Posted on November 26, 2016
26.11.2016 1. Göppinger SV – Bahlinger SC 1:0 (1:0) / Stadion an der Hohenstaufenstraße, Nebenplatz / 350 Zs.
Am 26. November empfängt mich Stuttgart mit einer kleinen Überraschung. Aufgrund der erhöhten Feinstaubbelastung unternimmt die Stadt einiges, um den motorisierten Verkehr im Talkessel einzudämmen. Heute sind die Stadtherren auf die großartige Idee gekommen, allen Menschen ermäßigte Kindertickets im öffentlichen Nahverkehr anzubieten. So kommen der Schwabe und meine Wenigkeit in den Genuss, für lediglich 3,60 € pro Person die knappen 30 Minuten Fahrtweg mit der Regionalbahn nach Göppingen zurücklegen zu dürfen.
Dort wartet am Hauptbahnhof bereits ein ansprechendes Willkommenskomitee, welches aus dem FUDU-Pärchen und unserem Göppinger Gastgeber Jay samt Begleitung besteht. Da auch der Wirtschaftsflüchtling überraschend pünktlich aus München kommend dazustößt, kann direkt mit dem Sightseeing auf dem Fußweg zum Stadion an der Hohenstaufenstraße begonnen werden.
FUDU legt zunächst in der lokalen Sparkasse einen kurzen Zwischenstopp ein. Während man in Brandenburg an der Havel vor wenigen Wochen fünf Euro als kleinstmögliche Auszahloption wählen konnte, sind es in Göppingen 50. So kann man sich auch ohne acht Semester Studium einen Überblick über die Prosperität deutscher Städte verschaffen.
Im Vorbeigehen erhaschen wir im Anschluss einen Eindruck von der Innenstadt Göppingens, die, wie in diesem Land zu dieser Jahreszeit üblich, von kitschigen Holzbuden, aus denen heraus erwärmter Alkohol verkauft wird, zugestellt ist. Die Agentur für Arbeit in Göppingen hat es offensichtlich nicht ganz leicht, wenn selbst die überdimensionierte Schautafel der gegenüberliegenden Zeitarbeitsfirma Frey unter der Überschrift „Wir stellen ein:“ aktuell gähnende Leere aufweist. Auch die Volkshochschule droht den Anschluss zu verpassen, da sie laut Aushang noch immer auf VHS setzt und die Blue-Ray-Revolution offenbar in Gänze verschlafen hat.
Kurz nachdem dieser Flachwitz von der gesamten Reisegruppe verdaut ist, befinden wir uns bereits auf der kilometerlangen Hohenstaufenstraße. Je näher wir dem Stadion kommen, desto trostloser wird das Ambiente. All die architektonischen Verbrechen der 70’er Jahre kulminieren hier in Form eines tristen Wohnblocks, der einem in seiner grauen Gänze Geschichten von sozialem Elend aus allen zwölf Etagen entgegenschreit. Im Innenhof sitzt ein alter Mann einsam auf einer Wippe und wartet auf einen in etwa gleich schweren (und bestenfalls gleich betrunkenen) Konterpart.
Wenige Meter später wird die Reisegruppe mit der bitteren Wahrheit konfrontiert, dass das Spiel heute nicht im Stadion, sondern auf einem Nebenplatz auf Kunstrasen stattfinden wird. Aufgrund der Witterungsverhältnisse ist der Rasen der Göppinger Oberligaspielstätte leider nicht betretbar. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite haben die Verantwortlichen flugs einen kleinen Imbiss und einen Fanartikelstand errichtet. Für sechs Euro erhalten wir ermäßigten Eintritt, ohne einen Berechtigungsnachweis erbringen zu müssen. Aber notfalls hätte ich die Feinstaub-Kinderkarte parat gehabt.
Noch vor Anpfiff stellt sich heraus, dass meine gesamte Spielvorbereitung für die Katz gewesen ist, da ich Balingen mit Bahlingen verwechselt habe. Es spielt also nicht der 13. gegen den 3., sondern der 13. gegen den 12. – schade, dass dieser Anlass zu einer polizeikritischen Mottofahrt nicht genutzt wurde.
Bevor der Ball über das künstliche Grün rollen kann, darf der Stadion-DJ noch eben schnell das Worst-Of aktuell verfügbarer Popmusik abspielen und gefühlte zwei Stunden lang die Aufstellungen beider Mannschaften verlesen. Der Star des Spiels sitzt dabei unbestritten auf der Trainerbank der Gäste. Zlatan Bajramović ist sicherlich ein Name, den man als Fußballfan schon einmal gehört haben sollte.
Das Spiel beginnt. Die offiziell 350 Zuschauer haben sich rund um den unausgebauten Kunstrasenplatz an der Barriere versammelt. Bei Wurst und Bier liegt der Fokus aber bereits jetzt auf dem Handballspiel am heutigen Abend (welches auch FUDU besuchen wird) und die Menschen um uns herum schließen erste Wetten ab, ob ihr geliebtes Frisch Auf Göppingen die Europapokalhürde Pfadi Winterthur überspringen können wird. Nach wenigen Minuten Spielzeit hat dann auch ein Unioner, der in der Nähe von Ulm lebt, den Weg zu uns gefunden. Die 32 Kilometer hat er stilecht mit dem Fahrrad zurückgelegt und steht nun in Tour-de-France-Montur an der Seitenlinie und versperrt den Sanitätern in zweiter Reihe auch noch den letzten freien Blick auf das Spielfeld.
Als das 1:0 per Kopf durch Armbruster nach einem Freistoß für den Aufsteiger aus Göppingen fällt, befindet sich Nadjuschka gerade auf der Toilette, die hier an der Hohenstaufenstraße mit dem wunderbaren Wort „Abort“ gekennzeichnet ist. Es wird eine kurze Diskussion darüber entfacht, dass selbiges Wort auch einen Schwangerschaftsabbruch und/oder eine Fehlgeburt benennt und daher auf keinem Damen-WC angebracht sein sollte, während die Betreuer der Heimmannschaft die Eckfahne wieder herzurichten versuchen, die der Torschütze im Eifer des Jubelgefechts aus den Angeln getreten hat. Immerhin gelingt es nach einigen Minuten harter Arbeit, die nun um etwa ein Drittel verkürzte Fahnenstange zu befestigen und das Spiel kann seine Fortsetzung finden.
In der 36. Spielminute gibt es einen Pfostenschuss für die Gastmannschaft zu notieren. Dieser sehenswerte Schuss von Sautner aus gut 30 Metern hätte einen Treffer verdient gehabt!
Im zweiten Spielabschnitt haben die Gäste aus Bahlingen dann in Rückstand liegend nicht sonderlich viel zuzusetzen, während der 1. Göppinger SV seinerseits zwei-drei gute Gelegenheiten ungenutzt lässt, das Spiel frühzeitig zu entscheiden. Bereits gegen 15.00 Uhr beginnt es in Göppingen zu dämmern, etwas Nebel zieht auf und die Breitensport-Flutlichtmasten auf dem Kunstrasenplatz illuminieren das triste Setting notdürftig. Um 15.09 Uhr fällt ein Mast aus, um 15.11 Uhr der zweite, um 15.13 Uhr dann alle. Im Osten wäre das nicht passiert.
Der Fahrradfahrer macht sich angesichts der Witterung rechtzeitig auf den Rückweg und wir laben uns an den Kleinigkeiten, die das Leben schöner machen. Ein Akteur der Göppinger heißt „Loser“. Nee, wat ham wa wieder jelacht.
Die favorisierten Gäste aus Ba(h)lingen werden durch eine gelb-rote Karte gegen Bührer personell dezimiert und haben im Anschluss nur noch eine einzige Konterchance, die nicht zum Ausgleich abgeschlossen werden kann.
Nach dem Spiel kehren wir in der Stadiongaststätte „Platzhirsch“ ein. Dort überzeugt zunächst der Wirt mit Juventus-Tattoo, dann das Kaiser-Export aus Geislingen („a gscheits Bier“) und letztlich die Speisen. Weniger überzeugend verläuft im Hintergrund die Saisonabschlussfeier der ersten Herren, die hier Profitum simulieren. Oh man, so viele aufgetakelte Spielerfrauen findet man sonst wohl nur in den VIP-Räumen der Bundesligisten. Auch die überreichten Präsente an den Vorstand und an die Sponsoren gehen mit hochnotpeinlichen Reden des Kapitäns einher.
Wir verlassen die Szenerie mit einem Großraumtaxi und geben stilsicher den Vorplatz der Hohenstaufenhalle als unser gewünschtes Ziel an. Dort haben sich bereits einige hundert Fans Frisch Aufs eingefunden und beäugen uns nun wie Stars, die einen roten Teppich entlangflanieren. Es erwartet uns die „Hölle Süd“, das Stadion mit der besten Handballatmosphäre, wie uns Jay vollmundig verspricht. Für FUDU hat diese Partie einen besonderen Beigeschmack, war doch der Ausflug nach Winterthur im März 2015 einer der wohl schönsten Ausflüge FUDUs überhaupt. Bis heute besteht sporadischer Kontakt zu einem Vereinsverantwortlichen des FCW, der auf kurze Nachfrage zum Verhältnis des Winterthurer Handball- zum Fußballclub nur folgendes antwortet: „Die Geldsäcke mögen wir nicht!“. FUDU ist überzeugt und drückt Frisch Auf die Daumen.
Die Halle ist mit ihren alten Holzbänken und der Nähe zum Spielfeld ein echter Hingucker. Etwas in die Jahre gekommen hebt sie sich wohltuend von all dem in Deutschland verfügbaren Arena-Einheitsbrei deutlich ab. Leider wird jedoch schnell klar, dass es sich auch bei der „Hölle Süd“ um eine Klatschpappenhölle handelt, da diese Unsitte der Fan-Nicht-Kultur auch hier großflächig verteilt worden ist. Im Spiel wird es dann auch nur sehr wenige Gesänge und Anfeuerungsrufe geben, da sämtliche Bemühungen des Göppinger Fanblocks vom Krach des Altpapiers erstickt werden. Im Winterthurer Gästeblock sitzt eine dicke Frau mit Pauke, die vollkommen emotionslos und unabhängig vom Spielverlauf monotone Geräusche von sich gibt. Oh, Jay-mine, is das fadi.
Die Uhr gibt dann und wann ihren Geist auf und ein kleiner Hausmeister mit Schnurrbart und ADHS eilt die Tribüne auf und ab, wackelt an Kabeln und krabbelt hektisch unter Tischen herum. Der Ersatztorwart der Heimmannschaft heißt Prost, der Zuschauer vor uns hat „Schwuchtel“ auf seinem Trikot stehen, vermutlich, ohne die Doppeldeutigkeit des Sponsorenaufdrucks zu kennen. Am Ende gewinnt Frisch Auf das Spiel deutlich und FUDU die Erkenntnis, dass man wohl niemals wieder ein Handballspiel besuchen wird. Jedenfalls nicht in Göppingen. Es sei denn, man erhält mit einer Feinstaubkarte ermäßigten Eintritt. Und gscheits Bier. /hvg
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