Posted on September 1, 2018
01.09.2018 VfB Eppingen 1921 – VfR Mannheim 1896 0:3 (0:1) / Hugo-Koch-Stadion / 130 Zs.
Am Freitagabend trifft eine kleine FUDU-Delegation am Flughafen Tegel aufeinander. Der dekadente Schwabe, der kurz vor seiner Weltreise steht, lässt sich heute zwei ostdeutsche Umzugshelfer einfliegen. Auf dem Parkplatz vor dem angebauten Billigfliegerterminal spendiert der Hoollege in Vorbereitung auf den kräftezehrenden Job eine Dose „Norrlands Guld“, die von einem seiner letzten Skandinavienurlaube den Weg nach Deutschland gefunden hat. Fähre Geste! Und während sich die beiden ungepflegten Ziehsöhne Klaus Zapfs das Feierabendbier schmecken lassen, sagt doch hier tatsächlich Reineke Fuchs freundlich guten Abend. Das ganze Ding schimpft sich zwar ‚innerstädtischer Flughafen‘, aber wie urban kann Reinickendorf schon sein, wenn das Wappentier am Airport spazieren geht…
Um kurz vor 23.00 Uhr landen wir sanft und sicher in Leinfelden-Echterdingen. Hier wird einem wenigstens keine große Stadt vorgegaukelt, sondern bereits ein Name gewählt, der so richtig schön nach Fuchs klingt – wenn nicht sogar nach Füchsen, wenn’s denn Rudeltiere wären. Unser Gastgeber öffnet zum Zwecke eines Absackers kurz darauf seinen gut gefüllten Trinkerschrank auf dem Killesberg, der in erster Linie so gut gefüllt ist, weil in diesem Haushalt keine Trinker leben, aber beide im Rahmen ihrer dienstlichen Tätigkeit immer und immer wieder mit promillehaltigen Geschenken bedacht werden. So kommt es, dass sich die beiden verlotterten Ziehsöhne Klaus Zapfs heute über eine vor sieben Jahren abgelaufene Dose „Laško“ aus Slowenien hermachen dürfen. Etwas trüb in der Färbung, etwas fad im Geschmack, etwas rumpelig im Abgang. Oder wie der geneigte RTL-Zuschauer von 2009 sagen würde: Schlägt ein wie die Faust Gottes.
Dennoch stellt es kein Problem dar, die Betten am nächsten Morgen ohne Folgeschäden zu verlassen. Geschickt verschlafen die beiden arbeitsscheuen Ziehsöhne Klaus Zapfs das Gröbste und so müssen wir nur noch wenige Kisten durch das Treppenhaus wuchten, um sie im Umzugswagen zu verstauen, ehe wir gänzlich Reißaus nehmen. Es darf dann doch lieber ein Abstecher in das 53 Kilometer entfernte Eppingen sein, wo heute in der Verbandsliga Nordbaden der VfR Mannheim zu Gast sein wird.
Im allseits geschätzten „Edeka“ vor der Haustür decken wir uns mit Proviant für die weite Reise ein und werden Ohrenzeuge einer Ansage, die für den weiteren Verlauf des Wochenendes zum geflügelten Wort werden wird. Der etwas schrullige Chef des Hauses hat zum Themenkomplex „Arbeit am Wochenende“ offenbar eine ähnliche Haltung wie FUDU entwickelt und weist so seinen HiWi in Anwesenheit der Kundschaft von oben herab zurecht: „Fangen Sie mit Wein an. Sie haben eine Stunde. Ich bin in der Pause!“
Am Stuttgarter Bahnhof begegnen uns erste VfB-Fans, die bereits früh am Morgen aus der Agglomeration Stuttgarts angereist sind, nur um ihren Club heute haushoch gegen Bayern München verlieren zu sehen. In Karlsruhe wimmelt es in der Straßenbahn, die uns nach Eppingen befördern wird, bereits von Schlachtenbummlern des SC Freiburg und der TSG Hoffenheim, die um 15.30 Uhr zum Bundesligaklassiker in Sinsheim aufeinandertreffen werden. In Eppingen („die Fachwerkstadt mit Pfiff!“) herrscht dagegen gähnende Leere und niemand, wirklich niemand scheint sich hier im Kraichgau für Fußball in den unteren Ligen zu interessieren. Naja, außer einige Verblendete, die die Straßenlaternen in Bahnhofsnähe mit KSC-Stickern verschandelt haben.
Für einen Besuch der sicherlich spektakulären Pilzsammlung sind wir leider 28 Tage zu früh dran und beschließen daher schweren Herzens, unsere kurze Sightseeing-Runde lediglich damit zu krönen, im „Ratskeller“ zu Eppingen unserer persönlichen Pilssammlung neue Exponate hinzuzufügen. Doch weit gefehlt – nur wenige Meter vom „Ratskeller“ entfernt wird das „Palmbräu“ gebraut, welches wir anno 2017 aus Versehen bereits in Firenze getrunken haben und heute somit bereits zum zweiten Male verköstigen. Später erfahren wir bei einer kurzen Brauereibesichtigung, wie es das für Eppinger Breitengerade eher untypische Tropengewächs zum Namenspatron des Bieres gebracht hat. Der „Zorn’sche Biergarten“ in unmittelbarer Nachbarschaft wurde im Volksmund „Palmengarten“ getauft, nachdem der Sohn des Firmengründers von seiner Wanderschaft in Italien Palmensetzlinge mitgebracht und im Biergarten angepflanzt hatte. Nach der Gründung des Gasthauses „Zur Palme“ wurde dann 1835 die Brauerei errichtet, um das hauseigene „Palmbräu“ brauen und verkaufen zu können. Eine Geschichte, strotzend vor Eppinger Epik… doch jetzt gilt es erst einmal dem Wirt „Auf Wiedersehen“ zu sagen: „Fangen Sie mit der Vorbereitung der Speisen an. Sie haben 90 Minuten. Wir sind auf dem Sportplatz!“
Der Sportplatz schimpft sich „Hugo-Koch-Stadion“ und fasst auf drei ausgebauten Tribünenseiten dank massiver Stehplatztraversen noch immer gut 10.000 Zuschauer. Der gemeine VfB-Fan ist einer soziologischen Studie zu Folge gleichzeitig Angela Merkel und Bayern München Unterstützer, worauf eine erlesene Schalparade an drei Eppinger Fenstern empirisch hindeutet. Es ist anzunehmen, dass auf der unausgebauten Längsseite, auf der sich heute nur noch ein Vereinsheim befindet, einst eine Haupttribüne gestanden haben muss. Die große Zeit des VfB Eppingen liegt etwas zurück. Noch heute erzählt man sich im Ort von der legendären DFB-Pokal-Saison 1974/75, in der man zunächst Röchling Völklingen und dann den großen Hamburger SV bezwang, ehe man gegen den SV Werder Bremen in der dritten Runde den Kürzeren zog. Während einige Quellen besagen, dass das größte Spiel der Vereinsgeschichte gegen den HSV im „Waldstadion / Kraichgaustadion Eppingen“ vor 15.000 Zuschauern ausgetragen wurde, ist der Austragungsort der Drittrundenpartie unbekannt. Auch die Frage, ob der VfB Eppingen die Zweitligasaison 1980/81 im „Hugo-Koch-Stadion“ bestritt, kann ich nicht mit Gewissheit beantworten. Es fühlt sich jedoch deutlich danach an, in einem Zweitligastadion der 80er-Jahre zu Gast zu sein und Gefühle sind ja manchmal schöner als Fakten. Ein Fakt z.B. ist, dass das Stadion seit dem 21.07.2018 „HWH-Arena“ heißt und mit einem Spiel zwischen der TSG 1899 Hoffenheim und den Queens Park Rangers eingeweiht wurde, was vom Vorsitzenden des VfB Eppingen wie folgt kommentiert wurde: „Eine bessere Werbung für den neuen Namen kann es gar nicht geben. Das ist eine tolle Sache für die Region“. Schöne neue Fußballwelt…
Der letzte Höhepunkt, den das „Hugo-Koch-Stadion“ erlebt hat, ist gerade einmal drei Tage her. Am Mittwoch gastierte der SV Waldhof Mannheim im Verbandspokal und immerhin 750 Zuschauer erlebten mit, wie sich der Underdog aus der Verbandsliga lange mit Händen und Füßen wehrte und letztlich nur knapp mit 0:1 unterlegen war. Heute befinden sich nur noch 130 Zuschauer im weiten Rund, dessen Rasen ordentlich gelitten hat. Fetti wedelt sich direkt am Spielfeldrand aus der Bügelglasflasche noch einen von der Palme, lässt sich die Sonne auf den Pelz scheinen und freut sich, dass einige Spieler des VfR Mannheim, die es heute nicht in den Kader geschafft haben, von der Tribüne aus ihre Mitspieler verhöhnen, wann immer diese einmal wieder ins Abseits gelaufen sind.
In den ersten Minuten agiert ausschließlich die Heimmannschaft, die in der 2. Minute mit 1:0 in Führung hätte gehen müssen. Nach einem langen Schlag entwickelt sich dank einer mehr als missglückten Abseitsfalle urplötzlich ein Zwei auf Null Angriff, den der Außenstürmer aber mit einem unfassbar schlechten finalen Querpass zu Nichte macht. Diese eine Situation fasst die Anfangsphase der lebhaften Partie recht gut zusammen, in der beide Mannschaften in den entscheidenden Momenten zu ungenau agieren, um den sich bietenden Raum effizient zu nutzen. Der VfR aus Mannheim stellt nach 26 Minuten den Spielverlauf etwas auf den Kopf und kann nach einem klaren Halten und Stoßen durch Sabah per Elfmeter in Führung gehen. Im Anschluss wird die Partie offener, Mannheim erhält etwas mehr Zugriff, bei Eppingen reißt der sprichwörtliche Faden. Die größte Chance lassen die Mannheimer nach 37 Minuten liegen, als Gessel nach einem starken Flankenlauf von Haffa in der Mitte grätschend nur knapp verpasst. Das letzte Ausrufezeichen setzen indes die Heimherren, doch Florin Pops satter Fernschuss springt von der Unterkante der Latte deutlich vor der Torlinie auf.
Im zweiten Spielabschnitt drängt Eppingen auf den Ausgleich. Nach 60 Minuten stehen bereits 2-3 gute Gelegenheiten auf dem Notizzettel, ehe den Hausherren nach dem kräftezehrenden Match gegen den Waldhof unter der Woche nach und nach die Kräfte schwinden. In der 68. Minute sitzt der erste Konter der „anderen“ Mannheimer – nach einer Mantel-Flanke nickt Haffa zum 0:2 ein. Eppingens Trainer Pfeiffer hat nach 75 Minuten bereits drei seiner vier Wechsel gezogen und dennoch kommen seine Jungs auch in Folge immer einen Schritt zu spät. Es tun sich unheimlich viele Räume auf, doch der VfR bleibt – ganz zur Freude der Spieler auf der Tribüne – zunächst Abseitsweltmeister. Dazu ist der eingewechselte Joseph Olumide (mit 36 Minuten Zweitligaerfahrung aus dem Jahr 2006) zu Späßen aufgelegt und geht immer wieder in den Trashtalk mit eben diesen pöbelnden Mannschaftskollegen. Nicht weniger schön ist das 0:3 in der 78. Minute durch Gessel, dem eine auf diesem Niveau beeindruckend gute Kombination vorausgegangen war und dann ist auch schon Feierabend im „Hugo-Koch-Stadion“.
Im „Ratskeller“ hat sich der Gastraum in der Zwischenzeit gut gefüllt. Mehrere Unterstützer der TSG Hoffenheim sind aus Sinsheim zurückgekehrt und hängen nun vor der „sky“-Glotze ab. Nach Blick auf ihre Handys ärgern sie sich im Austausch mit dem Wirt, dass Eppingen schon wieder verloren hat und geben Fachwissen über Trainer und Mannschaft Preis. Aber schön zu Super-Hoffe gurken, um sich im Hopp’schen Eventtempel bespaßen zu lassen, anstatt zum echten Fußball zu gehen. Dit ham wa jerne! Wir können uns aufgrund einer massiven Sprachbarriere allerdings nicht am Gespräch beteiligen („Hoppen gerne, Hopp, nein Danke!“) und werfen daher lieber einen Blick in die Speisekarte, die zu unserer Verwunderung traditionelle deftige deutsche Küche repräsentiert, aber auch Frühlingsrollen feil bietet. Unsere Bestellung von Schnitzel und Wurstsalat wird aufgenommen, jedoch nicht ohne Hinweis darauf, dass es mit der Zubereitung noch etwas dauern wird, da die Dame des Hauses und Königin der Küche noch nicht anwesend ist. Gut 20 Minuten später entert eine zierliche Asiatin den Laden, mehrere schwere Tüten schleppend, gibt dem gleichgültigen Wirt einen Kuss und verschwindet in der Küche. Frühlingsrollen und Schnitzel – Eppingen goes international! Und wir dürfen weiter herumalbern: „Fang mit dem Einkauf für’s Geschäft an. Du hast 30 Minuten. Ich häng vor’m Fernseher!“…
In der Stuttgarter „Seekneipe“ lassen wir den Abend gemeinsam mit unserem Gastgeber zum Schutze seines Reisebudgets preisbewusst ausklingen. Einen Großteil der Umzugskartons konnten im Laufe des heutigen Tages aus der Wohnung geschafft und an verschiedenen Orten der Stadt für ein Jahr untergestellt werden. Im Hintergrund läuft das Best-Of Baden-Württembergischer Popmusik – Fanta 4, Fool’s Garden, PUR, Liquido. Morgen steht noch etwas Arbeit an, doch die umtriebigen Söhne Klaus Zapfs werden andere Pläne verfolgen – es steht ein wichtiger Termin in Sandhausen an. Ein Ort, der mit Hoffenheim zumindest eines gemeinsam hat. Früher wäre hier kein Mensch freiwillig hingefahren, erst recht nicht wegen eines Fußballspiels. Oder, wie es ein alter Mann morgen in der Straßenbahn formulieren wird: „Ihr müsst unbedingt mal nach Eppingen. Ich war 1974 im Stadion, als sie gegen den HSV gewonnen haben!“
Ganz gleich, ob Pokalschlachten, Weltreisen oder ein schöner Tagesausflug ins „Hugo-Koch-Stadion“. Am Ende ist es immer die Erinnerung, die bleibt… /hvg
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