127 127 FUDUTOURS International 26.04.24 18:06:08

25.03.2017 AS Pro Piacenza 1919 – Lupa Roma FC 0:0 (0:0) / Stadio Leonardo Garilli / 390 Zs.

Einige Wochen vor dem Abflug von Berlin nach Bergamo sorge ich mich ein wenig über die zu erwartende Qualität des Reiseberichts, welchen ich in gut einem halben Jahr abliefern muss. Was zur Hölle soll man schon erleben, wenn man gefühlt zum 100. Mal von Berlin-Schönefeld nach Bergamo fliegt? Doch Vorbereitung ist die halbe Miete und so hat der freundliche Fetti im Vorfeld der Reise offenbar ein recht unterhaltsames Drehbuch verfasst und dank seiner guten Kontakte schnell an eine Seifenopernagentur verkaufen können. Nun betreten drei weibliche Komparsen mittleren Alters die RyanAir-Maschine und nehmen in der Reihe hinter meiner Wenigkeit, dem Hoollegen und Nadjuschka Platz. Keine 30 Sekunden später beginnen sie den feinen Serienstoff in breitem berlinerisch zum Amüsement der Reisegruppe wiederzugeben: Leider hat die rothaarige Celina die Schule nicht geschafft. Onkel Freds Geburtstag beim Chinesen hat aber allen Spaß bereitet, obwohl Michelle und Tyson den Laden zeitweise ganz schön aufgemischt haben. Glücklicherweise ist nun auch endlich das Pflegegeld von Tante Ute bewilligt worden. Und, weil Fetti ein echter Kumpel ist, hat er sich als Schauplätze der Geschichten die Orte Borsigwalde und Tegel einfallen lassen, was mir in Erinnerung an meine glückliche Kindheit ein Lächeln auf das Gesicht zaubert und mich emotional besonders nahe an den Plot rücken lässt.

Wir könnten stundenlang zuhören, wäre da nicht diese aufgetakelte Russin eine Reihe vor uns, die unsere Aufmerksamkeit auf sich lenkt. Ihr stilles Wasser zahlt sie stilecht mit einem 50-Euro-Schein, was den Flugbegleiter aufgrund fehlenden Wechselgeldes in Schwulitäten bringt. Er vertröstet die Dame auf später und setzt seine Arbeit in der Maschine fort. Zwei-Drei Mal wird er in den kommenden zehn Minuten an der Dame vorbeilaufen, um eingegangene Essensbestellungen aus der Bordküche zu organisieren. Ein jedes Mal wird ihn die Dame aufhalten und ihn nach dem Wechselgeld fragen. Beim vierten Mal platzt dem Steward der Kragen und sorgt in unserer RyanAir Sitcom („Quatsch mit Reiner“) für den nächsten Lacher: „Junge Frau, ich werd‘ hier mit ihrem 50 Euro schon nicht abhauen können. Das ist ein Flugzeug – und ich fliege hier auch bis zum Ende mit!“.

Nur wenig später befinden wir uns in der italienischen Regionalbahn in Richtung Piacenza, wo heute der Besuch eines Spiels der dritten Liga für uns ansteht (genauer: Lega Pro 1, Girone A, welche die beiden Big-Player Piacenza Calcio und den AS Livorno beheimatet). Offensichtlich reist der gemeine Drittligafußballer Italiens auch gerne mit der Bimmelbahn, anders ist es nicht zu erklären, warum gleich mehrere athletische und passabel trainierte Reisegäste mit Pro Piacenza Sporttaschen die Gänge passieren. Schnell haben wir den Weg vom Bahnhof Piacenza zu unserem Hotel gefunden, vor dem der Wirtschaftsflüchtling aus München kommend sein Firmenwagengeschoss auf Kopfsteinpflaster bereits in der Pole Position abgeparkt hat. „Warum treffen wir uns eigentlich freiwillig im Bielefeld Italiens?“, fragt er und erwartet ganz offensichtlich eine fundierte Antwort auf diese Frage. Als hätte sich irgendjemand von uns auch nur ansatzweise über das Reiseziel informiert. Nur das Stadion, das haben wir alle im Vorfeld gesehen – und das ist wunderschön. Reicht doch!

Im Hotelzimmer schaltet Fetti erst einmal den Flatti ein. Ein stillschweigendes Abkommen innerhalb der Gruppe besagt, dass im Ausland Musikvideos geschaut werden müssen. Heute wartet der italienische Videoclipchannel dann auch direkt mit längst vergessener musikalischer Hochkultur in Muttersprache  auf. Als es aufgehört hat, im Karton zu rappeln, kann der kulturell interessierte Teil FUDUs endlich mit dem Innenstadtsightseeing beginnen.

Piacenza hat knapp 100.000 Einwohner. Das Industrie- und Handelszentrum der Emilia-Romagna ist bekannt für seine Erdgas- und Erdölraffinerien und für die Herstellung von Zement, Plastik und landwirtschaftlicher Geräte. Da gerät die deutsche Kartoffel natürlich in absolute Verzückung, so muss sich Dolce Vita anfühlen! Wir jedenfalls schlendern kurz am Dom vorbei, wobei ein kleiner Markt die Sichtachse auf das an sich schöne Gebäude versperrt. Wahrscheinlich hat die UNESCO zu viele Kontrolleure in Potsdam-Babelsberg zur Bewachung der Flutlichtmasten abgestellt, sodass dieser Frevel in Piacenza ungesühnt bleibt. Eine kleine Altstadtgasse gibt es zu bewundern und dann ist zur Erleichterung aller, besonders zu der des Wirtschaftsflüchtlings, das kräftezehrende Sightseeing bereits abgeschlossen und wir machen uns fußläufig auf in Richtung Stadio.

Der gleißende Sonnenschein stellt ganz klar einen attraktiven Begleitumstand dieser etwas ernüchternden Eindrücke dar und auch das Birra Moretti für den Weg weiß zu munden. Am Stadion angekommen, staunen Fetti und die vier Sparschweine FUDUs angesichts der Preisgestaltung erst einmal nicht schlecht, will man in Italiens dritter Liga doch tatsächlich 15 € für einen Stehplatz auf der Hintertortribüne, 20 € für die Tribuna Laterale und 30 € für einen Sitzplatz auf der mächtigen Haupttribüne über den Tresen wandern sehen. Unser polyglotter Multilinguist mit Quedlinburger Wurzeln übernimmt in italienischer Sprache die Verhandlungen. Wäre doch gelacht, wenn unter diesen brillanten Voraussetzungen nicht vier ermäßigte Studententickets à 15 € dabei herumkommen könnten. Der Wirtschaftsflüchtling beginnt zu diskutieren, zu gestikulieren. Eine wilde Viertelstunde später steht fest: Nee, keine Chance. Nur die „Donna“ darf für 15 € passieren, der Rest hat gefälligst den Vollzahlerpreis zu löhnen und ich muss schmunzelnd an einen Werbespot aus den Neunzigern denken.

Warum man an den Kassenhäuschen seine Ausweise abgeben und seine Daten verramschen muss, kann spätestens bei der Passage der Ordnerschleuse kritisch in Frage gestellt werden. In Piacenza interessiert es die Sicherheitskräfte der dritten Spielklasse jedenfalls nicht, welche Namen auf welche Tickets gedruckt sind und so führt der Hoollege das System ad absurdum, indem er mit der Eintrittskarte seiner hoolden Maid in den Händen komplikationslos durchgewunken wird.

Es ist der 31. Spieltag der Saison 2016/17. Der kleine Verein aus Piacenza befindet sich aktuell auf Tabellenrang 10, der Gast aus der Hauptstadt rangiert als 18. und somit Vorvorletzter der Tabelle. Das Spiel in dem überdimensionierten und nahezu menschenleeren Stadion mit heute 21.300 verwaisten Plätzen beginnt vielversprechend. Bereits nach acht Spielminuten landet das Spielgerät nach einem auf den langen Pfosten getretenen Freistoß im Netz, doch der Schiedsrichter verweigert dem Treffer der Hausherren aufgrund einer vermeintlichen Abseitsstellung die Anerkennung.

Während wir erwartungsfroh der Dinge harren, die noch so kommen mögen, beginnt der Herr eine Reihe vor uns in seiner Zeitung zu schmökern. Der Mann ist wohl öfters hier und kann durch einen solchen Spielbeginn nicht so schnell auf das Glatteis geführt werden. Wir amüsieren uns königlich, dass es Menschen gibt, die mindestens 20 € bezahlen, nur um in Ruhe Zeitung lesen zu können und auch die Werbeanzeige seiner Gazetta sorgt für eine neue Erkenntnis: Die Mona Lisa ohne Haare sieht aus wie Wladimir Putin. Sachen gibt’s.

Unser Interesse an dem Spiel verflüchtigt sich nicht ganz so schnell wie das Freistoßspray des engagierten Herren in Neongelb. Zwar sitzen wir ab der 15. Minute leider gänzlich im Schatten des Tribünendachs, doch auf dem Rasen gibt es zumindest im ersten Spielabschnitt einige erwärmende Szenen zu bestaunen. Nach 20 Minuten lassen die Gäste eine Großchance liegen, zehn Minuten später scheitert Pro Piacenzas Stürmer Riccardo Musetti freistehend vor dem Torwart. Die Halbzeit endet mit einem weiteren Abseitstor, dieses Mal nach einem schön vorgetragenen Konter der Lupa Roma. Kurz darauf eilen die Akteure der Gäste in die Katakomben, in denen vielleicht bereits die Wölfin auf ihre hungrigen Kinder wartet. Abstiegskampf auf dem Rasen, aber jetzt geht’s um einen Zitzenplatz!

Die zweite Halbzeit beginnt. In dieser gibt es keine bessere Beschäftigung, als Zeitung zu lesen oder es den Balljungen gleichzutun, die auf der Tartanbahn selbst mit dem Fußballspiel beginnen. Wir haben nach einem kleinen Spaziergang in der Halbzeitpause, der dank des verspäteten Wiederanpfiffs gut 20 Minuten Sonnenstrahlenbetankung eingebracht hatte, nun in einer anderen Reihe Platz genommen und stellen fest, dass der Zufall den Wirtschaftsflüchtling auf Schale Nummer 1312 getrieben hat. Leider hat bereits irgendein anderer Hoppertrottel den entsprechenden Aufkleber gestohlen, sodass an dieser Stelle kein Souvenir in den FUDU-Fundus wandern kann. Bleibende Erinnerungen an dieses Spiel in Form blauer Flecken erhält derweil Piacenza-Keeper Ermanno Fumagalli, der vom mindestens 2,20 Meter großen und 140 Kilogramm schweren Stoßstürmer Mohamed Fofana über den Haufen gerannt wird. Im Anschluss schaltet die Partie in den niveauarmen Leerlaufmodus und trudelt gut 35 Minuten ereignisarm einem traurigen 0:0 entgegen. Erst in der 93. Minute reißt es noch einmal alle 390 Zuschauer aus den Sitzen, als Spanienlegionär Jonathan Aspas die Römer Gästeverteidigung uralt aussehen lässt, letztlich aber scheitert und den Matchball liegen lässt. Dennoch darf an dieser Stelle der Hinweis nicht fehlen, dass Aspas in seiner Karriere bereits für ALKI Larnaca spielte. Schafft ja auch nicht jeder, sein Hobby zum Beruf zu machen.

Auf dem Rückweg in die Innenstadt treffen wir vor dem Eurospar den Moretti-Mann (nicht den mit Kommissar Rex an der Leine, sondern den mit grünem Hut und Schnurrbart) und fühlen uns von dieser grandiosen Werbemaßnahme animiert, noch ein kühles Blondes zu konsumieren.

Auf der Suche nach einem geeigneten Restaurant setzt dann leichter Regen ein und wir werden in die erstbeste Bar gespült, die an der frischen Luft überdachte Plätze anbietet. Dort werden weitere Getränkespezialitäten probiert und die freundliche Küche grüßt uns nahezu im Viertelstundentakt. Bruscetta, Chips, Insalato, Grissini… alles auf’s Haus und rein in die Schweinemägen! Der Regen wird stärker und stärker und etliche afrikanische Regenschirmverkäufer gewittern das große Geschäft. Während der ein oder andere Passant aus seiner Notlage heraus zuschlägt, verbringen wir einfach eine weitere gemütliche Stunde unter der regenabweisenden Plane und kehren erst gegen 19.30 Uhr zurück in das Hotel.

Zwei Stunden später haben die Mastschweine FUDUs zwar immernoch keinen Hunger, aber einen italienischen Abend sollte man immer zwingend in einer Trattoria ausklingen lassen. Bei Gnocchi, Pferderagout und Co wird auch die eine oder andere Karaffe Vino della Casa geleert. Der Wirtschaftsflüchtling gerät in Fahrt und redet sich um Kopf und Kragen. So bricht er im Keller der Trattoria ein legendäres Streitgespräch vom Zaun, an dessen Ende mehrere Menschen unheimlich genervt und von seinem Rundumschlag betroffen sein werden und welches er zu allem Überfluss mit einem lakonischen: „Aber eigentlich ist mir das eh alles egal“ abschließen wird. Als FUDU die Rechnung beglichen hat, steige ich etwas missgestimmt die Treppen hinauf, um die Toilette aufzusuchen. Dort angekommen, hat auch mein Handy endlich wieder Empfang und ich erhalte eine SMS, die seit gut einer Stunde auf Zustellung wartete und in der Pipeline hing. „Wir müssen den Wirtschaftsflüchtling vom Wein fern halten, das wird sonst übel enden“, steht dort geschrieben. Ein feines Gespür hat sie also, die Dame am Tisch und so trägt nachgewiesenermaßen ausschließlich die Technik Schuld an einem etwas aus den Rudern gelaufenen Abend.

Am nächsten Morgen erwartet uns der Wirtschaftsflüchtling im „Out-of-Bed-Look“ auf Socken, in kurzer Hose und Olympique Marseille Trikot am Frühstücksbuffet. Schnell ist die Sache von gestern Abend aus der Welt geschafft und man verabschiedet sich gut gesättigt voneinander. Dreiviertel der Reisegruppe eilen zum Bahnhof, um um 8.58 Uhr die Weiterfahrt via Milano Centrale nach Vicenza antreten zu können. Der Wirtschaftsflüchtling braust mit seinem Audi aus dem italienischen Bielefeld zurück nach München und ich stelle fest, dass FUDU allein mitunter genug Sitcom ist. /hvg