284 284 FUDUTOURS International 26.04.24 13:01:46

01.10.2017 FC Vysočina Jihlava – SK Sigma Olomouc 0:1 (0:0) / Stadion v Jiráskově ulici / 3.043 Zs.

Am Frühstückstisch zeigt sich die Reisegruppe erstmals an diesem Wochenende uneinig. In etwa 1.200 Kilometern Entfernung wird heute Abend an der Côte d’Azur der OGC Nice auf Olympique de Marseille treffen. Das Duell elektrisiert die Massen bis nach Praha, worauf hindeutet, dass ein Mitglied der Reisegruppe in Nizzabuchse, ein anderes in Marseillenicki zum Frühstückstermin erscheint. Gerade droht die Situation zu eskalieren, als der Gastwirt den ersten Kaffee des Morgens reicht. Dazu zeigt er auf seinem Laptop Bewegtbilder aus seiner Heimatstadt Hà Nội und sorgt somit einerseits für weitere geographische Verwirrung, andererseits für endgültige Entspannung der Situation.

Nach dem Frühstück wagen nur drei Viertel des Vierbettzimmers den Gang in die grenzwertig hygienische Gemeinschaftsdusche auf dem Flur. Der Wirtschaftsflüchtling gibt an, dass Pilze sammeln nicht zu seinen allergrößten Hobbys zählen würde und bittet um Asyl beim FUDU-Pärchen. Kurz darauf wird ihm der Zugang zu einer Luxus-Suite mit eigenem Badezimmer gewährt, während der schäbige Rest auf den Schreck erst einmal ein Bier auf dem Parkplatz trinkt.

Dort kommt es wenige Minuten später zu einer emotional aufwühlenden Abschiedssequenz, da nur 50% der Reisegruppe die Weiterreise nach Jihlava antreten werden. Kurz bevor die andere Hälfte im kleinen Bruder des Tschechenbentley Platz nehmen kann, befördert ein Mitglied der Reisegruppe Sachsen sein Frühstück wieder zu Tage. Was will man machen. Dresden ist nun mal einfach zum Kotzen.

Knapp 90 Minuten später haben das FUDU-Pärchen und meine Wenigkeit das 50.000 Einwohner-Städtchen Jihlava erreicht und das Automobil auf dem Hotelparkplatz abgestellt. Bei einem ersten Stadtbummel erweist sich der Igel als omnipräsentes Tier. Auf Werbeplakaten. Auf Gullideckeln. Auf Mülleimern. Überall. Der Hintergrund der Verbundenheit zu diesem Tier ist schnell ermittelt: Jihlava liegt an der Grenze zwischen Böhmen und Mähren, just dort, wo die Jihlávka (→ die kleine Igel) in den Fluss Jihlava (→ die Igel) mündet. Im deutschsprachigen Raum hat diese Lage der Stadt den Namen „Iglau“ beschert und sogar im Stadtwappen ist der Igel als Repräsentant vertreten.

Wir schlendern ein wenig über den Masarykovo náměstí (Ringplatz), der als der schönste Platz der Stadt gilt. Hier gibt es das Rathaus und die Kirche des heiligen Ignatius zu bewundern, allerdings keinen Hinweis darauf, wo sich der Zugang zu den Katakomben befindet. Vorab war recherchiert worden, dass Jihlava als ehemalige Bergbaustadt über ein unterirdisches Labyrinth verfügt. Dieses befindet sich in bis zu 14 Metern Tiefe, ist ca. 25 Kilometer lang und 50.000 Quadratmeter groß. Ganz schön viel Aufwand, den die Bergleute da betrieben haben, nur um nach Feierabend noch ein wenig ungestört Trinken zu können. Etwas ernüchternd ist jedoch der Umstand, dass die Katakomben in Znojmo noch ein wenig größer sind und für Jihlava daher nur der Claim „Erleben Sie die zweitgrößten Katakomben der tschechischen Republik!“ bleibt. Für FUDU ist damit die Entscheidung gefallen, dieser Sehenswürdigkeit keinen Besuch abzustatten. Nur das zweitgrößte? Das kann ja nun wirklich nicht unser Anspruch sein!

Stattdessen wird das Brána Matky Boží besichtigt, welches in sämtlichen Medien mit „Frauentor“ übersetzt wird, lediglich der Wikipedia-Autor weiß es besser und hat es auf den Namen „Mutter-Gottes-Tor“ getauft. Fakt ist jedoch, dass es sich um das einzig erhaltene Stadttor von ehemals fünf mittelalterlichen Toren handelt und ein recht passables Fotomotiv darstellt.

Nach dieser kräftezehrenden touristischen Exkursion liegt der Fokus im Anschluss recht schnell auf dem Themenkomplex Nahrungsaufnahme. Heute darf es dann gerne so urig wie möglich zugehen, nachdem man gestern das wohl untschechischste Essen aller Zeiten im Land des Knödels und Krauts serviert bekam. Kurz darauf hat Fetti sich wieder einmal selbst übertroffen und seine Freunde werden von ihm zielsicher in eine Ritterburg geführt. Das „Restaurace Na Hradbách“ ist eines dieser wunderbaren böhmischen Lokale, in denen man für die Verwendung des Wortes „vegan“ auf den Scheiterhaufen geworfen würde und so ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die hungrigen FUDU-Schweine über deftige Fleischteller hermachen. Mein mit Käse aus Olomouc (ausgerechnet Olomouc!) gefülltes Schnitzel würde ich jedenfalls jederzeit wieder bestellen, auch weil man über den „Olomoucký tvarůžek“, der als einziger ursprünglicher tschechischer Käse gilt, eine kleine Randanekdote erzählen kann, die diesen Bericht enorm bereichern wird. Also folgt ein…

Einschub, der nun wirklich gar nichts mit Fußball zu tun hat. Thema: Bananenknappheit in der USA und die kreative Aufarbeitung des Dilemmas.

Im Jahre 1922 kam es in den Vereinigten Staaten von Amerika zu einer Bananenknappheit. Grund hierfür waren Lieferengpässe aus Brasilien, die aufgrund einer Braunfäule der Bananenpflanzen zu Stande gekommen waren. Der Broadway verarbeitete dies musikalisch und der Song „Yes! We have no Bananas!“ entstand. Die eingängige Melodie wurde alsbald nach Deutschland transportiert und fand sich in dem schmissigen Schlager „Ausgerechnet Bananen!“ wieder. In dem Lied heißt es:

„Ausgerechnet Bananen,
Bananen verlangt sie von mir!
Nicht Erbsen, nicht Bohnen, auch keine Melonen,
das ist ein‘ Schikan‘ von ihr!
Ich hab Salat, Pflaumen und Spargel,
auch Olmützer Quargel,
doch ausgerechnet Bananen,
Bananen verlangt sie von mir!“

Wer in dem Text jetzt meinen Käse wiedergefunden hat, darf ihn behalten. Einschub Ende.

Gut gesättigt checken wir endlich in unserem Hotel ein, dessen Lobby zur Freude für Fans von Randsportarten mit diversen Eishockeytrikots geschmückt ist. Auf dem Weg zum Stadion begegnen wir ziemlich vielen abgestürzten Typen und küren „Alcoholix“ zum neuen Gruppenmaskottchen, sofern Fetti andere Maskottchen neben sich dulden sollte.

Das Stadion v Jiráskově ulici erreichen wir nach einem kurzen Fußweg. Die Flutlichtmasten, die schon aus der Entfernung deutlich sichtbar sind, versetzen uns bereits in Verzückung. Mit dem modernen Fußball kann von uns niemand etwas anfangen und bei dem einen oder anderen Transfer kann man sich schon die Frage stellen: „Wieso China?“. Aber bei Vysočina ist die Welt noch in Ordnung – eine bessere Eselsbrücke kann ich nicht anbieten, um sich diesen Vereinsnamen zu merken. Die wohl niedlichste Sitzplatztribüne seit Bayern Hof überzeugt genauso wie die gammelige Gegengerade, der preiswerte Eintritt und die charmante Regel, dass Igel unter 1,30m umsonst in das Stadion dürfen. Das bunte Igelmaskottchen als solches braucht zwar auch kein Mensch, aber immerhin haben offenbar einige gewaltaffine Fans aus Ostrava dem hampelnden Ungetüm bereits den einen oder anderen Stachel gezogen.

Den ersten Spielabschnitt verfolgen wir von der modernen Hintertortribüne, die so gar nicht zum Rest des Stadions passen mag. Die Bierverkäuferin ist aber auf zack, versorgt uns mit Flüssignahrung und so stellt sich schnell Zufriedenheit mit unserer Platzwahl ein. Außerdem verhält es sich mit der Aussicht so wie im wahren Leben des kleinen Mannes: Schon geiler im Plattenbau zu wohnen und auf einen Park mit Stadtvilla zu gucken, als andersherum.

Die Gäste aus der Käsestadt starten dann gut in das Spiel, treten dominant auf und verzeichnen in der 16. Minute die erste Großchance, doch Tomáš Zahradníček verpasst leicht bedrängt das leere Tor, nachdem er den Heimkeeper Jan Hanuš bereits umkurvt hatte. Sigma bleibt eine halbe Stunde lang das gefälligere Team und hätte spätestens nach 37 Minuten die Führung verdient gehabt, doch einen wunderbar getretenen direkten Freistoß kann Hanuš noch gerade eben so an das Lattenkreuz lenken. Der kleine, aber feine Fanblock Jihlavas scheint eine innige Beziehung zum Schlussmann zu pflegen und feiert ihn mit eigenen Sprechchören, woraufhin Hanuš winkend zurück grüßt. Seinen Negativhöhepunkt findet die Partie dann beinahe in der Nachspielzeit, als ein verunglückter Fernschuss Sigmas um ein Haar die Bierfrau und ihr gut gefülltes Tablett getroffen hätte. Es ist davon auszugehen, dass bei einem Treffer das Spiel sofort abgebrochen worden wäre. Mit Bier treibt man in Tschechien kein Schindluder!

In der zweiten Hälfte wechseln wir auf die Gegengerade und verschaffen uns nun einen genaueren Einblick in das Gesangsrepertoire der gut 50 Gästefans, die die 180 Kilometer heute zurückgelegt haben. Auf dem Rasen kann Jihlava nur ganz vereinzelt offensive Akzente setzen, doch Sigma dominiert die Partie weiterhin. In der 66. reißt ein schöner Pass die Abwehr der Heimmannschaft auf, aber Jiří Texl scheitert abermals im Duell mit dem Torwart. Einige Schüsse aus der zweiten Reihe verfehlen das Ziel nur knapp und in der 70. Minute versucht es ein Sigma-Stürmer mit einer Schwalbe, auf die ich persönlich hereingefallen wäre und auf Elfmeter entschieden hätte, nicht jedoch der souveräne Schiedsrichter. Im Anschluss rettet immer wieder Hanuš seine Farben vor dem Rückstand (72., 77., 79.). Das Remis ist längst als überaus schmeichelhaft zu bezeichnen, ehe in David Houska der auffälligste Offensivakteur der Gäste den Bann in der 87. Minute mit einem Flachschuss aus Nahdistanz endlich brechen kann. Verdienter kann man wohl keinen Auswärtssieg einstreichen.

Nach der Partie kehren wir noch in der Hotelbar ein und treffen endlich auf den angenehmsten Igel des Tages. Die „Ježek“-Brauerei schickt ihr in Jihlava gebrautes Bier ins Rennen, kann vollends überzeugen und eine neue tschechische Vokabel wandert in FUDUs Wortschatz. Ježek heißt: Igel. Und Fetti wohnt jetzt hier. /hvg