Posted on Januar 3, 2019
03.01.2019 Lincoln Red Imps FC – St. Joseph’s FC 1:3 (0:3) / Victoria Stadium / 89 Zs.
Die Nachricht schlägt ein wie eine Bombe, als der „Fackelmann“ irgendwann zwischen Porto und Lisboa verkündet, bei „BlaBlaCar“ hätte ein Michael eine Autofahrt von Faro nach Gibraltar am 03.01.2019 inseriert. Drei Mitfahrer zu je 23 € würden gesucht, Abfahrt um 13.00 Uhr, Ankunft in Gibraltar in einer anderen Zeitzone um ca. 19.00 Uhr, Anpfiff um 20.30 Uhr. Als bekennender Amaxophobiker bin ich im ersten Moment zwar nur mittelschwer begeistert, mich knapp sechs Stunden in das Auto eines fremden Menschen zu setzen und über iberische Autobahnen zu heizen, aber der „Fackelmann“ kann überzeugende Argumente liefern: Michael hätte ausschließlich gute Bewertungen, hätte auf Nachfragen sehr seriös und freundlich geantwortet und außerdem könnte ich nach wie vor darauf schwören, dass in der Küche einer unserer Ferienwohnungen der letzten Tage auch der Begriff „Arzt“ im Zusammenhang mit eben diesem Michael gefallen ist. In mir jedenfalls ist das Bild eines seriösen, mittelalten Halbgottes in Weiß gewachsen, der in Diensten der „Médecins Sans Frontières“ in Gibraltar gestrandeten Flüchtlingskindern medizinische Unterstützung leisten wird. So jemand wird uns hoffentlich sicher an unser Ziel bringen und wenn ein Reiseziel „höchste Priorität“ genießt, dann muss ich eben auch einmal Opfer bringen.
Um Punkt 13.00 Uhr finden wir Dr. Michael am Bahnhof von Faro vor. Unseretwegen ist er eigens mit dem am Flughafen abgeholten Mietwagen noch einmal in die Stadt gefahren, um uns den Weg hinaus zum Aeroporto zu ersparen. Michael steigt aus dem Fiat Panda, ist vielleicht Mitte 20 und Student aus Jena. Später will der „Fackelmann“ nichts mehr davon wissen, uns mit einer „Arzt-Argumentation“ in einen tückischen Hinterhalt gelockt zu haben. Doch Michael macht den ersten Schreck umgehend wieder wett. Sein Blick fällt auf meine kurze Hose, verziert mit dem Logo eines Coepenicker Fußballclubs und er kombiniert geschickt: „Ach, ihr wollt heute Abend auch das Spiel sehen?“
Hätte man auch selbst darauf kommen können. Jemand, der kurz nach Neujahr an einem Donnerstagmittag alleine von Portugal nach Gibraltar fährt. Kann ja eigentlich nur ein Hopper sein. Wir sind jedenfalls einigermaßen erleichtert, dass angesichts des etwas knappen Zeitfensters nun zumindest schon einmal gewiss ist, dass wir synchrone Zeitpläne und Vorstellungen über die angepeilte Ankunftszeit mit an Bord bringen. Unnötig lange Pausen wird es so mit Sicherheit keine geben und sollten die Autobahnen einigermaßen frei bleiben, steht dem heutigen Flutlichtspiel im „Victoria Stadium“ nichts mehr im Wege.
Wie man sich vorstellen kann, werden die kommenden Stunden überaus kurzweilig werden. Dank gemeinsamer Themen und Interessen reißen die Gespräche nicht ab und so bewegt man sich thematisch sicher auf einem Terrain, welches irgendwo zwischen dem „Mondpalast“ von Wanne-Eickel, Borussia Neunkirchen, Groundhopping in Transnistrien und der Architektur von Eishallen im Ruhrgebiet abgesteckt ist. Wir kommen zu meiner Freude nicht zu zügig, aber doch zügig genug voran und ehe man sich versieht, kann man durch die Windschutzscheibe auch bereits den ersten Blick auf den „Upper Rock“ werfen, der sich majestätisch am Horizont auftut. Später wird der „Hoollege“ zusammenfassen: Sicherer Fahrer, nur mit dem Abstand halten hatte er es nicht immer so. Sollte er lernen – könnte ja sein, dass er das irgendwann einmal im Alltag brauchen wird.
Michael parkt das Auto vor seiner Unterkunft auf spanischem Staatsgebiet ab, nimmt Kontakt mit dem Vermieter auf, organisiert sich seinen Schlüssel und steht nur wenig später wieder in der Spur, um gemeinsam mit uns fußläufig in Richtung Großbritannien aufzubrechen.
Das nächste Kapitel der Reise heißt demnach „Le Médecin et la Frontière“, nimmt jedoch nicht all zu viel Raum in dieser Erzählung ein. Mit der richtigen Staatsangehörigkeit, der richtigen Haut- und der richtigen Haarfarbe wird man an Grenzen eben immer schnell durchgewunken. Keine Ahnung, was an Rassismus jetzt immer so schlecht sein soll.
Gibraltar. Nun sind wir also endlich angekommen im High-Priority-Ziel dieser Reise und machen uns eben kurz schlau. Gibraltar wurde im Jahr 1704 von einer englischen Flotte erobert – angeblich während einer Siesta der spanischen Armee. Alte englische Männer amüsieren sich seit Generationen über die Mär vom spanischen Mittagsschlaf, während es spanischen alten Männern seit Jahrhunderten nach Rache dürstet. Lange Zeit war dieser uralte Streit zwischen den Völkern beinahe in Vergessenheit geraten, doch nun droht der schützende Kitt der EU zu bröseln. Großbritannien verabschiedet sich bekanntermaßen (so schnell wie eben möglich) aus selbiger und Spanien macht sich auf, alte Ansprüche auf den Felsen mit der strategisch wichtigen Bedeutung zwischen Atlantik und Mittelmeer, bzw. zwischen Europa und Afrika, neu zu stellen. Die Einwohner Gibraltars haben mit großer Mehrheit gegen den Brexit gestimmt, fühlen sich als Europäer, aber eben auch als Briten. Da wird noch eine Menge Arbeit auf Bürgermeisterin Kaiane Lopez zukommen. Ob die „Miss World“ von 2009 alte Männer gut um den Finger wickeln kann, vermag ich jedoch nicht zu beurteilen…
Auch wir erleben recht bald ein erstes Kuriosum des britischen Überseegebiets an der Südspitze der iberischen Halbinsel am eigenen Leib. Mehr oder minder direkt hinter der Grenze treiben einen Ordnungshüter an, nicht zu langsam spazieren zu gehen und bloß nicht anzuhalten. Der Grund ist einleuchtend, da man über die Landebahn des Flughafens laufen muss, um in das Stadtgebiet vordringen zu können. Mit nur 6,5 km² Landfläche ist eben nur wenig Platz vorhanden – da müssen sich Flugzeuge und Fußgänger schon einmal Wege teilen. Leider werden wir in den kommenden Stunden keinen Start oder Landeanflug und somit auch keinen beherzten Einsatz der „Bobbys“ aus nächster Nähe miterleben dürfen, die hier für die nötige Sicherheit sorgen sollen, damit niemand über den Haufen geflogen wird. Was uns jedoch bleibt, ist ein wunderschöner Ausblick über die Landebahn, hinein in die Abenddämmerung und das „Victoria Stadium“. Da musste sich Fetti einfach kurz den Anordnungen widersetzen, stehen bleiben und ein Foto schießen. Excuse me, Officer!
Wir verabschieden uns vor einer Bar namens „Bruno’s“ von Michael und versprechen ihm, ihn dort wieder einzusammeln, sobald unser Check-In im „Hotel Bristol“ erfolgreich abgeschlossen worden ist. Unwesentlich später stehen die drei FUDU-Schweine in einer mondänen Lobby eines englischen Herrenhauses. Frisch gelandet im Rosamunde-Pilcher-Setting legt Lord Torchman umgehend den „travelodge“-Seidenschal um und das Fußvolk richtet die „Adelskronen“. Auch unser Zimmer, welches wir noch in Portugal online gebucht hatten, besticht durch Echtholz und dunklem Leder und scheint seine 105 £ für eine Nacht zumindest annähernd wert zu sein. FUDU war sich natürlich bewusst, dass zwischen den Urlauben in Portugal und Spanien ein Aufenthalt in England bevorsteht (→ „höchste Priorität“) und so führt man weltmännisch geschickt hier gültiges Bargeld mit sich. Womit allerdings niemand rechnen konnte, ist die bemerkenswerte Detailverliebtheit der Briten, die hier wirklich jeden cm² als ‚England‘ verkleidet haben und im Hotel „natürlich“ Steckdosen des „Typ G“ verbaut haben. Einen Adapter hat von uns bedauerlicherweise niemand dabei und so werde ich meinen Laptop leider nicht zur Planung der weiteren Reise benutzen können und auch aus der Knipse werde ich im Verlauf des Abends wohl nicht mehr all zu viele Bilder herausgequetscht bekommen. Tröstlich, dass die Inselaffen wenigstens am guten Wetter Gibraltars nichts rütteln konnten und so geht es bei recht milden Temperaturen dünnbejackt zurück in Richtung „Bruno’s“.
Hier bleibt gerade noch genügend Zeit, um Michael ein Lager am Tresen zu spendieren und schon geht es hinüber in das 700 Meter entfernte „Victoria Stadium“ in der Winston Churchill Avenue. Die Stadiontore stehen offen, ein Eintrittsgeld wird nicht verlangt. Dies hat leider zur Folge, dass man keine Eintrittskarte als Souvenir erhält, auf der anderen Seite sind wir aber auch recht froh, nicht Gefahr zu laufen, mit irgendwelchen Ordnern oder Polizisten in Diskussionen zu geraten. Der überdimensionale Schlüsselanhänger des „Hotel Bristol“ könnte jedenfalls locker als Totschläger durchgehen und in körperlichen Auseinandersetzungen mit gibraltesischen Hooligans geschickt als Waffe eingesetzt werden.
In einer Liga, in der jeder jeden schlagen kann, trifft heute der Tabellenzweite auf den Dritten. Beide Mannschaften konnten zuletzt fünf Siege in Serie einfahren. Es ist Donnerstagabend, englische Woche, Flutlichtatmosphäre. Das Stadion fasst auf zwei Tribünen auf den Längsseiten 5.000 Zuschauer und bietet einen durch die Dunkelheit getrübten Blick auf den „Upper Rock“ im Hintertorbereich. 89 Zuschauer sind in die Arena geströmt, um das Spiel der „First Division“ der „National League“ erleben zu können. Auf dem benachbarten Flughafen startet eine Boeing der „Easyjet“ inmitten der just in diesem Moment begonnen Schweigeminute im Stadion die Maschinen. Kurz nachdem dieses bizarre Schauspiel zu Ende gegangen ist, wird die Partie auch schon eröffnet.
Auf dem Platz ist Spanisch die Amtssprache und somit dafür Sorge getragen, dass es sich in den kommenden 90 Minuten wieder etwas weniger nach England anfühlen wird. Nach 13 Minuten vergibt der Spieler mit der Nummer 99 der Heimmannschaft, der auf dem offiziellen Spielberichtsbogen nicht erscheint, die erste gute Gelegenheit. Wer weiß, in welches Wespennest voller Skandale FUDU hier wieder stoßen würde, aber eine weitere Verfolgung dieser Ungereimtheit wird nicht nötig sein: Nach 18 Minuten trifft Domingo Ferrer Lopez per sattem Dropkick von der Strafraumkante, knappe zehn Minuten später legt sich Red Imps Keeper Lolo Soler Ortuño ein schönes krummes Ecken-Ei mit Windunterstützung selbst ins Nest. Der Frust hierüber sitzt tief und Joseph Chipolina kann von Glück reden, dass er nach einem heftigen Ellenbogenschlag in der 33 Minute mit einer gelben Karte davonkommt, während sich die etatmäßigen Gäste anschicken, das Ergebnis weiter in die Höhe zu schrauben. Zwei Mal scheitert Juan Francisco „Juanfri“ García Peña aus höchst aussichtsreichen Positionen, ehe John Paul Duarte nach 44 Minuten am langen Pfosten völlig freistehend zum 0:3 einschiebt. St. Joseph’s wird den grünen Tisch also aller Voraussicht nach nicht benötigen und als sportlicher Sieger der Partie hervorgehen. Sensationell. Mit so einem Spielverlauf hätte in ganz Gibraltar niemand gerechnet!
In der Halbzeitpause entern wir die Stadionkneipe, in der Liverpool gegen Manchester City im Fernsehen läuft und in der sich aus selbigem Grund womöglich etwas mehr Zuschauer als auf den Tribünen befinden. Bei der Bestellung einer weiteren Runde Stadionbier fällt der prozentual hohe Anteil deutscher Hopper auf (Länderpunkt!) und so lassen wir „Premier League“ und Kneipe schnellstmöglich hinter uns, um uns wieder echtem Fußball auf Kunstrasen zuwenden zu können.
Viele deutsche Hoppertrottel werden auf die zweite Hälfte verzichten und lieber in der Gaststätte verweilen. Diese „45-Minuten-reichen-für-das-Kreuz-Mentalität“ wird FUDU wohl nie akzeptieren können und so erfreuen wir uns lieber über das Anschlusstor des Red Imps FC in der 58. Minute. Nach einer Ecke steht Chipolina goldrichtig und nickt zum 1:3 ein, womit die Kneipen-Elite ein Tor eines gibraltesischen Volkshelden verpasst hat. Chipolina war es nämlich, der mit seinem Elfmetertor am 13.10.2018 gegen Armenien für den ersten Pflichtspielsieg seiner Nation sorgte. Nur drei Tage später gelang ihm in der Gruppe D der „Nations League“ beim 2:1 Triumph über Liechtenstein ein weiterer Treffer und so wird es sicherlich das eine oder andere rauschende Fest rund um den Affenfelsen gegeben haben. Heute gibt es für Chipolina jedoch keinen weiteren Grund zum Jubeln. Die Hoffnung, das Spiel noch drehen zu können, stirbt von Minute zu Minute und spätestens eine Viertelstunde vor Ende der Partie ist die Luft raus. St. Joseph’s ist der strahlende Sieger des Abends. FUDU verabschiedet sich von Michael und startet den abendlichen Streifzug durch Gibraltar auf der verzweifelten Suche nach Nahrung.
Nach einem langen Reisetag hängen die Mägen in den Kniekehlen und das letzte Bier im Stadion wäre vielleicht auch nicht unbedingt nötig gewesen. Bistros und Restaurants haben bereits geschlossen und Fetti sieht sein Borstenkleid bereits davonschwimmen, als sich plötzlich eine Hotelbar als Retter in der Not auftut. Vier Lobby-Musiker spielen für acht Gäste, es gibt Lager vom Fass und eine Küche, die sich immerhin bereiterklärt, uns noch eine Pizza zu kredenzen. 20 Minuten später stehen drei Tiefkühlpizzen zu je 9,50 £ vor uns. Immerhin hat ein Dienstleister vor dem Erwärmen die Folie für uns entfernt und auch der „Smooth Jazz“ im Hintergrund wertet das Fertigprodukt natürlich enorm auf. Zufriedenstellend gesättigt kommt es zwischen dem „Hoollegen“ und dem Kellner zu einem Missverständnis und gegen unseren Willen wird eine zweite Runde Lager serviert. Der „Bierunfall von Gibraltar“ wird in die Geschichte eingehen und leider auch dafür sorgen, dass wir am nächsten Morgen etwas schwerer aus den Betten kommen werden, als erhofft…
… aber FUDU bleibt diszipliniert! Vor unserer Weiterreise nach Spanien steht heute natürlich noch ein Stadtbummel und ein Ausflug auf den „Upper Rock“ auf dem Programm. Für sportliche 14 £ befördert eine Seilbahn den geneigten Touristen hinauf auf den Affenfelsen. Bereits dank des Ausblicks auf das Stadtgebiet und den Ozean hat sich die Investition aber bereits amortisiert und spätestens, wenn einem der erste Makake begegnet, hat sich die Zahlung vollends gelohnt. Auf dem Kalksteinfelsen leben in etwa 250 Berberaffen, die zu einer Art Nationalsymbol geworden sind und beispielsweise auch die gibraltesischen Pfundmünzen und Geldscheine zieren. Die Affen laufen hier frei herum und sind dafür bekannt, dem unvorsichtigen Touristen gerne mal in die Extremitäten zu beißen und Mütze, Hüte und Snacks zu stehlen. Wer den Unterschied zwischen im Zoo gehaltenen Tieren und wildlebenden Affen nicht versteht, muss ihn halt fühlen. Es wird gemutmaßt, dass die Affen ursprünglich aus Marokko stammen und während der arabischen Herrschaft in Südspanien (711 bis 1492) angesiedelt worden sind. Als der Affenstamm wegen Inzucht zu kränkeln begann, importierte Winston Churchill neue Berberaffen und rettete so den Bestand. Wäre ja vielleicht auch mal ein Denkansatz für Sachsen – wer zu lange auf nur einem Felsen schnackselt, braucht eben Hilfe von Außen…
So viele Affen hat man fernab der Warschauer Straße jedenfalls noch nie gesehen, sodass auch ich als nicht unbedingt bekennender Tierfreund am Ende des Tages von den gesammelten Eindrücken begeistert sein werde. Für einen gelungenen Gibraltar-Abschluss kehren wir routinemäßig in einem Pub ein und lassen uns am späten Nachmittag British Breakfast, Steak und Jacked Potato schmecken. Das ganz dezent weihnachtlich geschmückte Ambiente lässt unsere Herzen höher schlagen – zwischen den Jahren wenigstens einmal kurz in Great Britain gewesen zu sein, ist unter dem Strich doch auch nie ganz verkehrt gewesen. Der „Hoollege“ fälscht zum Zwecke der Kreditkartenzahlung noch eben schnell erfolgreich die Unterschrift seiner Frau und schon werden wir wieder zu Grenzgängern.
In La Línea de la Concepción wartet auf spanischer Seite ein Taxifahrer förmlich darauf, uns zum 12 Kilometer entfernten Bahnhof „San Roque – La Línea“ befördern zu können. Schnell sind in einem nahe gelegenen Kiosk kleinere Getränkevorräte gehamstert worden und Fetti und seine Freunde sitzen tiefenentspannt in der Sonne am Abfahrtsgleis, voll der Vorfreude auf eine gemütliche Zugfahrt nach Granada. Na, dann mal auf nach Randalusien! /hvg
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