997 997 FUDUTOURS International 26.04.24 19:57:05

10.12.2017 MKS Pogoń Szczecin – Zagłębie Lubin 3:3 (3:1) / Stadion Miejski imienia Floriana Krygiera / 2.634 Zs.

Das Jahr 2017 neigt sich dem Ende entgegen. Allerhöchste Zeit, dass FUDU endlich einmal wieder vom Fernweh gepackt wird. Man träumt von fernen Ländern, exotischen Speisen und kulturellen Barrieren und so entschließt man sich, mit dem Berlin-Brandenburg-Ticket nach Westpommern aufzubrechen. Manchmal liegt das Gute eben doch so nah.

Schnell haben das FUDU-Pärchen und meine Wenigkeit die Reiseplanungen an unseren bärtigen Bruder weitergeleitet. Lange Zeit bezieht dieser keine Stellung zu den kommunizierten Reiseplänen. Als dann auf die letzte Informations-SMS mit Bekanntgabe der Abfahrtszeit (9.33 Uhr ab Lichtenberg) einen Tag vor dem Spiel auch lediglich ein: „Ach du Scheiße“ entgegnet wird und die Antwort auf die Frage: „Heißt das jetzt Ja oder Nein?“ ausbleibt, geht ein Großteil der Reisegruppe davon aus, die Überfahrt nach Szczecin zu dritt meistern zu müssen.

Zu unserer aller Überraschung stehen dann am frühen Morgen des 10.12. jedoch vier Menschen so pünktlich wie nötig zur Abfahrt bereit. Die Regionalbahnverbindung via Angermünde („ich steh in Angermünde, das hat seine Gründe. Ich stehe in Stralsund, auch das hat seinen Grund. Ich bin auf der Flucht!“) nach Szczecin Główny ist unspektakulär, wird aber auf polnischer Seite ein wenig dadurch aufgewertet, dass der Lokführer an diversen unbeschrankten Bahnübergängen beherzt die Hupe zum Einsatz bringen muss.

Glücklicherweise gelingt es, die Strecke zurückzulegen, ohne über irgendeinen Paweł zu rumpeln und so schlendert man kurz darauf hungrig über die Boulevards der Stadt, die mit ihren oftmals unsanierten Gründerzeit-Häusern so wunderbar an den Prenzlauer Berg der späten 1990er-Jahre erinnern. Hat sich also nicht ganz so viel getan seit meinem letzten Besuch im Jahre 2013, der übrigens vollkommen ohne Fußball geplant war, dafür aber wegen einer rechtsextremistischen Demonstration und einer polizeilichen Maßnahme gegen uns wegen Trinkens in der Öffentlichkeit in bleibender Erinnerung behalten wurde. Kann dieses Mal also nur besser werden.

Im örtlichen Shopping-Center decken wir uns mit Eintrittskarten für die heutige Partie ein. Neben der 40 Złoty für die Haupttribüne wechseln weitere 10 für die „Karta Kibica“ den Besitzer. Sichtlich begeistert tippt die osteuropäische Schönheit unsere Kartoffelnamen in die Maschine, um uns im Anschluss die Hartplastikkarten auszuhändigen, die uns im Paket mit den langweiligen Kassenbon-Eintrittskarten die Zugangsberechtigung zum Stadion erteilen. Das Verramschen der eigenen Daten bereitet uns naturgemäß keine Freude, aber nur so lange, bis auch der Niederländer in unseren Reihen seinen Personalausweis zücken muss und seine zweiten Vornamen ans Tageslicht kommen. Der alte Mann und das Meer(ia)!

… womit auch der Übergang zum Themenkomplex „Hunger“ gelungen wäre. Kurz darauf kehren die FUDU-Schweine nämlich in der „Tawerna Sailor Trzebiez“ ein, die sich recht bald als Fischrestaurant entpuppt. Sollte man mich übrigens jemals nach einer Pro-Contra-Liste über Fischrestaurants fragen, würde ich auf der Contraseite womöglich als ersten Punkt aufführen, dass ich keinen Fisch mag. Aber gut, mitgehangen, mitgefangen und dem Rest der Gruppe in die Reuse gegangen.

Einig ist man sich jedoch darüber, dass der Umstand, dass hier an Ort und Stelle aufgrund fehlender Ausschanklizenzen kein Bier verkauft werden darf, ein weiterer dicker Punkt für die Negativseite ist. In der Informations-SMS war zur Begründung der frühen Abfahrtszeit auch erwähnt worden, dass wir gerne vor dem Spiel genug Zeit für polnisches Bier hätten und ich spüre nun deutlich böse Blicke meines bärtigen Gegenüber. „Dann eben Wein“, reagiert die Dame der Gruppe geistesgegenwärtig, muss aber in Erfahrung bringen, dass die Ausschanklizenz alkoholische Getränke jedweder Art umfasst. Dennoch entscheidet man sich, die Lokalität nicht zu verlassen, was in erster Linie der Gastfreundschaft des Mutti-Tochter-Gespanns sowie der Urgemütlichkeit des Gastraums geschuldet ist. Während sich die Mutti in die charmante Mini-Küche für den Hausgebrauch zurückzieht, hilft die Tochter mittels google-translator, uns die polnische Speisekarte näher zu bringen. Es gibt Dorsch, Zander, diverse andere fischige Angelegenheiten und glücklicherweise auch einen etwas holprig übersetzten Plan B: „Brühe mit Händlern“, „Kutteln mit Seil“ UND Pierogi. In der Zwischenzeit kann man sich mit kleineren kostenlosen Leckereien vom Buffet (Brot, Schmalz, Häckerle, Brathering, eingelegte Zwiebeln und Gurken etc.) erf(r)ischen. Dazu reicht das Haus Tafelwasser mit Zitrone für alle und plötzlich fühlen wir uns wie auf einem Treffern der anonymen Alkoholiker.

Im Hintergrund laufen polnische Seemanslieder, die zum Schunkeln und zum heiteren Raten einladen, welches Liedgut sich die osteuropäischen Schelme da auf hoher See wohl erdacht haben. „Komm mit mir in die Kombüse, da hobel ich junges Gemüse!“ wird auf jeden Fall zu unserem persönlichen Smash-Hit. Etwas in Sorge geraten die anonymen Alkoholiker ob des langen Toilettengangs eines Mitglieds und schnell steht der Verdacht im Raum, dass hier alkoholhaltige Reinigungsmittel ursächlich für die Verzögerung im Betriebsablauf sein könnten. Mit den Jahren wird man eben misstrauisch.

Gut gesättigt und stocknüchtern begeben wir uns im Anschluss an die schmackhafte Mahlzeit auf den Weg in das städtische Stadion namens Florian Krygier. Nachdem die UEFA mit ihrem EURO Eventmüll 2016 dafür gesorgt hat, dass nun auch die polnische Stadionlandschaft größtenteils aus langweiligen Standard-Neubauten besteht, sticht das altehrwürdige Stettiner Stadion besonders wohltuend aus dem Einheitsbrei hervor. 18.027 Plätze, Hufeisenform, eine weitläufige Kurve, kaum Dach, viel Gammel, wenig Komfort, riesige Flutlichtmasten. Kurzum: Ein Traum.

An dem heutigen 19. Spieltag empfängt der abgeschlagene Tabellenletzte aus Szczecin, der erst zehn Punkte einfahren konnte und bereits acht Punkte Rückstand auf den Vorletzten aufweist, die Kohlenpottjungs aus Lubin, die im Mittelfeld der Tabelle rangieren. Seit drei Spielen schwingt Kosta Runjaic das Zepter beim „maritimen Sportclub“ und ist mit zumindest zwei Remis nicht gänzlich erfolglos in das Unterfangen gestartet, den MKS vor dem Abstieg zu retten.

Mit Passage der Stadiontore gibt es nun auch endlich für die durstigen Kehlen FUDUs nach über drei Stunden Aufenthalt auf polnischem Boden etwas zählbares. Das „Bosman-Urteil“ fällt positiv aus und schnell werden vier kühle Blonde von unseren Trinkerhandschuhen bei 1,7° Celsius Außentemperatur gewärmt.

Bevor das Spiel auf dem grünen Geläuf Rasen mit hohem Sandanteil sandigen Geläuf mit leichtem Rasenanteil eröffnet werden kann, bittet der MKS Pogoń zur Hymne. Die Fanartikeldichte auf der Haupttribüne ist eindrucksvoll und mit viel Pathos werden die Schals zu diesem gravitätischen Musikstück empor gereckt. Leider bleibt die Fankurve nahezu gänzlich verwaist und nur noch 2.634 Zuschauer halten ihren Helden in dieser sportlich schweren Situation die Treue. Mit einem lauten Schiffshorn wird dann der Anpfiff untermalt und sogleich werden die „Portowczy“, also die „Hafenjungs“, nach Vorne gepeitscht.

Nach fünf Minuten verfällt das Heimpublikum in die erste Schockstarre. Der mit etwa 150 Mann gefüllte Gästeblock jubelt, doch nur Millisekunden später ist klar, dass der gut getretene Freistoß lediglich am Außennetz gelandet war. Noch einmal durchatmen. Es entwickelt sich in Folge ein ausgeglichenes Spiel und man muss angesichts der Tabellenkonstellation schon staunen, wie gut die Heimmannschaft hier mithalten kann. Nach knapp einer halben Stunde notiere ich, dass Pogoń selbstbewusster wird und offensichtlich Glauben in eigene Stärken erlangt hat. Nur wenige Augenblicke später verzieht Drygas aus spitzem Winkel knapp, ehe Spas Delev seine Farben in der 31. Minute mit einem sehr sehenswerten Gewaltschuss unter die Querlatte in Führung bringen kann. Der darauf folgende Tor-Pogoń ist der Schönheit des Tores angemessen. Nur acht Minuten später trifft der 19-jährige Nachwuchsspieler Jakub Piotrowski von der Strafraumkante zum 2:0. Nach einer kurzen Diskussion zwischen Schiedsrichter und Assistent ist klar, dass der Treffer zählt und ernsthafte Hoffnungen keimen auf, an diesem Spieltag den ersten Dreier seit vier Monaten einzufahren. Doch noch ist die Geschichte der ersten Hälfte nicht zu Ende erzählt, denn nach einem Eckstoß kommt es zu einem unübersichtlichen Gewusel im Strafraum Pogońs, dessen Nutznießer am Ende Jakub Świerczok ist. Mit wenig Eleganz würgt der ehemalige Lauterer Stoßstürmer den Ball in der 41. Minute zum Anschlusstreffer in das Netz, was ihm in Deutschlands zweiter Liga in sechs Spielen nicht gelang, dafür aber in 23 Einsätzen in der zweiten Mannschaft des FCK in der Regionalliga gleich acht Mal. Pogoń krempelt im Anschluss die Ärmel weiter hoch und antwortet umgehend. Beruhigend zu wissen, dass man als Tabellenletzter über Spieler in seinen Reihen verfügt, die die Fähigkeit besitzen, Bälle aus 30 Metern Torentfernung mit dem Außenrist im Dreiangel unterzubringen. Was für eine Bude von David Niepsuj, geboren in Wuppertal!

In der Halbzeit erfreuen wir uns weiterhin über das recht angenehme Heimpublikum mit geringer Moduldichte, über ein zweites Stadionbier und darüber, dass auf den Stadiontoiletten Preislisten aushängen. Knallhart prellen wir unsere polnischen Nachbarn um 50 Groszy für die Nutzung des Pissoirs und nutzen die restlichen 10 Halbzeitminuten zu einer schnellen Recherche. Spas Delev hat als alles überragender Zehner auf dem Platz unser Interesse geweckt. Zusammenfassung: 28 Jahre alt, bulgarischer Nationalspieler, zwei Länderspieltore. Beide Treffer hat er im EM-Qualifikationsspiel gegen die Niederlande am 25.03.2017 erzielt und heute gegen die orange gekleideten Gäste aus Lubin an diese Erfolgsgeschichte angeknüpft. FUDUs bärtiger Bruder stöhnt erneut auf.

Eine Armada an Rasenpflegepersonal hat derweil den Sandboden einmal umgepflügt und schon kann der zweite Spielabschnitt beginnen. In der 49. Minute legt Pogońs Verteidiger Fojut einen Angreifer Lubins im Strafraum, woraufhin Schiedsrichter Kwiatkowski „auf Kalk zeigt“, wie das Übersetzungs-Tool meines Browsers dem Spielbericht der Website Pogońs entnimmt. Jakub Świerczok läuft an und verwandelt in ekelhaft lässiger Manier, die eine Bestrafung verdient gehabt hätte. Nun erlangen die Gäste nach und nach Oberwasser und schon bald steht den Küstenjungs selbiges bis zum Hals. Nach einem starken Pass von Delev sorgt der einzige Entlastungsangriff Pogońs entgegen der Verteilung der Spielanteile in der 65. Minute beinahe für die Entscheidung, doch Torwart Polaček und der Pfosten retten noch gerade eben so gegen Listkowski und Frączczak. Für Szczecin kann es im Anschluss nur noch darum gehen, das Ding über die Zeit zu retten und so igelt man sich mit Mann und Maus hinten ein, nachdem Delev mit stehenden Ovationen in der 71. Minute das Spielfeld verlassen hat.

Doch leider ist es abermals Jakub Świerczok, dem die Schlusspointe der Partie vorbehalten ist. Nach einer Hereingabe von der rechten Flanke gelingt ihm per Direktabnahme in der Nachspielzeit noch der Ausgleichstreffer und so sorgt er für die Schlagzeile auf der Pogoń-Website, die da lauten wird: „Pogoń-Świerczok 3:3“.

Auf der Regionalbahnfahrt nach Berlin bekämpfen wir unsere Knoblauchfahnen mit Warka und Hot Dogs von der Tankstelle. Vor der Toilette der Regionalbahn sind deutsch-polnische Begegnungskunstwerke ausgestellt, in der Toilette selbst hat jemand kunstvoll seine Exkremente in einer Art Actionpainting modern und großflächig versprüht. In Angermünde belauschen wir den Lokführer, der wenig verheißungsvoll über sein Funkgerät durchgibt: „Stell‘ den Schlüssel Richtung Bahnhof und mach den scharf. Ich halte einen Meter eher und fahr dann gegen!“ So ist das eben mit Reisen in ferne Länder mit exotischen Speisen und kulturellen Barrieren. Manchmal ist man dann eben doch kurzfristig erleichtert, um 21.45 Uhr wieder in Lichtenberg zu sein. /hvg