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07.07.2017 Wolfsberger AC – 1.FC Union Berlin 2:4 (1:1) / Sportstadion Wolfsberg / 500 Zs.

Wenn man den Sommerurlaub nicht mehr erwarten kann und in Berlin beginnt, die Tage zu zählen, dann ist es wieder einmal an der Zeit, auf eine Methode zurückzugreifen, die sich in den vergangenen Jahren bewährt hat. Fetti entscheidet sich also auch im Jahr 2017 vor Beginn der Sommerferien dafür, einen kleinen Zusatzurlaub zu buchen. Sommerurlaub. Allein schon dieser Begriff. Als könnte man pro Jahreszeit nur einmal Urlaub machen.

Allerdings stehen für Fetti dieses Mal keine Ferien im eigentlichen Sinne an, sondern harte Arbeit droht. Im Rahmen des Trainingslagers des 1.FC Union Berlin im österreichischen Kärnten gilt es, sich gewissenhaft auf die kommende Saison vorzubereiten und sich weiterhin an den saisonalen Alkoholpegel und Reisestress heranzutesten.

Am Donnerstagmorgen simuliere ich am Flughafen Tegel einen Airport der langen Wege, indem ich vom Gate 1 auf dem Weg zu Gate 15 den Rundgang des Oktagons in die falsche Richtung laufe. So kann man auf dem Provinz-Flughafen im Berliner Norden natürlich auch ein wenig Zeit totschlagen. Irgendwann habe ich mein Ziel erreicht und nach der Passage der bemitleidenswert peinlichen Security-Schleuse beginnt dann der erste Flug meines Lebens mit der „Austrian Airlines“. Der Flug nach Wien wird heute in erster Linie von amerikanischen und asiatischen Europatouristen und diversen Business-Kläusen frequentiert.

Die Fluggesellschaft spielt vor dem Start klassische Musik ein, vermutlich um Junkies zu vertreiben. Kaum hat der Flugzeug-DJ Mozart per Fadeout ausklingen lassen, höre ich vor meinem geistigen Auge bereits Yvonne Stresser die Sicherheitsanweisungen vorlesen und staune erneut, wie die Dame ihrem Namen alle Ehre machen kann.

Nur kurz darauf verteilen die eintönig gekleideten Stewardessen (rote Pumps, rote Strumpfhosen, roter Rock, rote Bluse, roter Blazer, rote Kappe) Snacks und Getränke auf’s Haus. Prinzipiell ja ganz nett, aber die für mich zuständige Landpomeranze, die sich im österreichischen Bewerbungsverfahren womöglich ausschließlich gegen eine Kuh durchsetzen musste, nimmt dem ganzen Vorhaben jeglichen Esprit. Nachdem sie mir bereits vor Abflug ihr voluminöses Gesäß zwei Mal gegen meinen Oberkörper gerempelt hat, schüttet sie mir nun noch etwas Kaffee über die Hose. Sichtlich mit Scham erfüllt fragt sie nach, ob sie mich „berührt“ hätte. Mit Blick auf ihre behaarten und kräftigen Unterarme verkneife ich mir eine ehrliche Antwort, beiße in meine gratis Mannerwaffel, nehme einen Schluck geschenkten Orangensaft von Rauch und lüge: „Nein, nein, alles gut!“ Zumindest für österreichische Verhältnisse. Im weiteren Verlauf des Fluges tröste ich mich dann mit einer Assoziation, die mich permanent zum Schmunzeln bringt. Immer, wenn die dicke Rote an mir vorbeirollt, muss ich an einen „Babybel“ denken und lächle. Sie lächelt zurück. So beginnen große Liebesgeschichten!

Am Ende des Fluges streitet sich meine Zukünftige noch mit einem Business-Klaus um einen Laptop, der ihrer Meinung nach zu groß ist, um ihn während des Landeanflugs im Gepäcknetz zu lassen. Klaus ist etwas hartnäckiger als ich, muss am Ende aber auch klein beigeben, als sie ihm mitten in der noch nicht ganz abgeschlossenen Diskussion das Gerät schlichtweg aus der Hand reißt und es burschikos in die Kofferablage stopft. Nach der Landung schmeißt mir eine dumme Amerikanerin noch eben schnell ihren Koffer auf den Kopf („Items may fall out!“ – hat Frau Stresser doch vor wenigen Sekunden gesagt!) und dann wird auch bereits wieder klassische Musik eingespielt. Ach, hätte ich mich vorhin doch bloß vertreiben lassen!

In Wien ist das Hotel am Westbahnhof schnell gefunden. Fetti freut sich über seinen sozialen Aufstieg – gerade noch Atzenhof in Fürth, jetzt schon Fürstenhof – und reist dann bei über 30 Grad mit der U-Bahn zur Donauinsel. Dort wird zunächst stilecht in einer griechischen Taverne gespeist und anschließend in der gegenüberliegenden Strandbar der „Sunken City“ ein kühles Bier genossen. Nebenan springen diverse attraktive Menschen in die Fluten der Donau. Während meines Sonnenbades stelle ich fest, dass der nahe gelegene Balkan den Wiener Frauen nicht unbedingt geschadet hat und so vergehen die Stunden in dem Sonnenstuhl wie im Flug.

Der Weg zurück zum Hotel führt Fetti per Pedes über die Ringstraße. Während man etwas touristischen Input erhaschen und die eine oder andere Sehenswürdigkeit passieren kann, rattert eine nostalgische Straßenbahn vorbei. Diese hört auf dieser Strecke auf den klangvollen Namen „Ringbahn“. Da kannste als Berliner nich meckern, nur schmunzeln!

Am nächsten Morgen zieht es Fetti, noch schwer gezeichnet vom gestrigen ORF-Fernseherlebnis im Fürstenhof (SC Rheindorf Altach gegen den georgischen Riesen ჩიხურა საჩხერე, der in deutschen Medien entweder mit Tschichura Satschchere oder Chikhura Sachkhere transkribiert wird), via Wien-Hütteldorf und Wien-Meidling nach Graz. Auf der letzten Zugetappe der Reise kommt sein Zug auf offener Strecke zum Stehen. Eine Durchsage klärt auf, dass im vorausliegenden Streckenabschnitt ein Güterzug liegen geblieben sei. Eine alte Frau lässt ihren Gedanken freien Lauf: „Herrschaftszeiten, könnt’s net einmal pünktlich in Graz sein?“

Die österreichischen Boulevardmedien fiebern derweil einer TV-Sendung entgegen, die in drei Tagen stattfinden und Hasskommentare gegenüber Natascha Kampusch (u.a.) thematisieren wird. Den Teaser liefert ein User namens Jürgen, der ein Foto von der Natascha wie folgt kommentiert: „G’scheit fett worden, die Dame – auf Staatskosten?“. Die logische Konsequenz: Empörung auf Seite 1 und die bittere Erkenntnis, dass man fortan in Österreich also offiziell keine schlechten Scherze mehr über das einstige Entführungsopfer machen darf. Nutzen wir aber die Gunst der Stunde und zitieren angesichts der Zugverspätung und der schlechten Laune im Abteil noch eben schnell Josef Fritzl, bevor auch das verboten sein wird: „Die Stimmung ist hier im Keller!“.

In Graz angekommen stehen diverse pflichtbewusste Österreicher bereits 30 Minuten vor Abfahrt des SEV-Busses nach Wolfsberg ordentlich in einer Schlange. Spätestens da hüpft Fettis deutsches Herz aber wieder im 4/4-Takt!

Nur eine Stunde später ist Wolfsberg erreicht. Dort versuche ich mich zugleich mittels einiger Kugelschreibernotizen zu orientieren und den Weg zu meiner Pension anzugehen. Leider stellt sich recht bald heraus, dass es keine Straßenschilder und keine Einheimischen gibt, die einem weiterhelfen können. Es ist leider ein Phänomen, dass ortskundige Einheimische in Dörfern kurze Wegstrecken so verkompliziert erklären, dass man den Eindruck gewinnt, man müsse ein Mal quer durch New York, um sein Ziel zu erreichen. Mindestens.

Ich irre in Folge mit meinem Reisegepäck durch die Mittagshitze. Ein letztes Mal versuche ich durchgeschwitzt und abgekämpft mein Glück und halte eine herbeiradelnde ältere Dame an, um diese nach dem Weg zu fragen. Diese sagt, sie sei in Eile, da sie auf dem Weg zu einem Friseurtermin sei. Aber auch das kann sie nicht davon abhalten, einen weiteren Monolog zu starten. Nicht einmal hektische Österreicher können auf simple Wegstreckenfragen „rechts-links-geradeaus-zack“ antworten. Als ich bereits die Hälfte des Gesagten wieder vergessen habe, falle ich ihr ins Wort und frage, ob das fußläufig zu schaffen sei oder ob ich mir lieber ein Taxi organisieren sollte. Die Dame holt umgehend ihr Handy heraus und sagt: „Warten’s, i ruf Ihnen gschwind den Josef herbei!“.

Da man als Taxifahrer in Wolfsberg offenbar so viel nicht zu tun hat, biegt der Josef mit seinem Gefährt geschätzte 1 Minute und 17 Sekunden später auch bereits in die Zielstraße ein. Im Hintergrund verstaut die Dame (in Eile) in aller Seelenruhe ihr Mobiltelefon in der Handtasche. Ich bedanke mich für ihre Hilfe und erkläre kurz darauf dem Josef, dass ich in den Gasthof Silberberg will, aus Berlin komme und der Anlass meiner Reise das Fußballspiel des 1.FC Union Berlin beim Wolfsberger AC ist. Er ist schier aus dem Häuschen und fährt mich für einen absoluten Freundschaftspreis von 5 Euro quer durch New York und entlässt mich dann mit freundlichen Wünschen vor der Pension aus seinem Taxi.

Nur wenige Sekunden nachdem er mir einen schönen Tag gewünscht hat, beginnt es furchtbar zu grummeln. Gerade habe ich mein Zimmer erreicht, schon wird das Donnern intensiver und der Himmel öffnet seine Schleusen. Als dann auch noch dicke Hagelkörner auf das Blechdach vor meinem Fenster prasseln, darf die Austragung des heutigen Spiels zumindest kurz in Frage gestellt werden.

Glücklicherweise ist jedoch nach nur 45 Minuten der Weltuntergang vorüber und die Sonne bahnt sich nach und nach ihren Weg durch die dichte Wolkenschicht. In der Gaststätte der Pension (kein Mittagsmenü zwischen 07.07.17 und 11.09.17) führe ich ein nettes Gespräch mit dem Gastwirt Erwin, der den Betrieb als Quereinsteiger übernommen hat und seit einem halben Jahr erfolgreich führt. Noch bevor ich mein Auswärtsschnitzel bestelle, rutscht mir ein Lob über die kleine Speisekarte über die Lippen. „Ja, hier wird frisch gekocht!“, bestätigt Erwin sogleich. Auch meinem Sonderwunsch nach Bratkartoffeln kann er entsprechen. Als ich jedoch über die Tiefkühldesaster vergangener Bestellungen (Gubin, Wien) schwadroniere, schlafen ihm kurz die Gesichtszüge ein. Verdammt, hab ich mir wieder so einen elenden Foodblogger eingetreten, mag sich Erwin denken, ist sich dann jedoch nicht zu schade, das wirklich gute Schnitzel mit langweiligen TK-Wedges zu servieren.

Im Anschluss an das Festmahl samt Villacher Pils lege ich die 300 Meter bis zur Spielstätte beschwingt zurück. Das Wetter ist nach wie vor stabil und der Eintrittspreise in Höhe von 10 Euro ist es ebenfalls.

Ich betrete das Sportstadion Wolfsberg, welches sich nun neudeutsch „Lavanttal-Arena“ schimpft und mit diesem vor Lokalkolorit triefenden Namen Bezug auf die Region mitsamt ihres Flusses Lavant nimmt. Auf der neuesten Tribüne, die zusammen mit dem Gästeblock im Jahre 2012 nach dem erstmaligen Aufstieg des WAC in die österreichische Bundesliga errichtet wurde, finde ich schnell einen Platz. Nach Abschluss dieser 2,5 Millionen Euro teuren Bauarbeiten kann die Sportstätte eine Kapazität von 7.300 vorweisen. Ich blicke heute von der Heimseite auf die knapp 70 Schlachtenbummler aus Berlin und kann den Anpfiff kaum erwarten, da der Stadionsprecher „Woooooo sind die Faaaaaaans aus Berliiiiiiin?“ schreiend in etwa genau so sehr nervt wie das Wolfsgeheuel vom Band, das hier die Stimmung anheizen soll. Bei einem kühlen „Puntigamer“ eröffnet der Schiedsrichter der Partie.

In der 17. Minute verlässt Toni Leistner das Feld auch schon wieder. Sogleich trudeln die besorgten Nachrichten aus Berlin ein. Was ist geschehen? Ich persönlich gehe davon aus, dass um kurz nach 19.00 Uhr Helmut Schultes Telefon geklingelt haben könnte. Am anderen Ende der Leitung der Norwich City FC. „Ok, our last offer for Toni: 4,500,000 £! But he should be completely healthy! What is he doing at the moment?“ und Helmut so, Sekunden bevor er wild mit den Armen rudernd Zeichen an die Bank senden kann, „ääähm, well, just having Diner!“. So (oder so ähnlich) muss es gewesen sein.

Eine Viertelstunde später gehen die Hausherren mit 1:0 in Front. Nach einem schönen Zuspiel aus dem Mittelfeld steht Issiaka Ouédraogo urplötzlich alleine vor Torwart Busk und bleibt kalt wie eine Hundeschnauze. Lange hat die Führung jedoch keinen Bestand, da Union nur fünf Minuten später durch den in guter Frühform befindlichen Hosiner zum 1:1 ausgleichen kann.

Im zweiten Spielabschnitt läuft Union zunächst unverändert auf, während die Hausherren auf vielen Positionen wild durchrotieren. Dennoch gelingt dem Außenseiter in der 55. Minute die erneute Führung. Gschweidl trifft aus dem Rückraum, nachdem ein Spieler Wolfsbergs bis zur Grundlinie durchgedrungen war und den Ball mustergültig zurückgespielt hatte. Die schnellen und technisch versierten Flügelspieler Hartel und Gogia drücken dem Spiel nach dem Gegentor aber immer mehr ihren Stempel auf und bringen die Gastgeber das eine oder andere Mal in Schwierigkeiten. Schnell zahlt sich der wachsende Druck aus und Hartel kann das Spiel nach gut einer Stunde wieder egalisieren. Nach dem 3:2 durch Fürstner in der 64. Minute tauscht auch Union auf neun Positionen, was einen kleinen Bruch im Spiel zur Folge hat.

Ein deutlich betrunkener Fan des WAC, Phänotyp „Waldschrat“, fühlt sich derweil von Schiedsrichter Krassnitzer verschaukelt. „Schiedsrichter, schwarze Mafia!“ blökt er gefühlt 400 Mal durch das Lavanttal, während die in jeglicher Hinsicht üppig ausgestattete Schankwirtin mit einem Tablett voller Bier über die Tribüne stolziert und den Krakeeler so dann und wann wenigstens für wenige Minuten zum Schweigen bringt. Als das nächste Bier geleert ist, ändert sich der Text. „Marcel, Ausgleiiiiiich! (3x)“ wird nun zum Dauerbrenner inklusive Einsatz einer Holzrassel, der so lange zum Besten gegeben wird, bis Cihan Karahman nach einem Torwartfehler in der 83. Minute das Spiel mit dem Treffer zum 4:2 entscheidet. Da verliert dann auch der eingefleischte Fan den Glauben in den eingewechselten Marcel Monsberger.

Am Ende des Abends kehre ich noch einmal in den Biergarten des Gasthofs ein. Erwin schickt mir seine hübscheste Kellnerin und sein bestes Bier, während ich erste Notizen für den Reisebericht anfertige. Morgen werden in Wolfsberg übrigens 29 Grad erwartet und ich plane einen Besuch des Freibads in der Nähe des Stadions. Mensch, ist ja fast wie Sommerurlaub… /hvg