spiel in dem überdimensionierten und nahezu menschenleeren Stadion mit heute 21.300 verwaisten Plätzen beginnt vielversprechend. Bereits nach acht Spielminuten landet das Spielgerät nach einem auf den langen Pfosten getretenen Freistoß im Netz, doch der Schiedsrichter verweigert dem Treffer der Hausherren aufgrund einer vermeintlichen Abseitsstellung die Anerkennung.

Während wir erwartungsfroh der Dinge harren, die noch so kommen mögen, beginnt der Herr eine Reihe vor uns in seiner Zeitung zu schmökern. Der Mann ist wohl öfters hier und kann durch einen solchen Spielbeginn nicht so schnell auf das Glatteis geführt werden. Wir amüsieren uns königlich, dass es Menschen gibt, die mindestens 20 € bezahlen, nur um in Ruhe Zeitung lesen zu können und auch die Werbeanzeige seiner Gazetta sorgt für eine neue Erkenntnis: Die Mona Lisa ohne Haare sieht aus wie Wladimir Putin. Sachen gibt’s.

Unser Interesse an dem Spiel verflüchtigt sich nicht ganz so schnell wie das Freistoßspray des engagierten Herren in Neongelb. Zwar sitzen wir ab der 15. Minute leider gänzlich im Schatten des Tribünendachs, doch auf dem Rasen gibt es zumindest im ersten Spielabschnitt einige erwärmende Szenen zu bestaunen. Nach 20 Minuten lassen die Gäste eine Großchance liegen, zehn Minuten später scheitert Pro Piacenzas Stürmer Riccardo Musetti freistehend vor dem Torwart. Die Halbzeit endet mit einem weiteren Abseitstor, dieses Mal nach einem schön vorgetragenen Konter der Lupa Roma. Kurz darauf eilen die Akteure der Gäste in die Katakomben, in denen vielleicht bereits die Wölfin auf ihre hungrigen Kinder wartet. Abstiegskampf auf dem Rasen, aber jetzt geht’s um einen Zitzenplatz!

Die zweite Halbzeit beginnt. In dieser gibt es keine bessere Beschäftigung, als Zeitung zu lesen oder es den Balljungen gleichzutun, die auf der Tartanbahn selbst mit dem Fußballspiel beginnen. Wir haben nach einem kleinen Spaziergang in der Halbzeitpause, der dank des verspäteten Wiederanpfiffs gut 20 Minuten Sonnenstrahlenbetankung eingebracht hatte, nun in einer anderen Reihe Platz genommen und stellen fest, dass der Zufall den Wirtschaftsflüchtling auf Schale Nummer 1312 getrieben hat. Leider hat bereits irgendein anderer Hoppertrottel den entsprechenden Aufkleber gestohlen, sodass an dieser Stelle kein Souvenir in den FUDU-Fundus wandern kann. Bleibende Erinnerungen an dieses Spiel in Form blauer Flecken erhält derweil Piacenza-Keeper Ermanno Fumagalli, der vom mindestens 2,20 Meter großen und 140 Kilogramm schweren Stoßstürmer Mohamed Fofana über den Haufen gerannt wird. Im Anschluss schaltet die Partie in den niveauarmen Leerlaufmodus und trudelt gut 35 Minuten ereignisarm einem traurigen 0:0 entgegen. Erst in der 93. Minute reißt es noch einmal alle 390 Zuschauer aus den Sitzen, als Spanienlegionär Jonathan Aspas die Römer Gästeverteidigung uralt aussehen lässt, letztlich aber scheitert und den Matchball liegen lässt. Dennoch darf an dieser Stelle der Hinweis nicht fehlen, dass Aspas in seiner Karriere bereits für ALKI Larnaca spielte. Schafft ja auch nicht jeder, sein Hobby zum Beruf zu machen.

Auf dem Rückweg in die Innenstadt treffen wir vor dem Eurospar den Moretti-Mann (nicht den mit Kommissar Rex an der Leine, sondern den mit grünem Hut und Schnurrbart) und fühlen uns von dieser grandiosen Werbemaßnahme animiert, noch ein kühles Blondes zu konsumieren.

Auf der Suche nach einem geeigneten Restaurant setzt dann leichter Regen ein und wir werden in die erstbeste Bar gespült, die an der frischen Luft überdachte Plätze anbietet. Dort werden weitere Getränkespezialitäten probiert und die freundliche Küche grüßt uns nahezu im Viertelstundentakt. Bruscetta, Chips, Insalato, Grissini… alles auf’s Haus und rein in die Schweinemägen! Der Regen wird stärker und stärker und etliche afrikanische Regenschirmverkäufer gewittern das große Geschäft. Während der ein oder andere Passant aus seiner Notlage heraus zuschlägt, verbringen wir einfach eine weitere gemütliche Stunde unter der regenabweisenden Plane und kehren erst gegen 19.30 Uhr zurück in das Hotel.

Zwei Stunden später haben die Mastschweine FUDUs zwar immernoch keinen Hunger, aber einen italienischen Abend sollte man immer zwingend in einer Trattoria ausklingen lassen. Bei Gnocchi, Pferderagout und Co wird auch die eine oder andere Karaffe Vino della Casa geleert. Der Wirtschaftsflüchtling gerät in Fahrt und redet sich um Kopf und Kragen. So bricht er im Keller der Trattoria ein legendäres Streitgespräch vom Zaun, an dessen Ende mehrere Menschen unheimlich genervt und von seinem Rundumschlag betroffen sein werden und welches er zu allem Überfluss mit einem lakonischen: „Aber eigentlich ist mir das eh alles egal“ abschließen wird. Als FUDU die Rechnung beglichen hat, steige ich etwas missgestimmt die Treppen hinauf, um die Toilette aufzusuchen. Dort angekommen, hat auch mein Handy endlich wieder Empfang und ich erhalte eine SMS, die seit gut einer Stunde auf Zustellung wartete und in der Pipeline hing. „Wir müssen den Wirtschaftsflüchtling vom Wein fern halten, das wird sonst übel enden“, steht dort geschrieben. Ein feines Gespür hat sie also, die Dame am Tisch und so trägt nachgewiesenermaßen ausschließlich die Technik Schuld an einem etwas aus den Rudern gelaufenen Abend.

Am nächsten Morgen erwartet uns der Wirtschaftsflüchtling im „Out-of-Bed-Look“ auf Socken, in kurzer Hose und Olympique Marseille Trikot am Frühstücksbuffet. Schnell ist die Sache von gestern Abend aus der Welt geschafft und man verabschiedet sich gut gesättigt voneinander. Dreiviertel der Reisegruppe eilen zum Bahnhof, um um 8.58 Uhr die Weiterfahrt via Milano Centrale nach Vicenza antreten zu können. Der Wirtschaftsflüchtling braust mit seinem Audi aus dem italienischen Bielefeld zurück nach München und ich stelle fest, dass FUDU allein mitunter genug Sitcom ist. /hvg

26.02.2017 Rákospalotai Egyetértés Atlétikai Club – Újpest FC II 1:1 (0:1) / Budai II László Stadion / 135 Zs.

Am letzten Tag unseres Budapest-Aufenthalts packt auch den Hoollegen das Kulturfieber. Ein bisschen mehr als Fußball müsste man dann doch noch machen, wenn man das erste Mal in der ungarischen Hauptstadt zu Gast ist. Beflügelt von seinen positiven Erfahrungen, die er vor einigen Wochen in einem litauischen Skulpturenpark sammelte, in welchem er eine überdimensionierte Lenin-Statue sexuell belästigt hatte, ist das kulturelle Ziel schnell auserkoren. Auch in einem Budapester Vorort ist ein Skulpturenpark verortet, der sich den einen oder anderen Schatz aus der Zeit des sozialistischen Ungarns und seinen Anrainerstaaten gesichert hat. Klar, dass es sich unsere beiden Wendeverlierer da nicht nehmen lassen wollen, diesem Disneyland der Volksrepubliken einen Besuch abzustatten.

Mit der modernen Metrolinie 4, die erst seit drei Jahren in Betrieb ist und die beiden Stadthälften „Buda“ und „Pest“ durch einen Tunnel unter der Donau miteinander verbindet, geht es hinaus bis nach Kelenföld, von wo aus ein Bus, der immerhin ein Mal in der Stunde abfährt, die letzten Meter bis an den südwestlichen Stadtrand zurücklegt. Dort ausgestiegen, weisen einem Stalins Stiefel sogleich den Weg in den Skulpturenpark, in welchem wir uns genau eine Stunde lang aufhalten und den Gigantismus vergangener Zeiten auf Zelluloid bannen werden. Nachdem der Hoollege auch hier dem einen oder anderen großen Despoten und einigen Soldaten unter die Röcke schauen konnte, verlassen wir die skurrile Szenerie, um den Dorfbus nicht zu verpassen.

Das nächste Ziel des Tages liegt nämlich 20 Kilometer in nordöstlicher Richtung entfernt und wird gut anderthalb Stunden Fahrtzeit in Anspruch nehmen. Die lange Anreise gestaltet sich dank der anderen Passagiere jedoch einigermaßen kurzweilig. Vergnügt beobachten wir ein Pärchen, deren Kinder die gesamte U-Bahn aufmischen. Hier ein bisschen toben, dort ein wenig klettern und ganz, ganz viel lautes, sinnloses Geschrei. Prinzipiell gibt es gegen explorierende Kinder ja nun wirklich nichts einzuwenden, aber auch hierfür gilt es in gewissen Situationen einen Rahmen aufrecht zu erhalten. Irgendwann sieht auch die Kindesmutter den richtigen Zeitpunkt für eine Intervention gekommen und beordert einen der kleinen Racker auf ihren Schoß. Bestnoten verdient sie sich, als sie den zweiten, soeben beim Ausführen von Klimmzügen an der Haltestange abgerutscht, mit ihrem linken Fuß auffängt. Die Rolle des Vaters während dieses 30-minütigen Spektakels: Auf das Handy glotzen. Ein Hoch auf das Patriarchat – it’s a man’s world!

Als wir den Zug verlassen, ist bereits eine Armada von Ticketkontrolleuren auf dem Bahnsteig aufgezogen. Auf den Jacken der Kontrolleure prangt groß der Firmenschriftzug „TOMCONTROL“ und ich empfinde es als eine zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, dass auch ich meine Fahrkarte vorzeigen muss. Aber wir hatten uns ja irgendwann mal geeinigt, im Blog auf Klarnamen zu verzichten.

Kurz darauf haben wir den Stadtbezirk Rákospalota erreicht und uns durch tristes Plattenbausetting vorbei an einem schönen Wasserturm bis zum Budai II László Stadion vorgekämpft. Was nimmt man nicht alles in Kauf, um ein ungarisches Drittligaspiel sehen zu können. Diese dritte Liga ist in Ungarn übrigens dreigeteilt, wobei jede der Staffeln 18 Vereine in den Wettbewerb schickt. Für Freunde unnützer Details darf an dieser Stelle der Hinweis darauf nicht fehlen, dass FUDU sein Kreuz heute in der Nemzeti Bajnokság III macht. Der gastgebende Rákospalotai Egyetértés Atlétikai Club (oder kurz: REAC) empfängt heute die zweite Mannschaft des Renommierclubs
Újpest FC. In der Reisevorbereitung fielen einst zwei Dinge ins Auge und blieben in Erinnerung:

1.) Zunächst einmal lässt die Tabellensituation die beiden FUDU-Schweine darüber zweifeln, ob Újpests Zweite wirklich am Spielbetrieb teilnimmt. Als Tabellenletzter mit 0 Punkten und einer Tordifferenz von exakt -60 kommt doch der Verdacht auf, dass die Mannschaft womöglich zurückgezogen und jedes Spiel mit 0:3 gewertet worden ist. Doch ein vertiefter Einstieg in die Materie verschafft schnell Klarheit: Die sind schlicht und ergreifend einfach wirklich so schlecht. So stehen auf der Habenseite beispielsweise eine 0:9 Niederlage in Kazincbarcika, ein 0:6 beim FC Hatvan oder auch ein geschmeidiges 1:7 im heimischen Stadion gegen die Zweitvertretung von MTK Budapest zu Buche. Der in Ungarn bislang torlose Fetti kann sich seiner Sache also sicher sein: Heute wird es Tore hageln!

2.) Während der Recherche, ob Újpest noch am Wettbewerb der dritten Liga teilnimmt, fällt auch der Kader der lila-weißen ins Auge. Fetti hat seinen Liebling schnell auserkoren, scheint doch in der Abwehr ein Akteur mit dem herzzerreißenden Namen Ferkel Miklós zu agieren. Süß! Auch der Vig Peter, der von googles automatischem Übersetzungsprogramm „Peter Fröhlich“ genannt wird, weiß die pubertären Komikzentren der Reisenden im Mark zu erschüttern.

Vor dem Stadion empfängt dann ein Ordner in Bomberjacke mit Reichskriegsflaggenaufnäher die torhungrigen FUDU-Schweine, welche sich diesen widerwärtigen Umstand glücklicherweise schönreden können. Muss wohl so in der Stellenausschreibung gestanden haben: Suchen REACtionäre Sicherheitskräfte. Und wenn das offensichtlich eine unabdingbare Schlüsselqualifikation zur Einstellung darstellte, dann kann man da jetzt auch nix machen.

Im Stadion weisen verblasste Sponsorentafeln darauf hin, dass sich REAC einst aufschwang, zu Größerem berufen zu sein. In der Saison 2005/06 spielte man in der Tat in der höchsten Spielklasse des Landes, unter anderen auch gegen die Erstvertretung des heutigen Gegners, damals noch vor knapp 6.000 Zuschauern. Leider stellte man in der Höchstphase des Erfolges wenig bodenständige Planspiele an, die beispielsweise einen Umzug in das gerade einmal 210 Kilometer entfernte Sopron und einen Stadionneubau vorsahen. Genau so schnell wie es bergauf ging, ging es dann auch wieder bergab und heute stellt eben zwei Spielklassen tiefer das Budai II László Stadion den Star des Nachmittags dar.

Dieses besticht durch verrottete Treppenaufgänge, marode Kurven, eine wunderbare Haupttribüne mit gelben und blauen Sitzschalen, eine nostalgische Anzeigetafel, sowie komplett zugemüllte Lagerräume und dabei hat man noch nicht einmal über die wunderbare Aussicht gesprochen, die sich dadurch auszeichnet, dass man freien Blick auf gleich zwei hübsche Kirchen (und einen Penny Markt) genießen kann.

Vor uns sitzt sitzt abermals ein älterer Herr mit einer auffälligen Jacke. Wir staunen nicht schlecht, dass in Ungarn lila-grüne Starter-Jacken der Charlotte Hornets nach wie vor en vogue sind und stellen die steile These auf, dass man im Ostblock modemäßig nach 1990 schnell aufgeholt, nach 1996 aber ebenso schnell wieder stark nachgelassen und stagniert hat.

Das Spiel wird eröffnet, nachdem wir uns ein Löwenbräu aus der Dose aus dem Stadioncatering gegönnt haben, welches höchstwahrscheinlich unmittelbar vor Anpfiff im benachbarten Penny Markt käuflich erworben wurde und hier gegen einen geringen Aufpreis weitergegeben wird.

Auf dem Spielfeld entwickelt sich überraschenderweise eine Auseinandersetzung auf Augenhöhe, da der bislang punktlose und hoffnungslos abgeschlagene Tabellenletzte die Winterpause offenbar genutzt hat, um ordentlich an den eigenen Schwachstellen zu arbeiten. Das Spiel können sie jedenfalls einigermaßen offen gestalten, wobei leider lediglich Herr Ferkel zum Einsatz kommt, während sich der Vig Peter nicht einmal im Kader befindet. Da wird er aber nicht all zu fröhlich drüber sein. Große Augen machen die Hausherren spätestens in dem Moment, in dem die Gäste nach einer halben Stunde mit 1:0 durch Gere Zoltán László in Führung gehen können. FUDU gerät angesichts dieses ersten historischen Treffers auf ungarischem Boden in Ekstase und gönnt sich noch ein Löwenbräu.

In der 39. Minute setzt ein REAC-Akteur einen Kopfball an den Pfosten und nach und nach kann der ehemalige Erstligist doch seine Qualitäten abrufen und dem Spiel den Stempel aufdrücken. Die gesamte zweite Halbzeit läuft ausschließlich in eine Richtung und REAC drängt mit aller Macht auf den Ausgleich. Eine Wasserstoffblondine mit rosa Basecap feuert die gelb-blauen Akteure ebenso an, wie die Balljungen am Spielfeldrand, ansonsten kommt atmosphärisch eher wenig von den Rängen. Nach einer gespielten Stunde hat REAC zwei Großchancen liegen gelassen, nach 67 Minuten klärt Újpest einen Kopfball auf der Torlinie. Und so läuft dem großen Favoriten nach und nach die Zeit davon, doch der Schlussakkord bleibt den gelb-blauen vorbehalten. In der 90. Spielminute gelingt Kollár Zsolt per direkt verwandeltem Freistoß der vielumjubelte Ausgleich, wobei nach Abpfiff auch die Gäste in Anbetracht ihres ersten Punktgewinns in der laufenden Saison Freudentränen in den Augen haben.

Nach Abpfiff fällt die rosa bekappte Wasserstoffprinzessin dem schlechtesten Spieler auf dem Feld in die Arme, der auf Seiten REACs nach gut 70 Minuten eingewechselt worden war und sich alles andere als nachhaltig um einen Platz in der Startelf beworben hatte. Wir freuen uns angesichts des Medizinkits aus dem zweiten Weltkrieg darüber, dass sich hier kein Akteur ernsthaft verletzt hat und ins Lazarett gebracht werden musste. Mit einem letzten Löwenbräu für den Weg verlassen wir das Stadiongelände und machen uns auf den Weg in den Heimatstadtteil der heutigen Gäste. Auf nach Újpest, IV. Bezirk der ungarischen Hauptstadt, der mit dem unschlagbaren Argument aufwartet, Partnerbezirk von Marzahn-Hellersdorf zu sein.

Dort kehren Fetti und seine Freunde zunächst einmal in einem Restaurant ein, welches mit maritimen Ambiente seine Gäste in die Kombüse zu locken versucht. Da bereits in Praha gute Erfahrungen mit einer ähnlichen Gaststätte gemacht worden sind, lässt sich FUDU heute auch durch die Speisekarte von 2012 nicht abschrecken. Die großen osteuropäischen Seefahrernationen müssen ihr Menü eben nicht ständig updaten, wenn die Qualität von Hause aus stimmt.

Nachdem Fetti mehrere Artgenossen auf einem Teller (Schweinefilet gefüllt mit Wurstbret im Speckmantel) genüsslich verspeist hat, macht er sich auf zu „irgendeinem Eishockeyspiel“, welches am Vorabend bei der Recherche bezüglich der Abendplanung auf dem Hoppingradar aufgetaucht war. Heute spielt der Újpest TE gegen ein Team namens Dunaújvárosi Acélbikák (ach, komm, das habt ihr doch jetzt nicht ernsthaft versucht zu lesen…) und wir haben in der Tat keinerlei Vorstellungen über die Größe des Stadions und der zu erwartenden Qualität des Spiels.

Angekommen an der Halle reiben wir uns aufgrund der langen Schlangen an den Tickethäuschen die Augen. Mit Mühe und Not ergattern wir eine Eintrittskarte und nehmen Platz in der kleinen Eishalle, die mit gut 2.000 Zuschauern bis unter das Dach gefüllt ist und bereits jetzt verspricht, ein echter Hexenkessel zu werden. Das Spiel trägt dann sein übriges zu dem gelungenen Abend bei. Es entwickelt sich ein offener Schlagabtausch, hart und intensiv von beiden Seiten geführt. Die Heimseite supportet laut, leidenschaftlich und durchgängig. Das Spielgeschehen wogt hin und her und kann im Minutentakt in die eine oder andere Richtung kippen. Die Gäste gehen zwei Mal in Führung, doch sechs Minuten vor dem Ende der regulären Spielzeit gleichen die Hausherren aus. Nach 69 Minuten gelingt dem Slowenien-Legionär Anže Ropret der 3:2 Siegtreffer in der Verlängerung und die lila-weißen Schlachtenbummler drohen mit ihren „Hajrá Lilák“ Gesängen das Dach abzutragen. Kein Wunder, da wir, wie wir im Nachhinein erfahren, aus Versehen zu Gast bei einem alles entscheidenden siebenten Play-Off-Spiel des Viertelfinales der MOL-Liga waren.

Glücksbeseelt von diesem überraschend tollen Eishockeyabend treten wir den Rückweg auf’s Schachbett an. Morgen früh wird uns RyanAir zurück nach Berlin und mehr oder weniger direkt auf die Arbeitsstelle befördern. Es bleibt wieder einmal gerade genügend Zeit für einen Abschiedskalauer. Irgendwann noch mal nach Ungarn? Gar nicht mal so ungern…! /hvg

25.02.2017 Ferencvárosi Torna Club – Videoton FC 0:0 (0:0) / Üllői-úti-Stadion / 8.725 Zs.

Dank der ausgekundschafteten öffentlichen Nahverkehrsverbindung geht die Überfahrt von Kispest nach Ferencvaros leicht von der Hand. Auf der U-Bahn-Etappe begehen die beiden FUDU-Lästermäuler jedoch die Missetat, sich über eine aufgetakelte Schönheit zu amüsieren. Im Zentrum des Spotts stehen hierbei ihre Leopardenleggings, wobei man getrost von einem Anfängerfehler sprechen kann, wenn man, davon ausgehend, dass in der näheren Umgebung schon niemand die deutsche Sprache beherrschen wird, dies auch öffentlich so benennt und dabei verkennt, dass das ungarische Wort für „Leopard“ eben „Leopárd“ ist. Die der englischen Sprache entlehnte Begrifflichkeit Leggings wird ohnehin global verstanden und so ist es nur folgerichtig, dass die junge Dame uns beim Lästern ertappt und ihrerseits das Gesicht zur Faust ballt. Merke: Möchtest Du Dich in Ungarn ungestraft über Leopardenleggings lustig machen, nutze die Umschreibung „Wildtierbuchse“.

Um diese Erkenntnis reicher, finden wir uns gerade so rechtzeitig am Stadion des ungarischen Rekordmeisters ein. Schnell werden dort die kurzen Schlangen an den Drehkreuzen abgearbeitet. Auch wir passieren die Stadiontore mit unseren erworbenen personalisierten Eintrittskarten problemlos, wobei ein erneuter Scan der Handflächen von Nöten ist, bevor sich das magische Stadionportal für einen öffnet.

Neben uns lassen heute lediglich 8.723 weitere Menschen dieses furchtbare Trauerspiel mit sich spielen, um die seelenlose Arena betreten zu dürfen. Diese wurde im Jahr 2014 feierlich unter einem Sponsorennamen eröffnet und hat bis auf den Standort leider rein gar nichts mehr mit der ursprünglichen Spielstätte Ferencváros‘ zu tun, die von 2007-2014 Albert-Flórián-Stadion hieß. Immerhin erinnert nach wie vor zumindest eine Statue an die Clublegende, die 1967 zu Europas Fußballer des Jahres gewählt worden war.

Im Stadioninneren angekommen setzt sich der Kulturschock weiter fort. Aus dem Himmel der Fußballreinkultur in Kispest kopfüber hinein in die Fußballhölle Franzstadts, sozusagen. Die Ultrászene boykottiert die Spiele ihres Herzensvereins logisch konsequent seit Mitte 2014, wobei sich die Gründe an dieser Stelle wohl selbst für Menschen erschließen lassen dürften, deren Fachgebiet jetzt nicht vorrangig in Fragen der Fankultur verortet liegt. Unsere Tribüne, die zu Dumpingpreisen verramscht worden ist, ist gerammelt voll. Um uns herum sitzen Familien, deren Kinder quietschend durch die Sitzreihen toben. Es stinkt nach Popcorn. Bier kann man selbstverständlich auch nicht erwerben, es sei denn, man erklärt sich bereit, seine Seele erneut an die Totengräber des Fußballs zu verkaufen und sich eine Arena-Paycard zuzulegen. Hinter dem einen Tor hat sich ein jämmerlicher Haufen Kutten zusammengefunden, die mit ihren „Fradi“-Rufen versuchen, so etwas ähnliches wie Atmosphäre zu erzeugen. Ansonsten gibt es knapp 15.000 leere grüne Sitzschalen zu goutieren und plötzlich fällt es uns wie Schuppen von den Augen: Dieses widerliche Stadionerlebnis erinnert auf so vielen Ebenen an einen Besuch des Retortenprodukts in Leipzig. Ach, wären wir doch lieber noch eine halbe Stunde länger in Kispest geblieben und hätten mit Márton Eppler gefeiert…

Kommen wir nun zum sportlichen Teil des Abends. Ferencváros liegt aktuell nur auf einem enttäuschenden vierten Platz und droht die avisierte Meisterschaft deutlich zu verpassen. Cheftrainer Thomas Doll sieht sich bereits arger Kritik ausgesetzt und es steht die berechtigte Frage im Raum, in wie weit sein Plan, drittklassige deutsche (Sternberg, Hüsing, Trinks) bzw. in Deutschland gescheiterte und in die Jahre gekommene Fußballspieler (Kleinheisler, Djuricin, Hajnal) in Ungarns erster Liga Erfolg versprechend einzusetzen, aufgehen kann.

FUDUs minutiöse Vorbereitung auf die Partie wird zu allem Überfluss über den Haufen geworfen, da sich der ehemalige Bremer Florian Trinks heute nicht im Kader befindet. Das im Vorfeld erdachte Saufspiel, bei jedem Ballkontakt Florians einen zu heben, kann daher heute leider nicht wie geplant stattfinden. Aber immerhin kommen die beiden Forinthenkacker so endgültig um den Erwerb einer Bezahlkarte drumherum.

Auf der gegenüberliegenden Seite agiert heute der legendäre Videoton FC aus Székesfehérvár, der sich aktuell an der Spitze der Tabelle befindet. „Vidi“ dürfte jedem Fußballfreund, der gerne in den Archiven wühlt, ein Begriff sein, sorgten die rot-weißen in der Saison 1984/85 schließlich international für Aufsehen. Nachdem man Dukla Praha, Paris St. Germain, Partizan, Manchester United und den FK Željezničar ausgeschaltet hatte, scheiterte man erst im Finale des UEFA-Cups denkbar knapp an Real Madrid, wobei das Rückspiel im Santiago Bernabéu sogar mit 1:0 gewonnen werden konnte. Mein Bezug zu dem Club ist darüber hinaus dadurch gegeben, dass ich bereits drei Mal mit der ungarischen Eisenbahn am Sóstói-Stadion mit seinen wunderschönen Flutlichtmasten vorbeigefahren bin und ein Besuch dieser Stadt auf meiner persönlichen To-Do-Liste locker unter den ersten 100 Punkten zu finden wäre.

Aufmerksame Leser stellen sich womöglich die Frage, warum all dies für diesen Bericht relevant ist. Ich könnte noch erklären, dass die drei E im Vereinsemblem Ferencaváros‘ für „Erkölcs“, „Erő“ und „Egyetértés“ (Moral, Kraft, Eintracht) stehen, einzig und allein aus dem Grund, mich noch ein wenig darum winden zu können, etwas über das Fußballspiel zwischen Fradi und Vidi berichten zu müssen.

Dieses ist nämlich über die gesamte Spieldauer genau so zum Davonlaufen wie das Stadionambiente als solches. Thomas Doll tigert nervös die Außenlinie entlang („der Roadrunner von ACNE“) und der Schiedsrichter passt sich mit einigen sonderbaren Entscheidungen dem spielerischen Niveau der Partie an. Nach zwanzig Minuten köpft Oliver Hüsing nach einem Freistoß gegen den Pfosten – es soll die einzige Chance der gesamten Partie bleiben. Eine Viertelstunde später bekommen sich Marco Djuricin und László Kleinheisler während des Spiels auf dem Platz so sehr in die Haare, dass Mitspieler die beiden Streithähne voneinander trennen müssen. Der nichtige Anlass des Konflikts: Kleinheisler hatte den Ball zu lange am Fuß geführt und den richtigen Moment des Abspiels verpasst, sodass Herr Djuricin abseits stand. In dieser Truppe stimmt die Chemie!

Auch in der zweiten Halbzeit können beide Mannschaften kein Tempo, keine Genauigkeit und keine Finesse auf den Platz bringen. FUDU konstatiert: Dieses Spiel ist so höhepunktarm wie ein Priester. Am Ende entführen die von Blackburn-Legende Henning Berg trainierten Gäste einen Punkt aus der Arena, während wir mit hängenden Köpfen aus selbiger schleichen und nach 175 Minuten „Fußball“ in Ungarn noch immer keinen Treffer kredenzt bekommen haben.

In den Katakomben wird Pressekonferenzlegende Thomas Doll („Bla bla bla ist das, alles bla bla bla!“) in der Pflicht stehen, das Gesehene schön zu reden. Womöglich diktiert er den ungarischen Journalisten aber gerade auch einfach ein „Doll wart nich!“ in die Notizbücher, als wir auch endlich ein für uns schönes Momentum an diesem negativen Fußballerlebnis in der Arena entdecken. Durch das 0:0 beider Teams ist der Honvéd FC an Videoton vorbeigezogen und grüßt nun von der Tabellenspitze.

Der Traditionsverein mit seiner Traditionsspielstätte ist fortan auf dem besten Weg zu seiner ersten Meisterschaft seit 24 Jahren. Und so kann dieser Bericht doch mit der einigermaßen versöhnlichen Erkenntnis ausklingen, dass der moderne Fußball mit all seinen widerlichen Kapriolen dann und wann trotzdem unterlegen bleibt! /hvg

25.02.2017 Budapest Honvéd FC – Debreceni VSC 1:0 (0:0) / Bozsik-József-Stadion / 2.019 Zs.

Es ist Freitagabend und der 1.FC Union Berlin hat seinen Spieltag mit einem 2:0 Heimsieg gegen den TSV 1860 München bereits erfolgreich hinter sich gebracht. Somit verbleibt für uns kein einziger stichhaltiger Grund, ein ganzes Wochenende in Berlin verbleiben zu müssen. Schnell werden die Erwartungen an die geplante Wochenendreise ausgelotet und ebenso schnell stellt sich heraus, dass diese erstmals etwas auseinanderklaffen. „Möglichst viele Spiele in kurzer Zeit sehen”, schreibt sich der Hoollege als Credo auf die Fahnen, während unsereins die Sightseeingfelle bereits davonschwimmen sieht. Am Ende fällt unsere Wahl des Reiseziels gut begründet auf Ungarn. Zunächst einmal aus reiner Dankbarkeit – hätte Király Gábor nicht kürzlich seine Jogginghose in Fußballdeutschland an den Nagel gehangen, der 1.FC Union hätte wohl abermals nicht gegen den TSV 1860 gewinnen können. Darüber hinaus bin ich im März 2013 denkbar knapp an meinem Länderpunkt Ungarn vorbeigeschrammt, als die erstklassige Partie zwischen dem Bodajk FC Siófok und Diósgyöri VTK kurzfristig Schneeverwehungen zum Opfer gefallen war. Obendrein ist es möglich, an einem Wochenende gleich drei Spiele in einer Stadt zu besuchen, was den Hoollegen in Verzückung versetzt. Den Gefallen kann ich ihm tun, schließlich war ich bereits drei Mal in der ungarischen Hauptstadt zu Gast, kenne jede Sehenswürdigkeit und auch jede Falte im Gellértbad und kann so getrost auf neuerliches Sightseeing verzichten.

Am Samstag bietet Nadjuschka um fünf Uhr in der Früh einen kostenlosen Transfer im Tschechenbentley zum Flughafen an. Klar, dass die beiden Althauer bei diesem unwiderstehlichen Angebot höchstpünktlich zur Abhoolung bereit stehen. Dank der haften gebliebenen Ortskenntnisse der vergangenen Ungarnreisen ist der Flughafenbus nach erfolgter Landung in Budapest schnell gefunden. Um das logistisch günstig gebuchte Hotel in der Nähe des Bahnhofs Kőbánya-Kispest zu finden, benötigt es aber die freundliche Hilfe zweier junger Ungarn, die uns zunächst in englischer Sprache den Weg erklären, dann aber offenbar das Gefühl entwickeln, dass wir womöglich etwas auf den Kopf gefallen sind und uns dann folgerichtig lieber persönlich durch die wunderbar heruntergekommenen Bahnhofsgänge hindurch in ein Shoppingcenter schleusen, wo sie uns dann mit einem letzten Fingerzeig in Richtung Hotel in unseren Wochenendurlaub entlassen.

Kurz darauf haben wir im Hotel Chesscom in der Bartók Béla Utca eingechecked, der bekanntermaßen kein Schachspieler, sondern Komponist war. Leider können wir unsere Zimmer noch nicht beziehen, stattdessen aber die Serviceleistung in Anspruch nehmen, unsere Gepäckstücke in einem Gitterverschlag einzuschließen. Der Hoollege schlägt beim Verstauen der Rucksäcke vor, mich ebenfalls wegzusperren, was die Rezeptionistin mit einem gequälten Lächeln quittiert. Wohl erst 284 Mal gehört, diesen Hänsel und Gretel Gag.

Professionelle Fußballspieler denken häufig nur von Spiel zu Spiel. Professionelle Fußballspieler verfügen in der Regel aber auch über einen derart eingeschränkten Horizont, dass ihnen schlicht und ergreifend keine andere Wahl bleibt. Fetti hingegen ist ambitioniert, vorausschauend und mit einem nicht in Worte zu fassenden Weitblick ausgestattet. Klar, dass er daher heute vor dem Besuch des ersten Spiels bereits das zweite plant und so führt ihn der erste Weg des Tages mit der blauen Metrólinie 3 nach Népliget, wo sich das Stadion des Ferencvárosi Torna Club befindet.

Dort gilt es vor dem Kartenkauf erst einmal im schmuckvoll vergitterten „Regisztráció“-Büro vorstellig zu werden. Von dem Procedere hatte bereits Günter aus Malta einschlägig geschwärmt – nun wird unser Traum wahr und endlich dürfen auch wir einen mehrseitigen Fragebogen ausfüllen, den die freundlichen Vereinsverantwortlichen Ferencvaros‘ auch in englischer Sprache vorliegen haben. Besonders angetan hat es uns die Kategorie „Full Mother’s Name“. Und während wir grübeln, was zur Hölle das bedeuten soll und warum dies eine relevante Angabe für einen Stadionbesuch in Ungarn darstellen könnte, füllen wir bereits kichernd „Marlies Silvia“ und „Susanne Katrin“ in die entsprechenden Lücken. Ich denke, es ist an dieser Stelle angebracht, sich bei unseren Müttern zu entschuldigen, deren Daten nun in einer Gewalttäter-Sport-Datei erfasst sind und die hoffentlich nachhaltig für etwas Irritationen bei ungarischen Sicherheitsbeamten sorgen.

Nach dem Ausfüllen der Dokumente werden Fotoaufnahmen (Portraitfoto, Profilfoto links, Profilfoto rechts) angefertigt und anschließend mittels moderner Scannertechnik unsere Handflächen eingelesen. Als ein freundlicher Ungar uns beobachtet, wie wir etwas ungläubig all dies über uns ergehen lassen, kommentiert er süffisant die Szenerie: „We have the safest Stadium in the World!“ und wir erinnern uns plötzlich wieder daran, dass wir ja eigentlich nur zum Fußball gehen wollten.

Für unverschämte 1500 Forint erhält man dann seine persönliche Chipkarte mit einem Konglomerat an Daten, wie es einst nur für Staatsbedienstete in einem Hochsicherheitstrakt angefertigt worden wäre und ist somit endlich zu einem Erwerb von Eintrittskarten berechtigt. Diese werden einem dann für die besten Plätze des Stadions kurz darauf zu einem Discountpreis von 1000 Forint hinterhergeschmissen.

Sichtlich gezeichnet von diesem furchtbaren Erlebnis treten wir den Rückweg in den XIX. Bezirk im Südosten der Hauptstadt an (Kispest). Dort erkunden wir die nähere Umgebung des Hotels, laufen erste Wege ab und besteigen dann den erstbesten Bus, von dem wir vermuten, er könnte uns in die Nähe des Bozsik-József-Stadions befördern. Viel zu früh verlassen wir diesen und kommen so in den Genuss, den Stadtteil etwas ausführlicher zu erkunden. Schnell keimen bei den Streifzügen durch die Straßen Erinnerungen an Leipzig-Leutzsch auf. Viele schöne Häuser stehen leer und sind deutlich in die Jahre gekommen. In den meisten Geschäften scheint die Zeit still zu stehen. Die allermeisten Schaufenster offerieren Werkzeuge und Baumaterialien und sind ganz offensichtlich seit den frühen Neunzigern nicht mehr umdekoriert worden. Da schüttelt es meine Reisebegleitung, seines Zeichens anerkannter Experte für visuelles Marketing.

Nachdem wir das Stadion von Honvéd gefunden und in leerem Zustand bewundert und fotografiert haben, entschließen wir uns in Ermangelung von Restaurants noch einmal zum Bahnhof Kőbánya-Kispest zurückzukehren. Nachdem wir beim zweiten Versuch des heutigen Tages den richtigen Bus erwischt haben, haben wir nun auch alle benötigten Koordinaten für die weitere Tagesverlaufsplanung beisammen (Wegstrecken Bahnhof-Stadion1-Bahnhof-Stadion2), was einerseits zu der Erkenntnis führt, dass wir das erste Spiel fünf Minuten vor Abpfiff verlassen werden müssen und andererseits noch einmal verdeutlicht, dass das Ermitteln solcher Koordinaten ohne Smartphone zwar länger dauert, aber wesentlich mehr Spaß bereitet und für bleibende Eindrücke sorgt.

Wir kehren dann etwas enttäuscht im „Foodcourt” der „Shoppingmall” (altdt.: Futterecke des Einkaufszentrums) ein. Dort offeriert die Auslage eines der Mensa-Restaurants dann zu unserer Überraschung aber recht lecker aussehende landestypische Speisen. Aufgrund der Sprachbarriere zeigen wir mit den Fingern wild durch die Gegend und erhalten letztlich zwei Gerichte unklarer Zusammensetzung und Bezeichnung, die aber beide schmackhaft sind. Abgerundet wird das Festmahl durch meinen italienischen Lieblingseistee der Marke San Benedetto, der es mittlerweile in viele europäische Regale geschafft hat, aber nach wie vor zurecht einen großen Bogen um die deutschen Kostverächter macht, die sich weiterhin stillos über 0,49 € teures Zuckerwasser aus dem Tetra Pak hermachen dürfen.

Gut eine halbe Stunde vor Spielbeginn wieder vor dem Bozsik-József-Stadion angekommen, organisiert der Hoollege in gebückter Haltung unsere Eintrittskarten, da sich die Kassenhäuschen, bzw. deren Fenster, knapp unter Normalnull befinden. Schön, wenn man während des Anstehens lediglich verputzte Wände sieht. Der Überraschungseffekt ist dem Hörensagen nach jedoch einigermaßen angenehm, wenn man in die Hocke gehend Kontakt mit dem Verkaufspersonal aufnehmen mag und zur Begrüßung erst einmal einmal ein wohlgeformtes osteuropäisches Dekolleté präsentiert bekommt.

Gut gelaunt wird der Sektion Sextourismus im Anschluss „Borsodi“ aus dem Hahn und die nostalgische Hymne aus den knarzenden Lautsprechern serviert, während ein hochnotpeinliches Löwen-Maskottchen die ersten Gäste in der altehrwürdigen Sportanlage in Empfang nimmt. Was für ein wunderbares Stadion – alte Tribünen, Industriecharme und sozialistischer Wohnungsbau bilden eine malerische Umgebung, die von opulenten Flutlichtmasten abgerundet wird. Mehr braucht es nicht!

Bevor wir in der Gegenwart ankommen, schwelge ich noch ein wenig in Erinnerungen und berichte von meiner ersten Begegnung mit dem heute gastgebenden Verein, der damals als Kispest-Honvéd in meinen Sprachgebrauch eingegangen war. Es muss Mitte der 90er Jahre gewesen sein, als der ungarische Traditionsclub (13x Meister, zuletzt 1993) im UEFA-Cup auf Bayer 04 Leverkusen traf. Damals saß ich, wie bei jedem Europapokalspiel deutscher Mannschaften, vor dem Fernseher und fieberte fest entschlossen mit meinen PANINI-Idolen, woran mich nicht einmal Jörg Dahlmann hindern konnte. Heute, gerade einmal 20 Jahre später, hat man diese schlechte Angewohnheit glücklicherweise ad acta legen können. Im Nachgang der Reise ist FUDU jedoch einem großen Skandal auf die Schliche gekommen, schließlich spielte Bayer 04 beim 2:0 Rückspielsieg  ganz offensichtlich mit 20 Spielern, darunter u.a. 2x Pavel Hapal und 2x Paulo Sérgio! Wird alles zeitnah an den CAS weitergeleitet…

Nun aber ab in die Gegenwart. Heute steigt der 22. Spieltag der ersten ungarischen Fußballliga und die Gastgeber liegen als Tabellenzweiter so gut auf Kurs wie schon seit Jahren nicht mehr. Die Gäste aus Debrecen kämpfen als aktueller 10. der 12’er Liga gegen den Abstieg und werden heute von ca. 120 Schlachtenbummlern begleitet, von denen die Hälfte schwarzgekleidet hinter Gruppenflaggen der „Szívtiprók Ultras“ mit faschistischer Symbolik stehen und zu verstehen geben, dass sie auch nicht mehr Klasse als ihre Mannschaft haben. Direkt vor uns sitzt ein alter Mann mit einer Jacke, die locker alles in den Schatten stellt, was die Kategorie C bislang so zu bieten hatte. Vergesst Yakuza, Amstaff, Pitbull. Ab heute geht nichts mehr über ein Kleidungsstück der Marke „Agressor“ (sic!) mit dem wunderbaren Motto: „Jeanswear for negative Life!“. Genau wie wir ist auch der „Agressor“ nur von einer Hecke vom Spielfeld getrennt, wobei eine etwas größere lichte Stelle in selbiger glücklicherweise von einem Ordner bewacht wird.
Die Heimszene schräg gegenüber pflegt ganz offensichtlich einen britischen Stil, was sich in Zaunfahnenkultur und der Art der akustischen Begleitung des Spiels niederschlägt.

Während wir diese Umgebungseindrücke sammeln, lassen die Akteure den Ball eher schlecht als recht über den Rasen laufen. Das Spiel spielt sich größtenteils mit überschaubarer Geschwindigkeit zwischen den Strafräumen ab. Auffällig ist die Nummer 24 der Hausherren, Đorđe Kamber, seines Zeichens halb Bosnier, halb Ungar, halb Holzfäller, der alles aus Debrecen umnietet, was sich anschickt, näher als 30 Meter an das zu verteidigende Tor heranzulaufen. Auch die wenigen Standards Kispests verpuffen kläglich („die flache Ecke ist hoch im Kurs!“), sodass der nächste Höhepunkt erst in der 22. Minute auf die Notizzettel wandert.

Verletzungsbedingt muss Debrecens Mittelfeldmotor Frank Feltscher, seines Zeichens Bruder der Duisburger Swaglegende Rolf, das Feld verlassen. Eine Instagram-Story hierüber ist sicherlich bereits verfügbar. Der eingewechselte Hyun-Jun Suk (geboren 1991) kann eine interessante Vita nachweisen, spielte er in noch jüngeren Jahren schließlich bereits für den AFC Ajax und den FC Porto und wurde einst als Rohdiamant bezeichnet. Heute ist er auf dem Rasen jedenfalls sogleich einer der auffälligsten Akteure. Technisch versiert, schnell, dribbelstark – aber fast jeder seiner Steilpässe landet im Nirwana. FUDU konstatiert: Der muss noch ein Auge für das Spiel entwickeln, wobei das jetzt bei einem asiatischen Spieler auch wieder für einen Shitstorm aus dem Mommsenstadion sorgen könnte. Vielleicht ist Suk mit seinen 15 Länderspielen, mehreren Treffern in Hollands und Portugals höchster Spielklasse, aber auch schlicht und ergreifend einfach etwas zu überqualifiziert für ein funktionierendes Zusammenspiel mit seinen Kollegen.

Sei es wie es sei. Nach und nach übernehmen einige englischsprachige Hopper die Stimmungshoheit auf der Tribüne und lassen die Atmosphäre noch etwas britischer werden. Über die gesamte Dauer des Spiels wird Honvéd überlegen spielen, gewillt wirken und doch aufgrund vieler fehlender letzter Pässe und schwacher Abschlüsse zielstrebig auf ein enttäuschendes 0:0 zusteuern.

Knapp fünf Minuten vor Spielende macht sich FUDU auf den Weg zur altbekannten Busstation, um rechtzeitig zum Anpfiff des zweiten Spiels des Tages eintreffen zu können. Kaum haben wir das Stadionareal verlassen, vernehmen wir einen markerschütternden Torjubel, der gemeinsam mit uns bis zur Hauptstraße wabert. Márton Eppler, der in der 70. Minute noch kläglich aus fünf Metern gescheitert war, hat in der 85. Spielminute das 1:0 für Honvéd erzielt.

Veräppeln können wir uns selber, Márton. Immer von Spiel zu Spiel denken. Auf nach Franzstadt, FUDU! /hvg

18.02.2017 FC Mulhouse – FC Montceau Bourgogne 1:1 (1:1) / Stade de l’Ill / 400 Zs.

Als wäre die Vorfreude, Deutschland zu verlassen, nicht ohnehin bereits groß genug gewesen, tun meine Landsleute in der Warteschlange am Flughafen Schönefeld ihr übriges. Erneut wird mir bewusst, dass das Hauptproblem Berlins die Nähe zu Sachsen ist. Zum wiederholten Male gehen mir jedenfalls sächsische Casuals, die in Ermangelung eines echten Flughafens in Dresden, Leipzig oder Pirna-Copitz in Berlin abfliegen, gehörig mit ihrem Gequatsche auf die Nerven. Zu „Attaloenda“ nach „Bergamoe“ soll sie heute ihre Reise führen und noch bevor ich echten Hass auf diese ostdeutsch karierte Reisegruppe entwickeln kann, hat mir eine alle 30 Sekunden auf die Uhr glotzende Dränglerin von hinten bereits zum dritten Mal ihren Rollkoffer in die Fersen manövriert. Der Rollkoffer an sich ist überhaupt die furchtbarste Erfindung der letzten Jahrzehnte. Ich kann es nicht mehr ertragen, wenn Menschen ihre zwei Kilogramm Gepäck hinter sich herziehen und damit Gänge auf Flughäfen oder Bahnhöfen verstopfen. Ich verkrampfe innerlich, wenn ich beobachte, wie Menschen ihre zwei Kilogramm schweren Köfferchen mit einem Finger Treppen hinauftragen, dann aber direkt hinter der letzten Treppenstufe stehen bleiben, um das Gefährt neu justieren und wieder ziehen zu können und so rücksichtslos Stauungen verursachen. Ich hasse das Geräusch, das ein über Friedrichshainer Kopfsteinpflaster gezogener Rollkoffer verursacht. Ich stelle mir vor, wie ich nach dem Tod des Erfinders dieses gottverdammten Gepäckstücks mit dessen Sarg auf Rollen die ganze Nacht um sein Elternhaus herumlaufe. Ratter, ratter, ratter. Nehmt das, ihr Hunde…

… Aber dann reißt mich auch schon eine Ansage der sympathischen Flugbegleiterinnen aus allen misanthropischen Träumereien. Die easyjet-Maschine ist soeben pünktlich um 8.20 Uhr am EuroAirport Basel-Mulhouse-Freiburg gelandet. Nun möchte man meinen, dass man von diesem Flughafen problemlos die Städte Basel, Mulhouse und Freiburg erreichen sollte, doch schnell stellt sich heraus, dass Namen mitunter auch nur Schall und Rauch sind. Während es nämlich direkte Busverbindungen nach Basel und Freiburg gibt, empfiehlt die Airport-Website die Anreise nach Mulhouse via St. Louis anzutreten. Keine 45 Minuten später rollt dann auch schon ein Bus mit eben diesem Reiseziel an der Haltestelle ein. Der Umstand, dass der Fahrkartenautomat defekt ist und man die Reise daher ohne gültiges Ticket bestreiten können wird, tröstet ein wenig über den eher schlechten Anschluss hinweg.

15 Minuten später hält der Bus gegenüber des Bahnhofs von St. Louis inmitten einer immensen Baustelle. Fetti wirft einen kurzen Blick auf die Pläne und kann das Bauprojekt kurz darauf nur gut heißen. Zwischen dem nördlichen Terminal des EuroAirports und dem Bahnhof von St. Louis entsteht eine sieben Kilometer lange Straßenbahnverbindung, die künftig den Transfer erleichtern soll („Oh yes, very soon!“).

Selbstverständlich scheitere ich kurz darauf am Automaten der SCNF. Wie bereits in Nice und St. Étienne im Sommer 2015 kann dieser mit meiner Kreditkarte nichts anfangen und verweigert mir den Ausdruck meiner online erworbenen und bereits bezahlten Billets. Mit meinem Oxford-Französisch gelingt es, dem freundlichen Verkäufer am Fahrkartenschalter meine missliche Lage zu erklären. Die 2015er Abläufe sitzen derart sicher, dass ich nur kurz darauf meine Fahrkarte in den Händen halte. Darüber hinaus erwerbe ich auch die neuerliche Gewissheit, dass ich mich lieber mit Menschen als mit Maschinen auseinandersetze. Lange hält diese Gewissheit jedoch nicht an, da nur kurz darauf eine deutsche Rentnergruppe in den Verkaufsraum eindringt und den freundlichen Fahrkartenverkäufer in einer für ihn unverständlichen Sprache anspricht. Gerade überlege ich, ob ich dolmetschend zur Hilfe eilen soll, als einer der Senioren laut kund tut: „Das gibt es doch gar nicht, die müssen hier doch Deutsch sprechen!“. Nee, müssense nich, denke ich mir und verlasse schweigend die Szenerie.

Im Anschluss wartet der infrastrukturelle Endgegner auf Fetti. Denn noch gilt es, 35 weitere Kilometer bis zum Gare Centrale in Mulhouse zurückzulegen. Läppische 14 Minuten werden für diese Zugfahrt veranschlagt. Da stößt es besonders bitter auf, dass der nächste Zug, der diese Todesetappe zurücklegen wird, den Bahnhof in genau einer Stunde und zwanzig Minuten verlassen wird. Fassen wir das Desaster noch einmal kurz zusammen, bevor wir mit dem unverhofften Vorort-Sightseeing beginnen und in St. Louis den Blues kriegen können: Für 41 Kilometer vom Flughafen Mulhouse bis nach Mulhouse benötigt man also zwei Stunden und vierunddreißig Minuten. Chapeau!

Nur kurz darauf ist klar, dass St. Louis nicht sonderlich viel zu bieten hat und Fetti bricht das Besichtigungsprogramm auf der Avenue de la Marine ab, nachdem das Rathaus der Stadt optisch durchgefallen ist und auch das Gefallenendenkmal im „Square de Souvenir“ eher weniger interessant ist, als die Aussicht auf ein Bier im Bahnhofsbistro.

Kurz nachdem dieses in einem Zug geleert ist, fallen mir auch bereits der Hoollege und Nadjuschka in Mulhouse in die Arme und überreichen mir eine Stadionpostkarte aus Sochaux. Dann ist aber auch schon Schluss mit den Zärtlichkeiten unter Freunden. Es beginnt der reine Überlebenskampf, die FUDU-Mastschweine haben Hunger! In Ermangelung geöffneter französischer Restaurants mit bezahlbaren Speisen fällt die Wahl auf eine chinesische Lokalität, welche noch genau 25 Minuten lang geöffnet haben wird und uns den Zugriff auf das Buffet ermöglicht.

Wenn ich für irgendetwas bekannt bin, dann ja dafür, dass ich unheimlich schnell essen und trinken kann. Die martialische Schlacht an den nur noch rudimentär gefüllten Warmhalteplatten beginnt. Idis Amin, heute im feinen Camouflage-Samstagsausgehanzug unterwegs, schnappt mir die letzte gebackene Banane unter den Fingern weg. Zugunsten des Friedens in Zentralafrika verzichte ich auf einen Disput und schicke im Geiste Grüße an Uganda-Schorsch, der in der Zwischenzeit sicherlich Amins bodenständig gewählten Herrschaftstitel „Lord of All the Beasts of the Earth and Fishes of the Seas and Conqueror of the British Empire in Africa in General and Uganda in Particular“ übernommen haben dürfte.

Ich schweife ab. Teller und Bierglas sind dermaßen gefüllt, dass wir mit den bereits abräumenden und Geld kassierenden Gastgebern 25 Minuten zusätzliche Zeit für die Lebensmittelaufnahme heraushandeln müssen. Anschließend schleppen wir uns, ebenfalls über alle Maße gefüllt, zu unserer Herberge. Schnell haben wir die „Urban Lodge“ gefunden und mit dem liebevollen Kosenamen „Widzew Lodz“ versehen (jaja, Łódź spricht man nicht aus wie Lodge, wissen wa, wissen wa…). Die sterilen Gänge der Unterkunft lassen vermuten, dass es sich um ein ehemaliges Krankenhausgebäude handelt und auch in unserem kleinen, etwas schmutzigen und dunklen Zimmer mit einer eingeschlagenen Zwischentür fühlen sich Fetti und seine Freunde recht schnell sauwohl. Hier müssen wir für die Verwüstung wenigstens nicht auch noch selbst sorgen.

Auf dem Weg zum Stade l’Ill („die Arena mit den vier Strichen“) haben wir ausreichend Gelegenheit, die elsässische Stadt zu erkunden. Das Rathaus aus dem 16. Jahrhundert ist ein erster Blickfang und wird heute durch eine fröhlich singende und tanzende Hochzeitsgesellschaft zusätzlich aufgewertet. An der Seitenwand des Rathauses befindet sich als besonderes Schmankerl ein „Klapperstein“, der einst „Klatschmäulern und Verleumdern umgehängt wurde, wenn man sie an Markttagen durch die Straßen trieb“, wie das Portal „Reisetipps Elsass“ aus Dessau-Roßlau zu berichten weiß. Das Schlendern durch die nicht all zu vollen Gassen der Stadt ist sehr angenehm, wobei einem die über alles thronende Kirchturmspitze des Temple Saint-Étienne jederzeit sicher auf den richtigen Pfad zurückführt. Etwas weniger spektakulär ist dann das letzte erhaltene Teilstück der mittelalterlichen Stadtmauer und der „Tour de l’Europe“, seines Zeichens höchster Wolkenkratzer des Elsasses mit geschlossener Dachterrasse im 29. Stock. Abschließend werfen wir einen Blick auf den Teufelsturm, der als Überrest der Stadtbefestigung erhalten geblieben ist.

Die für FUDU schönste Sehenswürdigkeit tut sich dann unweit des Flüsschens Ill in Form des Stadions auf. Offiziell finden 11.303 Menschen Platz in der herrlich nostalgischen Anlage, die mit zwei großen Ausbauten auf den Längsseiten besticht. Die große Haupttribüne wirkt mit ihren roten und gelben Sitzschalen im Vergleich zu der Gegengeraden regelrecht modern. Auf der zweigeschossigen Gegentribüne finden sich im Unterrang wunderbare Stehplätze wieder, während im Oberrang durchgängige Plastikbänke zum sitzenden Verweilen einladen. Der Rest des Stadions besteht aus weitläufigen Kurvenbereichen, in denen man ebenfalls offiziell stehen könnte.

In wenigen Minuten wird hier und heute der Abstiegskrimi zwischen dem FC Mulhouse und dem FC Montceau Bourgogne in der Ligue National 2, Groupe C (vierthöchste Spielklasse) angepfiffen werden. Der Tabellenvorletzte der 16er-Liga empfängt den 13., wobei der Tabellenletzte aus Evian offenbar zurückgezogen hat und bereits als erster der drei Absteiger feststeht. Als Gewinnerin steht inzwischen Nadjuschka fest, die dank ihres biologischen Geschlechts freien Eintritt erhält. Die zahlenden Männer werden in ihrer Rage ob dieser Ungerechtigkeit gezügelt, indem kurz hinter dem Einlass wunderschöne Aufnäher verschenkt werden, die offenbar auf die „Mission Klassenerhalt“ einschwören sollen.

Vor handgezählten 166 Zuschauern gibt der Schiedsrichter die Partie frei. Mehr als 200 Dauerkartenbesitzer müssen heute also spontan zu Hause geblieben sein, schenkt man der offiziellen Zuschauerzahl von 400, die in der Tagespresse veröffentlicht werden wird, Glauben. Die überdimensionale alte LED-Anzeigetafel ist leider nicht mehr im Betrieb und bietet in einer neuen Funktion einer Fast-Food-Kette nun eine große Werbefläche.

Das Spiel ist in der ersten Halbzeit recht lebhaft und besonders die Heimmannschaft wirkt überzeugt, heute einen Sieg landen zu können. Mit einigen schönen Offensivaktionen lassen sie schnell aufhorchen. Auch die beiden Trainer wirken überaus engagiert. So beschwert sich der Übungsleiter der Hausherren über die Qualität des Spielballs, während der Gästecoach nach der x-ten Diskussion mit dem Schiedsrichter nach nicht einmal 30 Minuten auf die Tribüne verwiesen wird. Kurz darauf scheppert ein Akteur des FCM den Ball an die Unterkante der Latte und die oft geführte Diskussion, ob der Ball jetzt nun hinter, auf oder vor der Torlinie aufschlug, macht auch im Stade de l’Ill die Runde. Sie ist jedoch Makulatur, da der Schiedsrichter ganz klar sehen oder zumindest mit vollem Umfang erahnen konnte, dass der Ball NICHT im Tor war und eben selbiges entscheidet.

Das Gemurmel auf den Rängen ist noch nicht vollends verebbt, als F. Essomba die Geräuschkulisse modifiziert. Mit einem herrlichen Fallrückzieher (→ un ciseau retourné) sorgt er in der 36. Minute dafür, dass die vorherige Szene in Vergessenheit gerät und ein leichter Jubelsturm durch das weite Rund weht. Dieser flaut dann jedoch nur wenige Minuten später leider zu schnell wieder ab, da D. Diarra mit einer sehenswerten Einzelaktion den Außenverteidiger Mühlhausens alt aussehen lässt, nach innen zieht und mit einem sehenswerten Schlenzer in der Nachspielzeit der ersten Hälfte den Ausgleich erzielen kann.

Die zweite Halbzeit kann die hohen Erwartungen FUDUs leider nicht erfüllen. Während das Spiel im ersten Abschnitt besonders dank der überragenden Tore sein Eintrittsgeld (unseres, nicht ihres) wert war, gibt es nun rein gar nichts mehr zu sehen und folgerichtig auch nichts zu berichten. Wir wechseln von der Haupttribüne auf die Gegengerade und können somit wenigstens eine neue Perspektive auf den Ground erschließen. Einzig ein kleiner Balljunge mit roter Wollmütze, auf der die Buchstabenreihung „ERN“ für uns ersichtlich wird, zieht bei weiter sinkender Spielqualität unsere Aufmerksamkeit auf sich. Der hat doch nicht etwa eine Union-Mütze auf? Klar, da steht doch Eisern drauf. Muss ja. Ich wüsste jetzt auch keinen anderen Verein, der auf „ERN“ endet, ist sich FUDU seiner Sache sicher und kann den Moment, in dem sich der kleine Junge umdreht, kaum erwarten. Irgendwann wird ein Ball so vom Rasen geschossen, dass der Balljunge tätig werden muss. Er steht auf, dreht sich und… FC BAYERN. So fühlt es sich dann an, wenn ein Höhenflug jäh beendet wird. Und während wir noch ein wenig warten müssen, bis Union (irgendwann, irgendwann einmal) international spielen wird, pfeift der Herr Schiedsrichter das Viertligagebolze beim Stand von 1:1 ab.

Den Abend lassen wir dann in der Widzew Lodz vor dem Fernseher ausklingen. Beim Zappen glauben wir unseren Augen kaum zu trauen, als wir Union-Kapitän Felix auf einer Couch sitzen sehen. Neben ihm sitzt offenbar sein Bruder, was die optische Ähnlichkeit vermuten lässt. Ob der wohl auch so gut Fußball spielt? Kai Pflaume führt währenddessen gewohnt schleimig grinsend durch den Abend seines Formats, welches getrost auch „Wetten, dass…?!? (Version 2.0)“ hätte heißen können, offiziell aber unter dem Namen „Klein gegen Kroos“ firmiert. Wir haben nichts besseres zu tun und schauen bei feinem französischen Dosenbier irgendwelchen sozialkompetenzfernen inselbegabten Eigenbrödlerkindern beim Kopfrechnen zu. Mein Gott, die werden aus ihrem Leben doch eh nichts machen. Irgendwann schlägt die Uhr die elfte Stunde und das zdf-Sportstudio erlöst uns von den Qualen deutscher Samstagabendunterhaltung.

Kurz darauf entlässt uns Carlo Ancelotti mit erhobenem Mittelfinger in die Nacht. Morgen früh werden wir unsere Reise mit dem Flixbus via Strasbourg nach Karlsruhe fortsetzen. Und so bleibt gerade noch genügend Zeit für einen letzten Gruß an Mulhouse, Metropole des Départements Haut-Rhin: Haut rein! /hvg

17.02.2017 FC Sochaux-Montbéliard – Stade Lavallois Mayenne Football Club 1:1 (0:1) / Stade August Bonal / 6.772 Zs.

Dieses Blog ist schon reich an Geschichten über die Beförderung zum Flughafen Schönefeld. Diesmal spielen aber nicht eine smarte Schaffnerin oder das herrenlos im Weg herumstehende Gepäck die Hauptrolle, sondern die lieben Mitreisenden, welche den Transfer für Nadjuschka und mich unerträglich machen. Die beiden Herrschaften im 4er Sitzabteil neben uns reden über eins der größten Probleme Berlins: bezahlbarer Wohnraum in der Stadt. Allerdings sind sie eher die Profiteure davon, dass es diesen nicht mehr uneingeschränkt gibt. Sie besitzen wohl einige Immobilien und so handelt das Gespräch durchgehend von „Cashflow“, von dankbaren „Ossi-Mietern“, undankbaren und fordernden „Mietern mit Migrationshintergrund“, „150.000 €?“ – „Ist doch geschenkt!“ und dem rot-rot-grünen Senat, der überall mitsprechen möchte und noch nicht einmal ein Doppelwaschbecken erlaubt. Nicht überraschend, dass die Beiden natürlich auch mit uns im Flieger nach Basel sitzen.

Vom dortigen Flughafen führt uns der Weg mit dem Shuttlebus zum Basel SSB. Im EUROSPAR wird sich schnell noch mit dem üblichen Reiseproviant eingedeckt und mit der Bahn geht es mit zwei Umstiegen in Mulhouse und Belfort-Ville nach Montbéliard. Nach dem Einchecken und dem „Upgrade“ der Zimmerkategorie (C) inklusive Blick auf das Stade August Bonal, machen wir uns auf in die Stadt. Womit übrigens Montbéliard gemeint ist, denn in Sochaux stehen nur das Peugeot Werk und das Stadion. Die Suche nach einer geeigneten Brasserie, welche einheimische Kost führt und Fußball zeigt, scheitert, teils aus monetären Gründen, teils aus fehlendem Angebot. Der gegenüber dem Bahnhof liegende Pub zeigt zum Beispiel lieber irgendeine Daily Soap statt der Europa League. So enden wir in einer Seitenstraßen-Pizzeria und schauen mit den Besitzern zusammen die Serie „Las Vegas“ auf Französisch. Der Abendausklang findet dann auf dem Zimmer mit Schweizer Bier und selbstverständlich Musikvideos statt.

Die geographische Nähe des Hotels zum Stade August Bonal schätzt auch die Mannschaft von Stade Lavallois, wie wir beim Frühstück bemerken. Wir treffen zwar nicht auf die Mannschaft, aber der Gästetrainer steht neben mir am Frühstücksbuffet. Den erkenne ich natürlich nicht auf Anhieb, aber das Hotel-WLAN liefert die Infos zu ihm. Der gute Mann heißt Marco Simone, holte in den 90er Jahren viermal den Scudetto mit dem AC Milan und spielte danach für PSG und den AS Monaco und wurde zweimal zum besten ausländischen Spieler der Ligue 1 gekürt. Als Trainer lief es bisher nicht ganz so gut. Nach den erfolglosen Stationen Monaco, Lausanne und Tours läuft es auch bei Stade Lavallois nicht besonders rund, da man aktuell auf dem Relegationsplatz 18 rangiert. Auch der restliche Trainerstab frühstückt und das Taktik Flip Chart steht schon bereit, deshalb wollen wir nicht weiter stören und verabschieden uns in die Stadt, um diese im Tageslicht zu betrachten.

Das übliche Sightseeing-Programm, bestehend aus Schloss von Montbéliard, dem „Lion de Peugeot“ Geschäftshaus und dem Rathaus, spulen wir routiniert ab. Des Weiteren fallen uns, bedingt durch die Jahrhunderte lange Herrschaft des Hauses Württemberg, recht viele deutschsprachige Tafeln und Inschriften an diversen Gebäuden auf. Neben diesem Standardprogramm spotten wir noch die Sportanlage „Stade de la Banane“, das „Stade de l´Allan“ und besuchen den Parc du Près-la-Rose. Ein weiteres „Highlight“ ist die Jugend der Stadt, bzw. ihr Kleidungsstil. Dieser besteht aus einem Trainingsanzugszweiteiler verschiedenster europäischer Groß- bzw. Scheichklubs (wahlweise auch Scheißclubs), abgerundet durch die obligatorische Umhängetasche. Highlight dieser „Haute Couture“ ist das Vater-Sohn Gespann im FC Barcelona (der Alte) und Real Madrid (der Junior) Outfit. Nur einer beherzigt das Credo „Support your Local Football Team“ und trägt die gelb-blauen Farben des FCSM.

Dieser blau-gelbe FC Sochaux-Montbéliard wurde 1928 als Werksklub gegründet. Der Autohersteller Peugeot trennte sich allerdings Ende 2014 vom Verein und verkaufte diesen an die chinesische LEDUS Gruppe. Seither ziert zwar immer noch ein Löwe das Emblem des Vereins, allerdings wurde dieser modifiziert und erinnert nunmehr nicht mehr an den der Automarke. Für Sochaux spielte übrigens die einzige Frau, die ich als Fußballer ernst nehmen konnte, nämlich Pierre-Alain Frau. 2014 stieg die Mannschaft aus der Beletage des Französischen Fußballs ab und spielt seitdem durchgehend in der Ligue 2.

Den einen oder anderen Borussen aus Dortmund dürfte Sochaux keine guten Erinnerungen bescheren. Im UEFA Cup (2003/04) schmissen die Franzosen die schwarz-gelben aus dem Wettbewerb. Zu Hause gelang ihnen ein 4:0 Kantersieg [inklusive roter Karte für Salvatore Gambino nach Notbremse (4.min)] und im Westfalenstadion ließen sie auswärts ein 2:2 folgen. Mir blieb von diesem Spiel, welches ich im TV verfolgte, der Gästekäfig im Gedächtnis: Ein komplett mit Maschendrahtzaun und Netzen zugehangener Block, ähnlich einer Volière.

Genau neben dieser sitzen wir heute, allerdings ist diese, im Gegensatz zu Dortmunds Gastspiel, komplett leer. Ich habe keine Ahnung von der Fanszene Lavals, daher kann ich es nicht einschätzen, ob es am Wochentag liegt (die Ligue 2 spielt fast ausschließlich am Freitag), an der Distanz von 720 km oder es einfach keine Szene gibt. Das Stadion ist dem in Paderborn – allerdings mit Oberrang – sehr ähnlich. Ein paar großflächige Fotos vergangener Erfolge und ältere Mannschaftsfotos an der Stadionhülle werten die Blechbüchse ein wenig auf, sonst regiert die Betonfarbe grau.

Zwischen den Parkplätzen und den Stadiontoren verlaufen die Schienen der Werkseisenbahn des örtlichen Autoherstellers. Uns gegenüber stehen die aktiven Fans der „Virage Nord Sochaux“, links neben uns hat sich ein kleiner Haufen Nachwuchs-Ultras versammelt, welcher aber sein eigenes Ding durchzieht. Hinter uns sitzen kreischende Kinder und zu allem Überfluss gibt es auch noch Klatschpappen. Das Spiel ist recht zäh, was nicht nur am sehr tiefen Rasen liegt, sondern auch an FCSM Stürmer Ima Andriatsima. Dieser steht in der ersten Hälfte gefühlt 15 Mal im Abseits.

Der FC Sochaux hat indes mehr Spielanteile, Laval allerdings die besseren Chancen und so gehen sie auch in der 12. Minute durch Dembélé in Führung. Vorbereitet wird das Tor durch Mathieu Coutadeur. Dieser kann, bedingt durch das halbherzige Abwehrverhalten der blau-gelben, den Ball hoch in den Strafraum bringen. Die Entstehung des Treffers ist dann kurios, da ein Verteidiger des FC Sochaux beim grätschenden Versuch, den Ball wieder aus dem Strafraum zu befördern, Dembélé anschießt, von dem der Ball über den Torwart ins Tor segelt.

Erst nach dem Tor können jetzt beide Mannschaften echte Torchancen kreieren. Ein fast sicheres Tor für die Gäste wird von Gibaud noch von der Linie befördert und auf der Gegenseite scheitern Berenguer und Andriatsima.

Aufgrund dieser mangelhaften Chancenauswertung werden die blau-gelben mit einem Pfeifkonzert in die Kabine geschickt. Nach der Halbzeitshow, welche ein Elfmeterschießen auf das Maskottchen „Sochalion“ beinhaltet, erwerben wir merkwürdig schmeckendes Stadionbier (JBO lässt grüßen) und wechseln unsere Sitzposition hinter die Nachwuchs-Ultras, welche aus der Nähe betrachtet einen ziemlich traurigen Haufen abgeben, der obendrein auch noch wesentlich jünger ist, als anfangs vermutet. Nadjuschka spekuliert, dass dieser vermutlich aus der „Virage Nord“ verbannt wurde. Als Sahnehäubchen steht scheinbar auch die Mutter eines der Kids mit im Mob.

Zum Beginn der zweiten Hälfte läuft nicht viel für die Heimmannschaft zusammen. Der Gast spielt gefälliger und bis in den 16er auch guten Fußball, nur die Abschlüsse verfehlen aus besten Schusspositionen das Tor. Sochaux macht es nur einmal besser – Moussa Sao zieht aus 30 Metern einfach mal ab und während man denkt, dass er mit diesem Versuch ähnlich erfolgreich wie die Kollegen von Stade sein wird, senkt sich der Bal kurz vor dem Tor so, dass er im rechten Dreiangel einschlägt. Schönes Ding.

Danach passiert auf dem Platz nicht mehr viel, nur auf den Traversen wird es noch einmal lebendig. Denn der „Ultra Nachwuchs“ wirft fleißig Konfetti und lädt zum Pogo, wofür die Mutter allerdings ein paar Ränge hoch gebeten wird. Eines der Kids, welches weiter oben steht, wird in den „Pit“ zitiert. Dieses lehnt mit dem Hinweis auf seine qualmende Zigarette und seiner weiblichen Begleitung allerdings dankend ab.

Wir begeben uns nach Spielende noch in den Fanshop, in dem wir eine Stadionpostkarte vom Stade August Bonal für Hoolger kaufen. Die Dame hinter´m Ladentisch ist über den Besuch aus Allemagne so begeistert, dass sie noch einige kleinere Fanartikel für uns mit in die Tüte packt. Wir beschreiben die Postkarte noch mit warmen Worten für ihn, denn morgen werden sich unsere Wege in Mulhouse kreuzen. /hool

03.02.2017 FC Astra Giurgiu – ASA Târgu Mureş 1:0 (1:0) / Stadionul Marin Anastasovici / 1.500 Zs.

Jede Gruppe kann in ihrer Geschichte besondere Momente, besondere Daten, besondere Fixpunkte finden. Die erste gemalte Fahne, das erste gemeinsame Auswärtsspiel, die ersten Haare am Sack. Irgendwie sowas. Bei FUDU wird ein für alle Mal der 05.02. eine besondere Bedeutung einnehmen. Es ist schließlich der Geburtstag des Spreewaldschurken. Und genau an diesem Tag begab es sich im Jahre 2011, dass der glorreiche 1.FC Union bei einem anderen Berliner Sportclub mit 2:1 gewinnen konnte. Das Freistoßtor von Mattuschka bleibt unvergessen, der Torjubel unerreicht. Im Anschluss hat es sich FUDU zur Aufgabe gemacht, die Geburtstage der Gründungsmitglieder an Spieltagen zu begehen und die Schönheit der Feiern von Jahr zu Jahr zu steigern. Rückblickend kann man schon ins Feld führen, dass es wohl besser gewesen wäre, 2011 in einem Schrebergarten in Fürstenwalde gegen eine Piñata zu schlagen oder verkleidet durch den Friedrichshain zu laufen. Sicherlich wäre es dann um einiges leichter gewesen, in den folgenden Jahren etwas NOCH aufregenderes zu erleben. Nun hängt die Latte jedoch einigermaßen hoch und so entscheidet FUDU im Jahre 2017, die Anreise zum Auswärtsspiel bei der SG Dynamo Dresden an des Schurken Geburtstag schlicht und ergreifend über București und Giurgiu führen zu lassen. Guter Plan!

In der Planungsphase der Reise reserviert der Schurke eine Unterkunft nach der anderen. Zwischenzeitlich befinden sich überschlagsgerechnet 72% aller Hotelbetten der rumänischen Hauptstadt in den Händen FUDUs und ein Vorschlag nach dem anderen wird aus unterschiedlichsten Gründen ebenso schnell wieder verworfen. Schön, wenn Buchungsportale die Möglichkeit einer kostenlosen Stornierung gewähren. Sollen doch die Hoteliers sehen, wie sie ihre Zimmer loswerden, die irgendwelche Specknacken aus Deutschland blocken und erst kurzfristig wieder freigeben. Am Ende der Planung fällt die Wahl auf eine Luxus-Suite mit zwei Schlafzimmern im Herzen der Stadt für umgerechnet gar nichts.

Am Flughafen Schönefeld bleibt das Geplänkel mit der Sicherheitsbeamtin in Erinnerung. Als sie mir eine Kiste für Gürtel, Kleingeld, Handy und Co reicht, bedanke ich mich artig. „Bitte“, entgegnet sie mir in einem Ton, den ich etwas sonderbar finde und der mich dazu veranlasst, sie darauf aufmerksam zu machen, dass ich doch „Danke“ gesagt hätte. Nun versteht sie wiederum die Welt nicht mehr, schließlich habe sie extra „Bitte“ gesagt, da ihr mein „Danke“ ganz besonders positiv aufgefallen wäre und heutzutage kaum noch jemand diese Umgangsformen wahren würde. Puh, Kommunikation. Wahrscheinlich gäbe es weniger Kriege, wenn Menschen nicht reden könnten. Wenige Sekunden später zieht mich ein weiterer Sicherheitsmann aus der Schlange. Ich bin der Auserwählte und darf mich einem zusätzlichen Sprengstofftest unterziehen. Von hinten ruft die Dame von eben mir nonchalant hinterher: „Dit haste jetzt davon!“.

Der Schurke und ich bilden wenige Stunden später die FUDU-Vorhaut der Hölle und tätigen zunächst alleine die ersten Schritte durch die rumänische Hauptstadt, welche doch sehr im Schatten der aktuellen politischen Diskussion in Rumänien stehen. Unlängst waren landesweit 450.000 Menschen auf die Straßen gegangen, um gegen die Regierung zu protestieren, die im Eilverfahren Änderungen am Strafgesetzbuch vorgenommen und einen Gesetzesentwurf in die Wege geleitet hatte, welcher korrupten Politikern Straffreiheit gewähren soll, sofern die verursachte Schadenssumme weniger als 200.000 Lei beträgt. Kann man so machen, dachte sich offenbar Ministerpräsident Grindeanu. Kann man nicht so machen, halten auch an diesem Abend des 02.02. mehrere tausend Menschen entgegen, die uns nun bei unserem Versuch, uns eben auf die Schnelle in einem nahe gelegenen Späti mit etwas Abendbrot und Ursus einzudecken, auf den Straßen entgegenlaufen. Soeben muss die Demonstration in der Innenstadt zu Ende gegangen sein und eine ganz besonders knisternde Atmosphäre liegt in der Luft. Aufbruchstimmung. Euphorie. Aber auch etwas bedrohliches schwingt mit, wenn eine große Menschenmasse Fahnen schwenkend, teils vermummt und lauthals skandierend durch die Straßen zieht und man in der Dunkelheit die Lage noch nicht vollumfassend überschauen kann. So entscheiden wir uns, den Rückweg in das Hotel anzutreten und uns lieber morgen bei Tageslicht einen Überblick über die Lage zu verschaffen.

An diesem kommen dann auch die anderen FUDU-Schweine aus allen Löchern gekrochen. Der Schwabe lässt es sich nicht nehmen, aus Stuttgart via Thessaloniki und einer wilden Nacht in Athina einzuschweben und der Münchener Wirtschaftsflüchtling reaktiviert auf die Schnelle einen in Bukarest lebenden ehemaligen Mitspieler (Gabi, die Pfote) von Romania Halberstadt als Stadtführer. Wir genießen noch eben schnell unser Frühstück in der Lobby des Hotel „Duke“, welches exorbitant durch die Dauerberieselung mittels eines rumänischen Bademodenkanals aufgewertet wird. Und schon kann das Sightseeing im „Paris des Ostens“ beginnen.

Der erste Weg führt uns vorbei an aufgetürmten Schneebergen schnurstracks zum „Palatul Parlamentului“, jenes bodenständige Gebäude, welches der rumänische Diktator Nicolae Ceaușescu in den Jahren 1983 bis 1989 aus dem Boden stampfen ließ. Mit seinen 3000 Zimmern auf einer Grundfläche von 65.000 m² ist es eines der größten Gebäude der Welt. Für die Errichtung des „Haus des Volkes“ wurden historische Straßenzüge und Häuser niedergerissen und selbst ein Jahrhunderte altes Kloster war vor den größenwahnsinnigen Plänen des Despoten nicht sicher. Bei läppischen 3,3 Milliarden Euro Baukosten, die in etwa 40% des jährlichen Bruttosozialprodukts Rumäniens entsprechen, verwundert der Spitzname „Haus des Sieges über das Volk“ nicht weiter. Es scheint in Rumänien Tradition zu haben, dass Politik und Volk Hand in Hand gehen…

Kurz darauf sitzen wir im „Crama Domneasca“ und lassen uns landestypische Spezialitäten munden. Der Rumäne der Reisegruppe erklärt uns beim Anstoßen, dass das Wort „Prost!“ in der rumänischen Sprache „blöd“ oder „Trottel“ bedeutet und dass an dieser Sprachbarriere schon Freundschaften zerbrochen wären. Wir lassen also beim Klirren der Gläser stilecht „Noroc!“ erklingen, während unser Gastgeber schlicht und ergreifend „Dumm!“ entgegnet. Wie war das weiter oben doch gleich noch mal mit den Kriegen und der Kommunikation?

Und während wir da so sitzen, trinken, lachen und reden fällt irgendeinem der Reisegruppe auf, dass so ein Wochenende in Rumänien so ganz ohne Fußball genaugenommen nicht in das Anforderungsprofil der Schurk’schen Geburtstagsplanung passt. Prost nur, dass im Vorfeld recherchiert und in der Reisemappe Romania veröffentlicht worden war, dass die Regionalbahn von București zum einzig machbaren Spiel nach Giurgiu für die läppischen 65 Kilometer 2 Stunden und 56 Minuten gebraucht hätte und eine Rückfahrt erst am nächsten Morgen möglich gewesen wäre. Der Vorschlag, man könnte sich auch einfach einen Mietwagen organisieren, schlägt ein wie eine Bombe. Der non-alcoholic Schurke bietet sich sogleich als Fahrer an und trägt seinerseits hochgradig solidarisch einen Teil zu einem gelungenen Geburtstagswochenende bei.

Es ist ungefähr 16.00 Uhr, als wir in der Innenstadt das seriöseste Lei-Wagengeschäft der näheren Umgebung betreten. In dem kleinen Büro gibt es touristische Informationen zum Mitnehmen, einen Schreibtisch, einen Mann UND ein Poster, welches darauf hinweist, dass man hier drei verschiedene Autos erhalten könnte. FUDU entscheidet sich für einen Škoda, der für 24 Stunden Fahrspaß umgerechnet keine 30 € kosten soll. In gerade einmal zwei Stunden könnten wir den Wagen etwas außerhalb des Zentrums entgegennehmen. Wir erhalten eine Adresse und ein paar gute Wünsche für einen angenehmen Tag.

In der Zwischenzeit fahren wir mit der U-Bahn zur Station Stefan cel Mare und besuchen das alte Dinamo-Stadion und den Fanshop des ortsansässigen Fußballvereins, welcher für FUDU an Attraktivität gewonnen hat, seitdem niemand geringeres als Adam Nemec dort unter Vertrag steht. Das in die Jahre gekommene Fußballstadion ist komplett zugeschneit und man stellt sich schon die Frage, wie hier am nächsten Tag ein Ligaspiel ausgetragen werden soll. Auf dem Rasen findet zu unserem großen Glück aktuell das Abschlusstraining statt. Adam netzt gewohnt sicher ein, ist aber so fokussiert („nur noch 30 Minuten Training bis Bier!“), dass er uns Zaungäste nicht wahrnimmt.

Um Punkt 18.00 Uhr finden wir uns an der Übergabe-Adresse ein. Ich persönlich hätte jetzt eher damit gerechnet, dass sich dort ein weiteres Büro der Autovermietung befindet, doch noch bevor wir mit unserer Suche nach diesem Etablissement hätten beginnen können, hält plötzlich ein schwarzer Škoda in zweiter Spur. Gemütlich verlässt ein rumänischer Geschäftsmann den Fahrersitz und hält uns einen Stapel Papier entgegen. Bitte hier, hier und hier unterschreiben, 129 € Kaution, das war’s, gute Fahrt. Hoppala, kurz vergessen, dass wir in Rumänien sind. Naja, wird schon alles seine Richtigkeit haben.

Respektierlich souverän lotst uns der Fahranfänger durch den chaotischen Bukarester Stadtverkehr. Kurz darauf ist die Landstraße in Richtung Giurgiu und Länderpunkt erreicht und wir brausen mit leicht erhöhter Geschwindigkeit an Pferdefuhrwerken vorbei, nicht ohne dabei von wesentlich schnelleren Autos, LKW und Bussen überholt zu werden.

Um 19.35 Uhr haben wir den Wagen in der Nähe des Stadionul Marin Anastasovici abgeparkt. Gratulationen, herzliche Glückwünsche und aufrichtig gemeinte Lobeshymnen nimmt der Fahrer entspannt zur Kenntnis. Noch 25 Minuten Zeit bis zum Anpfiff. Sämtliche Kassenhäuschen sind verschlossen. Ein freundlicher Ordner erzählt uns, Karten für diese Partie seien ausschließlich im Supermarkt „BILLA“ in der Innenstadt käuflich zu erwerben. Dieser sei fußläufig gerade einmal 30 Minuten entfernt, während sein Arm in Richtung dunkler Felder rumänischer Einöde zeigt. Wir treten den Rückweg zum Auto an, Lagebesprechung. Auf dem Weg dorthin begegnet uns ein Polizist mit Tschapka, der irgendeinen Feldweg absichert. Auf Nachfrage nach Eintrittskarten ist er so freundlich, zückt sein Handy und telefoniert wild um sich. Einige Minuten später gibt das nette Bullenschwein Auskunft: Eintrittskarten gibt es auch auf einem Parkplatz in einer Holzhütte zu kaufen, gerade einmal 10 Minuten von hier, noch vor Siebenbürgen. FUDU macht sich also im Schweinsgalopp auf den Weg und erreicht kurz nach dem Anpfiff den beschriebenen Parkplatz mit der Holzhütte, in der sich Ioan und Mirela gerade auf das Verbarrikadieren selbiger und die erste Halbzeit gefreut hatten, nun aber noch einmal vier Billets à 10 Lei ausdrucken und an den Mann bringen müssen.

Mit gerade einmal 15 Minuten Verspätung nehmen wir Platz im Stadion, welches auf drei Seiten ausgebaut ist und 8.500 Menschen fassen könnte. Heute finden sich in etwa 400 Zuschauer auf den Traversen ein. Am Abend wird Astra Giurgiu auf der Vereinswebsite eine geschätzte Zuschauerzahl von 1.300 vermelden und diese später in den offiziellen Angaben auf 1.500 herauf korrigieren. In den Reihen der Hausherren befinden sich drei Brasilianer, ein Japaner und in Spielmacher Constantin Budescu (#10) der alles überragende Akteur auf dem Rasen. Die Gäste von Târgu Mureş, die ich im Sommer 2015 in der UEFA-Cup-Qualifkation beim AS St. Étienne habe aufdribbeln sehen, müssen sich in der Zwischenzeit bedauerlicherweise von ihrem Chefcoach Vasile Miriuta getrennt haben. Die internationalen Glanzzeiten der Gäste sind mittlerweile Vergangenheit, während es Giurgiu aktuell in der Vorrunde der Europa League mit Austria Wien, der Roma und Victoria Plzeň zu tun hat, nachdem man in der Qualifikation niemand geringeren als West Ham United eliminiert hatte.

Ähnlich dieser Vorzeichen entwickelt sich dann auch die Partie auf dem tiefen Geläuf in der Provinz nahe der bulgarischen Grenze. Die Gäste versuchen mitzuspielen und laufen immer und immer wieder ins offene Messer. Die viel zu hoch stehende Abwehrreihe seziert Budescu das eine oder andere Mal mit wunderbaren Steilpässen, gerne auch lässig mit dem Außenrist ausgeführt. Angriffswelle um Angriffswelle rollt mit viel Tempo auf den überforderten Club aus Neumarkt am Mieresch zu. Eigentlich nahezu ein Wunder, dass es bis zur 28. Minute dauert (für uns also nur 13 Minuten), bis der Japaner Takayuki Seto einen der unzähligen Angriffe erfolgreich abschließen kann.

In der Halbzeit vergeben die hungrigen FUDU-Mastschweine an das Catering des FC Astra eine glatte 6. Es gibt außer Kartoffelchips rein gar nichts essbares käuflich zu erwerben und als wäre dieser Tiefschlag nicht schon hart genug eingeschlagen, steht kurz darauf fest, dass auch kein Bier ausgeschenkt wird. Derweil wird an einem Camping-Klapptisch nebenan lieblos Billigcola aus dem Lidl in Plastikbecher umgefüllt und steht dann hoffnungslos auf Kunden wartend in der rumänischen Abendkühle herum. Ich glaube, ich schlage in 30 Minuten zu. Freeway ohne Kohlensäure fetzt!

In der zweiten Halbzeit lässt Giurgius Trainer Tiki-Taka zelebrieren, ohne jedoch seinen Mannen mit auf den Weg zu geben, dass man nur Tore erzielen kann, wenn man den Ball irgendwann auch einmal in Richtung des selbigen befördert. So gibt es bis zur 83. Minute bei gefühlten 85% Ballbesitz nicht einen einzigen vernünftigen Torabschluss zu notieren. Stattdessen verzocken die Hausherren den Ball in aussichtsreichen Positionen in denkbar überheblicher Manier, während die Gäste dem Abpfiff entgegenfiebern, nichts zuzusetzen haben und von Minute zu Minute schlechter werden. Als ein Akteur Giurgius nach eben jenen 83 Minuten freistehend aus drei Metern in den Nachthimmel ballert und selbst Starspieler Budescu noch einen liegen lässt, ist klar, dass FUDU hier kein weiterer Treffer gegönnt wird.

Als alle Mann im Škoda Platz genommen haben, weist irgendein Vollprost darauf hin, dass wir hier durchaus die Möglichkeit hätten, in wenigen Minuten noch einen zweiten Länderpunkt zu machen. Die Donau ist nicht weit entfernt und die 2,2 Kilometer lange Friendship Bridge sei sicherlich schnell passiert, ehe man bulgarisches Staatsgebiet betreten könnte. Ein Mitglied der Reisegruppe zeigt gesteigertes Interesse an bulgarischen Geldscheinen für die Sammlung daheim und es keimt große Hoffnung auf, den Hunger in einer bulgarischen Taverne stillen zu können. Und FUDU wäre nicht FUDU, wenn nicht auch der nüchterne Fahrer von einer solchen Idee begeistert werden könnte.

Wenige Minuten später stehen wir auf der vermaledeiten zweispurigen Fickdich-Bridge in einem furchtbaren LKW-Stau und kommen weder vor noch zurück. In dem Auto erblickt eine Idee das Licht der Welt, welche ich uneingeschränkt so an meinen Erstgeborenen weiterreichen würde: „Junge, solltest Du jemals auf einer Brücke zwischen Rumänien und Bulgarien im Stau stehen: Einfach auf die Gegenfahrbahn wechseln und fahren. Wenn Dir was entgegen kommt, wird Dir rechts schon irgendein freundlicher LKW-Fahrer eine Lücke lassen!“

Der Schurke lenkt den Škoda auf die Gegenfahrbahn. Es kommt, wie es kommen muss. Nach wenigen Metern kommt uns ein Ungetüm von LKW lichthupend entgegen und irgendein Viorel versteht die Welt nicht mehr. Glücklicherweise hat der Schurke jedoch bei den Lehreinheiten „Anfahren am Berg“ und „Rückwärtseinparken auf der Brücke“ ziemlich gut aufgepasst und ist jeder Zeit Herr der Situation, während ich viel zu nüchtern bin, um nach dem Manöver DAFÜR zu stimmen, noch einmal auf die Gegenfahrbahn auszuscheren. Aber bekanntlich entscheidet in Westeuropa immer die Mehrheit (es ist hoffnungslos) und nur zwei Schreckmomente später rollt unser Tschechengeschoss samt unversehrtem Füllgut über bulgarischen Boden.

Das Telefon des Rumänen klingelt. Am anderen Ende der Leitung befindet sich der aufgeregte Besitzer des Autos, der fragt, ob wir denn den Vertrag nicht gelesen hätten, den wir unterzeichnet haben und was zur Hölle wir mit seinem Wertgegenstand in Bulgarien zu tun gedenken. Auch das ist Europa – wenn Rumänen Angst davor haben, dass ihre Autos in Bulgarien geklaut werden. In Muttersprache gelingt es, die Lage zu deeskalieren und glücklicherweise müssen wir dem erbosten Verleiher zu diesem Zeitpunkt nicht erklären, dass wir nur mal eben schnell in Ruse (145.000 Einwohner) in Ermangelung echter Restaurants eine Gyros-Pita essen werden.

Anschließend treten wir die Rückfahrt (ohne Stau) zurück in die Hauptstadt des Nachbarlandes an. Während wir uns daran erinnern, dass man laut Marco Polo Reiseführer in Rumänien um Gottes Willen niemals in der Dunkelheit über Landstraßen fahren sollte, stellen wir fest, dass es im Großraum Bukarest ca. 12 Radiosender zu empfangen gibt, die in etwa vier Lieder auf Dauerrotation versenden. Während der Schurke den Škoda zum wiederholten Male erfolglos in metertiefen Schlaglöchern zu versenken versucht, läuft bereits zum dritten Male „Tuesday“ von Burak Yeter und ich wage an dieser Stelle zu behaupten, dass der Schurke in seinem gesamten Leben des Nachtens keine Landstraße mehr passieren können wird, ohne an dieses zeitlos schöne Musikstück denken zu können.

Am nächsten Tag findet der Schurke stilecht in der Nähe des Triumphbogens 50 Lei auf der Straße, nur wenige Augenblicke, nachdem er festgestellt hatte, dass er am Ankunftstag viel zu viel rumänisches Geld am Flughafen abgehoben hatte. Dieser wohl schönste Erfolgsmoment FUDUs erhält kurz darauf eine eigene Hymne, indem ein wunderbarer Song von Simon & Garfunkel intoniert wird („Lei, Lei, Lei!“).

Wir lassen es uns auf unserer Sightseeing-Runde im Anschluss nicht nehmen, kurz an einer Familien-Großdemonstration teilzunehmen (bis zu 500.000 Demonstranten vor dem Parlamentsgebäude) und anschließend einem rumänischen Bauernmarkt einen Besuch abzustatten. Die traditionell gekleideten Babuschkas umschiffen die Sprachbarriere geschickt, indem sie uns Blicke in die Kochtöpfe werfen lassen. Kurz darauf haben wir uns für Knoblauch (oh, da ist eine Kartoffel hineingefallen!) und irgendeinen leckeren Eintopf entschieden und lassen den Aufenthalt in Rumänien ausklingen.

Gut gestärkt begeben wir uns in die Schlacht gegen den rumänischen Autobesitzer. Es gilt, den Wagen zurückzugeben. Aufgrund unserer Bulgarien-Eskapade und der unklaren Vertragskonditionen machen wir uns auf das Schlimmste gefasst und haben innerlich bereits Abschied von der Kaution genommen. Der Besitzer erfragt den Standort des Wagens und macht sich dann auf den Weg zu uns. Kaum eine halbe Stunde später schleicht er um das Geschoss herum und mustert sein Gefährt, welches auf der verschneiten Landstraße nicht nur optisch enorm gelitten hat. Kurz kratzt er sich am Kinn, ehe er zum großen Betrug ansetzt: „The Car is not clean! That will cost you 5 €!“.

Der Schurke überreicht lächelnd die gefundenen 10,87 €, der Wirtschaftsflüchtling erhält die geleistete Kaution dankend zurück und kaum sitzt der freundlich bescheißende Rumäne in seiner Karre, kann sich FUDU das Lachen nicht mehr verkneifen. Lei, lei, lei, the Car is not clean, lei, lei, lei, lei, lei, lei!

In der Kneipe erfahren wir bei einem letzten Bier vor der Weiterreise via Berlin nach Dresden unter Jubel der Einheimischen, dass die rumänische Regierung die umstrittenen Erlasse zurücknehmen wird, noch bevor diese am 11.02. hätten in Kraft treten können. So wird FUDU ein Stück weit Teil europäischer Zeitgeschichte. Alles nicht so schlecht, aber im Vergleich zum Freistoßtor Mattuschkas bei Hertha BSC natürlich eher eine Randnotiz. Ach, hätten wir damals doch bloß auf eine Piñata eingedroschen. /hvg

15.01.2017 ACF Fiorentina – Juventus FC 2:1 (1:0) / Stadio Artemio Franchi / 34.085 Zs.

Am heiligen Abend bereiten sich mein Bianconeri-Bruderherz und ich bereits auf die erste gemeinsame Reise des Jahres 2017 vor. Nachdem unser Vater bereits in der Küche erfolgreich auf Schränke geklettert war und im Zuge dieser Aktion neue Biervorräte erschloss und eine Hängelampe zerstörte, bietet er nun erneut seine Hilfe an. Er könnte auch im Schlafzimmer eine Leiter aufbauen und schauen, ob sich nicht auch noch ein Florenz-Reiseführer im Fundus befindet. Gesagt, getan – und nur wenig später lassen wir unsere Blicke über den Stadtplan und die Sehenswürdigkeiten wandern. Ins Auge fällt die Vokabelhilfe auf den letzten Seiten des schweizerischen Meisterwerkes. Folgende Sätze und Wörter sind laut Meinung des Autors zwingend zu lernen und in Firenze zur Anwendung zu bringen: „Ich blute“, „Haltet den Dieb“, „Ich bin überfallen worden“, „Meine Kreditkarten wurden gestohlen“, „Lassen Sie mich in Ruhe“, „Wo ist die Polizei?“, „Zeuge“ und „Rechtsanwalt“. Na, das kann ja was werden.

Drei Wochen später stehen wir gemeinsam mit dem Hoollegen am Flughafen Schönefeld. Dort referiert der Juventino darüber, dass es beide Flughäfen Berlins in die Top 10 der schlechtesten Flughäfen der Welt geschafft hätten. Während es für Tegel nur für eine enttäuschende achte Position gereicht hat, grüßt Schönefeld von der Tabellenspitze. Und das völlig zurecht.

Da kann nur noch Gevatter Alkohol Trost spenden. Passend zum Ranking gibt es das Berliner Pilsner zwar nicht gekühlt, aber immerhin für recht faire 2,50 € käuflich zu erwerben. Auch der Kassierer ist es Leid, an diesem vermaledeiten Flughafen arbeiten zu müssen und so lässt er sich die Chance nicht entgehen, meine Zwei-Euro-Münze genau zu mustern. „Habe nur geschaut, ob Grace Kelly drauf ist, dann wäre die nämlich 1800 Euro Wert“, erklärt er sogleich sein sonderbares Tun. Nur kurz darauf ist seine Hoffnung auf ein kleines Taschengeld genauso tot wie die soeben gesuchte Dame.

Der Einstieg in das Flugzeug wird von orientierungslosen Italienern, die den Zusammenhang zwischen Sitzreihe und zu wählender Einstiegstür schlicht und ergreifend nicht verstehen, erschwert. Kaum haben wir uns an allen entgegenkommenden Ragazzi vorbei auf unsere Sitze gekämpft, wird auch schon mit der Enteisung unseres Flugzeugs begonnen. Mit 50 Minuten Verspätung starten wir in Richtung Bologna, wo uns laut Wetterbericht 10 Grad verwöhnen werden. Dann tauen vielleicht auch die italienischen Hirnareale auf, die für den Themenkomplex zählen und Zahlen zuständig sind.

Kurz nach Abflug (12.20 Uhr) beginnt ein junger Mann hinter uns seinem Nachbarn in furchtbarem Englisch unfassbar sinnlose Geschichten zu erzählen. Die wohl spannendste Anekdote befasst sich mit einer seiner schönsten und unvergesslichsten Kindheitserinnerungen, als er einmal einen Sommerurlaub mit der Oma an der Ostsee verbracht hat („Wenn I was a K.I.T.T., I was at the East Coast!“). Als besonders problematisch erweist sich, dass sich die beiden vor Abflug noch nicht kannten. Der bemitleidenswerte Italiener hält lange durch und ist ein aufmerksamer Zuhörer, bis er kapituliert und mittels Kopfhörer und Musik die Reißleine zieht. Kurz darauf ist die redselige Kartoffel eingeschlafen und wir können unseren Flug genießen.

So lange, bis mein Bruder auf einem seiner technischen Supergeräte eine sonderbare Beobachtung macht und diese kund tut: „Irgendwie fliegt unser Flugzeug gerade in eine völlig falsche Richtung!“. Ach, wie aufregend. Meine erste Flugzeugentführung! Um 13.10 Uhr meldet sich dann der Pilot zu Wort und dementiert diese FUDU internen Fake-News, indem er transparent richtig stellt, dass ein Luftüberwachungssystem in Norditalien ausgefallen sei und wir nun nach Nürnberg zurückkehren und zwischenlanden müssen.

41 Minuten später stehen wir auf der Rollbahn des Albrecht-Dürer-Flughafens. Die Maschine dürfen wir nicht verlassen, obwohl wir uns so gerne im Terminal („Dürer-Bunker“) mit Speis und Trank eindecken würden. Während die Stewardessen eine furchtbare Verkaufsshow starten, um Sensationsumsätze zu erzielen (anstatt die wartenden Gäste womöglich mit Freigetränken zu versöhnen), versucht der Pilot Kontakt mit der Ryanair-Zentrale in Dublin aufzunehmen. Stand jetzt wüsste er nicht, ob wir den Flug nach Bologna fortsetzen können oder nach Berlin zurückkehren werden. Draußen tobt ein widerlicher Schneesturm. Genau der Moment, in dem die Kartoffel hinter uns erwacht, aus dem Fenster schaut und sagt: „Uuuh, I didn’t expect that bad Wetter in Italy!“.

Kurz nachdem FUDU den Volltrottel schroff darauf hingewiesen hat, dass man sich aktuell in Nürnberg befindet (und inständig darauf hofft, dass dieser die Wartezeit nicht mit weiteren dämlichen Geschichten aus seinem Leben abwerten wird), gibt es aus dem Cockpit via Lautsprecher PacMan-Geräusche zu vernehmen. Ach, schön. Der Pilot hat also auch eine Beschäftigung gefunden, was den Hoollegen dazu animiert, auf seinem Handy eine Partie Snake zu zocken („Snakes in a plane!“). Ich entscheide mich mangels Optionen für eine Mütze Schlaf und erwache durch ein wohlklingendes Dosenöffnungszischen. Kurzer Uhrenvergleich: 15.27 Uhr. Irgendeinem FUDU-Mitglied ist offensichtlich der Geduldsfaden gerissen und es wurden drei Dosen Heineken à 4,50 € bestellt. Für die Statistikfreunde unter euch bedeutet das: Handgestoppte 4 Stunden und 19 Minuten nach Boarding endet somit die längste Durststrecke einer FUDU-Auswärtsreise des Jahres 2017!

Um 15.55 Uhr setzen wir unseren Flug nach Bologna fort, eine Stunde später erfolgt dort in der Abenddämmerung die nicht mehr für möglich gehaltene Landung und nur eine weitere Stunde darauf stehen wir auch schon am Hauptbahnhof, von dem unser Anschlusszug nach Firenze selbstverständlich schon vor mehreren Monden abgefahren ist. Glücklicherweise wird unsere Fahrkarte von einem freundlichen italienischen Bahnmitarbeiter ohne große Gegenfragen rasch abgestempelt, sodass wir ohne Aufpreis einen anderen Zug nutzen dürfen. Grazie Mille!

Der Abend des etwas unbefriedigend verlaufenden Anreisetages endet dann in der Nähe des Hotels mit Pizza, Pasta und „Palmbräu“, welches wir für eine Spezialität aus Südtirol halten. Und als wäre das nicht schon alles schlimm genug gewesen, stellt sich bei der nachträglichen Recherche im Hotel auch noch heraus, dass wir soeben aus Versehen Bier aus dem Kraichgau getrunken haben. Vaffanculo!

Der nächste Tag stimmt dann aber schnell versöhnlich. Bis zum Anpfiff um 20.45 bleibt genügend Zeit, um die Stadt zu erkunden. Als wichtigste Anlaufstelle gilt seit Heiligabend der „Giardino di Boboli“, der laut Reiseführer mit einer unheimlich attraktiven Figur aufwartet, die einen Brunnen ziert. Klar, dass es sich Fetti nicht nehmen lassen will, ein Selfie mit einem nackten, dicken Mann, der auf einer Schildkröte reitet, zu schießen. Allerdings muss er zunächst einmal die Kröte schlucken, für dieses Unterfangen stolze 10 Euro Eintritt löhnen zu müssen. FUDU entscheidet schweren Herzens, darauf zu verzichten, hat aber kurz darauf ein Schlupfloch in Form eines offenstehenden Seiteneingangs gefunden. Fetti gleitet durch selbiges hindurch und steht der kurzpimmeligen Rubensfigur nur wenige Augenblicke später Ringelschwanz zu Ringelschwanz gegenüber. Das Erinnerungsfoto gilt es in maximaler Geschwindigkeit zu schießen, da eine Parkwächterin bereits lautstark das Fehlverhalten des Fotografen anprangert und sich das Rollgitter zu schließen beginnt. Mit einem beherzten Sprint retten sich Mensch und Material auf die sichere Straße, wo ihnen die Glückwünsche der restlichen Reisegruppe sicher sind.

Im Anschluss werden die „offiziellen“ Sehenswürdigkeiten der Stadt erkundet. Ein Spaziergang durch die Uffizien und über die Ponte Vecchio, auf der man Uhren für 8000 € hätte erwerben können, gehört zweifelsohne zu den Dingen, die man in Firenze getan haben muss. Auch die Kathedrale Santa Maria del Fiore erweist sich als ebenso fotogen, wie der Blick hinab vom Piazzale Michelangelo hinein in die Stadt.

Kurz darauf kehren wir in einem Restaurant ein, welches sich rühmt, bei tripadvisor mit fünf Sternen ausgezeichnet worden zu sein. Der Guide Michelin des kleinen Mannes überzeugt uns zu einer Einkehr und nur wenige Minuten später lassen wir uns Antipastiplatte, Polpette und Carpacciosalat munden. Der Hoollege belächelt uns müde, als wir unabhängig voneinander berichten, auf der Toilette die Spülung nicht gefunden zu haben, muss dann aber etwas seiner Selbstherrlichkeit einbüßen, als er feststellt, dass er auf der Damentoilette eingekehrt war. Beim Verlassen des Ladens erweist sich der Bianconeri als ehrliche Haut, indem er den Kellner darauf hinweist, 15 € zu viel Wechselgeld erhalten zu haben. Im Hintergrund brechen die beiden Altvorderen FUDUs zusammen. Wie kann man umgerechnet eine Palette Dosenbier herschenken? Blut ist dicker als Wasser – ein Gruppenausschluss kann keine Option sein. Und immerhin führt diese Aktion dazu, dass sich der Hoollege daran erinnert, dass das englische Wort für vernünftig „riesen Nippel“ heißt.

Auf dem Weg zum Stadio Artemio Franchi fallen die vielzähligen Fahrradfahrer ins Auge, die in unserer Wahrnehmung Firenze für italienische Verhältnisse bereits zur „Fahrradstadt“ machen. Vor dem Stadion warten dann viele fliegende Händler auf. Ich gönne mir in Erinnerung an Enrico Chiesa ein lila Trikot mit selbigem Nachnamen auf dem Rücken, auch wenn die Verkäuferin mir vom Einkauf abrät. Aber selbstverständlich passe ich in eine XS, wenn das Trikot 10 € weniger kostet! Und wenn man hinterher feststellt, dass es sich bei Federico Chiesa um den Sohn Enricos handelt, dann hat man sicherlich nicht allzuviel falsch gemacht.

Vor den Stadioneinlasstoren haben sich gut sortierte Schlangen gebildet. Fettis deutsches Schweineherz ist entzückt. Endlich hinten anstellen. Kein Gedrängel. Kein Chaos. Ordentlich!

Im Stadion angekommen gibt es dann aber leider wenig Fußball im schönen Sinne zu sehen, da der ACF alle fußballerischen Ambitionen der Gäste mit sehr viel Kampf und, nachdem Juve nach zehn Minuten dennoch drei Mal in gefährliche Abschlusssituationen geraten konnte, übermäßiger Härte im Keim erstickt. Juve lässt sich die Butter jedoch nicht vom Brot nehmen und hält mit ebensolcher Härte dagegen. Die Konsequenz: Permanent ist die Partie nach Foulspielen unterbrochen, es gibt unzählige Verletzungspausen und sehr viel Stückwerk bei einsetzender Abendkühle zu bestaunen. Der Gästefanblock befindet sich derweil in einem Stimmungsboykott, welcher, wie wir einige Tage später in Erfahrung bringen, mit der Modifikation des Vereinsemblems in engem Zusammenhang steht.

Nach 37 Minuten netzt Nikola Kalinić zum 1:0 für den leichten Außenseiter ein. Ein Blick in das Stadionheft lässt den Namen des Torschützen in die Notizblöcke FUDUs und der einiger Talentscouts wandern. Geburtsjahr 1998, Stammspieler in der Serie A, Torschütze gegen Juventus. Respektable Ausgangssituation für eine steile Karriere, die erst am Abend im Hotelzimmer relativiert wird. Nikola ist leider doch bereits im Jahre 1988 geboren. Kein schlechter Schachzug von den Lilien, irgendwann wird irgendein Kalifatenoligarch schon vorschnell einen prall gefüllten Geldkoffer öffnen…

Kurz vor der Halbzeit lässt Gonzalo Higuain die größte Gästechance ungenutzt. Ein liegender Akteur der Fiorentina kann den Ball vor Einschlag in das Tornetz noch gerade eben so verteidigen.

Eine Viertelstunde nach Wiederanpfiff versetzt „la Viola“ ihre Fans in Ekstase. Eine Flanke auf den zweiten Pfosten erreicht den Ex-HSV’er Milan Badelj zielgenau, sodass dieser nur noch einschieben muss. Der einsetzende Torjubel ist unbeschreiblich schön. Ins Besondere im Umlauf des Unterrangs entsteht eine herrliche Bewegung. Selten hat man Sitzplatzzuschauer so beherzt aufspringen und Richtung Rasen rennen sehen, um mit den Spielern zu feiern. Das Duell zwischen der Fiorentina und dem verhassten Rivalen aus Torino emotionalisiert die Menschen in der Toskana offensichtlich noch immer in besonderem Maße.

Nur vier Minuten später fällt Gonzalo Higuain ein hoch in den Strafraum getretener Ball vor die Füße. Da lässt sich der Torjäger nicht zwei Mal bitten und sorgt mit dem schnellen Anschlusstreffer für erhöhte Spannung, nicht aber für Torjubel im Gästeblock. Konsequenter Boykott im Auswärtssektor also, aber auf der Haupttribüne geben sich einige jubelnd als Juve-Tifosi zu erkennen, was kleinere Tumulte zur Folge hat und das Ordnerpersonal zum Einschreiten animiert. Juve agiert im Folgenden dominant auf dem Rasen, ohne sich nennenswerte Torchancen zu erspielen. Nach 75 Minuten hat die Fiorentina wieder mehr Zugriff auf das Spiel und kann sich von dem entfachten Druck befreien. Juventus spielt fahrig und die vielen Ungenauigkeiten im Passspiel nach vorne tragen dazu bei, dass sich die Fans der Heimmannschaft ihrer Sache nach und nach sicherer werden. Der Sieg gegen die „alte Dame“ scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein.

Nach sechs Minuten Nachspielzeit, die der ACF ohne größere Sorgen übersteht, ist Feierabend im Artemio Franchi. Gut 30.000 Zuschauer jubeln so heißblütig wie eben möglich. Im Laufe der Partie hatten einige Italiener Stadionhefte zu Sitzkissen und Zudecken umfunktioniert, um nicht gänzlich auszukühlen.

Auch in unserem Hotelzimmer herrscht eine deutliche unterkühlte Stimmung. Leider hat auch am zweiten Abend noch niemand verstanden, wie man die Heizung heraufregelt. Dafür weiß die Sportberichterstattung auf DAZN zu überzeugen. Der Kommentar zur sportlichen Misere des Clubs aus Pescara bleibt in Erinnerung: „Dem Delfin steht das Wasser bis zur Flosse“. Wobei man jetzt natürlich getrost die Gegenfrage stellen könnte, wie problematisch dieser Umstand für den handelsüblichen Meeresbewohner sein kann.

Am Morgen der Abreise schalten wir beim etwas unbeholfenen Versuch, den Lichtschalter zu erwischen, die Heizung ein. Ach, der Knopf wäre es also gewesen. 54.000 Schritte haben wir im Verlauf dieser Wochenendreise hinter uns gebracht und der Frecciarossa kutschiert uns mit 300 km/h in Richtung Milano, um Freunde statistischer Daten auch noch weiter auf ihre Kosten kommen zu lassen. Dummerweise hält unser Zug dann nicht wie geplant am Hauptbahnhof, sodass wir spontan umplanen, ohne gültiges Ticket mit der Metro Strecke machen und dann mit einem Bus zum Flughafen nach Bergamo fahren müssen.

Beinahe auf die Minute pünktlich erreichen wir unser Abfluggate, an dem bereits drei betrunkene und primitiv gröhlende Vollassis auf der Treppe herumlungern. Selbstverständlich sitzen diese drei Primaten im Flugzeug genau eine Reihe hinter uns und rülpsen und furzen wie die jungen Götter, während sie ihren Abend im Artemis planen und Fotos der Stewardessen schießen, welche ihrerseits eben jenes zu unterbinden wissen und den gesellschaftlichen Rand zur Datenlöschung zwingen. Eine Reihe schräg vor uns sitzt der andere Betrunkene, der mir vor wenigen Minuten torkelnd an der Securityschlange aufgefallen war. Noch vor Abflug kriegt er von seiner Sitznachbarin eine geklatscht, weil sein Kopf sich alkoholgeschwängert bereits zum dritten Male ihrer Schulter genähert hatte. Vorfreude auf Berlin keimt auf. Ich verschenke meine Ohropax, die ich im Ibis in Manchester habe mitgehen lassen und bin kurz darauf unfassbar verzweifelt, weil meine Kopfhörer nicht mehr in die verbogene Buchse meines Handys passen und ich die Gespräche von hinten demnach nicht mit meiner Musik ersticken kann. Die restlichen zwei Stunden des Fluges male ich mir in allen Farben aus, wie ich gleich nach Ankunft die drei Spezialisten einzeln die Gangway hinunterschepper.

Trösten können wir uns damit, in den letzten Tagen keine der gelernten italienischen Vokabeln gebraucht zu haben. Womit endlich auch final bewiesen wäre, dass man den Satz „Lassen Sie mich in Ruhe!“ nirgends besser gebrauchen kann, als im eigenen Land. /hvg

02.01.2017 Blackburn Rovers FC – Newcastle United FC 1:0 (0:0) / Ewood Park / 18.524 Zs.

Ehe sich Fetti versieht, ist er auch bereits am Ende seiner England-Reise angekommen. Heute steht für ihn und seine Freunde ein letztes Spiel auf dem Programm, welches unter besonderen Vorzeichen steht. Es ist schon merkwürdig, aus welchen Gründen man Zuneigungen zu Fußballvereinen verspüren kann, ohne konkrete Bezugspunkte zu der Stadt und den Menschen zu haben. Im Falle der Blackburn Rovers habe ich seit mittlerer Kindheit ein Band konstruiert, das mich immer wieder aus der Ferne auf die Ergebnisse und Tabellensituation des Clubs schielen lässt. Es muss im Sommerurlaub 1994 gewesen sein, als ich mir zehnjährig ein Alan Shearer Trikot aussuchte. Eine Hälfte blau, eine Hälfte weiß, Stehkragen mit Druckknopf. Wunderschön. Und dabei hatte ich aus naiver kindlicher Sicht das Sahnehäubchen in Form des Brustsponsors gar noch verkannt: Mc Ewan’s Lager! In Folge begleiteten mich die Rovers an meinem Körper auf Nordberliner Bolzplätzen und auch bei dem einen oder anderen Videospielturnier mit Freunden verhalf ich Blackburn virtuell zu Ruhm und Ehren. Kurz darauf feierte Alan Shearer mit seinem kongenialen Sturmpartner Chris Sutton im realen Leben die sensationelle Meisterschaft in der Premier League. Und ich feierte gewissermaßen mit ihnen.

Heute fasziniert mich vor allen Dingen das Logo des Clubs. Die rote Rose repräsentiert stolz die Region Lancashire, in der die Rovers beheimatet sind. Das darunter prangende Vereinsmotto „Arte et Labore“, welches bei Vereinsgründung im Jahre 1875 dem Stadtrat entlehnt worden war, ist an Schönheit nicht zu übertreffen. Kunst und Arbeit. Besser kann man Fußball nicht beschreiben, einen besseren „Claim“ könnte sich heute kein Marketingfuzzi ausdenken. Kurz nach dieser Feststellung ist das Sightseeing-Dreiangel Bahnhof – Kathedrale – Post Office in handgestoppten 12 Minuten abgelaufen.

Wahrlich, eine Schönheit ist dieses Blackburn nicht. Darbende Textilindustrie, tristes Ambiente, ausgestorbene Innenstadt, schäbige Kneipen mit Hell’s-Angels-Türstehern. 105.000 Einwohner fristen ihr Dasein in diesem depressiven Setting. Auffällig viele Menschen pakistanischer Herkunft prägen das Stadtbild mit und bringen mit ihren Imbissbuden und Tante-Emma-Läden wenigstens etwas Abwechslung und Farbe in den grauen Alltag. Im Nachgang der Reise kann dieser Eindruck mit Fakten belegt werden: 25% der EinwohnerInnen Blackburns haben Allah als ihren Gott auserkoren. Nur in London ist der Bevölkerungsanteil muslimischer BürgerInnen im vereinigten Königreich noch höher. Was man nicht alles statistisch erfassen kann.

Kurz darauf stellen wir fest, dass es sich bei dem wunderschönen Post Office um einen Pub der Kette Wetherspoon’s handelt. Das schönste Gebäude der Stadt ist eine Kneipe. Mehr Worte muss man dann über Blackburn auch nicht mehr verlieren.

Der Pub ist bereits mit hunderten trinkwütigen Gästefans aus Newcastle gefüllt, als der Fackelmann und ich die Lokalität entern. Schnell haben auch wir uns flüssige Nahrung geordert, was aber nicht verhindern kann, dass der Fackelmann, womöglich auch aufgrund des Schwermuts, der wie ein bleierner Nebel über der Stadt lag, nun beginnt, Trübsal zu blasen. Über seine Social Media Abteilung lässt er seinen tiefgründigen Gedankenspielen freien Lauf. Ghandi habe einst gesagt, man solle jedes Jahr an einen Ort reisen, den man noch nicht kennt. Es ist der zweite Januar. Wir sitzen in Lancashire und trinken Bier. Da kann man sich schon einmal etwas niedergeschlagen die Frage stellen, was zur Hölle man dann mit dem Rest des Jahres anfangen soll.

Obwohl die Stadt bereits besichtigt ist und die Eintrittskarten vorbestellt sind, dränge ich darauf, den Pub etwas rechtzeitiger zu verlassen. Man würde ja nie wissen, ob die Ticketabholung immer reibungslos funktioniert, tue ich kund. Ich würde mich jetzt nicht als den typischen Astro-TV-Zuschauer bezeichnen. Aberglaube, Hexenwerk, schwarze Magie, schicksalhafte Fügungen, seherische Fähigkeiten, esoterische Schwingungen. Alles Quatsch. Aber als ich das letzte Mal vor Beginn der Arbeit gesagt habe, ich hätte ein komisches Gefühl, hat sich ein Junge beim Fahrradfahren den Kiefer gebrochen und zwei kleptomane Kinder sind von der Polizei in die Gruppe eskortiert worden. Seitdem sage ich im Arbeitskontext einfach nicht mehr Bescheid, wenn ich komische Gefühle habe. Und erst kürzlich habe ich kommen sehen, dass das letzte Bier auf dem Weg nach Hause am nächsten Morgen für Kopfschmerzen sorgen wird. Vielleicht bin ich doch derjenige, der schmetterlingseffektmäßig einmal die Welt vernichten wird. Was ich aber eigentlich sagen wollte: In Blackburn liegen unsere Tickets natürlich nicht wie abgesprochen zur Abholung bereit, nachdem ich diese Befürchtung wenige Minuten zuvor laut ausgesprochen hatte.

Mehrmals blättert die freundliche Dame am Ticketschalter durch alle verfügbaren Briefumschläge, doch keiner von ihnen ist mit meinem Namen beschriftet. Glücklicherweise habe ich die Buchungsbestätigung ausgedruckt dabei. Ein zweiter Mitarbeiter wird herbeigerufen. Gefühlte 15 Minuten lang klickt er sich am Computer die Finger wund, zuckt die Schultern, schüttelt den Kopf. Sein System würde zeigen, dass die Karten bereits gedruckt worden seien. Ob wir sie vielleicht schon abgeholt haben? Am Ende wittert er den großen Betrug. Wir werden doch nicht etwa die Absicht haben, uns die Tickets ein zweites Mal ausdrucken zu lassen, um sie dann ahnungslosen Einheimischen zu verkaufen? Zwar spricht er diese Vermutung nicht laut aus, das Wort „DUPE“, welches er in großen roten Lettern auf unsere „erneut ausgedruckten“ Karten kliert, lässt allerdings darauf schließen. Sei es wie es sei. Wir haben unsere Tickets und können nun noch entspannt eine Runde um das Stadion drehen.

Zunächst bestaunen wir eine Statue von Jack Walker, seines Zeichens einheimischer Industrieller, der Ende der 80er Jahre zunächst Material für einen Tribünenneubau stiftete und die Gehälter einiger Spieler stemmte. Anfang der 90er Jahre übernahm er dann die Eignerschaft des Clubs und finanzierte die weitere Modernisierung des Stadions. Über 25 Millionen Pfund flossen darüber hinaus in die Mannschaft, unter anderen in den Transfer Alan Shearers. Jack Walker, hier als „der größte Fan der Rovers“ tituliert, legte maßgebliche Grundsteine für die letzte erfolgreiche Ära der Rovers.

Im Verlauf des weiteren Rundgangs lassen sich nostalgische Fotos der größten Cluberfolge an den Tribünen finden (3x Meister, 3x FA-Cup-Sieger in Serie, was keinem anderen englischen Verein gelang und die Rovers dazu berechtigt, ihre Eckfahnen mit dem Clublogo zu zieren). In der Galerie darf dann natürlich auch der Held meiner Kindheit nicht fehlen. Währenddessen vermischen sich beide Fangruppen, an einigen Verkaufsständen gibt es sogar Fanartikel Newcastles zu erwerben. Tausende Unterstützer der „Magpies“ warten derweil auf Einlass am Gästeblock und werden mit Bewegtbildern vergangener Spiele ihres Lieblingsvereins bei Laune gehalten. Ach, schön ist’s hier…

Womit wir dann beim traurigen Teil des Berichts angekommen wären: Die Gegenwart der Blackburn Rovers. Jack Walker würde sich vermutlich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass sich die Rovers aktuell auf Platz 22 der zweiten englischen Liga befinden und ein weiterer Abstieg kaum noch zu verhindern ist. Schlimmer noch, dass die Brüder Balaji und Venkatesh Rao, die mit ihrer Firma „Venky’s London Limited“, einer Tochtergesellschaft der im indischen Pune ansässigen „Venkateshwara Hatcheries Private Limited“, den Club 2010 übernommen haben und in dieser Zeitspanne desaströse 100 Millionen Pfund (!!!) Schulden angehäuft haben. Der Fußballgott möge seine Hände möglichst lange schützend über die 50+1 Regel legen und uns vor solchen Gestalten bewahren!

Wir nehmen Platz auf der ältesten Tribüne des Stadions, die mit ihrem Giebeldach wunderbare englische Fußballnostalgie verströmt. Um uns herum protestieren die Fans der Heimmannschaft heute folgerichtig zum wiederholten Male gegen die Eigentümer, die in 10.000 Kilometer Entfernung den Club ins Verderben schlittern lassen. „Venky’s Out!“ prangt auf einem Plakat auf der Haupttribüne und der Rest des Stadions, das auf Heimseite nur spärlich besucht ist, tritt in eine Art Stimmungsboykott. Die 6.934 (!) Fans aus Newcastle, die die gesamte Hintertortribüne füllen, bieten hingegen die beste Fußballstimmung, die wir auf dieser Reise erleben dürfen. Fast durchgängig wird gesungen und angefeuert, selbst Startrainer Rafael Benítez bekommt einen eigenen Song gewidmet und mit einem herrlich ironischen „Shall we sing a song for you?“ wird das Heimpublikum vorgeführt.

Auf dem Rasen verhalten sich die Rovers wie das Kaninchen vor der Schlange. Die erste Halbzeit wird von United dominiert, Angriffswelle um Angriffswelle schwappt auf das Tor der Gastgeber zu. Die vielbeinige Abwehr der Rovers wirft sich tapfer in jeden Schuss und kann mehrmals in allerhöchster Not klären. Wann immer Newcastle eine Lücke im Abwehrbeton gefunden hat, springt Keeper Steele in die Bresche und stellt sein Können unter Beweis. In der 20. Minute rettet nach einem schönen Diamé-Schuss nur noch die Torlatte. Wie durch ein Wunder steht es zur Halbzeitpause 0:0 und schon wird das Publikum mit einem furchtbaren Cheerleader-Auftritt weiter gequält.

In der zweiten Halbzeit sehen die ca. 12.000 Blackburn-Supporter, unter denen die 25% Muslime übrigens überhaupt nicht vertreten sind, den selben Spielverlauf. Newcastle hat den Ball, Newcastle treibt diesen nach vorne, Newcastle zirkuliert um den Strafraum. Newcastle passt, dribbelt, schießt. Newcastle, Newcastle, Newcastle. Nach 60 Minuten haben die „Magpies“ zwei Tore erzielt, die jedoch beide von Schiedsrichter Woolmer aberkannt werden. Nach 62 Minuten kommen die Rovers erstmalig gefährlich in des Gegners Hälfte. Ein Fernschuss streift knapp am rechten Pfosten vorbei. Diese eine gelungene Aktion gibt den Gastgebern Mut, plötzlich nehmen sie am Spiel teil und wittern ihre Chance. Nach 74 Minuten stellt Charlie Mulgrew mit einem direkten Freistoß den Spielverlauf komplett auf den Kopf. Die 1:0 Führung wird frenetisch gefeiert und im Anschluss leidenschaftlich verteidigt. Die große Schar Newcastle-Supporter verstummt, bei den Rovers wird Manchester-Legende Wes Brown eingewechselt, um den Sieg über die Zeit zu bringen. Wenige Minuten später ist das Fußballwunder vollbracht, doch so richtig freuen kann sich angesichts der dunklen Wolken über dem Ewood Park niemand. Sinnbildlich, dass kurz vor Abpfiff der Partie Teile der Stadionbeleuchtung ausgefallen waren. In Blackburn gehen die Lichter aus…

Und in Deutschland mischt sich derweil Altkanzler Schröder in die aktuelle politische Debatte ein. Spiegel Online schreibt, er würde gerne dazu beitragen wollen, die „Flüchtlingskrise“ zu lösen. „Na, hoffentlich nicht mit Gas“, sagt derjenige von uns, der die politisch inkorrekte Pointe schneller fertig hatte. Bleibt abschließend eigentlich nur noch die Frage zu klären, was wir mit dem Rest des Jahres anfangen werden. Vielleicht: Arte et Labore. Denn es is‘ ja och keene Kunst, nich zu arbeiten! /hvg