416 416 FUDUTOURS International 26.04.24 19:16:31

07.04.2017 VVV-Venlo – Almere City FC 3:2 (2:2) / Stadion De Koel / 5.183 Zs.

Am nächsten Morgen erwartet uns Gastgeber Paul gut gelaunt am liebevoll gedeckten Frühstückstisch. Sogleich macht sich FUDU leicht verkatert über Brötchen und Belag her und auch die letzte Stunde des griechischen Joghurts hat alsbald geschlagen. Sonntagmorgenvibes strömen bereits am Freitag durch die Niederlande, seichte Popmusik durchflutet warm den Raum, es duftet nach Kaffee, als wir urplötzlich jäh aus der Komfortzone gerissen werden. Nadjuschka pellt ihr buntes Ei und verweigert angesichts freigelegten grünlich-weißen Pelzes angewidert die Nahrungsaufnahme. Leider fallen kurz darauf auch Ei Nummer Zwei und Drei durch den Schimmel-Check und so endet die Frühstückszeremonie doch recht abrupt.

Kurz bevor wir die Pension verlassen können, tritt Paul in einen weiteren charmanten Smalltalk mit uns ein. Man muss diesen alten Mann einfach gerne haben. Dumm nur, dass wir uns aktuell im Hausflur befinden und dieser auf engstem Raum auch über eine Toilette verfügt, auf die vor wenigen Minuten ein anderer Senior eingekehrt war. Nun versuchen wir uns so schleunigst und höflich wie möglich aus dem Gespräch zu befreien und Lebewohl zu sagen. Diesen unmenschlichen Gestank von nebenan kann einfach kein Mensch ertragen! Ich nehme an, dass der arme, alte, sitzende Mann soeben mindestens fünf Schimmeleier explosionsartig in die Schüssel entladen haben muss und schon mischt sich wieder etwas Mitleid unter meine Eskapismusgedanken.

Nur wenige Momente später befinden wir uns dann glücklicherweise an der frischen Luft und japsen nach selbiger, wie es Kinder nach einem Wer-kann-den-Kopf-länger-unter-Wasser-halten-Wettbewerb tun. Wir müssen uns kurz durchschütteln, ehe wir noch einmal durch Kerkrade streifen, um die erhaltenen Relikte der Zeche Nulland und dann den Marktplatz samt Rathaus auch im Tageslicht besichtigen zu können. Wieder einmal ist die Szenerie von unheimlich vielen alten Menschen geprägt, die über einen kleinen Blumenmarkt spazieren. Ein alter Herr im „Soldier of Odin“ T-Shirt braust mit seinem E-Mobil an uns vorbei. „So krass kann die Armee ja nicht sein“, vermag der Hoollege die etwas skurrile Situation zusammenzufassen.

Im Anschluss wandern wir aus dem Stadtzentrum hinaus, um dem altehrwürdigen Gemeentelijk Sportpark Kaalheide einen Besuch abzustatten. Das städtische Stadion bot Roda Kerkrade von 1962 bis 2000 eine Heimat und durfte in dieser Zeit die eine oder andere legendäre Schlacht miterleben, beispielsweise die Einweihung des Flutlichts im Jahre 1975 mit einem Freundschaftsspiel gegen den Liverpool FC vor knapp 17.000 Zuschauern. In Höchstzeiten fasste das Stadion bis zu 25.000 Zuschauer, zuletzt wurde die Kapazität aus Sicherheitsgründen auf 14.000 gedrosselt, ehe Roda im Jahr 2000 in das neu erbaute Parkstad Limburg Stadion zog. Heute rotten die Tribünen ungenutzt vor sich hin und bieten für Freunde sogenannter „Lost Places“ bereits das eine oder andere attraktive Fotomotiv.

Kurz darauf sitzen wir auch schon in einem Zug der „Nederlandse Spoorwegen“, welcher uns via Maastricht und Roermond in knapp 90 Minuten nach Venlo befördern soll. Während der Großteil der Reisegruppe auch nach dem ersten Umstieg entspannt in die Sitze fällt, kann ich eine gewisse Grundnervosität nicht leugnen. Leider habe ich am Ticketautomaten des Bahnhofs von Kerkrade nicht genau genug zugehört und mir das falsche Ticket gelöst, welches mich nun bei kleinlicher Regelauslegung leider nicht für die Nutzung des Schnellzuges berechtigt. Glücklicherweise bleibe ich jedoch von Kontakt mit Kontrolleuren verschont und bin dann nach dem zweiten Umstieg auf der letzten Etappe der Reise auch endlich wieder mit einem gültigen Ticket ausgestattet.

Nur wenige Meter vom Bahnhof Venlo entfernt checken wir in unserer Unterkunft ein. Im „Stationshotel“ empfängt uns Henk, der gestrenge Herbergsvater. Noch bevor er uns begrüßt, liest er uns das erste Mal die Leviten. Rauchen ist auf den Zimmern verboten und wer nachts laut ist, fliegt raus! Wir fragen verschüchtert nach dem kostenfreien Wi-Fi, der hoteleigenen Bar und dem Spielezimmer, in dem man laut Buchungsbestätigung des Hotelportals „entspannen und bowlen“ können soll.

Die Bar ist geschlossen, das Wi-Fi kaputt und die Kegelbahn müsste man mieten, aber uns würde er sie nicht anbieten wollen, so die rundum-sorglos-Antwort unseres völlig humorbefreiten Gastgebers. Entweder treffen wir hier gerade auf jemanden, der deutlich von Vorerfahrungen mit deutschen Gästen gezeichnet ist oder der gute Mann hat gestern einfach einen zu viel getrunken und leidet heute an einem sichtbar nach Außen gekehrten Henk-Over.

Wir jedenfalls bleiben keine Sekunde länger als nötig in der Lobby und entern unsere Hotelzimmer. Der Blick des Wirtschaftsflüchtlings fällt gewohntermaßen zu aller erst auf die Heizung, um vorausschauend geplant für die anstehende Übernachtung für angenehme 30 Grad Celsius sorgen zu können. Angesichts der mutmaßlich von Herrn Röhrich persönlich errichteten Schraubschlüssel-Tüddeldraht-Bindfaden-Konstruktion scheitert dieses Unterfangen jedoch kläglich. Kurz darauf beginnen wir mit dem Sightseeing.

Venlo. 100.000 Einwohner, grenznah gelegen. Das historische Rathaus kann sich sehen lassen, aber darüber hinaus geizt die Stadt mit Sehenswürdigkeiten im klassischen Sinne. Wir erfreuen uns eher daran, dass die schönen Häuser in der gemütlichen Fußgängerzone großzügig mit Fahnen des örtlichen Fußballvereins geschmückt sind. Hier scheint man richtig stolz auf den Club zu sein, der sich als Tabellenführer der zweiten niederländischen Fußballliga aktuell anschickt, in die Eredivisie aufzusteigen. Gleichwohl hat der Verein aber auch eine Menge Tradition, ist er mit seinem Gründungsjahr 1903 tatsächlich einer der ältesten des Landes.

Die Buchstabenreihung „VVV“ spielt offenbar nicht nur für den Fußballverein eine Rolle. Touristische Hinweisschilder weisen den Weg zum sogenannten „VVV-Winkel“. FUDU trottet den Richtungspfeilen in Erwartung einer weiteren Knallersehenswürdigkeit treudoof hinterher, um dann enttäuscht vor dem Tourismusinformationsbüro zu stranden. „VVV“ bedeutet in diesem Zusammenhang lediglich „Vereniging voor Vreemdelingenverkeer“ und ist somit nicht mehr als der Tourismusverband der Niederlanden. Das Sightseeing lassen wir dann an der Maas ausklingen, die durch Venlo fließt, nicht ohne das Stadtbild dank Stickereinsatzes noch erheblich aufzuwerten.

Im Anschluss kehren wir im wunderbaren „Locomotief“ ein und nehmen Bier trinkend Platz auf alten S-Bahn-Holzbänken, wie man sie einst auch in Berlin kennen- und lieben gelernt hatte.

Langsam setzt draußen die Dämmerung ein. Für uns ein untrügliches Zeichen, uns langsam auf den Weg in das „De Koel“ zu machen. Jenes altehrwürdige Stadion, das in all den vergangenen Jahren um jedwede Renovierung herumgekommen ist. Bereits im Jahr 2011 wurde im Gemeinderat der Neubau eines Stadions beschlossen, doch von der 17.500 Zuschauer fassenden modernen Arena, die zur Saison 2013/14 fertiggestellt werden sollte und sich in ihrer Gesamtlangweiligkeit prima in die monotone niederländische Stadionlandschaft eingefügt hätte, fehlt glücklicherweise bis heute jede Spur.

Und so ist bereits die Anreise zum Stadion ein echtes Abenteuer. Unser Weg führt uns durch Wohngebiete und über Kinderspielplätze und wird letztlich von einem Trampelpfad, der uns Hügel aufwärts durch Gebüsch führt, gekrönt. Vor dem Stadion angekommen, wird schnell klar, dass zumindest die Rückseite der Haupttribüne doch neu gestaltet worden sein muss. In einem ziemlich futuristischen Bau bringt Hai Berden seine prominenten Gäste unter. Der Präsident des Clubs ist zur Überraschung aller nicht im Immobilienbusiness tätig, sondern Gründer eines Logistikunternehmens, welches dem Stadion einen wenig attraktiven Beinamen beschert hat. Man darf getrost davon ausgehen, dass er mit seinem Geld in Venlo größeres vor hat und so dürfte die letzte Stunde des kleinen Stadions doch recht zeitnah geschlagen haben.

Nachdem wir im Stadionbiergarten abermals Helene Fischer mit Mühe und Not überlebt haben, stellen wir uns den Sicherheitsfachleuten, die ihrer Arbeit überaus gründlich nachgehen. Neben der üblichen Abtastprozedur verlangen sie die Entleerung aller Taschen, wofür sie Campingtische bereitgestellt haben. Ich spiele das Spiel bereitwillig mit, setze den Ordner aber nicht darüber in Kenntnis, dass auch ich die Spielregeln mitbestimmen mag und so lasse ich eben jene Gegenstände, von denen ich befürchte, sie würden unter Umständen nicht mit in Stadion dürfen, in den Taschen. Am Ende wird mich der Kontrolleur freundlich durchwinken und so bleibt z.B. der riesengroße Metall-Schlüsselanhänger des „Stationshotel“, mit dem man locker im Vorbeigehen jemandem den Schädel hätte einschlagen können, gänzlich unentdeckt. Vielleicht erst die Taschen auspacken lassen und dann abtasten? Aber das jetzt nur mal so als Insidertipp.

In den Katakomben liegen tonnenweise Klatschpappen herum, die von den meisten Menschen aber dankenswerterweise links liegen gelassen werden. Wir nehmen Platz auf den unüberdachten Sitzen der Haupttribüne, die sich sehr nahe am Spielfeld befinden. Auf dem Kunstrasen legen beide Teams los wie die sprichwörtliche Feuerwehr. Nach 1:50 gibt es die erste Großchance für die Gäste zu notieren und kaum ist der letzte Buchstabe eingetippt, zappelt der Ball auch wirklich im Netz. Keine 40 Sekunden nach der vergebenen Chance hat Venlos Verteidiger Rutten einen Rückpass zu seinem Torhüter viel zu kurz angesetzt, Ahannach spritzt dazwischen und schiebt den Ball lässig zum 0:1 für Almere City in das Tor.

(Fun Fact am Rande: Der Almere City FC wurde erst im Jahr 1997, damals unter dem Namen FC Omniworld, gegründet. Während man gemeinhin solche Fußballclubs als „Kunstprodukte“ diffamiert, kann man dies in diesem Fall auf die ganze Stadt beziehen. In bester SimCity-Manier wurde diese 1975 am Reißbrett entworfen. Und wäre das nicht schon alles kurios genug, darf der Hinweis nicht fehlen, dass auch das Land, auf dem das Städtchen liegt, noch nicht viel länger existiert. Für den Rest zitiere ich einfach stadionbesuch.de, da ich es selber nicht schöner schreiben könnte: „Wenn man sich als Staat flächenmäßig als zu klein empfindet, müsste man erst aufwändig Kriege führen, um sich weiter auszubreiten oder alternativ eine Wiedervereinigung mit einem ähnlich sprechenden Volk durchführen. Die Geschichte zeigt allerdings, dass die Nebenwirkungen nicht zu unterschätzen sind und daher haben unsere Nachbarn mit den Wohnwagen einen neuen (fast schon revolutionären) Weg eingeschlagen und solange Sand ins Meer gekippt, bis man keine nassen Füße mehr bekam. Später hat man dann Häuser drauf gebaut und fertig war die Laube namens Almere.“)

Der aktuelle Tabellenführer aus Venlo lässt sich hiervon jedoch nicht aus der Spur bringen und kann schnell zurückschlagen. Bereits nach 12 Minuten hat Seuntjens das Spiel ausgeglichen. Der Spielzug denkbar simpel, tausendfach gesehen und immer wieder effektiv: Langer Ball aus der Abwehr, auf dem Flügel behauptet, Ball in die Mitte gebracht, Stoßstürmer läuft in Position und schiebt den Ball über die Linie. Gar nicht mal so schön, dass bei der Feier des Tores doch etliche Klatschpappen zum Vorschein kommen, zum Einsatz gebracht und im Folgenden nicht mehr aus der Hand genommen werden.

Weiter geht die wilde Fahrt auf dem künstlichen Grün. Nur drei Minuten nach dem Ausgleich gehen die Gäste aus Almere nach einer Freistoßflanke aus dem Halbfeld durch einen Kopfballtreffer von Mirani wieder in Führung. Im direkten Gegenzug gelingt der „Venlose Voetbal Vereniging“ beinahe der Ausgleich.

Beide Teams setzen ihr Spiel mit offenem Visier fort, wobei die Gäste etwas die Oberhand gewinnen. Nach 25 Minuten erleben wir beinahe das Tor des Jahres in den Niederlanden live mit, auch wenn dieses aufgrund des noch rollenden Balles streng genommen irregulär gewesen wäre. Dennoch hätte der durch Almere schnell ausgeführte Freistoß auf Höhe der Mittellinie noch etwas mehr verdient gehabt, als lediglich einen Lattentreffer.

Nach einer halben Stunde hat sich das Spiel erstmals etwas beruhigt und der Gast hat so etwas wie Kontrolle übernehmen können. Die favorisierten Hausherren tun sich schwer und werden bereits jetzt von ihrem kritischen Publikum ausgepfiffen. Völlig überraschend und unerwartet kehrt dann aber wieder Jubel, Trubel und Heiterkeit ein, da Seuntjes in der 41. Minute das Spiel nach einem ziemlich krummen Freistoß erneut egalisieren kann. All die positive Stimmung wäre dann kurz vor dem Halbzeitpfiff durch den aus Paderborn bekannten Rick ten Voorde beinahe zu Nichte gemacht worden, doch leider scheitert er aus knapp drei Metern an einem Verteidiger Venlos, der das 2:3 noch gerade eben so zu verhindern weiß.

Die zweite Halbzeit bleibt lebendig und temporeich, allerdings wandern deutlich weniger Abschlussgelegenheiten in die Notizzettel. Die schwarz-gelben Tabellenführer bestimmen aber nun deutlich das Geschehen auf dem Rasen, lassen zwei-drei Halbchancen ungenutzt, während die tapfer kämpfenden Gäste auf Konter lauern und mit dem 2:2 sicherlich zufrieden wären. Am Ende nimmt der Druck der Hausherren weiter zu. In der 80. Minute verliert die Abwehrreihe Almeres dann endgültig die Übersicht. Gleich mehrmals können sie hoch in den Strafraum getretene Bälle verteidigen, doch postwendend segeln diese wieder zurück. Gleich zwei Mal reklamiert Venlo nicht völlig zu Unrecht auf Handelfmeter, bis Sleegers dem Gerede ein Ende setzt und den Ball humorlos in die Maschen hämmert. Schlusspfiff, Venlo bringt das Spiel nach Hause und der Ex-Chemnitzer Nils Röseler darf nun von Eredivisie-Schlachten gegen Ajax, Feyenoord und den PSV träumen…

… während wir mit der Handy-Taschenlampe im Anschlag den Trampelpfad bergab laufen. In der Innenstadt gibt es für die hungrigen FUDUs noch eine Frikandel Spezial, ehe man sich der verdienten Nachtruhe hingibt.

Bevor am nächsten Morgen die Weiterreise nach Düsseldorf ansteht, decken sich Fetti und seine Freunde im Hypermarkt namens „Die zwei Brüder von Venlo“ mit Lebensmitteln ein. Der Hoollege, staatlich anerkannter „Ölkonom“, hat schnell die Bierpreise verglichen und rät zum Kauf feinsten niederländischen Dosenbiers. Angesichts des Kartoffelauflaufs um uns herum greifen wir schnellstmöglich zu und verlassen das Geschäft eiligst. Da hat das halbe Ruhrgebiet wohl noch nicht mitbekommen, dass es seit dem Abbau der Zoll- und Währungsschranken in der Europäischen Union keine erheblichen Preisvorteile bei Waren mit besonderen Steuersätzen, beispielsweise Kaffee, mehr geben kann. Mein Gott, dann kauft doch einfach bei eurem Penny um die Ecke ein und nervt eure armen Nachbarn nicht! /hvg