870 870 FUDUTOURS International 10.11.24 00:28:07

25.08.2019 FSV Spandauer Kickers – Füchse Berlin Reinickendorf 2:6 (1:2) / Sportanlage Staaken-West / 77 Zs.

Sonntag, 7.58 Uhr. Der ICE689 rollt aus Augsburg kommend nach neuneinhalb Stunden Fahrt am Berliner Hauptbahnhof ein. Nach einer wenig komfortablen Nacht auf ICE-Teppich quält sich Fetti aus dem Fernverkehrsmittel und blickt dennoch wohlwollend auf die vergangenen Stunden zurück. Das erste Auswärtsspiel des 1.FC Union Berlin in der Fußball-Bundesliga wäre also absolviert und dank eines späten Tores von Sebastian Andersson auch direkt der erste Bundesliga-Punkt der Vereinsgeschichte eingefahren. Fetti, Fans, Spieler, Trainerteam und der rumänische Kassenwart – alle zeigen sich gleichermaßen zufrieden mit diesem Saisonauftakt. Letzterer hatte vor dem Spiel das Motto „Der erste Versuch ist frei!“ ausgerufen und dank einiger gesammelter Bahnpunkte zwei Freifahrten für Fetti organisieren können. Ein Mal bayrisch Schwaben hin und zurück für 0 € – das muss gefeiert werden!

Zu diesem Zwecke gilt es, sich nach Ankunft in Berlin nicht zu lange auf die faule Haut zu legen, sondern sich direkt wieder in Bewegung zu setzen. König Fußball bittet bei strahlendem Sonnenschein zum Tanz. Klar, dass sich Fetti da nicht zwei Mal auffordern lässt, auch wenn seine körperliche Konstitution nach der nächtlichen Ochsentour quer durch Deutschland (Hat von Euch schon mal jemand in einem ICE gesessen, der in GÜNZBURG gehalten hat???) etwas zu wünschen übrig lässt. Naja. Für die „SpaKi-Arena“, wie der Platz von den Kickers wahrhaftig genannt wird, wird’s schon reichen…

Damit sich zwischen Ankunft und Abfahrt auch ja keine unnötige Frische einstellen kann, werden die Heimspiele der 1975 gegründeten Spandauer Kickers in dieser Spielzeit bereits um 12.30 Uhr angepfiffen. So müssen unsere beiden tapferen Auswärtsschweine (platt wie’n Schnitzel) aus dem Hause FUDU-Tours also schon um 11.00 Uhr am Ostkreuz bereitstehen, um dieses neue Abenteuer erleben zu können.

Keine 30 Minuten dauert die Regionalbahnreise in das westliche Ende der Stadt und schon kann man einen verträumten Blick auf das Rathaus Spandau werfen. In genau diesem Moment fährt ein Shuttlebus zum sagenumwobenen Trödelmarkt im Havelpark Dallgow-Döberitz vor. Es ist wohl die letzte Chance für heute, aus seinem Tag noch etwas sinnvolles herauszuholen, doch FUDU lässt diese sich bietende Gelegenheit nahezu gleichgültig verstreichen. Lieber sechste Liga in Staaken bei Spandau bei Berlin, als für „Bares für Rares“ nach ollen Punzen suchen.

Mit genau dieser festen Entschlossenheit ist kurz darauf auch der „M32“ in Richtung Staaken bestiegen. Die Adresse der „SpaKi-Arena“ (Brunsbütteler Damm 441) deutet bereits darauf hin, dass hier unter Umständen nicht die spannendste Busfahrt aller Zeiten bevor stehen könnte. Nach genau einmal abbiegen ist der Metrobus dann auch in der Tat bereits auf eben jenem Damm angekommen, um in Folge 14 Minuten lang stoisch auf ein und derselben Straße schnurstracks geradeaus zu fahren. Dort, wo die vierspurige Straße dann urplötzlich irgendwo im Nirgendwo auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Staaken endet, es nur noch Wendeschleife, Wiese und ein verfallenes Krankenhaus zu sehen gibt, muss man dann etwas verwundert aussteigen. Irgendwann einmal wird der Brunsbütteler Damm sicherlich bis zur brandenburgischen Landesstraße 20 verlängert werden, aber was seit 1990 nicht vorangekommen ist, kann ja ruhig auch noch etwas liegen bleiben. Kann ja nicht jeder so zielstrebig sein, wie unsere beiden unausgeschlafenen FUDU-Schweine, die es im Namen des Heiligen Kreuzes pflichtbewusst pünktlich nach Staaken hinaus geschafft haben und die es nun – nachdem man horrende 6 € für eine Eintrittskarte berappt hat (Kassenhaus geschlossen, aber die Hoffnung währte nur kurz!) – selbstredend direkt in das „SpaKi’s Inn“ zieht. Da gibt es kein Vertun.

„Unser Wirt Ghassan ‚Gasko‘ Almasalme bedient sie gern“, steht auf der Website der Spandauer Kickers geschrieben. Nun, dann muss „Gasko“ heute wohl einen ziemlich schlechten Tag erwischt haben. Anders ist es jedenfalls nicht zu erklären, warum er in seiner Muttersprache am Handy ein Streitgespräch führt und parallel dazu schlechte Stimmung im Gastraum verbreitet. Den ersten Kunden hat er bereits abgewatscht, ehe wir an der Reihe sind. Nachdem wir zwei Bier bestellt haben, flucht „Gasko“ am Telefon beherzt weiter und stellt uns dann drei frisch Gezapfte mit jeder Menge Schaum bereit, die er nun abzukassieren gedenkt. Der Umstand, dass wir uns lediglich bereiterklären, 2/3 hiervon zu bezahlen, dürfte seine Laune kaum heben und auch das Telefonat scheint nicht zu seiner Zufriedenheit zu verlaufen. Unter neuerlichen Schimpftiraden verlassen wir die Gaststätte und nehmen, ohne die nachfolgenden Kunden zu warnen, Platz auf einer der grünen Schalensitze auf der ausgebauten Geraden.

Seit 1996 sind die Kickers, die vorher im Helmut-Schleusener-Stadion zu Hause waren, in Staaken-West heimisch und hier des Öfteren auf dem Kunstrasen-Nebenplatz aktiv. Aber an diesem sonnigen Sonntag ist FUDU zu Gast, da kann man zur Feier des Tages getrost auf dem Naturrasen zum Heimspielauftakt der Berlin-Liga-Saison 2019/20 bitten. Wobei unsere Feinde womöglich ins Feld führen würden, dass dies weniger unseres Besuchs geschuldet ist. Nebenplatz 1 ist aufgrund von Sanierungsarbeiten bis einschließlich 28.08. gesperrt, der zweite Nebenplatz (in Planung/Bau seit 2015) aufgrund von gefundenen „Altlasten“ auf dem einstigen Flughafenareal und der notwendig gewordenen Umsiedlung von Zauneidechsen noch nicht ganz fertiggestellt. Dauert eben alles ein wenig in Staaken-West…

Spandaus Trainer Lukasz Lach (Spoiler: Wird heute wenig zu lachen haben) hat im Vergleich zur Vorwoche auf drei Positionen Veränderungen vorgenommen – anstelle von Erman, Pfingst und Riedel stehen Schultz, Ehm und Draeger in der Startformation. Was natürlich auch bedeutet, dass FUDU erneut in den Genuss kommt, Jesucristo Kote Lopéz beim Fußballspielen zuschauen zu dürfen. Soviel sei vorweggenommen: In den kommenden 90 Minuten wird der Superstar aus Äquatorialguinea keine tragende Rolle spielen.

Den ersten Akzent der Partie setzt Spandaus Dominik Dampke, der um ein Haar von einem Missverständnis zwischen Füchse-Keeper Hahn und seinen Vorderleuten profitieren kann. Kurz darauf dreht sich Engst gekonnt mit Ball unter der Fußsohle in den Füchse-Strafraum ein und wird relativ resolut umgeknüppelt. Sicherlich mag sich kein Abwehrspieler der Welt derart vorführen lassen und sicherlich ist es von Nöten, dann und wann ein Zeichen gegen solch überhebliche technische Sperenzchen zu setzen – womöglich ist der Zeitpunkt aber falsch gewählt, wenn man sich gerade im eigenen Sechzehner befindet. Den fälligen Elfmeter verwandelt Okan Tastan sicher, der Reinickendorfer Knüppler kommt zur Überraschung aller ohne gelbe Karte davon.

Die Antwort auf dem Platz geben die Füchse lediglich zwei Minuten später. Eine Ecke von Adigüzel segelt durch den Kickers-Strafraum, in dem niemand ernsthafte Anstrengungen unternimmt, zum Ball zu kommen. Bis auf Leonard Kirschner, der gefühlt als einziger in der Luft steht und somit beinahe unbedrängt zum 1:1 einköpfen kann (12. Minute).

Abermals vergehen nur fünf Minuten, bis die Partie den nächsten Höhepunkt zu bieten hat. Nach einem schnell vorgetragenen Angriff über die rechte Flanke und einem mustergültigen Pass in den Rücken der Abwehr steht Maik Haubitz, der mit Regional- und Oberligaerfahrung in dieser Saison zu seinem Jugendverein zurückgekehrt ist, vollkommen blank, jagt den Ball aus fünf Metern Torentfernung aber in die Staakener Wendeschleife. Oder, wie es der Senior hinter uns treffend formuliert: „Wenn er die einfachen auch noch machen würde, würde er wohl nicht bei den Füchsen spielen!“.

In der Trinkpause hat das Schiedsrichterkollektiv den größten Redebedarf. Während sich sowohl die Spandauer als auch die Reinickendorfer mit der ersten halben Stunde des Spiels recht zufrieden zeigen, müssen Referee Arwin Archut und seine Assistenten Kralisch und Trapp-Staack erste Unsicherheiten in der Spielleitung nachbesprechen. Derart selbstreflektiert kennt man ja sonst nur Fetti und seine Freunde, die just in diesem Moment selbstverliebt feststellen, dass die Entscheidung gegen den Trödelmarkt die einzig richtige gewesen war. Nur gute Leute bei FUDU-Tours!

Unmittelbar im Anschluss an die Trinkpause lässt Spandaus Nationalspieler „Jhony“ im gegnerischen Strafraum alle alt aussehen. Im Stile der legendären „Okocha-Szene“ liegen bereits mehrere Füchse-Verteidiger hilflos am Boden und krabbeln dem Ball mit Knoten in den eigenen Beinen nur noch hinterher, doch „Jhony“ schlägt noch einen Haken und noch einen und verpasst letztlich den Moment, um diese fantastische Aktion zu einem krönenden Abschluss zu bringen.

Es soll der letzte Aufreger der ersten 45 Minuten bleiben, die zwar einige Highlights zu bieten hatte, in erster Linie aber aufgrund unzähliger technischer Unzulänglichkeiten beider Mannschaften, vieler Unterbrechungen und vor allen Dingen wegen der Unruhe von Außen nie richtig ins Rollen gekommen war. Man darf gespannt sein, in wie weit sich die beiden Trainerteams und Fanlager hier in der zweiten Halbzeit noch in die Haare kriegen werden…

In der Halbzeit bedient uns Ghassan „Gasko“ Almasalme genauso gern, wie vor dem Spiel. Dem Ansturm der 77 durstigen Zuschauer kann er zwar nicht gänzlich gerecht werden, findet aber immerhin eine kreative Lösung, indem er die halbvollen, gezapften, abgestandenen Schaumbierbecher einfach mit Flaschenbier auffüllt. Macht natürlich trotzdem 2,50 € – und wieder ist irgendwo ein Biergourmet gestorben…

Der zweite Abschnitt startet mit einem Paukenschlag. Eine Flanke aus dem Halbfeld, so schön wie der Name des Flankengebers (Josué Moy De Almeida), übertrölpelt die noch unsortierte SpaKi-Defensive. In der Mitte steht Maiks älterer Bruder Steven Haubitz goldrichtig und kann den Ball per Kopf zum 1:2 verwerten. Oder, wie es der Senior hinter uns treffend formuliert: „Wir wollen uns ja bald in FC Haubitz umbenennen!“.

In der 52. Minute ist es dann soweit und die Umbenennung nimmt langsam Formen an. Abermals stellt eine simple Füchse-Ecke Spandaus Defensive vor unlösbare Probleme. Dieses Mal wird Maik Haubitz sträflich allein gelassen, der sich solche Gelegenheiten natürlich nicht (oder nur selten, s.o.) entgehen lässt.

Die Vorentscheidung fällt nur sieben Minuten später. Wieder Ecke von Adigüzel, wieder Kopfball, wieder Haubitz, wieder Tor. Saisontor Nummer 4 an Spieltag Nummer 3 für Maik Haubitz! Wer Standardsituationen so verteidigt, der muss sich wahrlich nicht wundern, dass er nach 60 Minuten gegen den „FC Haubitz“ mit 1:4 hinten liegt…

Vielleicht haben wir die Spandauer Kickers aber auch zu früh abgeschrieben. Gerade einmal 120 Sekunden später stellen diese nämlich unter Beweis, dass auch sie in der Lage sind, gefährliche Ecken zu treten. Okan Tastan gelingt in der 62. Spielminute jedenfalls ein besonders ansehnliches Exemplar. Sein Versuch von der Eckfahne landet ohne Umwege im Dreiangel – eine direkt verwandelte Ecke in der Berlin-Liga hätte uns sicherlich die Schuhe ausgezogen, wenn wir dies angesichts der hochsommerlichen Temperaturen nicht bereits freiwillig getan hätten.

Vielleicht haben wir die Spandauer Kickers aber auch zurecht abgeschrieben. Gerade einmal vier Minuten später stellen diese nämlich unter Beweis, dass sie nicht in der Lage sind, Maik Haubitz zu verteidigen. Trotzers Abschluss kann Spandaus Keeper Badran noch gerade eben so per Glanzparade an den Pfosten lenken, doch Haubitz staubt mit sehenswertem Flugkopfball zum 2:5 ab (66. Minute).

Nun könnte sich das Spiel endlich einmal beruhigen. 2:5 und nur noch knappe 25 Minuten zu spielen. Kein Grund, für das Trainerteam der Füchse und den mitgereisten Anhang, einen Gang zurückzuschalten. Erst holt sich Coach Thielecke nach einer belanglosen Schiedsrichterentscheidung im Mittelfeld eine gelbe Karte wegen Meckerns ab, dann kommt es auf den Traversen beinahe zu Handgreiflichkeiten zwischen den Füchse-Fans und einem Mitglied aus dem SpaKi-Staff, der das gesamte Spiel über hinter der Kamera gestanden und das Defensiv-Dilemma seiner Mannen gefilmt hatte. Glück für den Reinickendorfer Mob, dass der Videoanalyst offenbar noch keine Zeit gefunden hat, sich die eine oder andere Eckensituation in Ruhe anzuschauen. Sonst wäre die Wut wohl groß genug gewesen, um eine schlagkräftige Antwort auf das primitive Gepöbel zu finden…

Den Schlusspunkt hinter diese vogelwilde Partie setzt dann der eingewechselte Mert Bulut, der nach einem fulminanten Alleingang erst an Badran scheitert, den Abpraller aber selbst zum 2:6 verwerten kann. Spiel, Satz und Sieg für die Füchse in Minute 88!

Nach dem Spiel erinnere ich mich plötzlich daran, dass es in Staaken auch einen Bahnhof gibt, in dessen Nähe sich eine kleine Gaststätte befindet. Wohl dem, der dieses verlassene Fleckchen Erde bereits einmal ausgekundschaftet hat und da wäre es doch gelacht, wenn man für die Rückfahrt in die große Stadt zwingend nochmals auf den Dorfbus zurückgreifen müsste. Eine kurze Recherche ergibt, dass bis zum „Grenz-Eck“ gerade einmal 1,3 Kilometer zurückzulegen sind und schon schlüpfen die beiden FUDU-Schweine topmotiviert in ihre Schlappen..

Gegen 14.30 Uhr ist das verheißungsvolle Lokal erreicht. Der Sonntags-Brunch ist glücklicherweise um 13.00 Uhr zu Ende gegangen, der Laden angenehm leer, die Terrasse sonnig und der heutige Mittagstisch verspricht Sauerbraten mit Rotkohl und Kartoffeln für 7,90 €. Alles richtig gemacht, möchte man meinen, doch da hat FUDU seine Rechnung ohne West-Staaken gemacht. „Tut mir leid, Essen ist ausverkauft, hier kommt man um 12.00 Uhr zum Mittag“, weiß die Kellnerin die spießigen Spielregeln gekonnt zusammenzufassen. Hätten sie das Spiel um 10.00 Uhr angesetzt, hätten wir alles geschafft. Aber so endet das Abenteuer Berlin-Liga dieses Mal mit knurrenden Mägen und der Gewissheit, dass die Bahnfahrt nach Hause wenigstens nicht wieder neuneinhalb Stunden dauern wird… /hvg

17.08.2019 Berlin United FC – FSV Spandauer Kickers 1:2 (0:1) / Sportanlage Westend / 60 Zs.

Stefan Teichmann ist nicht nur Architekt und Immobilienmakler, sondern auch Visionär und bodenständig. Seit anderthalb Jahren investiert er viel Zeit und Geld, um Berlins Fußball-Landkarte endlich um einen Verein zu bereichern, der Hertha BSC und dem 1.FC Union Berlin in naher Zukunft das Wasser abgraben kann. Den „Club Italia 1980 Berlino“ hatte er im vergangenen Sommer in „Berlin United FC“ umbenannt und als erste Maßnahme einer fancy New Yorker Agentur die Domain der neuen Club-Website abgekauft. Öffentlichkeitswirksam wurde kolportiert, dass der kommende Big Player des NOFV hierfür stolze 1.500 € aus dem Ärmel schütteln konnte – nicht schlecht für einen Siebtligisten, dessen Konkurrenz für ähnliche Summen womöglich die gesamte Spielzeit durchfinanzieren musste.

Der Aufstieg mit Thomas „Icke“ Hässler an der Seitenlinie gelang in Folge mit spielerischer Leichtigkeit. Klar, dass es da nicht lange auf sich warten ließ, bis sich der Clubeigner mit seriösen Entwicklungsplänen an die Öffentlichkeit wandte, um Sponsoren für die Berlin-Liga mit kühnen Visionen zu ködern.

Nun ist also zu lesen, dass der Berlin United FC bis 2025 Aufstiege bis in die 3. Liga anpeilt, um 2026 in die zweite aufzusteigen und spätestens 2031 erstklassig spielen zu können. Und wenn man da schon einmal angelangt ist, dann kann man natürlich für die Spielzeit 2033/34 auch direkt das Ziel mit ausrufen, in der Champions League mitmischen zu wollen. Im eigenen Stadion – mit einer defensiv geplanten Kapazität von 80.000 – das bis dahin sicherlich irgendwo auf Berliner Stadtgebiet einen Platz gefunden hat. Bei erwarteten 100.000 Mitgliedern zu diesem Zeitpunkt dürfte es jedoch sehr schwer werden, dann auch Eintrittskarten für die Topspiele zu erhalten. Haben wir hier etwa einen ersten kleinen Planungsfehler von Herrn Teichmann offen gelegt?

Vermutlich hat jeder erwachsene Mensch, der sich im Vollbesitz seiner geistigen Fähigkeiten befindet, an dieser Stelle bereits Bauchschmerzen, während jeder Fußballfan, der in seiner Jugend steile „Anstoß 3“-Karrieren hingelegt hat, vielleicht auch ein wenig Empathie für Stefan T. empfindet. Hat ja damals schließlich auch geklappt – mit Pulle Pfullendorf und 120.000 enthusiastischen Fans im Rücken ganz Europa erobern!

Ferner moniert Teichmann, dass man in Madrid und Paris nur Kopfschütteln ernten würde, spräche man dortige Fußballfans auf „Hertha“ an. Andersherum würden aber etliche Berliner Kinder mit Paris St. Germain- oder Real Madrid-Klamotten über die Schulhöfe schlendern. Es sei endlich an der Zeit, eine Fußballmarke zu etablieren, die man europaweit mit der Hauptstadtregion in Verbindung bringen und stolz zur Schau tragen würde. Hierfür ist Berlin allein aber nun wirklich viel zu klein, weswegen Teichmann, der Fuchs, nicht nur die stinkende Hauptstadt, sondern auch noch die gesamte tote Region drumherum emotional mit ins Boot holen mag, um das große Projekt mit viel Rückenwind anzuschieben. Nur folgerichtig also, dass das neu geschaffene Vereinslogo nicht nur der Berliner Bär, sondern auch der stolze Brandenburgische Adler ziert.

Bei FUDU schlägt diese Marketingkampagne jedenfalls ein wie eine Bombe. Nachdem man den ersten Spieltag der Berlin-Liga (United siegte auf dem Weg in die Champions League mit 2:1 bei Eintracht Mahlsdorf) aufgrund des Pokalspiels des 1.FC Union in Halberstadt noch verpasst hatte, gibt es nun kein Halten mehr. Wir (ich aus Berlin kommend, er aus Brandenburg – Teichmanns Plan geht voll auf!) müssen dringend auf die „Sportanlage Westend“ – bevor hier das große Bundesliga-Tamtam angekommen oder der Verein in die Insolvenz geschlittert ist!

Nun sind wir also angesichts der seltsamen Anstoßzeit von 14.15 Uhr um 13.40 Uhr am S-Bahnhof Westend verabredet, was für mich alten Autisten, der sich unheimlich gerne zur halben oder vollen Stunde trifft, schon einmal schwer auszuhalten ist. Noch größer ist dann die Hürde, in Westberlin lebend über die Straße zu kommen. Ein Hoch auf die Verkehrsplaner der 60er-Jahre, die auch hier vergessen haben, dass Menschen manchmal ohne Auto unter dem Hintern von A nach B wollen. Am Westend kulminiert das ganze prä-Ölkrise-Planungsdesaster in seiner schönsten Form und so kann man sich nicht nur über die A100 erfreuen, die eine Ebene tiefer für Verkehrslärm sorgt, sondern auch über den Spandauer Damm, der als Hauptverbindungsstraße zwischen Charlottenburg und Westend ebenfalls mehr als ordentlich befahren und nur schwer passierbar ist. So dauert es eine gefühlte Ewigkeit, bis sich unsere beiden tapferen FUDU-Helden, die bedauerlicherweise nicht den selben Ausgang des S-Bahnhofs gewählt haben, endlich in die Arme schließen und gemeinsam in das Abenteuer Berlin-Liga starten können.

Für einen Obolus in Höhe von 4,00 € erhält man nach kurzem und gut ausgeschildertem Fußweg Einlass auf die „Sportanlage Westend“. Dazu reicht der mondäne Berlin-Ligist anstelle einer Eintrittskarte ein rotes Armband. Ein besserer Testballon für derlei VIP-Chichi, als der Besuch der gut betuchten FUDU-Schweine, ist auch wahrlich nur schwer vorstellbar. Wenn 2025 die echten VIP in das neu errichtete Stadion zu Westend strömen, wird der Berlin United FC (dank uns!) darauf vorbereitet sein. Unsere Armbänder passen jedenfalls wie angegossen und berechtigen uns, auf einem Grashügel Platz zu nehmen und zunächst einmal den C-Jugendlichen von Oranje Berlin dabei zuzuschauen, wie sie sich nach allen Regeln der Kunst von Eintracht Mahlsdorf abschlachten lassen.

Die Champions League ist für Berlin United aktuell jedenfalls so weit entfernt, dass sich die ersten Männer mit ihrem Einsatz so lange gedulden müssen, bis die pubertierenden Bengel hier mit ihrem Gebolze fertig geworden sind. Drei Tore hat die Eintracht in kürzester Zeit bereits in unserer Anwesenheit erzielt, wobei der bemitleidenswerte Mahlsdorfer Junge mit Brille (#14) drei weitere Hochkaräter fahrlässig ausgelassen hat. In der 49. Minute des Vorspiels ist die Ekstase bei FUDU dann nicht mehr abzuwenden, als es auch endlich diesem Kind gelingt, den Ball über die Torlinie zu drücken. Die nachträgliche Recherche ergibt, dass Mahlsdorf das Spiel mit 14:1 für sich entscheiden konnte und exakt ein Name taucht im offiziellen Spielberichtsbogen auf. Es ist Tommy K., der Junge mit der 14. Seinen Weg solltet ihr verfolgen – wir denken, aus dem wird nichts.

Mit stolzen 25 Minuten Verspätung kann Schiedsrichter Benjamin Buth endlich das Hauptspiel des heutigen Nachmittags eröffnen. Bei Berlin United bietet Trainer Fabian Gerdts (Zitat Teichmann: „Der Mini-Nagelsmann“), der seit Beginn dieser Saison anstelle des geschassten Hässler an der Seitenlinie steht, personell einiges auf, was im Berliner Fußball Rang und Namen hat. In der Startformation finden sich so Mayoungou, Banze, Turhan und Rockenbach da Silva wieder, auf der Bank nehmen u.a. Niendorf und Kruschke Platz. Verzichten muss Coach Gerdts heute lediglich auf die verletzten Thiemo-Jérôme Kialka und Philip Malinowski, sowie auf den überraschend zum BFC Preußen (neuer Chefcoach: „Icke Hässler“) abgewanderten Ex-Herthaner Lennart Hartmann. Unter dem Strich gibt es jede Menge Oberliga- und Regionalligaerfahrung in den Reihen des ambitionierten Berlin-Ligisten zu bewundern, dank Kialka und Rockenbach gesellen sich sogar einige Einsatzminuten in der zweiten und ersten Fußball-Bundesliga dazu.

All diese illustren Namen nutzen einem aber natürlich rein gar nichts, wenn sich in den Reihen des Gegners ein Altinternationaler aus Äquatorialguinea befindet. So lautet die Erkenntnis des heutigen Tages, die den favorisierten Gastgebern nach gut einer halben Stunde zu dämmern beginnt.

Bis hierhin hat United lediglich eine Torchance produziert, die von Banze aus fünf Metern per Volleyschuss kläglich versiebt wurde. In Folge bieten die Spandauer Kickers rund um ihren Jesus-Christ-Superstar Kote López (aufmerksame Leser erinnern sich vielleicht an dieses oder dieses Spiel – und auch hier könnte er mit von der Partie gewesen sein…) nicht nur Einsatz, Kampf und Leidenschaft, sondern überraschen ihrerseits mit attraktivem Offensivspiel, wann immer sich die Möglichkeit hierfür bietet.

Nach 25 Minuten scheitern die „SpaKis“ erst per Kopf an United-Keeper Büchel und in Person von Kote López im Nachschuss an der Unterkante der Querlatte, doch nur drei Minuten später ist der Bann gebrochen. Jesucristo Kote López, genannt „Jhohny“, wird von Tastan per gelupften Direktpass aus dem Mittelfeld mustergültig bedient und verwandelt mit einem trockenen Linksschuss ins lange Eck. So eiskalt bleibt man vor dem Tor nur, wenn man ein Länderspiel in der Vita stehen hat. Am 11.08.2010 durfte der damals 19-jährige Kote López für Äquatorialguinea gegen Marokko aufdribbeln, aber all das ist Schnee von gestern. Heute steht es 0:1 – und allein das reicht aus, um dafür zu sorgen, dass die 60 Zuschauer Bauklötze staunen und die United-Töle wie ein Schlosshund zu heulen beginnt.

Bis zum Halbzeitpfiff haben die Spandauer Kickers in einem ereignisarmen Spiel alles im Griff. Wann immer Berlin United in Ansätzen seine erhoffte Klasse abruft und in vielversprechende Positionen vordringt, werfen sich die Kickers in jeden Zweikampf und in jeden Schuss aus der zweiten Reihe. Jeder abgeblockte Ball wird gefeiert wie ein eigener Treffer, jeder gewonnene Zweikampf löst regelrechte Motivationsbrandreden in den eigenen Reihen aus und mehr braucht es in den 45 Minuten auch nicht, um dem hoch gehandelten Staffelfavoriten den Schneid abzukaufen. Mit ein wenig Glück wäre eventuell sogar noch ein Ausbau der Führung möglich gewesen, doch Engst und Tastan verpassen es in der Schlussphase der ersten Halbzeit, das Ergebnis in die Höhe zu schrauben.

In der Halbzeitpause erfahre ich, dass ich den Vorverkauf für das Auswärtsspiel des 1.FC Union Berlin bei Bayer 04 Leverkusen verpasst habe und nun ohne Eintrittskarte dastehe. Ach, wie schön war es doch früher, als man dank seiner Auswärtsdauerkarte einfach Karten für alle Spiele beinahe Frei Haus zugestellt bekam. Nun muss ich mich wohl oder übel daran gewöhnen, alle 14 Tage aktiv werden zu müssen, um weiterhin überall dabei sein zu können. Ein weiteres kleines Puzzleteil, das sich in den Gesamttenor unserer Halbzeitgespräche einfügt. Die Vorfreude auf die Bundesliga ist doch deutlicher geringer als die Sorge über all den Zirkus, der da in den kommenden Wochen und Monaten (und Jahren?) auf uns zukommen wird…

Da kann für’s Erste nur ein Sucukbrot Trost spenden. Das freundliche Team am Grill besteht aus exakt zwei Menschen, von denen einer die Bestellung aufnimmt und der andere das Grillgut aushändigt. Fehlt eigentlich nur noch ein Dritter im Bunde, der unser Geld entgegen nehmen mag, aber der Teufel steckt auf dem Weg in die Champions League bekanntermaßen immer im Detail. So freut sich FUDU heute bereits über das zweite Geschenk des Tages, hatte doch die 1.C von Oranje Berlin eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass sie mit einem Fußball eh nichts anfangen kann. In Vorbereitung auf den Besuch des Neffen schien dieser im Turnbeutel meiner heutigen Reisebegleitung jedenfalls deutlich besser aufgehoben…

Nachdem FUDU also dem türkisch-arabischen Imbissteam die Wurst und den Holländern den Ball geklaut hat, gerät man kurz in Sorge, ob man nun eventuell vom Schiedsrichter ausge-Buht werden wird, aber Benjamin tut nicht mehr, als das Spiel mit einem beherzten Pfiff wiederzueröffnen. Hier bleibt der erwartete und viel zitierte „Ruck, der durch die Mannschaft geht“ auf Seiten Uniteds aus und so dümpelt das Spiel gut 20 Minuten einigermaßen leblos vor sich hin. Die gelbe Karte für Murat Turhan nach 77 Minuten, der mit einer plumpen Schwalbe einen Foulelfmeter für seine Farben herauszuschinden versuchte, darf dann getrost als sinnbildlich für die Einfallslosigkeit des Favoriten betrachtet werden. Drei Minuten später vergibt United eine Zufallschance nach Strafraumgeflipper, woraufhin die Spandauer Kickers, bislang völlig zufrieden mit dem bisherigen Spielverlauf und der Konzentration auf die eigene Defensive, zum ersten ernsthaften Konter des zweiten Abschnitts ansetzen. Der lange Ball aus der Verteidigung landet in den Füßen von Dominik Dampke, der zielstrebig in den Strafraum zieht und dort von Mayoungou attackiert wird. Geschickt spitzelt dieser dem Angreifer in letzter Sekunde den Ball vom Fuß, doch Buth entscheidet zur Überraschung vieler auf Elfmeter und schickt Mayoungou mit glatt Rot für die vermeintliche Notbremse zum Duschen. „Jhony“ lässt sich nicht zwei Mal bitten und verwandelt den Elfmeter so eiskalt, wie man ihn nur verwandeln kann, wenn man ein Länderspiel in der Vita stehen hat…

Fassen wir die Ausgangslage zusammen: 81 Minuten sind gespielt, der Gast ist mit einem Mann in Überzahl, führt mit 2:0 und hat bis dato keine echte Torchance für die favorisierten Hausherren zugelassen. Alles deutet also darauf hin, dass die Entscheidung in diesem Spiel bereits gefallen ist, doch dann überschlagen sich die Ereignisse. Erst wird Turhans Kopfballtreffer nach Rockenbach-Freistoßflanke wegen einer Abseitsstellung zurecht nicht anerkannt (84. Minute). Weniger klar ist es gut zwei Minuten später, als Brinckmann im Anschluss einer Schöffel-Flanke abermals per Kopf erfolgreich ist, allerdings auch dieser Anschlusstreffer wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung nicht anerkannt wird. Plötzlich stehen die Kickers mit dem Rücken zur Wand und die angezeigten fünf Minuten Nachspielzeit spielen ihnen alles andere als in die Karten. Nach einer langen Flanke auf den zweiten Pfosten kann Yesiltepe den Ball tatsächlich zum 1:2 über die Linie drücken (90+2), doch mit etwas Glück überstehen die Kickers die letzten drei Minuten der Nachspielzeit schadlos. United-Keeper Büchel handelt sich im Nachgang der Partie noch eine rote Karte wegen einer Schiedsrichterbeleidigung ein und fertig ist der gebrauchte Nachmittag für den Champions-League-Aspiranten.

Die beiden Eastend-Boys von FUDU verlassen den Platz ohne Westend-Girls an der Hand. Berlin United geht mit ebenso hängenden Köpfen und mit null Punkten und zwei gesperrten Spielern aus der Partie. Wer weiß, vielleicht verblasst der Traum vom Durchmarsch in die Oberliga ebenso schnell wie der geklebte Fetti, den der „Hoollege“ hier irgendwann einmal bei einem Besuch des Club Italia (R.I.P.!) an den Laternenmast angebracht hat. Der 1.FC Union Berlin ist da schon einige Schritte weiter: Morgen startet man in die erste Bundesligasaison der Vereinsgeschichte. Die DFL hat für diesen besonderen Tag den größtmöglichen Hurensohn als Gegner ausgesucht und so wird man also mit einem „Ostderby“ gegen „Leipzig“ in die Saison 2019/20 starten.

Nächste Woche Sonntag werden wir dann den Spandauer Kickers bei einem Heimspiel Besuch abstatten. Zwei Bundesligaspiele werden dann bereits hinter uns liegen und man darf sehr gespannt sein, ob sich der 1.FC Union Berlin zu diesem Zeitpunkt noch mehr Hoffnungen auf eine Champions-League-Teilnahme machen darf, als Berlin United… /hvg

11.08.2019 VfB Germania Halberstadt – 1.FC Union Berlin 0:6 (0:1) / Stadion des Friedens / 5.966 Zs.

Endlich ist es wieder soweit. Die allseits beliebte DFB-Pokal-Auslosungsshow steht vor der Tür. Dieses unnachahmliche Sendeformat, in dem irgendwelche abgehalfterten Trottelmoderatoren jedes Kacklos mit Ausrufen wie „oooh“ und „uiii“ begleiten und jede gottverdammte gezogene Paarung mit „Wahnsinn“, „Derby“ oder „Kracher“ attribuieren. Im Anschluss irrt dann ein jedes Mal irgendein drittklassiger Reporter durch das Studio, um die Vereinsverantwortlichen der noch unterklassigeren Amateurvereine in den Sitzreihen zu finden, nur um denen dann dämlich-belanglose Fragen zu stellen und in gezwungen humorige Konversationen einzubetten. „Oh, der Präsident des SV Drochtersen/Assel sitzt neben mir, was sagen Sie zum Los FC Schalke 04, die sind schlagbar, oder?“ „Ja, klar, die hauen wir weg!“ Gelächter im Studio, Verzweiflung vor dem Fernseher.

Aber noch ist der 1.FC Union Berlin nicht gezogen worden. Nia Tsholofelo Künzer wühlt beherzt in der Lostrommel. Nia ist übrigens Swahili und bedeutet „Ich will“, der Setswana-Begriff Tsholofelo heißt „Hoffnung“. Fetti will dann mal Ulm und hofft auf Baunatal, aber genau in diesem Augenblick haben die zarten Fingerchen des Golden-Goal-Girls von 2003 auch schon den VfB Germania Halberstadt als Gegner für den 1.FC Union Berlin an das Tageslicht befördert. Da man an dieser Stelle leider keinen Einspruch einlegen darf, dauert es auch nicht lange, bis sich die tapferen Helden von FUDU-Tours trotz der Unzufriedenheit über das Los gedanklich mit einer Anreise auseinandersetzen. Schnell steht die Sorge im Raum, Halberstadt könnte das Spiel aufgrund der begrenzten Kapazität des „Friedensstadion“ (5.000 Plätze) andernorts austragen wollen oder müssen. Magdeburg (50 Kilometer) wäre schlimm, Halle (85 Kilometer) schlimmer und während tollkühne Optimisten noch vom „Paul-Greifzu-Stadion“ in Dessau (90 Kilometer) träumen, werfen die Schwarzmaler bereits die Supergau-Optionen Braunschweig (60 Kilometer) und Wolfsburg (70 Kilometer) in die Runde. Freunde, das könnte übel enden!

Nach der Auslosung ziehen einige Tage ins Land, ehe die endgültige Terminierung und der Spielort feststehen. Der VfB Germania Halberstadt verkündet schließlich stolz, das Heimspiel im eigenen Stadion austragen zu können. Um die Gesamtkapazität auf 7.400 zu steigern, werden eigens für das DFB-Pokalspiel zwei mobile Zusatztribünen aufgestellt. Ein finanzielles Wagnis für die Gastgeber, die sich mit einer ähnlichen Vorgehensweise in der Saison 2017/18 etwas in die Nesseln gesetzt hatten. Für das Duell gegen Freiburg wurde damals auf 11.500 aufgestockt – am Ende kamen bei der knappen 1:2 Niederlage dann leider „nur“ 5.037 Menschen hinaus ins „Friedensstadion“ und sorgten für unschöne finanzielle Einbußen. Nun also lieber eine Nummer kleiner – und alles besser als die oben genannten Optionen in der Nachbarschaft.

Am Spieltag erwacht Fetti 48 Minuten vor Abfahrt seines Zuges im „IntercityHotel“ zu Wilhelmshöhe, quasi mit Blick auf das Abfahrtsgleis. Versonnen gleitet sein Blick über seine heutige Fahrkarte. Von Kassel nach Berlin via Halberstadt mit sechs Stunden Aufenthalt im Harzvorland. Immer wieder schön, so lange an der Reiseroute zu feilen, bis alles in einem Rutsch passend ist und man die „Deutsche Bahn“ einmal mehr um mindestens 21,75 € prellen konnte.

Trotz der erwarteten 28 Grad Außentemperatur entscheide ich mich heute besser für Jogginghose und Kapuzenpullover, nachdem ich gestern wieder einmal im ICE schockgefrostet worden bin. Da hat es jeder Dönerspieß beim Transport wärmer. Es ist wohl davon auszugehen, dass es sich nach all den ausgefüllten Fahrgastrechteformularen und den gebuchten Fahrkarten mit merkwürdigen Umwegen und Zwischenaufenthalten um eine Form der Rache des Unternehmens an meiner Person handeln könnte. Egal. FUDU kämpft weiterhin um jeden Euro und zieht sich notfalls eben dick an!

Der Check-Out geht dann erwartet schnell von der Hand und kurz darauf ist ein grundsolides Mahl aus dem Fast-Food-Konzern des Vertrauens aus der Bahnhofshalle in den Jutebeutel gewandert. Neben dem altbewährten Kaffee für einen Euro darf es heute auch eine vor Fett triefende Drachenfruchttasche sein, die den ganzen gestrandeten Dicken im Bahnhof von Wilhelmshöhe vermutlich ein gesundes Frühstück simulieren soll. Zum Nachspülen und zwecks Abwendung des erwarteten Vitaminschocks organisiert sich Fetti eine tschechische Hülse aus dem „Rossmann“ und ärgert sich kurz darüber, dass er die 10% Gutscheine für dieses Unternehmen zu Hause hat liegen lassen. In Berlin löst man die Dinger eh nie ein, da Dirks Sortiment erst ab irgendeiner imaginären Linie bei Hannover und nur auf dem Staatsgebiet der alten Bundesrepublik interessant wird. Warum es nördlich von Niedersachsens Landeshauptstadt und in der Zone kein Bier in Drogeriemärkten zu erwerben gibt, ist eine der vielen Ungerechtigkeiten dieses Staates. 30 Jahre nach Mauerfall und noch immer eine zwei-Klassen-Gesellschaft…

Kaum hat mein Zug um 9.48 Uhr den Bahnhof verlassen, schon trudeln erste Hilferufe bei Fetti ein. Es ist gerade einmal 10.02 Uhr, als der „Fackelmann“ verkündet, bereits in Halberstadt angekommen zu sein und schon Langeweile zu haben. Knappe drei Stunden muss er noch ausharren, ehe ich ihm Gesellschaft leisten können werde. „Ich habe kein Schließfach gesehen“, verneint er die Frage, ob es in Halberstadt einen Aufbewahrungsort für meinen Rucksack geben wird. Neuerliche Hoffnung verschafft die Website der „DB“, die für den Bahnhof Halberstadt diesbezüglich vollmundig gar den Plural benutzt. Der Bahnhof verfüge sogar über Schließfächer – man darf gespannt sein, wo sie die beiden (mindestens!) Klappen versteckt haben mögen.

Die Reise verläuft so lange unspektakulär, bis in Erfurt eine bebrillte Blonde Mittvierzigerin zusteigt und im breitesten Fischkopf-Dialekt damit beginnt, den gesamten Zug mit ihrer Lebensgeschichte zu langweilen und in epischer Breite über ihre Fernreisen im Abgleich mit ihrem Erfurt-Urlaub zu schwadronieren. „Man hat ja die ganze Welt gesehen, aber um den Pudding kennt man ja gar nix!“ – und dabei wird es vermutlich auch bleiben. Kurz darauf ist die histrionische Dame nämlich verstummt und ihre Laune im Keller, hat die Schaffnerin doch allen Ernstes ihre Fahrkarte ohne Identitätsnachweis in Form des Personalausweises nicht anerkannt und noch einmal dick abkassiert. „Nie wieder Urlaub in Deutschland!“, lautet das Résumé. Das Abteil atmet auf, nur Fetti denkt bereits an die armen Straßenkinder von Kathmandu, die sich dann wohl oder übel irgendwann einmal all die scheiß Geschichten aus Erfurt anhören müssen…

Gegen 13.00 Uhr habe ich den Bahnhof Halberstadt endlich erreicht. Auf den ersten Blick sind Schließfächer wahrlich weder auf den Bahnsteigen, noch in der kleinen Bahnhofshalle zu erspähen. Dafür steht ein als Zivi verkleideter Dorfsheriff bereit, den ich einfach mal anspreche und so tue, als hätte ich ihn nicht als Polizist erkannt – da freut er sich bestimmt und hat heute beim Abendbrot was zu erzählen. Er kennt sich hier jedoch bedauerlicherweise nicht aus und kann zunächst nicht weiterhelfen, spielt seine zivile Rolle im Anschluss aber voller Überzeugung weiter und geht mit mir auf die Suche nach Aufbewahrungsmöglichkeiten. Hinter einer belanglosen Tür ohne jedweden Hinweis auf Schließfächer werden wir dann letztlich fündig und bis um 22.00 Uhr würde ich meinen Rucksack laut Beschriftung der Tür sogar wieder zurückbekommen. So ein Quatsch. Als würden wir hier eine Verlängerung brauchen. Könnt ihr ruhig um 19.00 Uhr zumachen, die Bude!

Kurz drauf trudeln die traurigen Nachrichten im Sekundentakt bei mir ein. Erst vermeldet der nachkommende Tross, dass die Polizei sie nicht am Hauptbahnhof von Halberstadt in die Freiheit entlassen, sondern alle Mann gesammelt zum Bahnhof Spiegelsberge begleiten wird. Der Treffpunkt an den gut versteckten Schließfächern wäre somit ebenso passé wie ein Treffen mit dem „Fackelmann“, der mir soeben seine aktuellen Koordinaten geschickt hat. Da hockt er also, in irgendeiner Spelunke am anderen Ende der Stadt, während ich feststelle, dass ich stolze 40 Minuten Fußweg vor mir habe, um das „Friedensstadion“ zu erreichen. Gar nicht mal so klein, dieses Halberstadt…

… und so begebe ich mich unmittelbar nach Ankunft alleine auf eine wirklich wilde Ostsafari, entlang der unsanierten Plattenbauten des Harzvorlandes, passiere des „Haus des Friedens“ und den „Marx-Engels-Platz“ und fühle mich plötzlich zurückversetzt in die ZDF-Doku von gestern Abend, in der Dirk Rossmann gezeigt wurde, wie er auf einer Montagsdemonstration in Leipzig subversiv den „Spiegel“ verteilte. Alles schön und gut – aber wer 1989 Printmedien des Klassenfeindes im Kofferraum über die Grenze geschafft hat, der wird doch wohl auch anno 2019 Bier in den Osten schmuggeln können!?!

Wieder einmal werfe ich nur einen flüchtigen Blick auf den Halberstädter Dom, der sich am Horizont auftut. Eigentlich schade, dass ich auch bei meinem zweiten Besuch der Stadt weder im Vorfeld des Spiels, noch nach Abpfiff, Zeit haben werde, auch der Innenstadt eines Blickes zu würdigen. Die nach dem zweiten Weltkrieg und dem Niedergang der DDR übriggebliebenen Fachwerkhäuser, die dann ab 1990 glücklicherweise saniert und erhalten werden konnten, sowie das ab 1995 nach historischem Vorbild rekonstruierte Stadtzentrum mit Rathaus und Roland dürften sicherlich um einiges sehenswerter sein, als die maroden Bauten entlang der Erich-Weinert-Straße, die man auf dem direkten Fußweg zum Stadion feilgeboten bekommt.

Kurz darauf habe ich den spröden Charme des Harzvorlandes hinter mir gelassen und bin am „Friedensstadion“ angekommen. Schon stellt sich die Frage, ob man das Stadion bei seinem zweiten Besuch auch ein zweites Mal kreuzen und in die Statistik eingehen lassen darf, schließlich hat es sich dank der beiden mobilen Tribünen im Gegensatz zum April 2017 deutlich verändert. Das wird wohl irgendwann einmal in größerer Runde ausdiskutiert werden müssen, spätestens dann, wenn es in irgendeinem Biergarten in Hönnepel-Niedermörmter oder in einem BlaBlaCar in Transnistrien einmal wieder um den Vergleich von Länderpunkten oder um die Frage gehen wird, wer die meisten Grounds in Sachsen-Anhalt gescheppert hat. Solche Streitigkeiten kommen in den besten Familien vor. Nur gut, dass „Moppi“, der mir soeben am Bierstand in die Arme gelaufen ist, mit all diesem Quatsch nichts am Hut hat und man nun entspannt nebeneinander auf dem sonnengefluteten Grashügel auf der Gegengerade Platz findet.

Nicht jedem von uns war es übrigens gelungen, an eine der 2.300 Karten für den Gästeblock zu gelangen. Da der Pokal bekanntermaßen seine eigenen Gesetze hat und besondere Spiele eben besondere Lösungen erfordern, war von FUDU and Friends einmal mehr ein Höchstmaß an Kreativität gefordert, um trotzdem im Stadion dabei sein zu können. Bestnoten verdiente sich in dieser Rubrik unser „Braumeister“, der den genialen Schachzug ausspielte, seinen Sohn beim Heimverein als Einlaufkind anzumelden. Mit der Konsequenz, dass der kleine „Bolleson“ just in diesem Moment an der Hand von Rafa Gikiewicz auf den Rasen läuft, während sich Vati auf der Haupt das gekühlte „Hasseröder“ reichen lässt!

Wer weiß, ob der stolze Vater seinen Sohn auch an Germania Halberstadt verkauft hätte, hätte er damals geahnt, dass die Harzer ihr Stadion nicht aus eigener Kraft auslasten können werden. Heute hat es jedenfalls völlig überraschend doch noch eine Tageskasse für einen „erweiterten Gästeblock“ gegeben. Am Ende strömen 5.966 Zuschauer in das Stadion, mehr als 1.400 Sitze bleiben leer und unter dem Strich haben die beiden mobilen Tribünen gerade einmal 966 Menschen Zutritt zum Stadion gewährt, die bei normaler Stadionkapazität draußen hätten bleiben müssen. Ob sich das für den VfB nun wieder gerechnet hat?

Für den 1.FC Union ist die Peinlichkeits-Fallhöhe, gegen einen Gegner aus der Regionalliga zu scheitern, nach dem Aufstieg in die Bundesliga noch einmal um den Faktor 1 gestiegen. Grund genug für die Köpenicker, das Spiel sehr seriös anzugehen. Schnell lassen Becker und Andersson mit ersten gefährlichen Aktionen aufhorchen und nach gerade einmal zehn Minuten hat man das Heft des Handelns so sicher in der Hand, dass das Spiel kontinuierlich in Richtung des Halberstädter Tores läuft. Andersson scheitert zwei Mal aus vielversprechenden Situationen, ehe Schlotterbeck nach einer Ecke von Trimmel zum hochverdienten 0:1 einnicken kann (27.). Auch in Folge dominiert der 1.FC Union das Spiel, versäumt es aber, die Führung auszubauen. Gentners Schuss kann Halberstadts Keeper Sowade noch gerade eben so an den Pfosten lenken (38.), während die beiden kleineren Offensivimpulse der Heimmannschaft (Kopfball von Yilmaz in der Anfangsphase, Fernschuss des selben Akteurs nach gut einer halben Stunde) nicht gerade für Angst und Schrecken sorgen konnten.

Zu Beginn des zweiten Spielabschnitts gelingt es den Gastgebern deutlich besser, Gegenwehr zu leisten. Die Bundesliga-Kicker werden nun früher attackiert und ihre Kreise deutlich eingeengt. All diese Bemühungen der Halberstädter sind zwar aller Ehren wert, führen aber nicht zu mehr als zu einer kurzzeitigen Beruhigung des Spiels. Fünfzehn Minuten braucht der 1.FC Union, um sich von diesen Fesseln zu lösen und die Dominanz der ersten Halbzeit wiederzuerlangen. Nach 65 Minuten gelingt Andersson das beruhigende 2:0 und als Lenz nur zwei Minuten später einen Ball vom Strafraumeck sehenswert in den Winkel zirkeln kann, brechen beim tapferen Viertligisten alle Dämme. Konditionell und irgendwie auch mit dem Latein am Ende, kommen diese nun immer zwei-drei Schritte zu spät, was dem Bundesligisten ermöglicht, die Führung auszubauen. Mees trifft nach klugem Rückpass von Andrich nach 71 Minuten zum 3:0, Andrich erhöht per Volleyschuss nach 75 Minuten auf 4:0. Macht in der Summe vier erzielte Treffer innerhalb von zehn Minuten – so abgebrüht und souverän ist der 1.FC Union Berlin schon lange nicht mehr in die zweite Runde des DFB-Pokals eingezogen und ich kann die angebotene Autorückfahrt, die bei Verlängerung und Elfmeterschießen notwendig geworden wäre, ruhigen Gewissens absagen. Danke trotzdem, „Heinzi“!

Anthony Ujah ist es dann vorbehalten, den Schlusspunkt hinter das Pokalwochenende zu setzen. Der eingewechselte Stürmer umkurvt in der 89. Minute die halbe Halberstädter Defensive samt Torwart und schiebt zum 6:0 ein und schon verlasse ich, mit dem kleinen Wermutstropfen, weder den „Fackelmann“, noch die „Spiegelsberger“ getroffen zu haben, das „Friedensstadion“. An der Hauptstraße hat sich bereits eine unüberschaubare Menschenmenge vor der Straßenbahnhaltestelle gebildet und der etwas überfordert wirkende Sicherheitssprecher der Polizei versucht zu koordinieren. „Die Kapazität des ersten Zuges ist zu gering, bitte sprechen Sie sich untereinander ab, wer den zweiten nimmt“. Überraschenderweise funktioniert dies nicht und so entscheide ich mich, den Weg zurück in Richtung Bahnhof und Rucksack erneut zu Fuß in Angriff zu nehmen.

Man darf gespannt sein, ob es die Straßenbahn bei meinem nächsten Besuch Halberstadts (nur, wenn man das Stadion auch drei Mal kreuzen darf – darüber wird zu reden sein!) überhaupt noch geben wird. Mehrmals stand das lediglich 11,7 Kilometer lange Streckennetz der Kreisstadt in der Vergangenheit auf dem Prüfstand und auch „im Ausblick des Haushaltsplans der Stadt von 2015 wird die Einstellung des Straßenbahnbetriebs bis etwa 2025 gefordert“.

Noch mehr als die Zukunft Halberstadts interessiert mich aber an der Stelle der nächste Gegner des 1.FC Union und so blicke ich bereits bei Ankunft um 22.00 Uhr in Berlin voller Spannung auf die Auslosung der zweiten Runde. In der Tradition, Frauen an die Lostöpfe zu lassen, wird bei der nächsten Zeremonie Stefan Kuntz (Three Lions on the Shirt!) sein Glück versuchen dürfen und wieder wird Fetti mit der „Hoffnung“ auf neue Reiseziele und einem „Ich will!“ (ein attraktives Los) vor dem Fernseher sitzen und leiden… /hvg

10.08.2019 KSV Baunatal – VfL Bochum 1848 2:3 (2:1) / Parkstadion Baunatal / 5.748 Zs.

Ein Skandal sondergleichen erschüttert dieser Tage Fußballdeutschland. Von Nord bis Süd hält man den Atem an und auch Fetti verneigt sich nun im ICE nach Kassel-Wilhelmshöhe voller Ehrfurcht vor den wachsamen Regelhütern des Deutschen Fußballbundes. Diese haben glücklicherweise ganz genau Maß genommen und festgestellt, dass das Logo des KSV Baunatal auf dem Trikot exakt 0,5 Zentimeter zu groß ist. Wo kämen wir denn da hin, wenn das jeder machen würde? Da ist es nur folgerichtig, dass man es dem Oberligisten für das größte Spiel der jüngeren Vereinsgeschichte zur Auflage gemacht hat, für das heutige DFB-Pokal-Erstrundenspiel gegen den VfL Bochum diesbezüglich nachzubessern.

Bis zu 8.000 Zuschauer erwartet man heute Abend im „Parkstadion“, wenn der KSV Baunatal das erste Mal seit der Saison 1987/88 wieder im DFB-Pokal starten wird. Für Fetti eine gute Gelegenheit, das schöne Fußballstadion mit Anwesenheit von Zuschauern zu kreuzen und den Bahnhof Kassel-Wilhelmshöhe endlich einmal kennenzulernen, ohne im Vollsprint irgendwelche Anschlusszüge erwischen zu müssen. Jeder, der in seinem Leben mit dem „Schönen-Wochenend-Ticket“ gereist ist, wird wissen, welch traumatische Flashbacks das arme Schwein zu erwarten hat, wenn es nun gleich gemütlich über den Bahnhof der weiten Wege schlendern wird, um in aller Seelenruhe den Ausgang zu suchen. Was haben sich hier zwischen Gleis 1 und Gleis 8 schon alles für Dramen abgespielt…

Das „SWT“ gehört längst der Vergangenheit an und auch das Hinterherrennen von Regionalbahnen in Wilhelmshöhe, nur um gefühlte 8 Stunden später bei irgendeinem Auswärtsspiel anzukommen, darf getrost als Relikt aus Fettis Jugend angesehen werden. Heute geht es etwas beschaulicher zu und so checkt man logistisch klug, bereits die morgige Weiterreise nach Halberstadt im Visier, im benachbarten „IntercityHotel“ ein. Hier erhält „IntercityFetti“ einen gratis Fahrschein für den ÖPNV in Kassel und muss zu seiner Verwunderung zusätzlich zu den 55,30 € Übernachtungsgebühren 0,50 € Kurtaxe zahlen. Da kann man nur hoffen, dass die beiden Wettgutscheine aus der „DB Mobil“ diesen Wellnessurlaub refinanzieren werden.

In der näheren Bahnhofsumgebung fällt sogleich ein Hinweis auf ein Kulturprogramm ganz besonderer Art ins Auge. „Mit dem Linienbus ins Jenseits – Fantastische Särge aus Ghana“, so lautet der Titel einer Ausstellung, welches derzeit im „Museum für Sepulkralkultur“ gezeigt wird. Fetti summt angesichts des skurrilen Sarges in Form eines Busses kurz das allseits beliebte „Busfahrer, fahr uns in den Tod!“ vor sich her, ehe er das Grübeln beginnt. Wenn in Ghana Menschen Särge erhalten, die Bezug auf ihr Leben, ihr Schaffen, ihre Arbeit oder aber ihre Todesursache nehmen, dann würde der Großteil von FUDU in Westafrika wohl in einem Bierfass unter die Erde kommen.

Mit diesen tiefgründigen Gedanken zur Mittagszeit wäre der erste latente Bierdurst also geweckt. Da stellt es sich schon als arg hinderlich heraus, dass sämtliche gastronomische Einrichtungen in Bahnhofsnähe heute erst um 17.00 Uhr ihre Pforten öffnen werden. Schlimmer ist da nur dieser „Herkules Döner“, der außer „Beck’s“ und „Krombacher“ für jeweils 2,50 € nichts im Angebot hat. Dann lieber doch mit dem Linienbus ins Jenseits – oder ins „tegut“ um die Ecke. Hier wandern zwei lokale Biere in die Einkaufstaschen (u.a. „Martini“ – Fetti ist ganz gerührt, nicht geschüttelt!) und schon geht es zwecks Verköstigung zurück auf das exklusive Zimmer mit 1A-Blick auf den Bahnhof.

Nach einem Bier scheint bereits ausreichend Grundlage geschaffen, den Teufelsritt nach Baunatal in Angriff nehmen zu können. Schnell ist die passende Buslinie gefunden und Fetti mit dem Gratisticket aus dem Hotel in den Händen mehr als siegessicher eingestiegen. „Wohin Sie wollen?“, fragt mich der Busfahrer mit osteuropäischem Akzent und schaut mich dann, nachdem ich wahrheitsgemäß mit „Baunatal!“ geantwortet habe, in etwa so entgeistert an, als hätte ich von ihm verlangt, mich mit dem Intercity-Billet bis zum Mond zu befördern. „Diese Ticket nur für Kassel. Baunatal Du brauchen KasselPlus!“. Logo. Ist ja häufiger so, dass man bei einer 29-minütigen Busfahrt verschiedene Zeit- und Tarifzonen passiert. Er jedenfalls erteilt diese Auskunft mit einer unfassbaren Leere in seinem Blick, so als müsse er täglich drei Millionen Touristen aus dem „IntercityHotel“ nach Baunatal fahren und denen tagein, tagaus erklären, dass man natürlich! ein „KasselPlus“-Ticket für diese städteübergreifende Fernreise benötigt. „Ja, dann nehme ich halt so ein KasselPlus-Teil“, versuche ich die ganze Sache abzukürzen. „KasselPlus ich nicht kann verkaufen in Kassel, in Kassel Maschine druckt nur Kassel, KasselPlus ab ‚Am Brand‘ geht!“. Logo. Ich Trottel mach heute aber auch wirklich alles verkehrt.

Vorschlag zur Güte: Ich fahre jetzt erst einmal einfach so mit und komme dann noch mal zu Dir nach vorne, wenn uns die Grenzer nach Baunatal haben einreisen lassen, denke ich mir und setze mich, ohne die Diskussion zu einem konstruktiven Abschluss gebracht zu haben, kommentarlos in Iwans Bus. Da dieser exakt nichts unternimmt, gehe ich davon aus, dass er erst einmal einverstanden ist und da ich nicht in einem Linienbus, sondern in einem Bierfass beerdigt werden mag, wird schon nichts schlimmes passieren. In „Altenritte, Am Brand, Baunatal“ angekommen, bin ich so freundlich und statte Iwan in seinem Kabuff einen Besuch ab. Jetzt scheint der Zeitpunkt günstig, endlich diese sagenumwobene blaue Mauritius aus dem Thermodrucker zu erhalten, doch Iwan winkt freundlich ab: „Chab schon vergessen, dass Du hast keine Ticket!“. Zehn Minuten später habe ich ohne Zahlung eines Aufpreises „Altenbauna, Stadtmitte, Baunatal“ erreicht und starte nach diesem imposanten Vorspiel gegen 15.00 Uhr in das mit Vorfreude erwartete Sightseeing…

… welches man knappe 30 Minuten später wie folgt zusammenfassen könnte: Baunatal sieht aus, als hätte jemand in den späten 60er-Jahren zu viel „SimCity“ gespielt. Hier ist ganz offensichtlich eine wirklich atemberaubend schöne Stadt am Reißbrett entstanden, die alles bietet, was man als glücklicher Bürger so braucht. Eine Kirche, eine Stadthalle, ein zentraler Platz, ein Rathaus, ein Stadtpark, ein Fußballstadion – und das ganze mit möglichst viel Beton und orangenen Fliesen, damit’s auch State of the Art daherkommt. Ein Blick in die Stadtgeschichte Baunatals verschafft dann schnell Klarheit und bestätigt das entstandene Bauchgefühl: „Baunatal ist eine Stadtgründung unserer Zeit. Sie entstand durch den Zusammenschluss der ehemals selbständigen Gemeinden Altenbauna, Altenritte, Kirchbauna, Großenritte, Hertingshausen, Rengershausen und Guntershausen als Folge der Ansiedlung eines Werkes der Volkswagen AG im Jahre 1957“. Weitere Highlights der Stadtchronik: „1610/1625/1635 Die Pest wütet in den Baunatalgemeinden und rafft viele Menschen dahin; 12.05.1979 Einweihung des Parkstadions; 23.05.1986 Einweihung der Fußgängerzone; 31.07.1992 Jahrhunderthochwasser“. Naja. Ein bisschen so, wie das nächste Bier im „Bistro ROXY“ auf dem Marktplatz: Auch nicht gerade der „Hütt“…

Deutlich bergauf geht es dann im „Grillhof Baunatal“, in welchem Fetti nicht nur einen schmackhaften Spießbraten im Brötchen erhält, sondern auch dem „Hütt“ eine zweite Chance erteilt. Wenn das Pils nicht schmeckt, versuchen wir es in der zweiten Runde doch besser direkt mit dem „Luxus Pils“, auch wenn es dieses nur in 0,33 Liter Flaschen käuflich zu erwerben gibt. Kann ja jetzt nur besser werden – und wer einen Kronkorken für die Sammlung daheim ergattern mag, muss eben auch einmal Opfer bringen. Selbiges gilt dann allgemein für den Aufenthalt in diesem Laden, schließlich vermag die übrige einkehrende Kundschaft die gesamte Tristesse des Ortes eindrucksvoll zu illustrieren. Was für ein Trauerspiel, nur Klienten hier – so zuletzt auch nur im „Kaufland“ zu Berlin-Buch erlebt.

Da hilft nur die Flucht ins wunderschöne Fußballstadion. Allein die mächtigen Flutlichtmasten, die Fetti bereits aus dem russischen Linienbus erspäht hatte, entschädigen für alles bisher dagewesene. Die grüne Stadionumgebung mit malerisch plätschernder Bauna sorgt schnell für Naherholungsgefühle, sodass man durchaus darüber nachdenken kann, sich beim nächsten Urlaub einen der begehrten Wohnwagenstellplätze mit Blick auf die (natürlich orange gekachelte) Haupttribüne zu sichern. Eröffnet wurde das „Parkstadion“ übrigens pünktlich zum Abstieg des Kultur- und Sportvereins Baunatal aus der zweiten Bundesliga, der man drei Spielzeiten lang angehörte. Dafür erlebte das Stadion in den vergangenen Jahren etliche Highlights, darunter beispielsweise auch die „Weltmeisterschaft der Diensthunde“. Einst passten bis zu 12.000 VW-Arbeiter auf die markante Haupttribüne, die gut ausgebaute Gegengerade und die mächtigen Graswälle hinter den Toren. Heute verlieren sich oftmals nur noch wenige Hundert Zuschauer zu den Heimspielen des Hessenligisten, der offiziell noch immer 7.578 Zuschauer in diesem Schmuckstück von Stadion empfangen dürfte. Womit bereits klar wäre, dass die erhoffte Zuschauerzahl von 8.000, die in der „HNA“ (Hessische/Niedersächsische Allgemeine) genannt worden war, womöglich etwas zu hoch gegriffen sein dürfte…

Immerhin 5.748 Zuschauer werden es am Ende dann aber doch sein, die sich nun im Vorfeld des Spiels von einer Blaskapelle auf dem Rasen malträtieren lassen müssen. Die freundlichen Baunataler Gastgeber haben im Anschluss ein weiteres Geschenk für die gut 2.000 mitgereisten Bochumer Gäste parat und so ertönt Herbert Grönemeyers Ode an seine Heimatstadt durch das weite Rund – allerdings in englischer Sprache. Da hat Stadionsprecher DJ Detlef bei „Napster“ wohl die falsche Version runtergeladen, weswegen er nun auf Wiedergutmachung aus ist, indem er lediglich die Vornamen der Bochumer Startaufstellung verliest und dem Gästemob die Stimmungshoheit im Stadion schon jetzt auf dem Silbertablett serviert. Dieser bedankt sich mit etwas blauem und weißem Rauch für soviel Gastfreundschaft, was Detlef über die Stadionbeschallung fachkundig als „Krawalle“ klassifiziert und daraufhin besser mal eben kurz den „Sicherheitssprecher der Polizei“ an das Mikrofon lässt. Die motivierten KSV-Fans auf der Haupttribüne halten mit einer Zettelchoreographie, mutmaßlich in Brailleschrift gestaltet, dagegen und schon eröffnet Schiedsrichter Wolfgang Haslberger aus St. Wolfgang die mit Spannung erwartete Partie.

In meinem Block auf der unüberdachten Gegengerade hat sich ein typisches Couch-Fußballfan-Publikum eingefunden. Einige wenige Bochumer, die den Gästeblock nicht gefunden haben, stehen freundschaftlich neben Baunataler Schlachtenbummlern. Nach dem wolkenverhangenen Vormittag habe ich meine Sonnenbrille im Hotelzimmer liegen lassen. Ein fataler Fehler, wie sich nun herausstellt, da einem urplötzlich die tiefstehende Sonne erbarmungslos ins Gesicht brennt und man das Spiel ohne Einsatz der Hände als Blendschutz kaum noch verfolgen kann. In den ersten fünfzehn Minuten fällt der Schnelligkeitsvorteil einiger Bochumer Spieler deutlich auf, ohne dass diese daraus nennenswert Kapital hätten schlagen können. Baunatal darf die Anfangsphase getrost als gelungen bezeichnen, bis Zoller auf- und davonzieht und im Strafraum von Blahout vollkommen übermotiviert und unnötig gelegt wird. Aus diesem Winkel hätte Zoller den Ball niemals so gefährlich zum Abschluss bringen können, als dass es eine solche Harakiri-Grätsche gerechtfertigt hätte. Auch, wenn Blahout leicht den Ball getroffen zu haben scheint, ist der Elfmeterpfiff wohl gerechtfertigt. Silvère Ganvoula verwandelt eiskalt und in dem Duell zwischen Fünft- und Zweitligist scheint alles seiner Wege zu gehen (18. Minute).

Die Baunataler Amateursportler zeigen sich aber keineswegs geschockt, sondern senden erste Lebenszeichen im Spiel nach vorn. In der 24. Minute hat ein simpler langer Einwurf, den Schrader im Strafraum per Kopf in den Rückraum legen kann, die gesamte Bochumer Defensive übertölpelt. Nico Möller ist gut eingelaufen, steht genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort, nimmt den Ball technisch anspruchsvoll volley, trifft aber leider nur die Lattenunterkante. Schade. Diese Aktion des Underdogs hätte den Ausgleich verdient gehabt.

In Folge zeigen sich die Bochumer fahrig, während die Baunataler nach der ersten gelungenen Aktion deutlich sichtbar Mut geschöpft haben. Keine zehn Minuten später gelingt dem beflügelten Außenseiter der verdiente Ausgleich. Nach einer kurzen Ecke kann Szczygiel völlig unbedrängt eine Flanke in den Bochumer Strafraum schlagen und auch wenn diese weder besonders scharf, noch maßgeschneidert daher kommt, kann Blahout den Ball per Kopfball aus verhältnismäßig großer Entfernung im langen Eck versenken. Baunatal jubelt frenetisch und Blahout atmet auf – diese Grätsche aus der 18. Minute wäre also wieder wettgemacht.

Der Bochumer Gästeblock langweilt weiter mit Standard-Melodien, während die bislang enttäuschende VfL-Elf in den letzten zehn Minuten des ersten Spielabschnitts endlich eine erste Druckphase erzeugen kann. Als sich das Spielgeschehen etwas beruhigt und Haslberger bereits auf die Uhr geschaut hat, schnappe ich mir eine Pole-Position am Bierstand. Nach der Entscheidung gegen die Sonnenbrille bereits der zweite Fehler des Tages, wie der orkanartige Jubel hinter meinem Rücken schnell vermuten lässt. Habe ich doch echt das 2:1 für Baunatal verpasst. Später zeigen die TV-Bilder, wie Bochums Verteidiger Lorenz nach einem langen Abschlag des Heimkeepers einen einfachen Ball herschenkt, Sattorov die Ruhe und Übersicht behält und den Ball mit letztem Einsatz zum Sturmkollegen Schrader quer legt, der aus gut 11 Metern verwandeln kann. Ob der Torschütze daraufhin das 0,5 Zentimeter kleinere Vereinslogo geküsst hat, war leider nicht zu erkennen.

In der zweiten Halbzeit beziehe ich Quartier auf dem Graswall in der Kurve. Gemütlich hinter Flatterband auf einer Wiese lümmelnd, warte ich nur darauf, hier zeitnah von einem Ordnungshüter verscheucht zu werden. Der einzige Kampf, den die beiden Dorfsherrifs hier heute jedoch ausfechten werden, ist der gegen die Sonne und so kann ich (beinahe) das gesamte weitere Spiel in dieser exquisiten Liegeposition verfolgen. Deutlich weniger entspannt präsentiert sich Bochums Schlussmann Manuel Riemann, der seine bemerkenswert leblosen Vorderleute nach einigen offensiven Nadelstichen Baunatals nach allen Regeln der Kunst zusammenfaltet. Noch haben die drei Wechsel des VfL nicht gefruchtet. In der Kurve der Bochumer will man die eigenen Spieler nun kämpfen sehen, während „die Baunis“ auf der Haupttribüne eine Sensation wittern und sich immer mehr Gehör verschaffen können.

Auf dem Feld übernimmt Bochum aber nach und nach das Kommando. Bella-Kotchap scheitert per Kopf nach gut einer Stunde, knappe zehn Minuten später kann Baumgartner eine schnell vorgetragene Passstafette nicht zum krönenden Abschluss bringen. Der Druck wird zunehmend größer und nach 70 Minuten ist der Bann gebrochen. Abermals ist es Silvère Ganvoula, der im Strafraum eiskalt bleibt und zum 2:2 abschließt. Nun geht es für den Außenseiter dahin. Die Kräfte schwinden und der nächste Rückschlag lässt nicht lange auf sich warten. Ein langer Ball aus der eigenen Hälfte landet in den Füßen von Weilandt, der bedient Ganvoula, welcher vom Elfmeterpunkt zunächst am Lattenkreuz scheitert, den Abpraller aber selbst über die Linie drücken kann. Ganvoula zum Dritten, 2:3 nach 73 Minuten – und meine gratis Wettscheine aus der Bahnzeitschrift just in diesem Moment ohne Aussicht auf Gewinn. Ach, ich hätte den sympathischen Baunatalern hier nicht nur aus Quotengründen einen Heimsieg gegönnt…

Bochum ruht sich nicht auf der knappen Führung aus und drängt mit aller Macht auf die Entscheidung. Griezmann Zoller wird mustergültig freigespielt, schießt aus Nahdistanz aber vorbei. Losilla scheitert mit einem satten Fernschuss am glänzend parierenden Bielert, der in dieser Situation in der 79. Minute mit der Latte im Bunde ist. So bleibt Baunatal weiterhin am Leben. Die Spannung zerschneidet die Luft, Nägel werden gekaut, es wird gezittert, geschwitzt, Herzschläge verursachen seismographische Schwingungen. Und dann ist da noch diese eine Frau, die in der 85. Minute nichts besseres zu tun hat, als die Graswälle entlang zu schlendern und Pilze zu sammeln. Da auch ich offenbar etwas zu nahe an ihrem Abendbrot sitze, werde ich gebeten, für die spannende Schlussphase der Partie noch einmal etwas zur Seite zu rutschen. Machen wir so – der Pokal hat schließlich seine eigenen Gesetze!

Detlef animiert noch einmal das Heimpublikum und auch die Baunataler Spieler, bereits von Krämpfen geplagt, mobilisieren letzte Kräfte. Eine scharfe Hereingabe von der rechten Seite landet am Sechzehner, Schuss aus dem Gewühl, Sattorov macht am zweiten Pfosten ein ganz langes Bein, kommt aber nicht mehr an den Ball. Riemann unterläuft eine Flanke, Sattorov steht urplötzlich vollkommen frei, jagt den Ball aber in die Wolken (90.+4). Das war’s, sagt St. Wolfgang im direkten Anschluss dieser Szene und beendet die Partie pfeifend. Der bravouröse Kampf der Baunataler wird letztlich nicht belohnt und Bochum zieht mit einem blauen Auge in die zweite Runde ein. Detlef fasst noch einmal zusammen und wendet sich in einer letzten Ansprache an den Gästeblock: „Alles ist schön ruhig geblieben und bis auf den Anfang habt ihr es gut gemacht!“.

Beim Verlassen des Stadions finde ich Programmheft und Eintrittskarte und verdiene mir dank einiger liegengelassener Weichplastikbecher das letzte Stadionbier für den Weg nach Hause. Ein Land, in dem man mit Müll Bier bezahlen kann, kann eigentlich kein schlechtes Land sein, würde Fetti sagen, wenn er es nicht besser wüsste. Den stündlich verkehrenden Bus nach Kassel erwische ich um 21.05 Uhr mit spielerischer Leichtigkeit, der Busfahrer sieht kein Problem darin, mich im KasselPlus-Bereich mit meiner hier eigentlich ungültige Fahrkarte mitzunehmen und zu Hause wartet noch ein „Kasseler Pils“, bevor morgen Früh die Weiterreise nach Halberstadt ansteht. Bei derart rosigen Aussichten wäre es also durchaus von Vorteil, wenn mich dieser Linienbus nicht ins Jenseits befördern würde. /hvg

31.07.2019 FC Hellas Berlin 1984 – FSV Fortuna Pankow 3:5 (1:3) / Stadion an der Windmühle, Nebenplatz / 14 Zs.

Als ich am 31.07. gegen 17.30 Uhr in den „Bierseidel“ am U-Bahnhof Britz-Süd einkehre und etwas erschöpft in den Terrassenstuhl sacke, wünsche ich mir einmal mehr, die BVG würde eine „Miles and More“-Karte in ihrem Portfolio haben. Heute hätte ich zwischen Wohnung, Arbeitsstelle, Ausflugsort und Feierabendbier immerhin bereits stolze 67,4 Kilometer zurückgelegt und im Rahmen dieses nicht-existenten Bonusprogramms sicherlich einiges an Punkten gesammelt. Für eine attraktive Prämie muss ich derzeit aber (noch!) selber sorgen – da trifft es sich natürlich hervorragend, dass man bei mir für exakt 67,4 BVG-Punkte einen Kurzurlaub in Griechenland erhält. Wer dafür die Punkte nicht einlöst, ist selber Schuld!

Der FC Hellas ist das Ziel dieser Tagesreise. 1984 von griechischen Einwanderern unter dem Vereinsnamen FC Rudow gegründet, hatte der Club Mitte der 1990er Jahre als „Olympiakos Berlin“ seine Hochzeit. Dank der Unterstützung einiger windiger Fußballfunktionäre stürmte man bis in die Verbandsliga hinauf und ließ mit namhaften Transfers aufhorchen. Der wohl bekannteste Spieler, der jemals die Töppen für den FC Hellas schnürte, dürfte Iwan Jaremtschuk gewesen sein. Der Ukrainer gewann mit Dynamo Kiew den Europapokal der Pokalsieger und nahm für die Sowjetunion an den Fußball-Weltmeisterschaften 1986 und 1990 teil, ehe er sein Glück bei Blau-Weiß 90 und Hertha BSC in der zweiten Bundesliga suchte – und scheiterte. Nach einem halben Jahr nutzte Iwan Jaremtschuk das Sprungbrett „Olympiakos“ und verschwand in die weite Fußballwelt. Kurz darauf verschwanden auch die Geldgeber, Olympiakos stürzte sportlich ab und die einstigen Gründer besannen sich auf die Wurzeln des Vereins. Seit dem Jahr 2000 tritt man nun als „FC Hellas 1984“ gegen den Ball und bietet den gut 11.000 in Berlin lebenden Griechen nicht nur eine sportliche Heimat. Es ist die „Besinnung auf das Griechentum: das Essen, die Familie, die Musik, die Geselligkeit, der Stolz auf die ferne, krisengeschüttelte Heimat und natürlich die Liebe zum Fußballsport“, die die Menschen hier zusammenführt. So beschreibt es die „taz“ in einem Beitrag aus dem Jahre 2010 und rührt fortfolgend weiter kräftig die Werbetrommel für einen Tag Kurzurlaub in Griechenland bei Britz: „Die Bouzouki spielt, Retsina wird gereicht und auf dem Grill liegen die Lammkoteletts. Die Sonne scheint, die Menschen lachen und abgerechnet wird pro Tisch und nicht nach Einzelpersonen. Ein Stück gutes, altes Griechenland ist hier zu Hause – wie perfekt inszeniert für ein Werbefoto des Fremdenverkehrsamtes. Im Sommer ist es am Platz ‚An der Windmühle‘ besonders schön“, so der weitere verheißungsvolle Text im Stile einer Hochglanzbroschüre auf Menschenfang. Naja, zugegeben – in diese Falle ist FUDU dann wohl getappt…

Denn noch ist man ja gar nicht in Griechenland, man ist halt doch irgendwie nur in Britz-Süd. Architektonische Tristesse der 1960er Jahre und als Gesamtkunstwerk so langweilig, dass in Berlin der Satz „Kein Mord in Britz!“ zum geflügelten Wort wurde und nun immer dann zum Einsatz kommt, wann immer man mit Nachrichten ohne Nachrichtenwert konfrontiert wird. Aber, so ehrlich muss man an dieser Stelle gegenüber Britz schon sein, so nah dran wie gestern waren sie schon lange nicht mehr. In der Gutschmidtstraße, wenige Meter von hier, wurde vor knapp 30 Stunden ein Mann mit schweren Stichverletzungen aufgelesen. Die vierte Mordkommission ermittelt. Ganz schön was los hier!

Da trifft es sich gut, dass Fetti in der Zwischenzeit Verstärkung erhalten hat. Niemand geringeres als Johannes (der STäufer) ist soeben im „Bierseidel“ gelandet – und der wird schon genügend Schutzpatronen mit sich führen! In einem trügerischen Gefühl vollständiger Sicherheit begibt sich FUDU knapp 30 Minuten später auf den Weg in das „Stadion an der Windmühle“ und passiert hierfür einen Park, in vollkommener Verkennung der Tatsache, dass es sich hier nicht um irgendeinen x-beliebigen Park, sondern um den legendären „Britz-Buckow-Rudow-Grünzug“ handelt, „der in den 1960er Jahren geplant und zuletzt in den 1980er Jahren modernisiert“ wurde. „Der BBR-Grünzug, wie der Britz-Buckow-Rudow-Grünzug auch genannt wird, ist (Anm. d. Red.: Schon jetzt!) landschaftlich gestaltet und bietet eine Vielzahl an Möglichkeiten für Spiel, Sport, Bewegung und Aufenthalt“. Da das ganze Ding gerade umgestaltet und von Barrieren befreit wird, ist davon auszugehen, dass es hier bald NOCH schöner sein wird. Solltet ihr auf eurem Weg nach Griechenland also dringend einen Zwischenhalt einlegen…

Um exakt 18.54 Uhr haben wir Griechenland am Buckower Damm erreicht. Auf dem Hauptfeld des Stadions herrscht gähnende Leere, obwohl genau auf diesem laut offizieller Ansetzung in sechs Minuten die erste Qualifikationsrunde zum Paul-Rusch-Pokal 2019/20 eröffnet werden soll. Ein Stern-Britz-Fan zeigt sich wenig auskunftsfreudig, was die Austragung des Spiels des FC Hellas betrifft. Statt Lammkoteletts vom Grill gibt es heute übrigens nur eine lieblose Currywurst mit Pommes, die Alternative zum Retsina heißt „Berliner Kindl“ aus der Flasche und anstelle der Bouzouki-Klänge im Sonnenschein gibt es immerhin einsetzenden Nieselregen. Das Spiel findet selbstredend auch nicht auf dem Rasenplatz, sondern im Kunstrasenkäfig statt (obwohl bei fussball.de eindeutig „NR“ steht – Malaka, was soll das bitte heißen, wenn nicht Naturrasen?) und zusammenfassend muss man schon sagen: Dieses ganze Potpourri an Enttäuschungen hat mit Griechenland und Lebensfreude in etwas so viel zu tun wie … sagen wir mal… Britz-Süd!

Pünktlich zum Anpfiff beziehen wir Position am Kunstgræs, wenigstens ohne ein Eintrittsgeld bezahlen zu müssen. 12 weitere Zuschauer sind erschienen, darunter drei junge Männer, die es mit den Fortunen aus Pankow halten. Kaum hat Schiedsrichter Hans Kalupa die Partie eröffnet, schon ziehen schwarze Gewitterwolken auf. Kurz darauf grummelt und grollt es, der Nieselregen ist längst einem Starkregen gewichen und eine Frau mit Regenschirm rennt mitten im Spiel hektisch auf das Feld. Der Schiedsrichterobmann hätte empfohlen, das Spiel sofort abzubrechen, lautet die Ansage. Doch Hobbymeteorologe Hans Kalupa kennt sich mit Gewitter bestens aus und sieht keinerlei Gefahr für die Austragung dieses Spiels. Die junge Frau wird mit einem Fingerzeig des Platzes verwiesen, woraufhin sie nun noch wie wild auf die Ersatzspieler des FC Hellas einredet und sich dann, ohne eine Antwort abzuwarten, zurück in die Katakomben trollt. Da zucken die Griechen nur fragend mit den Schultern. „Wenigstens riecht sie gut“, kann einer der fünf Hoffnungsträger die Gesamtsituation kunstvoll zusammenfassen und abrunden.

FUDU rettet sich im Anschluss unter das schützende Dach der Auswechselbank des Hauptspielfeldes (NR!) und hat fortan die besten Plätze mit Sichtbehinderung, die man sich am „Stadion an der Windmühle“ in diesem Moment sichern konnte. Als besonderes Highlight liegt in dem Unterschlupf mit Sichtschlitz ein Handy modernster Bauart bereit, das sämtliches zur Verfügung stehendes technisches Equipment FUDUs locker aussticht. Die Notizen werden besser denn je sein und auch die Fotos, die man mit diesem Ding anfertigen kann, hochauflösender als alles jemals dagewesene! Scheint hier unter dem Strich also so eine Art Medientribüne zu sein.

Im Kunstrasenkäfig kämpft die bunt zusammengewürfelte Griechenauswahl aus der Kreisliga C derweil tapfer gegen den Favoriten aus der Bezirksliga an. Der FC Hellas hat heute einige deutlich in die Jahre gekommenen Herren und den einen oder anderen Souvlaki-Panzer aufgeboten – im Tor steht bspw. der etatmäßige Keeper der Ü50 – aber, um die Wundertüte komplett zu machen, agiert auch der eine oder andere Akteur, der deutlich höherklassig spielen könnte und in erster Linie der Nationalität wegen bei Hellas spielt, in den eigenen Reihen. So benötigt der Favorit aus Pankow knapp 25 Minuten, ehe der Bann gebrochen ist. Dem Treffer von Michel Schwab (24.) folgt das schnelle 2:0 durch Sebastian Teuscher (31.). Aus nach wie vor sicherer Entfernung bekommen wir mit, wie der Außenseiter nach 41 Minuten durch Kerem Erman verkürzen kann, ehe Yannick Hertel im Gegenzug den alten Abstand wieder herstellt.

In der Halbzeitpause hat Schiedsrichter Kalupa sein schwarz-weiß gestreiftes „Foot Locker“-Trikot gegen einen neongelbes Hemd und Hellas Paschalidis gegen den Torschützen Erman getauscht. Der Platzwart bewirbt sich mit spielerischer Leichtigkeit für ein Greenkeeper-Aufbauseminar, da dieser die Gelegenheit für besonders günstig erachtet, trotz des Starkregens einfach mal damit zu beginnen, den Rasenplatz zu wässern. Vielleicht hat man ihn in Britz schon längst auf den Namen „Bob der Sprengmeister“ getauft. Oder schlicht: Der Typ mit dem Wasserschaden. Zwei Senioren, die sich 45 Minuten auf dem anderen Nebenplatz gegen die A-Jugend des DJK Schwarz-Weiß Neukölln gequält haben, schleichen mit Bierbecher und Kippe im Mund durch das Ambiente und versprühen Fußballweisheiten Alter Herren. „Schnell sein ist nicht das einzige, was zählt, Dicker!“ Fetti nickt zustimmend. Wo er Recht hat, hat er Recht. Ist ja schließlich kein Britzkrieg hier – und falls doch, ist Bob sicher gleich fertig mit wässern…

Nach etwas mehr als einer Stunde kann Hellas durch Georgios Iordanidis auf 2:3 verkürzen. Schade, dass der Favorit wieder keine fünf Minuten benötigt, um zurückzuschlagen. Michel Riske erzielt nach 79 Minuten die vermeintliche Vorentscheidung. Wir kauern noch immer in unserem Regenbunker, als Georgios Iordanidis Gästekeeper Zurell aus gut und gerne 40 Metern auf dem falschen Fuß erwischt. Der Ball schlägt zum 3:4 in die Maschen ein, der Regen hat endlich ein Ende und FUDU kehrt nach 80 gespielten Minuten auf den Platz zurück. Geblieben sind fünf weitere Zuschauer, darunter die drei Pankower Burschen, die die ganze Zeit tapfer an der Seitenlinie ausgeharrt hatten uns nun weismachen wollen, dass es 3:3 steht. Das kommt wohl davon, wenn man zu lange im Regen steht – von der Auswechselbank des Nebenfeldes hat man klar gesehen, dass ihr 4:3 in Führung seid, kann FUDU an dieser Stelle als Korrektiv wirken. Bitte, gern geschehen!

Von unserem neuen Premiumplatz mit bester Sicht auf das Spielfeld erleben wir die Entscheidung in der 88. Minute mit. Hertel schießt den Bezirksligisten in die erste Runde des Hauptfeldes und nimmt uns gegen 20.45 Uhr sämtliche Hoffnungen auf eine Verlängerung dieses rauschenden Pokalabends.

Zum Abschied werfen wir noch einen flüchtigen Blick auf die Britzer Mühle und düsen dann mit irgendeiner der unzähligen Buslinien zum S-Bahnhof Hermannstraße. Hier ist eine Lokführerin so freundlich, einer Touristengruppe aus ihrem Fenster heraus Fragen zu beantworten. „One Station“ müssten sie fahren, um nach Tempelhof zu kommen. Leider scheitert diese Gruppe in Folge aber an der Aufgabe, die Tür zu öffnen und während alle Mann quer über den Bahnsteig sprinten, um zur ersten geöffneten Tür zu gelangen, fordert Fetti die gute Frau im Führerstand auf: „Ach komm, fahr los!“. Diese reagiert mit Kopfschütteln und setzt dann noch einmal verbal nach: „Man, man, man – für so Leute sollte es eigentlich noch viel schwerer sein, die Türen aufzukriegen!“. Dann lächelt sie uns an, winkt freundlich und braust mit der Horde Berlinbesucher, die es gerade noch eben so in die S-Bahn geschafft hat, in Richtung Westen.

Irgendwann im Verlauf der nächsten Tage entnimmt Fetti einem Fußballfachportal, dass die Gäste aus Pankow irgendeinen schwerwiegenden Fehler im Online-Spielformular begangen haben und das Spiel mit 6:0 für den FC Hellas gewertet wird. Sollten sich die Hellenen für den DFB-Pokal qualifizieren, würden wir noch einmal wiederkommen. Bis dahin habe ich sicherlich auch wieder genügend BVG-Punkte gesammelt, die ich beim nächsten Mal dann aber bitte wirklich gegen Lammkoteletts vom Grill und Bouzouki-Klänge einlösen würde… /hvg

20.07.2019 FK Senica – FK AS Trenčín 3:1 (0:1) / Futbalový štadión Senica / 983 Zs.

Heute steht die Weiterreise von Trnava nach Senica auf dem Programm. Die Fahrt vor den Augen, den Blick weit nach vorn, setzt sich Fetti gedanklich schon einmal mit dem Reiseziel des heutigen Tages auseinander. Senica. 20.000 Einwohner, an der Myjava (→ nad Myjavou) gelegen, Wirtschaftszentrum und sicherlich eine regelrechte Perle der Westslowakei, würde ich sagen, wäre ich Beschäftigter eines Reisebüros und Menschen würden mich nach Senica fragen. Aber wann fragen normale Leute schon einmal nach Senica?

Es ist kurz nach 11.00 Uhr am Hauptbahnhof von Trnava, als ich endlich auch das nötige Handwerkszeug erworben habe, mit dessen Hilfe ich diesen Kunden den Reiseweg nach Senica erklären könnte. Senica liegt also an der 121 Jahre alten eingleisigen Bahnstrecke Trnava-Kúty und ist in unter einer Stunde mit dem Zug zu erreichen. Soweit die zufriedenstellende Ausgangslage.

Aufgrund eines defekten Ticketautomaten und der Sprachbarriere, die neben der Glasscheibe zusätzlich zwischen mir und der Frau am Fahrkartenschalter steht, geht der Einkauf des Fahrscheins als einer der etwas spektakuläreren in die Geschichte ein. Mit einem einzigen Wort („Senica“) und einem Fingerzeig auf das linke Handgelenk lässt sich aber letztlich alles klären, was geklärt werden muss. Die Dame schiebt mir den Fahrschein durch den Schlitz, nimmt 2,14 € entgegen und fertigt dann eine Notiz an, die sie hinterher reicht. „13:11“, steht auf dem kleinen Schmierzettel.

Na, dann habe ich wohl noch gut zwei Stunden Zeit bis zur Abfahrt meiner Bimmelbahn, sinniere ich tiefenentspannt vor mir her, während Fetti im Hintergrund kaum zu bremsen ist und Luftsprünge in der Bahnhofshalle vollführt. Die Zeit der spätwienerischen Dekadenz scheint glücklicherweise endgültig vorüber, anders ist es nicht zu erklären, wie 0,36 € derart viel Freude auslösen können. Das FUDU-Pärchen, das sich heute einige Stunden zeitversetzt auf selbigen Reiseweg begeben und am frühen Abend in Senica erwartet wird, hatte sich nämlich bereits im Vorfeld der Reise mit Online-Tickets für die Teufelsroute Trnava-Senica eingedeckt. Der aufgerufene Preis im Internetportal: 2,50 €. Horrorgebühr, Kostenfalle, Anfängerfehler. Oder: Hätten sie mal besser im Reisebüro gefragt!

Zwei Stunden später lungert am Gleis 1 eine waschechte Ostblockschönheit herum, wie sie so im Buche steht. Blondierte Haare, aufgespritzte Lippen, gemachte Brüste und künstliche Fingernägel bis Kúty. Dieses wunderbare Exemplar hier hat offenbar trotz Erfüllung aller Stereotype noch immer keinen Kanisterkopf zum Familiegründen gefunden und musste so wohl oder übel zum letzten Strohhalm greifen. Das Blood&Honour-Tattoo auf dem Unterarm wird es nun richten müssen – und zumindest in der Ordnerschaft Spartaks hätte die junge Dame nun wohl leichtes Spiel und freie Auswahl. Dieser „Gruselgrusel“-Moment währt jedoch nicht all zu lange, weil sich soeben meine Regionalbahn angenehm rumpelnd in den Bahnhof gequält hat. Von außen komplett zugebombt, von innen braunes Kunstleder, duftendes Linoleum und feinstes Sprelacart. Der spröde Charme des Sozialismus trifft auf westliche Verwahrlosung. Es ist kaum in Worte zu kleiden, wie sehr ich mich auf diese Überfahrt freue!

Mit einer Minute Verspätung verlässt der Zug um 13.12 Uhr den Bahnhof. Fetti nickt zufrieden, schaut erneut auf das leere linke Handgelenk und goutiert wohlwollend: „pünktlich!“. Das hatte der polizeikritische Flügel FUDUs offenbar genauso angeordnet. Etwas in Sorge gerät Fetti, als der Zug hinter Trnava die ersten Male Station macht. Es gibt nämlich keine Stationen im eigentlichen Sinne, vielmehr Haltepunkte auf offener Strecke, an denen Menschen aus den Türen springen, um dann über die Gleise in alle Richtungen hinfort zu eilen. Sicherlich kein Problem, wenn man weiß, wo man sich aktuell befindet, da es an Bord jedoch keine Durchsagen und natürlich keinerlei elektronische Helferlein gibt, dürfte es für Fetti später einigermaßen aussichtslos sein, intuitiv im genau richtigen Moment auszusteigen, in der vagen Hoffnung, in Senica angekommen zu sein.

Wie gut, dass da gerade der freundliche Schaffner der „ZSSK“ (→ „Žeľezničná spoločnosť Slovensko“ – das „K“ steht für Gefahr) mein Ticket kontrollieren mag und nicht nur über Englisch-, sondern sogar über etwas Deutschkenntnisse verfügt. Schnell hat er mir versichert, dass ich Senica auf keinen Fall verpassen würde („große Bahnhof!“), er mir aber zusätzlich auch noch einmal Bescheid geben wird, damit hier auch gar nichts mehr schiefgehen kann. Da die Gelegenheit gerade günstig ist und Trinken in der Öffentlichkeit nicht in allen Ländern gleich gut ankommt, erkundige ich mich, ob ich meine Dose „Šariš“ öffnen darf. Beinahe überschwänglich beantwortet er diese Frage zu meinem dreimaligen Gefallen mit einem euphorischen: „Ja, Jaa, Jaaa!“ – und ich glaube, dabei eine kleine Freudenträne in seinen funkelnden Augen gesehen zu haben…

Gegen 15.00 Uhr habe ich Senica erreicht. Der Schaffner hat nicht zu viel versprochen. Es gibt im Gegensatz zu den anderen Haltepunkten in der Tat einen Bahnsteig und ein Bahnhofsgebäude, sodass man dieses Ziel wirklich nicht hätte verfehlen können. Während ich erste Erinnerungsfotos des Reiseziels anfertige, tippt mir eine freundlichen Slowakin von hinten auf die Schulter und versucht mir wild gestikulierend Gott weiß was verständlich zu machen. Man wird nach so einer entschleunigten Fahrt („Kein Wi-Fi, keine Kartenzahlung im Bordrestaurant möglich, sehr veraltetes Ambiente, langsames Reisetempo, Plumpsklo – 10 von 10 Sternen!“) doch wohl in Ruhe fotografieren dürfen, denke ich mir zunächst, aber da die Dame ihr Gebaren ohne Unterlass fortsetzt und nun sogar an mir zu ziehen beginnt, folge ich ihr einfach treudoof. Irgendwas scheint hier wohl gerade wichtig zu sein.

Wenige Schritte später stehe ich am Bahnhofsvorplatz, auf dem bereits ein Bus auf die ankommenden Menschen wartet. „Centrum“, sagt die hilfsbereite Dame nun mit einem kleinen Fragezeichen in der Stimme. Da ich davon ausgehe, dass sich das „Grand Hotel Senica“ sicherlich irgendwo im Zentrum befinden wird, kann das hier schon so falsch nicht sein. Während der Fahrt, die mich 0,50 € kostet, wirft die Frau einen Blick auf die Buchungsbestätigung des Hotels und ihr „OK“ signalisiert mir, dass sie mir dann auch noch ein Signal geben wird, an welcher Haltestelle ich aussteigen soll. Schon jetzt bin ich ihr unheimlich dankbar, da der Bus bereits einiges an Strecke zurückgelegt hat und noch immer kein „Centrum“ in Sicht ist…

In einer späteren Recherche erfahre ich, dass der Bahnhof immerhin stolze 3,9 Kilometer von der Stadt entfernt liegt, weswegen bereits 1920 die Bürger Senicas eine Streckenverlegung eingefordert haben. Aus Unentschlossenheit des damaligen Eisenbahnministerium der Tschechoslowakei wurde dieses Projekt jedoch nie durchgeführt, könnte ich im Reisebüro sämtlichen Interessenten nun als weitere Information an die Hand gegeben. Naja, aber jetzt ist ja alles in slowakischer Hand. Kann also nur besser werden!

Darüber hinaus wird mir später bewusst, dass der Bahnhof Senica exakt alle drei Stunden aus Trnava bzw. Kúty angefahren wird, sodass nicht zwingend davon auszugehen ist, dass der ÖPNV dort in einem zehn-Minuten-Takt verkehrt wäre. Wirklich ein feiner Zug der Dame, mich in den Dorfbus zu zerren…

… in dem die gute Frau knapp 20 Minuten später auf den Halteknopf drückt. Schnell ist mir klargeworden, dass ich mit aussteigen soll. Sie geleitet mich an die Ampel, bringt mich sicher über die Straße und entlässt mich erst in die Freiheit, als sich das „Grand Hotel“ bereits in Sichtweite befindet. Ďakujem, derart komplikationslos hat man im Ausland selten seine Wegstrecken gefunden. Wäre ja früher ohne Handys so alles nie möglich gewesen…

Das Dreibettzimmer ist im „Grand Hotel“ für 85,60 € die Nacht zu erhalten und auf einen anderen Namen reserviert, dennoch lässt man mich dieses auf Vertrauensbasis bereits beziehen, nachdem man mir freundlicherweise meinen Boardingpass für morgen (Wien-Berlin) gegen eine Grand-Hotel-Gebühr von 0,10 € ausgedruckt hat. Das Zimmer besticht zunächst durch seine Größe, kann dann aber auch aufgrund der naiven Malereien über dem Doppelbett und der stillvollen Dekorationselemente punkten. Wir bei FUDU sind keine großen Kenner des Planetensystems, aber das, Freunde, das muss ein Uranus sein…

Im Anschluss begebe ich mich in die Stadt, um die Sehenswürdigkeiten Senicas zu erkunden. Und das wäre dann der Moment, in dem man im Reisebüro auf den inoffiziellen Marketingclaim der Stadt hinweisen würde, der da lauten könnte: „Fahr nach Senica – und seh nix da!“.

So bleibt also nach einem flüchtigen Blick auf die „Kostol Navštívenia Panny Márie“ (Pfarrkirche der Jungfrau Maria) genügend Zeit, erst ein Auswärtsschnitzel in der „Krušovická hospoda“ und dann das FUDU-Pärchen mit meiner Expertise zu speisen. Da ich nicht davon ausgehe, dass sich die slowakische Mutti alle drei Stunden an den Bahnhof stellt, um gestrandete Piefkes an die Hand zu nehmen, leite ich alle Erkenntnisse des heutigen Tages gerne brühwarm weiter. Bahnhofsvorplatz, Bus, Ticketpreis, Entfernung zum Stadtzentrum, Haltestelle beim „Lidl“. Stets zu ihren Diensten!

Um 18.30 Uhr schlagen die beiden Nachkömmlinge (natürlich nur) dank dieser Informationen unversehrt am „Grand Hotel“ auf. Noch verbleiben 30 Minuten bis zum Anpfiff der heutigen Partie zwischen Senica und Trenčín in der slowakischen Eliteliga, die immerhin 10 Jahre lang nach einer Brauerei benannt war und nun den Namen einer Glücksspielbude trägt. An der Stelle fühlt sich Fetti vom slowakischen Fußball abgeholt, wie man neudeutsch zu sagen pflegt.

Für 4 € erhält man dann von einer Armada junger hübscher Damen Tickets für die Gegengerade des „Futbalový štadión“ ausgehändigt. Das Stadion trägt offiziell den Namen eines Sponsors, der in der Herstellung von Leuchtmitteln tätig ist. Fetti, noch immer gezeichnet vom gescheiterten Glühbirnendiebstahl von Trnava, fühlt sich von der Slowakei nur kurz verhöhnt, ehe er sich seinerseits über das Stadion amüsiert. Immerhin eine alte Tribüne hat man hier erhalten, während das restliche Stadion von 2012 bis 2015 abgerissen und Stück für Stück neu errichtet worden ist. 5.070 Menschen finden in dem zweckmäßigen Ungetüm Platz und das verbaute Kunststoffdach in transparentem Mladá-Boleslav-Blau dürfte die Herzen eines jeden Kleingärtners, der sich schon einmal die Frage gestellt hat, wie er seine Veranda kostengünstig überdachen könnte, höher schlagen lassen.

Egal. Heute geht es nicht um Schönheitspreise. Heute ist Saisonauftakt. Und heute ist Derby! Klar, dass es sich die Jungs aus Trenčín (60 Kilometer entfernt) da nicht nehmen lassen haben, mit allen Mann anzureisen. 14 Mann im Gästeblock und insgesamt 983 im Stadion fiebern dem Anpfiff von Peter Ziemba entgegen, während der Hoollege noch in der Schlange am Bierstand, in der sich mehr Menschen als im Stadion befinden, festhängt.

Das Spiel läuft schon einige Minuten, ehe der Hoollege mit drei Bechern an unseren Platz zurückkehrt. Hier hätte es um Haaresbreite einen bedauerlichen Klappsitzunfall gegeben, doch mit viel Geschick und mit viel Liebe zum alkoholischen Getränk gelingt es dem Teufelskerl, trotz angedeuteten Sturzes und einsetzenden Schmerzes am Schienbein die gut gefüllten Bierhumpen vor dem slowakischen Supergau zu bewahren.

Auf dem grünen Rasen wird ähnliche Einsatzbereitschaft und Körperbeherrschung lange Zeit schmerzlich vermisst. Die Heimmannschaft agiert zwar etwas lebendiger, doch nach 20 trägen Minuten steht erst ein Abschluss durch den Kroaten Lovro Cvek auf den kurzen Pfosten auf der Habenseite. Nicht nur Fetti weiß: Aus dem Winkel hat’s natürlich keinen Cvek. Etwas gefährlicher ist da schon ein Freistoß der Gäste, doch Cveks Landsmann Roguljić scheitert an Senica-Schlussmann Federico Taborda. Im Anschluss bittet der Referee zur Trinkpause und FUDU konstatiert in selbiger: Das Stadionbier kostet zwar nur 1,30 €, schmeckt aber ganz schön abgestanden und die gebirgsmassivähnliche Karpatenschaumkrone hätte es in der Form auch nicht zwingend gebraucht – was den beeindruckenden Einsatz des Hoollegen von gerade eben aber natürlich in keinster Weise schmälern soll!

Nach der Trinkpause gelingt Senica nur noch ein guter Kopfballabschluss durch Baumgartner, während die Gäste langsam Oberhand gewinnen. Der Belgier Corryn in Diensten von Trenčín scheitert nach einer guten halben Stunde im 1:1 gegen Taborda, ehe dieser einige Minuten später den Stoßstürmer der Gäste, David Depetris, im Strafraum zu Fall bringt. Schiedsrichter Ziemba kann sich nicht recht entscheiden, ob ein Foulspiel oder eine Schwalbe vorgelegen hat, zeigt schon auf den Punkt, nimmt die Handbewegung aber umgehend wieder zurück, verzichtet aber auch auf eine gelbe Karte für Depetris und lässt die Partie womöglich einfach leise zweifelnd weiterlaufen. Wenig später steht Depetris, der womöglich einzige Argentino-Slowake weltweit, aber goldrichtig und kann eine Boukari-Hereingabe zum nicht gänzlich unverdienten 0:1 über die Linie drücken.

In der Halbzeitpause verzichtet FUDU auf ein weiteres abgestandenes Bier mit Karpatenschaum vom mobilen Verkaufsstand und hofft auf eine Qualitätssteigerung an anderer Schankstelle. Leider muss der Hoollege aber auch den Versuch, ein neues Bier aus der Stadionkneipe zu kaufen, angewidert abbrechen. Die Zapferinnen haben hier den unschuldigen Menschen doch allen Ernstes Eiswürfel ins Bier gemischt. Das hätte es nicht gegeben, als die Liga noch „Corgoň“ hieß!

Auch der nächste Schreck lässt nicht lange auf sich warten. In einer kurzen Handyrecherche erfährt der Hoollege, dass FUDU das Bierfest von Senica („Senické Pivné Slávnosti“) mit dem charmanten Beinamen „Štramák fest“ (zu deutsch: Fest der Dandys) nur denkbar knapp verpasst hat. Besonders bitter, dass man sich eingestehen muss, dass man somit auch den Auftritt (?) der legendären „Dicken Ballerinas“ versäumt hat. Nicht komplett auszuschließen, dass der google-Übersetzer diesen Teil des Rahmenprogramms eher etwas holprig aus dem Slowakischen ins Deutsche übertragen hat, aber immerhin ist kurzzeitig für Erheiterung auf den Tribünen gesorgt.

Unter dem Strich geht FUDU aber bier- (und in Bezug auf die weitere Abendgestaltung perspektivlos) in den zweiten Spielabschnitt. Ähnlich viel Pech haben derweil nur die Spieler aus Trenčín: Depetris scheitert nach 52 Minuten aus fünf Metern Torentfernung an der Torlatte. Gerade einmal 60 Sekunden später nimmt Bukari eine furchtbaren halbhohen Rückpass aus der Mittelfeldreihe Senicas auf, zieht auf die Abwehrkette zu, geht im Sechzehner ins Dribbling – und trifft aus der Drehung ebenfalls nur den Querbalken.

Wie gut, dass da Heimcoach Michal Ščasný zur Halbzeit den erst 20-jährigen Nigerianer Peter Moses Eneji gebracht hat. Nach 68 Minuten trifft dieser per sehenswerter Direktabnahme zum 1:1 und wird daraufhin vom Stadionsprecher frenetisch als „Energy Peter“ gefeiert. Im weiten Rund kennt ihn leider noch niemand, sodass der Stadionsprecher vorerst noch alleine schreien muss und auch in der 81. Minute, als Eneji den Ball an der rechten Strafraumkante unter Kontrolle bekommt, nach innen zieht und trocken zum 2:1 abschließt, hat sich an diesem Umstand leider noch nichts geändert. Wer weiß, ob sich „Energy“ schon heute in die Herzen der Fans gespielt hätte, hätte er den Strafstoß in der 90. Minute schießen und einen Hattrick erzielen dürfen, doch der Kolumbianer Frank Castañeda, der vermutlich schon als Kind in Senica-Bettwäsche geschlafen hat, überlässt dem Nigerianer – trotz dessen vehementen Flehens – den Ball nicht. So ist es dem Südamerikaner vorbehalten, den Endstand zum 3:1 herzustellen, der dem Spielverlauf nun wirklich nicht in Gänze gerecht wird.

Während in der „Pizzeria Maldini“ zur Pressekonferenz geladen wird, lassen wir den lauen Sommerabend im „Beer House“ zu Senica ausklingen. Fetti nimmt Schweinebacke mit Gemüse und Kartoffelstampf und auch drumherum geht es animalisch zu. Im benachbarten Freiluftkino wird heute „Leví kráľ“ (→ „Der König der Löwen“) aufgeführt, was dazu führt, dass etliche slowakische Affen- und andere Tierlaute an unseren Tisch dringen. Fetti, schon jetzt vollkommen irritiert und nervös, kann an dieser Stelle noch nicht ahnen, dass er morgen Früh auch noch in einen Disput mit der lokalen Trinkerszene verwickelt werden wird (Der Hoollege hat angefangen!), bevor er via Trnava und Wien-Schwechat die Heimreise antritt. Da kann man nur hoffen, dass ihn dieser Vorfall zusätzlich erden wird – und man ihm nach Landung in Berlin nicht erneut eine spätwienerische Dekadenz austreiben muss! /hvg

18.07.2019 FC Spartak Trnava – ФК Радник Бијељина 3:2 n.E. (1:0, 2:0, 2:0) / Štadión Antona Malatinského / 4.222 Zs.

Die feuchten slowakischen Fußballträume sind noch nicht zu Ende geträumt, da klingelt auch bereits der Handywecker. Das „Porzellaneum“ bittet um zehn Uhr um Check-Out und in gewohnter Souveränität schlagen beide FUDU-Schweine gegen 9.59 Uhr in der Lobby auf.

Abermals begrüßt Wien seine Besucher mit strahlendem Sonnenschein auf das Allerherzlichste. Angenehm, da noch gut vier Stunden bis zur Weiterfahrt nach Trnava zu überbrücken sind und man nun aufgrund des Wetters Motivation schöpft, noch ein wenig touristisches Standardprogramm abspulen zu wollen. Und so zieht es Fackelmann und mich zum Karlsplatz, von dem aus wir unsere kleine Expedition starten. Karlskirche und das Denkmal zu Ehren der Soldaten der Sowjetarmee am Schwarzenbergplatz werden eher flüchtig gestriffen, um im Anschluss das Schloss Belvedere und den dazugehörigen Garten etwas ausgiebiger in Augenschein nehmen zu können. Gegen 12.30 Uhr haben Fetti und seine Freunde dann allerdings trotz der Schönheit des Bauwerks genug von diesem touristischen Happening. Zweieinhalbstunden haben wir uns durch Menschenmassen geschoben und sind im Slalom um asiatische Touristengruppen gelaufen, nun haben Frühstücks- und Biergelüste längst die Oberhand gewonnen. Wie gut, dass wir im Wiedner Gürtel unweit des Hauptbahnhofs und fernab des großen Menschentrubels schnell fündig werden. Das „Da Biondi & Biondi“ bietet Plätze in der Sonne, „Murauer“ vom Fass und liebevoll von Mutti belegte Brote. Da wir bekanntermaßen auch sehr große Motorsportfans sind und nicht zu Unrecht den Ruf genießen, wahrhaftige PS-Junkies zu sein, kommen wir dank der Namensgebung des Frühstücks gleich doppelt auf unsere Kosten. Ein Mal „Maserati“ für mich, ein Mal „Ferrari Testarossa“ für den Fackelmann. Ach, wie wir den Geruch von Benzin am Morgen lieben. Brumm, brumm!

Kurz darauf haben wir uns voneinander verabschiedet und ich setze meine Reise mit der „ÖBB“ fort. Wirklich ein feiner Zug der österreichischen Bundesbahn, mir hier ein Exemplar im Eishockey-Design zur Verfügung zu stellen. Für 19 € darf man auf der Sparschiene zwischen Wien und Trnava also in Erinnerungen an die Eishockey-WM in Bratislava und Košice schwelgen, die am 26.05.2019 mit dem Titelgewinn der Finnen zu Ende gegangen war. 19 € für eine knapp zweistündige Direktreise im Luxuszug hält Fetti übrigens genau so lange für fair gestaltet, bis in Bratislava eine siebenköpfige Mitfünfzigerinnen-Frauengruppe die drei freien Sitze um ihn herum und die Vierergruppe nebenan in Beschlag nimmt. Slowakische Kuchenmuttis im Heavy-Kaffeeklatsch-Modus – bis Trnava in der Form kaum auszuhalten. Also entschließt sich Fetti schweren Herzens, seinen Sitzplatz aufzugeben und sich in dem mittlerweile recht gut gefüllten Zug nach einer Alternative umzusehen. Ein skandalöser Umstand, wenn man bedenkt, dass im Fahrpreis eine Sitzplatzreservierung für 5 € mit inbegriffen war, die man verbindlich hatte dazu buchen müssen…

Die Schaffnerin reicht glücklicherweise alsbald ein gratis Getränk zur Versöhnung und hat es dann selbst nicht leicht, als sie laut stöhnend, die Augen verdrehend und sichtbar gestresst irgendein achtseitiges Formular ausfüllen muss, nur weil eine mitreisende Familie mit einem falschen Ticket in den Schnellzug eingestiegen war („You have slow train, this is fast train!“). Rein spekulativ, ob sie dies genauso gestenreich getan hätte, hätte es sich um eine bioslowakische Familie gehandelt…

Um 16.30 Uhr habe ich jedenfalls den Bahnhof von Trnava erreicht. Trnava. 64.735 Einwohner, 55 Kilometer nordöstlich von Bratislava gelegen und dank der vielen Kirchen mit dem euphemistischen Spitznamen „parva Roma“ (kleines Rom) versehen. Viel mehr muss man erst einmal nicht wissen – also, vielleicht davon abgesehen, wo sich die nächste Unterkunft der Reise wohl befinden möge. Vollkommen unvermittelt beschleicht Fetti eine spätwienerische Dekadenz. „Wir sind hier schließlich in der Slowakei – was soll das schon kosten?“, sind die letzten Worte, die man vernimmt, ehe es ihn zum Taxistand zieht.

Die Taxifahrt zur „Penzion Luxor“ dauert dann handgestoppte 4:49 Minuten und kostet 4,20 € – und der Sitzplatz ist da auch schon mit drin! Mit einem „Good luck for tonight“ verabschiede ich mich von dem freundlichen, aber wortkargen Taxifahrer und zeige auf seinen Spartak-Wimpel am Rückspiegel. Ein kurzes Lächeln huscht über sein Gesicht, welches wohl eher nicht durch das üppige Trinkgeld in Höhe von 0,80 € ausgelöst worden ist.

Auch der anschließende Check-In Smalltalk in der Pension dreht sich angenehm schnell um unser aller Lieblingsthema, nachdem 71,32 € für zwei Nächte den Besitzer gewechselt haben. Herr Anton Rijak hat schnell eruiert, dass das heutige Qualifikationsspiel durchaus Anlass meiner Reise darstellte. Mein Angebot, die Konversation auf Englisch fortzuführen, lehnt er vehement ab. Natürlich lässt er es sich nicht nehmen, seine Deutschkenntnisse aus seiner Ingenieurszeit in Süddeutschland aufzuwärmen und so geht unter anderem folgende Fußballweisheit in die Ewigkeit ein: „Bratislava gestern kaputt. Trottel!“

Anton scheint ein aufmerksamer Beobachter des slowakischen Fußballs zu sein. Tatsächlich hat der Landesmeister aus der Hauptstadt gestern Abend bereits in der ersten Qualifikationsrunde zur Champions League gegen den montenegrinischen Vertreter ФК Сутјеска Никшић (FK Sutjeska Nikšić) nach Elfmeterschießen die Segel streichen müssen. Nun droht den Lokalmatadoren des FC Spartak Trnava ein ähnliches Schicksal, schenkt man Anton, der geopolitisch nicht auf dem aller aktuellsten Stand zu sein scheint, weiter Glauben. Trnavas Gegner stammt nämlich ebenfalls „aus Jugoslawien“, das Hinspiel wurde mit 2:0 verloren, dazu habe Spartak ein „neues Team“ und einen „neuen Chef“ und mehr als 3.000 würden sich das heute im Stadion sicherlich nicht antun. Abwarten, Anton!

Ich ziehe mich auf mein Zimmer zurück. Die Pension ist aufgeräumt, sauber und hochmodern eingerichtet. Das schaue ich mir im Vorfeld auf „booking.com“ ja nie so genau an, was ich mir da so zurecht buche und das führt dann zwangsläufig dazu, dass man mitunter angenehm überrascht wird – oder manchmal eben auch etwas verwundert in Schrankwänden schlafen muss. In meiner heutigen Unterkunft steht jedenfalls exakt die selbe Stehlampe, die auch mein Wohnzimmer illuminiert. Beziehungsweise illuminieren würde, hätte ich in den letzten Monaten die Zeit gefunden, endlich zwei neue Glühlampen zu besorgen, um die defekten zu ersetzen. Und plötzlich wabern sie wieder durch den Raum, diese kleptomanischen Vibes, die mich offenbar vom Innenhof des „Porzellaneum“ bis nach „Luxor“ verfolgt haben, doch der perfide Plan wird jäh zunichte gemacht. Fetti ist traurig und wütend zugleich, kleptomanisch depressiv, angesichts des Umstandes, dass auch bei Anton nur ein Drittel der eingeschraubten Leuchtmittel funktionsfähig sind. Da wird Fetti wohl oder übel auch zu Hause in Zukunft kein Licht aufgehen…

Kaum ist dieser Schock verdaut, zieht es Fetti auch bereits zurück in die Innenstadt. Es gilt, bei Tageslicht Wegstrecken auszukundschaften und Entfernungen abzuschätzen. Keine 15 Minuten später hat er auch bereits das Stadttor „Bernolákova brána“ mit angrenzender Stadtmauer, Parkanlage und plätschernder Trnávka erreicht und steht unmittelbar darauf im Herzen der Stadt. Die Sehenswürdigkeiten entlang der Fußgängerzone „Hlávna“ werden morgen mit mehr Aufmerksamkeit bedacht, während der heutige Spaziergang noch einmal um 15 Minuten verlängert wird, um sich am „Štadión Antona Malatinského“ mit einer Eintrittskarte für die Europapokal-Partie am Abend einzudecken.

Das Stadion war übrigens von 1921 bis 2013 ein Stadion, jetzt ist es die „größte und modernste Fußballarena des Landes“ mit Platz für 19.200 Menschen, die auf den drei neuen Tribünen mit jeweils zwei Rängen und der erhalten gebliebenen Westtribüne Platz nehmen können. Das inkludierte Einkaufszentrum samt zweigeschossiger Tiefgarage lässt die Herzen von Fußballromantikern höher schlagen, die angrenzenden Büroflächen, das Multiplexkino und ein Hotel sind weiteres Balsam für die Seele der Puristen. Oder wie Fetti zu sagen pflegt: Wirklich entzückend steril hier!

Im Hotel herrscht bereits rege Betriebsamkeit: Rabatten werden gepflegt, Moos aus Pflastersteinfugen gepopelt, Fenster geputzt, rote Teppiche ausgerollt – hier bereitet man sich offenbar bereits auf die Ankunft des FUDU-Pärchens vor, welches in wenigen Tagen im „Hotel Arena“ mit Blick auf das Spielfeld logieren wird. FUDU ist zwar gegen den modernen Fußball, aber für Geburtstage mit guter Aussicht!

Kurz darauf habe ich meine Westtribünenkarte für 11 € erworben und kehre, trotz des eher deprimierenden Settings, mit einer gewissen Vorfreude auf das Flutlichtspiel zurück in die Innenstadt. Hier kann die Pizzeria „Kitty“ einen sonnigen Terrassenplatz mit Blick auf den Stadtturm „Mestská veža“ bieten und als wäre nicht bereits die schöne Aussicht Anlass zur Freude genug, gibt es in bester Lage auch noch ein großes „Staropramen“ für 1,90 € dazu. Scheiß auf die Glühbirnen. Für den Preis kann man sich ja auch hier die Lampen anmachen…

… wäre da nicht dieser unflexible Schiedsrichter Rahim Hasanov aus Aserbaidschan, der das Spiel in jedem Falle um 20.45 Uhr anpfeifen wird. Also setzt Fetti nach dem zweiten Pivo zum Bezahlvorgang an und stellt die Kellnerin mit einem 20 € Schein vor unlösbare Probleme. So sehr sie auch kramt, das Wechselgeld in Höhe von 15,50 € bekommt sie einfach nicht zusammen. Die einzige Lösung – Zahlung mit der EC-Karte – fällt dann auch noch zu meinem Vorteil aus, weil die Sprachbarriere verhindert, dass sie sich ihr Trinkgeld mit einbongt. So kann’s weitergehen.

Knapp 45 Minuten vor Anpfiff sind die Biergärten vor der Arena gut gefüllt. Mich zieht es trotzdem schon einmal ins Stadion, um fußballtouristische Fotos schießen zu können, ohne den Einheimischen damit auf die Nerven zu gehen. Nach Beendigung dieser Mission gönne ich mir ein ziemlich gutes Hähnchensteak mit Senf und Zwiebeln im Brötchen, wobei im Hintergrund drei slowakische Grillerinnen noch immer die exzellenten Sprachkenntnisse ihrer Kollegin abfeiern, die als einzige das Wort „Chicken“ kannte und so im Wesentlichen all meine Fragen in englischer Sprache beantworten konnte. Das Stadionbier für 1,50 € mundet zum Nachspülen ausgezeichnet, als plötzlich der Taxifahrer durch den ansonsten noch immer beinahe verwaisten Stadiongang schlürft, mich nett begrüßt und mit mir auf Spartaks bevorstehenden Einzug in die zweite Runde der Europa League Qualifikation anstößt. Man kennt sich halt in Trnava.

Nach und nach füllen sich die Tribünen. Auf der Hintertortribüne beziehen die Ultras von Spartak Stellung, während das Publikum auf der Westtribüne doch sehr gemischt daherkommt. Familien, Frauen, Kinder, ältere Menschen und Ostblockkanten im „Gym Beam“ Shirt – hier gibt sich alles und jeder die Klinke in die Hand.

Das Spiel beginnt. Immerhin 4.222 Menschen hat es in die „City Aréna“, wie das Stadion seit 2013 offiziell heißt, gezogen. Das wird Anton überraschen. Die sangesfreudigen Ultras sorgen für beste akustische Unterhaltung und auch aus dem kleinen Gästeblock gibt es den einen oder anderen Schlachtruf zu vernehmen. Die Heimmannschaft verzeichnet in der Frühphase des Spiels einen hohen Ballbesitzanteil, baut schnell Druck auf und kommt zu einigen Halbchancen. Alex Sobczyk, Österreicher polnischer Abstammung, ausgebildet beim Wiener Sport-Club und beim SK Rapid, kann den Ball nach 10 Minuten dann aus Nahdistanz über die Linie drücken. Bis hierhin ist der Matchplan des neuen Chefs, Ricardo Chéu aus Portugal, definitiv aufgegangen.

Nach 25 Minuten ist der Gast aus Bosnien endlich im Spiel angekommen. Die Mannen aus Bijeljina stehen gestaffelter im Mittelfeld und üben mehr Druck auf die Gegenspieler aus, sodass es für Spartak schwerer wird, das bislang so ungestörte Kombinationsspiel weiterhin aufzuziehen. So kehrt auf dem Rasen etwas Ruhe ein, während die Ultras ihre hübschesten weiblichen Geschöpfe zum Spenden sammeln durch die Reihen schicken. Da trage ich doch gerne einen kleinen Teil bei, in der Hoffnung, dass der „Hoollege“ im Ligaspiel gegen ŠKF Sereď, anlässlich seines Geburtstages in wenigen Tagen, eine hübsche Choreo zu sehen bekommen wird…

Nach 35 Minuten schießt Rafael Tavares, Trnavas 21-jährige Sturmhoffnung aus Brasilien, völlig freistehend vom Elfmeterpunkt am Kasten der Gäste vorbei, um nur wenige Minuten später nach maßgeschneiderter Flanke von Filip Oršula (Jahrhunderttalent aus der Jugend von Manchester City, 2013/14 beim MSV Duisburg unter Vertrag) nochmals sechs Meter näher am Tor stehend per Kopf an Gästekeeper Kozić zu scheitern. So geht es mit einem 1:0 in die Pause, in der ich am Bierstand zwei Jungs aus dem gestrigen Kaufhallenmob von Döbling treffe und in eine kurze Fachsimpelei eintrete. Man kennt sich halt in Trnava.

Mich zieht es nun an den rechten Rand der Tribüne, von dem aus ich auch die knapp 60 Mann im Gästeblock gut beobachten kann. Der Block des ФК Радник Бијељина (FK Radnik Bijeljina) aus Bosnien und Herzegowina ist serbisch beflaggt, aber da Fußball und Politik bekanntermaßen überhaupt nichts miteinander zu tun haben, möchte ich den Grund hierfür nicht auch noch recherchieren müssen. Die nächsten Höhepunkte lassen im zweiten Spielabschnitt nicht lange auf sich warten. Nur kurz nach Wiederanpfiff touchiert eine abgefälschte Lovat-Flanke den Querbalken und abermals ist es Tavares, der nach Freistoßflanke von Dangubić zu genau zielt und per Kopf ebenfalls an der Torlatte scheitert (61. Minute). Die Mannen aus Bijeljina sehen ihre Felle davonschwimmen und reagieren mit Rückzug. Bosnischer Beton wird angerührt, Trnava präsentiert sich recht ideenlos, der eingewechselte Kelemen lässt zwei letzte Torchancen fahrlässig liegen. Der nachlassende Esprit auf dem Rasen überträgt sich bedauerlicherweise auch auf die Tribünen und so dümpelt die bislang recht lebhafte Partie plötzlich 20 Minuten unaufgeregt vor sich hin.

Filip Oršula, der die rechte Flanke unermüdlich beackert hatte und mit vielen gefährlichen Hereingaben aufgefallen war, muss nach 80 Minuten angeschlagen das Feld verlassen. Die Gäste aus Bijeljina senden das erste offensive Lebenszeichen der zweiten Halbzeit, doch verlässt Flügelstürmer Maksimović in der vielversprechenden Kontersituation die Kraft. Gleich zwei Defensivspieler Trnavas holen die Situation im Vollsprint ein und vereiteln den 2:1 Überzahlangriff der Bosnier. Der Querpass von Maksimović landet dann im Rücken seines Kollegen und in den Füßen der Slowaken. Ach, Dejan. Das war maksimal mittelmäßić.

Die Strafe für den ausgelassenen Matchball folgt auf dem Fuße. Lucas Lovat schlägt die gefühlt 734. Flanke aus Verdacht in den Strafraum und wie bei jedem dritten Ball rauscht Gästekeeper Kozić auch unter dieser Hereingabe drunter durch. 87 Minuten lang stand ihm ein jedes Mal ein eigener Verteidiger helfend zur Seite oder die oftmals zu weit getretenen Flanken landeten im Tor- oder gar im Seitenaus, aber dieses Mal ist Kozić nicht mit dem Glück im Bunde. Dieses Mal steht nämlich Kristián Mihálek parat, der den Ball unter dem tosenden Jubel der Spartakfans ins verwaiste Tor nicken kann.

Freunde, es gibt Verlängerung. Wie praktisch, dass das Bier nur 1,50 € kostet und wie vorteilhaft, dass man es auch am Ende der ereignisarmen Extratime gegen 23.20 Uhr noch sehr gut mit kurzer Hose und T-Shirt im Stadion aushalten kann. Sieht sicher auch Trnavas Bogdan Mitrea so, der seit seiner gelb-roten Karte in Minute 108 nun nur noch zuschauend am Rand sitzen kann.

Soeben hat das Los ergeben: Das Elfmeterschießen steigt vor dem Gästeblock. Eine glatzöpfige Ordner-Armada zieht vor eben jenem auf und wird hier einen Platzsturm schon unterbinden können. Fetti betreibt auf die Schnelle Sozialstudien: Vier richtig sympathische Zeitgenossen, die bestimmt ehrenamtlich Spielzeugspenden für Flüchtlingskinder sammeln, wenn sie nicht gerade bosnische Blöcke bewachen müssen und die sich, wenn dann noch Zeit bleibt, auch gerne mal für die Rechte von Sinti&Roma-Familien einsetzen. Bestimmt. Mitten in diese Überlegungen startet ein qualitativ unterdurchschnittliches Elfmeterschießen, welches dank neuer UEFA-Regularien zusätzlich abgewertet wird.

Es wird nämlich fortan penibel darauf geachtet, dass der Torhüter bei Ausführung des Strafstoßes mit mindestens 87,9% der Stollenfläche oder aber mindestens 7,23cm² Sohle auf der Linie verweilt, ansonsten wird hart durchgegriffen. Schnell sieht Spartak-Schlussmann Rusov aufgrund dieser neuen Schwachsinnsregel die gelbe Karte und erste eigentlich bereits verschossene Elfmeter werden wiederholt und dann teilweise verwandelt. Jeder verschossene Elfer zieht in Folge endlos lange Diskussionen nach sich, ob man diesen denn nicht wiederholen dürfe, was besonders bitter ist, da beide Mannschaften wirklich erbärmlich schlechte Strafstöße treten und ständig verschießen. Permanent muss der arme aserbaidschanische Unparteiische auswürfeln, ob er Elfmeter zählt, oder aber wiederholen lässt und dabei auch noch den Überblick behalten, wie es denn jetzt nach all den Toren, die nicht zählten und den unzähligen Fehlschüssen, die nur teilweise zählten, überhaupt steht. Ich kürze es an dieser Stelle ab: Von zehn geschossenen Elfmetern zählen am Ende fünf, Trnava gewinnt 3:2 nach Elfmeterschießen und die glücklichen Sieger lassen es sich nicht nehmen, ihre Freude über diese sensationelle Trefferquote vom Elfmeterpunkt mit den weitgereisten Gästefans zu teilen. Was für ein jämmerliches Rumgehampel vor einem totenstillen Block, beschützt von diesen vier abartigen Kanisterköpfen mit Stiefeln bis zum Kinn, die aber nicht einmal eingreifen müssen, da es die Bosnier mit Fassung tragen. Vielleicht beim Einzug in die dritte Runde dann einfach mal vor dem eigenen Fanblock feiern?

Glücklicherweise hat in der Stadt der 1000 Pizzerien (von wegen, der Spitzname parva Roma würde sich auf die vielen Kirchen beziehen…) noch eine solche geöffnet, als ich gegen 23.45 Uhr in die „Hlavná“ einbiege. Zwei Stücken Pizza aus der „Pizzeria Piccolino“ à 1 € werden zum Mitternachtsimbiss, auf die ein großer Schwechat-Anfall einsetzt, der Fetti heute recht früh auf die Bretter schickt.

Am 19.07. ist dann endlich Zeit für einen ausgiebigen Stadtbummel, auf dem sich schnell herausstellt, dass ich im Grunde genommen bereits gestern alles gesehen habe. Trnava präsentiert sich recht kompakt und so kann man auf wenigen Quadratkilometern sämtliche Gotteshäuser, das schöne alte Rathaus und die bunten TRNAVA-Buchstaben recht schnell ablaufen. Es empfiehlt sich ein längerer Aufenthalt auf dem „Trojičné námestie“ (Dreifaltigkeitsplatz) mit der unvermeidlichen „Súsošie Najsvätejšej Trojice“ (Dreifaltigkeits- oder ugs. „Pestsäule“) und dem bereits gestern für schön befundenen Stadtturm, von dem aus man einen wunderbaren Blick auf Trnava und das formschöne Atomkraftwerk Bohunice hat.

Fetti, der alte Motorsportfan, kommt dann nach der Turmbesteigung erneut vollends auf seine Kosten. Vorgestern „Maserati“ (Boah, dat is ein Quattroporte!), heute „Mustang“, wird als Motto auserkoren und so geht nicht mehr viel Zeit ins Land, bis Fetti endlich in einer Liga mit Karim Benyamina spielt und das erste frisch Gezapfte aus der „Pivovar Ostravar“ von ihm aufgezäumt wird. Allerdings von hinten, anders ist es nicht zu erklären, wie Fetti bei schwülwarmen 32°C (ohne, dass auch nur ein Sonnenstrahl am Horizont zu sehen gewesen wäre), ansonsten auf die Idee gekommen sein sollte, der „Aquapark Trnava“ einen Besuch abzustatten.

Für 8 € erhält man Eintritt in diese Freizeitattraktion Trnavas. Auf Liegestühlen im Außenbereich könnte man es sich gemütlich machen, wäre da nicht diese hart skurrile Poolanimation unter „La Bomba“- und „Macarena“-Klängen, die die junge slowakische Damenwelt dazu motiviert, mit so ziemlich allem zu wackeln, was die zarten Körperchen so hergeben. Wahrlich, Fetti hat in seinem Leben schon schlimmeres gesehen, als slowakische Frauen in Bademoden, aber das hier ist trotzdem grenzwertig. Ich schwimme derweil gemütlich zum Tresen (!), der sich inmitten des Pools befindet und am dem man entgegen jedweder Sicherheitslogik alkoholische Getränke beziehen kann. Ach, dieses Osteuropa muss man in manchen Momenten einfach lieben! Und wenn ich mir die Bademeisterin genauer betrachte, kann man ja beinahe auf einen Badeunfall hoffen…

Meine zweite Hoffnung, auf der Liegewiese noch etwas Sonne tanken zu können, erfüllt sich leider nicht. Das Wetter klart einfach nicht auf, ganz im Gegenteil, nach gut einer Stunde Aufenthalt setzt Regen ein. Gut, dass es da auch eine überdachte Gastronomie im „Aquapark“ gibt und so verbringe ich eine weitere Stunde mit Pivo und Hot Dog, breche das Unterfangen „maritimes Urlaubsfeeling in der Westslowakei“ dann aber nach 120 Minuten final und etwas unbefriedigt ab. Da waren die gestrigen 120 Minuten etwas unterhaltsamer – und die Stadionbierchen ein deutlich besserer Gegenwert (als Fetti noch ein Tr(i)n(k)ava, dementierte er immerzu seine Suchterkrankung!).

Den Trnava-Trip würde ich dann gerne mit einem traditionellen slowakischen Essen ausklingen lassen. Gar nicht so einfach in dieser vermaledeiten Pizzahochburg, doch in Städten, in denen es ein altes Rathaus gibt, kann der Ratskeller nicht weit sein. Diese Strategie stellt sich alsbald als Erfolg versprechend heraus und Fetti kehrt in der „Radničná Piváreň“ ein. Hier gibt es leider keine englische Speisekarte und kein englischsprachiges Personal, aber immerhin schon einmal ein Krügerl „Šariš“ für 1,40 € vorneweg. Der Kellner ist überaus zuvorkommend und freundlich und ich hätte ihm noch stundenlang gackern und grunzen hören können, aber irgendwann stellt er bedauerlicherweise seine pantomimischen Darstellungen der Gerichte ein, um sein Handy aus dem Gastraum zu holen. Dank des guten alten „google“-Übersetzers entscheide ich mich letztlich für „Bravčová krkovičkaso strapačkami“ und erhalte für 8,90 € einen deftigen Teller voller Schweinefleisch, Kraut und Kartoffeln.

In der Zwischenzeit hat sich die Gaststätte übrigens offenbar auf Touristen eingestellt und führt eine englischsprachige Speisekarte – einhergehend mit einer nicht unerheblichen Teuerungsrate. Mag sein, dass unser aller Fetti an dieser Veränderung eine Teilschuld trägt, doch konfrontiert mit dieser Kritik, lächelt er nur müde. Heute Abend nächtigt er im „Grand Hotel“ von Senica, soll ich Euch ausrichten. Diese gottverdammte spätwienerische Dekadenz werden wir ihm irgendwann austreiben müssen… /hvg

17.07.2019 First Vienna FC 1894 – 1.FC Union Berlin 1:4 (0:3) / Stadion Hohe Warte / 4.100 Zs.

Eine Woche Sommerurlaub in Πάφος (Paphos) auf Κύπρος (Zypern) liegt hinter mir. Sonne, Strand, Meer, gutes Essen, dicke englische Frauen in Bademoden. Schön war’s. Haken hinter, weiter geht’s im Takt. „Halt, halt, halt!“, mag an dieser Stelle der eine oder andere aufmerksame Leser einwerfen und folgende berechtigte Frage anbringen: Allet schön und jut – aber wat is mit’m Länderpunkt Zypern?

Απόλλων Λεμεσού (Apollon Limassol) in der ersten Qualifikationsrunde zur Europa League, gerade einmal 70 Kilometer entfernt, mit dem Bus in 75 Minuten für knappe 5 € zu erreichen, das wäre es natürlich gewesen, von der UEFA aber leider erst im Rückspiel am 18.07. mit einem Heimspiel gegen Kaunas bedacht. Verblieb mit dem ΑΕΚ Λάρνακας (AEK Larnaca) eine einzige Option für den 11.07. und was hätte Fetti nicht alles möglich gemacht, um bei der historischen Erstrundenschlacht gegen den FC Petrocub Hîncești aus Moldova dabei sein zu können. Es folgt ein ausführliches ABER: Die Busreise 90 Minuten länger und mehr als doppelt so teuer (übel!), der Anschlussbus von Λεμεσού nach Λάρνακας in ungünstiger Taktung nur alle vier Stunden verkehrend und darüber hinaus keine Möglichkeit, nach Abpfiff mit öffentlichen Verkehrsmitteln noch nach Πάφος zurückkehren zu können, sodass man veranschlagte 88 € für ein Taxi investieren oder eine Nacht in Λάρνακας hätte verbringen müssen. „Können wir nicht einfach mal Urlaub ohne Fußball machen?“, zeigte sich Fetti angesichts dieser Gesamtgemengelage deutlich überhopped und der Länderpunkt war passé. Wenn die faule Sau nicht will, dann will sie eben nicht. Ist nun mal so.

Nun also beginnt der zweite Teil des Sommerurlaubs 2019. Gerade von den Festivitäten anlässlich der Meisterschaft des Wiener Sport-Club anno 1959 zurückgekehrt, schon lädt Österreichs Hauptstadt erneut zu einer großen Party. Der First Vienna FC von 1894 wird stattliche 125 Jahre alt und hat sich zu diesem Anlass niemand geringeren als den 1.FC Union Berlin zum Jubiläumsspiel eingeladen. Gegründet 1894 im Gasthaus „Zur schönen Aussicht“ – na, wenn das mal keine schönen Aussichten sind…

Nach nur einem Tag Zwischenstopp in Berlin (versüßt durch eine frankophile Geburtstagsfeier meines Bruders) sitzt Fetti also am 16.07. um 9.30 Uhr erneut im Flugzeug und kommt aus dem Feiern gar nicht mehr heraus, woran auch die attraktive blonde Stewardess, die ihn soeben so zauberhaft angelächelt hat, ihre Aktien hält. „Lass diese herrlich festliche Phase voller Glückseligkeit und Frohsinn niemals enden“, betet das ehemals atheistische Schwein und erntet postwendend Gottes Zorn, der umgehend zwei seiner dicksten jemals erschaffenen Geschöpfe in Reihe 28 neben mir einkehren lässt. Aus reiner Notwehr in die letzte Ecke des Sitzes und ans Fenster gequetscht, wirft mir die hübsche Blonde noch schnell einen mitleidsvollen Blick zu, ehe sie in den vorderen Bereich der Maschine entschwindet. Wieder einmal verlassen und auf mich allein gestellt, hat die Frau mit den wirklich sehr schweren Knochen auf dem Gangplatz den Kampf mit ihrem Anschnallgurt irgendwann gewonnen, wendet sich mir zu und fragt dann keuchend über ihren ebenso korpulenten Partner hinweg: „Geht’s?“.

Hundert Gedanken schießen mir gleichzeitig durch den Kopf. Ob’s geht? Was weiß ich, wie man so eine Frage politisch korrekt beantwortet. Ich sitze halt neben Reiner Calmund und Jabba the Hutt. „Könnte besser sein, aber muss ja“. So in etwa? Oder doch lieber einfach mit „Ja“ antworten? Wie das Kaninchen vor der Schlange in absoluter Ehrfurcht erstarrt, habe ich Angst vor meiner Antwort und dem weiteren Verlauf des Gesprächs. Glücklicherweise kann eine weitere Stewardess mich und die Situation retten, indem sie meinen beiden Nachbarn eine eigene Reihe hinten rechts anbietet und alle atmen gleichermaßen erleichtert auf. Bis auf den Piloten vielleicht, der jetzt wohl oder übel die komplette Statik des Fluges neu berechnen muss. Sollte er dies nicht tun, werde ich jetzt wenigstens mit angenehmer Beinfreiheit abstürzen.

Eine Stunde und 20 Minuten später bin ich mit einem Gefühl vollkommener Freiheit in Schwechat gelandet. Das „Porzellaneum“ in der Nähe des U-Bahnhof „Roßauer Lände“ ist schnell gefunden, weniger schnell geht aber der dortige Check-In von der Hand. Schuld daran ist ein gleichzeitig ankommender Kolumbianer, der großes Interesse daran hat, sich von dem hochmotivierten Studenten an der Rezeption ganz Wien erklären zu lassen. Da ich zu höflich bin, das Referat abzukürzen und einfach um Aushändigung der Schlüssel zu bitten, hänge ich also nun mit in der schier endlosen Kringel-in-den-Stadtplan-mal-Falle und lausche andächtig den englischsprachigen Ausführungen über all die Sehenswürdigkeiten, die ich eh schon kenne. Die Minuten vergehen. Das Gerede nimmt kein Ende. Die Ungeduld steigt. Ja, bist du deppat? Hoit halt dei Goschn!

Gegen 13.00 Uhr endet der monumentale Vortrag unter tosendem Applaus und kurz darauf stehe ich auch schon in meinem Zimmer, das zu 80% aus Schrankwand besteht. Viel mehr als einen Rucksack und zwei unterwegs gekaufte Dosen „Ottakringer“ habe ich jedoch nicht dabei und so wird jede Menge Stauraum ungenutzt bleiben. Die Frage, wo genau der Haken sein könnte, wenn man in einem Wiener Innenstadtbezirk ein Einzelzimmer für unter 30 € buchen kann, wäre auf diesem Wege übrigens auch bereits beantwortet. Das „Porzellaneum“ ist im Grunde genommen ein Studentenwohnheim und offenbar vermietet man hier einfach leerstehende Zimmer kurzzeitig an Touristen, ohne den Komfort auch nur ansatzweise anzupassen. Dafür darf man dann aber Partykeller, Waschküche, Sport- und Computerraum, die Gemeinschaftsküchen und natürlich auch die ganz fantastischen Gemeinschaftsduschen, die so herrlich an die der alten Grundschulturnhalle erinnern, mit benutzen. Leiwand!

Es folgt meine Wiener Routine. Wann immer ich bislang alleine in dieser Stadt zugegen war, zog es mich bei hochsommerlichen Temperaturen hinaus zur Donauinsel. So auch diesmal – und erneut gelingt es mit spielerischer Leichtigkeit, sich bei Σουτζουκάκια und Café Frappé derart die Taschen vollzulügen, dass man sich noch weiter südlich in so einer Art echtem Sommerurlaub wähnt. Naja, was soll man machen. Union geht eben vor und Strand geht ja notfalls auch noch im Oktober…

Am späten Nachmittag vermelden dann weitere Truppenteile FUDUs ihre Ankunft in Österreichs Hauptstadt. Als abendlichen Treffpunkt schlägt Fetti das „Mariahilferbräu“ vor, das er 2017 während meiner Residenz im „Fürstenhof“ entdeckt und mit einem Besuch beehrt hatte. Die Ćevapčići konnten ihn damals überzeugen, sodass einer Weiterempfehlung nun nichts im Wege steht. Der Vorschlag löst ungeahnte Begeisterung bei meinen Compañeros aus. Das Getränke- und Speisenangebot weiß sie zu überzeugen, zudem sei das Brauhaus von ihrer Unterkunft aus gut zu erreichen – womit sie mir bereits genau einen Schritt voraus sind. Ich habe keinen blassen Schimmer, wo mein „Hotel“ auf der Landkarte Wiens genau zu verorten und wie weit das „Mariahilferbräu“ entfernt ist. Aber, wo sich ein Westbahnhof in der Nähe befindet, wird man schon irgendwie einigermaßen gut hin- und wieder wegkommen…

Irgendwann abends trudeln wir dann in der Mariahilfer Straße zusammen und genießen Speis und Trank bei hochsommerlichen Temperaturen auf den Bierbänken in der belebten Einkaufsstraße. Am Tisch drehen sich die Gespräche um Unions Neuzugänge, die Saisonprognose und eingefahrene Länderpunkte angenehm im Kreis, nur auf der Toilette wird die Themenvielfalt dezent erweitert und so kommt man in den zweifelhaften Genuss, mit betrunkenen Einheimischen u.a. über die Mondlandung zu fabulieren. Die Wiener U-Bahn befördert mich nach einem langen Tag im Sieben-Minuten-Takt irgendwann via Landstraße in gerade einmal 24 Minuten nach Hause, wo mich fatalerweise noch eine Dose „Ottakringer“ aus der Schrankwand heraus anlächelt. Ich würde es jetzt nicht zwingend als Fehler ansehen, diese Dose noch geöffnet zu haben, immerhin sorgt dieses Vorgehen kurz darauf für den Erkenntniszuwachs, das Rauchen eindeutig die gefährlichere Sucht ist. Wenn man beim Saufen einschläft, verbrennt man wenigstens nicht. Und so’ne Matratze trocknet ja auch wieder…

Am nächsten Morgen klopft der Fackelmann, der sich ebenfalls von der Idee begeistern ließ, sich im „Porzellaneum“ eine Schrankwand mit Matratze zu sichern und der zur heutigen Fußballfeier stilecht mit dem Nachtzug aus Berlin angereist ist, beschwingt an meine Tür. Der junge Mann hat Hunger und würde nun gerne etwas frühstücken, während sich mein Appetit – wie immer vor 18 Uhr oder dem ersten Bier des Tages – gewohntermaßen in Grenzen hält. Kurz darauf sitzen wir in der „Brötchenwelt“ in der Berggasse in der Sonne und während ich mich genötigt fühle, mir draußen ein opulentes „Griechisches Frühstück“ zu ordern, kehrt Fackelmann, der Fetznschedl, mit lediglich einer belegten SB-Schrippsky von drinnen wieder zurück an unseren Tisch. Wenn das mal nicht die eine oder andere Asynchronität innerhalb der Kleingruppe bezüglich weiterer Nahrungsaufnahmen im Tagesverlauf nach sich ziehen wird…

Gut (und besser) gestärkt zieht es die beiden Serviettenknödel im Anschluss durch das beinahe gleichnamige Grätzl des 9. Wiener Gemeindebezirks. Die langen, breiten Straßen sind gesäumt von eleganten Gründerzeithäusern und auch die Peregrinikapelle, der Deutschmeisterplatz und die Roßauer Kaserne bieten ansprechende Fotomotive in unmittelbarer Nachbarschaft des „Porzellaneum“.

Aber, machen wir uns nichts vor: Wenn man so früh wach ist, dass man freiwillig frühstücken geht, dann ist erfahrungsgemäß noch jede Menge Zeit bis zum Anpfiff zu überbrücken. In unserem Falle verbleiben noch knappe neun Stunden auf der Uhr, ehe im „Stadion Hohe Warte“ der Ball rollen wird.

Grund genug, sich bei strahlendem Sonnenschein für einen ausgiebigen Spaziergang (Anmerkung aus 2021: FUDU ist seiner Zeit eben immer voraus – wir waren schon spazieren, bevor es alle gemacht haben!) zu entscheiden und entlang des Donauarms solange durch die „Fairness Zone“ (taktische Fouls sind immer gelb!) zu schlendern, bis man einen Blick auf die von Friedensreich Hundertwasser gestaltete Müllverbrennungsanlage Spittelau werfen kann. „Welch faszinierende Symbiose aus Technik, Ökologie und Kunst, die dort gleißend im Sonnenlicht all unsere Sehgewohnheiten irritiert“, beginnt Fetti etwas auszuARTEn, ehe er von Fackelmann Regentag Dunkelbunt jäh unterbrochen wird: „Ich hab Hunger!“.

Kurz darauf kehren wir in einem Etablissement mit dem ansprechenden Namen „Sportcafé 87“ in der Klosterneuburger Straße ein. Unser freundlicher Sitznachbar reicht uns zur Begrüßung die „Kronen Zeitung“ und gibt dann der Wirtin Bescheid, dass gleich zwei Gäste auf der „Terrasse“ Platz genommen hätten. Schnell steht das erste frisch Gezapfte auf dem Tisch und noch schneller hat sich die „Kronen Zeitung“ als das fürchterlichste rechtspopulistische Schundblatt herausgestellt, das von FUDU jemals durchblättert worden ist. Ümit Korkmaz ist heute jedenfalls der einzige Österreicher mit Migrationshintergrund, der in der Gazette nicht rassistisch beleidigt wird. Wir erfahren, dass sich der ehemalige Bundesligaprofi von Eintracht Frankfurt, der aktuell seine Karriere in Österreichs Fußballniederungen ausklingen lässt und für First Vienna die Knochen hinhält, sich ein Tattoo von Christopher Trimmel wünscht, der ja bekanntlich „die Lizenz zum Stechen“ hat. Darüber hinaus erinnert der fünfzehnzeilige Artikel an First Viennas Triumph anno 1943 im „Tschammer-Pokal“, als man im Finale von Stuttgart den Luftwaffen-Sportverein Hamburg (wohl der feuchte Traum eines jeden Krone-Redakteurs…) mit 3:2 nach Verlängerung besiegen konnte. Der Zusammenhang zu der seichten Tattoo-Story erschließt sich, die Vorfreude auf das Spiel wächst, Fackelmanns Magen knurrt.

Unser aufmerksamer Nachbar hört genau, dass wir uns über Nahrungsaufnahme unterhalten. Sein vorauseilender Gehorsam gebietet es ihm, sich bei der Wirtin zu erkundigen, was die Speisekarte heute so hergeben würde. Ungefragt informiert er uns: Käsekrainer seien heute im Angebot, dauern aber 30 Minuten, die müssen ziehen. Der Rest seines Redeschwalls versumpft in alkoholbedingter Artikulationsstörung, die auf Wienerischen Dialekt trifft. „Zugeschlagen!“, kürzt der Fackelmann die Situation ab und unser neuer Freund trottet zurück in das Lokal, um unsere Bestellungen aufzugeben, hält auf halber Strecke aber glücklicherweise noch einmal inne und erkundigt sich, ob’s denn auch noch „zwei Krügerl“ sein dürfen. Na endlich, dachte schon, der fragt gar nicht mehr. „Zugeschlagen“, bestätigt Fackelmann flugs auch den zweiten Teil des Menüs und der gastfreundliche Wiener nickt zufrieden.

Für 3,80 € lassen wir uns die Eitrige mit Kren schmecken. Ich esse aus Solidarität und aus Gründen der Synchronität einfach mit – ohne schlechtes Gewissen, da bereits feststeht, dass wir die unnötig aufgenommenen Kalorien bei einem weiteren Gewaltmarsch im Anschluss direkt wieder verbrennen werden. Schließlich werden gleich knapp 4,5 Kilometer entlang der Donau durch die ballernde Sonne zurückzulegen sein, um den „Wirtschaftsflüchtling“ auf der Donauinsel in Empfang nehmen zu können.

Kaum haben wir die Strandbar erreicht, trudelt uns dieser auch schon aus München kommend direkt in die Arme. Bis zu diesem Punkt wirkt alles einigermaßen koordiniert. Ausgemergelt von der Sommerhitze, ist das nächste Bierchen schnell bestellt. FUDU bezieht Quartier in den Sonnenstühlen auf brennend heißem Wüstensand und abermals fühlt sich „Union International“ an wie echter Urlaub. Noch vier Stunden bis zum Anpfiff und ich verspreche Euch, ab jetzt wird’s wild! Jedenfalls, was den Weg zum Stadion betrifft, der von nun an in etwa so gradlinig verlaufen wird, wie die Erwerbsbiographie eines einstigen DDR-Raketenwissenschaftlers hin zum Regalauffüller bei „Schlecker“ in der Nachwendezeit…

Plötzlich kommen nämlich die Jungs und Mädels vom Vorabend mit einer weiteren herausragenden Treffpunktidee um die Ecke. Auf einer Insel, malerisch gelegen zwischen Donaukanal und Donau im nordöstlichen Zentrum der Stadt, gerade einmal 10 Kilometer von hier entfernt, würde im „Stadl“ recht bald eine Versammlung fußballaffiner junger Männer abgehalten werden. Na, dann nichts wie hin da – auch wenn wir genaugenommen gerade mehr oder minder von genau dort hierhergekommen sind. So geht es mit den „Wiener Linien“ quasi zurück auf Los und dann zu Fuß durch die idyllische Brigittenau. Unsere Ankunft im Biergarten ist dann derart maßgeschneidert, dass sie exakt mit der Auflösung der dortigen Veranstaltung übereinstimmt. Wenn Fetti kommt, dann ist nun mal Schluss mit lustig!

Immerhin können wir uns in Folge dem Trupp anschließen und unbehelligt durch den 19. Bezirk schlendern. FUDU und der Mob fallen noch in zwei Kaufhallen ein, lassen den bei Fudutours bereits zu Ehren gekommenen Karl-Marx-Hof links liegen, müssen arg hügeliges Gelände passieren (Topographie des Terrors!) und haben es dann gut eine Stunde vor Anpfiff nach einem langen Wandertag endlich geschafft, das legendäre „Stadion Hohe Warte“ in 214 Metern Höhe zu erreichen.

Bereits seit 1896 spielt First Vienna auf dem Gebiet der „Hohen Warte“ Fußball. Am 19.06.1921 wurde die Naturarena der Superlative nach Plänen von Eduard Schönecker „als größtes und modernstes Stadion Kontinentaleuropas“ feierlich eröffnet. Besonders die imposante Nordrampe leistete ihren Beitrag, das bereits in den Anfangsjahren Zuschauerrekord um Zuschauerrekord aufgestellt werden konnte. 1922 strömten 56.000 Menschen zum Länderspiel gegen Deutschland, am 15.04.1923 sollen es dann an die 90.000 gewesen sein, die sich die Partie Österreich-Italien nicht entgehen lassen wollten.

Die Vienna errang auf der „Hohen Warte“ 1931 und 1933 österreichische Meisterschaften, wobei man im Jahre 33 zusätzlich den Mitropapokal gewinnen konnte. Durch die Eröffnung des „Praterstadion“ (1931) rückte das „Stadion Hohe Warte“ zurück ins zweite Glied und verlor an Bedeutung. Noch vor Beginn des zweiten Weltkriegs zerstörte eine „Kraftradgeländefahrt der NSKK-Motorstandarte 93“ die Anlage völlig, im Krieg wurde die Naturarena durch schwere Bombentreffer beschädigt, nach dem Krieg dann von der US-Armee beschlagnahmt und zum Baseballfeld umfunktioniert – und keine Sorge, ab jetzt wird es nicht mehr schlimmer. Ab 1951 gab es die lang ersehnte positive Wendung und First Vienna kehrte nach und nach zurück in die angestammte Heimat, in der man dann zumindest wieder vereinzelt Ligaspiele austragen konnte. 1953 wurde die Anlage umfangreich instandgesetzt und mit einem Fassungsvermögen von 32.000 Zuschauern zurück in die Hände der Döblinger gegeben.

Am 03.11.1956 wurde im „Stadion Hohe Warte“ die erste Flutlichtanlage Wiens feierlich eingeweiht. Die Hoffnung, dass das Stadion nach diesem Meilenstein wieder an alte Glanzzeiten anknüpfen könnte, erfüllte sich jedoch nicht. Die Vienna stürzte in den 1960er Jahren sportlich ab, die kostenintensive Immobilie wurde zu einer finanziellen Belastung für den klammen Club und das Gelände verkam nach und nach. Erst der Bau der neuen Haupttribüne im Oktober 1974 konnte wieder eine kleine Trendwende und die letzte Glanzzeit der Vienna einleiten. In den 1980er Jahren wurden letztmals fünfstellige Zuschauerzahlen vermeldet, als u.a. die Weltstars Mario Kempes und Hans Krankl im Trikot der Vienna aufliefen und man sich Ende der 1980er Jahre zwei Mal für den UEFA-Cup qualifizieren konnte. Danach ging es steil bergab: 1992/93 Abstieg in die zweite Liga, 2000/01 Abstieg in die dritte Liga, kompletter Zerfall des Stadions mit einer Kapazitätsbegrenzung auf 4.500, Aufbau von Stahlrohrtribünen anno 2005, um weiterhin Zuschauer auf die Naturtribüne lassen zu dürfen, Insolvenz 2017, Zwangsabstieg in die fünfte Liga – was für ein Trauerspiel.

Pünktlich zum 125. Geburtstag des Vereins kann man nun aber die Rückkehr in die vierthöchste Spielklasse feiern – First Vienna beendete die letzte Saison auf Rang 1 der 2. Landesliga und darf sich nun stolzes Mitglied der Wiener Stadtliga nennen!

Bei all diesen beeindruckenden Anekdoten und Legenden rund um Verein und Stadion ist die Freude ganz unsererseits, dass wir anlässlich des Vereinsjubiläums für gerade einmal 18,94 € pro Ticket im „Stadion Hohe Warte“ gastieren dürfen. Dies hier ist wahrlich mehr als ein gewöhnlicher Vorbereitungskick gegen einen Viertligisten und so haben sich auch gut und gerne 500 Unioner mit auf den recht weiten Weg gemacht, um die neu zusammengestellte Bundesliga-Mannschaft begutachten und das schicke Stadion kreuzen zu können. Glücklicherweise ist der Heimanhang von der Partie gleichermaßen euphorisiert, sodass die erwartete Zuschauerzahl von „bis zu 3.000 Zusehern“ sogar noch übertroffen werden kann. 4.100 Menschen werden am Ende in die Naturarena strömen und für einen um zehn Minuten verzögerten Anpfiff sorgen.

Bei der Vienna startet Torwarttrainer Oliver Fuka (41, Karriereende 2015) zwischen den Pfosten. Dieses Spiel will sich wohl wirklich niemand entgehen lassen! Auf der Torhüterposition bleibt dies auch in Folge besonders spürbar: Nach neun Minuten wird Fuka durch Kazan ersetzt, nach 36 streift sich Chiste die Torwarthandschuhe über und ab Minute 61 agiert sogar ein halbes Hohenschönhausen-Hendl auf der Linie und auch auf den Traversen greift diese Maxime. Schließlich findet sogar der „1. Döblinger Bayern Fanclub“ das heutige Spiel derart interessant, dass dieser, ohne auch nur irgendeinen Bezug zum Spiel zu haben, seine Fanclubfahne gleichermaßen stolz wie unbewacht hinter dem Gästeblock präsentiert. Hervorragende Idee!

Als der durstige (und natürlich hungrige) Fackelmann nach gut 20 Minuten Schlangestehen an den hoffnungslos überfüllten Versorgungsständen endlich auf die Naturtribüne zurückkehrt, steht es bereits 66-37. Der weitgereiste und erfahrene Hopper von Welt lässt sich jedoch nicht ins Bockshorn jagen. Natürlich hat er die Treffer von Marius Bülter zum 0:1 (13. Minute) und Sebastian Polter zum 0:2 (15. Minute) live und in Farbe aus der Schlange heraus beobachten können. Und natürlich weiß auch er, dass auf der „Hohen Warte“ in der Regel Football gespielt wird. Die Vienna Vikings haben hier wohl aus Protest das Ergebnis ihres letzten Spiels hängen lassen – immerhin wurden diese wegen des heutigen Jubiläumsspiels schändlich vertrieben und mussten ihr Halbfinale vor drei Tagen gegen die Prague Black Panthers in Ravelin austragen, um das Spielfeld für die Fußballer zu schonen. Da waren sicherlich nicht nur Stadionsprecher Michi „The Voice“ Holub und DJ Frozen Fritz pappesatt…

Von der Stahlrohrtribüne erleben wir Joshua Mees‘ Pfostentreffer nach 23 Minuten mit. Bei der Vienna muss Demić nach einer halben Stunde das Feld mit Verdacht auf eine Bänderverletzung verlassen, während der Fackelmann noch immer von gelungenen Wortspielen aus der Bierstand-Warteschlange („Thirst Vienna“) schwärmt. Kurz vor der Pause erhöht Bülter, der nach Kopfball von Gentner und Parade von Chiste abstauben kann, auf 3:0.

In der zweiten Halbzeit zieht es uns in die unendlichen Weiten der Nordrampe. Eine Naturtribüne hat nun einmal den Vorteil, dass man so ein Fußballspiel an einem lauen Sommerabend eben auch auf einer Wiese lümmelnd verfolgen kann. So lange es hier nicht wieder zu einem Erdrutsch wie nach dem Länderspiel gegen Italien im Jahre 1923 kommt, ist das aktuell definitiv der wohl friedlichste Ort auf Erden. Da kann uns auch der Anschlusstreffer durch Kurtisi nach einer knappen Stunde nicht schocken – ganz im Gegenteil. Es ist dem sympathischen Heimpublikum durchaus zu gönnen, hier auch ein Tor feiern zu dürfen, zumal wir so in den Genuss kommen, ein wunderschön gesungenes „Yellow Submarine“ hören zu dürfen.

Knapp zwanzig Minuten später stellt die in der Halbzeit komplett ausgetauschte Union-Elf den alten Abstand wieder her. Anthony Ujah, der einen klugen Steckpass von Dahl aufnehmen kann, ist vor dem Tor eiskalt geblieben. Am Ende gewinnt der 1.FC Union Berlin mit 4:1, Christopher Trimmel wird dazu genötigt, Selfies mit Wutbürgern zu schießen und hat keine Gelegenheit, Ümit Korkmaz noch auf dem Spielfeld zu tätowieren und uns zieht es zum Ausklang des Abends in Richtung Innenstadt.

Der Bahnhof Heiligenstadt wird zum Ausgangspunkt des nächsten Irrlaufs, der zunächst zum Schwedenplatz und dann an die Donau führt. Da am Ufer irgendeine sagenumwobene Bar unauffindbar bleibt, tritt FUDU alsbald seinen Rückweg zum Schwedenplatz an, verzichtet schweren Herzens auf das Zejnullahu-Mobil (= E-Roller), aktiviert letzte Spaziergängerkräfte und hofft auf einen Zufallsfund. Fackelmann nimmt auf irgendeiner Brücke Kontakt zur lokalen Kleintierszene auf und merkt an, dass man nun nur noch dem „Pilsspürhund“ folgen müsse, woraufhin er böse Blicke des Frauchen erntet. „Oh, ich glaube, das ist gar kein Pilsspürhund!“, weiß er die entstandene Spannung aber direkt wieder geschickt aufzulösen. Gegen 22.00 Uhr ist dann aber auch ohne tierische Hilfe (außer der von Fetti) eine vielversprechende Lokalität gefunden. Wenn man im „Bermuda Bräu“ mit der dazugehörigen Tanzlokalität „Die Brennerei“ keine Getränke erhält, die man am nächsten Morgen bereut, wo denn dann?

Das Problem, dass der Tisch nur für vier Menschen vorbereitet ist, wir aber zu fünft einkehren wollen, stellt die Kellnerin vor keine großen Herausforderungen, dennoch weist sie uns darauf hin, dass es ihr eigentlich nicht erlaubt sei, einen fünften Stuhl in Richtung Gehweg zur Verfügung zur stellen. Wir mögen doch bitte darauf achten, dass Vorbeilaufende genügend Platz haben. So schnell ist FUDU wahrhaftig noch nie „in der Gossen“ gelandet, aber was tut man nicht alles, um sich um 22.30 Uhr noch über eine Portion Biergulasch hermachen zu können…

Am Ende des Abends habe ich vier Euro Schulden beim Croupier (Kapitel 1 der Autobiographie von Jean-Jacques Gelee) gemacht und der Fackelmann verliert beinahe sein gesamtes Hab und Gut auf dem Gossenplatz, doch glücklicherweise funktioniert mein Pädagogenblick noch zuverlässig. Kinder, guckt noch mal nach, ob ihr alles habt, bloß nix vergessen!

Und so ist die Stimmung relativ ausgelassen, als wir nur unwesentlich später im Innenhof des „Porzellaneum“ den Abend mit einem letzten Bier ausklingen lassen. Der FackelKleptomann schlürft stilecht in IC-Schlappen durch das Ambiente und kann darüber hinaus auch noch das formschöne Nachtzugset, bestehend aus Handtuch und Waschlappen, aus dem beinahe vergessenen Turnbeutel verkaufsfördernd präsentieren. Kurz darauf träume ich von weiteren Eskapaden und Abenteuern in Trnava und Senica, wo meine Reise ab morgen ihre Fortsetzung finden wird und wo es vielleicht auch Fußballspiele zu sehen geben wird. Und bevor hier irgendjemand fragt: „Wie? Wat? Vielleicht? Wat is mit’m Länderpunkt Slowakei?“, dem sei nur soviel gesagt: Beruhigt Euch, Bürger – den habe ich glücklicherweise schon seit dem 16.03.2013! /hvg

06.07.2019 Põhja-Tallinna JK Volta – Vändra JK Vaprus 1:4 (1:1) / Sõle Gümnaasiumi staadion / 102 Zs.

Drei Kilometer liegen also zwischen den beiden Spielstätten und eine knappe Stunde verbleibt uns bis zum Anpfiff. Was zunächst nach keiner all zu großen Herausforderung klingt, wird ein wenig dadurch erschwert, dass das am Wegesrand auftauchende „Kristiine Keskus“ unerwartet Begehrlichkeiten weckt. Eine handelsübliche Shopping Mall, ein Konsumtempel, wie er im Buche steht. Muss man keines Blickes würdigen, vor allen Dingen dann nicht, wenn man es eigentlich eilig hat, von A nach B zu kommen. Soweit die nüchterne Betrachtungsweise, aber in diesem Falle sollte man seine Rechnung nicht ohne den „verrückten Tischfinnen“ machen. Ihn zieht es nämlich wie von Geisterhand gesteuert ins Erdgeschoss und dann in die Apotheka, in der er gerne diverse Medikamente einkaufen würde. Schnell sind mir die eklatanten Preisdifferenzen der einzelnen Produkte gegenüber des Verkaufs in Suomi erklärt und spätestens, als einige preiswerte Schmerztabletten und baltische Grippehelferlein auch in meinem Warenkorb gelandet sind, ist der Schnäppchenjäger in mir von diesem außerplanmäßigen Shopping-Zwischenstopp vollends überzeugt.

Was dem Hund der nächste Baum, ist dem Finnen die Steckdose, heißt es dann im Anschluss. Natürlich können wir Kristiine nicht einfach verlassen, ohne sie noch richtig auszusaugen, mag sich der „Tischfinne“ gedacht haben und so hocken wir gute 20 Minuten auf dem Boden, um diverse Geräte des hochtechnisierten Skandinaviers laden zu können. Als die Akkus voll genug sind, um das Überleben in den kommenden Stunden sicherzustellen, verbleiben nur noch 30 Minuten bis zum Anpfiff und noch immer sind 2,3 Kilometer zurückzulegen.

Im Schweinsgalopp preschen wir die Hauptstraße hinunter und wähnen uns bereits am Ziel, als die Straße plötzlich nicht mehr „Tulika“, sondern „Sõle“ heißt, das Ortseingangsschild „Põhja“ gesichtet wird und das mit frischer Energie versehene Smartphone des finnischen Pfadfinders ein Gümnaasium samt Fußballfeld ausweist. Hier stimmen alle weichen Faktoren, aber wirklich auch nur die, wie wir kurz darauf feststellen müssen, als wir zwischen den Häuserschluchten auf einem Schulhof stranden und den legendären Sportplatz des „Pelgulinna Gümnaasium“ bestaunen. Hier ist sicherlich schon manch dicker Estenbengel am Cooper-Test gescheitert, aber mit hoher Sicherheit noch nie ein Ball in der dritthöchsten Spielklasse des Landes gerollt. „Vallah, is falsche Gümnaasium!“, fasst Fetti das Problem adäquat zusammen und der „Tischfinne“ justiert noch einmal nach. „Fähnlein Fieselschweif“ heißt auf finnisch übrigens „Sudenpennut“ und unser Stadion liegt wohl doch noch einmal 1,2 Kilometer entfernt.

Um Punkt 16.59 Uhr haben wir das „Sõle Gümnaasiumi staadion“ erreicht und uns über ein unverschlossenes Hintertürchen Eintritt erschlichen. In der „Esiliiga B“ spielt man also auf Breitensport-Kunstrasen und für die Zuschauermassen hat man mehrere kleine hölzerne Tribünenelemente entlang der Seitenlinien verteilt. Auf diesen lümmeln Freunde und Familien der Spieler und Hopper aus Deutschland und alle bekommen nach 16 Minuten den ersten Aufreger zu sehen. Kaarel Poldma hat soeben den Ball vor dem eigenen Strafraum vertändelt und dem Vändra-Angreifer, der alleine auf das Tor hätte zulaufen können, aus schierer Hilflosigkeit von hinten die Beine weggegrätscht. Schiedsrichter Kask lässt Gnade vor Recht ergehen und zückt die dunkelgelbe Karte. Der Gast aus dem 100 Kilometer entfernten Vändra bleibt tonangebend und hätte nach knapp 20 Minuten in Führung gehen müssen, doch Jürgenstein verlässt im 1:1 Duell gegen den Torwart der „Vaprus“ (= Mut). Besser machen es zehn Minuten später die Hausherren, die mit ihrem ersten Angriff überraschend in Führung gehen können: Arome Onogu aus Nigeria, der mittlerweile für den FC Eston Villa (= mein Humor) spielt, setzt sich mit seiner Körperlichkeit im Strafraum durch und erzielt das 1:0 per Kopf.

Wir wechseln im Anschluss auf die Haupttribünenseite, auf der es hinter den Holzpodesten zwar wirklich auch eine echte Haupttribüne gibt, von der allerdings nicht davon auszugehen ist, dass sie jemals Architekturpreise gewinnen wird. Man hat die kleineren Planungsfehler begangen, die Tribüne gut 20 Meter vom Spielfeldrand entfernt zu platzieren, einen Bürgersteig zwischen Tribüne und Feld zu pflastern und die Sicht zusätzlich durch ein Fangnetz und den Aufbau diverser Umkleide- und WC-Container zu erschweren. Drittligafußball in Estland. Kann man nicht beschreiben, muss man erlebt haben.

Schön ist das 1:1 durch Andro Aaviks direkten Freistoß in der 41. Minute, weniger schön, dass es in der Halbzeitpause kein Bier zu kaufen gibt.

In der zweiten Halbzeit rettet Volta-Schlussmann Silver Saluste seinen Mannen zunächst mit einer Glanztat nach Kopfball aus Nahdistanz die Haut (52.), um dann abermals unter Beweis zu stellen, dass er bei Freistößen gerne mal alt aussieht. Schon der erste Ball war vor der Pause direkt in der Tormitte eingeschlagen, nun lässt sich Saluste sogar mit einem direkten Freistoß in die Torwartecke düpieren – nach 55 Minuten ist Vesselov der gefeierte Mann der Gäste. Im Anschluss lässt die Qualität des Spiels deutlich nach und viele individuelle Fehler, technische Unzulänglichkeiten und Fehlpässe dominieren das Bild. Besonders bei der Heimmannschaft läuft nach 70 Minuten nur noch wenig zusammen und es scheint eine Frage der Zeit, bis die Gäste das Spiel vorentscheiden können. Das 1:3 wird wegen einer Abseitsstellung nicht anerkannt und mehrere große Gelegenheiten bleiben ungenutzt, sodass Ian-Erik Valge den Spielverlauf beinahe auf den Kopf gestellt hätte. Dass dieser nach 75 Minuten freistehend aus fünf Metern vergibt, scheint seinen Trainer so sehr auf die Palme zu bringen, dass er nur kurz darauf zur Auswechslung bittet. In den letzten Minuten geht’s für das zu offensive Volta dann dahin und der Favorit zieht von dannen. Nach 85 Minuten nimmt Jürgenstein einen Steilpass auf, umkurvt Saluste und vollstreckt zum 1:3. Die hängenden Volta-Köpfe sorgen dafür, dass nur zwei Minuten später noch einmal gejubelt werden kann, als Aavik aus fünf Metern Torentfernung ungestört einnicken kann. Schiedsrichter Kask beendet die Partie, Volta bleibt Tabellenletzter, Vändra verharrt auf Rang 3 und FUDU hat Durst.

Der ortskundige „Tischfinne“ führt uns schnurstracks in das belebte Stadtviertel Telliskivi Loomelinnak. In dem ehemaligen Industriegebiet haben sich kreative Menschen angesiedelt und hippe Cafés, Bars, Restaurants, Shops und Start-Ups gegründet. Unweit des Hipsterbezirks Kalamaja gelegen, in dem zugezogene Neureiche die alten Holzhäuser auf Vordermann gebracht und die Mieten in die Höhe getrieben haben, findet man genau das vor, wonach diese Beschreibung klingt. Eine interessante Umgebung, charmant genutzte Brache, auf der man dem Gammel neues Leben eingehaucht hat, anstatt alles abzureißen und neu zu bebauen – aber eben leider auch beinahe ausschließlich Leute, deren wichtigstes Anliegen es ist, sich permanent selbst zu produzieren und sich dabei zu fotografieren, wie man überteuertes xy-freies Essen in sich hineinstopft. Wir tappen nur kurz in eine Coolness-Falle namens „Peatus“. Hier könnte man in alten Eisenbahnwaggons samt nostalgischem Interieur bei monotoner Elektromucke hochpreisiges Bier trinken, wenn man nach 20 Minuten Wartezeit nicht nur zehn Mal begrüßt worden wäre, sondern auch etwas hätte bestellen dürfen. So besinnt sich FUDU alsbald bei seinen Leisten zu bleiben und kehrt in einem schäbigen aserbaidschanischem Imbiss-Container auf dem „Depoo-Street-Food-Market“ ein. Hier gibt es anständiges Bier, günstiges und gutes Essen, einen Sitzplatz im Warmen und die Erkenntnis, dass ich vielleicht auch besser eine Steckdose hätte nutzen sollen. Die Kamera ist jedenfalls nicht mehr in der Lage, Erinnerungsfotos des exotischen Abendbrots zu schießen und auch das Handy ist nicht mehr funktionsfähig, sodass ich Gott und die Welt der sozialen Medien leider nicht an meinem coolen Abend teilhaben lassen kann. Kurz darauf verabschiedet sich der „Tischfinne“ in sein nahe gelegenes Hotel und ich bleibe einigermaßen orientierungslos zurück.

Wie es der Zufall so will, rollt die Straßenbahn zu später Stunde wieder ohne Einschränkungen durch die Stadt und mein Problem, weder zu wissen, wo genau ich mich befinde, geschweige denn, in welcher Himmelsrichtung mein Hostel auch nur ansatzweise zu verorten ist, löst sich dank eines glücklichen Zufalls in Luft auf. Die Straßenbahnlinie 2 hält also nicht nur in Telliskivi, sondern laut Fahrplan in 24 Minuten auch in Keskturg. So mag ich das. Einen Fahrscheinautomaten gibt es zu meinem großen Bedauern weder an der Haltestelle, noch in der einfahrenden Bahn und so muss man sich wohl achselzuckend seinem Schicksal fügen. Das meiste Geld verplempert man bekanntlich eh beim Bezahlen und für’s Erste ist schwarz fahren preiswerter, als sich mit dem Taxi in die Dachkammer kutschieren zu lassen. Zur Strafe für diese Leistungserschleichung endet die Fahrt wegen eines Unfalls und eines Straßenbahnstaus zwar bereits auf halber Strecke, aber „immer den Schienen lang“ sollte eine Erfolg versprechende Methode darstellen, um das „zu Hause“ jetzt auch ohne „googlemaps“ finden zu können. Spätestens, als ich die „Jaani Seegi kirik“ erspähe, die sich als alte Holzkirche den gläsernen Wolkenkratzern der Großbanken trotzig in den Weg stellt, weiß ich, dass das Ziel nicht mehr weit ist. Um kurz vor Mitternacht grüßt Babuschka aus dem Rezeptionskabuff noch immer freundlich und nimmt meinen USB-Stick mit Flugticket bereitwillig entgegen, wird sich aber erst morgen Früh darum kümmern. Schnell habe ich mein Bett bezogen, das Handy angestöpselt und erfahren, dass Union gegen Brøndby vor 12.307 Zuschauern (darunter mindestens vier Dänen) 2:1 gewonnen hat und schon wiegt mich das Röhren der Lüftungsanlage nach einem langen Tag sanft in den Schlaf.

Bei FUDU ist es fünf vor Zwölf, als man sich am nächsten Tag zu Zwecken des Check-Out die knarzende Holztreppe hinunterquält. Die Grande Dame des Hauses hat im Gegensatz zu mir offenbar gut geschlafen und während ich noch mit meinem Luftzufuhr-Tinnitus kämpfe, händigt sie mir bestens gelaunt USB-Stick und Flugticket aus und wünscht mir einen angenehmen Tag in Tallinn. Ich will ja nicht meckern, mach es aber trotzdem – das Ticket gilt nur, wenn es auf DINA4 gedruckt ist und vor meinem inneren Auge sehe ich bereits den irischen Inkasso-Rainer das Millimeterpapier anlegen: „Fehlen 5,8 Zentimeter rechts und 6,2 unten, macht 80 €“. „Don’t worry“, entgegnet sie aber gelassen, nachdem ich ihr meine Bedenken vorgetragen habe. Na, da bin ich ja beruhigt. Wenn sich hier jemand mit sämtlichen Preisfallen der Billigfluglinien auskennt, dann ja wohl Jetsetterin Ludmilla, die mutmaßlich das letzte Mal als Kind geflogen ist – und zwar mit Opa Olegs Roller auf die Nase.

Mein Weg führt mich also notgedrungen in den erstbesten Copyshop der estnischen Hauptstadt, bevor ich mich dem Sightseeing widmen kann. Stolze 6 Cent müssen dort investiert werden, ehe sich auch bei mir ein „Don’t worry“-Gefühl eingestellt hat. Mit einem nun definitiv gültigen Ticket im Jutebeutel kann man sich beruhigt in den Innenstadttrubel begeben. Wie schon für Gdańsk vor wenigen Tagen scheint es auch für Tallinn nur zwei Lösungsansätze zu geben: Entweder sollte man die Stadt vergrößern ODER die Anzahl der Besucher deutlich reduzieren. So schiebt und quetscht sich jedenfalls Menschenknäuel um Menschenknäuel durch die Altstadt und schmälert die Freude an Domberg, Stadtmauer und der belebten „Viru tänav“ samt Lehmpforte (Viru värava) doch erheblich. Nichtsdestotrotz erhält Tallinn erneut das Prädikat „sehr hübsch“, muss nach 2016 aber nicht zwangsläufig noch ein zweites Mal vollumfänglich touristisch erschlossen werden. Es fühlt sich jedenfalls nicht komplett falsch an, als ich nach eher kurzem Stadtbummel zu Mittagessen und Bier auf der sonnigen Terrasse des Lokals „Beer Garden“ fernab des ganz großen Gewimmels einkehre, dort dann aber trotzdem 4,50 € für 0,5 Liter zahlen muss. Wie sich bereits vor knapp drei Jahren angedeutet hat, haben die Finnen hier endgültig die Preise versaut. Wer will es den leidgeprüften Esten da verdenken, dass sie sich auch heute nach allen Regeln der Kunst gegen die finnischen Invasoren zur Wehr setzen? Ich habe jedenfalls gerade meine Hähnchenbrust für faire 10,90 € verspeist, ehe ausschließlich die beiden finnischen Dandys am Nebentisch heimtückisch mit brennenden Zigarettenkippen aus dem oberen Stockwerk attackiert werden. Mich hingegen lässt man in Ruhe austrinken und so nicke ich zum Abschied zustimmend nach oben: Make õlu 2,50 € again!

Unwesentlich später befinde ich mich in der Straßenbahnlinie 4 in Richtung „Lennujaam“. Wieder finde ich keinen Fahrkartenautomaten vor, doch lasse ich mir zum Ende des Wochenendausflugs ins Baltikum nun gerne die Welt von einer jungen Einheimischen erklären und lerne, dass Tallinn die erste Hauptstadt Europas ist, die einen kostenlosen Nahverkehr eingeführt hat. Es gibt also keine Notwendigkeit, Automaten aufzustellen oder Fahrscheine in Lottoläden zu verkaufen. Gerade, als das eingesparte Fahrgeld gedanklich dem Vergnügungsausschuss überschrieben wird, ergänzt sie jedoch, dass dies nur für Bewohner Tallinns gilt, während Touristen üppige 1,50 € berappen müssen. Sie zeigt mir eine kleine Klappe an der Scheibe des Führerstands, in die man angeblich Bargeld hineinlegen soll, um eine Karte zu erhalten. Hinter der Scheibe sitzt eine Dame, die ihr auf dem Boden liegendes Schoßhündchen krault, während sie die Tram steuert. Insgesamt also eine vertrauenswürdige Situation, doch an der nächsten roten Ampel stellt sie das Kraulen ein, lässt mein Geld klappernd auf die andere Seite der Scheibe rollen und schickt dann tatsächlich 50 Cent und einen Fahrschein retour. Das war ja einfach. Dass ich darauf gestern Abend nicht gekommen bin.

Über den weiteren Verlauf meines Sommerurlaubs hat übrigens ausschließlich der Flugplan der estnischen Hauptstadt entschieden. Wenn es einen Abendflug von Tallinn nach Paphos (Πάφος) auf Zypern (Κύπρος) gibt, braucht es nun wahrlich kein Reisebüro mehr. Ich habe noch genügend Zeit, die Nachmittagssonne im Baltikum mit einem Sag-zum-Abschied-leise-Servus-„Saku“ vor der gähnend leeren Empfangshalle zu genießen. Irgendwann sind die Fußballer des KF Shkëndija 79 neben mir aufgezogen, die in zwei Tagen in der ersten Runde der Champions-League-Qualifikation bei Nõmme Kalju antreten müssen und dieses Unterfangen offensichtlich hochprofessionell angehen. Ähnlich professionell hat derweil mein zypriotischer Gastgeber auf meine letzte Mail reagiert und meine Fragen, wie ich um 1.20 Uhr (Flug um zwei Stunden nach hinten geschoben) die Unterkunft erreichen kann, wenn am Flughafen doch kein Bus mehr fährt und wie ein Check-In um ca. 2.00 Uhr gelingen kann, wenn die Rezeption um 0.00 Uhr schließt, zu meiner vollsten Zufriedenheit beantwortet: „It’s no problem. Don’t worry!“. Nicht doch schon wieder. Dieses Mal fällt mir auf die Schnelle keine Lösung für 6 Cent ein und so muss ich mich wohl oder übel überraschen lassen, wie mein Start in den siebentägigen Strandurlaub heute Nacht wohl so verlaufen wird.

Um kurz vor 1.00 Uhr bin ich bereits auf dem „Διεθνής Αερολιμένας Πάφου“ im Südwesten der Insel gelandet. Über zwanzig Minuten vor Plan angekommen, fehlt von dem „Driver“, der irgendwann einmal großspurig angekündigt worden war, natürlich jede Spur. Don’t worry, don’t worry, don’t worry, murmele ich gleich eines Mantras vor mir her. Es befindet sich schon keine Menschenseele mehr am Flughafen, als doch noch ein letzter Wagen auf den Parkplatz einbiegt. Der Fahrer kommt auf mich zu und tatsächlich hat er ein Schild mit meinem Nachnamen gebastelt. Das hätte ich nur zu gerne am Gate gesehen – sich einmal wie die Reichen und Schönen fühlen und standesgemäß in Empfang genommen werden. Aber geschenkt. Ich bin ja zufrieden, dass es überhaupt jemanden gibt, der mich für 30 € durch die Nacht entlang der Küste zu meiner nächsten Unterkunft chauffiert. Gegen halb Zwei sind die „Panklitos Apartments“ erreicht und noch bevor ich mich der Herausforderung der liebevoll vorbereiteten nächtlichen Schnitzeljagd stellen kann, hat mich auch bereits ein englischer Stammgast begrüßt und mir seine Hilfe angeboten. Gemeinsam finden wir an der Rezeption den ersten Hinweis, in welchem der drei Gebäude sich mein Zimmer befindet und von da an geht alles leicht von der Hand. Einfach den Pfeilen auf dem Boden und im Treppenhaus folgen und siehe da, mein Name klebt an der Tür, der Schlüssel steckt, es ist 1.45 Uhr, wieder einmal hat alles irgendwie geklappt (Don’t worry, hatten sie ja gesagt!) und schon wiegt mich das Zirpen der Zikaden nach einem langen Tag sanft in den Schlaf. /hvg

06.07.2019 Tallinna FCI Levadia – Tallinna FC Flora 1:2 (0:1) / Lilleküla staadion / 1.124 Zs.

Im FUDU-Hauptquartier herrscht große Aufregung. Die Außenstelle Dänemark hat ein Testspiel geleaked. Was hierzulande noch niemand weiß, hat Brøndby bereits auf seiner Website veröffentlicht. „Gul og blå“ wird angeblich am 05.07.2019 „An der Alten Försterei“ aufdribbeln. Klar, dass es da nicht mehr lange auf sich warten lässt, bis unsere dänischen Freunde ihre Reisepläne finalisiert und sich für zwei Übernachtungen angemeldet haben. Da steht mir wohl ein „Casual Friday“ der besseren Sorte ins Haus, bevor ich am Samstag via Tallinn in meinen Sommerurlaub starten werde.

Einige Tage später bestätigt zwar auch der 1.FC Union Berlin das vereinbarte Testspiel offiziell, allerdings mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass das Spiel erst am 06.07. stattfinden wird. Brøndby reagiert geschickt, rudert klammheimlich zurück, entfernt die bereits veröffentlichte Nachricht stillschweigend von der Startseite und passt den Austragungstermin kommentarlos an. For Fanden – dieses Spiel werde ich dann wohl verpassen.

Glücklicherweise lassen sich die Dänen hiervon nicht von ihrem Plan abbringen, bereits am Freitag anzureisen. FUDU wird im Unklaren darüber gelassen, mit welchem Verkehrsmittel dies der Fall sein wird und auch die Ankunft taxieren die Nordmänner eher südländisch auf: „Around Afternoon“. Und wenn sich die Reisegruppe „Rød Raket“ gerade einmal zu einer solch vagen Auskunft hinreißen lässt, dann weiß man in Berlin mittlerweile, was die Stunde geschlagen hat. Reicht also, wenn wir uns gegen 18.30 Uhr in der Kneipe treffen und dann der Dänen harren, die da kommen mögen.

Bei sommerlichen Temperaturen ist auf der Terrasse der Stammkneipe der „dänische Afternoon“ ohne weitere Kommunikation bald so weit nach hinten gerutscht, dass sie zwischenzeitlich sogar in Afrika bereits Fußballspiele angepfiffen haben. Ab 21.00 Uhr rollt im „Africa Cup of Nations“ der Ball und FUDU fiebert mit, wie tapfer sich die 11 Mannen der Außenstelle Uganda wohl gegen Sénégal schlagen werden. Nach 15 Minuten trifft Sadio Mané zum 1:0 für den Favoriten, nach 40 Minuten fährt ein mit blau-gelben Schals geschmückter „Volvo“ hupend durch den Kreisel und mindestens drei alkoholisierte Dänen lassen laute Brøndby-Schlachtrufe durch den Friedrichshain erschallen. Keine Sorge, die gehören zu uns.

Um 22.00 Uhr kann dann endlich der gemeinsame Nachmittagsumtrunk beginnen. Bei dem einen oder anderen Pitcher Brøndbier hat man sich schnell über Ugandas Ausscheiden hinweggetröstet und mir schwant hinsichtlich meines morgigen Abflugs langsam Böses. Glücklicherweise werden wir jedoch um kurz vor 3.00 Uhr aus der Kneipe gekärchert und als eine halbe Stunde später auch der Abendbrot-Döner verzehrt ist, sind erfreulicherweise alle unisono der Meinung, dass das für heute genug Tag war. Schließlich stehen für morgen zwei schwere Spiele an, für die man doch einigermaßen ausgeschlafen sein sollte. Brøndby-Union bei Dänen, Tallinn-Derby bei mir…

Knappe vier Stunden später klingelt mein Wecker. Es gilt, meine Wohnung auf leisen Sohlen zu verlassen, ohne einen bereits am Boden liegenden Gästefan zu treten. Den inneren Hooligan nur mit Mühe und Not im Zaum gehalten und einen beachtlichen Slalom um das dänische Bettenlager gelaufen, sitze ich kurz darauf auch bereits in der Regionalbahn nach Schönefeld, in der zum wiederholten Male ein echter Expertenschaffner im vorbildlichen Umgang mit Touristen gefällt. Die Aussage „You have to stempel the Ticket, that makes sonst Strafe!“, hat wahrhaftig großes Potential, eines Tages auf die Uniformen der „DB“ gedruckt zu werden.

Leider kann ich dieses Erlebnis vorerst aber ebenso wenig mit jemandem teilen, wie das Konterbier in der Main Hall. Mit dem „Hoollegen“ und „Günter Hermann“ sind zwei Mitinitiatoren dieser Reise bereits abgesprungen und nun droht auch noch die letzte Hoffnung auf Gesellschaft zu platzen. „Der verrückte Tischfinne“ meldet aus Espoo wenig verheißungsvolles: „6.00 zu Hause oder so, mit dem City-Fahrrad habe ich gerade gelernt. Wecker hatte ich auch um 8.30 oder so, gut verpasst. 10.15 aufstehen, 10.25 Taxi rufen. Wird schön teuer, mal sehen falls ich das wirklich schaffe.

Gänzlich unbeeindruckt von diesem Prolog bin ich um 13.05 Uhr (Ortszeit) auf dem „Lennart Meri Tallinna Lennujaam“, benannt nach dem ersten demokratischen Staatspräsidenten Estlands nach der erneuten Unabhängigkeit im Jahre 1992, gelandet. Der verschlafene Flughafen beschreibt sich selbst nicht gänzlich zu unrecht als „the world’s cosiest airport“, dennoch ist er hervorragend an das vier Kilometer entfernte Stadtzentrum angebunden. Also, außer heute natürlich – aus mir noch unbekanntem Grund ist der Straßenbahnverkehr eingestellt. Freundlicherweise hat man hier jedoch nur die besten Esten in gelbe Warnwesten gewandet, die sich nun den wenigen gestrandeten Touristen annehmen. Statt eines misanthropischen „That makes Strafe!“ lautet das baltische Credo eher „How can I help you?“ und so befinde ich mich nur wenige Augenblicke später fremdorientiert in einem Bus der Linie 2, den ich in „Keskturg“ verlassen soll. Aitäh, sagt der Este.

Dass der Bus eine kleine Schleife in die verkehrte Richtung dreht und mehr als doppelt so lange in das Stadtzentrum benötigt, lässt meinen ohnehin schon recht straffen Zeitplan ins Wanken geraten. Alle zwei Minuten hält dieser an irgendeiner Haltestelle im Nirgendwo an und an jeder Haltestelle steigen Menschen in traditionellen Trachten und Gewändern zu. Die gesamte Innenstadt ist für Feierlichkeiten abgesperrt, die offenbar so groß ausfallen werden, dass an Straßenbahnverkehr nicht zu denken ist. Wie sich später herausstellen wird, hat Fetti wieder einmal ein gutes Gespür für Timing an den Tag gelegt, denn Tallinn lädt vom 04.07.-07.07. zur 25. Ausgabe des „Laulupidu“ und dessen 150. Geburtstag ein. Dieses altüberlieferte Liederfest, erstmals 1869 in Tartu veranstaltet, findet in der Neuzeit alle fünf Jahre in Tallinn parallel zum „Tantsupidu“ (Tanzfest) statt und zieht neben 30.000 Sängern auch mehrere hunderttausend Besucher aus ganz Estland an. Das erklärt im Nachhinein natürlich auch die teils gepfefferten Übernachtungspreise und die überraschend hohe Belegungsquote in der Stadt, die mich notgedrungen auf ein Hostel haben zurückgreifen lassen.

Das „Hostel 31“, passenderweise in der „Tartu maantee“ gelegen, überzeugt auf jeden Fall durch seine Außenansicht. Das zweigeschossige Haus erweckt mit seiner hölzernen Fassade einen urgemütlichen Eindruck und versprüht den ganzen Charme des Baltikums. Etwas skeptisch werde ich, als mir die Rezeptions-Ludmilla ein wild zusammengewürfeltes Konglomerat aus Bettwäsche und Handtüchern mit blumigem Sowjetcharme in die Hände drückt und meint, mein Zimmer befände sich in der dritten Etage. Und wahrlich, an der Stelle, an der man zu der festen Überzeugung kommen kann, das Haus sei hier bereits zu seinem Ende gekommen, tut sich eine weitere Holztür und ein schmaler Treppenaufgang auf, der unter das Dach und zu meinem Zimmer führt. Das Zimmer würde ich als eine ins Dach geschlagene Ausbuchtung beschreiben, gerade lang genug, um ein Bett hineinstellen und gerade hoch genug, um die ersten beiden Schritte noch aufrecht hineingehen zu können. Zu ungefähr 70% besteht der „Raum“ jedoch aus einer holzvertäfelten Dachschräge, die den Gast in seiner Bewegungsfreiheit einschränkt. Da die Schräge darüber hinaus über kein Fenster verfügt, hat man eine Lüftungsanlage in das dunkle Kabuff gefräst, welche mit gefühlten 200 Dezibel im Dauerröhrbetrieb für etwas Frischluftzufuhr und den einen oder anderen Hörsturz sorgen wird. Rustikal, urig, kultig. Und mit 25 € die Nacht natürlich ein echtes Schnäppchen!

Das Beziehen meines Bettes muss ich aufgrund meiner verspäteten Ankunft jedoch erst einmal verschieben. Es verbleibt nur noch ein knappes Stündchen bis zum Anpfiff auf der Uhr und angesichts der chaotischen Zustände im öffentlichen Nahverkehr entscheide ich mich, das für das Hotel gesparte Geld in ein Taxi zu investieren. „What are you doing in Arena?“, fragt mich der Fahrer und zeigt, das nicht unbedingt ganz Tallinn dem großen Derby und Spitzenspiel zwischen Levadia (2.) und Flora (1.) entgegenzufiebern scheint. Ich erkläre ihm kurz, was hier heute in seiner Stadt neben dem Tanz- und Gesangsgedöns noch so abgeht und bin dann knappe zehn Minuten später zwar 12 € los, dafür aber tiefenentspannt und rechtzeitig am „Lilleküla staadion“ angekommen.

Vor der „A. Le Coq Arena“, wie die nach einer Brauerei benannte Spielstätte offiziell heißt (Werbung für Bier muss erlaubt sein!), steppen 30 Minuten vor Anpfiff nicht besonders viele Bären. Es gibt Livemusik aus einem LKW und immerhin ein aufmerksamer Zuhörer genießt die „fun TIME“ seines Lebens, als mir plötzlich der „Tischfinne“ von hinten auf die Schulter klopft. „Hallo, schön Dich zu sehen!“, könnte er sagen, aber der „Tischfinne“ wäre nicht der „Tischfinne“, wenn er anstatt dessen nicht zu einer finnisch-überschwänglichen Begrüßung ansetzen würde. „Hab überlegt, ob sich das hier lohnt!“. Recht hat er. Auch die Sachebene sollte vor dem ersten Handschlag nie unbetont bleiben!

Für 5 € erhält man Tickets für die Haupttribüne, für 4 € gibt es ein „Le Coq“ aus der Dose dazu und während sich FUDU noch fragt, wo da die Verhältnismäßigkeit bleibt, hat Schiedsrichter Roomer Tarajev das Spiel auch bereits angepfiffen. Statt der angekündigten 18 Grad und Dauerregen verwöhnt Estlands Hauptstadt die immerhin 1.124 Stadionbesucher mit 16 Grad und Sonnenschein. Es ist der 19. von 36 Spieltagen der estnischen „Premium Liiga“, die im Kalenderjahr spielt und es trifft der Rekordmeister (12x) des Jalgpalliklubi FC Flora auf den Lokalrivalen Levadia, der heute auf ein echtes Heimspiel in seinem Stadion verzichtet und lieber in der großen Arena (15.000 Plätze) antritt. Lokalrivale darf sich Levadia genaugenommen auch erst seit 1998 nennen, als man nach Fusionen, unübersichtlichen Lizenzabgaben und -übernahmen und einer Auflösung des eigentlichen FC Levadia (der dann nach Tartu weiterzog) endgültig von Maardu nach Tallinn übersiedelte. Das große I im Vereinsnamen kam dann nach einer weiteren Fusion mit dem FCI Tallinn im Jahre 2017 hinzu und fertig war ein Verein, für den sich in Tallinn gegenwärtig niemand zu interessieren scheint. Heute stehen jedenfalls gerade einmal neun Männeken hinter einer Levadia-Fahne, während im Stadion Flora-Fanartikel verkauft werden und es auf der Haupttribüne nahezu alle Zuschauer mit den nominellen Gästen halten.

Der kleine Flora-Fanblock sorgt indes für echte Fußballstimmung, begleitet das Spiel durchgehend akustisch und bringt einige bengalische Lichter und Fahnen zum Einsatz. Auf dem Rasen brennt Flora ein regelrechtes Feuerwerk ab und ist in der ersten Viertelstunde in allen Belangen überlegen. Dennoch braucht es einen dieser unsäglichen Handelfmeter, um in Führung zu gehen. Goalgetter Erik Sorga verwandelt nach 17 Minuten sicher und freut sich bereits über seinen 20. Saisontreffer. Im Anschluss verliert Flora etwas den Faden und lässt sich von der ruppigen Spielweise der Hausherren aus dem Rhythmus bringen. Dann und wann sieht der Einsatz Levadias etwas unbeholfen aus und nicht alle Attacken werden durch den Schiedsrichter unterbunden, sodass sich Flora genötigt fühlt, sich anderweitig zur Wehr zu setzen und selbige Mittel zu wählen. Die logische Konsequenz ist der erste verletzungsbedingte Wechsel nach 25 Minuten – Tkachuk muss der überharten Gangart Tribut zollen.

Nach dem Spielerwechsel besinnen sich beide Mannschaften wieder etwas mehr auf ihre spielerischen Fähigkeiten und verzeichnen jeweils Torabschlüsse. Bei Levadia zielen Stoßstürmer Andreev und Linksaußen Nesterov drei Mal zu ungenau, ehe Nesterov dem Tor mit einem Schuss ans Außennetz noch am nächsten kommt (42.). Flora, das in der Tabelle heute auf 6 Punkte davonziehen könnte, lässt in der gesamten ersten Hälfte nur noch einmal aufhorchen, doch Livaks Schlenzer ist etwas zu hoch angesetzt und gibt Levadias Keeper Lepmets keine Möglichkeit, sich auszuzeichnen.

In der zweiten Halbzeit ist die Sonne leider hinter einer dichteren Wolkendecke verschwunden. Mit frischem Dosenbier und geröstetem Knoblauchbrot haben wir es uns gerade wieder bequem gemacht, als Flora im Anschluss eines kreisligawürdigen Strafraumgewurschtels nach Eckball mit 2:0 in Führung geht. Nachdem mehrere Levadia-Verteidiger daran gescheitert waren, den Ball klärend aus dem Sechzehner zu befördern, wird Liivak, dem das Spielgerät aus heiterem Flipperhimmel vor die Füße fällt, zum Nutznießer (50.). Im Anschluss drängt Flora kurzzeitig auf das 3:0, ehe Schiedsrichter Tarajev mit einem weiteren fragwürdigen Handelfmeterpfiff neue Würze in das Spiel bringt. Markus Jürgenson lässt sich jedenfalls nicht zwei Mal bitten und verwandelt den fälligen Strafstoß nach gut einer Stunde zum 1:2.

10-15 Minuten lang keimt bei Levadia noch einmal Hoffnung auf und für den neutralen Zuseher rücken das bislang wenig überzeugende Tempo und das überschaubare technische Niveau der Partie dank der einsetzenden Spannung in den Hintergrund. Taktische Zwänge fallen, Levadia lockert nach und nach die eigene Defensive, kommt zu einigen Halbchancen und für die Gäste ergeben sich Konterräume. Die Lebendigkeit des Spiels ist zwar gegeben, doch beide Mannschaften zeigen sich in ihren Offensivbemühungen zu ungenau und so konzentriert sich Flora alsbald auf das Verteidigen des knappen Vorsprungs. Die stabile Defensive macht es Levadia zusehends schwerer und schon ab der 75. Minute hat man das Gefühl, dass Flora das Spiel heruntergekocht und alles im Griff hat.

Das einzige Highlight der letzten Minuten bleibt so Levadias Kanisterkopf Evgeniy Osipov vorbehalten. Schon in der ersten Hälfte hatte sich dieser mit endlosen Diskussionen mit dem Schiedsrichter und körperlichen Auseinandersetzungen in Rudelbildungen nachhaltig für eine gelbe Karte beworben und nach 66 Minuten auch endlich eine erhalten. Nun räumt er in der Nachspielzeit im Kopfballduell dank Einsatz seines Ellenbogens den armen Kuusk ab, geht dem am Boden liegenden Spieler an den Kragen und beweist auch gegen den heranstürmenden Pürg eine breite Brust. Wer so aufräumt wie Bud Spencer im Saloon, der darf sich auch über eine gelb-rote Karte nicht beschweren.

Meine Freude über den eingefahrenen Länderpunkt Estland währt nicht lange, schon drängelt der „Tischfinne“ zur After-Show-Party. Was man sich in Tallinn am Wochenende des 25. „Laulupidu“ auf keinen Fall entgehen lassen sollte? Im 3,1 Kilometer entfernten „Sõle Gümnaasiumi staadion“ bittet in einer Stunde niemand geringeres als der Põhja-Tallinna JK Volta zum Drittligakick und eröffnet so die Möglichkeit auf einen sagenumwobenen Eesti-Doppler. Wer da nicht Tall-In geht, ist selber Schuld. Und im Gümnaasium war ick och noch nie. /hvg