705 705 FUDUTOURS International 23.11.24 17:09:30

01.01.2017 FC United of Manchester – Altrincham FC 1:1 (1:1) / Broadhurst Park / 3.030 Zs.

Das erste Spiel des Jahres 2017 findet für FUDU in Manchester statt. Anlass genug, um dem liebgewonnenen Stammpub vor der Partie einen Besuch abzustatten. In „Sinclair’s Oyster Bar“ befindet man sich an historischer Stelle. Die Bar wurde im Jahre 1552 errichtet. Austern stehen seit 1845 auf der Karte und sorgen für den noch heute gültigen Namen der Kneipe, welche im Jahre 1996 nach einem Bombenanschlag der IRA Stein für Stein 300 Meter versetzt und originalgetreu hergerichtet wurde. Große Teile der Innenstadt waren damals durch das Attentat in Schutt und Asche gelegt und anschließend umgestaltet worden. Lediglich ein Briefkasten überstand diesen schwarzen Tag des Jahres 96 unbeschadet und steht noch heute aufrecht an seinem angestammten Platz.

Für weniger als 3 Pfund erhält man heute in urigem Ambiente ein lokales Lager und erlebt während des Konsums die eine oder andere unterhaltsame Geschichte. So wie neulich, als sich FUDU plötzlich inmitten eines 50. Geburtstags einer walisischen Dame befand, die sich eingangs darüber beschwerte, dass der Gin Tonic furchtbar stillos in Plastikbechern serviert wird. Es ist nicht überliefert, ob sie von dieser Sicherheitsmaßnahme des Pubs überzeugt werden konnte, indem ein Mitglied ihrer angeheiterten Feiergesellschaft den halben Tisch mit einem gezielten Handkantenschlag abräumte und die Gläser eben NICHT klirrend zu Boden fielen.
Ansonsten gilt rückblickend festzuhalten, dass wir in noch keiner englischen Stadt sooft so früh zum Ausgang gebeten worden sind. In Manchester schließen die Pubs zu früher Stunde und halten an einigen Tagen die Pforten gar gänzlich geschlossen. Sperrstunde ist Carestunde – selten erlebte FUDU seine Urlaubstage dermaßen ausgeschlafen!

Dafür hat Manchester an anderer Stelle aber einiges an Kulturprogramm und touristischen Sehenswürdigkeiten zu bieten. Die nüchternen Momente kann man getrost im von Daniel Libeskind gestalteten „Imperial War Museum North“ verbringen, in dem ein Mitmachangebot dazu einlädt, ein Wettrennen durch das geteilte Berlin zu unternehmen. Klar, dass dem alten Ossi Fackelmann in seinem Trabant hierbei nur der zweite Platz bleibt. In der „Potato Wharf“ warten opulente Fish&Chips Mahlzeiten darauf, von uns verspeist zu werden, während man in Castlefield römische Spuren der Stadtgeschichte und Eisenbahnviadukte bestaunen kann. Das Second-Hand-Kaufhaus „Afflecks“ ist mit seinen verkramten Etagen auf jeden Fall eine Abstecher wert und lässt nostalgische Erinnerungen an das Künstlerhaus „Tacheles“ aufkommen.

Nun aber Fußball. Die Geschichte des FC United of Manchester dürfte hinlänglich bekannt sein. Heute erhofft sich FUDU durch den Besuch des von Fans gegründeten Clubs mit eigenem Fußballstadion das Erlebnis ursprünglicher und echter englischer Fußballatmosphäre fernab vom großen Kommerzspektakel der oberen Profiligen. Der Bahnhof Newton Heath & Moston ist aus der Stadtmitte in gerade einmal 12 Minuten erreicht und der Fußweg zum Broadhurst Park von knapp einer Meile schnell zurückgelegt. Für 9 Pfund erhält man freie Platzwahl, leider aber keine Eintrittskarte als Souvenir, worüber sich die gut und gerne (nennen wir mal eine Zahl, die empirisch nicht haltbar ist) 300 Hopper am heutigen Tag sicherlich allesamt ärgern werden. Das Stadion bietet drei Stehtribünen, von denen die Hintertortribüne die deutlich höchste ist. Auch unter der kleinen und recht flachen Sitzplatztribüne, die man allen Ernstes mit einem Aufzug erreichen und in dessen Bauch man deftige Menüs mit Braten und Rotkohl bestellen kann, befinden sich einige Stehplätze, auf denen wir das Spiel in der ersten Halbzeit verfolgen werden. Natürlich nicht, ohne noch schnell im FCUM-Fanshop eine kleine Erinnerung in Form eines Turnbeutels erstanden zu haben.

Im Stadion fallen die Zaunfahnen positiv auf, die auf der Gegengerade ein schönes Bild abgeben. Besonders hervor stechen die Glazer-kritischen Plakate und antifaschistische Symbole, aber auch die Slogans „Makin‘ Friends not Millionaires“ und „Supporters not Customers“ wissen zu überzeugen. Der 1.FC Union Berlin ist durch die „Gockelz“ in der Zaunfahnengalerie präsent. Ein kleines Mädchen schiebt ihren Puppenwagen vor sich her, während zwei Hunde an der Eckfahne miteinander rangeln. Na, dann kann es ja losgehen.

Der Schiedsrichter eröffnet die Partie und muss sie nur wenige Augenblicke später wieder unterbrechen. Es ist ein Tor erzielt worden. Die Gäste aus Altrincham wissen gar nicht, wie ihnen geschieht, als das Heimpublikum nach weniger als einer gespielten Minute kräftig mit Torschütze Gilchrist feiert. Im Anschluss entwickelt sich ein rassiges und intensives Spiel, welchem man anmerkt, dass beide Manschaften vor nur wenigen Tagen in Altrincham aufeinandergetroffen waren. Da haben einige Spieler noch gut in Erinnerung, mit welchen Kollegen der Gegenseite man vor kurzem noch aneinandergeraten war und mit wem man sich Verbalduelle geliefert hat. Eine Giftigkeit, die man sonst nur aus Play-Off-Spielen anderer Sportarten kennt.

Nach 20 Minuten gelingt den Gästen aus Altrincham durch Owens der Ausgleich. Hervorgegangen war dem Treffer ein katastrophaler Stellungsfehler von Luke Ashworth, welchen er aufgrund seiner Geschwindigkeitsdefizite auch nicht mehr wettmachen konnte. Bereits im Hinspiel landete der Name Ashworth mit folgenden Stichpunkten auf den Notizzetteln FUDUs: Abrissbirne, Kanisterkopf, Kneipenschläger.

In Folge haben die Gäste, die abgeschlagen am Tabellenende der Liga rangieren, etwas mehr vom Spiel. Den nächsten wirklichen Höhepunkt gibt es dann allerdings erst in der 45. Minute zu bestaunen, als die eben beschriebene Giftigkeit aller Akteure kulminiert und es zu einer wilden Rudelbildung kommt, im Rahmen derer geschubst und geschlagen wird. Der Schiedsrichter behält den Überblick und schickt zwei Akteure mit roten Karten vom Feld, während der Rest des wilden Haufens ungesühnt davon kommt. Duschen gehen müssen Jake Moult aus Altrincham und – natürlich – Luke Ashworth. Gott sei dank gibt es in Manchester Gin Tonic nur noch in Plastikbechern.

Die zweite Halbzeit wird dann zu einer einzigen Enttäuschung. Auch in dieser wird es im Stadion kein Bier zu erwerben geben und die ohnehin schon halbgare Stimmung lässt weiter nach. Die erhoffte Fußballatmosphäre kann man also auch im Broadhurst Park nicht erleben, nur gelegentlich lassen die Schlachtenbummler, die hier eher ins Stadion einkehren, um mit ihren Stehplatznachbarn zu quatschen, englische Fußballlieder durch den Park schallen. Wir haben den Platz gewechselt, befinden nun auf der Hintertortribüne und haben das Glück, neben einem Mann zu stehen, der sich aufmacht, den Schiedsrichter und den gegnerischen Torwart zu beleidigen. 45 Minuten am Stück. Mit 800 Dezibel. Währenddessen geschieht auf dem Rasen rein gar nichts und auch die kümmerliche Schlussoffensive der rot-schwarz-weißen Hausherren bleibt ohne zählbaren Erfolg. Bei einsetzender Abendkühle kommt der Schlusspfiff einer Erlösung gleich und FUDU eilt zurück zur Straßenbahn und Richtung Stadtzentrum.

Nur kurz darauf wird FUDU erneut ins Oyster-Team berufen und trinkt sich das Erlebnis schön. Auch dieses Mal verzichten wir dankend auf Ale in Gelee und entscheiden uns für Taddy Lager aus der 100 Kilometer entfernten Samuel Smith Brewery in Tadcaster. Unter dem Strich steht: Der FC United of Manchester ist ein wichtiger Gegenentwurf zum modernen Fußball, aber auf den Rängen muss er noch weiter mit Leben gefüllt werden. Und so lange wir in britischen Stadien nicht mit Bier gefüllt werden dürfen, zieht es uns wohl immer wieder zurück zu Alba ins alcoholic-Hotel. /hvg

31.12.2016 Preston North End – Sheffield Wednesday 1:1 (0:0) / Deepdale / 14.802 Zs.

Am letzten Tag des Jahres 2016 werden Fetti und seine Freunde zu Silvestervertriebenen. Für diese eine Nacht von heute auf morgen, in der sich im Hotel nichts verändern wird, außer der Jahreszahl, verlangt das IBIS plötzlich das Dreifache an Übernachtungsgebühren. Grund genug für unsere tapferen Sparschweine, am Morgen vor der Abfahrt nach Preston aus dem Hotel auszuchecken.

Auf dem Weg zu Alba treffen wir einen dicken Jungen, der vor dem Fahrstuhl sitzt und auf seinem Smartphone irgendein albernes Spiel mit vielen Farben und nervtötender Musik spielt. So in etwa darf man sich also die Konsequenz vorstellen, wenn ein britisches Kind eindringlich von seinen Eltern gebeten wird, auch mal draußen zu spielen.

Schnell haben wir im Anschluss die Rechnung beglichen, unser Gepäck bis heute Abend zur Aufbewahrung abgegeben und nehmen dann vorerst ein letztes Mal Platz am Frühstücksbuffet. Hier macht FUDU zunächst einmal einen Kassensturz, schließlich haben die beiden Unglücksschweine gestern nahezu ihr gesamtes Hab und Gut auf der Hunderennbahn verzockt. Leider konnte der Köter unseres Herzens für FUDU kein Taschengeld erlaufen und zu allem Überfluss war er trotzdem noch zu schnell, um ein vernünftiges Fahndungsfoto von ihm zu schießen. Aber immerhin kann im Groundhopping-Informer nun auch beim „Bell(e) Vue Stadium“ ein Kreuz gesetzt werden. Wuff!

Viel schlimmer ins Kontor schlug dagegen der Einkauf einer neuen Digitalkamera. Neben dem Totalschaden an der Lumix beklage ich nun auch einen wirtschaftlichen Totalschaden, während ich mir etwas gequält abermals Beans and Bacon munden lasse. Über 100 Pfund muss man in England in Ermangelung von Elektronikgroßmärkten für eine Durchschnittskamera schon lassen, die man in Deutschland wohl für gerade einmal 60 Euro hätte schießen können. Immerhin lernte ich im Rahmen des Verkaufsgesprächs im Fotofachgeschäft einen freundlichen Verkäufer kennen, der mir stolz erzählte, er sei als Jugendlicher einmal im Ferienlager in Wismar gewesen. Und sei es, wie es sei: Wenn noch drei Fußballstadien im Rahmen des Urlaubs besucht werden, dann darf die Anschaffung einer neuen Kamera wohl ohnehin als alternativlos bezeichnet werden.

Als am Bahnhof Manchester Victoria der Zug in Richtung Preston (Lancashire) einrollt, kann ich auch endlich mit meinem Litauen-Urlaub abschließen. Mit etwas zeitlichem Abstand ist die Frage final beantwortet, wohin der sympathische Staat des Baltikum seine ausrangierten Züge gegeben hat. Während also quer durch Litauen nur Züge modernster Bauart über die Schienenstränge schwebten, freut sich Fetti nun über eine richtig gammelige Regionalbahn. Nebenan sitzt eine Frau mit Leoparden-Leggins, Leoparden-Oberteil und Leoparden-Schuhen. Wir sind hochgradig erleichtert darüber, dass sie den Kampf gegen das Wildtier offenbar unbeschadet überstanden hat. Gleichermaßen darf an dieser Stelle eine Liste von Dingen, an denen Leopardenmuster gut aussieht, nicht fehlen:

1. Leoparden.

Während der Anfertigung dieser Auflistung legt die Rumpelbahn die 32 Meilen zuverlässig zurück und passiert hierbei auch den Bahnhof „Horwich Parkway“, den man verlassen müsste, um ein Heimspiel der Bolton Wanderers in einem modernen Stadionungetüm sehen zu können.

Fetti verzichtet jedoch dankend, da er heute den Besuch einer echten Traditionsspielstätte vor der Brust hat. Der Besuch des National Football Museums in Manchester konnte einen erheblichen Beitrag leisten, die Vorfreude auf das heutige Stadionerlebnis zu steigern. Dort wird dem geneigten Museumsbesucher nämlich direkt im allerersten Gang der Ausstellung ein Gemälde der Meistermannschaft Prestons aus dem Jahre 1889 gezeigt. Da im selben Jahr auch der FA-Cup durch die „Lilywhites“ errungen werden konnte, darf sich der Club nicht nur erster englischer Fußballmeister, sondern auch erster Double-Sieger der Fußballweltgeschichte nennen. Zu diesem historischen Fakt gesellt sich zusätzlich der Umstand, dass das Spielfeld im Stadtteil Deepdale seit Anbeginn der Zeit als Heimspielstätte für PNE fungiert. Da die Menschheit auf Superlative steht, lässt es sich wikipedias Autor auch nicht nehmen, es auf den Punkt zu bringen: „Das Spielfeld dieses Stadions ist das älteste ununterbrochen bestehende Fußballfeld der Welt.“ Besteste!

Bei soviel Tradition und Fußballkultur verwundert es dann schon, wie sich der Verein dem World Wide Web präsentiert. FUDU hat für das heutige Spiel Karten vorbestellt und versucht sich nun zu informieren, an welcher Stelle des Stadions diese entgegengenommen werden können. Diese alles entscheidende Frage mag nicht einmal die FAQ-Rubrik der Website beantworten. Dafür wird man freundlicherweise (verknappt zitiert; Wie viele Punkte man für einen Sieg erhält und wie viele Spieler pro Mannschaft mitspielen dürfen, werdet ihr ja wohl wissen…) über folgendes informiert:

„Football matches last 90 minutes and are played in two halves of 45 minutes each. At the end of the first half there is a ‚half-time‘ break of 15 minutes that will allow you time to go and get a drink or a bite to eat from our refreshment kiosks.

When the referee blows his whistle to signal full time the players will make their way off the pitch to their changing rooms. Both home and away fans will then start to vacate their seats and head towards the exits through the turnstile.“

Ach, Du meine Güte. Wir werden es also mit einem Publikum zu tun haben, das darüber aufgeklärt werden muss, wie lange es durchhalten muss, bis es endlich fressen und saufen darf. Wie furchtbar die Anhängerschaft Prestons sein muss, will man sich angesichts des formulierten Wunsches, diese nach Abpfiff möglichst schnell wieder loszuwerden, gar nicht bis zum Ende ausmalen. Na, das kann ja was werden.

Zunächst einmal verlassen wir aber wenig vorbereitet und unvoreingenommen nach einer knappen Stunde den Zug am Bahnhof Preston und stellen erfreut fest, dass dieser mit seinen Mosaikböden und seinen farbenfrohen Zaunelementen vollständig überzeugen kann. In der Innenstadt machen wir uns vergeblich auf die Suche nach dem höchsten Kirchturm Englands (94 Meter!) und erspähen stattdessen erste Straßenverkäufer, die bereits jetzt Schals für das anstehende FA-Cup-Highlight gegen den Arsenal FC verkaufen. Kurz darauf besichtigen wir das Stadtmuseum, in dem wir die Hintergründe über das Lamm im Logo der Stadt und des Fußballclubs erfahren und schnell wieder vergessen. Fetti gerät auf dem Fußweg zum Stadion angesichts von gleich 12 Schweinen an der Fassade eines Pubs in Verzückung (besonders das Schwein mit Trompete, welches den Spitznamen Flötenfetti erhält, hat es ihm angetan) und kann diesen nur schweren Herzens links liegen lassen. Dank der wunderbar heruntergekommenen studentischen Übernachtungsmöglichkeit direkt nebenan ist es jedoch nicht gänzlich ausgeschlossen, dass FUDU in einem nächsten Leben noch einmal an diesen Wallfahrtsort zurückkehren wird.

Das Stadion weist nur kurz darauf dank seiner opulenten Flutlichtmasten den Weg durch die Wohnsiedlungen. Am Stadion haben wir unsere Tickets dann auch ohne vorherige Orientierungshilfe schnell entgegengenommen und einen Blick auf einen Brunnen geworfen, der den ehemaligen PNE-Akteur Sir Tom Finney bei einer Grätsche zeigt. Die ganze Stadt ist elektrisiert, fiebert dem Spiel gegen Arsenal London entgegen – und vergisst dabei offensichtlich, dass heute ein Ligaspiel stattfindet. Gerade einmal 14.000 Menschen verirren sich im Deepdale Stadium. So bleiben weite Teile der Tribünen verwaist und erlauben leider dennoch keinen Blick auf die Gestaltung der Sitzschalen, die auf allen vier Seiten die Konterfeis wichtiger Klubikonen abbilden.

Die wenigsten freien Sitze gibt es auf der Gästetribüne zu sehen, auf der sich gut und gerne 3.500 Supporter aus Sheffield eingefunden haben und die nun stehend (!) und singend (!) auf den Anpfiff warten. Dieser ertönt nach der für England typischen Schweigeminute, in der im letzten Spiel des Kalenderjahres den verstorbenen Vereinsmitgliedern gedacht wird. Vielleicht ist ja auch dies der Grund dafür, warum sich die Fußballatmosphäre im Anschluss zumeist auf Friedhofslautstärke einpegelt. Leider deuten auch die Jungs aus Sheffield ihr Potential nur an, singen kurze, knackige Lieder, die aber genauso lautstark durch die Decke gehen wie abrupt enden. Hier scheint das Motto zu lauten: Eine Strophe alle 20 Minuten muss reichen! Preston North End stellt 50 Mann, die am oberen Rand der Hintertortribüne stehen und ab und an schreien, während der Rest schweigend sitzt und darauf wartet, in der Pause endlich fressen und dann nach weiteren 45 Minuten nach Hause gehen zu dürfen. Über weite Teile der Partie sorgen die Trainer und Spieler für die einzige akustische Untermalung, indem sich ihre lautstarken Kommandos und Kommentare den Weg zu unseren Ohren bahnen. In einem Stadion mit 14.000 Zuschauern und 23.000 Plätzen. Mehr Worte muss man nicht verlieren.

Das Spiel ist auch nicht attraktiver als das Drumherum. Spätestens ab der 35. Minute liegt das Erlebnis Deepdale in einem künstlichen Koma. Preston North End prügelt in einer Tour lange Bälle auf ihren Leuchtturm (Brøndby-Legende Simon Makienok), der gleichermaßen groß wie unbeholfen ist. Beide Mannschaften schalten in einer Geschwindigkeit um, dass einem die Bummelfahrt von Manchester nach Preston plötzlich wie eine rasante Achterbahnfahrt erscheint. Ab und zu ergeben sich für PNE Halbchancen, die aber ungenutzt bleiben, während der stärker werdende Wind diversen Müll von den Tribünen auf den Rasen weht.

Im zweiten Spielabschnitt nimmt die Partie etwas an Fahrt auf, nachdem uns ein Familienvater in der Pause in den Katakomben entgeistert gefragt hat, warum zur Hölle wir nach Preston gekommen sind, um ein Fußballspiel zu sehen. PNE erzielt nach 70 Minuten zwei irreguläre Tore (1x Foul am Torhüter, 1x abseits) und geht dann nach 77 dank guter Einzelleistung von McGeady unter Mithilfe des Gästeverteidigers Hutchinson, der dessen Schuss unhaltbar abfälscht, mit 1:0 in Führung. McGeady erhält durch diese gelungene Aktion sichtlich Rückenwind und legt nur fünf Minuten später beinahe das 2:0 nach, scheitert aber am Pfosten. Kurz darauf wird die Zuschauerzahl verkündet und mit schallendem Gelächter aus dem Gästeblock quittiert. In der 90. Spielminute arbeitet Adam Reach einen bereits mehrfach abgewehrten Ball aus dem Gewühl zum Ausgleich in die Maschen. Die 3.500 Gästefans begleiten den Treffer mit einem markerschütternden Torjubel und sorgen so für einen versöhnlichen Ausklang dieses Stadionbesuchs.

Nach dem Spiel kehrt FUDU in einem umgebauten Bankgebäude ein, welches nun für die Kette „Wetherspoon“ als Pub fungiert. Hier überzeugen zum wiederholten Male die Bierpreise, doch auch die Lampenschirme, die vermutlich aus NVA-Restbeständen geschmiedet worden sind, haben Charmepotential. Auf dem Weg zur Toilette entdecken wir die englische Sportfotografie des Jahres 1956. Das Foto zeigt niemand geringeres als Sir Tom Finney, der im Spiel gegen den Chelsea FC durch eine Wasserlache an der Stamford Bridge grätscht. FUDU – heute für Sie an einem historischen Ort ohne jedwede Gegenwart.

Als wir am Abend in Manchester nach Abhoolung unserer Rucksäcke bei Alba in unserem neuen Hotel einchecken, fallen uns vor Schreck beinahe die Pimm’s-Dosen aus der Hand. Ein non-alcoholic Hotel mit Gebetszeiten? Herr Gott, was zur Hölle? Nebenan tobt auf der Curry-Mile das Leben, welche vom Reiseführer als Multi-Kulti-Hotspot mit internationalen Köstlichkeiten und Flair angekündigt wurde, aus unserer Sicht aber nicht mehr ist als Neukölln in klein. Nur mit rassistischem Spitznamen. So entscheiden wir uns, in der Silvesternacht bereits gegen 23.00 Uhr die Segel zu streichen und fiebern bereits jetzt unserem Jahresauftakt entgegen. Morgen kehren wir endlich wieder zu Alba in das alcoholic-Hotel zurück. Und endlich wird es auch in diesem vermaledeiten Jahre 2017 Fußball zu sehen geben. /hvg

29.12.2016 Aston Villa FC – Leeds United AFC 1:1 (0:0) / Villa Park / 37.087 Zs.

Schwer gezeichnet vom mehrtägigen Manchester-Sightseeing schleppen sich der Fackelmann und ich zum Frühstücksbuffet in die IBIS-Lobby. Wieder einmal hat die sympathische spanische Rezeptionistin Alba, die FUDU-intern längst auf den Namen Telekom Baskets getauft wurde, unsere Zimmernummer vergessen und muss diese nun erfragen, um uns auf der Frühstücks-Checkliste abhaken zu können. Heute überrascht uns das Buffet erstmals, schließlich sind Würstchen, Eier, Bohnen, Speck und Kartoffelecken spiegelverkehrt angeordnet. Die kurzzeitige Verwirrung ist gerade aus den Klamotten geschüttelt, als wir uns an unserem Stammplatz mit Blick auf den Fernseher niedergelassen haben. Wie jeden Tag ist das Potpourri an Nachrichten einigermaßen skurril. Nachdem wir gestern über das neuartige schottische Wetterphänomen der „Fogbows“ informiert worden sind (wenn’s zu trist wird, darf’s ruhig auch mal bunter Nebel sein…), hat heute tatsächlich irgendein ganz ausgefuchster Wissenschaftler im Rahmen einer Health Study herausgefunden, dass viele Briten zu ungesund essen und zu viel Alkohol konsumieren würden. Neben dieser weltexklusiven Sensationsmeldung bestimmt heute die Queen und ihre Residenz das Frühstücksfernsehen. Man mag es kaum glauben, doch der Putz bröckelt, hier und da gibt es Kalkablagerungen und auch sämtliche Rohrleitungen sind veraltet und müssen saniert werden.
Und beim Buckingham Palace sieht es kaum besser aus.

2014 hatte FUDU sein zehntägiges Basislager übrigens in Birmingham aufgeschlagen. Damals gelang es den dummen Schweinen jedoch nicht, auch nur ein einziges Fußballspiel in dieser Stadt zu besuchen. Diesen Makel der eigenen Vita gilt es nun auszumerzen und so begeben sich die beiden verfetteten Alkohooliker direkt vom Frühstücksbuffet zum Busbahnhof Manchesters, von dem aus ein Megabus-Lumpensammler zum unschlagbaren Dumpingpreis von drei Pfund (!) die knapp 100 Meilen zurücklegen wird.

Als der Bus überpünktlich in seiner Haltebucht zum Stehen kommt, kramen wir aus unserem unübersichtlichen Konglomerat an Bus- und Bahntickets für die Reisen der kommenden Tage das passende heraus. Traurig, dass diese schweißtreibende Angelegenheit im wahrsten Sinne keines Blickes gewürdigt wird, da wir den Bus ohne Vorzeigen eines Billets betreten dürfen. Kaum habe ich Platz genommen, beginnt das große Psycho-Spektakel, dem ich mich leider mitunter ausgesetzt sehe, wenn ich in Bussen oder Autos Platz nehme. Ein beklemmendes Gefühl setzt ein, das Herz rast, kalter Schweiß, Nervosität. Kenne ich, kann ich mit umgehen. Aber plötzlich stellt mein Kopf eine Frage, die ich so bislang nicht kannte. Was ist, wenn wir im falschen Bus sitzen? Immer und immer wieder. Ich versuche mich zu beruhigen, indem ich mir einrede, dass es schon der richtige Bus sein wird. Die Uhrzeit stimmt annähernd, die Lackierung des Busses passt, was also soll dieser Quatsch, Kopf? Dann wird die Intensität der Frage aber doch zu heftig und ich muss mich einfach an den Kollegen Fackelmann wenden, der auf der Emotionsskala von Wellness bis Weltkrieg aktuell aus meiner Perspektive betrachtet am anderen Ende zu verorten ist und bereits halb dösend neben mir den zweieinhalb Stunden Fahrt entgegensieht. „Ach, das ist schon der richtige Bus, ganz entspannt!“, sagt er – und sieht auch danach aus. Als der Bus dann fünf Minuten vor der eigentlich geplanten Abfahrt den Busbahnhof verlässt, fallen alle Hemmungen und ich gehe das Risiko ein, mich mit einer Frage beim Busfahrer vollends zu blamieren. Wir sind bereits zwei-drei Mal abgebogen, als ich diesen frage: „Excuse me, is this the bus to Birmingham?“

„No. This is the bus to London!“

Der Fahrer hält in zweiter Spur, nachdem ich deutlich gemacht habe, dass wir dann offenbar versehentlich in den falschen Bus eingestiegen sind. Ich rufe den Fackelmann lautstark herbei.
„Do you have any luggage locked?“ fragt der Chauffeur höflich und entlässt uns dann nach unserer Verneinung freundlich auf offener Straße.

Die nächsten viereinhalb Minuten unseres Lebens bestehen aus einem Sprint, welchen mein Knie überraschend kooperativ mitgestaltet, zurück zum Busbahnhof, um unseren eigentlichen Bus zu erwischen. Knappe 30 Sekunden vor Abfahrt fallen wir schnaufend auf dessen Sitze. Ich bin kurz darauf tiefenentspannt, obwohl ich erneut in einem Bus gleicher Bauart sitze, während Fackelmann auf der Skala über Kreuz an mir vorbeizieht. So ist das nun mal mit der Irrationalität von Ängsten.

Die Fahrt durch die Countryside zieht sich dann dank diverser Stop-and-Go-Passagen ziemlich in die Länge. Das eine oder andere Wildpferd ist zu beobachten, während die beiden jungen Damen vor uns verzweifelt Ausschau nach Schweinen halten. Vielleicht einfach mal umdrehen, denkt sich Fetti. Das Gute liegt eben manchmal doch so nahe.

10 Meilen vor Birmingham haben wir auch das letzte Nebelfeld passiert und der Himmel reißt auf. Bei bestem britischen Wetter (trocken, hell) starten wir unsere Mission, Tickets für das heutige Spiel zu organisieren. Dank unserer 2014’er Stadterkundungen ist der Weg zum Fanshop Aston Villas schnell gefunden, doch die Antwort auf unsere Ticketfrage, die wir dort erhalten, ist ein echter Schlag in den Schweinemagen. Aus Sicherheitsgründen darf leider niemand Karten erwerben, der nicht bereits als Aston Villa Fan registriert ist und somit keine „Booking Reference Number“ vorzuweisen hat. Ach so, Abendkassen wird es auch keine geben. Sorry.

Fetti und seine Freunde reagieren blitzgescheit und entschließen, erst einmal ein Bier trinken zu gehen. Gesucht wird ein Pub mit Wi-Fi, um ein wenig Recherche zu betreiben, welche Schlupflöcher sich für heute Abend eventuell auftun könnten. Der Fackelmann startet in diesen Arbeitsauftrag, während ich mich in die Menschenmenge vor dem Ausschank mische. Hier gilt offenbar die sehr unbritische Devise: „Der lauteste bekommt zuerst“ und so trete ich 15 Minuten später ohne Bier, ohne Eintrittskarte, aber mit voller Schnauze den Rückweg an. Fackelmann übernimmt zusätzlich hauptverantwortlich die Biermission und kehrt wenig später mit zwei vollen Gläsern und der Information, dass es eine Ticketbörse (wenn auch mit horrenden Zusatzgebühren) am Stadion geben wird, an den Tisch zurück. Guter Mann.

Überaus zeitig machen wir uns auf den Weg hinaus zum Villa Park. Wir kommen so immerhin in den Genuss, das Stadion bei Tageslicht sehen und fotografieren zu können und sind angesichts der Backsteinbauten und der liebevoll gestalteten Dekorationen an den Einlasstoren mit dem bislang recht stressigen Tagesverlauf versöhnt. Hier trifft Industrialisierung auf britischen Fußballkult und unser Wunsch, heute Abend Teil des Spektakels sein zu können, steigt ins Unermessliche. Eine Eintrittskarte versuchen wir noch einmal auf einem offiziellen Weg zu ergattern und lassen die ominöse Ticketbörse erst einmal links liegen. Im Ticket Office erhalten wir jedoch die selbe Auskunft wie im Fanshop. Keine Karten für Hoppertrottel. Die freundliche Dame mittleren Alters gibt uns jedoch den Hinweis, uns einfach auf den Parkplatz zu stellen und ankommende Fans mit Reference Number darum zu bitten, Karten für uns zu erwerben.

Gemacht, getan. Wir hausieren bei einsetzendem Regen auf dem Parkplatz auf dem Vereinsgelände und quatschen erfolglos skeptische Briten von der Seite an. Selbst ein norwegischer Dandy-Großvater, der seit 8 Jahren eine Dauerkarte bei Manchester United hält, um 2-3 Spiele pro Jahr sehen zu können (Gegen den modernen Fußball! Kampf dem Kapital!), mag uns nicht aushelfen. Mittlerweile sind mehrere Ordner auf uns aufmerksam geworden und drohen uns nun zu umzingeln und schlimmstenfalls des Feldes zu verweisen. Kurz bevor sie zuschlagen können, winkt uns die Dame hinter der Kasse heran. Kurz darauf stehen wir ihr erneut Angesicht zu Angesicht gegenüber. Wir sind den weiten Weg aus Deutschland gekommen, nur um Aston Villa zu sehen. Und wir haben da diesen Dackelblick und wir könnten ihre Söhne sein. Nur noch eine Frage der Zeit, bis ihr Herz bricht.

Einige Minuten später hat sie dann auch unsere Personalausweise kopiert und druckt uns zwei Eintrittskarten aus, die wir jedoch nicht erhalten, ohne ihr zu versprechen, unser „Best behaviour“ an den Tag zu legen. Nichts leichter als das. Oder: Wer FUDU kennenlernt, der lernt irgendwann auch den Umgang mit Enttäuschungen.

Nun gilt es noch knappe zwei Stunden bis zum Anpfiff zu überbrücken. In Stadionnähe befinden sich lediglich zwei Pubs. Der eine sieht von Außen unfassbar schäbig aus, der andere überborden elitär. Fetti versucht kurzerhand Niveau zu simulieren und steuert schnurstracks in die „Aston Tavern“. Dort sitzt ein adrett gekleideter Schnösel hinter der Eingangstür, der allen Ernstes drei Pfund (!) Eintritt von uns verlangt. Offenbar schlafen uns analog zu dieser Forderung deutlich sichtbar die Gesichtszüge ein, anders ist es nicht zu erklären, dass er ungefragt die Erklärung nachliefert. „Because it is a Victorian Pub!“. Gelaber. Für drei Pfund würde Fetti dem Schnösel höchstens die viktorianische Brille aus dem Gesicht scheppern, aber er zahlt doch nicht, ohne irgendeine Gegenleistung zu erhalten. Womit dann wohl auch klar wäre, dass er in dem anderen Pub doch deutlich besser aufgehoben ist.

Dort gibt es dann zwar nichts zu essen, dafür aber einige nette Aston Villa Fans, die mit uns das eine oder andere Bier heben. Einer unserer neuen Freunde wird uns als Jurgen Klopp vorgestellt und eine optische Ähnlichkeit ist zumindest nicht gänzlich zu leugnen. Die Supporter zeigen uns Videos und Fotos vergangener Spiele und Fußballreisen auf ihren Handys und wir freuen uns sehr auf das Match und die zu erwartende Fußballatmosphäre im Villa Park.

Im Villa Park haben sich zum Anpfiff stattliche 37.000 Zuschauer eingefunden. Leeds United hat auf zwei Rängen verteilt gut 3.500 eigene Zuschauer im Rücken, die vor Beginn des Spiels bereits ordentliche Stimmung verbreiten. Nach Anpfiff erleben wir allerdings die Tragödie des Niedergangs des britischen Fußballs mit seiner vollen Breitseite. Über weite Teile der niveauarmen Partie ist es dermaßen ruhig, dass wir den Generator aus dem angrenzenden VIP-Bereich brummen hören. Immerhin ist in diesem Moment ein Running Gag für die nächsten Tage geboren. Wann immer wir an irgendwelchen Fabrikhallen vorbeiflanieren und ein sonores Dröhnen vernehmen werden, wird einer von uns sagen: „Is‘ ja ’ne Stimmung wie bei Aston Villa hier!“

Nach 30 Minuten stehen zwei jämmerliche Halbchancen für den Premier-League-Absteiger aus Aston zu Buche. Nach 40 Minuten leert sich das Stadion nahezu komplett. Das minderwertige Stadionerlebnis wird durch nervtötende Ordner, die ihr „Sit down, please“ gebetsmühlenartig vortragen, sobald es mal jemanden für 10 Sekunden aus der Sitzschale getrieben hat, zusätzlich abgewertet.

In der Halbzeitpause fällt mir meine Kamera, die mir seit 2010 treue Dienste leistete und die dank ihres Linsenschmands stets unverwechselbare Fotos produzierte, aus der Hand. Nachdem sie, wie schon sooft in ihrem Leben, laut scheppernd auf dem Betonboden einer Tribüne aufgeprallt ist, versuche ich, sie wieder in Gang zu bringen. Dieses Mal kommt jedoch jede Hilfe zu spät. Linse gesplittert, Zoom kaputt. RIP, Lumix! Vielleicht ist es etwas verfrüht, von einem gebrauchten Tag zu sprechen. Ein wenig im „Used Look“ kommt er aber allemal daher, dieser Donnerstag.

Die zweite Halbzeit findet also ohne Fotos statt. Klar, dass da auch Aston Villa nicht richtig im Bilde sein kann. In der 54. Minute köpft Pontus Jansson völlig freistehend nach einem Eckball zum 0:1 ein. Der Mob aus Leeds zeigt endlich wieder Präsenz und feiert das Tor angemessen lautstark. Sogleich sind an die 100 Ordner auf den Plan gerufen, die nun rund um den Gästeblock aufmarschieren und die aufkommende Atmosphäre abermals im Keim ersticken. Nur zwei Minuten später gelingt es dem LUFC beinahe, mit exakt der selben Eckenvariante auf 2:0 zu erhöhen, doch scheitert Jansson dieses Mal denkbar knapp an der Torlatte. Kurz nachdem die Gäste aus Leeds in der 77. Minute den Matchball liegen gelassen haben, fangen wir an, immer häufiger nervös auf die Uhr zu schielen. Der letzte Zug nach Manchester ist etwas knapp kalkuliert, zumal dieser nicht ab Aston, sondern erst ab dem etwas weiter entfernten Bahnhof Witton abfahren wird. Wenn man sich also vornimmt, das Spiel in etwa zur 85. Minute zu verlassen, dann ist es schon eher unpraktisch, wenn dieses ausgerechnet in eben jenen Minuten an Fahrt aufnimmt. So kommt es, dass wir den Ausgleich der Hausherren per (Hand-)Elfmeter in der 86. Minute halb auf dem Sprung nach draußen, halb im Disput mit einem Ordner wegen des Stehens auf der Fluchttreppe, mitbekommen. Etwas mehr haben wir von der Bierdusche, die von oben (zu Recht!) auf die vor Spielschluss gehen wollenden Hopperspastis niederprasselt. Und während wir noch so mit dem Ordner diskutieren, setzt Leeds‘ Rechtsaußen Hadi Sacko einen Fernschuss ans Gebälk. Das Stadion beginnt zu kochen, das Spiel zu leben und FUDU muss mit hängenden Schweineköpfen in der 88. Minute durch die Katakomben schleichen. Very bitter.

Der anschließende Sprint zum Bahnhof Witton ist immerhin dermaßen erfolgreich, dass wir uns unterwegs noch mit Carling für die Rückfahrt eindecken können. Irgendwann zwischen Weihnachten und Neujahr müssten dann auch die Bilder des Knie-MRT in meinem Berliner Briefkasten liegen. Ob der Arzt mit seiner Diagnose „Kreuzbandriss“ wirklich Recht behalten wird, sei an dieser Stelle dahingestellt. Ich öffne das Carling, spreche einen Toast auf die von uns gegangene Kamera und wünsche auch der Queen für ihre Sanierung nur das Allerbeste. /hvg

26.12.2016 Altrincham FC – FC United of Manchester 0:3 (0:1) / Moss Lane / 2.490 Zs.

Kaum ist der letzte Weihnachtsbraten verdaut, schmiedet Fetti auch bereits wieder große Pläne. Die diesjährige Jahresendreise wird ihn und seine adipösen Freunde nach Mittelengland führen.

Am Morgen des 26.12. besteigen Fackelmann und ich die Regionalbahn am Ostbahnhof auf dem Weg zum Flughafen Schönefeld. Während der Junior der Reisegruppe topfit in das letzte Unterfangen des Jahres startet, ist der alte Mann von einem sich manifestierenden grippalen Infekt schwer gezeichnet. Da sich auch der Zusammenstoß seines rechten Knies mit einem Metallpfosten vor einigen Wochen nicht zu seinen Gunsten ausgewirkt hat, darf getrost von einem erbärmlichen Zustand gesprochen werden, an dem im Rahmen des kommenden Wellness-Urlaubs gerne gearbeitet werden darf.

Zunächst arbeiten sich Fetti, Fackelmann und Co aber an der biestigen Zugbegleiterin der DB ab. Es ist immer wieder abenteuerlich, wie man sich in einer Regionalbahn zu einem Flughafen über zu viele Koffer in den Gängen beschweren kann. Auch unser Reisegepäck steht in Ermangelung von Stauraum vor einer Tür, auf der ein Piktogramm darauf hinweist, an dieser Stelle nichts in den Weg zu stellen. Bedauerlich, dass die grummelnde Zugbegleiterin genau diese Tür für die Fortsetzung ihres Weges auserkoren hat und nun mit dem anarchistischen Flügel FUDUs in den verbalen Schlagabtausch gehen muss. „Steht doch da, dass man da keine Koffer abstellen darf!“, schimpft sie in unfreundlich-deutsch, gezeichnet von der schweren Schicht, die daraus besteht, acht Stunden durch einen Gang zu laufen und Fahrkarten anzugucken. Bei diesen unmenschlichen Belastungen unter diesen Extrembedingungen kann die Laune natürlich auch schon mal morgens um 9.00 Uhr im Keller angekommen sein, denkt sich der empathische Fetti und antwortet: „Naja, is ja keen Koffer, is ja’n Rucksack!“

Immer wieder schön, wenn ein einziger blöder Spruch die Funktion der Stummtaste übernimmt, das Gegenüber urplötzlich schweigt und es dann doch möglich ist, einfach einen großen Schritt über die Rucksäcke zu machen, anstatt sich in sinnlosem Beschwerdemanagement zu verknoten.

Überaus rechtzeitig reihen wir uns dann in die endlos lange Schlange am Sicherheits-Check-In unseres Terminals ein. Da ist es wieder, dieses Schönefeld-Phänomen: Entweder man steht zwei Minuten an – oder dreißig. Dazwischen gibt es nichts und so sind wir glücklich, dass wir bereits gut 90 Minuten vor Abflug am Flughafen angekommen sind. Während wir uns auf eine gemütliche Wartezeit einstellen, erlöst uns ein neongelber Flughafenordner mit dem Ausruf: „Alle Passagiere nach Manchester, mir nach!“. Etwas verwundert folgen wir diesem Ausruf und stehen dann wenige Augenblicke später in einer Minischlange eines anderen Terminals und wiederum nur kurz danach mit einem Dosenbier an der Kasse des Duty-Free-Shops. Knapp 80 Minuten vor Abflug orientieren wir uns an der Anzeigetafel und stellen fest, dass ein weiterer Flug nach Manchester in weniger als 20 Minuten startet. Oh, dann war der eben wohl gemeint. Excuse me!

In Manchester angekommen haben wir uns schnell orientiert und die Straßenbahnlinie F gefunden, die uns vom Flughafen in die Innenstadt transportiert. Dort wird aus Zeitgründen der Plan verworfen, zunächst im Hotel einzuchecken und anstatt dessen beschlossen, mit dem Reisegepäck in die Straßenbahnlinie A einzusteigen, die uns nach Altrincham an den Stadtrand befördert. Die Traditionalisten von FUDU haben 2014 Koffer und Rucksäcke in das Stadion von Stoke City und 2015 in die Arena des Falkirk FC hineindiskutiert, also wird sich auch in Altrincham ein Ordner finden lassen, dessen Ängste vor terroristischen Anschlägen und geschmuggelten Alkohol mit einigen wenigen freundlichen Worten therapierbar sind.

Die Straßenbahnlinie A fährt an der Trafford Bar vorbei und leert sich dann an der Station „Old Trafford“ beinahe in Gänze. Hier wird heute Manchester United den AFC Sunderland zum Stelldichein empfangen. FUDUs kurz aufblitzendes Interesse, diesem Spektakel beizuwohnen, wurde durch die Ticketpreise (70 Pfund) beziehungsweise durch die erpresste Mitgliedschaft (100 Pfund), die zum Erwerb benötigt wurde, jäh beendet. Dann doch lieber die National League North („Bananarama-Liga“) besuchen, in der es sicherlich ehrlichen Fußball zu sehen gibt!

Schnell haben wir dort einen freundlichen Ordner gefunden, der unser Reisegepäck als nicht besonders problematisch erachtet und wir betreten die Moss Lane, die leider über einen albernen Sponsorennamen verfügt, mit großen Augen. Hinter beiden Toren kann man uralte schiefe Stehtraversen bestaunen, wobei lediglich die der Heimseite über ein Dach verfügen. Auf den Längsseiten gibt es eine kleine Holztribüne samt Vereinsheim und eine schnuckelige Gegengerade, ebenfalls mit Stehplätzen, zu goutieren. Ein kleiner, aber feiner englischer Ground alter Tage mit handgezählten 6.085 Zuschauerplätzen.

Das Spiel beginnt. Von der ersten Sekunde an machen beide Mannschaften deutlich, dass hier heute kein Fußball gespielt, sondern Fußball gearbeitet wird. Nach nur fünf Minuten verliert der Gast aus Manchester in diesem „Straßenbahnderby“, welches es als Pflichtspiel bis zu diesem Tag noch nie gegeben hat, verletzungsbedingt seinen ersten Spieler. Das kommt den Hausherren sicherlich zupass, die ihrerseits auf vier Stammkräfte verzichten müssen, so erzählt man sich auf den Traversen. Schnell werden bei dem hemdsärmeligen Gebolze zwischen dem Tabellenletzten aus Altrincham und dem Club aus dem Niemandsland der Tabelle die Bälle knapp. FUDU will nach zehn Minuten jedenfalls gerade eine Notiz wegen zweier über das Tribünendach geschossener Bälle anfertigen, als Altrinchams Keeper Deasy einen weiteren Rückpass beherzt in die Innenstadt drischt.

Wenn es mit dem Fuß nicht so gut funktioniert, dann müssen eben Standardsituationen zum Erfolg führen, bei denen man die Hände zur Hilfe nehmen kann, werden sich die Akteure des FCUM in der 21. Minute gedacht haben, in der ein weiter Einwurf gleich mehrere Defensivakteure des Altrincham FC aus der Bahn wirft und letztlich durch Tom Brown verwertet werden kann. 722 Fans im Auswärtsblock sind aus dem Häuschen, bleiben im Verlauf des Spiels aber leider häufig hinter den Erwartungen zurück und erfreuen uns auch nur ein einziges Mal mit dem wunderbaren „This is the worst trip, I’ve even been on“-Gesang.

In der Halbzeit schwinge ich mich auf, erneut zum Cateringverlierer zu werden und bestelle einen Burger mit Fries. Noch bevor mir der picklige Junge hinter dem Tresen mein Essen kredenzen kann, rettet mich ein Einheimischer, indem er mir zwingend von dieser Bestellung abrät. Junge, wenn dir ein Engländer von einem Nahrungsmittel abrät, dann ist Eile geboten und ich gebe dem Griller zu verstehen, dass man den Burger dann doch lieber weglassen solle und ich mich auf Pommes mit Essig beschränke. Der gute Mann neben mir zeigt den Null-Problemo-Daumen und ich würde ihm am liebsten in die Arme fallen.

In der zweiten Halbzeit gelingt es den Hausherren nicht, Druck zu entfachen und Chancen zu kreieren. Zwar haben sie fast durchgängigen Ballbesitz, doch die Torabschlüsse aus der zweiten Reihe stellen alles andere als eine Gefahr für United dar, welche ihrerseits mit dem allerersten Angriff des zweiten Spielabschnitts mit 2:0 in Führung gehen. Die Entstehung ist der Qualität des Spiels angemessen: Ein weit geschlagener Ball springt vor einem Verteidiger zunächst derart unglücklich auf dem Rasen auf, dass er nicht per Kopf geklärt werden kann, sondern unkontrolliert im Verteidigergesicht einschlägt, von wo aus er in den Füßen eines Angreifers landet, der aus spitzem Winkel gleichermaßen ungenau wie kräftig abzieht, sodass der Keeper beinahe mit ins Tor gescheppert wird. Von dem gestählten Kneipenkörper Tim Deasys prallt das Spielgerät nach vorne, wo Jason Gilchrist – den Ball ins leere Tor schiebend – nach 73 Minuten „Thank You!“ sagt.

Das 3:0 lassen die Gäste aus Manchester zunächst in atemberaubend arroganter Manier liegen. Wer alleine auf den Torhüter zuläuft, sollte nur dann lupfen, wenn er es kann. So kommt am Ende noch einmal Atmosphäre auf, als Altrincham in schöner Kick-and-Rush-Manier die Bälle im Sekundentakt in den Strafraum des Gegners befördert. Permanent fallen Spieler zu Boden und permanent reklamiert das Publikum, wohl wissend, dass ohne Standardsituation oder gar Strafstoßpfiff hier kein Treffer erzielt werden kann. Am Ende jubeln nur noch die Gäste, die in der Nachspielzeit einen Konter zum 3:0 verwerten können und dann den verdienten Auswärtssieg mit ihren Fans begießen.

Im Vereinsheim gibt es nach dem Spiel „Wainwright Golden Ale“ für mich und den Fackelmann, während die Akteure beider Mannschaften Pommes und Bier an den Nebentischen konsumieren. Ein echter Breitensportler achtet eben auf seine Ernährung.

Unser erster Tag in Manchester endet dann mit einem TESCO-Einkauf am St. Peter’s Square. Neben Carling, beinahe abgelaufenen Entenwraps und einem Grippemedikament landen auch sechs Dosen Pimm’s Nr. 1 im Einkaufswagen FUDUs. Diese befinden sich aktuell im Ausverkauf und sind dermaßen preiswert, dass selbst der ausverkaufpreiserfahrene TESCO-Kassierer noch einmal nachprüft, ob das denn so alles seine Richtigkeit haben kann. Auf den Schnaps-Limo-Dosen prangt der Slogan „Ideal for Picknicks“ und wir sind bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der Reise abermals mit England befreundet. Die Grippemedikamente schlagen schnell an und auch mein Knie fühlt sich nach einigen Drinks plötzlich geheilt an. This is the best trip, I’ve ever been on! /hvg

10.12.2016 Racing Club de Strasbourg – Racing Club de Lens 3:1 (2:0) / Stade de la Meinau / 22.062 Zs.

Ganz gleich, ob man nach dem Einschalten des Fernsehers einen öffentlich-rechtlichen Kanal empfängt oder aus Versehen bei RTL2 gelandet ist, heutzutage wird immer und überall irgendetwas getestet, gegenübergestellt und bewertet. Auch FUDU möchte sich in Zukunft serviceorientierter zeigen und bedient im Folgenden eben dieses Marktsegment. Nur weil der kleine Mann der Straße nicht nach seiner Meinung gefragt wird, heißt das noch lange nicht, dass er sie nicht sagen darf.

Den heutigen Samstag rufen der verrückte Tischfinne und meine Wenigkeit also zum großen Zug-Check aus. Welcher Premiumzug wird die anspruchsvollen Hopper eher zufriedenstellen? Die Deutsche Bahn schickt den ICE ins Rennen, der französische Nachbar stellt für den Rückweg einen TGV bereit. Getestet werden die Strecken Stuttgart-Strasbourg und Strasbourg-Stuttgart.

Am Morgen geht der ICE direkt in Vorleistung und glänzt mit einem nicht-funktionierenden Wi-Fi sowie mit einer ausgefallenen Reservierungsanzeige. Auch der Streckenverlauf kann auf den Monitoren leider nicht angezeigt werden. Für weitere deutliche Abzüge sorgen die übrigen Passagiere. Ein Vater spricht sein explorierendes in etwa einjähriges Kind an: „Lotta, im Zug zu laufen ist per se schwierig, aber das hatte ich dir ja schon einmal erklärt!“ Vermutlich hat er seiner Tochter diese Information im Vorfeld der Reise bereits schriftlich zukommen lassen, um nun die Zeit zu haben, anderweitig als Korrektiv einwirken zu können. „Nein, Lotta, das ist kein Schnee, das ist Rauhreif!“ Schnellanamnese abgeschlossen: Wir haben es hier mit einem Vollidioten zu tun. Die ziemlich attraktive alleinerziehende Mutti in spe schaut mit einem unbeschreiblich leeren Blick hilflos in der Gegend herum. Als sich unsere Blicke treffen, beginnen wir beide zu lächeln. Es scheint, als hätte ich zu alleinerziehenden Muttis einen guten Draht. Was man da wohl draus machen könnte? Ach, wenn doch da bloß die Kinder nicht wären…

Wir erklären den TGV bereits jetzt zum Sieger des Tests, um zu verhindern, dass sich unser Format ebenso unerträglich in die Länge zieht wie die Vorbilder aus dem Fernsehen. Der verrückte Tischfinne schmiedet derweil schon große Pläne, welche Glühweintassen des Straßburger Weihnachtsmarktes er seiner Sammlung hinzufügen mag. Ich hab angesichts der aktuellen Bedrohungslage in Frankreich und aufgrund der Tatsache, dass eben jener Markt bereits mehrfach in das Visier terroristischer Organisationen geraten ist, ein etwas mulmiges Gefühl, welches ich mit Zynismus bearbeite. Mein Vorschlag, ob wir aus Sicherheitsgründen nicht lieber einen Integralhelm tragen sollten, wird mit Verweis auf die Eintrittskarte des Fußballspiels abgelehnt. Helme sind im Stade de la Meinau leider verboten. Kurz darauf läuft ein verkleideter Junge in kompletter Ritterrüstung durch den Zug. Sollten wir hier heute alle in die Luft gesprengt werden, dann wäre dieser kleine Junge [neben der Wassermelone mit Fahrradhelm aus dem Lehrvideo] wohl derjenige, der darauf am Besten vorbereitet wäre. So etwas trifft mein Komikzentrum.

Wenig später verlassen wir den ICE in Strasbourg und bewundern einen schicken alten Bahnhof mit opulenter Bahnhofshalle, der von einer hochmodernen Glaskonstruktion ummantelt ist. Nachdem man erste Sicherheitsschleusen mit Körper- und Taschenkontrollen passiert hat, um in die Innenstadt zu gelangen, schreit es einem sogleich entgegen: „Strasbourg – capitale de Noël“. Die Hauptstadt Weihnachtens also, oder wie ich zu sagen pflege: Die Ausgeburt der Weihnachtshölle. Es gibt in der Tat keinen Baum, kein Haus, keinen Baukran, keine Brücke, die nicht in irgendeiner Form beleuchtet werden oder mit kitschiger Weihnachtsdekoration verhangen sind. Mit uns drängeln sich heute schätzungsweise 8,7 Millionen Menschen durch die Straßen der Altstadt und flanieren über einen der drei Weihnachtsmärkte. Genaugenommen stehen die Menschen vor den Buden, fressen, saufen und jeder, der nicht frisst oder säuft, wird von den Massen durch die Gegend geschoben.

An einem Informationsstand überfordern wir die Dame der Tourismusbehörde mit unserer Frage nach dem Anfahrtsweg zum Stadion. Sie hält lediglich Stadtpläne zur Ausgabe bereit, auf denen der Christkindelsmärik mit seinen drei überlaufenen Außenstellen eingezeichnet ist. Sie ist nicht sonderlich gut darauf vorbereitet, dass es noch einen anderen Grund geben könnte, nach Strasbourg zu reisen und ihre Versuche, uns den Weg zum Stadion per Straßenbahn zu erklären, sind genauso unsicher wie falsch. Im Hintergrund winkt der Finne ab: „Da weiß ich ja besser Bescheid!“, womit er wohl Recht haben dürfte.
Zu Fuß machen wir uns dann auf den Weg in die knapp sechs Kilometer entfernte Spielstätte, nachdem wir uns in einem kleinen Bistro mit einem lokalen „Storik“ und „Meteor“ gestärkt haben.

Das „Stade de la Meinau“ wurde 1914 eröffnet und war Spielstätte der Fußball-Weltmeisterschaft 1938 und der Fußball-Europameisterschaft 1984. Die letzten großen Sanierungen erfolgten in den 80’er Jahren und somit kann der Spielstätte heute dank seiner steilen Ränge, der unprätentiösen Außengestaltung und aufgrund des Fehlens modernen Schicki-Micki-Brimboriums eine gewisse Attraktivität attestiert werden. Auch von der Atmosphäre im Stadion erhoffen sich der Tischfinne und meine Wenigkeit heute einiges. Nach den Lizenzentzügen und Abstiegen des RC Strasbourg wurde in den unteren Klassen des französischen Fußballs der eine oder andere Zuschauerrekord aufgestellt. Treu sind die Zuschauer des RC Strasbourg allemal, auch wenn die freundschaftlichen Beziehungen zu Hertha BSC und dem Karlsruher SC schon vor Anpfiff zu deutlichen Abzügen auf der Sympathieskala führen.

Die Gäste aus der nordfranzösischen Steinkohlebergbaustadt Lens haben hingegen all das, was mein Fußballherz höher schlagen lässt. Allein der Umstand, dass man über lediglich 31.398 Einwohner verfügt, der Zuschauerschnitt in der Ligue 2 jedoch bei 28.996 liegt, zeigt, wie sehr Stadt und Region mit dem Club verwurzelt sind. Das Stade Félix Bollaert ist wohl eines der schönsten in Frankreich und die Schlachtenbummler des Arbeitervereins sind als besonders treu und leidenschaftlich verschrien.

Heute haben gut 2000 Fans aus Lens den 530 Kilometer langen Anreiseweg auf sich genommen, um ihre Helden im Kampf um den Aufstieg zu unterstützen. Die heimischen „Ultra Boys“ haben im gesamten Stadion blaue Winkelemente verteilt und eine Choreographie vorbereitet, um den 111-jährigen Geburtstag des Vereins zu feiern. Der Stadionsprecher agiert auch in Strasbourg wie ein Marktschreier und fordert „bruit“ auf „un, deux, trois“, während im Hintergrund „Hell’s Bells“ dudelt und sich die Gästeschar aus Lens bereits jetzt aufmacht, die akustische Hoheit zu erobern.

Das Spiel beginnt bei gleißendem Sonnenlicht, das uns auf der Gegengerade mitten in die Gesichter strahlt und ein entspanntes Verfolgen des Spiels erschwert. Den ersten Aufreger gibt es bereits nach wenigen Spielminuten zu bestaunen, als ein rot-gelber Akteur der Gäste nach einem Eckball der Hausherren im Strafraum zu Fall kommt. Der Gästemob fordert vehement einen Pfiff und scheint bereits jetzt am Siedepunkt angekommen. Ein Zuschauer vor uns, der einen Storch auf der Schulter sitzen hat, winkt ab. Kein Foul, sagt auch Schiedsrichter Freddy Fautrel. Einen Wimpernschlag später schlägt der Ball im Tornetz ein. Jérémy Grimm hat die freie Schussbahn, die er sich dank dieses vermeintlichen Ellenbogenschlags verschaffen konnte, erfolgreich genutzt. Der Gästespieler krümmt sich vor Schmerzen am Boden, die Fans des RCS jubeln, die des RCL fühlen sich nach nur neun Minuten gehörig verschaukelt.

Nach 18 Minuten rettet ein Spieler Strasbourgs einen Angriffsversuch des RCL auf der Torlinie. Ab diesem Moment wird für die unermüdlich angetriebenen Gäste nicht mehr viel zusammenlaufen. Nach einer halben Stunde fällt eine Art Vorentscheidung, als Strasbourg mit einem simplen langen Einwurf gleich mehrere Verteidiger überspielt und der von Außen in den Strafraum hineingespielte Pass durch Bahoken verwertet werden kann.

Im zweiten Spielabschnitt verabschiedet sich die Sonne. Es bleiben 8,8 Grad Celsius und die Erleichterung, am 10.12. eine leichte Jacke dabei zu haben. Auf dem Rasen liefern sich beide Teams weiterhin eine erbitterte Schlacht, doch immer hat die Heimmannschaft das bessere Ende auf ihrer Seite. So auch in der 70. Minute, als Seka eine eigentlich bereits verteidigte Ecke, die dann im zweiten Anlauf erneut in den Strafraum segelt, per Kopf zum 3:0 abschließt. Sinnbildlich, dass just in diesem Moment der gesamte Gästeblock, der über die gesamte Dauer des Spiels kontinuierlich brachiale Anfeuerungsrufe und melodische Gesänge zum Besten gegeben hat, in roten bengalischen Lichtern erleuchtet ist, während das Heimpublikum vom Marktschreier zum Torjubel animiert werden muss. Erst im Anschluss des dritten Treffers gelingt es der zahlenmäßig guten Heimkurve, das gesamte Stadion mit in Gesänge und Aktionen einzubeziehen. Etwas verordnet und choreographiert erscheint dann die Welle, die durch das Stadion schwappt, das gemeinschaftliche Fähnchen schwenken sowie das Einschalten von Handytaschenlampen in der 79. Spielminute, vermutlich zur Erinnerung an den Gewinn der französischen Meisterschaft in eben jenem Jahr. Besonders karikiert werden diese Stimmungselemente dadurch, dass viele Menschen nur wenige Minuten später das Stadion Fähnchen wedelnd vorzeitig verlassen.

Die Gäste verdienen sich dahingegen auch in der Schlussphase Bestnoten. Noch immer ist der Widerstand auf den Rängen nicht gebrochen, noch immer schallt es „RCL-Allez“ und noch immer investieren die Akteure auf dem Rasen eine Menge Energie, um ihren Anhängern wenigstens einen Ehrentreffer zu bescheren. In den Schlussminuten kommt der RCL zu zwei Großchancen und scheitert ein Mal an der Querlatte, ehe ein Elfmeterpfiff dafür sorgt, dass Spanien-Legionär Cristian auch auf der Gästeseite etwas zählbares auf die Anzeigetafel bringen kann.

Das Stadion leert sich. Ein kleiner Kern der „Ultra Boys“ verweilt im Stadion und auch von den 2000 weit gereisten Gästen hegt keiner Ambitionen, das Stadion zu verlassen. Es scheint, als würden beide Fangruppen gemeinsam etwas skandieren wollen, was der Stadion-DJ geschickt zu verhindern weiß, indem er „Relax, Take it Easy“ von MIKA einspielt und ein gellendes Pfeifkonzert erntet. Am Ende singen nur noch die Gäste im gänzlich leeren Stadion.

Der Tagesausflug nach Strasbourg endet für mich dann mit weiteren Cateringverlierer-Anekdoten. Durch das lange Verweilen im Stadion habe ich es leider versäumt, meinen Bierbecher zurückzugeben. Alle Abgabestationen haben bereits geschlossen oder final abgerechnet und sind nicht in der Lage, mir meinen Pfandbetrag auszuzahlen. In Zukunft wird mir also das Trinkgefäß mit dem Konterfei Baptiste Guillaumes als Mahnmal kapitalistischer Ausbeutung in den eigenen vier Wänden erhalten bleiben. Merci!

In der Innenstadt kehren wir vor unserer Rückfahrt nach Stuttgart in einem Lokal ein. Die Preise sind weihnachtlich touristisch gestaltet, sodass für uns die Auswahl auf einige wenige Gerichte begrenzt wird. Der Tischfinne spielt auf Sicherheit und bestellt eine Tarte Flambée. Da kann man nichts falsch machen, aber auch nicht viel gewinnen, denke ich mir und bestelle ein „Paire de Knack“ aus der Speisekartenrubrik „Specialités Alsaciens“. Und während ich mich auf eine lukullische Wurstsensation freue, öffnet irgendein Behelfskoch im Hinterzimmer lachend ein Glas Wiener Würstchen aus dem ALDI. Wäre ja gelacht, wenn sich nicht immer wieder Trottel finden lassen würden, die für Wiener mit Pommes 8,50 löhnen.

Der TGV erweist sich kurz darauf als würdiger Sieger des Wettstreits und befördert uns schnell und komfortabel nach Stuttgart. Hier besitzt der Feinstaubalarm nach wie vor Gültigkeit und berechtigt uns erneut zur Nutzung des ÖPNV mit ermäßigtem Kinderticket. Mit der 111-Jahre Strasbourg-Flagge zwischen den Beinen ist der Killesberg schnell erreicht. Dort falle ich frisch verliebt in den RC Lens in die Federn und nehme mir fest vor, irgendwann einmal dorthin zu reisen – vielleicht ja mit einer alleinerziehenden Mutti… /hvg

26.11.2016 1. Göppinger SV – Bahlinger SC 1:0 (1:0) / Stadion an der Hohenstaufenstraße, Nebenplatz / 350 Zs.

Am 26. November empfängt mich Stuttgart mit einer kleinen Überraschung. Aufgrund der erhöhten Feinstaubbelastung unternimmt die Stadt einiges, um den motorisierten Verkehr im Talkessel einzudämmen. Heute sind die Stadtherren auf die großartige Idee gekommen, allen Menschen ermäßigte Kindertickets im öffentlichen Nahverkehr anzubieten. So kommen der Schwabe und meine Wenigkeit in den Genuss, für lediglich 3,60 € pro Person die knappen 30 Minuten Fahrtweg mit der Regionalbahn nach Göppingen zurücklegen zu dürfen.

Dort wartet am Hauptbahnhof bereits ein ansprechendes Willkommenskomitee, welches aus dem FUDU-Pärchen und unserem Göppinger Gastgeber Jay samt Begleitung besteht. Da auch der Wirtschaftsflüchtling überraschend pünktlich aus München kommend dazustößt, kann direkt mit dem Sightseeing auf dem Fußweg zum Stadion an der Hohenstaufenstraße begonnen werden.

FUDU legt zunächst in der lokalen Sparkasse einen kurzen Zwischenstopp ein. Während man in Brandenburg an der Havel vor wenigen Wochen fünf Euro als kleinstmögliche Auszahloption wählen konnte, sind es in Göppingen 50. So kann man sich auch ohne acht Semester Studium einen Überblick über die Prosperität deutscher Städte verschaffen.

Im Vorbeigehen erhaschen wir im Anschluss einen Eindruck von der Innenstadt Göppingens, die, wie in diesem Land zu dieser Jahreszeit üblich, von kitschigen Holzbuden, aus denen heraus erwärmter Alkohol verkauft wird, zugestellt ist. Die Agentur für Arbeit in Göppingen hat es offensichtlich nicht ganz leicht, wenn selbst die überdimensionierte Schautafel der gegenüberliegenden Zeitarbeitsfirma Frey unter der Überschrift „Wir stellen ein:“ aktuell gähnende Leere aufweist. Auch die Volkshochschule droht den Anschluss zu verpassen, da sie laut Aushang noch immer auf VHS setzt und die Blue-Ray-Revolution offenbar in Gänze verschlafen hat.

Kurz nachdem dieser Flachwitz von der gesamten Reisegruppe verdaut ist, befinden wir uns bereits auf der kilometerlangen Hohenstaufenstraße. Je näher wir dem Stadion kommen, desto trostloser wird das Ambiente. All die architektonischen Verbrechen der 70’er Jahre kulminieren hier in Form eines tristen Wohnblocks, der einem in seiner grauen Gänze Geschichten von sozialem Elend aus allen zwölf Etagen entgegenschreit. Im Innenhof sitzt ein alter Mann einsam auf einer Wippe und wartet auf einen in etwa gleich schweren (und bestenfalls gleich betrunkenen) Konterpart.

Wenige Meter später wird die Reisegruppe mit der bitteren Wahrheit konfrontiert, dass das Spiel heute nicht im Stadion, sondern auf einem Nebenplatz auf Kunstrasen stattfinden wird. Aufgrund der Witterungsverhältnisse ist der Rasen der Göppinger Oberligaspielstätte leider nicht betretbar. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite haben die Verantwortlichen flugs einen kleinen Imbiss und einen Fanartikelstand errichtet. Für sechs Euro erhalten wir ermäßigten Eintritt, ohne einen Berechtigungsnachweis erbringen zu müssen. Aber notfalls hätte ich die Feinstaub-Kinderkarte parat gehabt.

Noch vor Anpfiff stellt sich heraus, dass meine gesamte Spielvorbereitung für die Katz gewesen ist, da ich Balingen mit Bahlingen verwechselt habe. Es spielt also nicht der 13. gegen den 3., sondern der 13. gegen den 12. – schade, dass dieser Anlass zu einer polizeikritischen Mottofahrt nicht genutzt wurde.

Bevor der Ball über das künstliche Grün rollen kann, darf der Stadion-DJ noch eben schnell das Worst-Of aktuell verfügbarer Popmusik abspielen und gefühlte zwei Stunden lang die Aufstellungen beider Mannschaften verlesen. Der Star des Spiels sitzt dabei unbestritten auf der Trainerbank der Gäste. Zlatan Bajramović ist sicherlich ein Name, den man als Fußballfan schon einmal gehört haben sollte.

Das Spiel beginnt. Die offiziell 350 Zuschauer haben sich rund um den unausgebauten Kunstrasenplatz an der Barriere versammelt. Bei Wurst und Bier liegt der Fokus aber bereits jetzt auf dem Handballspiel am heutigen Abend (welches auch FUDU besuchen wird) und die Menschen um uns herum schließen erste Wetten ab, ob ihr geliebtes Frisch Auf Göppingen die Europapokalhürde Pfadi Winterthur überspringen können wird. Nach wenigen Minuten Spielzeit hat dann auch ein Unioner, der in der Nähe von Ulm lebt, den Weg zu uns gefunden. Die 32 Kilometer hat er stilecht mit dem Fahrrad zurückgelegt und steht nun in Tour-de-France-Montur an der Seitenlinie und versperrt den Sanitätern in zweiter Reihe auch noch den letzten freien Blick auf das Spielfeld.

Als das 1:0 per Kopf durch Armbruster nach einem Freistoß für den Aufsteiger aus Göppingen fällt, befindet sich Nadjuschka gerade auf der Toilette, die hier an der Hohenstaufenstraße mit dem wunderbaren Wort „Abort“ gekennzeichnet ist. Es wird eine kurze Diskussion darüber entfacht, dass selbiges Wort auch einen Schwangerschaftsabbruch und/oder eine Fehlgeburt benennt und daher auf keinem Damen-WC angebracht sein sollte, während die Betreuer der Heimmannschaft die Eckfahne wieder herzurichten versuchen, die der Torschütze im Eifer des Jubelgefechts aus den Angeln getreten hat. Immerhin gelingt es nach einigen Minuten harter Arbeit, die nun um etwa ein Drittel verkürzte Fahnenstange zu befestigen und das Spiel kann seine Fortsetzung finden.

In der 36. Spielminute gibt es einen Pfostenschuss für die Gastmannschaft zu notieren. Dieser sehenswerte Schuss von Sautner aus gut 30 Metern hätte einen Treffer verdient gehabt!

Im zweiten Spielabschnitt haben die Gäste aus Bahlingen dann in Rückstand liegend nicht sonderlich viel zuzusetzen, während der 1. Göppinger SV seinerseits zwei-drei gute Gelegenheiten ungenutzt lässt, das Spiel frühzeitig zu entscheiden. Bereits gegen 15.00 Uhr beginnt es in Göppingen zu dämmern, etwas Nebel zieht auf und die Breitensport-Flutlichtmasten auf dem Kunstrasenplatz illuminieren das triste Setting notdürftig. Um 15.09 Uhr fällt ein Mast aus, um 15.11 Uhr der zweite, um 15.13 Uhr dann alle. Im Osten wäre das nicht passiert.

Der Fahrradfahrer macht sich angesichts der Witterung rechtzeitig auf den Rückweg und wir laben uns an den Kleinigkeiten, die das Leben schöner machen. Ein Akteur der Göppinger heißt „Loser“. Nee, wat ham wa wieder jelacht.

Die favorisierten Gäste aus Ba(h)lingen werden durch eine gelb-rote Karte gegen Bührer personell dezimiert und haben im Anschluss nur noch eine einzige Konterchance, die nicht zum Ausgleich abgeschlossen werden kann.

Nach dem Spiel kehren wir in der Stadiongaststätte „Platzhirsch“ ein. Dort überzeugt zunächst der Wirt mit Juventus-Tattoo, dann das Kaiser-Export aus Geislingen („a gscheits Bier“) und letztlich die Speisen. Weniger überzeugend verläuft im Hintergrund die Saisonabschlussfeier der ersten Herren, die hier Profitum simulieren. Oh man, so viele aufgetakelte Spielerfrauen findet man sonst wohl nur in den VIP-Räumen der Bundesligisten. Auch die überreichten Präsente an den Vorstand und an die Sponsoren gehen mit hochnotpeinlichen Reden des Kapitäns einher.

Wir verlassen die Szenerie mit einem Großraumtaxi und geben stilsicher den Vorplatz der Hohenstaufenhalle als unser gewünschtes Ziel an. Dort haben sich bereits einige hundert Fans Frisch Aufs eingefunden und beäugen uns nun wie Stars, die einen roten Teppich entlangflanieren. Es erwartet uns die „Hölle Süd“, das Stadion mit der besten Handballatmosphäre, wie uns Jay vollmundig verspricht. Für FUDU hat diese Partie einen besonderen Beigeschmack, war doch der Ausflug nach Winterthur im März 2015 einer der wohl schönsten Ausflüge FUDUs überhaupt. Bis heute besteht sporadischer Kontakt zu einem Vereinsverantwortlichen des FCW, der auf kurze Nachfrage zum Verhältnis des Winterthurer Handball- zum Fußballclub nur folgendes antwortet: „Die Geldsäcke mögen wir nicht!“. FUDU ist überzeugt und drückt Frisch Auf die Daumen.

Die Halle ist mit ihren alten Holzbänken und der Nähe zum Spielfeld ein echter Hingucker. Etwas in die Jahre gekommen hebt sie sich wohltuend von all dem in Deutschland verfügbaren Arena-Einheitsbrei deutlich ab. Leider wird jedoch schnell klar, dass es sich auch bei der „Hölle Süd“ um eine Klatschpappenhölle handelt, da diese Unsitte der Fan-Nicht-Kultur auch hier großflächig verteilt worden ist. Im Spiel wird es dann auch nur sehr wenige Gesänge und Anfeuerungsrufe geben, da sämtliche Bemühungen des Göppinger Fanblocks vom Krach des Altpapiers erstickt werden. Im Winterthurer Gästeblock sitzt eine dicke Frau mit Pauke, die vollkommen emotionslos und unabhängig vom Spielverlauf monotone Geräusche von sich gibt. Oh, Jay-mine, is das fadi.

Die Uhr gibt dann und wann ihren Geist auf und ein kleiner Hausmeister mit Schnurrbart und ADHS eilt die Tribüne auf und ab, wackelt an Kabeln und krabbelt hektisch unter Tischen herum. Der Ersatztorwart der Heimmannschaft heißt Prost, der Zuschauer vor uns hat „Schwuchtel“ auf seinem Trikot stehen, vermutlich, ohne die Doppeldeutigkeit des Sponsorenaufdrucks zu kennen. Am Ende gewinnt Frisch Auf das Spiel deutlich und FUDU die Erkenntnis, dass man wohl niemals wieder ein Handballspiel besuchen wird. Jedenfalls nicht in Göppingen. Es sei denn, man erhält mit einer Feinstaubkarte ermäßigten Eintritt. Und gscheits Bier. /hvg

22.10.2016 FK Mladá Boleslav – FC Zbrojovka Brno 3:3 (1:1) / Městský stadion / 2.931 Zs.

Am frühen Samstagmorgen erreiche ich den Dresdner Hauptbahnhof. Gestern hatte ich den ECC Preussen Berlin im Wurmbergstadion zu Braunlage gesehen und anschließend beim armen Ritter im thüringischen Apolda übernachtet. Nun steht Danger-Mike mit seinem weißen Kleinwagengeschoss zur Weiterreise nach Tschechien bereit. Schön, wenn man nach dem ersten Absatz noch nicht genau einschätzen kann, ob es sich bei dem folgenden Text um einen Erlebnisbericht oder eine Fluchtbiographie handeln wird.

Die 200 Kilometer Fahrtstrecke nach Mladá Boleslav (oder sächsich: Jungbunzlau) sind laut googlemaps in etwa zwei Stunden zurückzulegen. Ohne den Wirtschaftsflüchtling, der einmal mehr verschlafen und daher in München seinen Flug verpasst hat, erfreuen wir uns zunächst über die entspannte Anreise auf deutschem Straßenbelag. Hinter der Grenze wird es dann auf den kleinen Landstraßen, die nach Mladá Boleslav führen, recht bald ziemlich abenteuerlich. Nachdem uns der erste tschechische Waldschrat, der mit seinem Gewehr am Straßenrand herumlungert, noch einen kurzen Schrecken einjagen kann, wird der Anblick zeitnah zur Gewohnheit. In jedem kleinen Dorf schleichen alte Männer zwischen den Bäumen und Gebüschen herum, den Blick auf die offene Wiese rechts von uns gerichtet, stets die Wumme im Anschlag. Ich weiß leider nicht, wie man in Tschechien zum fröhlichen „Halali“ bläst. Wie dem auch sei, es ist jedenfalls Treibjagd.

Die Straßenverhältnisse werden zusehends schlechter und der kleine Flitzer quält sich bei Temperaturen von knapp über drei Grad Celcius über unbefestigte Dorfstraßen und durch diverse Schlaglöcher. Akribisch gearbeitet hat die Zunft der tschechischen Straßenbauer, die immerhin eben jene Schlaglöcher, die groß genug sind, um Kinder verschwinden zu lassen, abgesichert hat. Der Tscheche an sich tut dies, indem er faustgroße Steine neonfarben ansprüht und diese um die Löcher herum drapiert. Gerne auch direkt hinter einer Spitzkehre. Sicherheit wird hier eben groß geschrieben. Ist ja auch ein Nomen.

Irgendwann sind wir dann gesund und munter in Mladá Boleslav angekommen und haben bereits jetzt festgelegt, dass wir nach dem Spiel einen anderen Weg zurückfahren werden, da wir den bunten Steinen keinen phosphoreszierenden Effekt zutrauen und den Wagen in der Abenddämmerung nicht in der Grube versenken mögen. Nachdem das Auto geparkt und der Wirtschaftsflüchtling eingesammelt ist, verschaffen wir uns erste Eindrücke der Stadt.

Wie oft hat FUDU bereits in Tschechien Station gemacht, ohne sich vorher über die bereisten Städte zu informieren? Bislang wurde immer blindlings auf den Spielplan getippt und so u.a. Reisen nach České Budějovice (Budweis), Brno (Brünn), Olomouc (Olmütz) oder Plzeň (Pilsen) initiiert. Jedes Mal war man hierbei mit dem Glück im Bunde und konnte konstatieren: wirklich schöne und sehenswerte Städte!

Mladá Boleslav ist keine dieser Städte.

Erfrischendes Plattenbaugrau dominiert das Bild der mittelböhmischen Stadt mit gerade einmal 44.000 Einwohnern und auch die Stadtteile verfügen über blumige Namen: Mladá Boleslav I, Mladá Boleslav II, Mladá Boleslav III, Mladá Boleslav IV. In irgendeinem dieser Stadtbezirke hat der Autobauer Škoda seinen Sitz und gut 50% der Einwohner Mladá Boleslavs arbeiten im größten Werk Tschechiens, welches sich ebenfalls hier vor Ort befindet. Um Gottes Willen, wir sind aus Versehen im Wolfsburg der Tschechischen Republik gelandet. Glad you came here in winter!

Auch unserem ausgeklügelten Plan, uns in einer urigen tschechischen Pinte mit Pivo und Braten über die Hässlichkeit der Stadt hinwegzutrösten, weiß Mladá Boleslav einen Riegel vorzuschieben. In Nähe des Stadions ist die Gaststättendichte erschreckend gering und die wenigen Lokale, die wir auffinden, öffnen ihre Pforten erst in den Abendstunden. So fällt die Wahl gezwungenermaßen auf den einzig geöffneten Gastronomiebetrieb. And the winner is: The American Westernsaloon.

In dem menschenleeren Kellerlokal riecht es nach feuchter Wand und auch der Gesichtsausdruck der Dame hinter dem Tresen lässt nicht darauf schließen, dass Gäste an diesem Ort besonders herzlich Willkommen wären. Mit zwei-drei Brocken tschechisch hat Danger-Mike das Eis jedoch schnell gebrochen und die Reisegruppe erhält immerhin leckeres Pivo vom Hahn, verzichtet jedoch angesichts der belanglosen Speisekarte auf Nahrungsaufnahme.

Diese wird dann nur unwesentlich später auf der anderen Straßenseite vorgenommen. Direkt nach dem Eintrittskartenkauf steuert FUDU zielstrebig die Klobásabude des Stadion Městský an. Jetzt nur nicht negativ auffallen, denkt sich Fetti und bezahlt die 25-Kronen-Wurst zur Freude der Kassiererin mit einem 1000-CZK-Schein. Die Wurst wird dann liebevoll mit einer Scheibe Brot UND auf einem Teller gereicht. Mehr Dekadenz geht nicht.

Das Spiel beginnt. Das kalte Bier kühlt die ohnehin kalten Finger zusätzlich durch. Das Stadion besticht durch sein hellblaues Plastikdach in Wellblechoptik und den so entstehenden Schrebergartencharme. Die unbebaute Seite zu unserer linken vermag es, das Erlebnis Mladá Boleslav optisch zu subsumieren: Škoda und Plattenbau. Glücklicherweise bieten die Akteure in diesem trostlosen Ambiente auf dem grünen Rasen ein erwärmendes Spektakel mit unzähligen Angriffen und Torabschlüssen.

Der Tabellenführer aus Mladá Boleslav tut sich mit den frech aufspielenden Gästen aus dem unteren Tabellenmittelfeld überraschend schwer. In der Tat reiben sich einige der 2.931 Zuschauer verwundert die Augen, als der Außenseiter nach 18 Minuten in Führung geht. Auch die ältere Dame neben mir schimpft nun wie ein Rohrspatz. Sehr schade übrigens, dass es rechtlich nicht möglich ist, Großmütter zu adoptieren. Wie gerne hätte ich eine Oma, die sich Samstagabend bei drei Grad mit Sneakern ins Stadion setzt und effektvoll ihre Umbro-Socken präsentiert. Grannys, die den Swag aufdrehen! Andererseits: Vielleicht ist das hier gar keine Oma, sondern einfach bloß eine 35-jährige Einwohnerin Mladá Boleslavs nach 17 Jahren Schicht im Škoda-Werk.

Nach einer guten halben Stunde gelingt den blau-weißen Hausherren der Ausgleich. Jeden-Jeden! Mit einem gerechten Remis gehen beide Mannschaften in die Katakomben, wobei der FC Zbrojovka Brno von seinen 70 mitgereisten Anhängern bereits jetzt lautstark gefeiert wird.

In der zweiten Halbzeit bleibt das Spiel überaus kurzweilig. Nach einer Stunde bringt Douglas da Silva etwas brasilianisches Flair auf den Platz und seine Farben in Führung. Nun scheint der Favorit aus Mladá Boleslav in Führung liegend das Heft des Handelns etwas kontrollierter in die Hand nehmen zu können, ehe dem hölzernen Außenverteidiger mit dem großartigen Namen Fleišman zehn Minuten später wie aus dem Nichts heraus ein Eigentor unterläuft. Dva-Dva!

Bei den Gästen versucht der aus den deutschen Ligen wohlbekannte Jan Polák, der am Ende seiner Karriere noch einmal die Schuhe für seinen Heimatverein schnürt, den Laden im Mittelfeld zusammenzuhalten, doch der Tabellenführer drängt nun mit aller Macht auf die Führung. Nach 79 Minuten gelingt dem nun deutlich überlegenen Favoriten genau das, doch der tapfere Außenseiter aus Brno gibt sich nicht geschlagen und nimmt weiterhin erfrischend offensiv am Spiel teil. Der FKMB tut alles, was in seiner Macht steht, wechselt sogar Stanislav Klobása ein, um das Ergebnis über die Zeit zu bringen. Mit dem letzten Angriff der Partie erzielt Michal Škoda („ausgerechnet Škoda“, werden sie im tschechischen TV sagen…) dann aber doch noch den viel umjubelten und letztlich verdienten Ausgleich. Tři-Tři!

Halb erfroren, aber doch bestens unterhalten, machen wir uns auf den Rückweg nach Sachsen. In Petrovice kehren wir im „Restaurace U Jelena“ (Restaurant zum Hirschen) ein und holen endlich das nach, was uns in Mladá Boleslav verwehrt geblieben war. Ach, es geht doch nichts über eine schöne Völlerei am späten Abend…

Gut gesättigt brausen wir im Anschluss weiter durch den Abend. Kaum habe mich gedanklich damit auseinandergesetzt, morgen in Aue im wunderschönen Erzgebirge Station zu machen, überfällt mich ein Ohrwurm. „Das Leben auf der Flucht is‘ auch manchmal schön, man muss gewisse Orte nur einmal sehn“. Haste schön gesagt, Rainald. /hvg

08.10.2016 Berliner FC Dynamo – SC Borsigwalde 1910 11:1 (6:1) / Sportforum Hohenschönhausen / 217 Zs.

Seitdem die zweite Runde des Paul-Rusch-Pokals 2016/17 ausgelost worden ist, ist klar: Auf dem Weg in den DFB-Pokal kann mein Heimatverein, für den ich von 1989 bis 1995 die Schuhe schnürte, nur noch vom Rekordmeister der DDR aufgehalten werden. Für mich ergibt sich dank dieses Loses die wohl beste aller Möglichkeiten, meinen Hopperpflichten nachzukommen und endlich auch dem Sportforum Hohenschönhausen einen Besuch abzustatten.

So stehe ich also mit meinem Vater an einem Kassencontainer, welchen der BFC direkt neben dem Wellblechpalast errichtet hat. Aus dem einem Fenster werden Stehplätze, aus dem anderen heraus Sitzplätze verkauft. Die Preispolitik ist gleichermaßen übersichtlich wie ungerecht (alles 8 €, keine Ermäßigungen) und lädt nicht nur die Jugendspieler des SC Charlottenburg, die sich auf dem Weg zu einem Nebenplatz befinden, zum Schmunzeln ein. „Wer kauft schon Stehplatz, wenn Sitzen genau so teuer ist, Wallah?“

Auch wir entscheiden uns angesichts des Wetters bei der Bestellung für einen einigermaßen überdachten Sitzplatz. Als wir das Stadiongelände betreten wollen, wird uns zunächst wortwörtlich die Türe vor der Nase zugeschlagen. Schließlich müssen alle Besucher des Sportforums heute durch den Spielertunnel, um das Stadionareal zu erreichen. Doch leider wird dieser gerade von den tapferen Helden des SC Borsigwalde benötigt, die soeben den Kabinentrakt verlassen haben, um sich zum Aufwärmen auf den Platz zu begeben. Klar, dass da drei Ordner für Sicherheit sorgen müssen und nun durch das Zuschieben des Tores zu verhindern wissen, dass sich die Wege der Akteure und Zuschauer kreuzen.

Nachdem dann nach einiger Zeit des Ausharrens auch diese Hürde gemeistert ist, statten wir zunächst dem Vereinsheim einen Besuch ab. Die Baracke ist von Außen mit Fotos der sportlich erfolgreichen Vergangenheit des Clubs geschmückt. Innen überzeugt ein quer über die Decke gespanntes Tornetz, in welchem Pokale, Fußbälle, Schals und andere Devotionalien stecken. Hinter dem Tresen warten gleich vier Bardamen auf Kundschaft. Alle mit gefärbten Haaren, Tattoos, Piercings und Tunneln in den Ohren und alle gleichermaßen irgendwie pornhub-sexy und abstoßend zugleich. Gar nicht so einfach, sich zwischen Sandy, Mandy, Cindy und Peggy zu entscheiden, obwohl es sich lediglich um die Bestellung eines Bieres dreht.

Irgendwann hat das Bier dann aber den Besitzer gewechselt und wird in Gegenwart einiger BFC-Fans, die mir unter normalen Umständen wohl am Liebsten an den Kragen gehen würden, geleert. Es ist ein sonderbares Gefühl, in diesem Stadion zu Gast zu sein und trotzdem versuche ich krampfhaft, alle getätigten Beobachtungen so neutral wie möglich zu werten.

Im Stadion angekommen erspähe ich zunächst ein bekanntes Gesicht. Der allseits beliebte Bunki wird heute offensichtlich dafür sorgen, dass es der kleine SC Borsigwalde in eine große Berliner Tageszeitung  schaffen wird. Toll! Außer ihm finden sich dann leider nur knapp 200 Zuschauer im Sportforum ein und das, obwohl der BFC immer seltener Pflichtspiele in „seinem“ Fußballstadion austragen darf. Allerdings darf lobend erwähnt werden, dass das anwesende Publikum größtenteils sehr angenehm ist. Beim Paul-Rusch-Pokal scheinen all die Stiernacken der Kategorie C, Althools und Nazis offenbar Sendepause zu haben und lassen Familienvätern und ihren Kindern den Vortritt.

Das Stadion ist eine echte Augenweide und erhält das Prädikat „ein Stück Tschechien vor der eigenen Haustür“. Auf der kleinen Haupttribüne werden die Plätze der Ehrengäste mit einer roten Kordel vom Pöbel getrennt und hinter der Gegengerade ergibt sich ein freier Blick auf die Berliner-Kindl-Schultheiss-Brauerei. Längst hat die Natur die Kurvenbereiche erobert und heute gesellt sich zu dem üppigen Wildwuchs noch etwas Lauch in Form von acht Ordnungshütern.

Bevor das Spiel beginnen kann, kämpft der überforderte ältere Herr, der sich heute als Stadionsprecher und Plattenunterhalter in Personalunion versucht, verzweifelt gegen die Technik an. Erste Musiktitel werden jeweils für wenige Sekunden angespielt, ehe die Boxen komplett verstummen und ein Rauschen des Mikrofons einsetzt. Wunderbar, wie nun das Fluchen und Stöhnen des Mannes ins weite Rund übertragen wird. Mit dem Anpfiff rettet der Schiedsrichter ihn aus dieser misslichen Lage und wir sind beruhigt, dass das Mikrofon zunächst offen bleibt und wir zumindest noch die ersten zehn Minuten des Spiels Lebenszeichen des Seniors vernehmen und ihn laut atmen hören können.

Ebenso lebendig geht die erste Garde des BFC gegen den Bezirksligisten in die Partie. Bereits nach zwei Minuten gelingt dieser gegen den hoffnungslos überforderten SC Borsigwalde die Führung und im weiteren Verlauf der Anfangsphase bahnt sich ein Kantersieg des „schlafenden Riesen“ an. Mit der ersten Ecke gelingt dem Außenseiter jedoch völlig überraschend der Ausgleich. Riccardo Donatelli versetzt die gut gelaunten und bereits zu diesem frühen Zeitpunkt der Partie über die Maße alkoholisierten Anhänger aus Borsigwalde in Verzückung. Der Torjubel am und auf dem Zaun wird durch eine Ordnerin vor dem Block strengstens überwacht. Professionelle Strukturen in Beverly Hohenschönhausen.

Plötzlich erhält etwas Unsicherheit Einzug in das bislang so seriöse und solide Spiel des BFC und der Underdog wittert Morgenluft. 20 Minuten lang kann das Spiel offen gestaltet werden, doch dann begehen die Borsigwalder zwei eklatante Fehler. Zunächst verlieren sie einen Ball im Spielaufbau, dann rücken sie im Eifer des Gefechtes bei einem eigenen Angriff viel zu weit auf und schon ist der BFC auf 3:1 davongezogen. Es folgt ein Schützenfest, im Rahmen dessen der BFC den Spielstand bis zur Halbzeitpause auf 6:1 in die Höhe schrauben kann.

In dieser funktioniert dann glücklicherweise auch die Soundanlage wieder, sodass wir in den zweifelhaften Genuss der BFC-Hymne kommen, die gleich drei Mal in Serie gespielt wird. Wenn schon mal was funktioniert, dann sollte man daran festhalten. Besonders in Erinnerung wird die Textzeile „… doch niemals gekniet oder angepasst!“ bleiben. Na gut, von 66 bis 89 vielleicht – aber Schwamm drüber.

Auf der Toilette erlebe ich dann endlich einen BFC-Moment, wie ich ihn erwartet hatte. Hier kleben einträchtig Aufkleber des BFC und Sticker der Rudolf-Heß-Gedenkwochen von 2007 nebeneinander, wobei letzterer in den letzten 10 Jahren immerhin zu 2,8% beschädigt worden ist. Mehr politisches Engagement kann man von den weinrot-weißen Jungs dann offenbar doch nicht erwarten.

In der zweiten Spielhälfte übt sich der BFC weiter munter im Toreschießen, wobei der zehnte Treffer gleichzeitig auch der sehenswerteste des Tages bleiben wird. Neben der wirklichen Schönheit des Weitschusses kann auch der Name des Torschützen überzeugen: Andrew Lubega. Schade, dass der Plattenunterhalter nicht pfiffig genug ist, an dieser Stelle den „Mambo Nr. 5“ aufzulegen.

Der elfte Treffer soll auch nicht unerwähnt bleiben. Borsigwaldes Innenverteidiger Brüsewitz spielt einen brandgefährlichen Rückpass, der im Schneckentempo so unglücklich über einen Platzfehler hubbelt, dass Keeper Bittighofer dumm aus der Wäsche guckt. Die Borsigwalder Schlachtenbummler feiern: „Aiaiaiai, ein Schuss, ein Tor, der Brüse!“.

Die letzten torlosen fünfzehn Minuten des Spiels sind dann die amüsantesten, weil sich die BFC-Fans nun in humorigen Scharmützeln mit den Borsigwalder Zuschauern befinden und ein alberner Spruch auf den nächsten folgt.
„Was ist denn das hier auch für ein Acker?“, „Hey, Schiri, da ist ein zweiter Ball im Spiel, normalerweise würde es hier 1:1 stehen!“ wird auf der einen Seite bemängelt, die andere hält mit einem „So langsam hat sich eure Abwehr ja gefunden, aber macht mal halblang, wir haben hier kein Flutlicht!“ dagegen.

Am Ende werfen die Borsigwalder Akteure ihre Trikots über den Zaun, Stürmer Bodo Längert wird mit einem Mike-Krüger-Evergreen abgefeiert und der BFC’er neben uns lobt anerkennend: „Ist ja mehr Stimmung als bei unseren Ultras!“.

Mit dem Reisebus geht es für die Borsigwalder dann quer durch die Stadt zurück ins beschauliche Nordberlin. Für den BFC endet die Reise dann hoffentlich spätestens im Finale des Paul-Rusch-Pokals. War ja ganz nett im Sportforum. Aber zum Glück muss ich da nie wieder hin. /hvg

17.09.2016 SV Wörgl – FC Hard 0:3 (0:0) / Sportzentrum Wörgl / 150 Zs.

Ich sehe es als meine Bürgerpflicht an, diesen Bericht mit einer Warnung beginnen zu lassen. Alle Menschen, denen ich auf meinen Reisen begegne, sollten nun Obacht geben. Bitte lasst äußerste Vorsicht walten, wenn ihr im Zuge unseres Kontakts sagt: „Ach, das wäre so schön, wenn Du mich irgendwann einmal besuchen würdest!“ Das Problem ist: Ich komme wirklich.

Gerade habe ich meinen Irlandkorb dekorativ im Regal verstaut, da wage ich auch bereits den nächsten Anlauf mit selbiger Dame. Kurz nachdem der 1.FC Union den Auftritt beim TSV 1860 München nahezu im Vorbeigehen siegreich gestaltet hat und kurz vor dem Beginn meines Urlaubs in Bella Italia passt ein Ausflug nach Österreich jedenfalls locker in den Tourneeplan. Gemeinsam mit dem Herrn Fackelmann, der ebenfalls freundschaftliche Kontakte nach Innsbruck pflegt, quäle ich mich am frühen Morgen aus den Münchener Gästebetten des Wirtschaftsflüchtlings. Am Busbahnhof an der Hackerbrücke brechen dann erste Jubelstürme aus, als unser grünes Gefährt überpünktlich in seiner Haltebucht zum Stehen kommt. Seit ich billige Buslinien für mich und meine Reisezwecke entdeckt habe, ist das Tempus „Buskamperfekt“ ohnehin zu meiner Lieblingszeitform avanciert.

Glücklicherweise haben wir heute lediglich zwei Stunden Fahrt vor der Brust. Schnell wird nämlich klar, dass man eine längere Wegstrecke vermutlich nur mit Atemmaske überleben würde, da die Chemietoilette an Bord für ein olfaktorisches Fiasko sorgt. Vielleicht hat sich der etwas mürrische Fahrer aus einer ehemaligen Sowjetrepublik auch schlicht und ergreifend einen Duftbaum der Sorte „Neuköllner U-Bahnhof“ an den Spiegel gehangen. Man weiß es nicht, es stinkt jedenfalls wie die Hölle.

Während die Gastgeber Fackelmanns bereits fröhlich zur Abholung bereitstehen, wird unsereins noch ein wenig im Regen stehen gelassen. Zwei-Drei Nachrichten später ist klargestellt, dass es auf der 29,3 Kilometer langen Strecke von Schwaz nach Innsbruck aktuell einen 37 Kilometer langen Stau geben muss. Gar kein Problem, da der gegenüberliegende Gemüsehändler auch über einen kleinen Kühlschrank mit Notfall-Stiegl verfügt und so positive Effekte hinsichtlich der Wartezeitverkürzung, Regeneration der Nasenscheidewände an der frischen Luft und Steigerung der Vorfreude erzielt werden können.

Recht bald befinde auch ich mich dann in Begleitung. Gemeinsam mit meiner Lieblingskroatin, die ich das letzte Mal in Bergamo vor der Weiterreise nach Malta gesehen hatte (schöne Geschichte!), sitze ich nur unwesentlich später im „Soulkitchen“ und genieße einen großartigen Burger und ein Pils der Privatbrauerei Raschhofer. Beides besonders lecker – und irgendwie ist es ja auch besonders logisch, dass Dinge besser schmecken, wenn man sie manuell aus Zutaten anfertigt, die vor der eigenen Haustür wachsen. Wenn doch bloß all diese Verfechter von regionaler Bio-Küche und handgebrautem Bier nicht so dermaßen anstrengend wären…

Leider werden wir von dem Kellner auf der ansonsten menschenleeren Terrasse ziemlich allein gelassen, der auf diesem Wege zu verhindern weiß, dass es zu Nachbestellungen kommen kann. Die Kommunikation mit dem Service fiel mir allerdings auch in dessen Anwesenheit schwer, doch wer will es mir verübeln, wenn man sich in einem Landstrich befindet, in dem beispielsweise folgendes gesagt wird: „Geschtan bin i fischling iban Bichl oikuglt“. Alles klar, selber Oachkatzlschwoaf!

Mein Gegenüber ist dankenswerterweise in der Lage, astreines Hochdeutsch zu sprechen, sodass es eigentlich zu keinerlei Verständigungsproblemen kommen müsste. „Wir könnten in die Swarovski-Kristallwelten nach Wattens fahren, da war ich noch nie, kostet aber leider knapp 20 € Eintritt!“, schlägt sie vor. „Oder wir fahren zum Fußball, in der Regionalliga spielt heute Wörgl gegen Hard!“, ergänzt sie. Alarm, Alarm, Alarm, schreit mein verkümmertes Singlegehirn. Es könnte sich um eine Falle handeln. Noch bevor ich so diplomatisch wie möglich antworten (und trotzdem in selbige tappen) kann, setzt sie jedoch fort: „…also ich finde 20 € eigentlich zu viel und würde lieber zum Fußball gehen!“. Okay. Es scheint wirklich keinerlei Verständigungsprobleme zu geben.

Das Sportzentrum Wörgl verfügt über eine Haupttribüne und gewährt ansonsten freien unbebauten Blick auf ein wunderbares Bergpanorama. Zugelassen ist die Sportstätte für 3500 Zuschauer und in etwa so viele freie Parkplätze befinden sich in unmittelbarer Nähe auf einem großen Schotterplatz, auf dem der Parkplatzeinweiser doch ein etwas skurriles Bild abgibt. Überpünktlich erreichen wir das Kassenhäuschen, zahlen 8 beziehungsweise 5 (Ermäßigungsberechtigung: biologisches Geschlecht) Taler Eintritt und erhalten ein Faltblatt, auf dem immerhin die aktuelle Tabelle der Regionalliga West und die Aufstellungen beider Clubs festgehalten sind. Die Aufstellung der Gastgeber liest sich dann sogleich wie eine Balkanauswahl. Besonders schön ist, dass sich Trainer Denis Husic heute dazu durchringen konnte, die Innenverteidiger Haris Husic und Adis Husic aufzustellen. Dann kann ja nichts mehr schiefgehen.

In einem Bierzelt in der Kurve des Stadions decke ich uns noch schnell mit Flüssignahrung ein. Das Spiel beginnt und bei Dauerregen und arktischen Temperaturen sind wir froh, auf der Tribüne Ost ein Dach über dem Kopf zu haben. In unmittelbarer Nähe lässt sich ein freundlicher Herr in Crvena Zvezda Trikot nieder und gibt seine neunzigminütige Auftaktveranstaltung im Rahmen der Seminarreihe „serbisch fluchen“ zum Besten. Die Gäste aus Hard imponieren durch ihre „Fohrenburger“-Werbung auf den Trikots. Die Brauerei, die FUDU schon auf diversen Reisen quer durch Österreich aufgrund ihrer sexistischen Werbeplakate für sich begeistern konnte. In ewiger Erinnerung bleibt jenes mit der heißen Blondine, die stilvoll mit einer Pulle in der Hand auf einem Einhorn reitet und mit der freien Hand eben selbiges lasziv umschließt. Ach, jetzt hab ich Lust auf Bier.

Fußball wird 30 Minuten lang auch recht anständig gespielt, doch bei zusehends schlechter werdenden Platzverhältnissen sinkt das technisch-taktische Niveau stetig. Dafür wird die eine oder andere sehenswerte Grätsche auf dem tiefen Geläuf gesetzt und die Akteure beider Mannschaften rutschen recht ansehnlich ineinander hinein.

In der Halbzeitpause starte ich in das Unterfangen, für mich und meine ebenfalls unterkühlte Begleitung etwas erwärmendes zu erhalten. Da die Kaffeemaschine leider ihren Geist aufgegeben hat, stelle ich mit der älteren Dame am Ausschank meinen absoluten Lieblingsdialog der Simpsons nach und erhalte am Ende des Gesprächs zwei frische Pils.

Jeder erhält in Folge obendrein einen Handschuh, damit wenigstens die Trinkerhände nicht weiter auskühlen und schon startet der zweite Abschnitt des Spiels. Die „Wöagla Kicka“ schauen etwas verdutzt aus der Wäsche, als es nach knapp einer Stunde plötzlich 0:2 steht. Die Herren Böhler und Koch haben mit jeweils ihrem ersten Saisontreffer den um zwei Tabellenplätze schlechter postierten FC Hard in Führung gebracht (5. gegen 7. in einer 16’er Liga). Ist es denn zu fassen?

In der 77. Minute wörglt Metin Batir einen direkten Freistoß am Schlussmann des SVW vorbei und sorgt für die Entscheidung. Die Köpfe der Balkanauswahl hängen, der Serbe flucht. It’s a Hard knock Life!

Nach dem Spiel werde ich noch in den Genuss eines Kneipenabends und einer Karaoke-Party im beschaulichen Schwaz kommen. Der Smalltalk mit all den sicherlich netten Freunden und Freundinnen meiner Begleitung geht wesentlich weniger leicht von der Hand als in Dublin, was auch hier in erster Linie dem tirolerisch geschuldet ist. Warum nicht auch einfach auf Englisch reden, wenn man das „Deutsch“ des Konversationspartners nicht versteht?

In den folgenden Tagen tausche ich dann Trinkerhandschuh gegen Badehose und lasse den Sommer am Lago Di Garda ausklingen. Abschließend gilt es nun nur noch die Frage zu stellen: Wen darf ich als nächstes besuchen kommen? Aber Vorsicht, wahrscheinlich komme ich wirklich! /hvg

03.09.2016 Bohemian FC – Dundalk FC 1:2 (0:1) / Dalymount Park / 2.169 Zs.

Meteorologischer Herbstanfang in Deutschland, aber noch Sommerferien in Berlin. Fetti ist vollends verwirrt, sortiert sich aber umgehend: Donnerstag um 15.00 Uhr Feierabend, freier Ferienfreitag, spielfreies DFL-Wochenende. Kann es eine bessere Ausgangsposition für ein verlängertes Wochenende irgendwo in Europa geben?

Nach unzähligen Flügen mit der heißgeliebten Billigfluglinie mit der Harfe im Logo ist es dieses Mal an der Zeit, Dankeschön zu sagen und so fällt die Wahl des Ziels der Wochenendreise auf Dublin. Die Hotelpreise bewegen sich in astronomischen Höhen. Für 84 schlanke Euro pro Nacht ist das „Binary Hub“ schnell für vier Mal schlafen gebucht. Was tut man nicht alles, um eine Frau zu beeindrucken? Ironie des Schicksals, dass diese nach der Buchung von Flügen und Hotel bedauerlicherweise wieder absagt. Fetti reagiert umgehend, holt den Wirtschaftsflüchtling ins Doppelbett Boot, storniert eine Nacht (unter diesen Umständen tut es als Übernachtungsoption vor der Abreise am frühen Morgen auch der Flughafen) und bringt so den rumänischen Kassenwart zum Jubilieren.

Am Donnerstagabend lande ich in Dublin. Der Flughafenbus lässt bei leichtem Nieselregen nicht lange auf sich warten und auch die Station „Ushers Quay“ am Flüsschen Liffey ist schnell erreicht. Auf dem Weg zum Hotel decke ich mich in einem Spätverkauf, in dem der Verkäufer hinter einer dicken Glasscheibe sitzt und mit dem man nur durch drei kleine Löcher kommunizieren kann, mit Kaltgetränken ein und mustere bereits jetzt etwas argwöhnisch die Umgebung. Alles wirkt gelinde gesagt heruntergekommen, das Klientel auf den Straßen erinnert an das des Frankfurter Bahnhofsviertels. Alle Menschen, die ich nach dem Weg frage, können mir bei meiner Suche nach der Unterkunft zwar nicht behilflich sein, rauben mich aber dankenswerterweise wenigstens auch nicht aus. Keine Hilfe, kein Ärger. Fairer Deal.

Irgendwann habe ich die Herberge dann auch ohne technische Unterstützung und menschliche Hilfestellung gefunden. Am Check-In-Terminal empfangen mich zwei Spanierinnen, die kaum Englisch sprechen und ein Rastahippie, der einen auf Kumpel macht und längst verdrängte Erinnerungen an mein Sozialpädagogikstudium in mir hochkommen lässt. Während ich mit diversen Flashbacks zu kämpfen und Traumatisierungserfahrungen zu verarbeiten habe, dreht mir der Rastamann auf die Schnelle ein Handtuch und einen Traveladapter an. Gekauft. Hauptsache, ich kann dieser furchtbar unangenehmen Situation entfliehen und mich schnellstmöglich in mein Zimmer verkrümeln.

Dort angekommen bin ich innerhalb von nur 30 Sekunden froh darüber, dass mir vor wenigen Wochen eine Absage der jungen Dame ins Haus geflattert ist. Was tut man nicht alles, um eine Frau zu beeindrucken??? Mit diesem Zimmer im Stile des Studentenwohnheims Cottbus wäre es jedenfalls nicht gelungen. Vor meinem geistigen Auge sehe ich mich bereits jetzt eine vernichtende Bewertung bei booking.com schreiben: Kein Fernseher. Ein Doppelbett für Kleinwüchsige. Kein Mülleimer. Wi-Fi funktioniert auch nicht. Preis-Leistungs-Verhältnis? Die letzte Nacht, mein liebes Kind, war nicht einmal befriedigend! Ich öffne mein Spätibier und stoße mit mir selbst auf die Republik Irland an – kann man 100 Jahre nach dem Osteraufstand so machen.

Am nächsten Morgen vervollständigt der Wirtschaftsflüchtling die Zwei-Mann-Reisegruppe. Gemeinsam bahnen wir uns unseren Weg durch die Warteschlange vor der Methadonausgabestelle neben unserem Hotel und steuern die Innenstadt zwecks Sightseeing an. Schnell wird klar, dass Dublin auch dort nicht unbedingt an jeder Ecke zum Verweilen einlädt. Um wenigstens halbwegs realistisch urteilen zu können, klappern wir nach einem Fish&Chips-Imbiss in einer Bude, die bereits unzählige Prominente zu ihren Gästen zählen durfte (Alan Shearer!) und in der freundliche Einheimische unseren Müll für uns beseitigen, einige Sehenswürdigkeiten ab. Saint Patrick’s Cathedral, Dublin Castle, Trinity College, The Spire und der Merrion Square Park, in dem letztlich auch nur die Statue Oscar Wildes samt seines legendären und nachvollziehbaren Ausspruchs: „I drink to keep body and soul apart!“ überzeugen kann.

Zu allem Überfluss ist Dublin und sein Pubviertel Temple Bar an diesem Wochenende von unzähligen Amerikanern hoffnungslos überlaufen, da die beiden wohl besten College-Footballteams aus Boston und Georgia ein Spiel in der irischen Hauptstadt austragen werden. Überall nerven dicke Frauen mit breitem Kaugummiakzent und schirmbemützte kulturlose Cargohosenträger, die sich mit 1/8 irischer Herkunft rühmen. Viele von ihnen stehen an eigens errichteten Merchandisingständen Schlange. Darf es ein Schal der Georgia Tech sein? Oder doch lieber des Boston College? Wir entscheiden uns angesichts dieser Optionen für die Methadonschlange und dann dafür, das touristische Zentrum der Stadt schleunigst zu verlassen.

Schnell sind wir in einem urigen Pub am Stadtrand eingekehrt und es dauert auch nicht lange, bis wir uns im Gespräch mit dem Barkeeper und einem zahnlosen walisischen Senior befinden. Letzterer berichtet von einem sehr guten Freund, von dem er nicht wüsste, ob dieser noch am Leben sei. Im Fernsehen läuft eine etwas sonderbare Sportart, bei welcher die Akteure wahlweise mit dem Fuß oder mittels eines Schlägers einen kleinen Ball durch die Gegend peitschen und sich sowohl freuen, wenn dieser über eine Querstange fliegt oder in einem von einem Torhüter bewachten Gehäuse einschlägt. Hurling nennt sich der ganze Spaß und morgen wird in Dublin das große Finale um die irische Meisterschaft stattfinden. Über 80.000 Zuschauer werden erwartet, wenn sich die Amateursportler aus Tipperary und Kilkenny um den Pokal duellieren werden. Rechnet man hier noch eben die Besucher des Collegefootballspektakels hinzu, befinden sich aktuell also 120.000 Gäste in der Stadt und plötzlich wird klar, warum selbst das Studentenwohnheim Cottbus an diesem Wochenende derart astronomische Zimmerpreise aufrufen kann. Tja, Timing ist offenbar Fettis Sache nicht…

Der Pub füllt sich und wir lernen unzählige freundliche Einheimische kennen. Schnell haben wir uns einer Clique angeschlossen und ich bin einigermaßen stolz darauf, dass mein Englisch ausreicht, um gepflegt Smalltalk halten zu können. Während der Wirtschaftsflüchtling draußen eine rauchen ist, erzählt mir Ronan zunächst von seinen positiven Erfahrungen als Straßenmusiker auf der Oberbaumbrücke, ehe wir letztlich über den Rechtsruck in meiner „Heimat“ philosophieren, um sein deutlich verzerrtes Deutschlandbild einigermaßen gerade zu rücken. Am Ende des bierseligen Abends wird mich Ronan mit einem flüchtigen Kuss auf die Wange verabschieden. Noch während wir die Kneipe verlassen, kann sich der Wirtschaftsflüchtling das Lachen nicht mehr verkneifen, hatte er doch bereits vor Stunden beim Rauchen erfahren, dass Ronan homosexuell und an mir interessiert ist und mich sehenden Auges in den längsten schwulen Flirt meines Lebens geschickt. Nett war’s – und wegen der Rigaromanze von neulich sind wir dann wohl quitt.

Als wir am Tag des Spieltages der Website des Bohemian FC einen Besuch abstatten, dauert es nicht lange, bis unsere Vorfreude ins Unermessliche gestiegen ist. Die Vorberichtserstattung für das heutige Spiel besteht ausschließlich darin, auf die Öffnungszeiten des Stadionpubs hinzuweisen. So zieht es Fetti schon weit vor Anpfiff in Richtung Dalymount Park, dessen Flutlichtmasten majestätisch aus dem typisch britischen Wohnumfeld herausragen. Wir werfen einen ersten Blick in die historische Spielstätte, die sich vollkommen zurecht mit der Losung „Home of Irish Football“ ziert. Der 1890 gegründete Bohemian FC (oder einfach gälisch: „An Cumann Peile Bóithéimeach“) spielt in diesem altehrwürdigen Stadion seit 1901 Fußball, welches heute mit schiefen Stehtraversen samt Wildwuchs, verrosteten Wellenbrechern und einer offenbar nicht mehr gänzlich erhaltenen Gegengeraden Geschichten aus längst vergangenen Fußballepochen erzählt. Rund um das Stadion befinden sich mehrere politisch einwandfreie Grafitti und so bereitet es große Freude, durch die schmalen Gassen zu stromern, die in einem anderen Kontext auch etwas befremdlich erscheinen könnten. Der Stadionpub kann mit diversen nostalgischen Stadionfotos, alten Wimpeln, einer Ruhmeswand mit all den Erfolgen des Vereins (immerhin 11x irischer Meister, zuletzt allerdings 2009) und einem hochgradig sympathischen Publikum überzeugen und rechtfertigt das frühe Erscheinen.

Kurz vor Anpfiff deckt sich der Wirtschaftsflüchtling noch schnell mit einem Trikot der Hausherren ein, wobei es sich Ausrüster hummel nicht nehmen lässt, das Rezept einer dänischen Gebäckspezialität mit an das Shirt zu heften. Und dann kann er auch schon beginnen, der neunzigminütige Fußballporno zwischen dem Club, der als einziger Irlands zum 100% den Mitgliedern des Vereins gehört und dem neureichen Dundalk FC, der zuletzt zwei Mal in Folge Meister werden und in der Europa-League für Aufsehen sorgen konnte.

Die Schweigeminute vor der Partie nutzen die zahlreich mitgereisten Anhänger aus Dundalk dazu, etwas Rauch und einige Bengalos zu zünden. Der Rest des Stadions reagiert akustisch diszipliniert, sodass man neben den pyrotypischen Geräuschen nur das Husten und Röcheln einiger Gäste vernehmen kann, denen die Windverhältnisse übel mitspielen.

In den ersten zehn Minuten lässt der Underdog die Muskeln spielen und macht deutlich, dass er das Spiel gegen den aktuellen Tabellenführer nicht herschenken wird. Dieser ist allerdings dermaßen dominant, dass spätestens nach einer Viertelstunde die Mittellinie oftmals gleichermaßen auch die Ziellinie für die Angriffsbemühungen der Bohemians darstellt. Nach 20 Minuten trifft Dundalk den Pfosten, nach 24 per schöner Direktabnahme nach einer Ecke zum 1:0 ins Tor. Zwei weitere Großchancen vereitelt der tapfere Schlussmann des BFC, der einzig und allein mit diesem Vereinskürzel auf den Sitzschalen der Haupttribüne Minuspunkte in der Bewertung einfährt. Das hier könnte sportlich übel enden, denkt sich wohl auch ein Senior mit Hinkefuß, der sich in der Halbzeitpause vor der Tribüne postiert, einklatscht und plötzlich die Menge auch in der Pause zum Singen animiert.

Beflügelt von diesem Ritus starten die Fans in den zweiten Spielabschnitt und pushen ihre hoffnungslos überforderten Helden, denen es nun immerhin gelingt, das Spiel einigermaßen in der neutralen Zone des Spielfeldes zu halten. Der Skeptiker in uns stellt zwar leise die Frage, wie hier und heute ein Ausgleich gelingen sollte, aber erst einmal lassen wir uns von der tollen Atmosphäre mitreißen und beginnen immer leidenschaftlicher mit dem Außenseiter mitzufiebern.

Nach 65 Minuten erzielen die Spieler des Serienmeister aus Dundalk das 2:0 auf eine besonders perfide unbritische Art und Weise, indem sie einen Schiedsrichterball nicht zu den Hausherren zurückspielen, sondern diesen direkt in einen Angriff ummünzen, den Mountney veredeln kann. In Folge geschehen einige Dinge, die uns immer heftiger mit dem Bohemian FC flirten lassen. Zunächst hinkt der alte Mann wieder bis zur Mittellinie, auf deren Höhe er ein lautstarkes Kommando abgibt, woraufhin sich urplötzlich das ganze Stadion erhebt und auf die Melodie zu Spandau Ballet’s „Gold“ ein markerschütterndes ALWAYS BELIEVE IN BOHS! erklingen lässt. Gänsehaut. Die Beleidigungen und Pöbeleien gegenüber der Gäste, die erst nach der unsportlichen Aktion im Zuge des 0:2 begonnen hatten, erreichen nun ungeahnte Höhen. Selbst kleine Kinder rennen nun wie von der Tarantel gestochen über die Tribüne und lassen es sich nicht nehmen, den einwerfenden Akteuren des Dundalk FC die Meinung zu geigen. Nach 67 Minuten erzielt die Nummer 10 der Hauptstädter, Kurtis Byrne, nach einem Eckstoß einen Treffer der Marke Tor des Monats. Das Stadion kocht und der Torschütze holt sich auf der Tribüne einen Kuss seiner hübschen Freundin ab, NACHDEM er einige Fans beim Torjubel umarmt hat. Spätestens jetzt ist es Liebe und der Wirtschaftsflüchtling und ich gehen bei jedem Angriff des BFC aus dem Sattel. Mehr Leben kann in keinem Fußballspiel stecken. Wahrlich, das Spiel scheint zu kippen und plötzlich erscheint ein Remis erreichbar zu sein. Leider kann Byrne seine gute Leistung nicht krönen – der Doppelpack bleibt ihm aufgrund einer starken Parade des Gästekeepers verwehrt.

Und so muss das Publikum am Ende des Abends noch einmal unter Beweis stellen, dass es aus besonderem Holz geschnitzt ist, indem es seine Lieblinge trotz einer 1:2 Niederlage mit stehenden Ovationen und wunderbaren Gesängen verabschiedet und sich für einen aufopferungsvollen Kampf bedankt.

Den Urlaub lassen wir einen Tag später an der Küste ausklingen. Ronan hatte mir eindringlich ans Herz gelegt, mit der Irish Rail nach Dún Laoghaire (sprich: Dunliery) zu fahren. Womöglich wäre er gerne selbst mit von der Partie gewesen, als der Wirtschaftsflüchtling und ich im ersten „Wetherspoon“ des Wochenendes einkehren und nur kurz darauf eine Helikopterübung der irischen Küstenwache bestaunen dürfen. Nebenan lassen es sich ein paar Unerschrockene nicht nehmen, in der „Dublin Bay“ ein sicherlich eiskaltes Bad zu nehmen. Auf einer Mauer an der Badestelle sitzen fünf Jungs mit der selben Haarfarbe wie die Hühner auf der Stange und laden zum fröhlichen Rothaarigenschubsen ein, doch FUDU kann der Verlockung gerade noch einmal widerstehen.

Kurz darauf kehren wir in einem Pub ein, um das Hurlingfinale live miterleben zu können. Wir fühlen uns wie Einheimische, saugen Atmosphäre auf und freuen uns am Ende mit Tipperary, die Kilkenny mit 2-29 zu 2-20 (tja…) in die Schranken verweisen können. Mit der Aer Lingus („Official Airline of the Irish Rugby Team“) geht es nach einer erholsamen Nacht am Flughafen Dublin dann stilecht zurück in Richtung Arbeitsstelle.

Und wenn man mit so einem Urlaub schon keine Frau beeindrucken kann, dann vielleicht wenigstens einen Ronan. /hvg