Posted on Mai 27, 2018
27.05.2018 Næstved BK – Middelfart G&BK 4:0 (0:0) / Næstved Stadion / 2.008 Zs.
Am Sonntag ist es an der Zeit, den Großraum Kopenhagen zu verlassen und einen Ausflug zu unternehmen. Flugs wird die Familienkutsche unseres Gastgebers von Kindersitzen befreit und mittels eines Union-Stickers am Heck zum FUDU-Mobil umgerüstet. Kurz darauf ist das gut 100 Kilometer entfernte Næstved auf Seeland als Ziel in das Navi eingetippt und wird mit dem kleinen Umweg via Ballerup zwecks Smørrebrød-Einkauf angesteuert.
Knapp 90 Minuten später ist auch das letzte Brot verspeist und das „Næstved Stadion“ erreicht. Dank der guten Kontakte des Schwiegervaters stehen wir auch heute wieder auf einer VIP-Liste und erhalten freien Eintritt. Das Stadion, welches im Jahr 1944 für ursprünglich 20.000 Menschen konzipiert war, fasst in der Zwischenzeit nur noch die Hälfte an Zuschauern und trägt einen bescheidenen Sponsorennamen. Charakteristisch für die Anlage ist die opulente Haupttribüne, die sich nicht direkt an das Spielfeld anschließt, sondern konvex zu diesem verläuft und somit leider dafür sorgt, dass man auf Höhe der Mittellinie gut 10-15 Meter vom Geschehen entfernt sitzt. Charmant sind die Grashügel, die hinter der Gegengeraden und hinter einem der beiden Tore bereits von mehreren Zuschauern bevölkert werden. Da die Sonne scheint, lassen auch wir uns von diesen Lümmeltribünen einfangen, liegen im Gras und harren der Dinge, die da kommen mögen.
Ich fertige erste Fotos der Spielstätte an und merke nicht, dass ich damit einem granteligen Senior offenbar völlig auf dem falschen Fuß erwische. Nach fünf-sechs Schnappschüssen baut er sich jedenfalls vor mir auf, kommt mir unangenehm nahe (→ alter-Männer-Atem) und gibt mir auf dänisch sicherlich nicht die allerbesten Wünsche mit auf den Weg. Dass ich ihn nicht verstehe, verbessert die Ausgangssituation des Streitgesprächs nicht sonderlich, da er nun auch noch abfällige Gesten und Kommentare über englischsprachige Gäste äußert. Der Sandaletten-Hooligan redet sich derart in Rage, dass er es gar nicht mitbekommt, dass wir in Begleitung dänischer Freunde sind und deren Intervention wird von ihm schlichtweg ignoriert. Har du et problem? Vielleicht gestern im Hafen von Næstved auch einfach ein wenig zu viel Qualm eingeatmet, als der färöische Saugbagger „Kronos“ Feuer gefangen hatte…
Wir jedenfalls entschließen uns, unsere Bierbecher einzusammeln und unseren Standpunkt für die erste Halbzeit deeskalierend einige Meter nach links zu verlegen. Schiedsrichterin Tinna Christensen eröffnet die Partie der Aufstiegsrunde der dritten Liga. Mit einem Heimsieg würde Næstved heute den Aufstieg in die zweithöchste dänische Spielklasse perfekt machen – mit sieben Punkten Vorsprung bei zwei verbleibenden Spielen wäre man nicht mehr von Jammerbugt abzufangen. Die Gäste aus Middelfart, die den eher ungewöhnlichen Beinamen G&BK (Gymnastik- og Boldklub) tragen, rangieren jenseits von Gut und Böse auf Rang 6 und somit genau in der Mitte der Tabelle.
Vor der Rekordkulisse von 2.008 Zuschauern legen die Gastgeber los wie gestern die Feuerwehr im Hafen von Næstved. Genau 18 Minuten können die Gäste dem Spielwitz und der Dynamik der Hausherren standhalten, dann trifft der Färinger Finnur Justinussun nach einem blitzsauberen Angriff zum 1:0. Dieser Treffer wird ihnen in Næstved präsentiert von: „Muremester Jespersen“. Was für ein Skandal – there’s only one Muremester in Danmark! Nur Klaus baut Dir schöne Mauern um Dein Haus!
Das 2:0 lässt nicht lange auf sich warten. Nach einer scharfen Freistoßflanke aus halbrechter Position schließt Jensen per Direktabnahme sehenswert ab. Es ist erst eine knappe halbe Stunde gespielt, doch bereits jetzt scheint Næstved der Aufstieg nicht mehr zu nehmen sein. Von exorbitant großer Vorfreude ist um uns herum jedoch noch nichts zu spüren. Einzig und allein der Sandaletten-Hooligan atmet erleichtert auf – ich habe ihn nun schon seit 20 Minuten auf keinem einzigen Foto mehr verewigt.
In Folge werden die Gäste etwas aktiver, haben etwas mehr Ballbesitz, agieren offensiv aber doch einigermaßen brotlos. Die letzte Hoffnung auf einen erfolgreichen Spielausgang macht dann die Frau Schiedsrichterin in der Nachspielzeit der ersten Hälfte zu Nichte, indem sie Næstved einen kuriosen Elfmeter zuspricht: Gäste-Keeper Casper Radza hatte eine Flanke abgefangen und bei dem Versuch, den Abstoß aus der Hand auszuführen, einen im Weg befindlichen Næstved-Akteur bei Seite gestoßen. Eine Szene, die man in den Stadien dieser Welt sicher schon 1000 Mal gesehen hat – und nun hält Frau Christensen die Exklusivrechte daran, diese Allerweltssituation als Tätlichkeit zu werten. Den Strafstoß verwandelt Kasper Mertz per Lupfer in die Tormitte aufreizend lässig.
In der Halbzeitpause wechseln wir auf die gegenüberliegende Seite und nehmen auf einer der unzähligen grünen Sitzschalen Platz. Wir befinden uns nun in einer Art Inklusions-Fanblock und freuen uns, das Spiel gemeinsam mit enthusiastischen Fans mit Handicap erleben zu dürfen. Nachdem der dreimalige Nationalspieler der Färöer per Kopf aus fünf Metern mit seinem neunten Saisontreffer das Ergebnis auf 4:0 in die Höhe geschraubt hat, gerät eine Dame im Elektromobil in Ekstase. Der eh schon nahezu überkochenden Stimmung im Stadion verleiht sie mittels Dauereinsatz der Hupe zusätzliche Würze.
51 Minuten lang war Næstved die dominante Mannschaft. Zielstrebig. Überzeugend. Überlegen. Effizient. Genug getan. Nun trudelt das Spiel beinahe 40 Minuten lang ereignislos seinem Stimmungssiedepunkt entgegen. Als um 15.47 Uhr der Aufstieg feststeht und ein Großteil der Stadionbesucher eher desinteressiert die Anlage verlässt, nachdem man den Spielern in Aufstiegstrikots einen kleinen Applaus spendiert hat, ist der große Moment des Stadion-DJ gekommen. Mit „Samba de Janeiro“ (en baso, en bas, en bas, en baso!) und „Lambada“ versucht er den trägen Massen einzuheizen, ehe er mit dem deutschsprachigen Ballermann-Meisterstück „Geile Stimmung“ zum endgültigen Vergeltungsschlag ansetzt. Ich zitiere: „Und schon wieder geile Stimmung – schalala – alle klatschen in die Hände und wir feiern ohne Ende“. Ja, ne – ist klar. Da kann auch die behinderte Dame im Elektromobil nur den Kopf schütteln und schleunigst rückwärts ausparken. FUDU tut es ihr gleich und verlässt die Party etwas irritiert, aber schnellstmöglich.
Auf dem Weg zum Parkplatz wird ein kleiner furzender Junge noch eben schnell im Vorbeigehen zum Maskottchen von Middelfart ernannt und nur wenige Minuten später stehen die FUDU-Flaschen am sagenumwobenen Aussichtsturm in „Tuborg“-Flaschenform, den man 2017 noch verpasst hatte. Dieser ist heute jedoch verschlossen, sodass FUDU der sicherlich majestätische Blick auf die darunter befindliche Tankstelle verwehrt wird. Mit einem letzten „Faxe Kondi Booster“ im Gepäck geht es im Union-Volvo zurück nach Allerød, nicht ohne sich auf halber Strecke des Wildurinierens strafbar zu machen. Offentlig tisse: 750 DKK – pro Penis!
Das Wochenende lassen wir an der Dartsscheibe ausklingen, untermalt von dänischen Relegationspartien im Fernsehen und der Schocknachricht, dass sich „Lord“ Bendtner im Spiel seines Rosenborg BK in der Leistengegend verletzt hat und unter Tränen auf dem Rasen zusammengesackt war. Eine Teilnahme an der WM scheint nahezu ausgeschlossen und – wie das bei einem derart polarisierenden Spieler nun einmal der Fall ist – halb Dänemark weint, halb Dänemark verfällt in Jubel.
Am nächsten Morgen kutschiert mich das FUDU-Pärchen in aller Früh zum Lufthavn. Während die beiden noch einige Tage durch Schweden reisen werden, bin ich easyjet unheimlich dankbar, dass sie ausgerechnet auf der Rückseite des Sitzes vor mir davon abgesehen haben, für ihre aktuell gültige Bier-Rabatt-Aktion zu werben. Ich schaue mich um und scheine tatsächlich den einzigen Sitz erwischt zu haben, der nicht in Versuchung geführt wird. Sehr rücksichtsvoll, da ich mich leider nicht auf dem direktem Weg ins Trinkermilieu, sondern zur Arbeitsstelle befinde. Ach, es ist mal wieder an der Zeit, den Großraum Berlin zu verlassen und einen Ausflug zu unternehmen… /hvg
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