315 315 FUDUTOURS International 23.04.24 16:40:36

29.06.2019 Wiener Sport-Club – Celtic FC 1:2 (0:0) / Wiener Sport-Club Platz / 4.682 Zs.

Es ist irgendwann Mitte/Ende Mai, als ich mit einem Frühstückskaffee vor der Arbeit alle relevanten Fußballwebseiten abklappere. Schnell sind alle Ergebnisse aufgesogen, alle Tabellenstände auswendig gelernt und alle Transfergerüchte brühwarm weitergetratscht worden, als mir plötzlich in irgendeinem Portal ein Artikel über den Wiener Sport-Club ins Auge fällt. In der Saison 1957/58 wurde der Sport-Club österreichischer Fußballmeister. In der darauffolgenden Europapokalsaison kam es erst zu einem legendären Erstrundenspiel gegen den Juventus FC mit einem 7:0 Heimsieg im Rückspiel und später zu einem Aus im Viertelfinale gegen das große Real Madrid. Auch in der Saison 1958/59 errang man den nationalen Titel und startete erneut auf der großen internationalen Bühne, auf der dann die Eintracht aus Frankfurt im Viertelfinale die Endstation darstellte. 60 Jahre nach diesen großen Momenten der Vereinsgeschichte lädt der Wiener Sport-Club nun zu Jubiläumsfeierlichkeiten auf den „Sport-Club Platz“, der ohnehin schon länger auf der Liste der Stadien stand, die ich gerne besuchen mag, bevor sie baulich verändert werden. Eingeladen ist der Celtic FC aus Glasgow, der rein zufällig sein Trainingslager in Österreich abhält und sich für die Austragung eines Freundschaftsspiels zur Verfügung gestellt hat. Kurzum: Mein Interesse ist geweckt.

Das Spiel soll also am 29.06. ausgetragen werden. Schnell ist der Kalender gezückt und als mir so vor Augen geführt wird, dass die Saison in Berlin und Brandenburg am 23.06. endet und mein Sommerurlaub erst am 06.07. beginnt, mag man beinahe von schicksalhafter Fügung sprechen. Das Spiel, welches die Saison 2019/20 eröffnet, haben sie also mitten hinein in den einzigen weißen Wochenendfleck meines Wandkalenders geplant. „Wir rechnen mit einem restlos ausverkauften Stadion und einzigartiger britischer Fußballatmosphäre – schnell sein ist gefragt!“, schreibt der Sport-Club auf seiner Internetpräsenz. Was der Hot-Button beim Quizspiel und das hochexklusive Sonderangebot für die nächsten 100 Käufer im Home-Shopping-Sender kann, kann der Wiener Sport-Club schon lange. Psychologische Kriegsführung, Begehrlichkeiten wecken, Druck ausüben. Und es gibt schließlich immer irgendwelche Trottel, die darauf hineinfallen und so sichere ich mir noch vor Dienstbeginn zwei Flüge, ein Hotel und ein Online-Ticket für die Haupttribüne für recht knackige 24,20 €. Was soll’s. Das wird sicher ein guter Urlaub vor dem Urlaub!

Allerdings kann einem jeder noch so verheißungsvolle Kurzurlaub in gewissen Momenten auch ganz schön auf die Klötzer gehen, wie sich z.B. am Abreisetag um 3.16 Uhr in der S-Bahn herausstellt. Meinerseits hätten sicherlich keine Einwände bestanden, den Flieger erst um neun Uhr starten zu lassen, aber so weit ist es leider noch nicht, dass sich „easyjet“ nach den individuellen Bedürfnissen der Kundschaft erkundigt. Normalerweise gelingt es mir ja immer recht gut, während des Fluges verpassten Schlaf nachzuholen, doch heute bin ich chancenlos. Es ist der britischen Billigfluglinie tatsächlich gelungen, gleich 36 Reihen in diesen Flugzeugtypus zu verbauen und mir somit meine oftmals erprobte Kneipen-Schlafposition auf dem Gangplatz zu nehmen. Klappt man hier den Tisch aus, rammt man sich diesen zwangsläufig in den Brustkorb und um da dann noch den Kopf drauflegen zu können, muss man schon flexibel sein wie ’ne bulgarische Turnerin. Mein Ärger verfliegt jedoch kurz darauf, als ich zwei Herren mittleren Alters, die unabhängig voneinander reisen, in Fußballtrikots erspähe und ich es mir zu meiner Aufgabe mache, die Vereinsfarben und Logos zuzuordnen und Zusammenhänge herzustellen. Dynamo Moskau habe ich schnell erkannt, während das andere Jersey erst einmal grob als blau-weiß und griechisch oder zypriotisch abgespeichert wird. Das wird eine Recherche zu einem späteren Zeitpunkt erfordern.

Um 7.40 Uhr bin ich auch schon in Schwechat gelandet und stehe eine kurze Orientierungsphase später am Bahngleis des Flughafens und warte auf meine Regionalbahn in Richtung Florisdorf. Ein etwas überforderter Bengale (wohl nicht das hellste Licht) befindet sich auf der Suche nach seinem Fernzug nach Klagenfurt und bittet mich um Hilfe. Gemeinsam schauen wir auf das Display und siehe da, er befindet sich bereits am richtigen Gleis und sein Zug wird direkt auf meinen folgen. Na, dann ist ja alles klar, möchte man meinen, doch meine mustergültige und mehrsprachige Beschreibung des Umstandes, dass er hier nur noch 15 Minuten stehen und dann einsteigen muss, kann den guten Mann nicht davon abhalten, lieber noch drei weitere Passanten um Referenzmeinungen zu bitten. Als könnte man einem übernächtigten Fußballtouristen in Jogginghose (war halt kalt im Flieger) nicht trauen…

Kaum bin ich wieder auf mich alleine gestellt, schon geht wieder alles ohne Komplikationen vonstatten. Fahrt bis Praterstern, Umstieg in die U-Bahn, Ausstieg am Rathaus, kurzer Spaziergang durch den VIII. Bezirk zum „Hotel Arpi“ in der Kochgasse, Abgabe des Rucksacks und schon befinde ich mich auf der Suche nach einem Café, um die Wartezeit bis zum Check-In zu überbrücken. In der Universitätsstraße werde ich dann fündig, kehre im „Café Maximilian“ ein und könnte nun die ersten Sonnenstrahlen des Tages im Palmengarten mit Blick auf die Votivkirche genießen, wenn die freundlichen Herren Straßenbauarbeiter nicht zeitgleich zum Serviervorgang meines Frühstücks zum Schichtbeginn gerufen hätten. So reißt der Presslufthammer lärmend Löcher in den Asphalt und der Bagger schabt hinterherfahrend über den Straßenbelag, dass es morgens um 10.30 Uhr nur so eine helle Freude ist. Viel mehr als ein kurzer Kaffee und ein schnelles Helles muss es in diesem Ambiente dann doch nicht sein…

… und so stürze ich mehr oder minder gezwungenermaßen ins Sightseeing. Dieses geschieht ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne jedweden Druck, schließlich konnte Wien bereits bei vorausgegangenen Besuchen 2014, 2015 und 2017 einigermaßen komplett besichtigt werden. Wenn Rathaus, Hofburg, Stephansdom und all die anderen Sehenswürdigkeiten allerdings nur einen Schweinesprung entfernt liegen, kann es ja aber auch nicht schaden, noch einmal ein wenig Innenstadtluft zu schnuppern, bevor man sich ab 13.30 Uhr dem mitgebuchten Wellnessprogramm widmen kann.

90 Minuten Mittagsschlaf genügen, um sich von den Menschenmassen und dem innerstädtischen Trubel zu erholen. Ich fühle mich bereits wie neu geboren, als ich mich mit einem schönen 16er Blech auf der Fensterbank niederlasse und bei bestem Sonnenschein den Blick auf die schicken Wohnhäuser des 17. und 18. Jahrhunderts der Kochgasse genieße. Drei Stunden vor Spielbeginn kann man sich ja nun auch langsam mal informieren, wo sich der „Sport-Club Platz“ genau befindet und wie man diesen aus der Josefstadt erreichen kann. Wie es der Zufall so will, verkehrt die Bim der Linie 43 direkt an der Hauptstraße in der Nähe des Hotels und hat bis zum Bahnhof Hernals genau 13 Minuten zurückzulegen. Ein Hoch auf den Hot Button – besser hätte ich das nicht planen können!

Überaus rechtzeitig zieht es mich hinaus in den 17. Bezirk, der aus den Gemeinden Hernals, Neuwaldegg und Dornbach besteht, was bereits meine erste Irritation auflöst, warum der Wiener Sport-Club in Hernals zu Hause ist, die Mannschaft aber unter dem Spitznamen „Dornbacher Buam“ firmiert. Bereits zwei Stunden vor Anpfiff komme ich in den Genuss, erste Bilder der Spielstätte zu schießen, die sich um dieser Uhrzeit noch im Dornröschenschlaf befindet. Der „Sport-Club Platz“ (mitunter mit dem Beinamen „An der Alszeile“ versehen) ist 1904 errichtet worden, fasst heute 7.828 Zuschauer, gilt als der älteste noch bespielte Fußballplatz Österreichs und bietet vieles, was mein Herz höher schlagen lässt. Vier Tribünen unterschiedlicher Bauart, viel Tradition, viele Geschichten und viele Kosenamen, die ich hier zusammenzufassen versuche. Dazu sollte man die fantastische Lage inmitten eines Wohngebiets hervorheben, hier noch dadurch auf die Spitze getrieben, dass das Stadion derart eng eingefasst ist, dass die Hintertortribüne („Blaue Tribüne“, vermutlich erbaut im Zuge der letzten Stadionmodernisierung 1984) nahtlos an ein Wohnhaus samt „Spar“-Markt angrenzt. Die „Ďolíček“-Gegengerade besteht aus nur wenigen Stufen und befindet sich direkt vor den Zinshäusern der Kainzgasse, aus dessen Fenstern man prima in die Spielstätte hineinschauen kann. Eine Schreinerei („Bauernstuben Dworak“) in unmittelbarer Nachbarschaft trägt ihrerseits mit der alten Typographie an der Fassade ebenfalls zu nostalgischen Gefühlen bei. Hinter dem anderen Tor wird der Dornbacher Friedhof nur durch die schmale Alszeile vom Stadion getrennt – auf dieser „Friedhofstribüne“ genannten Stehplatztribüne werden später die treuen Fans des Sport-Club stehen. Auf die Besichtigung der Haupttribüne, die mit ihren alten Holzbänken wohl das Prunkstück des Stadions darstellt, verzichte ich vorerst. Die Alszeile ist schließlich nicht umsonst für den Autoverkehr gesperrt worden und der hinter Bauzäunen errichtete Behelfsbiergarten sieht auch sehr einladend aus. Zu Reggae-, Ragga- und Ska-Klängen zechen hier bereits erste trinkfreudige Schotten (und als Schotten verkleidete Bayern und Ösis) mit den Heimfans „Ottakringer“ vom Fass in der gleißenden Nachmittagssonne. Na dann: Nichts wie rein in den Trinkerkäfig!

Eine Bierlänge später zieht es mich zum Fanartikelstand, an dem mich ein Kühlschrankmagnet mit einem Bild der Anzeigetafel des Praterstadions von 1958 zu einem eher unvernünftigen Einkauf animiert, aber so ein 7:0 kann man sich schon einmal 8 € kosten lassen. Als ich endlich das Stadion betrete, läuft dort zur Begrüßung angesichts dieser horrenden Ausgabe ein Musikwunsch meines rumänischen Kassenwarts. Selten hat man derart melancholische griechische Klagemusik in einem Fußballstadion zu hören bekommen und selbst auf dem Pissoir wird via Lautsprecher weiter gejammert. Dabei gibt’s spätestens an diesem schönen Ort nun wahrlich keinen Grund zur Klage mehr, hat doch bereits ein FUDU-Jünger auf einer vorangegangenen Reise einen wunderbaren Fetti-Sticker an exponierter Stelle hinterlassen. Wo ist Fetti? Hängt auf’m Klo!

Es folgt eine Fotosafari über die alte Haupttribüne, auf der schon jetzt 10-15 Hopper aufpassen müssen, sich nicht gegenseitig über den Haufen zu rennen oder sich über Kreuz in den Erinnerungsfotos im Wege herumzustehen. Auf dem Rasen biedert sich der Präsident des Sport-Club derweil in Schottenrock an, dazu läuft zunächst irische Pubfolklore und später sogar „Bye, Bye Rangers“ vom Band, während sich das Stadion nach und nach füllt. Nach dem sportlichen Niedergang in den 1970er-Jahren, dem Wiederaufstieg und den kostspieligen Bundesligajahren Ende der 80er (u.a. mit Hans Krankl im Kader), ging es für den Wiener Sport-Club, der 1993/94 letztmals erstklassig spielte, nach zwei Konkursen dann richtig bergab. Zwischenzeitlich war der Sport-Club in der Viertklassigkeit angekommen, arbeitete sich dann wieder bis in die 2. Bundesliga hinauf (2002/03), musste dort nach erneuten finanziellen Querelen und einer Abspaltung vom Gesamtverein aber schon als „Wiener Sportklub“ antreten, stieg umgehend wieder ab und fristete in den Folgejahren sein Schattendasein in den österreichischen Fußballniederungen. Spuren dieser Zeit lassen sich noch heute am Stadion wiederfinden, obwohl der Verein seit der Saison 2016/17 endlich wieder mit seinem Traditionsnamen an den Start geht. Nachdem man all diese Irrungen und Wirrungen der letzten Jahrzehnte überlebt hat und noch immer auf eine treue Fanbasis zählen kann, darf man sich sicherlich über einen internationalen Gegner zum etwas konstruierten Jubiläum freuen. Aber vielleicht hätte es etwas weniger Gastfreundschaft an mancher Stelle vielleicht auch getan…

Das Spiel der ersten Halbzeit ist dann recht schnell zusammengefasst. Es trifft eine hoch motivierte Regionalligamannschaft, die sich vor großem Publikum beweisen will und alle Räume zuläuft, auf eine wild zusammengewürfelte B-Elf des 50-fachen schottischen Meisters. Die „Friedhofstribüne“ ist restlos ausverkauft und stabil beflaggt, gesungen wird hier leider jedoch genau so wenig wie auf der beinahe leeren Tribüne gegenüber, auf der es sich die Celtic-Fanclubs aus München, Bad Tölz und Hintertupfingen bei Bumsdorf bequem gemacht haben. Stattdessen erfreuen sich die Menschen anderweitig an diesem „Happening“ und ein stabiles Gemurmel begleitet den Kick auf den Traversen. Britische Fußballatmosphäre halt. War ja so angekündigt.

Nach mehreren vergebenen Halbchancen seiner Teamkollegen gibt Schottlands Fußballer des Jahres James Forrest nach 25 Minuten den echten wirklichen Warnschuss ab, doch sein Geschoss aus der Distanz landet krachend am Lattenkreuz. Nach 31 Minuten hätte Forrest dann für die Führung sorgen müssen, doch mit nur 1,75 Meter kann man aus Nahdistanz schon einmal daneben köpfeln.

Im Anschluss erhebt sich die „Blaue Tribüne“ erstmals und die wirklich aus Schottland eingeflogenen Schlachtenbummler stimmen einen ersten Gesang an. So schön, dass ungefähr 30 mitgereiste bayrische Celtic-Seppel natürlich sofort an der Reling hängen und Handyvideos eines unvergesslichen Nachmittags drehen müssen. Kurz darauf rettet Christian Hayden für seinen bereits geschlagenen Keeper Patrick Kostner nach Callum McGregors Schuss auf der Linie und Forrests nächstem Abschluss steht nur noch das Stangerl im Weg (38. Minute). Für den letzten Höhepunkt der ersten Hälfte sorgt hingegen Sport-Club-Akteur Jakov Josić, der den Mut fasst, einen Freistoß aus gut 35 Metern direkt auf das Tor zu schießen. Um ein Haar hätte er den dreimaligen Auswahlkeeper Scott Bain auf dem falschen Fuß erwischt, doch noch gerade eben so kann dieser den Ball unorthodox über die Latte lenken.

In der Halbzeitpause wechselt Celtic einmal komplett durch, nur Bain hat sich nach seiner „Glanzparade“ in der Nachspielzeit weitere Einsatzminuten verdient. Vier Minuten nach Wiederanpfiff blamiert sich Leigh Griffiths, der einen mustergültigen Querpass serviert bekommt, sich dann aber fünf Meter vor dem leeren Tor selbst ans Standbein schießt und die Großchance ungenutzt lässt. Nach 53 Minuten steht Josić erneut für einen Freistoß aus großer Entfernung bereit. Torwart Bain sollte gewarnt sein, doch wieder unterschätzt er Distanz und Schützen. Gegen diese Schusstechnik und diesen Flatterball ist so kein Kraut gewachsen. Unter großem Jubel der gut 4.000 Sport-Club-Fans schlägt der Ball tatsächlich hinter dem verdutzten Bain zum 1:0 ein.

Keine drei Minuten später bekommt Sport-Club-Keeper Kostner einen Rückpass in die Füße gespielt und anstatt diesen ins Seitenaus oder möglichst weit nach vorne zu befördern, schießt er den Ball an den Körper des heran eilenden Griffiths. Dieser kann den Ball kontrollieren und zum 1:1 ins verwaiste Tor schieben. Der Jubel der Mannschaftskameraden mit dem Torschützen fällt beinahe überbordend aus – Griffiths wird geherzt, gedrückt, gefeiert. Für ein 1:1 in einem Testspiel gegen einen Drittligisten aus Österreich? Für einen Schuss ins leere Tor? Eine spätere Recherche ergibt, dass Griffiths wegen psychischer Probleme vom 12.12.2018 bis zum 31.05.2019 insgesamt 170 Tage lang freigestellt war und hier gerade sein Comeback-Tor erzielt hat. Habe ich bei seiner verpassten Großchance eben etwa von einer Blamage geschrieben? Ich meinte natürlich: Das kann doch jedem einmal passieren!

Nach 65 Minuten scheitert Wiens eingewechselter Mittelfeldmann Miroslav Beljan, den sie im Stadionheft „Alszeilen“ in der Kaderauflistung vollkommen vergessen haben, zunächst am Außennetz und fünf Minuten später dann per Schlenzer am mittlerweile ebenfalls eingewechselten Conor Hazard, der etatmäßigen Nummer 5 der „Hoops“. Die unvollständige Aufstellung macht das Stadionheft aber an anderer Stelle locker wieder wett. Auf Seite 14 findet sich eine halbseitige Anzeige für das Jubiläumsspiel des First Vienna Football Club, der seinen 125. Geburtstag am 17.07. gegen den glorreichen 1.FC Union Berlin feiern wird. Meine Karte für dieses Spiel habe ich seit dem 23.06. in der Tasche (da musste man schnell sein!) und wird mich schneller nach Wien zurückkehren lassen, als ich das jemals zu träumen gewagt hätte. Das wird sicher ein guter Urlaub nach dem Urlaub!

Aber zurück zum Spiel. Zwischen Minute 65 und 80 versucht es Celtic eine Viertelstunde lang nur noch mit langem Hafer, bis sie angesichts der schwindenden Kräfte des Regionalligisten dann endlich dazu übergehen, ihre spielerische und physische Überlegenheit auszuspielen. In der 80. Minute spielt Vakoun Issouf Bayo den 19-jährigen Jungspund Henderson frei, doch scheitert dieser an der Nummer 2 des Sport-Club, Alexander Kniezanrek. Besser macht es dann Vollblutstürmer Bayo, der sechs Minuten später eine Flanke von Hayes per Dropkick zum 1:2 verwerten kann. Die große Ausgleichschance ergibt sich nach einer Ecke in der Schlussminute, die das Publikum wieder einmal mit Schlüsselbundklirren akustisch begleitet. Hazard pariert den Kopfball des Wiener Angreifers jedoch per Blitzreflex und rettet dem favorisiertem Europapokalteilnehmer so den Saisonauftakt.

Während sich der tapfere Regionalligist nach dem Abpfiff auf Ehrenrunden von seinem Publikum feiern lässt, bittet Celtic-Coach Neil Lennon seine Mannen noch zu Sprintübungen vor die „Blaue Tribüne“. Mein freundlicher Sitznachbar schenkt mir zum Abschied seine echte Eintrittskarte als Erinnerung an diesen unterhaltsamen Fußball-Sommerabend und schon ist es Zeit für ein Fazit: Solider Saisonauftakt! Überraschend enges Spielchen, wunderbares Stadion, toller Verein, entspannte Menschen – nur die Freund*innen der Friedhofstribüne dürften ihre politische Korrektheit eventuell etwas weniger vor sich hertragen und hätten heute gerne für etwas mehr Fußballatmosphäre sorgen dürfen…

Die Bim hat mich eine knappe Viertelstunde später auch bereits wieder in der Josefstadt in die Freiheit entlassen. Die kleine Terrasse des „Gasthaus Zur Böhmischen Kuchl“ in der Schlösselgasse hatte ich mir bereits heute Morgen für eine spätere Einkehr vorgemerkt. Gegen 21.00 Uhr kann man dort noch immer problemlos in Sommerkleidung Platz nehmen, schnell steht ein frisches Bier auf meinem Tisch und noch schneller bin ich als depperter Piefke aufgeflogen. „Ihr in Deutschland würdet’s wohl gpökelt nennen“, beantwortet er meine Frage nach dem „Selchfleisch im Pufferteig mit Kraut“. Für 12,50 € (mittlerweile kostet das Gericht 13,10 € – einfach mal die Website des Lokals besuchen, die Speisekarte öffnen, die Preise per Copy and Paste in ein Schreibprogramm übertragen und die Teuerungsrate mitverfolgen – viel Spaß!) werden dann drei überaus leckere Scheiben Kasseler im Kartoffelanorak serviert und am Ende des Abends braucht es den Verdauungsschnaps auf’s Haus auch zwingend, um die letzten Meter bis zum Hotel zurücklegen zu können.

Am nächsten Morgen ballert die Sonne in die schmale Kochgasse. Bereits um 9.30 Uhr zeigt das Thermometer stolze 28°C an und bis zu 34°C werden im weiteren Verlauf des Tages erwartet. Der Sommerurlaub vor dem Sommerurlaub nimmt konkrete Formen an und schnell ist ein Tagesausflug zur Donauinsel beschlossene Sache. Obwohl rund um den „Copa Beach“ diverse sonnenfeindliche Schmierereien angebracht worden sind, verrichtet das Zentralgestirn weiter zuverlässig seinen Dienst und so komme ich in den Genuss, zwei-drei Stunden lang feinste UV-Strahlung zu tanken und an der Donau zu dösen. Mit dem Nichtstun ist man übrigens immer genau dann fertig, sobald der Bierdurst einsetzt und glücklicherweise kann man sich hier in einem solch schlimmen Fall von einsetzendem Aktionismus auf diverse Strandbars verlassen, die umgehend Lösungsansätze aufzeigen. 4,30 € für ein „Ottakringer“ ist zwar alles andere als geschenkt, bei der guten Aussicht (… aber warum zur Hölle lässt man sich das Wort „Bitch“ tätowieren?) und unter Palmen sitzend, kann man das schon zwei Mal machen.

Hinter mir sitzt ein amerikanisches Pärchen, das sich vorhin am Strand schon zu dämlich angestellt hatte, einen Sonnenschirm in den Sand zu stecken und seitdem unter meiner strengen Beobachtung steht. Nun qualifizieren sie sich endgültig für die Kategorie ‚Vollidioten‘, indem sie eine freundliche Frage des Kellners („How was your Day?“) denkbar dämlich beantworten. „Amazing! We did 10.348 Steps so far!“, als wäre dieser statistische Wert das einzige Kriterium für einen gelungenen Urlaubstag. Kann man ja nur hoffen, dass ich nicht das selbe gefragt werde. Mein Tag war demnach nämlich ziemlich scheiße. Wenig Steps so far – hab nur in der Sonne rumjelegen und Bier jesoffen.

Als dann auch noch Beatrice Egli „Dein Herz ist wie eine Laterne“ über den „Copa Beach“ kitschen darf, brauche ich dringend etwas Ablenkung zum Bier und erinnere mich an den offen gebliebenen Rechercheauftrag aus dem Flugzeug. Dank des freien Wi-Fi werde ich schnell fündig. Am gestrigen 29.06. sind in Hausmening (150 Km von Wien entfernt) tatsächlich Dynamo Moskau (Динамо Москва) und Apollon Limassol (Απόλλων Λεμεσού) aufeinander getroffen. Moskau ging als 2:0 Sieger aus dieser Partie hervor. Für ein belangloses Testspiel extra nach Österreich fliegen? Leute gibt’s…

Wieder einmal beherbergt mich im Anschluss die „Taverne Sokrates“ in der „Sunken City“, ehe ich den Abend im Hotel mit dem Finale der U-21 Europameisterschaft ausklingen lasse. In Udine unterliegt Deutschland mit 1:2 gegen España und ich läute nach Schlusspfiff umgehend die Bettruhe ein, schließlich muss ich am morgigen Montag bereits in aller Herrgottsfrüh zur Arbeit fliegen.

Für die Schlusspointe dieses erlebnisreichen Kurzurlaubs sorgt dann gegen 7.30 Uhr ein Typ am Gate, der ein bisschen so aussieht, als würde er auf die Loveparade 1996 fliegen, was optisch eigentlich schon unterhaltsam genug ist, aber da habe ich den „Mary Pierce“-Schriftzug auf der Wade noch gar nicht gesehen. Erst nach Ankunft in Berlin-Tegel gelingt mir am Bus endlich ein Foto dieses Meisterwerks, das mir doch ein wenig Mut spendet, mir endlich „Arantxa Sánchez Vicario“ auf den Tennisarm tätowieren zu lassen. Schön, wenn man mit einem Schmunzeln im Gesicht in den ersten von vier Arbeitstagen zwischen den Urlauben startet. Spiel, Satz und Sieg für Fetti. Pierce Out! /hvg

23.06.2019 SV Blau-Weiß Dahlewitz – SC Eintracht Miersdorf/Zeuthen II 5:4 (0:1) / Sportanlage Rangsdorfer Weg / 50 Zs.

Seit genau einer Woche hat Fetti kein Auge mehr zubekommen. Immer und immer wieder gingen ihm die selben Bilder durch den Kopf. Diese Nachspielzeit in Königs Wusterhausen am vergangenen Sonntag hat sein Leben verändert. Ein Spiel, an Dramatik nicht zu überbieten. Ein Tor des FC Viktoria Jüterbog in der 94. Minute, eine Tabellenkonstellation, die ihm den Schlaf raubte. Heute ist der Tag der Entscheidung nun endlich gekommen. Showdown in der Kreisoberliga Dahme/Fläming. Wer wird am Ende der strahlende Aufsteiger sein? Jüterbog, Dahlewitz oder doch der lachende Dritte aus Ludwigsfelde? Es kann nur einen geben!

Unter dieser „Highlander“-Losung tut sich dann im Berliner Ostbahnhof auch direkt das erste Schlachtfeld des Tages auf. Der „PENNY“ im Souterrain präsentiert sich mittlerweile jedenfalls derart unterirdisch, dass er es auf der Liste der asozialsten Supermärkte Deutschlands in der Zwischenzeit auf Rang 2 geschafft hat. Unangefochtener Spitzenreiter bleibt zwar der Discounter im Hauptbahnhof Essen, in dem die Mitarbeiter schon längst kapituliert haben und den Dingen einfach ihren Lauf lassen, aber auch den Berliner Wettbewerber verlässt man mit dem unguten Gefühl, man habe sich bei einem kurzen Einkauf alle erdenklichen Krankheiten eingefangen. Irgendeine Stelle des Körpers beginnt noch auf der Rolltreppe ins Foyer ganz automatisch zu jucken. Kannste dich drauf verlassen.

In der Regionalbahn nach Dahlewitz, das sechs Kilometer südlich der Stadtgrenze Berlins und knapp vier Kilometer südwestlich des Flughafens Berlin-Schönefeld zu verorten ist, nimmt das Unheil dann seinen Lauf. „Ist hier noch Platz?“, fragt mich ein korpulenter, verschwitzter und stinkender Mann mit tätowiertem Knutschmund am Hals und so lange er sich noch nicht hingesetzt hat, kann ich diese Frage nicht verneinen. Jetzt aber nehmen seine welken Schenkel Kontakt zu meinen auf und die plötzlich nur noch zahnstochergroße Armlehne zwischen uns sowie zwei Drittel meiner Sitzfläche verschwinden unter seinen Fleischbergen. Zurückgedrängt in die letzte Ecke meines Stuhles und ans Fenster gekauert, nehme ich wohlwollend zur Kenntnis, dass es neben mir genau einen weiteren Fahrgast gibt, der diese Bahn NICHT am Flughafen Schönefeld verlassen will. Während also rundherum rege Betriebsamkeit einsetzt und sich die Menschen mit ihren Rollkoffern in Richtung Ausgang schieben, zeigt Fetti II. keinerlei Regung. Es ist davon auszugehen, dass er auch die letzten acht Minuten der Fahrt neben mir sehr genossen hat.

Als ich um 13.30 Uhr den Bahnhof Dahlewitz erreicht habe, bin ich froh, den „PENNY“ nicht ohne Biereinkauf verlassen zu haben. Selten zuvor hat man eine derart beschwerliche Anreise zu einem Brandenburger Ground erleben müssen. Anette Halbestunde sieht jedenfalls anders aus und auf diese 33 Minuten Höllenqualen darf man ja wohl getrost ein Coping-Bier trinken, während man sich zu Fuß in den Dorfkern begibt. Dieser liegt 1,6 Kilometer vom Bahnhof entfernt und ist nach 20 Minuten Spaziergang nur dann zu finden, wenn man angesichts der überaus komplizierten Wegbeschreibung nicht den Kopf verliert: Bahnhofstraße immer geradeaus und dann rechts in die Dahlewitzer Dorfstraße. Hoffentlich geht das gut.

Dahlewitz hat 2.231 Einwohner und war bis ins Jahr 2003 eine eigenständige Gemeinde, bevor diese als Ortsteil in die amtsfreie Gemeinde Blankenfelde-Mahlow überführt wurde. Während man die menschenleere Bahnhofstraße entlang flaniert und Blicke auf Feld und Flur wirft, kommt einem das gestern noch ach so beschaulich wirkende Werder an der Havel urplötzlich unheimlich urban vor. Als hätte es noch einen Verstärker für dieses Gefühl gebraucht, rattert exactemente in dem Moment, in dem ich in die Dahlewitzer Dorfstraße einbiege, ein mit Heuballen beladener Traktor an mir vorbei und das Titelbild für diesen Bericht entsteht.

In der Dorfstraße gibt es dann noch das alte Gutshaus von 1800 mit Gutspark und Wasserturm zu bewundern, welches nach einem Brand im Jahre 2001 bedauerlicherweise nur noch als Ruine im Dorf steht und seitdem verfällt. Ändern könnte sich dies dank großer Pläne eines Investors, der das Gutshaus und dessen Nebengebäude Instand setzen und Wohnraum schaffen will. Wer hier einziehen wird, hätte zumindest beste Sicht auf die mittelalterliche Dorfkirche, die sich direkt gegenüber befindet. Die rechteckige Felssteinkirche wurde 1305 erstmals urkundlich erwähnt. Im Lauf der Jahrhunderte wurde der Westturm auf seine heutige Höhe aufgemauert und eine Herrschaftsloge mit darunterliegender Gruft angebaut. Seit ca. 1650 steht das Bauwerk in seiner heutigen Form auf dem Dahlewitzer Dorfanger und fordert wohl auch denjenigen etwas Ehrfurcht ab, die mit der Institution Kirche eher weniger am Hut haben.

Fünf Minuten später habe ich den Sportplatz erreicht. Etwas irritiert bin ich, dass mir Mutter und Sohn entgegenkommen, als ich mich gerade dem Kassenhäuschen nähere. „Wollt ihr nicht noch bleiben?“, zeigt sich auch der Kassenwart verwundert, aber die Mutti macht ihm eine unmissverständliche Ansage. „Nee, wir kaufen jetzt erst mal Spargel und denn machen wa Mittag!“. Mir scheint fast so, als wäre nicht ganz Dahlewitz im Aufstiegsfieber…

Immerhin haben sich aber 50 zahlende Zuschauer (3 €) auf der Sportanlage eingefunden, die sich an beiden Längsseiten des Sportplatzes an der Reling verteilen. Die Dahlewitzer Ultras haben den (Fang-)Zaun bereits mit ihren Bannern geschmückt, der Trommel einen Funktionstest unterzogen und ihre blau-weißen Fahnen dekorativ in die Wiese gerammt. Der Rasenplatz ist gut in Schuss und die Sportanlage punktet mit einem gemütlichen Vereinsheim samt Biergarten und der schönen Aussicht auf den Dahlewitzer Wald (den es zu retten gilt!) und das Naturschutzgebiet Zülowgrabenniederung. Auf der Gegengeraden bereitet sich neben mir auch der Mann auf das Spiel vor, der hier gleich die manuelle Anzeigetafel zu bedienen hat. Schnell ist der Anglerstuhl aufgebaut, der Sonnenschirm justiert, das Bierchen in der hierfür vorgesehenen Halterung verstaut und dann gerade noch rechtzeitig festgestellt worden, dass die Nummerntafeln fehlen. Oh man, das hätte peinlich enden können.

Die ersten 20 Minuten der Partie können wir getrost überspringen. Abtastphase, aber auf einem angenehmen Niveau mit ansprechendem Tempo und wenig technischen Katastrophen. Beendet wird diese Phase des Spiels durch einen Torerfolg der Hausherren, welcher allerdings wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung aberkannt wird. Der auffälligste Akteur der Gäste, Etoo Kofi, der auf der linken Außenbahn bislang einige gute Offensivaktionen, aber auch einige defensive Unkonzentriertheiten in seinem FUDU-Zeugnis zu stehen hat, tankt sich nach 22 Minuten am linken Flügel durch, zieht in den Strafraum, spielt zwei Verteidiger schwindelig und schließt mit einem präzisen Schuss in die lange Ecke ab. Das 0:1 ist aus Dahlewitzer Sicht doppelt ärgerlich, da just in diesem Moment das Gerücht die Runde macht, der FC Jüterbog sei „durch ein klares Abseitstor“ im lediglich vier Kilometer entfernten Blankenfelde-Mahlow mit 1:0 in Führung gegangen. Na, aber das hätte Luisa aus Senzig doch gesehen!

Nach 29 Minuten ist auf der „Sportanlage Rangsdorfer Weg“ alles gegessen. Der direkte Konkurrent aus Jüterbog ist auf 4:0 davongezogen. Nach Menschengedenken sollten die Treffer von Carlos Ngounou Happy und Bastian Lehmann (3x) zum Aufstieg reichen. Dahlewitz ist geschlagen und irgendwer muss diese Information auch bis an das Feld herangetragen haben. Zwar bleibt das Spiel intensiv, doch fehlt jetzt seitens der Heimelf der letzte Wille, sich bei 28°C so richtig in diese Partie hinein zu beißen. Tom Kirstein, der in seiner Karriere bereits deutlich höherklassig gespielt hat (Halle 96, Dessau 05, TeBe, BAK), lässt jetzt im Mittelfeld auch ab und an Fünfe gerade sein und zieht brasilianische Zaubereien dem gepflegten Pass mit der Innenseite vor. An der Seitenlinie treten die Zuschauer in den entspannten Smalltalk mit dem Linienrichter: „Willste Sonnencreme? Oder ’n Bier? Wenn Du was brauchst, drück einfach auf Deine Fahne, Herr Assistent!“ und dieser bedankt sich mit seinen Mitteln für diese kleinen Aufmerksamkeiten, indem er die glasklare Abseitsposition von Hannemann übersieht, die es für Dahlewitz schon braucht, um endlich zur ersten vernünftigen Torchance zu kommen (44. Min.).

In der Halbzeitpause lehnt Benjamin Lehmann die am Spielfeldrand angebotene Melone dankend ab, um bereits das Resümee zu ziehen. „Wir haben es uns selber versaut“, womit er wohl die Heimniederlagen gegen Blankenfelde-Mahlow II und Ludwigsfelde II sowie die Punktverluste gegen Königs Wusterhausen und den FSV Admira in der Rückrunde meint. So viele Patzer darf man sich in dieser engen Liga natürlich nicht erlauben, weiß nicht nur der um den Schlaf gebrachte Fetti.

Mittlerweile ist auch der Anzeigetafelmann mit einem neuen Bier zurückgekehrt und hat es sich in seinem Campingstuhl gemütlich gemacht. Wenn der wüsste, was hier gleich noch an Arbeit auf ihn zukommen wird… Kapitän Rosenberg hält derweil eine knackige Motivationsrede im Mittelkreis, die er mit den donnernden Worten: „Ich will hier nicht Dritter werden!“ abschließt. Seinen Teamkameraden Knochel hat er auf jeden Fall erreicht, denn nur fünf Minuten nach Wiederanpfiff schickt sich dieser an, aus gut 40 Metern einfach mal abzuziehen. Keeper Tolzin, der die Marc-Kevin-Goellner-Gedächtniskappe mittlerweile richtig herum trägt, kann gerade noch ein „Nicht, nicht, nicht!“ in die Schussbewegung schreien, doch Knochel lässt sich nicht von seinem tollkühnen Vorhaben abbringen. Gut so, da der Ball Gästekeeper Schröder, der im normalen Leben Coach der ersten Mannschaft ist, völlig auf dem falschen Fuß erwischt und zum 1:1 in den Maschen einschlägt.

Wieder vergehen nur fünf Minuten, bis es den nächsten Höhepunkt zu bestaunen gibt. Etoo Kofi taucht frei vor Tolzin auf, scheitert, doch Ben Weidemüller kann den Abpraller über die Linie drücken. Das Schiedsrichterkollektiv diskutiert lange und erkennt den Treffer letztlich an, obwohl der Linienrichter ursprünglich die Fahne gehoben hatte. Ganz so passiv war diese Abseitsstellung wahrlich nicht, da der Miersdorfer Angreifer zum Ball gegangen war und auch ohne Berührung des Spielgeräts in das Spielgeschehen eingegriffen hatte, doch Schiedsrichter Köhler setzt sich am Ende durch. 1:2 nach 55 Minuten.

Für die letzte halbe Stunde der Saison fallen dann endgültig alle taktischen Fesseln. So reicht mitunter ein einziger Pass und die Miersdorfer Verteidigung ist bereits auf Höhe der Mittellinie ausgehebelt. Beyendorf hat viel Wiese vor sich und ganz viel Zeit, sich auf den kommenden 40 Metern zu überlegen, wie er den Ball verwandeln will – und so etwas geht ja bekanntlich selten gut aus. Am Ende legt er den Ball am herauseilenden Keeper vorbei, was den Winkel zu spitz werden und Beyendorf am Außennetz scheitern lässt (61. Min.) und wird zur „Strafe“ direkt ausgewechselt. Es kommt Jungspund Grundmann, der sich dem zwei Köpfe größeren Pälchen gegenübersieht. Kapitän Rosenberg meint es noch immer ernst und geht mit seinen Mannen hart ins Gericht: „Ihr könnt doch nicht den Olli gegen den 15er spielen lassen“. Keine 10 Sekunden später segelt ein hoher Ball durch das Mittelfeld, Grundmann geht hoch, setzt sich im Duell mit Pälchen durch und Tolzin lässt ein lautes Lachen über den Platz schallen, versehen mit dem süffisanten Kommentar: „Ui, ui, ui, guck mal, wie er den Kopfball gewinnt!“.

Für beste Unterhaltung ist also weiterhin gesorgt und auch die Tore fallen im Stakkato. Rosenberg, das Motivationsmonster, setzt zu einem beherzten Solo an und schließt dieses mit dem linken Fuß zum 2:2 ab (67. Min.). Keine 60 Sekunden spielt Rosenberg einen mustergültigen Steckpass, doch Hannemann vergibt das 3:2 im 1:1 Duell mit Schröder leichtfertig. Die Reaktion von Rosenberg zeigt, dass er wirklich nicht Dritter werden mag – sollte man jemals eine Illustration eines vorweggehenden Kapitäns suchen, hier würde man fündig werden.

Im Anschluss übertreiben es die Dahlewitzer in zweierlei Hinsicht ein wenig. Zunächst einmal zieht unnötige Härte ins Spiel ein (Lehmann tritt Strandt von hinten den Schuh vom Fuß und kommt glimpflich mit Gelb davon) und dann lässt man sich von dem Wunsch, dieses Spiel zu drehen, derart übermannen, dass es hinten gleich zwei Mal einschlägt. Müller schiebt nach einer Freistoßflanke auf den zweiten Pfosten aus erneut abseitsverdächtiger Position ein (2:3, 74. Minute) und Tomislav Kresović verwandelt einen Foulelfmeter nach Halten (2:4, 82. Minute).

Normalerweise sollte es das nun gewesen sein. In acht Minuten endet die Saison, es ist immer noch schwülwarm und die Chance auf den Aufstieg ist verstrichen. Alles keine Gründe für die wahnwitzigen Dahlewitzer, hier die Köpfe hängen zu lassen und das Spiel abzuschenken. Mit beeindruckender Moral kommen sie noch einmal in das Spiel zurück. Nach einem Eckball gewinnen sie gleich zwei Kopfballduelle, Keeper Schröder irrt vollkommen orientierungslos durch seinen Strafraum und Lukas Knochel nickt den Ball zum 3:4 über die Linie (84. Minute).

Dahlewitz wirft nun alles nach vorne. Ball um Ball wird in die Hälfte der Miersdorfer geprügelt. So kann es nicht klappen, denkt sich Kirstein und setzt seinerseits in der 90. Minute noch einmal die feine Klinge an. Sein gefühlvoller Chipball aus dem Fußgelenk über die gegnerische Abwehr eröffnet Faust freie Schussbahn und ein Miersdorfer blockt den Abschluss mit der Hand. Elfmeter! Pascal Hannemann schnappt sich den Ball, Knochel bedankt sich ironisch, dass man ihm keinen Dreierpack gönnt und nur wenige Wimpernschläge später steht es tatsächlich 4:4. Eiskalt verwandelt.

Nachspielzeit. Noch immer sind 2-3 Minuten zu spielen. Dahlewitz attackiert noch einmal über die rechte Seite, Flachpass in den Rücken der Abwehr. Und wer steht da und schließt trocken mit dem linke Fuß zum 5:4 ab? Der Kirstein Tom! Mit seinem 14. Saisontreffer bringt der Mittelfeld-Rastelli alle zum Ausrasten. Was für ein verrücktes Spiel, was für ein Finish.

Die „Ultras Dahlewitz“ hüllen den Sportplatz ungeachtet dessen in schwarzen Rauch. Während der Mannschaft eher die Freude über die gute Leistung ins Gesicht geschrieben steht, ist drumherum doch die Enttäuschung über den verpassten Aufstieg spürbar. Blankenfelde-Mahlow gewinnt 5:2 und auch der Ludwigsfelder FC wäre noch an Dahlewitz vorbeigezogen, hätte man hier nicht eine solche Willenskraft gezeigt.

Ich hingegen bin nun überaus gewillt, mich vor der strapaziösen Rückfahrt auf dem Dorf zu stärken. Die ersten Tiefschläge lassen nicht lange auf sich warten. „Andy’s Getränkeshop“ sieht eher nach Bauernhof aus, als nach Späti und hat natürlich sonntags geschlossen. Team „Imbiss-Eck“ hat wohl dauerhaft die Pfanne kalt, worauf das aufgestapelte Kochgeschirr auf dem Gehweg hindeuten könnte. Die letzte Hoffnung heißt „Mutterwelt“ und befindet sich direkt am Bahnhof und lädt mit einer gemütlichen „Summerlounge Terrasse“ zum Verweilen ein. Der zahnlose Kellner bringt mir die Speisekarte und ich verfalle in eine Art Schockstarre. Bier für 4 €, das günstigste Gericht auf der Karte für 16,90 €. Ich schaue mich um. Traktor auf der Dorfstraße, Mistgabeln im Schirmständer. Bin also ganz offensichtlich nicht in Saint-Tropez.

Schweren Herzens (aber reinen Gewissens) verzichte ich also weiterhin auf Nahrungsaufnahme und gönne mir ein Bierchen in der Sonne, um die Wartezeit bis zur Abfahrt meines Zuges (18.28 Uhr) sinnvoll zu überbrücken. Wer 4 € für ein Fassbier verlangt, kriegt von mir übrigens partout kein Trinkgeld. Der Kellner rächt sich, indem er mir 16 € Wechselgeld in Münzen aushändigt und schon ist der Dahlewitz-Ausflug zu einem zwischenmenschlich gelungenem Ende gekommen.

Am Flughafen-Schönefeld füllt sich die bis dato angenehm leere Bahn bis auf den letzten Platz. Alle sind gestresst, Touristen stehen so orientierungslos in der Gegend herum wie Schröder in seinem Strafraum, alles redet und lärmt durcheinander, einer sieht blöder aus als der andere, Kinder heulen. Könnte es einen unsanfteren Berlin-Einstieg geben? Nehmt gefälligst mal Rücksicht, ich komm vom Dorf!

Um 18.57 Uhr habe ich den Ostbahnhof erreicht und spiele mit dem Gedanken, vielleicht doch einfach in das ruhige Dahlewitz zu ziehen. Spätestens, wenn das Gutshaus renoviert ist, werde ich ernsthaft darüber nachdenken – und bis dahin spielt der SV Blau-Weiß Dahlewitz hoffentlich auch schon in der Landesklasse! /hvg

22.06.2019 Werderaner FC Viktoria 1920 – FC Eisenhüttenstadt 1:4 (0:2) / Arno-Franz-Sportplatz / 88 Zs.

Einen Tag nach Beginn des kalendarischen Sommeranfangs zieht es Fetti erneut hinaus nach Brandenburg. Die „Region“ (immer noch nicht tot, obwohl Energie Cottbus vor gut vier Wochen nach einem Herzschlagfinale gegen Eintracht Braunschweig aus der dritten Liga abgestiegen ist) wartet heute mit angenehmen 26°C auf und bietet einen bunten Strauß der Möglichkeiten. Was darf es sein? Lübben, Sachsenhausen, Senftenberg, Guben, Premnitz oder Luckau?

Und dann wäre da noch Werder an der Havel. 26.412 Einwohner, vor den Toren Potsdams gelegen, wasserreich und dem Vernehmen nach sehr schön, so jedenfalls die Berichte all derjenigen, die im Verlauf ihres Lebens irgendwann einmal auf dem „Baumblütenfest“ zu Gast waren. Ich jedoch habe da ein Trauma von 2011 noch nicht überwunden, als FUDU auf der Rückfahrt aus Bochum (0:3 verloren) die Wege mit „Baumblütenfest“-Besuchern kreuzte und die letzten 45 Minuten der ohnehin schon beschwerlichen Wochenendticket-Reise noch beschwerlicher wurden. In Erinnerung geblieben sind betrunkene Menschen, blinkende Lichter an Strohhüten, schwarz-rot-güldene Hawaiiketten und tätowierte Katzentatzen auf solariumsgegerbter Lederhautbrust. Kurzum: Ich muss mich schleunigst informieren, ob dieses furchtbare Fest nicht zufällig ausgerechnet heute stattfindet.

Eine kurze Recherche später ist klar, dass das Fest traditionell immer in der Woche um den ersten Mai herum stattfindet und ich nichts zu befürchten habe. Außerdem fällt ins Auge, dass Werder an der Havel als „staatlich anerkannter Erholungsort“ geführt wird und unter diesen Vorzeichen kann es ja gar keinen besseren Ort geben, um die Saison 2018/19 zu einem versöhnlichen Abschluss zu bringen.

Um 11.59 Uhr verlässt der RE1 den Berliner Ostbahnhof. Die „Deutsche Bahn“ hat umgehend auf die Brandenburger Erderwärmung reagiert und den Zug auf gefühlte -18°C heruntergekühlt. So erreicht der geneigte Fahrgast den Bahnhof Werder(Havel) 46 Minuten später nicht etwa durchgeschwitzt, sondern schockgefrostet. Interessant wäre es zu wissen, wie viel Prozent des Fahrpreises in Höhe von 3,60 € in der letzten Dreiviertelstunde direkt durch den Betrieb der Klimaanlage aufgefressen worden sind. Fetti zittert jedenfalls noch ein wenig, als die Kühlkette endlich unterbrochen ist und er erste Blicke auf das vielversprechende Bahnhofsgebäude in gelbem Klinker werfen kann. Wenn die Stadt der Schönheit dieses Empfangsgebäudes in nichts nachstehen würde, dann könnte das hier ein richtig angenehmer Aufenthalt werden.

Um dies zu verifizieren, führt Fettis Spaziergang geradewegs vom Festland auf die historische Altstadtinsel, die den Kern der Stadt beherbergt und Namensgeberin der Stadt ist. Der Begriff „Werder“ ist nämlich nicht mehr und nicht weniger als eine topografische Bezeichnung für Flussinseln, womit wir auch unserem Bildungsauftrag an dieser Stelle nachgekommen wären.

In den kleinen Gassen der Altstadt herrscht eine verschlafene Gemütlichkeit, nirgendwo liegt Müll herum, nirgendwo riecht es nach Urin und man muss auch nicht bei jedem Dritten entgegenkommenden klären, ob dieser einfach nur mit dem Headset telefoniert oder wirklich einen an Waffel hat, was sich in Berlin bekanntlich in etwa die Waage hält. Ich gebe es zu, etwas habe ich mich von meiner einstigen Lieblingsstadt in den vergangenen Jahren schon entfremdet. Hier grüßen sich die Fahrradfahrer gegenseitig, zugezogene Studentinnen, die in Potsdam demnächst Sinnlosologie studieren werden, sonnen sich auf den saftigen Havelwiesen, von vorbeifahrenden Booten wird freundlich gewunken und alles ist ja so schön grün und ruhig. Dürfte man hier eigentlich auch herziehen, wenn man keine Kinder hat? Frage für einen CDU-Wähler!

Fetti erteilt mir dann glücklicherweise die Absolution, das hier alles toll finden zu dürfen, ohne sich dabei zu spießig zu fühlen. Ich darf mich also an der idyllischen Inselsilhouette mit Heilig-Geist-Kirche (1858) und der Bockwindmühle erfreuen, ohne ein schlechtes Gewissen zu empfinden.

Bockwindmühlen wurden in Deutschland erstmals zu Beginn des 15. Jahrhunderts errichtet. Dieses Exemplar hier ist leider nicht ganz so historisch, wie es zunächst den Anschein macht. Ich zitiere von der Stadtwebsite: „Fassungslos und erschüttert waren die Bewohner der Stadt im Dezember 1973, als nach einem Brand der Mühlenberg seines traditionsreichen Wahrzeichens beraubt wurde. Ein Wiederaufbau war aufgrund der schweren Beschädigungen unmöglich. Engagierten Werderanern – die sich mit dem Verlust nicht abfinden wollten – und der damaligen Stadtverwaltung gelang es, 1985 eine gleichartige und bis auf die Flügel recht gut erhaltene Mühle in Klossa bei Jessen aufzuspüren und für 6000 DDR-Mark zu kaufen. Nach dem Abbau wurden die einzelnen Teile erst einmal fachgerecht eingelagert und bearbeitet. Mit dem überaus mühsamen Wiederaufbau begannen private Mühlenfreunde aus der Stadt, ihres Zeichens Fachleute aus verschiedensten Gewerken, im Jahr 1987. Die Einweihung der neuen alten Mühle wurde 1991 gefeiert und im August 1993 drehten sich beim 1. Mühlenfest erstmals wieder ihre Flügel.“ Dafür verdient sich das auf dem Mühlenberg und in nächster Nähe gelegene „Historische Rathaus“ von 1879 seinen Namen aber allemal und weiß ebenfalls optisch zu überzeugen.

An der Nordspitze selbiger Insel befindet sich auch der „Arno-Franz-Sportplatz“, der an drei von vier Seiten mehr oder minder unmittelbar von der Havel umschlossen ist. Bereits eine Stunde vor Spielbeginn führt der gastgebende Verein einen Soundcheck durch, während ich mir mit pausierenden Wanderern eine Parkbank teile und mir mit Blick auf das Wasser die Sonne ins Gesicht scheinen lasse. Die Ruhe wird nicht einmal durch den Gästemob gestört, der ebenfalls am Ufer entlang flaniert und die Vorfreude auf das Stadionerlebnis in mir weckt. Ein Spiel in der Brandenburgliga mit Gästefans? Da ist eine volle Hütte garantiert…!

Fünf Euro sind heute zu berappen, um den Sportplatz betreten zu dürfen. Dieser wartet mit einer Stahlrohrtribüne mit grünen Schalensitzen auf und bezieht seinen Charme nicht nur aus seiner einzigartigen Wasserlage, sondern auch durch die herausgeputzten Schrebergärten, die sich direkt hinter und neben der Tribüne befinden. Die rostige Reling könnte man zum 100-jährigen Vereinsjubiläum eventuell mal neu streichen, dennoch bereitet dieser Ort schon jetzt richtig Laune und hätte eigentlich gar nicht durch ein Bier aufgewertet werden müssen, aber was soll man machen, wenn der Arzt doch empfiehlt, immer ausreichend zu trinken. Für mein Bier (2,50 €) halte ich einen 5 € Schein bereit und schnell ist mit dem guten Mann hinter mir ausgetüftelt worden, dass ich einfach sein bereitgelegtes Kleingeld vom Tresen nehme und sein Bier mit meinem Schein mitbezahle. Diese Rechnung haben wir aber ohne den Schankwart gemacht, der zwar mit dem Rücken zu uns steht, aber trotzdem mitbekommt, wie ich das Kleingeld einstecke und der nun im Glauben, mich einen perfiden Diebstahls überführt zu haben, das Zapfen einstellt und mich zur Rede stellt. „Hey Freundchen, lässte dit mal da liegen? Dit is mein Jeld!“, womit die Eigentumsverhältnisse genau genommen auch nicht korrekt widergespiegelt wären. „Dit sieht jetzt erst mal komisch aus, aber dit is sein Wechseljeld“, versucht der Mann hinter mir die Sachlage zu klären und so schnell, wie der Wirt an die Decke gegangen ist, ist er nun auch wieder besänftigt.

Auf den Schreck brauche ich erst einmal ein Bier. Neben der Tribüne lasse ich mich im grünen Gras nieder, verabschiede mich von Schuhen und Socken und fläze mich in die Sonne. Der Stadion-DJ legt die gleiche CD auf, die bereits in Amager gespielt wurde, mit dem Unterschied, dass die Musik heute zu Wetter und Stimmungslage passt. Aus den angrenzenden Schrebergärten, die ihre Eingangstüren kurioserweise in Richtung Platz haben, haben erste Menschen Sonnenstühle in den Hintertorbereich getragen und es sich ebenfalls bequem gemacht. Am Ende werden neben diesen schmarotzenden Kleingärtnern immerhin noch 88 zahlende Zuschauer, darunter 18 aus Eisenhüttenstadt, registriert werden.

Vor Spielbeginn verabschiedet der Werderaner FC Viktoria verdiente Spieler mit üppig gefüllten Präsentkörben, der Rasen muss noch eben schnell von aus dem Gästeblock geworfenen Papierschlangen befreit werden und schon eröffnet FUDUs treuer Wegbegleiter Toni Bauer die Partie des 30. und letzten Spieltages der Brandenburgliga. Werder befindet sich auf einem tiefenentspannten 9. Tabellenrang, während sich der einstige Europapokalteilnehmer aus Eisenhüttenstadt (1991/92 im Europapokal der Pokalsieger gegen Galatasaray), der leider zur Saison 16/17 seinen Traditionsnamen „Stahl“ und das dazugehörige Logo abgelegt hat, heute mit aller Macht gegen den Abstieg stemmen muss. Aktuell hat man einen Punkt mehr auf der Habenseite als die Teams aus Brieselang und Blankenfelde-Mahlow, die auf den Abstiegsplätzen rangieren. Diesen Vorsprung gilt es heute über die Ziellinie zu retten – klar, dass die Fanszene von „Hütte“ da mobilisiert hat!

Um 15.02 Uhr habe ich meinen ersten Ballkontakt und werde mit einer Passquote von 100% in die Statistik dieses Spiels eingehen. Die Locals am Bierstand hatten sich bereits lang und breit darüber unterhalten, wie viele Stammspieler den Werderanern heute aus unterschiedlichsten Gründen fehlen würden und dass das Trainergespann Hecht / Nitzsche „das komplette Team“ habe umbauen müssen. Keine Quelle ist seriös genug, um nicht wenigstens einmal kurz überprüft zu werden und schon stellt sich heraus, dass nur vier Änderungen im Vergleich zur Vorwoche vorgenommen werden mussten, dennoch wirkt Werder in der Anfangsphase alles andere als sortiert.

Georges Florent Mooh Djike setzt den ersten sehenswerten Akzent, indem er die gesamte Hintermannschaft der Werderaner zu Fahnenstangen degradiert. Sein beherztes Solo endet jedoch mit einer guten Parade der etatmäßigen Nummer 2, Jan-Niklas Rauch (8. Minute). In der 20. Minute gelingt dem zweiten Afrikaner in Diensten des FCE, den sie alle nur „Hermann“ rufen, mit einem trockenen Fernschuss der Führungstreffer. Während ich zunächst von einem mittelmäßig amüsanten Spitznamen ausgehe, verschafft eine nachträgliche Recherche Klarheit. Der gute Mann heißt wahrhaftig Hermann Wamba Tsafak, kommt aus Kamerun und hat 20 Minuten lang derart auffällig agiert, dass man ihm gerne Torjägerqualitäten unterstellt hätte. FUDU ist jedoch soeben Zeuge seines allerersten Saisontreffers geworden. What Tsafak?

Spätestens nach 35 Minuten hätten die Gäste einen Ausbau der Führung verdient gehabt. Der quirlige Außenbahnspieler Hoang Sa Nguyen Ngoc hatte sich mit einem schnellen Dribbling durchsetzen können, seine scharfe Hereingabe wird von Djike per Direktabnahme nur knapp am linken Pfosten vorbeigelegt. Werder lässt nur gelegentlich mit Versuchen aus der Distanz aufhorchen, während die Gäste kontinuierlich mit Spielwitz und Tempo überzeugen. Ngoc und Djike krönen die erste Hälfte in der Nachspielzeit mit einem fantastischen Doppelpass, der nicht nur die gegnerische Defensive alt aussehen lässt und Ngoc hervorragend freispielt, sondern von diesem auch noch formvollendet im kurzen Eck untergebracht werden kann. Der Stadionsprecher nennt „die Nummer 23 Krüger“ als Torschützen, woraufhin sich der Vietnamese umdreht, die Faust ballt und einen Jubelschrei in die eigene Verteidigungsreihen sendet: „Jawohl, Johann!“.

Mit diesem Bonmot enden die ersten 45 Minuten, die unterhaltsamer kaum hätten sein können. Weniger erfolgreich geht es beim Grillmeister zu, der noch immer kein Essen für das hungrige Publikum zur Verfügung gestellt bekommen hat und so naturgemäß auch nichts auf den Rost legen konnte. Aber auch hier weiß man sich zu helfen: „Hab ’n paar Pizzen beim Italiener bestellt, müssten eigentlich gleich da sein!“, vertröstet der Caterer von Welt die wartende Meute und Fetti gibt sich angesichts dieser Unverbindlichkeit mit einem zweiten Stadionbier zufrieden.

Das Spiel braucht auch in der zweiten Hälfte keine lange Anlaufzeit, bis alle Akteure auf Betriebstemperatur sind. Gerade einmal fünf Minuten sind gespielt, als Rauch eine eher harmlose Flanke von der linken Seite nach vorn prallen lässt und sich dann entschließt, den zum Einschuss bereitstehenden „Hermann“ nach allen Regeln der Kunst im Strafraum umzunieten. Kapitän Tony Wernicke verwandelt den fälligen Strafstoß zum 0:3 sicher und der Klassenerhalt für „Hütte“ scheint so gut wie gesichert.

Doch diese Rechnung hat der FC Eisenhüttenstadt ohne den in der 53. Minute eingewechselten Mateuz Wallroth gemacht. Gerade einmal drei Minuten benötigt der Joker, um den Anschluss für Werder herzustellen. In der Vorwoche stand Wallroth übrigens noch in der Startformation – den Umbau des Teams hätte es zumindest an dieser Stelle also nicht zwingend gebraucht. Plötzlich droht das Spiel zu kippen. Bei den Mannen aus Eisenhüttenstadt setzt das Nervenflattern ein und Werder übernimmt das Zepter. Wer weiß, wie die Partie wohl weiter verlaufen wäre, hätte Ferdinand Becker in der 63. Minute die Riesenchance auf das 2:3 genutzt. Eisenhüttenstadts Trainer versucht von der Seitenlinie lautstark wieder Spannung in seine Mannschaft zu bekommen und auch die mitgereisten Fans pushen emotional und versuchen, den Gegner in nervenaufreibende Streitgespräche zu verwickeln. Torwart Rauch hat es nicht leicht und muss den einen oder anderen derben Kommentar über sich ergehen lassen. „Halt Dein Maul und geh in Dein Tor, Du Affe!“, ruft ein Pöbler und hat in dem Moment wahrscheinlich gar nicht auf dem Schirm, dass er sich nicht als Teil einer anonymen Masse in einem Stadion mit 60.000 Zuschauern befindet, sondern auf einem Sportplatz, auf dem Herr Rauch nach Abpfiff ohne jedwede Probleme auch mal persönlich „Guten Tag!“ sagen kommen könnte.

Die Emotionalität von außen scheint den Spielern des FC Eisenhüttenstadt jedoch gut zu tun. Sie hilft deutlich sichtbar dabei, die Druckphase der Hausherren zu überstehen und sich nach und nach freizuschwimmen. Ein erster taktischer Wechsel sorgt für weitere Ordnung im Mannschaftsgefüge, ehe man nach einer simplen kurzen Ecke und einer Flanke auf den zweiten Pfosten durch Siemund mit 4:1 in Führung gehen kann. Eine Viertelstunde vor Schluss ist die Sache somit entschieden und das letzte Spiel der Saison plätschert gemächlich seinem Ende entgegen. Für den letzten Lacher sorgt wiederum Hoang Sa Nguyen Ngoc, der nach seiner Auswechslung in Minute 78 bei seinem Sprint in die Kabine noch höhere Geschwindigkeiten erreicht, als auf seinen unzähligen Außenbahnläufen auf dem Feld. Nach seiner Rückkehr wird er von den Fans gleichermaßen geherzt und aufgezogen: „Du siehst so erleichtert aus. Brauchen wir neues Klopapier?“. Die Antwort geht im Jubel unter. Vielleicht stand ihm ja auch nur die Erleichterung über den geglückten Klassenerhalt ins Gesicht geschrieben.

Mich zieht es nun in das Herz der Altstadtinsel, wo man meinen Hunger hoffentlich besser stillen kann als am Grillstand des Werderaner FC Viktoria. „Am Markt“ gibt es nicht nur etliche liebevoll sanierte Häuschen zu bestaunen, sondern mit einem Besuch des unscheinbaren Ladens „Pizza in Piazza“ auch noch einen echten Volltreffer zu landen. Von außen betrachtet sieht die Bude so aus, als würde man gleich Analogkäse und Formfleischschinken über sich ergehen lassen müssen, doch öffnet man die Tür, steht man plötzlich mitten in Italien. „Ciao, Buona Sera“, wird man von Inhaber Adolfo Ferraro freundlich begrüßt und bekommt eine waschechte Diavolo aus dem Steinofen für gerade einmal 5,90 € auf rot-weiß-karierter Trattoria-Tischdecke serviert. Plötzlich fällt mir der schmissige Marketingclaim von „Havelland Tourismus“ wieder ein, auf den ich heute Morgen im Zuge der Suche nach den Terminen des „Baumblütenfest“ gestoßen war und der mich ein wenig amüsiert hatte. „Werder – Ein Hauch von Toscana mitten in Brandenburg“. Nun gut, da könnte man jetzt schon drüber streiten, inwieweit Bockwindmühlen aus Klossa bei Jessen was mit der Toscana zu tun haben. Auf jeden Fall für heute aber genug Hauch, um mich endgültig darüber hinwegzutrösten, dass ich aus Gründen schweren Herzens auf eine Reise zur U21-EM in Bella Italia verzichten musste. Viel schöner hätte es rund um die Partie España – Polska in Bologna kaum werden können…

Während ich um kurz nach 18 Uhr in der Regionalbahn sitze, bereiten sich die Stadtväter Werders womöglich gerade auf ihre nächste Sitzung vor. Das „Baumblütenfest“ mit mittlerweile durchschnittlich 500.000 (!) Besuchern ist nämlich auch den Verantwortlichen ein Dorn im Auge und so ist man aktuell fieberhaft auf der Suche nach neuen Konzepten für 2020. Geplant ist, den Suffrummel von der Altstadtinsel zu verbannen und sich wieder darauf zu besinnen, was das „Baumblütenfest“ im Ursprung einst darstellte. Wenn alles gut läuft, öffnen 2020 also wieder nur noch die Obstbauern ihre Plantagen und Höfe und Anwohner ihre Gärten für ein kleines Publikum. In gemütlicher Runde werden dort süffige lokale Obstweine zur Verköstigung angeboten, während das Hillbilly-Volksfest ersatzlos gestrichen wird – und das wiederum würde wohl all die furchtbaren Strohhüte, Hawaiiketten und Katzentatzen ein für allemal aus Werder verbannen. 2020 könnt ihr also jederzeit einen Abstecher in die „Blütenstadt“ unternehmen. Toscana geht dann immer. Sogar rund um den ersten Mai. /hvg

16.06.2019 FSV Eintracht 1910 Königs Wusterhausen – FC Viktoria Jüterbog 0:1 (0:0) / Sportplatz Zeesen / 70 Zs.

Gerade ist Fetti wieder in Deutschland und im Arbeitsleben angekommen, schon packt ihn erneut die Abenteuerlust. Irgendetwas mit Strand und Fußball wäre doch nett, um den Sonntag aufzuwerten. Wo er Recht hat, hat er Recht – doch nach den vergangenen Urlauben in Danmark und Polska kommt das Konto doch einigermaßen geplündert daher. Da muss man dann eben auch einmal kleinere Brötchen backen und so gerät das „Strandbad Zeesen“ ins Visier des unternehmungslustigen Schweins. Mit dem Kategorie-C-Ticket für gerade einmal 3,20 € erreichbar, Eintritt frei, sanitäre Anlagen und Imbiss vorhanden und ausschließlich hervorragende Online-Rezensionen: „Die rechte Uferseite war komplett zugekotet“ und „das Publikum ist sehr primitiv“. Na, wenn das mal nicht nach mindestens 4 von 5 Sternen klingt.

Um 9.51 Uhr ist die Vorfreude daher mit Händen greifbar, als die Regionalbahn das Berliner Ostkreuz in Richtung König Wusterhausen verlässt. An Bord befinden sich abertausende Studenten, die alle noch überhaupt gar nichts für die Klausur morgen gelernt haben, weil sie total unvorbereitete Eisvögel sind, die das alles locker aus dem Ärmel schütteln werden. Bleibt die Frage, warum man sich dann während der zwanzigminütigen Fahrt ausschließlich über Entwicklungspsychologie und andere klausurrelevante Themen unterhalten muss. Da kommt ja beinahe der Verdacht auf, dass die Ullas und Maltes am Samstag doch mal das Müsli bei Seite gestellt und heimlich in den Schnellhefter gespitzt haben. Das aber soll nicht weiter meine Sorge sein, als sich unsere Wege am Bahnhof Königs Wusterhausen trennen. Das Ziel meiner abgespeckten Reiseträume liegt nun nur noch eine Station entfernt, die ich in himmlischer Ruhe in einem menschenleeren Zug anfahren kann.

Es ist exakt 10.26 Uhr, als ich den Bahnhof Zeesen, Ortsteil von Königs Wusterhausen, erreicht habe. Hier ist man so nett und stellt auf dem Bahnhofsvorplatz, der 2010 neu gestaltet worden ist, eine kleine Schautafel zur ersten Orientierung bereit. Der Himmel ist wolkenverhangen und bei kühlen 22°C ist ein gewisser Ärger über die Wettervorhersagen der letzten 48 Stunden nicht zu leugnen. Gestern wurde eindringlich vor einem Gewitter gewarnt, sodass ich nach meinem samstäglichen Lehmofen-Fundament-Aushub-Subbotnik in Berlin-Buch auf einen Abstecher zum Wandlitzsee verzichtet hatte, nur um dann zu Hause sitzend festzustellen, dass die Sonne den ganzen Tag unbekümmert ihren Dienst verrichtete. Heute wiederum waren sich die Herren Meteorologen sicher, dass ein wunderbarer Sommertag bevor steht und haben mit dieser Prognose dafür gesorgt, dass ich sogar auf die Socken in den Sandalen verzichtet habe. Und jetzt friert man sich hier einen ab. Vielleicht schneidet ihr euch einfach mal eine Scheibe bei euren polnischen Kollegen ab. Die lagen wenigstens immer richtig und schreiben einem sogar Textnachrichten, wenn wirklich Gefahr im Verzug ist!

Dennoch nehme ich den 20-minütigen Spaziergang zum „Strandbad Zeesen“ noch einigermaßen unerschrocken auf mich. Ganz warm ums Herz wird mir dann in der Uferstraße, in der ein Anwohner seinen Vorgarten mit einer RB-Leipzig-Hissflagge geschmückt hat. Ach, wäre das toll, wenn wir mit einem echten Ostderby in die Bundesliga starten dürften. Abwarten. In 12 Tagen wird der Spielplan veröffentlicht…

Am Zeesener See herrscht um 11.00 Uhr noch gähnende Leere. Klar, bei dem Wetter jagt man ja auch keinen Hund vor die Tür. Ich spaziere kurz über den Holzsteg, begutachte das kotfreie Ufer, inspiziere Sandstrand und Liegewiese und bin unter dem Strich mit meiner Idee, an diesem Ort ein Sonnenbad zu nehmen und schwimmen zu gehen, bevor man sich einen Kick in der Kreisoberliga Dahme/Fläming gönnt, im Reinen. Aufgrund der Wetterbedingungen und des ausbleibenden Sommerfeelings verzichte ich jedoch schweren Herzens darauf, meine guten Vorsätze in die Tat umzusetzen. Stattdessen genieße ich die Ruhe am Wasser, sinniere vor mir her, lasse meine Blicke über den See schweifen und wirke lesend sicherlich unglaublich intellektuell, dabei kämpfe ich im Grunde genommen nur dagegen an, nicht wie Trinker-Kalle an den verschlossenen Imbiss-Jalousien zu kratzen.

Um kurz vor Zwölf kehrt im „Zeesener Strandimbiss“ endlich Leben ein und aus sicherer Entfernung beobachte ich den Fortschritt der einsetzenden Betriebsamkeit. In der Zwischenzeit sind auch einige Familien mit Kindern am See eingetrudelt und haben schon längst dafür gesorgt, dass es mit der Ruhe in Ufernähe schnell vorbei war. So führt doppelt und dreifach kein Weg daran vorbei, sich heute zum ersten Gast des Tages aufzuschwingen und die Terrasse im Eingangsbereich des Strandbades einzunehmen. Noch bevor der Wirt den letzten Rollladen hochgezogen hat, hat er auch bereits meine Bestellung aufgenommen und kredenzt kurz darauf ein frisches „Berliner Pilsner“ mit Seeblick, also jedenfalls, wenn man weit gucken kann. Irgendwann beschleicht mich ein kleines Mittagshüngerchen und wie es der Zufall so will, kann man das mit dem traditionellen Auswärtsschnitzel auch direkt hier erledigen. Kaum ist das TK Schnitzel in der Fritteuse gelandet, besetzt ein brandenburgisches Vorzeige-Vater-Sohn-Gespann den Nachbartisch. Der durchtrainierte Vati im Thor-Steinar-Shirt, im Schlepptau einen Jungen des Phänotyps ‚adipöser Tyson Lennox‘, dessen Augen diese unbeschreibliche Bedürftigkeit ausstrahlen, dass man am liebsten direkt Flyer verteilt hätte, aber ich bin ja nicht dienstlich hier. Primitives Publikum. Da hat jemand nicht zu viel versprochen.

„Pommes“ will der Junge natürlich haben, woraufhin der Vater das Kommando „Sitz!“ von sich gibt und allen ernstes ein „Fein!“ folgen lässt, nachdem Tyson Lennox den Anweisungen Folge geleistet hat, ohne den Aufstand zu proben. Das könnte eine interessante Interaktionsstudie werden, aber da werden am Nebentisch leider auch schon die Pommes serviert und zwei-drei Wespen machen mir einen Strich durch die Rechnung. „Komm, Dicker!“, spricht der Vater zu dem Sohn und läuft im Stile eines Alpha-Männchens voran. Der Dicke trottet wortlos und Pommes essend hinterher. Wenn Nazis ihre Kinder wie Hunde erziehen, ist es ja eigentlich auch kein Wunder, dass auch diese irgendwann rechte Parolen bellen…

Dieser bedrückende Spaß wäre mir also genommen und während man vor wenigen Tagen am Strand von Gdynia noch attraktiven Frauen beim Beachvolleyballspiel zusehen konnte, schickt Brandenburg nun Tyson Lennox und drei andere dicke Kinder ins Rennen, die ihr Geschick bei einer Partie „Ball über die Schnur“ unter Beweis stellen. Ach, schon schön wieder zu Hause zu sein! Wenigstens bewegen sich aber die Preise auf polnischem Urlaubsniveau und so verlasse ich das Strandbad nach zwei Bier und einem Schnitzel mit Pommes für weniger als 40 Zł mit einem formschönen polnischen Abgang.

Nur noch 90 Minuten bis zum Anpfiff des Spitzenspiels der Kreisoberliga. Heute empfängt der FSV Eintracht 1910 Königs Wusterhausen am 29. und vorletzten Spieltag den FC Viktoria Jüterbog. Absteiger Königs Wusterhausen hat als Tabellenvierter bereits stolze 19 Punkte Rückstand auf den aktuellen Spitzenreiter aus Jüterbog (65 Punkte) und sich schon lange vom direkten Wiederaufstieg verabschieden müssen. Im Fernduell mit Dahlewitz (64 Punkte) und Ludwigsfelde II (62 Punkte) wird Jüterbog heute nichts liegen lassen dürfen, wenn man den Aufstiegsambitionen in die Landesklasse Ost Nachdruck verleihen mag. Beste Voraussetzungen also für ein attraktives Amateurfußballspiel!

Der „Sportplatz Zeesen“ liegt 1,5 Kilometer vom Strandbad entfernt und befindet sich in der Nähe der Haltestelle „Zossen, Gewerbepark Nord“ und so sieht es hier auch aus. Glücklicherweise bietet die freundliche Tankstelle von nebenan ein Überbrückungsbierchen zum „TOTAL“ fairen Preis von 1,18 € an und so kann man sich immerhin die Wartezeit bis zum Anpfiff einigermaßen angenehm verkürzen. Sicherlich wäre auch eine Einkehr in das griechische Restaurant „Ikaros“, welches direkt neben der Sportstätte zu finden ist und selbige in eine wunderbar knoblauchlastige Duftwolke taucht, eine Option gewesen, doch leider muss Fetti sein Budget etwas nachhaltiger schonen.

Zumal dieses nur wenige Augenblicke schon wieder belastet wird, fordert der gastgebende Verein doch tatsächlich drei Euro Eintrittsgeld und zwei weitere Euro für ein Flaschenbier am Spielfeldrand. Man, man, man, was das wieder kostet! Der Sportplatz ist sein Eintrittsgeld aber wert, besticht dieser doch durch einen wunderbar gepflegten Rasenplatz und einer gut gemähten Zuschauerwiese, auf der einige Sitzbänke zum Verweilen einladen. Beeindruckend, dass der Sportplatz komplett von dicht stehenden Laubbäumen umschlossen ist. Hier hat es ganz offenbar rund um den Sportplatz mal einen Wald gegeben, der irgendwann dem Gewerbegebiet zum Opfer gefallen sein muss. Ich habe in diesem ruralen Ambiente jedenfalls schon zu Anpfiff kräftig mit unangenehmen Allergiebeschwerden zu kämpfen und muss etwas länger nach einem Stückchen Wiese Ausschau halten, auf der keine todbringenden Gräser wachsen. Auf diese Art des Sommerfeelings hätte ich getrost verzichten können, werde aber wenigstens auf Höhe der linken Eckfahne fündig und kann von dort aus einigermaßen unbeschwert Fußball gucken.

Ein Junge, der ganz offenbar eine Mutprobe zu absolvieren hat, was mir das Kichern seines Freundes verrät, der sich in sicherer Entfernung befindet, kommt auf mich zu. „Sag mal Tomate!“, fordert er mich auf. „Klassiker!“, denke ich mir und kontere brillant: „Deine Oma kann Karate!“. Bääm, da guckt er aber doof aus der Wäsche. Den Spruch hat man sich in Berlin schon 1990 um die Ohren gehauen. Aber schön, dass der sich jetzt auch bis nach Brandenburg herumgesprochen hat.

All das kann ich in aller Bierruhe erzählen, weil das Spitzenspiel nicht einmal in Ansätzen halten kann, was es versprochen hatte und sich so nahtlos in den bisherigen Tagesverlauf einreiht. Der Gast versucht sich in der ersten halben Stunde mit einem Heber aus 40 Metern Entfernung, doch Heimkeeper Steve Bonkowski lässt sich nicht übertölpeln. Eintracht-Elvis Amabo vergibt zehn Minuten später eine Halbchance und beide Szenen haben nicht das Potential, als Höhepunkt der ersten Hälfte in die Annalen einzugehen. Dafür braucht es schon den betagten Ordner, der beim Zurückspielen eines Balles seinen Schuh verliert und sich nun dem Spott der drei Auswechselspieler Königs Wusterhausens ausgesetzt sieht. Schon bittet Schiedsrichter André Mally zum Pausentee und ich glaube, dass ich für die nächsten 45 Minuten noch ein Bier brauche.

Der Ordner kommt barfuß aus der Kabine zurück und der Gast forsch. In den ersten zehn Minuten des zweiten Abschnitts drängen die Jüterboger auf die Führung, vergeben aber zwei gute Torchancen in der Frühphase und lassen in Person von Kevin Foller nach einer Stunde auch die dickste Gelegenheit liegen, die sich nach katastrophalem Fehlpass im Aufbauspiel der Heimelf ergeben hatte. Leider verpufft dieser Anfangsschwung aufgrund einer längeren Verletzungspause wieder und spätestens nachdem Pascal Hollwitz den Platz letztlich verletzt verlassen muss, ist der Faden auch schon wieder gerissen. Königs Wusterhausen konzentriert sich auf das Verteidigen des Unentschieden, Jüterbog ist nicht mutig und handlungsschnell genug, den Abwehrriegel zu knacken. So wird der Ball auf beiden Seiten träge durch das Mittelfeld geschleppt und der neutrale Beobachter spricht von einem stetig sinkenden Niveau, während die mitgereisten Jüteboger (immerhin knapp 75 Km waren zurückzulegen) an den Fingernägeln kauen, es vor Spannung kaum aushalten, alle 30 Sekunden auf das Handy starren und Zwischenstände der Konkurrenten verlesen. Dahlewitz und Ludwigsfelde liegen beide in Führung und aktuell hätte man die Tabellenführung abgegeben – klar, dass es da keinen mehr auf den Sitzen hält. Mich erinnert die Situation in ihrer Gesamtheit ein wenig an diese legendäre Szene und so kann mir dieses recht triste Fußballspiel schon wieder ein Schmunzeln entlocken. Fußball ist eben ein komplexes Spiel, das manchmal auch ein wenig Empathie einfordert!

Da ich heute emotional allerdings keineswegs involviert bin, fällt es mir schwer, die mexikanische Sichtweise einzunehmen. Als der Gast nach 87 Minuten die erste herausgespielte Chance aus fünf Metern Torentfernung ungenutzt lässt und in den verbleibenden Spielminuten wohl kaum noch einmal derart nahe an das gegnerische Tor kommen wird, ziehe ich bereits meinen Schlussstrich unter die Partie. 0:0, aber es hätte auch andersherum enden können!

So widme ich meinem Handy schon vor dem Abpfiff etwas (zu viel) Aufmerksamkeit, werfe einen Blick auf die Endstände anderer Ligen und werde dann von einem markerschütternden Torjubel aus meinem schönem Traum vom großen Fußball geweckt. Die Jüterboger Spieler liegen zu einer großen Jubeltraube aufgetürmt auf dem Rasen und sehen so aus, wie ihr Spieler mit der Nummer 8 heißt (→ Carlos Ngounou Happy). Der Schlachtenbummler mit Handy umarmt seinen Sohnemann überschwänglich und KW’s Abwehrspieler Björn Beuthke lehnt wie ein Häufchen Elend am Pfosten. Wie ich später Presse, Funk und Fernsehen entnehmen werde, hat es Beuthke in der Nachspielzeit tatsächlich fertig gebracht, den Ball über die eigene Torlinie zu befördern. Und so steht Jüterbog dank eines Eigentores mit einem Bein in der Landesklasse und hat nun ein echtes Endspiel bei der Zweitvertretung des BSC Blankenfelde-Mahlow vor der Brust. Fudutours.de wünscht viel Erfolg!

Ich lasse meinen Zeesen-Abstecher in „Moni’s Café“ in der Karl-Liebknecht-Straße ausklingen. Das Budget reicht noch gerade eben so für ein hemdsärmeliges Menü, bestehend aus Absackerbier und Leberkäs mit Bratkartoffeln und Ei, das von Moni höchstpersönlich im kleinen Garten der Gaststätte serviert wird. In Anwesenheit des letzten Cowboys von Königs Wusterhausen habe ich während des Essens herausgefunden, dass es um 18.33 Uhr eine attraktive Direktverbindung zum Ostkreuz gibt und drücke ordentlich auf die Tube. Um 18.29 Uhr kredenzt mir Moni die Rechnung über 12,40 € und füllt mir den Rest Bier dankenswerterweise in einen Kaffeebecher aus Pappe. Der hektische Großstädter hat’s eben gerne To-Go.

Da der Bahnhof Zeesen über keinen Automaten verfügt, spart man sich für die 25-minütige Rückreise gar den Einkauf des 1,60 € teuren Anschlusstickets. Im Zug werfe ich noch einmal einen prüfenden Blick auf die Rechnung: „Moni’s Café, Inhaber Dang Thi Lan“. Jetzt nehmen die Ausländer auch noch die Moni ihr Kaffe weg!!1!, wird der Thor-Steinar-Vati wahrscheinlich bei „facebook“ kommentieren, wenn er das herausbekommt. Ich muss mir nun eine Strategie zurechtlegen, wie ich dem rumänischen Kassenwart erkläre, dass ich für einen wolkenverhangenen Tag am See und ein dürftiges Spiel in der Kreisoberliga insgesamt doch an die 35 € losgeworden bin. Vielleicht kann man es ja auch einfach verknappen: Schöner Tag – und außer Zeesen nüscht jewesen! /hvg

11.06.2019 Italia U20 – Україна U20 0:1 (0:0) / Stadion Miejski w Gdyni / 7.776 Zs.

Zweieinhalb Tage liegen zwischen dem besuchten Viertelfinal- und dem heutigen Halbfinalspiel in Gdynia. In der Zwischenzeit habe ich mich etwas über die Stadt belesen und mir vor Ort ein eigenes Bild machen können. Diejenigen, die jetzt große Ängste hegen, ich würde nun mit einem dreiseitigen Aufsatz über die Sehenswürdigkeiten der Stadt daherkommen, kann ich beruhigen. Kürzen wir die Sightseeing-Komponente doch einfach mit einem kurzen Hinweis auf die Historie der Stadt ab: 1939 von den Nazis besetzt, die Einheimischen vertrieben, den Ort in „Gotenhafen“ umbenannt (weil der eigentliche deutsche Name „Gdingen“ nicht mehr deutsch genug war) und von einem Badeort in einen wichtigen Stützpunkt der U-Boot-Flotte und Kriegsmarine verwandelt, wurde die Stadt gegen Ende des Krieges durch britische und US-amerikanische Luftangriffe folgerichtig nahezu vollständig zerstört. In direkter Nachbarschaft zur „Willa Rybitwa“ befand sich einst das örtliche Büro der Danziger Zweigstelle der Gestapo. Nachvollziehbar, dass man von so einer Stadt nicht viel übrig gelassen hat. Dieses traurige Schicksal sieht man Gdynia noch heute an – viel Beton, viel Zweckmäßigkeit, wenig alte Bausubstanz, trostlose sozialistische Kunst. Hier kann man sich bedenkenlos darauf konzentrieren, sich an den Strand zu legen, Menschen zu beobachten und sich der guten polnischen Küche zu widmen.

So spielt sich also ein Großteil meines Urlaubs am Meer ab und während meiner Sauf- und Fressgelage in den Büdchen entlang des „Park Rady Europy“ stelle ich fest, dass Gdynia eine recht sportbegeisterte Stadt zu sein scheint. Neben dem Halbmarathon, der alljährlich im Frühjahr in Gdynia stattfindet, fiebern Jung und Alt in diesem Jahr offenbar einem ganz besonderen Event entgegen. Vom 27.-30.06. finden die „Obstacle Course Racing European Championships 2019“ (kurz: OCREC) an Ort und Stelle statt und hierfür muss man ganz offensichtlich tagtäglich rund um den Strand trainieren gehen. Es handelt sich schließlich um einen Extremhindernislauf, der von den Athleten Kraft, Ausdauer, Beweglichkeit, Schnelligkeit, Geschicklichkeit, Balance und Koordination einfordert, erklärt mir „Wikipedia“, während mir der Kellner des „Kandelabry“ eine mit Wurst gefüllte Schweineroulade serviert. Etwas mehr Bewunderung als diese Extremsportler entlockt mir da schon ein älterer Herr, der gerade durch den Park joggt, als ihn seine Freunde von der Terrasse des Lokals grüßen. Der Amateursportler lässt sich nicht zwei Mal bitten, passt seine Joggingroute an, nähert sich dem Tisch seiner beiden Kumpels an und verfällt dann während eines Gesprächs in diesen albernen Tippelschritt-Modus, wie man ihn von urbanen Joggern kennt, die sich an roten Ampeln warm halten müssen. Doch noch nie habe ich einen tippelnden Jogger beobachten dürfen, wie dieser in einer einzigen fließenden Bewegung einen halben Liter Bier mit seinen Jungs auf Ex trinkt, bevor er seine Joggingrunde fortsetzt. Die Goldmedaille geht auf jeden Fall an Paweł Piwowicz – da können die anderen „Sportler“ aber allesamt einpacken!

Glücklicherweise tun sich aber über den Müßiggang hinaus dann doch noch zwei-drei andere Attraktionen auf. Entlang der Südmole (Molo Południowe) gibt es neben einem charmanten Ostblock-Aquarium auch Auftrags-Streetart gegen Stereotypen sowie ein Museumsschiff (ORP Błyskawica) und ein mächtiges historisches Segelschiff (Dar Pomorza) zu bewundern. Auch die „Allee der Passagierschiffe“ (Aleja Statków Pasażerskich odwiedzających Gdynię), welche an all die Kreuzfahrtschiffe aus aller Welt erinnert, die in Gdynia eingelaufen sind, kann man mal entlang flanieren, ohne dass es weh tut. Als Highlight wäre aber vermutlich die „Mole von Orlowy“ (Molo w Gdyni Orłowie) und das dazugehörige Fischerdörfchen in diesen Reisebericht eingegangen, hätte mir das Wetter keinen Strich durch die Rechnung gemacht. So wird in erster Linie der gut einstündige Spaziergang am Ufer inklusive Blick auf die majestätische Klippe des Naturschutzgebietes „Kępa Redłowska“ in Erinnerung bleiben, doch gerade als die 180 Meter lange Mole am Horizont auftaucht, verdunkelt sich der Himmel wieder einmal schlagartig. Aus sicherer Distanz schieße ich ein schnelles Foto und sehe zu, dass ich schleunigst den Rückweg antrete. Der Hinweg über Stock und Stein war bereits ohne Gewitter und Sturmböen beschwerlich genug und nach meinen bisherigen Erfahrungswerten mit dem Juni-Wetter in der Danziger Bucht kann es nur noch eine Frage der Zeit sein, bis hier die Welt erneut untergeht. Meine Unterkunft erreiche ich zwar nicht gänzlich trockenen Fußes, doch als ich nur wenige Minuten nach meiner Ankunft in den heimischen vier Willa-Wänden eine Warnung in Form einer SMS erhalte, kann ich nur erahnen, was hier im Laufe des Abends noch auf mich zukommen wird und ich schätze mich glücklich, rechtzeitig genug zu Hause angekommen zu sein. In der Textnachricht werden Windstärken jenseits von Gut und Böse genannt und die dringende Empfehlung ausgesprochen, die Wohnung nicht mehr zu verlassen, um nicht von Bäumen oder herabfallenden Dachziegeln erschlagen zu werden. Ich antworte auf diese Nachricht, bedanke mich auf diesem Wege herzlich bei meiner Gastgeberin für diese rührende Fürsorglichkeit, schalte den Fernseher ein und mache es mir halt mit dem Finale der „Nations League“ in meinem Zimmer gemütlich. Es spielt Portugal gegen Nederland und als TV-Experten hat der polnische Sender ernsthaft Artur Wichniarek ausgegraben, um die Bedeutung des Spiels noch einmal zusätzlich zu illustrieren. Schade, dass Piotr Reiss keine Zeit hatte…!

Ein Blick vom Balkon schafft dann schnell Klarheit, dass ich meine Wohnung auch ohne Warn-SMS freiwillig nicht mehr verlassen hätte. Als ich selbige Nachricht in den nächsten Tagen übrigens noch zwei Mal erhalte, dämmert es mir langsam, dass nicht etwa meine Vermieterin hinter dieser Benachrichtigung steckt, sondern vermutlich der polnische Wetterdienst, der offenbar automatisiert vor Unwettern und Gefahren warnt. Glücklicherweise bietet das TV-Programm auch an den weiteren Unwetterabenden beste Unterhaltung und auch der Kühlschrank ist mit „Harnaś“ und „Žatecký“ stets gut gefüllt. Also berichte ich mit exakt einem Jahr Verzögerung aus Klosterfelde und komme in den Genuss des EM-Qualifikationsspiels Polska – ישראל, anstatt unbedarft in Orkanböen, Blitz und Donner zu geraten. Sehr aufmerksam, liebe polnische Wetterfrösche – Dziękuję! Nur vor den bösen Bulgaren hättet ihr mich noch warnen können. Kann ja keiner ahnen, dass ausgerechnet am 90. Geburtstag von Harald Juhnke das „Barfuß oder Lackschuh”-Spiel meines Wettscheins in die Hose geht. 9 von 10 Tipps stimmen bereits, ehe Bella България in der letzten Viertelstunde noch zwei Gegentreffer schluckt. Macht ipso facto 0 von 156 möglichen €uro. Kosovo is … zumindest Schuld daran, dass ich am 10.06.2019 leer ausgehe und dieser Urlaub in der Jahresbilanz nicht auf der Positivseite der Flipchart auftauchen wird.

Am Spieltag selbst werde ich wieder einmal in aller Frühe vom Familienhund geweckt, der laut bellend durch Untergeschoss und Garten tobt. Vielleicht wittert das Biest Deutsche und schlägt dann an, was man dem Tier bei der Stadtgeschichte und der einstigen Gestapo-Nachbarschaft nicht einmal verübeln könnte. Heute kommt mir das frühe Aufstehen aber ohnehin zupass. Das Wetter präsentiert sich nämlich von seiner besten Seite und um 7.30 Uhr zeigt das Thermometer bereits stolze 26°C an. Auf einem Sonnenseitenbalkon mit Meerblick werde sogar ich zum Frühstücksfan und schnell ist der Plan für den Verlauf des Tages (bis zum Stadionbesuch) bei einem frischen Instant Kaffee geschmiedet: Ab an den Strand!

Hier gibt es ab 11.00 Uhr bei 33° und Sonne satt wieder einmal sportliche Polen und kunstvolle Ergebnisse plastischer Chirurgie in aufreizenden Bademoden zu bestaunen. Bei den Herren Kanisterköpfen trendet dahingegen ein Tattoo-Motiv, welches mir dann und wann ein Schmunzeln entlockt. Während einer Ration „Tyskie” wird selbiges gleich an drei verschiedenen Körpern zur Schau gestellt und je nach Qualität des Künstlers kann es schon einmal vorkommen, dass „das Baby, das den Daumen des Vaters umschließt” zu einem Kunstwerk wird, das Missverständnisse hervorrufen kann. Manchmal sagen Bilder ja mehr als tausend Worte und wirft man nur einen kurzen Blick ins Internet, so fällt auf, dass offenbar auch schon andere Menschen an anderen Orten ähnliche Beobachtungen getätigt haben. Członek rodziny, sag ich mal.

Das „Kandelabry” ist unterdessen zu meinem Lieblingslokal avanciert. Heute lasse ich mir „Koftas” mit Ayvar für 19 Zł schmecken, ehe ich mit dem Zug zum „Stadion Miejski w Gdyni” aufbreche. Hier angekommen, schicken mich die freundlichen Volunteers auf die mir bislang unbekannte Hintertorseite und dieses Mal habe ich auch nur 30 Minuten bis zum Anpfiff zu überbrücken.

Im Halbfinale werden sich hier gleich die U20 Nationalmannschaften Italiens und der Ukraine duellieren, die bislang recht geschmeidig durch den Turnierverlauf gekommen sind. Prominenz gibt es meiner bescheidenen Expertise nach heute weder auf den Trainerbänken noch auf dem Rasen hervorzuheben, dafür bezieht das Spiel seinen Reiz daraus, dass die Sympathien des Publikums klar verteilt sind. Nicht wenige ukrainische Schlachtenbummler haben sich heute in Gdynia eingefunden und so hallt bereits vor Anpfiff ein unterstützendes „Ukraina, Ukraina, Ukraina” durch das weite Rund, das ja auch farblich zur Nationalflagge des vermeintlichen Underdorgs passt. In diesen Schlachtruf stimmen auch die polnischen Zuschauer mit ein – nachdem die Italiener die polnischen Gastgeber im Achtelfinale aus dem Turnier geworfen haben, hat es sich die „Squadra Azzurra” mit dem einheimischen Publikum offensichtlich verscherzt. Für Fußballatmosphäre (light) dürfte also wenigstens gesorgt sein.

Bei strahlendem Sonnenschein und noch immer stolzen 28°C pfeift Schiedsrichter Claus aus Brasilien die „mit Spannung erwartete Partie“ pünktlich um 17.30 Uhr an. Meine nagelneue „Invicta“-Jacke, die ich mir nach der Fröstelei des Viertelfinales im Verlauf der letzten Tage für gerade einmal 107 Zł im „TK Maxx” des örtlichen Shoppingcenters „Riviera” geschossen habe, werde ich heute wohl nicht brauchen. Mit dem italienischen Fabrikat in wunderbarem Grünton mit rot-weißen Applikationen hätte ich inmitten des ukrainischen Fanlagers ohnehin keine Freunde gefunden und so drücke ich heute eher still und heimlich die Daumen für die „Squadra Azzurra”.

Keine 30 Sekunden sind gespielt und schon scheppert der erste Ukrainer in italienisches Gebein hinein. Gelbe Karte für Stoßstürmer Danylo Sikan, der direkt nach Anpfiff mal einen umgewemst hat – auch eine Art Statement. Danach entwickelt sich ein wirklich lauer Sommerkick, den ich mit einer inneren Anspannung verfolge, die in etwa der entspricht, die ich auch einem Kreisligaspiel im Oberhavelland entgegengebracht hätte. Das Stadion scheint am heutigen Dienstag deutlich leerer zu sein als am vergangenen Samstag und so entscheide ich mich bereits frühzeitig für den ersten Wechsel (10. Min.) und tausche Hintertortribüne gegen Haupttribüne. Nach 20 Minuten hat sich das Stadion dann doch deutlich gefüllt – da hat wohl der eine oder andere a) noch etwas länger am Strand gelegen oder b) im Büro sitzen müssen. Verpasst haben die Zuspätgekommenen bis dato jedenfalls rein gar nichts, was das FIFA-Highlight-Video, welches erst in Spielminute 22 mit einem zaghaften Kopfballversuch von Sportfreund Sikan beginnt, stumm bezeugen kann. Nach einer halben Stunde gepflegter Langeweile begebe ich mich in Erinnerung an das Viertelfinal-Fiasko bereits in Richtung der Versorgungsstände und staune nicht schlecht, dass die Warteschlangen vor der einzigen Bier- und der einzigen Imbissbude in etwa die selben unerträglichen Längen aufweisen wie das Spiel. Zu allem Überfluss geht es auch noch mit dem gleichen Tempo voran wie auf dem Feld. Zähe 15 Minuten später bin ich endlich am Tresen angekommen. Dort arbeiten zwei junge Männer, die in einer unfassbaren Langsamkeit Bestellungen aufnehmen, Geld kassieren und Bier zapfen, welches sein Übriges tut und auch nicht schneller läuft als Dennis Daube. Im Hintergrund stehen derweil vier aufgetakelte Polenpüppchen, die Löcher in die Luft starren und immer nur dann die künstlichen Fingernägel krumm machen, wenn sie in ihrer Muttersprache explizit zum Arbeiten aufgefordert werden. Puh. Was für ein erdrückender Hauch Sozialismus. Ich konstatiere: So ein kleiner „Time-is-Money-Kapitalist” scheint dann irgendwie doch in mir zu stecken.

Immerhin reicht die Zeit jedoch gerade noch so aus, um mich zusätzlich mit einer meterlangen Stadionwurst einzudecken, ohne etwas vom Spiel zu verpassen. Rechtzeitig zum Wiederanpfiff des Halbfinales habe ich eine neue Sitzschale auf der Haupttribüne eingenommen. Das bereits erwähnte FIFA-Video verschafft im Nachhinein Klarheit, dass ich auch während der 30-minütigen Wartezeit auf (Flüssig-)Nahrung keine sportlichen Höhepunkte verpasst habe. Einen harmlosen Freistoß von Buletsa hat man beinahe mitleidig in die Zusammenfassung geschnitten, doch mehr konnte auch der geschulte Medienprofi dieser Partie beim besten Willen nicht entnehmen.

Die Hoffnung auf Besserung keimt nach genau 52 Minuten auf: Die erste Kombination, der erste schnelle Angriff, das erste Mal Fußball! Italias Kapitän und Sturmhoffnung Andrea Pinamonti wird mit einem Traumpass aus dem Mittelfeld mustergültig freigespielt, gewinnt einen Zweikampf kurz vor dem Sechzehner und kommt dann frei vor Lunin zum Abschluss, agiert aber zu unpräzise. Dennoch kehrt nun etwas mehr Leben in die Partie ein, wobei die Italiener nun auch noch ihren letzten Kredit beim Publikum verspielen, indem sie einen verletzt auf dem Rasen liegenden Ukrainer ignorieren und einen ihrer wenigen Angriffe unfair zu Ende spielen, welchen Pinamonti aber abermals nicht mit einem Tor krönen kann (63. Min.).

So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Zuschauer komplett aus dem Sattel gehen, als die Ukrainer ihrerseits mit ihrem allersten Angriff einen sehenswerten Treffer erzielen können. Konoplya spielt vom rechten Flügel einen Flachpass in den Rücken der italienischen Abwehr, der Laufweg von Buletsa stimmt und auch die One-Touch-Abnahme vom Elfmeterpukt mit der rechten Innenseite sitzt perfekt. Nach 65 Minuten geht der Außenseiter also in Führung, welche dieser nur sieben Minuten später hätte ausbauen müssen. Ein simpler Chipball aus der eigenen Hälfte hebelt die komplette Defensive der Italiener aus, doch der eingewechselte Supryaga offenbart bei der Ballannahme technisches Unvermögen und bringt sich für die bevorstehende 1:1 Situation gegen Keeper Plizzari in eine unnötig schlechte Ausgangsposition, aus welcher heraus er den Ball letztlich kläglich am langen Pfosten vorbeischiebt.

Die Italiener enttäuschen weiterhin auf ganzer Linie. Noch immer hat sich kein Akteur nachhaltig in die Notizzettel Fettis spielen können und es ist zu befürchten, dass aus dieser Elf niemand groß herauskommen wird. Schade um den Satz: „Den habe ich damals schon in Gdynia spielen sehen, als den noch überhaupt niemand kannte!”. Werde ich wohl leider niemals anwenden können.

Nach 79 Minuten ist es Schiedsrichter Claus, der dem Spiel neues Leben einhaucht. Einen eher harmlosen Kopfballzweikampf im Mittelfeld nimmt der Referee zum Anlass, den ukrainischen Innenverteidiger Popov mit gelb-rot zum Duschen zu schicken. 11 Minuten verbleiben den Italienern also noch, die nun etwas weniger massive ukrainische Defensive ins Wanken zu bringen und endlich selbst offensive Impulse setzen zu können. Doch auch der eingewechselte Hoffenheimer Alberico schafft es nicht, dem Spiel seinen Stempel aufzudrücken und so ist den Ukrainern das nächste Highlight vorbehalten. Nach 82 Minuten traut sich Kashchuk an der rechten Strafraumkante ein Dribbling zu, wackelt einen Italiener aus, zieht nach innen und schließt unnachahmlich mit dem linken Fuß ab. Sein eleganter Schlenzer endet jedoch am Lattenkreuz und lässt die Italiener am Leben, die nun ihrerseits e n d l i c h aufwachen und auf den Ausgleich drängen. Ab der 90. Minute überschlagen sich dann die Ereignisse. Ein Geistesblitz von Scamacca, der den Ball über die Abwehrkette der Ukrainer löffelt, führt zur ersten klaren Torchance der „Squadra Azzurra” seit knapp einer halben Stunde, doch der eingewechselte Capone jagt die Kugel aus fünf Metern über den Kasten. Wenige Augenblicke später segelt die nächste Flanke in den Strafraum der Ukrainer, die Schwierigkeiten haben, den Ball sauber zu klären. Kyrylo Dryshlyuk wird von einem Teamkameraden angeschossen, das Spielgerät segelt im hohen Bogen durch den Strafraum und Scamacca haut sich mit seinem ganzen Körper dazwischen und nagelt den Ball in der Nachspielzeit sehenswert aus der Drehung ins Netz. Die Freude über den Ausgleich währt jedoch nicht all zu lange, da sich der „VAR” einschaltet und das Tor nun einer Prüfung unterzogen wird. Alle Akteure sacken auf dem Rasen zusammen und warten kauernd auf die Entscheidung, die sich schier endlos in die Länge zieht. Am Ende erstickt Referee Claus die Freude der Italiener im Keim, erkennt das Tor wegen eines vermeintlichen Foulspiels ab und beendet die Partie.

Auf dem Rasen zeigen die wild diskutierenden und gestikulierenden Italiener nun endlich die Leidenschaft, die man in ihrem Spiel so schmerzlich vermisst hatte. Die Ukraine feiert den sensationellen Einzug in das Finale der U20-WM und ich bin etwas erleichtert, dass dieser Kick mit erschreckend wenig Elan nicht in die Verlängerung gegangen ist.

Dieses Mal bin ich bestens vorbereitet und nun schnell genug zu Fuß unterwegs, um den im Vorfeld recherchierten Zug um 19.28 Uhr zu erwischen. So spare ich mir den lästigen Umweg über den Bahnhof Redłowo und/oder die einstündige Wartezeit auf den nächsten Zug (→ ungünstige Zugtaktung), der direkt am Stadion abfahren wird. Aus Fehlern wird man klug und aller guten Gdingen sind eben immer zwei!

Am Mittwochmorgen erwache ich schon vor dem Familienhund und kann mich gerade eben so zurückhalten, diesen nicht aus seinem Schlaf zu bellen. Ich habe Gott sei Dank wichtigeres zu tun und mich für eine frühe Abfahrt entschieden, um den Urlaub mit zumindest 1,5 Tagen Gdańsk ausklingen lassen zu können. Die polnische Bahn (PKP) ist im „Ballungsraum Dreistadt“ (Trójmiasto) im Zehn-Minuten-Takt zwischen Gdynia, Zopot und Gdańsk unterwegs. Für 6,50 Zł ist man mit Umstieg in Wrzczescz (immer wieder schön!) in 30 Minuten am Hauptbahnhof von Gdańsk angekommen und muss sich nun gedanklich mit einem bevorstehenden Downgrade auseinandersetzen. Von der Skyline zum Bordstein, aus der Villa ins Hostel!

Das „Happy 7 Hostel” hält für mich ein modernes Einzelzimmer bereit und ist aufgrund seiner Lage und der touristischen Attraktivität der Stadt 5 € teurer als die Villa in Gdynia. Von wegen Downgrade, hier muss man also richtig Geld in die Hand nehmen. Für utopische 29 € die Nacht gibt es allerdings nichts zu meckern. Das gemütliche Hostel befindet sich malerisch am Flüsschen Motława gelegen und ist somit nur einen Steinwurf von der historischen „Rechtstadt” (Główne Miasto) mit all ihren Sehenswürdigkeiten entfernt, womit bereits das erste Kuriosum benannt wäre. Die „Altstadt” (Stare Miasto) ist historisch nämlich weitaus weniger relevant und bietet dem Touristen von Welt, der für eine kurze Stippvisite vorbeikommt, nur wenig Attraktives. Einen Anfängerfehler begeht also derjenige, der sich „im Herzen der Altstadt” einquartiert und meint, er wäre mittendrin statt nur dabei.

In den kommenden Stunden werde ich das komplette Kontrastprogramm zu Gdynia erleben, wo ich vier Tage lang kaum einen Touristen gesehen und den Aufenthalt in einer Stadt genossen habe, die nur wenig vorzuzeigen hatte. Nun bin ich also angekommen im wunderschönen Gdańsk mit all seinen Prachtbauten und spannenden Geschichten. All die Kirchen, Stadttore, Brunnen und historischen Gassen der „Rechtstadt” wären durchaus einen eigenen Bericht wert und auch auf die „Solidarność”-Bewegung unter der Führung von Lech Wałęsa könnte man 30 Jahre nach dem Fall des eisernen Vorhangs etwas näher eingehen. Aber all das hebe ich mir besser für meinen ersten Besuch des „Stadion Miejski” und den dazugehörigen Bericht zum Lechia-Heimspiel auf…

… und weise heute eher auf die Kehrseite der Medaille hin. Die ganze Schönheit Gdańsks wird nämlich in nicht ganz unerheblichen Maße abgewertet. Unzählige Reisegruppen werden von Stadtführern mit Regenschirmen begleitet, die schmalen Gassen sind unangenehm überlaufen, polnische Schülergruppen erhalten Geschichtsunterricht, Asiaten fotografieren jeden einzelnen gottverdammten Pflasterstein und stehen im Weg herum, aufgetakelte Britcats stellen ihre ultraknappen Silvesterkleider zur Schau (die sie auch hier nicht tragen können, auch wenn wenigstens das Wetter angemessen ist) und überall wird für das hippe junge Publikum überteuertes Craftbeer ausgeschenkt. Zwar genieße ich das Sightseeing als perfekte Ergänzung zum Faulenzerurlaub sehr, bin unter dem Strich aber glücklich, dass ich vier Tage Sozialismus mit Strand und lediglich einen kurzen Guck- und Staunabstecher in die ehemalige Hansestadt gebucht habe. Mit umgekehrter Planung hätte ich mir wohl keinen Gefallen getan, werde ich am Donnerstagabend in Borsigwalde zum Abendbrot berichten können und unter Umständen auch der neuen Kollegin am Freitag, so sie in meiner Abwesenheit noch nicht das Weite gesucht hat.

Das Finale der U20-WM gewinnt die Ukraine vor 16.344 Zuschauern in Łódź mit 3:1 gegen Südkorea. Torschützenkönig des Turniers wird ein gewisser Erling Braut Haaland mit neun Treffern, darunter neun, die er beim 12:0 Erfolg gegen Honduras erzielt hat. Das scheint ein Mann für die wichtigen Tore in den wirklich wichtigen Spielen zu werden. Und auch den habe ich in Gdynia nicht spielen sehen, als ihn noch keiner kannte! /hvg

08.06.2019 Ecuador U20 – USA U20 2:1 (2:1) / Stadion Miejski w Gdyni / 6.389 Zs.

Drei Monate harter Arbeit liegen hinter mir. Wie so oft in den vergangenen Jahren hatte ich erneut das zweifelhafte Vergnügen, den Betrieb in einer kräftezehrenden One-Man-Show aufrechtzuerhalten. Seit Anfang der Woche hat man mir nun endlich wieder eine Kollegin an die Seite gestellt, die dieses Mal hoffentlich nicht all zu schnell schwanger oder ausbrennen wird.

„Wir müssen uns endlich einmal belohnen!“, philosophiert Fetti, der bekanntermaßen nebenberuflich Interviewphrasen für Fußballfunktionäre schreibt, direkt nach der Einstellung der neuen Kollegin vor sich her und verweist auf den anstehenden Pfingstmontag. Da Fetti auch über einen Lehrstuhl an der Fernuniversität Rimini im Fachgebiet „Life-Coaching“ verfügt, macht er mich darüber hinaus darauf aufmerksam, dass mir für jeden Monat, den ich alleine gearbeitet habe, ein zusätzlicher Tag Urlaub zusteht. Interessant, interessant.

Es locken sechs freie Tage am Stück. Frühsommer. Der neuen Kollegin schnell erklärt, wo der Hase langläuft. Urlaub eingereicht. Sie schafft das schon. Und so begab es sich also im Jahre 2019, dass ich mich kurz darauf durch Spielpläne klickte und Landkarten wälzte. Auf die verheißungsvolle Kombination aus Sonne, Strand, Meer, Sightseeing und Fußball stieß ich letztlich in der Rzeczpospolita Polska. U20-Weltmeisterschaft in Gdynia, einer Hafenstadt in der Danziger Bucht mit feinstem Sandstrand, dazu die wunderschöne Stadt Gdańsk in unmittelbarer Nachbarschaft, die auch noch für einen Appel und ’n Ei von Berlin aus angeflogen wird. Zugeschlagen. Ja, so einfach war das anno Dunnemals mit der Work-Life-Balance, als es noch so etwas wie ein Life gab. Aus heutiger Sicht (12/20) klingt dieses Planungs- und Buchungsprocedere ja beinahe wie Science-Fiction, nur rückwärts. Damals war alles irgendwie futuristisch. Könnte glatt ein neues Genre werden.

Nun befinden wir uns gedanklich also wieder im Juni 2019. Da hat man sich noch über ganz andere Sachen mokiert. Zum Beispiel darüber, wer zur Hölle auf die Idee kommt, einen Flug von Berlin-Tegel zum „Port lotniczy Gdańsk im. Lecha Wałęsy“ samstags um 6.00 Uhr morgens anzusetzen? Wenn man sich bereits um 3.30 Uhr zur S-Bahn schleppen muss, um pünktlich am Gate zu erscheinen, dann kann man zwischen Freitagabendfeierabend und Samstagmorgenabflug auch getrost auf einen Aufenthalt im Bett verzichten, denkt sich Fetti und überzeugt auch mich von diesem Plan. Mit kleinen Augen habe ich den Westberliner Superflughafen um kurz vor fünf Uhr erreicht. Größer werden die Augen nur kurz, als die ersten blondierten Damen mit künstlichen Fingernägeln, Schlauchbootlippen und Dekolletés bis Schönefeld in das Flugzeug staksen und Duftwolken nach sich ziehen, die hinsichtlich der Gefährdung der Flugsicherheit durch terroristische Angriffe mindestens im Graubereich zu verorten sind. Scheint heute irgendwas mit plastischer Chirurgie in der Stadt los zu sein, denke ich mir, schließe die Augen und lande bereits um 7.20 Uhr doch einigermaßen ermüdet in Polskas sechstgrößter Stadt. So kurze Flüge sollten verboten werden, wenn man nicht einmal vernünftig ausschlafen kann.

Gute Ausgangssituation, um direkt in die Falle zu tappen. Als waschechter Cateringverlierer lasse ich mich im erstbesten Café der Haupthalle nieder und ordere im Sinne einer lebenserhaltenden Sofortmaßnahme einen Kaffee. Macht 23 Zł, bitte. Ich zahle bereitwillig und kaum sind erste Hirnareale nach den ersten Schlücken wieder wachgeküsst, wird mir plötzlich klar, dass ich Bartek dem Barista soeben über 5 € zum Fraß vorgeworfen habe. Kurwa mać!

Dafür könnte man nun für gerade einmal 6,50 Zł die 25-minütige Zugfahrt direkt vom Flughafen nach Gdynia antreten – wenn der Automat doch bloß die EC-Karte oder einen Geldschein anerkennen würde. Tut er aber nicht und so fährt mir der Zug genau vor der Nase weg, während ich das Kleingeld der vergangenen Abstecher nach Polska aus der Tasche krame, um passend zahlen zu können. Die nächsten Verbindungen werden glücklicherweise auch nicht all zu lange auf sich warten lassen, auch wenn die große digitale Abfahrtstafel doch mittelschwere Verwirrung auslöst. Laut dieser werden hier demnächst nämlich sowohl auf Gleis 1 als auch auf Gleis 2 Züge mit dem Ziel „Gdynia Głowny“ einrollen. Verwunderlich, da laut analoger Ausschilderung die Züge auf Gleis 1 allesamt ausschließlich in Richtung „Gdańsk Głowny“ und nur auf Gleis 2 in Richtung Gdynia fahren sollen. Menschen gibt es leider auch nicht all zu viele, die man fragen könnte und so entscheidet sich der progressive Fetti, sein Handy zu zücken und zu recherchieren. „Wir können auf Gleis 1 bleiben, der fährt wirklich nach Gdynia“, verkündet er triumphal und ich bin trotz des einen Kaffees zu schwach, dagegen zu argumentieren. „Aber ist doch Quatsch, steht doch eindeutig hier, dass der von hier in Richtung Danzig Hauptbahnhof fährt und das ist nun einmal die falsche Richtung“, hätte ich vielleicht noch hervorbringen sollen. Aber was soll’s, das Smartphone, das hat ja eh immer Recht. Da kann gesunder Menschenverstand nicht gegen anstinken.

So kommt es, wie es kommen muss und ich lasse mich breitschlagen, in den gefühlt falschen Zug einzusteigen. Dieser weist aber immerhin auch über dem Lokführerstand das richtige Fahrtziel aus. Ich werde also in jedem Falle an meinem Reiseziel ankommen und ohne jeglichen Zeitstress bin ich nach wie vor gespannt, wo genau wohl der Haken an dieser Verbindung liegen mag. Schnell hat sich nach der Abfahrt herausgestellt, dass der Zug natürlich zunächst in die falsche Richtung fährt und einen riesigen Bogen durch die Innenstadt von Gdańsk dreht, ehe er in Wrzeszcz (den Knoten in Euren Köpfen würde ich beim Lesen nur all zu gerne sehen!) endlich die Fahrtrichtung wechselt und gemütlich wieder hinaus in Richtung Westen tuckert. Nach etwas mehr als 40 Minuten Fahrtzeit habe ich dann um 9.15 Uhr „Gdynia Głowny“ erreicht und hatte somit genau genommen doppelt so viel Fahrspaß für den selben Preis. Ach, Fetti ist schon ein alter Pfennigfuchser!

Der Himmel über Gdynia präsentiert sich nahezu wolkenlos und die Sonne lässt die Temperaturen bereits in den frühen Morgenstunden auf angenehme 25°C klettern. Mein Zimmer in der „Willa Rybitwa“ ist noch lange nicht bezugsfertig und so führt mich mein erster Weg naturgemäß direkt ans Meer. Nach einer kurzen Erkundung des Yachthafens und des Beton-Boulevards entlang der Küste (Bulwar Nadmorski im. Feliksa Nowowiejskiego, benannt nach einem polnischen Komponisten, der einst in Berlin-Moabit lebte und arbeitete und dessen Musik ich am Ende der Reise in Form eines Glockenspiels vom Danziger Rathausturm vernehmen werde), kehre ich auf der Terrasse der Strandbar „F. Minga“ ein. Mit einem eisgekühlten Piwo für 12 Zł (dem Touristen von Welt, der sich nicht schnell genug wehrt, wird hier „Grolsch“ eingeschenkt) lasse ich es mir gut gehen, während vis-à-vis am Stadtstrand von Gdynia (Plaża Gdynia Śródmieście) beste sportliche Unterhaltung geboten wird. Fetti war ja schon immer ein großer Fan von Frauen-Beachvolleyball und so lässt er es sich auch heute nicht nehmen, die (sportlichen Qualitäten der) jungen Damen zu bewerten, während die Sonne auf seinen mittlerweile freigelegten Speckbauch herunter scheint. Zum Mittag darf man sich ruhig noch ein zweites Bier gönnen, wobei dieses Mal die holländische Touristenfalle schon etwas geschickter umschifft wird und man mit einer deutlichen „Tyskie“-Bestellung einheimisches Bier einfordert, den Genussfaktor erhöht und gleichzeitig 3 Zł spart.

Die Suche nach meiner Unterkunft wird im Anschluss zu einem echten Abenteuer. Mit dem schweren Reisegepäck auf dem Rücken, den zwei Bier im Schädel und der nach wie vor kontinuierlichen Sonneneinstrahlung kommt wenig Freude auf, den dürftigen Hinweisen des kleinen Handydisplays nachzugehen. Die Straßen sind leider nur schlecht oder gar nicht ausgeschildert, die gesuchten Straßen unauffindbar und die Menschen, die ich nach Hilfe frage, sprechen entweder kein Englisch oder sind nicht von hier. Ganz zu schweigen davon, dass ich keinen blassen Schimmer habe, wie man die Straßennamen wohl aussprechen mag (vgl. → Wrzeszcz), was die Kommunikation zusätzlich erschwert. Irgendwann begegne ich einer hilfsbereiten Dame, die ihre beiden Kinder kurz unbeaufsichtigt über die Straßen toben lässt, ihr modernes Telefon zückt und nach kurzer Recherche auf den Hügel weist. Your place to stay is up the hill! Na, da hätte ich hier unten ja lange im Kreis herumrennen können.

Etwas beschwerlich ist der Aufstieg auf die Anhöhe namens „Kamienna Góra“ schon, den ich über diverse verstecke Treppenanlagen im Zickzackkurs nach und nach meistern muss. Auf den Zwischenebenen tauchen dann auch die Straßen auf, in die man laut „googlemaps“ angeblich ach so einfach hätte einbiegen können. Irgendwann stehe ich inmitten des gleichnamigen Stadtviertels, welches „als das luxuriöseste Viertel der Stadt und als eines der angesehensten in Polen“ gilt, so man „Wikipedia Polska“ Glauben schenken darf. Mitten in diesem Villenviertel, in dem die Reichen und Schönen wohnen, tut sich dann hinter den sieben Bergen auch endlich die unverputzte „Willa Rybitwa“ mit Baustelle im Garten auf, in der mich die Gastgeberin freundlich in Empfang nimmt, mir mein schönes Zimmer, die gut ausgerüstete Gemeinschaftsküche und das Gemeinschaftsbad mit fragwürdigem Farbkonzept zeigt. Für den Rückweg in die Innenstadt hat sie einen guten Tipp parat und macht mich – nachdem sie sich ausgiebig über mich lustig gemacht hat, dass ich mein Gepäck den Hügel hinaufgeschleppt habe – darauf aufmerksam, dass man den beschwerlichen Weg bergauf bzw. hinunter ins Tal auch einfach mit einer Seilbahn (Kolej linowo-terenowa) zurücklegen könnte.

Die Seilbahn liegt an einer Aussichtsplattform, von der aus man eine wunderbare Panoramasicht auf Stadt, Strand und Meer genießt. Fertiggestellt wurde das praktische Transportmittel anno 2015 und setzt im Design auf die „Gdynia-Moderne“. Der schmissige Flyer spricht von der „Einfachheit der Karosserie“, den „Minimalismus der Details“ und verweist auf die „Verwendung wertvoller Materialien“, was übersetzt wohl so viel heißt wie: Sieht nach nüscht aus, aber hält ewig. In der nachhaltig produzierten Gondel finden jedenfalls bis zu zwölf Personen Platz und ein alter Mann freut sich hier diebisch über jeden Fahrgast, den er auf der zweiminütigen und kostenlosen Fahrt begrüßen kann.

Kaum bin ich unten angekommen, schlägt das Wetter um. Statt strahlendem Sonnenschein dominieren von einer Sekunde auf die andere dunkle Wolken das Bild, ein unangenehmer Wind zieht auf und keine fünf Minuten später setzt ein Starkregen ein, den man in dieser Form auch noch nicht all zu oft erlebt hat. Ich breche das gerade erst begonnene Sightseeing ab und flüchte in eine Gaststätte unweit des Bahnhofs. In dem Zufallstreffer des Vertrauens gibt es dann sogleich maritimes Ambiente zu bestaunen, traditionelle polnische Küche mit unaussprechlichen Namen [ohne jede Hoffnung auf Übersetzung] auf der Speisekarte und später Abzüge in der B-Note für langweilige Tiefkühlwedges, die man hier als Bratkartoffeln verkauft. 90 Minuten später hat es aufgehört zu regnen und ich bin für ein Bier, ein „Kotlety po parysku“ (Glückstreffer!) und einen Espresso inklusive Trinkgeld knapp 40 Zł losgeworden.

Für Sightseeing ist nun nicht mehr genügend Zeit auf der Uhr, sodass ich mich entschließe, direkt in Richtung Stadion aufzubrechen. Das „Stadion Miejski w Gdyni“, welches teilweise auch als „Stadion GOSiR“ geführt wird, ist von 2009 bis 2011 umgebaut worden und sieht mittlerweile aus, wie der feuchte Traum eines jeden FIFA-Funktionärs. Komplett überdacht, keine Stehplätze, 15.139 bunte Sitzschalen, familienfreundlich gestaltet und mit hochmodernen sanitären Anlagen ausgestattet. Aus Hoppersicht also etwas fad, wenigstens aber scheint die infrastrukturelle Anbindung zu stimmen und so wird die Fahrt vom Hauptbahnhof zur Station „Stadion“ gerade einmal sieben Minuten in Anspruch nehmen. Darüber hinaus gilt das Ende Mai erworbene Online-Ticket für das Spiel W43-W40 (für ohnehin schon faire 20 Zł) zusätzlich auch noch als Fahrschein – und schon wieder hat der Pfennigfuchser 3,20 Zł gespart.

Im Zug sitzen bereits erste ecuadorianische Schlachtenbummler und ich freue mich diebisch, dass ich neben den vielen gelben Farbtupfern auch die Trikots des Barcelona SC und des CS Emelec aus Guayaquil erkenne. Wohl dem, der schon einmal das „Clásico del Astillero“ miterleben durfte. Noch immer feiere ich diesen glücklichen Umstand, als ich im Rahmen eines Familienurlaubs in Madrid anno 2014 Groundfotos vom „Estadio Vicente Calderón“ schießen wollte und plötzlich von überall herkommend bunt gewandete, singende, tanzende und musizierende Südamerikaner die Straßen fluteten. Ich schwöre, dass ich von der Ansetzung dieses Spiels keinen blassen Schimmer hatte – es muss eine schicksalhafte Fügung gewesen sein, die mich mit der nur teilweise fußballbegeisterten Familie im Schlepp am richtigen Tag zur richtigen Zeit hinaus an das Ufer des Manzanares zog. Ich glaube, immerhin 3/5 hatten einen ganz wunderbaren Tag. Aber das ist eine andere Geschichte.

Direkt vom Bahnsteig hat man besten Blick auf das Stadion und auf den Kunstrasen-Nebenplatz der Arena, auf dem gerade polnische Nachwuchsteams dem Ball hinterherjagen. Doch noch bevor man kurz inne halten und hinunterschauen kann, sind bereits erste übereifrige Volunteers aufgezogen und bieten ihre Hilfe an. Ob ich den Weg zum Stadion kenne? Joa, Treppe runter und dann links das große Ding mit Flutlicht, nehme ich an? Auch auf den verbleibenden 150 Metern stehen alle 10 Meter irgendwelche Neonwesten, werfen Blicke auf meine Karte und dirigieren mich in den richtigen Block. Hier hat man keine Chance, sich zu verlaufen.

Leider ist die französische U20-Nationalmannschaft um Moussa Diaby, Dan-Axel Zagadou, Evan N’Dicka und Michaël Cuisance vor vier Tagen an den USA gescheitert. Schade. Die von Bernard Diomède trainierte Mannschaft hätte ich gerne gesehen, aber so muss ich mich eben mit den Vereinigten Staaten begnügen, die ich sowohl als Reiseland als auch als Fußballnation in etwa so interessant finde wie einen Beipackzettel. Aber so ist das eben mit Eintrittskarten, die man sich im Voraus für ein Viertel- und Halbfinale kauft – muss man eben so nehmen, wie es kommt.

Wenigstens aber gibt es auch in der U20-Nationalmannschaft der USA einige wenige Prominente zu bestaunen. Wenn es hier in einer knappen Stunde losgeht, wird auf dem grünen Rasen mit Timothy Weah der Sohn der Stürmerlegende George zu beobachten sein und in der Innenverteidigung ist Bayerns Nachwuchshoffnung Chris Richards aufgeboten. Noch spektakulärer geht es auf der Bank der Amerikaner zu, hat hier doch niemand geringeres als Tab Ramos das Sagen. Da hat unsere Generation natürlich sofort das „Panini“-Bild von 1990 vor Augen oder aber diese eine Szene der WM 1994, als Brasiliens Raubein Leonardo mit gezieltem Ellenbogenschlag den Tab geschlossen hat.

Auf der anderen Seite hat sich Ecuador als Gruppendritter im Achtelfinale überraschend gegen das bis dato ungeschlagene Uruguay durchsetzen können und noch bevor ich tiefer in die Materie einsteigen kann, werde ich unsanft beim Fotografieren der Spielstätte gestört. Es sind noch immer 40 Minuten bis zum Anpfiff, das Stadion ist zwar komplett leer, aber dennoch gibt es keinen Grund für den polnischen Familienvater, auf SEINE Sitzschale zu verzichten und so fuchtelt er mir aufgeregt mit seiner Platzkarte vor der Nase herum. Junge, da kann man sich über Kartoffeln ärgern, wie man will – woanders sind die Menschen auch nicht immer klüger, denke ich mir und trete den Rückzug an. Ich fühle mich genötigt, mir ein Stadionbier für 9 Zł zu kaufen und das bunte Treiben auf dem Stadionvorplatz zu beobachten. Nach und nach strömen Familien mit Kindern, als Fußballfans verkleidete und geschminktes Eventpublikum in die Spielstätte. Es ist das erwartete FIFA-Fanfest-Publikum, das normalerweise wohl eher an den TV-Bildschirmen als bei „Arka“ mitfiebert und heute das erste Mal echte Stadionluft schnuppern will. Nachvollziehbar, dass man solchen Leuten erklären muss, wie man eine Treppe vom Bahnhof nach unten läuft und dass das „Gate I20 next to I21“ liegt, so wie eben bei mir geschehen.

Das Bier ist mittlerweile geleert, die Mannschaften stehen schon am Spielfeldrand bereit und selbst auf der Toilette verpasst man keine Sekunde des durchsynchronisierten FIFA-Spektakels, werden doch sämtliche Kniffe der Stadionregie über die Lautsprecher bis ans Pissoir übertragen. Ein eingespielter Herzschlag in epischer Schwingung soll dann wohl Spannung suggerieren und ich eile zurück auf die noch immer einigermaßen leere Hintertortribüne. Vor irgendeiner der vielen leeren Sitzschalen verharre ich, um den Hymnen der beiden Nationen zu lauschen und schon eröffnet Schiedsrichter Benoît Bastien die Partie.

Der Außenseiter aus Ecuador (seit dieses zeitlos schöne Stück Musikgeschichte neulich beim Akademisk Boldklub im Vorprogramm lief, kann ich mich dieser Nation nicht mehr entziehen!) startet forsch und hochmotiviert in die Begegnung. Nach sieben Minuten klärt Sergio Quintero einen vollkommen belanglosen Ball im Niemandsland des Mittelfelds derart resolut, dass er beinahe eine junge Dame in den vorderen Reihen der Haupttribüne erschießt. Hätte die plastische Chirurgie in Gdańsk sicher richten können.

Eine Viertelstunde lang toben sich die Ecuadorianer nach allen Regeln der wilden Kunst aus. Nur mit viel Mühe erarbeiten sich die US of A Zugriff auf das Spiel. Ich kämpfe mit müden Augen, mit zwei Fernschüssen nach 20 Minuten hat Ecuadors Schlussmann Ramírez deutlich weniger Mühe. Allgemein wirken die US-Boys recht fahrig und mit hohem Pressing provozieren die Südamerikaner immer wieder katastrophale erste Pässe im Aufbauspiel des bieder agierenden Gegners, allerdings ohne hieraus Profit ziehen zu können. Der Führungstreffer nach 30 Minuten ist sinnbildlich für die bisher gezeigte Leistung. Dynamisch, mutig, entschlossen – so zieht Ecuadors Mittelfeldspieler José Cifuentes vom linken Flügel nach innen, wird nicht gestellt und schweißt den Ball aus gut 25 Metern mit einem satten Rechtsschuss ins Netz. Team USA lässt sein Können einzig und allein nach Standardsituationen aufblitzen und kommt im Anschluss einer Ecke zum schnellen Ausgleich. Ein Verteidiger Ecuadors hatte den ersten Kopfball von Richards abblocken können, doch Timothy Weah steht goldrichtig und drückt den Ball aus Nahdistanz über die Linie (36.). Das letzte Kapitel der ersten Hälfte schreiben jedoch wieder die quirligen Ecuadorianer: Gonzalo Plata nagelt den Ball aus wieder über 20 Metern nahezu ansatzlos ans Lattenkreuz, Soto verarbeitet den Abpraller, legt ihn quer in den Strafraum und mit unbändigem Willen grätscht Jhon Espinoza die Kugel über die Linie. Ein Tor des Willens, über das die Ecuadorianer so lange jubeln, bis der Linienrichter plötzlich die Fahne hebt und sich Bastien bemüßigt fühlt, den VAR zu konsultieren. Nach einigen Minuten der Ungewissheit erteilt er dem Tor letztlich die Anerkennung und mich gruselt es schon jetzt vor der kommenden Bundesliga-Saison. So eine Wartezeit fühlt sich sicherlich großartig an, wenn man emotional in ein Spiel involviert ist…

In der Halbzeitpause haben die findigen Organisatoren genau einen Bierstand geöffnet und die Schlange vor diesem reicht in etwa bis Danzig. Ich nutze die Gunst der Stunde und verfeinere die freie Platzwahl und wechsele auf die deutlich höherpreisige Haupttribüne, die nicht nur den Vorteil einer besseren Sicht verschafft, sondern einem auch etwas Sonneneinstrahlung gönnt. Die Temperaturen sind am frühen Abend doch deutlich gefallen und bei nur noch 15°C habe ich mit meinem T-Shirt wohl aufs falsche Pferd gesetzt.

Die erste Viertelstunde des zweiten Abschnitts verstreicht ereignislos. Nach gut einer gespielten Stunde wage ich den erneuten Gang zum Bierstand, bekomme noch mit einem Auge mit, wie die USA ihre erste herausgespielte Gelegenheit ungenutzt lässt und kehre nur wenige Augenblicke später mit Bier zurück auf die Haupttribüne. Gerade noch rechtzeitig, um mitzuerleben, wie zunächst Alvarado freistehend per Kopf an Keeper Ochoa scheitert. Gut zehn Minuten später hätte Jackson Porozo nach einer Freistoßflanke beinahe für die Entscheidung gesorgt, doch sein Kopfball klatscht nur an die Querlatte (68.). Die Ecuadorianer sind sich ihrer Sache nun beinahe zu sicher und eine gefährliche Lässigkeit zieht in ihr Spiel ein. Hacke, Spitze, 1-2-3! Viel zu verspielt wird der eine oder andere Ball im Mittelfeld hergeschenkt, doch die USA agieren weiterhin viel zu pomadig und es fehlt der vielzitierte Ruck, der hier langsam mal durch die Mannschaft gehen sollte. So bleibt tatsächlich den Mannen aus Ecuador die letzte Chance der Partie vorbehalten, allerdings kann Soto den kläglichen Fehler der US-Defensive nicht nutzen und schiebt den Ball aus fünf Metern Entfernung nur knapp neben das Tor. Ecuador zieht verdient in das Halbfinale ein, die USA sagen „Do widzenia“ und ich finde dank der Unterstützung der Volunteers mit nahezu spielerischer Leichtigkeit aus dem Stadion heraus.

Die Zugtaktung in die Innenstadt ist vom Stadion-Bahnhof derart ungünstig (1x in der Stunde), dass ich kurzentschlossen den Massen in Richtung „Gdynia Redłowo“ folge. Durch diesen geschickten Schachzug erspare ich mir unter dem Strich mehr als 40 Minuten Wartezeit, die sich noch auszahlen werden.

Erst einmal traue ich meinen Augen kaum, als sich auf meinem Nachhauseweg plötzlich ein griechischer Imbiss am Wegesrand auftut. Klar, dass ich da nicht um den Einkauf einer Gyros Pita und zwei Feierabendbierchen zum Mitnehmen drumherumkomme. Im „Hellas Gyradiko Gdynia“ arbeiten waschechte Griechen, die sich über ein kleines Trinkgeld und ein „Ευχαριστώ” derart freuen, dass ich direkt noch einen Schnaps aufs Haus erhalte. Um 21.30 Uhr habe ich den „Plac Grunwaldzki“ erreicht und mich gedanklich bereits damit abgefunden, nun den Hügel hinaufkraxeln zu müssen. Aber wieder traue ich meinen Augen kaum, als ich völlig unerwartet den armen, alten Seilbahnmann erspähe, wie er gelangweilt vor der Gondel stehend rauchend auf Kundschaft wartet. Ein kurzes Hand-Fuß-Gespräch später ist klar – er raucht dann bitte noch entspannt auf und fährt mich dann gerne nach oben. Das macht er übrigens jeden Tag mit stoischer Ruhe, von 10.00 bis 20.00 Uhr und am Wochenende eben sogar bis 22.00 Uhr. Und so komme ich erstmals in meinem Leben in den Genuss, von einem Seilbahn-Privatchauffeur unentgeltlich nach Hause gefahren zu werden. Aber über’n Berg ist Fetti noch lange nicht… /hvg

02.06.2019 Akademisk Boldklub Gladsaxe – Kolding IF 1:2 (0:0) / Gladsaxe Idrætspark Marielyst / 274 Zs.

Nach der rauschenden Champions-League-Nacht erwachen immerhin 2/3 des Fußballkellers ohne größere Probleme. Auch der „Fischkopf“, der es gestern nicht mehr bis nach Hause geschafft hat, hat auf der Wohnzimmercouch mittlerweile die Rückkehr zu den Lebendigen mit spielerischer Leichtigkeit gemeistert. Der Gastgeber, Liverpoolfan, Familienvater und Jungspund in Personalunion hat den gestrigen Abend erwartungsgemäß eh bereits locker aus den Klamotten geschüttelt. Geschniegelt und gestriegelt steht er – nachdem er sicherlich bereits joggen war und einige Bahnen im Swimmingpool der Kommune gezogen hat – bereits im Flur bereit, um mit uns gemeinsam den Frühstückseinkauf vorzunehmen. Der Plan, nach Ballerup zu fahren und uns dort mit Smørrebrød einzudecken, löst mittelschwere Begeisterung aus. Nur im „Basement“ herrscht weiterhin Katerstimmung und die Gruppe scheitert daran, das schwächste Glied (der Nahrungskette) zum Mitkommen zu motivieren. Das arme schwächelnde FUDU-Schwein wird folgerichtig zurückgelassen und zu viert begibt man sich auf die gut 20 Kilometer lange Reise in das Paradies der üppig belegten Brote. „The Best Asian Tapas in Danmark!“, würden wir als Slogan an die Schaufenster kleben, wenn wir etwas zu sagen hätten. Die Servicekraft kann mittlerweile die Uhr danach stellen, dass FUDU hier einmal im Jahr vorbei schneit, die Vitrine mit den „Replica“-Fanartikeln diverser europäischer Spitzenvereine links liegen lässt und den Kofferraum des „Volvo“ mit einer feinen Selektion Smørrebrød füllt.

Zurück in Allerød ist die Laune im Keller noch immer im Keller, während der Rest der Bande ebenerdig leichte Katererscheinungen mit dem soeben gekauften Frühstück bewältigen kann. Hhm, det smager godt! Von unten werden derweil Signale gesendet, etwas Smørrebrød im Kühlschrank zu deponieren und der Wunsch geäußert, auch weiterhin vorerst auf Tageslicht zu verzichten, sodass wir im Anschluss der Mahlzeit leider auch den Weg in Richtung „Gladsaxe Stadion“, wie der Ground von 1938 seit 1999 offiziell heißt, ohne das schwächste Glied (der Hopperkette) antreten müssen. Nun ist es ja so, dass wir hier aus Persönlichkeitsrechten keine Namen nennen oder mit dem Finger auf jemanden zeigen wollen, nur weil dieser jemand am Vorabend unter Umständen aus Versehen 1-2 „Pillen“ zu viel geschluckt hat, aber eines ist gewiss: Wenn sie im nächsten Jahr auf der Fähre in Richtung Dänemark anmerken wird, dass ihr das Kreuz im „Gladsaxe Stadion“ noch fehlt und es der Spielplan hergibt, werden wir ihr wohl auch diesen Wunsch nicht abschlagen können… ❤

Das „Gladsaxe Stadion“ liegt unweit der Autobahn 16 und ist bereits mehrfach von FUDU auf Vorbeifahrten gesichtet worden. Bislang hatte sich wegen ungünstiger Terminlage nie ein Stadionbesuch ergeben, doch heute meint es der dänische Fußballverband endlich einmal gut mit uns und wir können der Stadionperle mit 13.507 Plätzen (auf zwei überdachten Sitzplatztribünen auf den Längsseiten und zwei unüberdachten Stehplatztribünen hinter den Toren) einen Besuch abstatten. In der Aufstiegsrunde der 2. Division (= dritthöchste Spielklasse) empfängt der Akademisk BK am 8. Spieltag die Fußballabteilung des Kolding IF zum Stelldichein. Während Akademisk mit 49 Punkten einem unaufgeregten Saisonende entgegensieht, hält Kolding vier Spieltage vor Schluss mit 59 Punkten einen direkten Aufstiegsplatz inne. Es ist davon auszugehen, dass sie alles daran setzen werden, den aktuellen Vorsprung von nur einem Punkt gegenüber Brabrand in den kommenden 90 Minuten zu verteidigen.

Dank der guten Kontakte seines Schwiegervaters in die Welt des dänischen Fußballs hat uns unser Gastgeber wieder einmal auf der Gästeliste unterbringen können. Der VIP-Status bringt dieses Mal eine angenehme Ersparnis in Höhe von 80 DKK mit sich, die es natürlich umgehend in ein Konterbier zu investieren gilt. Nur kurz steht die Frage im Raum, warum zur Hölle in einem dänischen Fußballstadion „Heineken“ ausgeschenkt wird, dann verschafft der Rundumblick und die Expertise unser dänischen Freunde Klarheit. Hier hat gestern Abend ein Public Viewing (Eintritt: 299 DKK) stattgefunden, welches von der „Redmen Family“ organisiert wurde. Die „Redmen Family“ ist die größte unabhängige Vereinigung für Liverpool-Supporter in Deutschland, Dänemark, Österreich, Schweiz und Liechtenstein und noch vor wenigen Stunden wurde hier von der Sektion Danmark der Triumph des englischen Traditionsvereins gefeiert. Als offizieller Sponsor der Champions League durfte „Heineken“ da natürlich nicht fehlen und abgesehen von den Zapfhähnen ist auch der Rest des Stadions in der Kürze der Zeit noch nicht wiederhergestellt worden. Hier sieht es jedenfalls so aus, wie es nach einer guten Fußballparty nun einmal aussieht. Leere Bierbecher, tonnenweise Müll und vergessene rote Winkelemente säumen das Ambiente, während Schiedsrichter Martin Outzen die Partie eröffnet.

Gestern strömten übrigens an die 3.000 Zuschauer zum gemeinsamen TV glotzen in das Stadion, doch das heutige Spiel des lokalen Fußballclubs hat gerade einmal 274 Menschen hinter dem Ofen hervorlocken können. Schöne neue Fußballwelt. Natürlich bin ich mir darüber bewusst, dass ich diesbezüglich in einem Märchenland lebe. Nie wieder wird der Amateurfußball die Menschen auch nur ansatzweise so sehr begeistern können, wie es die großen Stars der Glitzerwelt tun. Aber hätte man hier nicht wenigstens (von mir normalerweise ebenfalls verhasste) Vermarktungsexperten oder Eventplaner von der Leine lassen können? Eine schöne Doppelveranstaltung – 15.00 Uhr Akademisk und danach die alberne irische Livemusik und das Picknick auf der Wiese mit anschließender Liveübertragung für die als Engländer verkleideten Dänen – das wäre es doch gewesen. 3.500 Zuschauer in der Aufstiegsrunde – das klingt doch angemessen, oder?

Nun gut, lassen wir die Träumereien bei Seite. Im Gegensatz zu der Zuschauerzahl sind wenigstens der Spielort und das Wetter angemessen. Bei schwülwarmen Temperaturen bahnt sich auch endlich einmal die Sonne, die wir in den letzten drei Tagen schmerzlich vermisst haben, ihren Weg durch die Wolken. In der dänischen Demse dauert es auch nicht mehr lang, bis die ersten Hellhäutigen dafür plädieren, sich besser in den Schatten zu setzen. Der Oberrang der erst 1998 errichteten Doppelstocktribüne auf der Längsseite bietet schließlich eine optimale Kompromisslösung. Während die vorderen Reihen ein Sonnenbad allererster Güte versprechen, sind die grünen Sitzschalen aber Reihe 5 bereits gänzlich in Schatten gehüllt. Leichte Abzüge in der B-Note gibt es von den Sonnenanbetern für die Balustrade, die sich nun im Sichtfeld befindet, aber mit ein klein wenig Euphemismus kann sich das der Fußballtourist von Welt ja auch als „San Siro Feeling“ schönreden.

Auf dem grünen Geläuf gibt es dahingegen eher weniger des selben Feelings zu erhaschen. Etwas mürbe von den vielen Spielen der letzten Tage und womöglich auch vom gestrigen Abend, dem leichten Kopfschmerz und der permanenten Sonneneinstrahlung, kann man die erste Hälfte getrost als „belanglos“ zusammenfassen. Viel Stückwerk auf beiden Seiten, kaum Abschlussgelegenheiten. Wann immer auch nur ansatzweise so etwas wie eine Torchance entsteht, ist zwangsläufig ein vermeidbarer Fehler der gegnerischen Verteidigung vorausgegangen. Größere Spielanteile haben zweifelsfrei die Gäste, die auch etwas häufiger mit Ball am Fuß zumindest in der Nähe des gegnerischen Strafraums auftauchen. Lobenswert ist der gute Fahneneinsatz auf unserer Seite, auch wenn keine Mannschaft in rot agiert, lässt sich der „Fischkopf“ das Gewedel mit der Liverpool-Folie nicht nehmen. In dem ansonsten beinahe menschenleeren Stadion überzeugt auch der kleine Heimblock auf der ebenfalls recht mächtigen Gegengeraden, der eventuell von einem Sieg und vermutlich von besseren Zeiten träumt. Der Akademisk Boldklub war immerhin neunmal dänischer Meister (zuletzt 1967), errang 1999 den dänischen Pokal und spielte letztmals in der Saison 2003/2004 erstklassig, in der auch der Zuschauerrekord für das „Gladsaxe Stadion“ aufgestellt wurde (10.039 Zuschauer gegen den FCK).

Von diesem Niveau wird man zwar auch in der zweiten Halbzeit meilenweit entfernt bleiben, aber immerhin kann man dem Spiel etwas Würze verleihen und dem Gast mit Aufstiegsambitionen die Schweißperlen auf die Stirn treiben. Nach knapp 60 Minuten tankt sich AB über den Flügel durch, der Pass in den Rücken der Abwehr sitzt und Seejou King verwandelt zum 1:0. 50 mitgereisten Schlachtenbummlern aus Südjütland missfällt das.

Beflügelt vom Führungstor gelingt den Akademikern nun deutlich mehr als in der ersten zähen Stunde. Nur knappe 120 Sekunden nach dem Erfolgserlebnis kann Petersen einen wirklich schönen Angriff über 3-4 Stationen leider nicht krönen. Sein Abschluss mit dem rechten Innenrist streicht nur knapp über das Tor. Wieder dauert es keine fünf Minuten, bis Kolding-Keeper Rinke sein ganzes Können unter Beweis stellen muss, indem er einen sehenswerten Fernschuss von King gerade eben so aus der Ecke kratzen kann. Spätestens durch den Schlenzer von Sylvester Seeger-Hansen hätte der AB dann 2:0 in Führung gehen müssen, aber auch diese gute Chance verpufft ungenutzt und so endet die dominante Phase der Hausherren zwischen Minute 45 und 70 bedauerlicherweise ohne weiteren zählbaren Erfolg.

Erfahrene Beobachter von Fußballspielen dürften da bereits eine leise Vorahnung entwickelt haben, was sich in den verbleibenden 20 Minuten im „Gladsaxe Stadion“ wohl noch so zutragen möge. Und wahrlich, nur sechs Minuten nach der Äußerung dieses Verdachts passiert das Unvermeidliche. Hat der Favorit aus Kolding doch glatt seinen allerersten seriös vorgetragenen Angriff der Partie zu einem erfolgreichen Abschluss gebracht. Kapitän Rune Nautrup jubelt nur kurz und peitscht seine Mannen dann um so vehementer an. Eine Aktion, die Wirkung zeigt – Kolding gewinnt nun Oberwasser und drängt darauf, die Partie in der Schlussviertelstunde zu drehen. Sebastian Sommer scheitert nach einer Standardsituation in Minute 85 völlig freistehend, ehe Kolding in den letzten fünf Minuten wirklich All-In geht. Alles oder Nichts wird zum mutigen Motto auserkoren, im Fernduell mit Brabrand scheint man sich mit einem Punkt nicht zufrieden geben zu wollen. Beinahe fahrlässig, wie Kolding die eigene Defensive nun nahezu komplett auflöst, doch da AB selbst einen wilden Drei auf Null Konter durch Tangvig vertändelt und Nautrup in der Nachspielzeit einen scharf hereingetretenen Flachpass am langen Pfosten mit letztem Einsatz tatsächlich noch über die Linie grätschen kann, geht der etwas kopflose Plan letztlich auf. Kolding siegt mit 2:1 und bleibt weiterhin aussichtsreich im Kampf um den Aufstieg in die 1. Division, während dem AB in den nächsten Wochen noch ein Heimspiel verbleibt, um den scheidenden Trainer Madsen wenigstens mit einem Sieg verabschieden zu können.

Und Abschied ist ja bekanntlich immer ein scharfes Schwert. Wir jedenfalls düsen in Windeseile zurück nach Allerød und sind dann erleichtert darüber, dass es auch das letzte Gruppenmitglied in der Zwischenzeit aus dem Keller ins Tageslicht geschafft hat. Prädikat: magnolienfrisch! Nach einigen wenigen gemeinsamen letzten Sonnenstrahlen im Garten heißt es dann auch für uns, Abschied zu nehmen. Schnell sind die sieben Sachen im „Japserati“ verstaut und mit etwas Wehmut hat man sich kurz darauf von all den lieben Leuten verabschiedet, die alljährlich dieses lange Mai-Wochenende mitgestalten. Wir haben bis zur Abfahrt unserer Fähre in Gedser etwas mehr Zeit im Gepäck, um uns neben den Leuten auch angemessen vom Land verabschieden zu können und so führt uns unser Weg quasi direkt vom „Idrætspark Marielyst“ in den schönen Ferienort Marielyst.

Nur knappe 15 Kilometer vom Fährhafen entfernt, decken wir uns im Supermarkt mit Abendbrot und „Booster“ ein (Zitat Wikipedia: „Im Ort sind die Discounter ‚Aldi‘, ‚Rema 1000‘ und ‚Netto‘ ansässig“) und lassen den Dänemark-Urlaub standesgemäß picknickend mit Sonnenuntergang am Strand ausklingen. Wieder geht eine Reise, die mühsam begonnen hatte, mit Mühsam zu Ende: „Weiter, weiter – unermüdlich! Westlich, östlich, nördlich, südlich. Suche, Seele, suche! Sonnen strahlen, Sonnen schwinden. Nördlich, südlich, westlich, östlich. Such das Glück. Das Glück ist köstlich!“

Nächstes Jahr zur selben Zeit sind wir ja garantiert wieder hier. Da kann Mühsam unken, wie er will: „Schönheit, Freuden, Räusche, Frieden sind dir, Seele, nicht beschieden. Fluche, Seele, fluche!“. Amateurfußball im Großraum København und ein Gala-Abend in der Königsklasse stehen dessen ungeachtet auch für 2020 fest im FUDU-Kalender. Komme, was wolle. /hvg

01.06.2019 Boldklubben 1908 – Kastrup BK 1:1 (0:1) / Sundby Idrætspark / 318 Zs.

Heute können Fetti und seine Berliner Freunde endlich ihr wahres Gesicht zeigen. Nachdem man sich gestern noch von einigen hochklassigen Skandinaviern zu einem Erstligaspiel überreden ließ, sollte heute dem Fußball an der Basis nichts mehr im Wege stehen. In der viertklassigen „Danmarksserien“ trifft der Boldklubben 1908 (Kurzform B1908, übrigens nicht zu verwechseln mit B1909 und B1913, die beide in Odense beheimatet sind) auf den Kastrup BK. Die FA2000 hat gestern Abend in der Staffel 2 mit einem Heimsieg gegen Allerød den Aufstieg in die 2. Division bereits perfekt gemacht, sodass der Zug für B1908 diesbezüglich leider bereits abgefahren ist und die Saison nun gemütlich im Verfolgerfeld auspendeln wird. Der Kastrup BK hingegen greift heute nach dem letzten Strohhalm. Nachdem Ishøj ebenfalls am Freitagabend in Valby einen Punkt erkämpfen konnte, beträgt Kastrups Rückstand auf das rettende Ufer drei Spiele vor Schluss nunmehr acht Punkte. Da MUSS heute also was kommen!

Mit all diesen guten Argumenten gehen wir auf unsere dänischen Freunde zu – zugegebenermaßen mit wenig Hoffnung, den einen oder anderen von unserem Plan des Stadionbesuchs überzeugen zu können. Erwartungsgemäß flattern uns die Absagen und Ausreden schneller ins Haus, als Mahnungen unseres schwäbischen Vermieters. Einer muss mauern, zwei weitere kriegen von ihren Familien nur für das abendliche Champions-League-Finale frei und ein richtig helles Nordlicht geht lieber mit einer Wandergruppe 45 Kilometer bis nach Helsingør spazieren. Etwas kreativer fallen da schon die Argumente des „Fiskhoved“ aus, der schlicht und ergreifend keine Lust hat, nach Amager zu fahren und eindringlich warnt. „They are eating strange things“, „The Island is made out of garbage“, „You can’t understand them because of their fucking dialect“, „They have a weird sense of humour“, „It once was a prison where people get killed“ oder verknappt zusammengefasst: „Be careful, crazy people are living out there!“.

Unbeeindruckt von all diesen Warnungen lassen wir es uns nicht nehmen, kurz darauf auch ohne dänischen Geleitschutz in Richtung Amager zu unserer gefühlten Dschungelprüfung aufzubrechen. Gibt eben nur waghalsige Höllenhunde bei FUDU!

Nichtsdestotrotz haben die Informationen unser Interesse geweckt und noch während der halbstündigen Fahrt durch das Herz der dänischen Hauptstadt werden diese fischköpfigen Fakenews auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft:

Auf Amager befand sich zwar tatsächlich eine Hinrichtungsstätte, in der zum Tode verurteilte Straftäter geköpft worden sind, doch dass die letzte Exekution bereits am 22.04.1845 stattgefunden hat, hat sich womöglich noch nicht bis Skovlunde herumgesprochen. Geblieben ist laut Wikipedia in der dänischen Umgangssprache übrigens eine Interjektion, die auf die Geschichte Amagers Bezug nimmt und heuer eine Art Schwur ausdrückt: „’Kannst du schwören, dass du das nicht warst?‘ – ‚Amager!’“ (Wirklich! Ernsthaft!) – verbunden mit der Geste einer ausgestreckten Hand, die den Kehlkopf streift.

Seit 2017 befindet sich auf Amager wahrhaftig eine Müllverbrennungsanlage, die auf ihrem schräg abfallenden Dach ganzjährig kunstschneebedeckte Skipisten (CopenHill) zur Vergnügung der Einwohner und Touristen bietet. Ob der künstlich aufgeschüttete „Amager Strandpark“ (60 Hektar, 4,6 Kilometer langer Badestrand, Promenade, Hafen, Baukosten: 200 Millionen DKK) auf Müll errichtet wurde, ist jedoch nicht überliefert.

Dafür scheint es den gewöhnungsbedürftigen Dialekt wirklich zu geben (Amagermål), aber so gut ist unser Dänisch nun auch nicht, als dass wir einen Unterschied zur Hochsprachlichkeit (Rigsmål oder Rigsdansk) bemerkt hätten.

Doch da laufen bei uns im Auto ohnehin schon längst die Vengaboys und unter „Whoah! Back to the Island, we’re gonna have a Party!“-Gegröhle düst FUDU seinem Samstagsziel entgegen. Was der Fischkopf vermutlich nicht weiß, ist, dass FUDU bereits überaus amagererfahren ist, hat man hier 2013 doch bei „Master Thomas“ und seiner liebreizenden Frau genächtigt und u.a. dem sehenswerten Fischerdorf Dragør einen Besuch abgestattet. So schnell kann uns hier also nichts mehr aus der Ruhe bringen.

Beunruhigender ist da schon die Dichte an penetranter Wahlwerbung. Selbst an Autobahnbrücken werben die dänischen Partien um Stimmen für die „Folketing“-Wahl, die am 05.06.19 am Tag des dänischen Grundgesetzes stattfinden wird. Ob man sich bei 130 km/h zwingend Gedanken über die politische Ausrichtung des Landes machen sollte, lassen wir jetzt einmal dahingestellt sein, aber immerhin erfahren wir so, dass Samira Nawa Amini noch in der Politik tätig ist. 2014 sah sie zwar wesentlich besser aus, als ihr der „Fackelmann“ kurzzeitig sein Gesicht lieh, aber gut, der Zahn der Zeit nagt eben an allen von uns…

Während einige Dänen womöglich noch unentschlossen sind, wo sie in wenigen Tagen ihr Kreuz setzen werden, ist sich FUDU seiner Sache sicher. Unsere Wahl ist längst auf den sehenswerten „Sundby Idrætspark“ gefallen, der auf einer großen Haupttribüne und einer charmanten Gegengeradenkonstruktion aus Holz immerhin 7.200 Menschen Platz bietet und damit eines der 25 größten Fußballstadien Dänemarks ist. Den Sportpark haben wir mit einer Punktlandung um kurz vor 13.00 Uhr erreicht, sodass wir nach Zahlung des Eintrittsgelds (40 DKK) noch gerade genügend Zeit haben, um uns mit frischem „Carlsberg“ vom Hahn (30 DKK) einzudecken.

Im Stadion haben sich in etwa 100 Menschen eingefunden, wovon sich die meisten auf der großen Haupttribüne von 1975 niedergelassen haben. Hier sind bereits einige Trikots der Finalteilnehmer des heutigen Abends zu sehen. Unseren ersten Beobachtungen zufolge scheinen auf Amager die Sympathien für Liverpool und Tottenham gerecht verteilt, während der B1908 bezüglich der Beliebtheit die Nase gegenüber des Lokalrivalen von Fremad vorne zu haben scheint. Sportlich befindet sich Fremad zwar zwei Ligaebenen höher, doch im Stadion sucht man Spuren des erfolgreicheren Clubs auf den ersten Blick vergeblich. Das mittlerweile veraltete Logo von B1908 ist auf der Tribüne jedenfalls omnipräsent, während von Fremad jede Spur fehlt. Dafür hat man Fremad aber genau genommen das Flutlicht (seit 2018) zu verdanken, welches man für die Teilnahme an den höheren dänischen Spielklassen vorzuweisen hat. Auch die Umwandlung des Rasenfeldes in einen Kunstrasenplatz (ebenfalls 2018) geht wohl auf die Kappe des höherklassigen Vereins.

Gerade haben wir auf den Holzbohlen Platz genommen, da eröffnet Schiedsrichter Sebastian Friis Aagerup auch bereits die Partie. Es weht eine steife Amager-Brise und wir werfen sehnsüchtige Blicke auf den Berliner Wetterbericht. Dort schwitzt man aktuell bei 32°C in kurzen Hosen, während man hier bei gerade einmal 14°C doch etwas fröstelt, der „gefühlten Temperatur“ geschuldet. Nichtsdestotrotz lässt es sich ein Hipster-Däne nicht nehmen, hier mit Extra Long T-Shirt, abgeschnittener Jeans, Bananen in der Gesäßtasche und Schoßhündchen auf dem Arm durch die Szenerie zu schleichen. Was für ein Gesamtkunstwerk – das hätte der Friedrichshain kaum besser hinbekommen können.

Auf dem Kunstrasen tritt der abgeschlagene letzte aus Kastrup in den ersten Minuten recht solide auf. Mit dem Mute der Verzweiflung versucht man, seine allerletzte Chance auf den (direkten) Klassenerhalt zu nutzen. Darüber hinaus wirken die Spieler des B1908 nicht unbedingt bis in die Haarspitzen motiviert und so gelingt es den Mannen aus Kastrup, die Insulaner vom eigenen Tor fernzuhalten und nach und nach Oberwasser im Mittelfeld zu gewinnen. Die ersten beiden vielversprechenden Abschlusssituationen werden zwar noch kläglich vergeben, doch nach 29 Minuten kann Tobias Hansen einen schönen Steckpass aufnehmen und diesen eiskalt vollstrecken. Sein sechstes Saisontor – 23 mitgereiste Gästefans aus dem 3,2 Kilometer entfernten Kastrup jubeln ausgelassen!

Mittlerweile ist die Führung für den Gast durchaus als verdient zu bezeichnen und womöglich wäre die Hoffnung auf den Klassenerhalt noch einmal zusätzlich gestiegen, hätte Oskar Munk Egestorp nach 37 Minuten den Ball nicht so dermaßen knapp neben den Pfosten gesetzt, sondern zum 0:2 im Tor untergebracht. So aber geht die Partie mit einem 0:1 in die Halbzeitpause, in der B1908-Coach Sten Svendsen wohl das eine oder andere ansprechen und umstellen muss. Wirklich Amagerer Auftritt bis hierhin.
Første halvleg blev ikke nogen stor fodboldoplevelse! heißt es hierzu später kurz und bündig auf der Website des B1908. So kann man es natürlich auch sagen.

Der Platzwart nutzt die Gunst der Stunde und stellt die imposante Bewässerungsanlage der Sportstätte zur Schau. Besonders angenehm, dass der Wind auf Amager dafür Sorge trägt, dass sich die Wasserfontänen der Rasensprenger ihren Weg bis auf die Gegengerade bahnen. Zwar versucht der Stadion-DJ mit „Cafe del Mar“-Klängen mediterranes Feeling aufkommen zu lassen, doch angesichts unserer leichten Erkältungen lassen wir uns nicht lange einreden, wir würden hier nur etwas Meerwasser vom warmen Sommerwind in die Gesichter getragen bekommen und wandern gesundheitsbewusst mit bereits leicht durchnässten Klamotten auf die überdachte Haupttribüne.

Nachdem wir nunmehr das gesamte Stadion umrundet haben, können wir uns zumindest sicher sein, dass wir Youssuf Poulsen heute nicht erneut treffen müssen. Die Freude hierüber währt jedoch nicht lange, stattdessen setzt leichter Ärger ein, habe ich doch nur wenige Augenblicke nach Wiederanpfiff glatt das 1:1 verpasst, weil ich mich zu intensiv mit monumentaler Stadionkunst auseinandergesetzt habe. ‚Der nackte Fußballer, der einen Ball älteren Typs tritt‘ (Carl Morgenstern, 1903) ist aber auch wirklich zu schön anzusehen. Bestimmt schöner als das Tor, welches der „Hoollege“ nüchtern wie folgt schildert: „Schuss aus dem Gewusel, irgendwie abgefälscht“. Und wahrlich, später wird Unglücksrabe Christian Grand als Eigentorschütze geführt werden.

Die offizielle Zuschauerzahl wird per Durchsage mit über 300 angegeben, was man durchaus mit einem Schmunzeln quittieren kann. Sind wohl 200 Dauerkarteninhaber und die drei Jungs, mit denen sich das Gesamtkunstwerk die Bananen teilen wollte, nicht gekommen, aber mit in die Wertung eingegangen. Auf dem gewässerten Geläuf gibt Kastrup die letzten Zuckungen von sich. Als nach 60 Minuten ein hervorragend herausgespielter Konter mit perfekt temperiertem Diagonalball zum 1:2 abgeschlossen werden kann, dem Treffer wegen einer Abseitsstellung aber die Anerkennung verwehrt wird, gehen die ersten Köpfe bei den Gästen doch deutlich nach unten. Der auffällige Tobias Hansen überzeugt noch mit einer schönen Volleyabnahme nach Flanke aus dem Halbfeld, aber spätestens nachdem auch der nächste vielversprechende 2 auf 1 Konter verdaddelt ist, sind hier alle Messen gelesen. So kommt der B1908 in den Schlussminuten noch zu zwei verheißungsvollen Gelegenheiten, doch Kastrup-Keeper Gustav Drejer Hansen kann jeweils vereiteln und wenigstens den einen Punkt retten, der aber auch nicht mehr hilft. Kastrup wird die Saison in jedem Falle als 10. und Letzter beenden und muss den bitteren Gang in die Relegation antreten.

Wir hingegen treten den Rückweg nach Allerød an und sind einigermaßen verwundert, hier auf ein leeres Nest zu treffen. Noch sechs Stunden bis zum Anpfiff des Finales und noch immer keine Vorbereitungen für das legendäre Champions-League-Final-BBQ im Gange? Uns bleibt keine andere Wahl und wir machen uns fußläufig auf in Richtung „Pillen“, um in Lillerøds Vorzeigebodega etwas Zeit zu überbrücken. Irgendwann gibt es dann ein dänisches Lebenszeichen und wir kehren nach zwei Runden „Tuborg Grøn“ zurück in unser Domizil, um in der Küche mit anzupacken und dabei zu unterstützen, den wie immer gut gefüllten Bierschuppen zu leeren. Nach und nach trudeln die Gäste ein, um ihre Fußballtrikots zu präsentieren und sich am Grill den Bauch vollzuschlagen. Der Fußballkeller ist um 21.00 Uhr bis auf den letzten Platz ausverkauft, als im „Wanda Metropolitano“ das Finale der Champions League eröffnet wird. Hier unten halten es alle mit dem Liverpool FC, wohl auch die, die heute mit Brøndby-Trikots und Dressen südamerikanischer Supertruppen angerückt sind. Salah trifft nach zwei, Origi nach 87 Minuten – dazwischen gibt es viel Langeweile und Leerlauf zu bestaunen, ehe der Liverpool FC seinen längst verdienten Titel eingefahren hat.

Frauen, Kinder und Familienväter ziehen nach und nach von dannen, zurück bleibt der Darts spielende Bodensatz, der sich weiter anschickt, die Biervorräte im Schuppen zu vernichten. Kurzum: Die Situation ist besäufniserregend und so verwundert es auch nicht, dass irgendwann jemand auf die Spitzenidee kommt, noch einmal in das „Pillen“ zurückzukehren. Ich klinke mich an der Stelle aus, schließlich steht morgen bereits das nächste niveauvolle Highlight auf dem Programm. Und beim „akademischen Ballklub“ wie Mollenmanne in der Kurve hängen, das schickt sich ja nun wirklich nicht… /hvg

31.05.2019 Brøndby IF – Randers FC 4:2 (0:1) / Brøndby Stadion / 16.773 Zs.

Wieder einmal erwachen wir im dänischen Fußballkeller, ohne dass wir auch nur den Hauch einer Ahnung davon haben, wie spät es wohl sein mag. Hier unten gibt es alles, was das Herz begehrt: Eine Bar, eine Großbildleinwand, Fußballtrikots an den Wänden und Matratzen auf dem Boden. Nur Tageslicht hat dieser wunderbare Ort eben noch nie gesehen und so wird der erste Schlaf in Allerød nach kräftezehrenden Arbeits- und Reisewochen in schöner Regelmäßigkeit bis in die Mittagsstunden ausgedehnt.

Kaum sind die Augen geöffnet, werden Pläne für den weiteren Tagesverlauf geschmiedet. Durch die unterirdische Unterkunft inspiriert, klicken wir uns sogleich durch die Niederungen des dänischen Vereinsfußballs und siehe da, heute könnte man in der „Danmarksserien“ Herlev IF einen Besuch abstatten oder aber seine Visitenkarte bei der FA2000 in Frederiksberg abgeben. Mit knurrendem Magen und diesem Potpourri an guten Vorschlägen wandeln wir die Kellertreppe hinauf. Ebenerdig scheint bereits die Sonne, das Kind des Hauses tobt in Uniongeschenken vergangener Urlaube durch das Wohnzimmer und obwohl es noch nicht einmal 13.00 Uhr geschlagen hat, ist der Frühstückstisch bereits für uns gedeckt. Klar, dass unsere viertklassigen Ideen in diesem Setting nicht all zu gut ankommen. Hier hat man bereits Größeres für uns vorbereitet. In einem „Do-Or-Die“-Spiel gegen Randers könnte sich Brøndby heute Abend immerhin noch gerade eben so für die Qualifikation für den UEFA-Cup qualifizieren und da gleich drei unserer dänischer Freunde samt Kind und Kegel Interesse an einem Stadionbesuch ankündigen, willigen wir natürlich begeistert ein. Nur Fetti rümpft im Hintergrund unauffällig den Rüssel – das dritte Mal nach 2013 und 2016 ins „Brøndby Stadion“? Ist das noch Hopping?

Da Brøndby erst um 19.00 Uhr zum K.O.-Spiel zum Tanz bitten wird, bleibt für FUDU und Friends auch nach dem späten Frühstück ein großer Zeitrahmen, der mit Inhalt gefüllt werden mag. Da morgen das Champions-League-Finale und das traditionell dazugehörige Grillfest auf dem Programm stehen, entschließt man sich, das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden und den „Fiskehoved“ auf seiner sagenumwobenen Arbeitsstelle zu besuchen. Der Legende nach veräußert er in einem Luxus-Supermarkt Edelfische, Meeresfrüchte und sündhaft teure Delikatessen an eine elitäre Käuferschaft im Nobelvorort Gentofte, Ortsteil Charlottenlund. Gentofte ist nicht weniger als die „reichste Kommune Dänemarks“ und „weist hauptsächlich exklusive Wohnlagen für Pendler nach Kopenhagen auf“. Genau der richtige Ort also, um uns mit sicherlich günstigem Grillgut eindecken und den tätowierten Armen unseres Freundes mal bei der Arbeit zusehen zu können.

Nach knappen 25 Minuten Fahrt haben wir die imposante Fischtheke erreicht. Hier steht „Ebo“, wie er leibt und lebt. Bunt bemalt und weiß bekittelt nimmt er uns herzlich in Empfang, spricht gewohnt routiniert über Bier, Fußball und zotige Videofilmchen, spielt und albert dann mit dem Kind herum und bedient parallel hierzu die Yuppie-Kundschaft, bestehend aus dänischen Dandys und alten Männern mit Polokrägen und Seglerschuhen, überaus adäquat. Der Mann ist wandlungsfähiger als ein Chamäleon – und kann uns ganz nebenbei auch einige Scampi-Spieße für das morgige BBQ zu einem angemessenen Preis veräußern. Wir verabreden uns für den Kick im „Brøndby Stadion“, ehe der Chef zu drängeln beginnt, packen schnell blattgüldenes Fleisch, Dänemarks bestes Brot, feinstes Bier und erlesene Grillsaucen in den Einkaufswagen und verlassen das „MENY“ überaus zufrieden. So fühlt es sich also an, wenn man an einem Tag ohne Arbeit etwas geschafft hat.

Im Anschluss führt uns unser Weg nach Hellerup, wo wir unser kleines Mittagshüngerchen im „Picnic“ an der Strandpromenade stillen können. Ein Stück Pizza und das dazugehörige Bier gibt es für stolze 92 DKK (~ 12,50 €) käuflich zu erwerben, dafür erhält man zusätzlich dänischen Sonnenschein und kann vom Pier auf den gar nicht mal so schönen Nordhavn schauen. Einige furchtlose Dänen stürzen sich bei 12° Luft- und 10° Wassertemperaturen in den Øresund und ein alter Mann um die 70 spult sein beeindruckendes Sportprogramm ab, während wir faul auf den Sonnenstühlen herumgammeln. Der Senior rennt den Strand auf und ab, geht schwimmen, rennt weiter hin und her, springt Springseil und präsentiert uns am Ende seiner Trainingseinheit stolz seinen athletischen Oberkörper. Wir trinken in aller Seelenruhe aus, in der Gewissheit, dass wir ja noch mindestens 30 Jahre Zeit haben, ehe wir mit Sport beginnen müssen, um so auszusehen. Kannst dein T-Shirt also wieder anziehen, Angeber!

Nun erfüllt uns unser Gastgeber einen weiteren Wunsch und wählt nicht etwa den direkten Weg zurück nach Allerød, sondern fährt immer weiter der wunderbaren Küstenstraße entlang. Wir erhaschen weitere Blicke auf den schönen Øresund bis wir in Rungsted Kyst mit dem alten Hafen kurz vor der Nivå Bugt leider doch wieder landeinwärts einbiegen müssen. Schon wirklich schön hier vor den Toren Københavns, aber nun ist es doch langsam an der Zeit, sich gedanklich endlich einmal mit dem Thema Fußball zu befassen.

Beginnen wir doch damit, uns einen Überblick über den Modus zu verschaffen, der dieses Jahr in der dänischen „Superliga“ greift. 14 Mannschaften spielen eine Doppelrunde, nach der sich die besten sechs Teams für die Meister- und die schlechteren acht für die Abstiegsrunde qualifizieren. Die Meisterrunde spielt eine weitere Doppelrunde unter Mitnahme der Punkte aus der Vorrunde, um final den Meister krönen zu können, während die acht schlechteren Teams in zwei Vierergruppen aufgeteilt werden. Die jeweils zwei schlechtesten Teams beider Gruppen können in anschließenden Play-Downs zuerst gegeneinander und dann auch noch mal gegen die Zweitligisten, die nicht direkt aufsteigen durften, nach dem letzten Strohhalm greifen. Damit alles nicht zu nachvollziehbar bleibt, ist die Saison für den Fünften und Sechsten der Meisterrunde übrigens nach 36 Spielen in jedem Fall ohne Chance auf Europapokaleinzug beendet, während die vier besten Mannschaften der beiden Abstiegs-Vierergruppen plötzlich wieder dick im Geschäft sind. Aarhus, Sønderjysk, Aalborg und Randers wittern nun jedenfalls wieder europäische Morgenluft, während die über den Saisonverlauf betrachtet eigentlich besseren Teams aus Odense und Nordsjælland schön in die Röhre gucken. Auch für den AC Horsens ist es denkbar schlecht gelaufen – als 10. der regulären Saison ist man in den letzten zehn Spielen dummerweise noch von Sønderjysk überholt worden und muss nun gegen den Abstieg statt um Europa kämpfen. Brøndby, das die reguläre Saison nur als Fünfter beendet hatte und nun nur dank der um acht Tore besseren Tordifferenz gegenüber Odense noch auf den vierten Platz der Meisterrunde vorrücken konnte, ist somit für das Finalspiel um Europa gesetzt und genießt in dem K.O.-Spiel zusätzlich Heimrecht. In der Zwischenzeit haben Aarhus, Sønderjysk, Aalborg und Randers in zwei Runden mit Hin- und Rückspiel den Finalgegner ermittelt. Und ich wiederhole: Wegen acht Toren ist die Saison für Odense beendet, obwohl man in der regulären Saison vier Punkte mehr hatte als Brøndby, sechs mehr als Nordsjælland, acht mehr als Randers, elf mehr als Aarhus und vierzehn mehr als Sønderjysk. Soweit alles klar?

Brøndby kann die turbulente Saison heute zu einem versöhnlichen Abschluss bringen. Obwohl die Fans als überaus leidenschaftlich und loyal zu beschreiben sind und der Zuschauerschnitt von 14.437 in der regulären bzw. 18.426 in der Meisterrunde diesbezüglich Bände spricht, hat man sich für dieses besondere Spiel zusätzlich einige attraktive Aktionen für seine treuen Anhänger ausgedacht, um die Hütte zum Abschluss der Saison noch einmal richtig voll zu bekommen. Die Aktivitäten rund um das Stadion (DJ Zingernagel legt in der „Fan-Zone“ auf) werden von FUDU noch milde belächelt, aber die Idee, das komplette Stadion in gelb zu tauchen („Gult Stadion!“), gefällt. Zumal Brøndby allen Stadionbesuchern, die in gelben Trikots erscheinen, den Zugang zu einer Tribünenseite kostenlos zur Verfügung stellt. Wie praktisch, dass sich mein Brøndby-Trikot bereits im Reisegepäck befindet und sich der Einkauf von 2013
(→ Langzeitinvestition) somit endgültig amortisiert hat.

Darüber hinaus bietet Brøndby eine überaus attraktive 20%-Rabattaktion auf alle gelben Trikots im Fanshop an und lockt so das Couponing-Extreme-Pärchen in den Konsumrausch. Schließlich fehlt noch ein gelbes Shirt zum kompletten FUDU-Gratiseintritt und des Hoollegen Bruder freut sich ganz bestimmt über ein Simon-Hedlund-Nicki zum Geburtstag. Einkauf und Beflockung nehmen im dichten Dänengedrängel doch einiges an Zeit in Anspruch und schon längst haben wir uns von unseren Gastgebern verabschieden müssen. Ihre Dauer- und Tageskarten sind für den Schnorrer-Sektor natürlich nicht gültig und so müssen wir das Spiel leider getrennt voneinander verfolgen. Hätten wir das in dieser Form gewusst, wer weiß, ob wir nicht doch lieber nach Herlev oder Frederiksberg gefahren wären…

Nun aber „Brøndby-Stadion“. Simon Hedlund, die geile Würgeschlange, fehlt leider gesperrt. Im letzten Meisterrundenspiel gegen Odense hatte er Hand an den Hals des Gegners angelegt und wurde nach 81 Minuten zum Duschen geschickt. Dafür agiert auf der Gegenseite in Björn Kopplin ein anderer alter Bekannter aus Berlin-Köpenick und mit Bier und Pølser für 82,50 DKK machen wir es uns auf der schattigen Tribüne bequem.

Die 16.773 Besucher sind dem Aufruf des Vereins gefolgt und haben das Stadion komplett in leuchtendes gelb gehüllt, wobei die Sonne zusätzlich für unterstützende Lichteffekte sorgt. Ein imposantes Bild, welches nur durch den hellblauen Gästeblock aus Randers getrübt wird. Brøndby-Coach Martin Retov muss mit dem zweifelhaften Erbe leben, das Alexander Zorniger ihm hinterlassen hat und so finden sich auf dem Feld mit Jung und Kaiser leider zwei Ex-Markranstädter wieder. Das Tor wird von Marvin Schwäbe gehütet und auf der Ersatzbank sitzen mit Halimi, Bellot und Röcker weitere bekannte Namen aus (längst vergangenen!) Zweitligazeiten Unions. Da hat wohl jemand seine „guten“ Kontakte nach Deutschland spielen lassen…

In der Zwischenzeit sind auf dem Rasen 30 ereignislose Minuten ins Land gegangen. Beide Mannschaften haben nicht mehr als Stückwerk anbieten können und die einzige Halbchance, die sich für Brøndby nach einem Fehlabspiel durch Randers-Schlussmann Carlgren ergeben hatte, konnte Top-Torjäger Kamil Wilczek nicht nutzen. Nach 35 Minuten hat die Frau der Reisegruppe genug gesehen und entscheidet zur Vermeidung langer Schlangen vor WC und Bierstand, ihr frisch erworbenes gelbes Shirt nicht länger als nötig auf der Tribüne zur Schau zu stellen. Eine Minute nach ihrem Abgang läuft Mikkel Kallesøe nach Balleroberung gemächlich über das Feld und kann dann vollkommen unbedrängt aus 22 Metern zentral vor dem Tor mit einem Flachschuss abschließen. Komplettversagen der Defensive Brøndbys – kein Druck auf den Gegner im Mittelfeld, eine Abwehr-Dreierkette, die sich nur zurückzieht und sich ebenfalls nicht zu Ball und Gegner orientiert und ein Schwäbe im Tor, der auch nicht besonders gut aussieht. 0:1 nach 36 Minuten – und „Nadjuschka“ noch immer ohne Tor im Rahmen dieses Dänemark-Urlaubs.

Die letzte schöne Aktion der ersten Halbzeit gehört dann Dominik Kaiser, der einen direkten Freistoß in der Nachspielzeit an das Lattenkreuz setzt. FUDU atmet auf. Zwar gönnt man Brøndby einen positiven Saisonabschluss, doch ausgerechnet dieses RBabyface, immerhin lange Zeit DAS Gesicht und Aushängeschild des Retortenclubs, muss nun nicht unbedingt zum umjubelten Held des Abends werden.

In der zweiten Hälfte müssen wir auf Björn Kopplin verzichten, der mutmaßlich verletzungsbedingt nicht aus der Kabine zurückgekehrt ist. Ach, Randers – jetzt fehlt ausgerechnet das beste Pferd im Stall. Mit frischem Bier in den Händen muss dann auch „Nadjuschka“ nicht mehr lange ausharren, bis sie endlich das erste Tor des Urlaubs miterleben kann. Gerade einmal sechs Minuten sind in der zweiten Halbzeit gespielt, als der Randers FC zu einem unnachahmlichen Angriff ansetzt. 12 Stationen, wie die spätere Videoanalyse ergibt, haben gereicht, um Mads Hinrichsen Aaquist im Strafraum freizuspielen, welcher sich die sich bietende Gelegenheit nicht nehmen lässt. Der blaue Block rastet aus, Brøndby zieht in etwa so ein langes Gesicht wie Anders fra Randers. 0:2 – der Traum von Europa scheint ausgeträumt!

Brøndby zeigt aber eine gute Reaktion und drängt darauf, eine schnelle Antwort zu finden. Endlich werden Flanken in den Strafraum geschlagen, Abschlüsse aus der zweiten Reihe gesucht und die Akteure aus Randers in die eigene Hälfte gedrängt. Nur vier Minuten nach dem 0:2 gelingt Kamil Wilczek per Kopf der Anschluss, nachdem die Flanke von links noch zu weit gewesen war und von rechts wieder zurückgeschlagen wurde – so und genau so „arbeitet“ man einen Ball in das gegnerische Tor.

Nun geht ein deutlich spürbarer Ruck durch Stadion und Mannschaft. Manchmal reicht eben ein Momentum, um einen Spielverlauf auf den Kopf zu stellen. Brøndby sucht sein Heil weiter in der Offensive und wird beinahe für sein luftiges Verteidigen bestraft, doch Lobjanidzes Schlenzer verfehlt sein Ziel nur knapp (56.). Hier ist jetzt richtig Leben in der Bude und so dauert es wieder nur 60 Sekunden, bis der nächste spektakuläre Abschluss auf der Gegenseite zu verzeichnen ist. Lasse Vigens Hammer aus knapp 25 Metern kann Carlgren sehenswert mit den Fingerspitzen über die Latte drehen. Brøndby hält die Schlagzahl hoch und Randers bleibt kaum noch Luft zum Atmen. Nach 67 Minuten ist der Druck dann zu groß geworden und eine halbhohe Hereingabe von der rechten Seite in den Rücken der Randers-Abwehr kann Kaiser vom Elfmeterpunkt volley zum Ausgleich verwerten. FUDU jubelt nur so halb.

Auch im Anschluss spielt nur noch Brøndby. Randers scheint die ersten 60 Minuten auf’s falsche Pferd gesetzt zu haben und muss nun müden Auges mit ansehen, wie mit den Hausherren die Gäule durchgehen. Anders wird es ganz anders, als fünf Minuten nach dem Ausgleich die nächste Ecke durch den Strafraum segelt und der eingewechselte Besar Halimi völlig freistehend an der Strafraumkante per Direktabnahme mit dem linken Fuß zum 3:2 verwandeln kann. Wohl das dickste Ding, das die Olsenbande jemals gedreht hat!

Nach 80 Minuten benötigt man im „Brøndby Stadion“ Flutlicht, um den sich abzeichnenden Erfolg angemessen illuminieren zu können. Randers hat nichts mehr zuzusetzen und der letzte 3 auf 1 Konter der Hausherren aus abseitsverdächtiger Position wird zu allem Überfluss auch noch mit einem Eigentor gekrönt (89. Min.). Erst sackt der Unglücksrabe Emil Riis niedergeschlagen auf dem Boden zusammen, kurz darauf tun es ihm seine Mannschaftskameraden gleich. Schiedsrichter Tykgaard hat das Spiel beendet, Brøndbys „Sydsiden“ feiert den kurz vor Schluss eingewechselten Benedikt Röcker, der keinen Anschlussvertrag erhalten wird, auf die Melodie von „I love you Baby“ von Gloria Gaynor und bis Europa sind nun nur noch vier Qualifikationsrunden zu absolvieren.

Wir fallen unseren dänischen Freunden in der „Fan-Zone“ in die Arme und werten freudestrahlend Spiel und Saison aus. Die Freude währt so lange, bis Youssuf Yurary Poulsen neben uns aufzieht und erneut zu Selfies mit Basecap bittet. Dieses Mal hat er seinen Kumpel Uffe Bech im Gepäck und bei Gott, wenn der RB-Trottel morgen auch noch auf Amager nervt, kriegt er von FUDU höchstselbst Uffe Schnauze. Nur gut, dass sich da schon längst Brøndby-Legende Thomas Kahlenberg in die Szenerie geschlichen hat und diesem die Herzen der Fans nur so zufliegen. Da kann sich Youssuf im Hintergrund schön trollen, während wir auf den sportlichen Erfolg und den großen Schritt in Richtung Europa anstoßen. Und irgendwann, irgendwann einmal, spielt Union auch international. Eines Tages vielleicht sogar im „Brøndby Stadion“. Wir würden ein viertes Mal kommen. Versprochen. /hvg

30.05.2019 Lyngby BK – Vendsyssel FF 2:1 (2:1) / Lyngby Stadion / 4.832 Zs.

Es ist vollbracht – der 1.FC Union Berlin ist in die Fußball-Bundesliga aufgestiegen! Eine rauschende (Montag-)Nacht und zwei weitere Tage voll der Feierlichkeiten liegen hinter Fetti und seinen Freunden, natürlich alles eingebettet in einen gutbürgerlichen Arbeitsalltag. Mittlerweile ist es Donnerstag geworden und endlich sieht auch der Gesetzgeber einen offiziellen Feiertag für die feierwütige Meute vor, weil Christus irgendwann irgendwie in den Himmel gefahren ist. Betrachtet man die letzten Tage rückwirkend, so ist es doch immer wieder bedauerlich, dass Feiertage nicht auf individuelle Bedürfnisse abgestimmt werden, sondern man lediglich aus solch nichtigen religiösen Gründen zur Niederlegung seiner Arbeit gezwungen wird. Wie dem auch sei, FUDU hat sich schon längst gedanklich von Punktspielen in Sandhausen und Heidenheim verabschiedet und reagiert geschickt auf den geschenkten Donnerstag, proklamiert den Freitag als Brückentag und reist nach Dänemark. Ab sofort geht es für uns nämlich nur noch hoch hinaus: Internationaler Fußball, Champagner und Champions League!

Der Start in das verlängerte Wochenende verläuft nach dem kräftezehrenden Wochenauftakt etwas mühsam, trifft man schließlich bereits um sieben Uhr in aller Herrgotts-Himmelfahrtsfrüh im Friedrichshain aufeinander. Der „Japserati“ des FUDU-Pärchens ist bereits auf Hochglanz poliert und feiert heute ein gutes halbes Jahr nach seiner Taufe endlich seine Reisepremiere. Zwar fällt er insgesamt eine Nummer kleiner aus als der altehrwürdige „Tschechenbentley“, der Kofferraum ist jedoch nach wie vor groß genug, um neben dem obligatorischen Kasten „Berliner Pilsner“ auch eine erlesene Auswahl Softdrinks zu fassen. Und so freut sich die Reisegruppe darüber, dass sich alle Automatismen, die sich seit Jahren etabliert haben, auch mit dem neuen Gefährt problemlos fortsetzen lassen. Champions-League-Finale in Dänemark geht eben nur mit Mate zum Frühstück – und schon wird der Tag zum Freund!

Ohne jeden Zeitstress rollt der „Japserati“ mit seinem bundesligatauglichen Füllgut in Rostock ein. Die Fähre nach Gedser verlässt pünktlich um 11.00 Uhr den Fährhafen und schätzungsweise zwei Minuten nach Öffnung des „BorderShop“ nehmen sich die beiden Herren der Reisegruppe das, was ihnen zusteht. Palettenweise Dosenbier und eine Stiege „Faxe Kondi“ wechseln den Besitzer. Erschwert wird der Einkauf durch die bloße Anwesenheit einer weiteren Männergruppe, die sich gewissenhaft auf den Herrentag vorbereitet. Aber nicht jeder verströmt eben eine erstklassige Aura und so ist es nur eine Frage der Zeit, bis die sportlich-erlebnisorientierte und gleichermaßen drittklassige Hansa-Rostock-Delegation Geleitschutz von der Schiff-Security erhält und auf Schritt und Tritt überwacht wird. Wir lassen uns während dieser Beobachtungen das erste pfandfreie Dosenbier des Tages munden und gammeln gewohnt lässig auf den „Scandlines“-Kunstledermöbeln und schippern gemütlich durch die hohe See. Eine kurze Handyrecherche ergibt, dass wir unserer minutiösen Reiseplanung ein weiteres Fußballspiel hinzufügen könnten. Das Superliga-Relegationsspiel zwischen Lyngby BK und Vendsyssel FF muss offenbar recht kurzfristig für heute Nachmittag angesetzt worden sein, anders ist es nicht zu erklären, dass die Partie bislang gänzlich unter unserem Radar geblieben ist. Zwar haben 2/3 der Clique ihr breites Kreuz bereits 2016 im „Lyngby Stadion“ zur Schau gestellt, doch da die Bedürfnisse der Frau der Reisegruppe von FUDUs Edelmännern selbst am Herrentag nicht (gänzlich) außen vor gelassen werden, ist schnell klar, dass sie heute natürlich ins Stadion darf, um mit uns øliger Entourage ihr fehlendes Kreuz nachholen zu können. Und weil wir solche Gönner sind, darf sie sogar das Auto steuern, sobald wir dänischen Boden erreicht haben. Skål!

Im Verlauf der 160 Kilometer langen Fahrt bis zum „Lyngby Stadion” informieren wir unseren dänischen Gastgeber, dass sich unsere Ankunft in Allerød leider etwas verzögern wird. Es gelingt uns nicht, einen unserer dänischen Freunde zu überzeugen, uns in Lyngby (11.232 Einwohner) Gesellschaft zu leisten. Arbeit, Kinder, Badezimmer renovieren – irgendetwas is ja immer. Kurz darauf halten wir nach Zahlung von 3×130 DKK per Kreditkarte auch schon unsere formschönen schwarz-weißen Eintrittskarten in den Händen und versuchen nun, diese gleichermaßen handlichen wie praktischen Billets vor dem einsetzenden Regen zu schützen. Etwas später stellt sich heraus, dass wir uns soviel Mühe gar nicht hätten geben müssen, da die mobilen Scangeräte am Einlass heute ihren Dienst verweigern und nun den Zuschauern die DINA4-Zettel schlichtweg wieder abgenommen werden. Da kann man ja gespannt sein, welche Aushilfskraft nachher den Stapel Papier in die Hand gedrückt bekommt, um die Zuschauerzahl händisch zu ermitteln. Was muss, das Rasmus!

Die weißen L Y N G B Y – Buchstaben, die 2016 noch die unbebaute Hintertorseite geschmückt hatten, finden sich mittlerweile in einer rumpeligen Abstellkammer unter der Tribüne wieder, dafür weiß schon jetzt der Zuschauerandrang, das bunte Konfetti, das neue Maskottchen der Heimmannschaft mit „Faxe Kondi“ als Brustsponsor und der sangesfreudige Anhang aus dem 350 Kilometer entfernten Vendsyssel zu gefallen. Wir beziehen Position im ehemaligen Gästeblock und kaum hat das Spiel begonnen, geht bei mir die erste Textnachricht aus der „FUDU – Sektion Dänemark” ein. „Murermester Klaus“ würde uns im Stadion suchen. Klar, dass ich mich da nicht zwei Mal bitten lasse und eine einigermaßen exakte Beschreibung unseres aktuellen Standpunkts zurückschicke. Mit einem Auge bekomme ich dabei mit, wie Lyngby-Keeper Mikkelsen nach gerade einmal sechs Minuten den ersten Hochkaräter der Gäste entschärft – Alhaji Kamara hatte nach einer ersten Unordnung im Strafraum aus Nahdistanz aus der Drehung abgezogen. Während die Gäste frühzeitig ordentlich auf die Tube drücken, gehen bei mir weitere Nachrichten ein. Der Maurermeister hätte uns noch nicht gefunden, so voll sei es bei Lyngby schon lange nicht mehr gewesen, schreibt „Kenneth Anger“ und noch bevor ich antworten kann, hat sich die Heimelf auf denkbar günstigste Weise von dem Anfangsdruck der Gäste befreien können, indem es nach einer ersten Flanke von der rechten Seite per Flugkopfball durch Frederik Lund Gytkjær mit 1:0 in Führung (9. Minute) gegangen ist. Das FUDU-Pärchen steht zu diesem Zeitpunkt noch am Bierstand. Ich ziehe mir erneut die Handschuhe aus (→ Dänemark) und beginne in der Annahme, unser dänischer Freund würde sich bereits im Stadion befinden, Blockbezeichnung, Reihen- und Sitzplatznummerierungen in mein Handy zu tippen und verpasse dabei das 1:1 im direkten Gegenzug. Das Tor (wohl Kamara nach Konate-Flanke) müssen wir uns wohl im Verlauf der kommenden Abende alle en Detail vom „Murermester“ schildern lassen, der eine astreine Sicht auf die Szene hatte, wie sich dank der nächsten Nachricht herausstellen wird. Reihenbezeichnungen helfen ihm nämlich überhaupt nicht weiter, da sich Klaus gar nicht vor Ort befindet, sondern sich lediglich am heimischen TV-Bildschirm auf die Suche nach uns gemacht hat. Alt andet end hyggeligt!

In Folge baut das Spiel qualitativ immer weiter ab, doch trotz der hohen Fehlerquote beider Mannschaften, des erstarkenden Windes und des erneut einsetzenden Regens lassen sich die unüberdacht stehenden Gästefans die Laune nicht vermiesen. Ohne Unterlass singen sie gegen die Tristesse an, während sich unsereins daran erfreuen muss, dass der Torlinienrichter von einer verunglückten Flanke über den Haufen geschossen wird. Lange Zeit wird dies das einzige Highlight bleiben, ehe Jeppe Kjær urplötzlich von der rechten Seite frei gespielt wird und nur denkbar knapp an Gästekeeper Nicolai Flø Jepsen scheitert. Die anschließende Ecke landet jedoch genau auf dem Kopf von Lasse Fosgaard, der zum 2:1 für Lyngby einnicken kann (30. Minute). Die Gäste haben beinahe eine unmittelbare Antwort parat, allerdings scheitert der Isländer Þorsteinsson nur 180 Sekunden später aus drei Metern an Mikkelsen, der seine Stärken ganz offensichtlich auf der Linie hat.

Kurz vor der Halbzeitpause ist dann auch die Tarnung von Yussuf Poulsen aufgeflogen, der sich wie bereits anno 2016 unter das Volk gemischt hat. Schon ganz lässig, zwischen den Spielzeiten auf Heimatbesuch zu gehen und seinem alten Jugendclub einen Besuch abzustatten. Wenn er sich auf dem Fußballplatz nicht immer wie das letzte theatralische Arschloch verhalten und die Farben des Leipziger Konstrukts tragen würde, könnte er hierdurch selbst bei uns beinahe Sympathiepunkte sammeln. Und während sich all die Einheimischen in die Selfie-Warteschlange vor Yussuf Yurary begeben, zieht es uns angesichts der großen Kulisse überaus rechtzeitig an den Versorgungsstand. Øl und Pølser gibt es im Rundum-sorglos-Paket für 85 DKK und wir können unsere Plätze locker vor Anpfiff des zweiten Spielabschnitts wieder einnehmen.

Nach gut einer Stunde unterläuft Vendsyssel ein katastrophaler Fehlpass im Spielaufbau. Der Rückpass des Rechtsverteidigers ist jedenfalls deutlich zu kurz geraten, sodass Gytkjær in die Show kommt, der nun urplötzlich auf das Tor des Erstligisten zulaufen kann, am Ende aber völlig überhastet abschließt und eher kläglich scheitert, zumal in der Mitte auch noch ein besser postierter Nebenmann bereitgestanden hätte. Die Gäste brauchen gut zehn Minuten, um sich von diesem Schreck zu erholen und senden dann endlich einmal wieder ein offensives Lebenszeichen, doch rauscht Þorsteinssons Abschluss nach gelungenem Tänzchen im Sechzehner am langen Pfosten vorbei (67.). In der 71. Minute erobert Gytkjær erneut einen Ball, den Vendsyssel fahrlässig im Spielaufbau vor dem eigenen Strafraum vertändelt und legt ihn dieses Mal quer auf Sturmpartner Mohammad Adnan, doch dessen unpräziser Abschluss erklärt nachträglich, warum Gytkjær vor wenigen Minuten womöglich alleine abgeschlossen hatte. Als der Zweitligist aus der Agglomeration Københavns wenige Minuten später auch noch einen Foulelfmeter verschießt (abermals der tragische Held Gytkjær, 82. Minute), ist die Freude über die Verkündung des Saisonrekords von 4.832 Zuschauern (gut gemacht, Rasmus!) schnell wieder verflogen und auch der eingewechselte Geertsen kann nach einem Eckball in der 89. Minute die letzte gute Gelegenheit für die „Vikingerne“ nicht nutzen. So fahrlässig muss man eine bessere Ausgangslage für ein Relegationsrückspiel erst einmal liegen lassen… und trotzdem scheint das Heimpublikum zufrieden. Mit Applaus und stehenden Ovationen werden die königsblauen (kongeblå) verabschiedet und offenbar sind die Hoffnungen auf einen erfolgreichen Saisonabschluss bei den Fans heute eher gestiegen, denn geschwunden.

Im Anschluss düsen wir hinaus nach Allerød und stoßen mit unserem Gastgeber auf den Aufstieg des 1.FC Union Berlin an. Es ist Herrentag, die Frau ist glücklich über ihr Kreuz, der Pfeffi schmeckt, wir haben Urlaub. Und wir sind erstklassig. Falls der Lyngby BK vor dem Rückspiel am kommenden Sonntag Fragen haben sollte, wie man das macht – einfach mal bei uns durchklingeln! /hvg