414 414 FUDUTOURS International 26.04.24 02:19:40

29.04.2018 ETB SW Essen – TV Jahn Hiesfeld 2:1 (0:1) / Uhlenkrugstadion / 225 Zs.

Nach der Auswärtsniederlage des 1.FC Union Berlin beim SV Darmstadt 98 hat FUDU schnell Quartier in der Außenstelle Düsseldorf bezogen. Am Morgen nach der Pleite sitzen die niedergeschlagenen traurigen Helden FUDUs gemeinsam mit ihrem Gastgeber vor dem PC und haben das nächste Ziel vor der Brust: Essen.

Frühstück gibt es zwar keines, wenigstens aber eine Stadt mit ähnlich verheißungsvollem Namen in nächster Nähe. Serviceorientiert klickt sich der Düsseldorfer durch das Internet, um herauszufinden, auf welchem Wege und zu welchen Konditionen eine Reise in den Ruhrpott zu bewerkstelligen ist. Tapfer kämpft er hierbei gegen seinen Kater an, der wohl Goliath hieße, hätte er einen Namen. Recht bald steht die Erkenntnis im Raum, dass das Tarifsystem des Verkehrsverbundes mit all seinen Zonen dermaßen unübersichtlich daherkommt, dass unser Gastgeber die weiße Fahne hisst und dazu übergeht, uns einfach von der Anreise abzuraten. Oder, um es ein wenig eingängiger auszudrücken: Den Verkehrsverbund Rhein und Ruhr (VRR) verstehste nicht – trotz Hochschulabschluss und auch Abitur!

Im Hintergrund blättert derweil der Hoollege in einem Meisterwerk der 1960’er Jahre. Dr. Elvin Morton Jellinek klärt in seinem weltbekannten Essay „The Disease Concept of Alcoholism“ über die vier Phasen der Alkoholkrankheit mit ihren 45 Stufen auf. Die ersten 34 Stufen hat FUDU bereits locker erklommen, aber bei Schritt 35 muss man sich wohl oder übel ein Scheitern eingestehen: „Der Alkoholiker trinkt mit Leuten, die oft weit unter seinem Niveau liegen und mit denen er sonst keinen Kontakt hätte.“ Diese Form des „Unter-Stand-Trinkens“ kann nun nachweislich von der Hand gewiesen werden, da alle drei Anwesenden gleichermaßen zu doof sind, den VRR zu durchschauen. FUDU – alle auf einem Niveau! Da müssen wir wohl einen Schlauen in die Gruppe holen, um diesem dann den schwarzen Alkoholikerpeter zuschieben zu können…

Todesmutig entschließen sich der Hoollege und meine Person dazu, nach Alt (Prost!), F4 und endgültigem Abbruch der Recherche, die Anreise nach Essen dennoch auf uns zu nehmen. Während man in Berlin übrigens in 36 Minuten für 2,80 € mit der S-Bahn beispielsweise von Tegel bis zum Südkreuz gelangen kann (23 Kilometer), zahlt man für die Wegstrecke Düsseldorf → Essen (35 Kilometer, 33 Minuten Fahrzeit) geschmeidige 12,80 € mit der Regionalbahn. Vom Essener Hauptbahnhof gibt es zur Feier des Tages und der Preisgestaltung angemessen einen Schienenersatzverkehr in Richtung Stadtwald, den wir über uns ergehen lassen müssen. Nahverkehr in NRW bleibt Naja-Verkehr…

Stadtwald ist ein südlich der Innenstadt gelegener Stadtteil der Stadt Essen. Er wird dominiert von Wald- und Grünflächen und hat rein gar nichts mit dem Bild der grauen Ruhrgebietsstadt mit 583.393 Einwohnern zu tun, welches man gemeinhin vor Augen hat. Prunkstück des Stadtteils ist und bleibt aber das „Uhlenkrugstadion“, welches 1922 vom ETB Schwarz-Weiß Essen errichtet wurde und vor dem zweiten Weltkrieg bis zu 45.000 Zuschauer fasste. Im Rahmen eines Länderspiels zwischen Deutschland und Luxemburg war die legendäre Spielstätte im Jahre 1951 bis auf den letzten Platz ausverkauft. In den 1970er-Jahren wurde das Stadion vom DFB gesperrt, nachdem es wegen des Siegeszuges des Lokalrivalen Rot-Weiss (… am Uhlenkrug beherrscht man die deutsche Rechtschreibung, an der Hafenstraße nicht) an Bedeutung verloren hatte und stiefmütterlich behandelt nach und nach verfiel.

Heutzutage ist vom alten Glanz der Spielstätte die alte Haupttribüne, eine Stehplatzkurve hinter einem der beiden Tore sowie etwas mehr als die halbe Gegengerade übrig geblieben. Da der Rest zurückgebaut und renaturiert worden ist, ist die Kapazität des Stadions in der Zwischenzeit auf 9.950 Plätze gesunken. Diese 9.950 Plätze werden im Jahre 2018 jedoch nicht einmal ansatzweise benötigt – der ETB spielt nur noch in der fünftklassigen Oberliga Niederrhein, in der Regel vor nur wenigen hundert Zuschauern. Bedauerlich, da das wirklich schöne Stadion eine Menge Charme versprüht und jede Holzbank, jede schiefe Stehstufe und jedes abgeblätterte Stück Putz wunderbare Geschichten von Früher erzählen – beispielsweise vom DFB-Pokalsieg des ETB von 1959 oder den Aufstiegsspielen zur Fußball-Bundesliga anno 1967.

Am 29.04.2018 ist der TV Jahn Hiesfeld aus Dinslaken zu Gast, dem ich 2015 anlässlich des ersten Einsatzes von Mo Idrissou für den KFC Uerdingen einen Besuch abgestattet hatte. „Wer Biene’s (sic!) Bratwurst kennt, geht nicht fremd!“ steht über der Imbiss-Holzhütte des Stadions geschrieben. Leider ist Biene noch kein schmissiger Reim auf Sucuk eingefallen, dennoch entscheide ich mich bei meiner Mittagessenbestellung für die türkische Spezialität vom Grill und werde damit vollends zufrieden sein. Mit zwei frischen Stadionbieren beziehen wir Position auf der Gegengeraden und werden kurz darauf von den Schlachtenbummlern aus Dinslaken umstellt. Eine blonde Dame mit großer Sonnenbrille weckt mein Interesse und macht mich durch ihr fortwährendes Spiel mit den eigenen Haaren dermaßen nervös, dass ich mein halbes Bier über die Traversen gieße. Glücklicherweise eröffnet Schiedsrichter Szewczyk kurz darauf die Partie, sodass ich meinen Fokus auf das Wesentliche richten kann. 6. gegen 7. in der Oberliga, Essen laut Stadionheft mit einer Saison weit über den Erwartungen, aber der SV Straelen uneinholbar vorne – so weit die Eckdaten.

Bei den Gästen kennt man die Gataric-Zwillinge Dalibor und Danijel, die man als Arbeitgeber stets nur im Doppelpack erhält. Bereits in Oberhausen, Köln, Oggersheim, Worms, Lotte, Wuppertal und Hamm verdienten die fast 32-jährigen Eineier gemeinsam ihre Brötchen. Nur Hessen Kassel kam einst in das Vergnügen, nur einen Zwilling unter Vertrag nehmen zu dürfen. Nach 11 Spielen suchte Danijel dann aber wieder Dalibors Nähe.

Es bleibt genügend Zeit, sich auf solche Details zu konzentrieren. Der Fußball auf dem grünen Rasen wird zur Nebensächlichkeit. Die Sonne scheint, die Hosenbeine sind hochgekrempelt, die Socken ausgezogen. Jahn Hiesfeld startet ambitioniert in die Partie, versucht sein Heil auffällig oft über die Flügel, doch viele schöne Durchbrüche über die Außenbahnen führen nicht zum Erfolg, da der letzte Pass in die Mitte bzw. die Flanken zu ungenau sind. So muss ein fragwürdiger Elfmeterpfiff in der 25. Minute herhalten, um die Gäste zu der verdienten Führung zu verhelfen. Kevin-Dean Krystofiak verwandelt sicher.

Wenige Minuten später verpassen zwei Gästestürmer nach einer geschickten Freistoßflanke den Ball in aussichtsreicher Position nur äußerst knapp. Der nächste Angriff der Gäste verzeichnet dank einer Außenristflanke und einem Flugkopfball einen gewissen Aha-Effekt, jedoch nichts zählbares für die Anzeigetafel. Heimcoach Manni Wölpper hat dennoch genug gesehen und entscheidet sich nach 30 Spielminuten für einen Doppelwechsel. Erst jetzt kommt Starstürmer Marvin Ellmann in die Partie, der mit 28 Toren die Schützenliste der Oberliga anführt.

In der 32. Spielminute macht Schiedsrichter Szewczyk seinen kleinlichen Elfmeterpfiff wieder wett und beschenkt auch den ETB mit einer klassischen Konzessionsentscheidung. Torjäger Ellmann lässt sich nicht zwei Mal bitten und verwandelt eiskalt zum 1:1. In der letzten Viertelstunde der ersten Halbzeit verzettelt sich der ETB oft in kleinteiligen Aktionen, doch wenigstens gelingt es den Schwarz-Weißen, die schnellen Offensivaktionen der forschen Gäste besser zu unterbinden.

Nachdem die Dinslakener Reisegruppe hinter uns in der Halbzeitpause ausführlich über die zu hohen Preise des Katholikentags in Münster debattiert hat, setzt die „hübsche Schwedin“, wie ich sie mittlerweile nenne, ihre überdimensionierte Sonnenbrille ab. Ich bin einigermaßen geschockt. Um es mit so wenig Verachtung wie möglich zu formulieren: Die Brille hat ihr gut getan. Oder aber: Schade um das Bier.

Am Stadtwald setzt ein mittelschwerer Pollenflug ein. Ich kämpfe gegen allergische Begleiterscheinungen, auf dem grünen Geläuf vor uns kämpfen alle Akteure vogelwild gegeneinander, ohne auch nur ansatzweise irgendeine Linie für das eigene Spiel zu finden. Schwarz-Weiß verzeichnet zwei-drei schlecht ausgespielte Halbchancen – mehr hat das Spiel nicht zu bieten. Einzig und allein das Wetter bleibt stabil und straft die Wetterfrösche Lügen, die heute wesentlich mehr Wolken und sogar Regen erwartet hatten.

Nach und nach wächst der Druck des ETB, der heute unbedingt einen Dreier einfahren mag und sich auch nach dem 30. Spieltag „die beste Heimmannschaft der Liga“ nennen will. Athanasios Tsourakis, Spitzname „Malaka“, lässt in der 85. Minute eine 100%ige Torchance liegen. Kurz darauf setzt dann endlich der versprochene Regen ein, der Pollenflug wird eingedämmt und Fechner verwandelt nach einer mustergültigen Flanke per Kopf (89.). Der Torjubel der Spieler vor der Kurve ist weniger von der Freude über das Tor an sich, sondern eher von der Freude über trainingsfreie Tage bis Donnerstag gekennzeichnet. Kurz muss Manni Wölpper, der vielleicht insgeheim auch auf ein paar Tage Zeit für sich und seine Heiopeis in der Trinkhalle gehofft hatte, noch einmal zittern, doch ein Jahn-Angreifer scheitert in der Nachspielzeit aus vier Metern freistehend vor dem Tor.

Das Spiel wird abgepfiffen. Die ohnehin „nicht mehr so hübsche Schwedin“ zieht sich einen furchtbaren Mantel über und die Verwandlung vom Topmodel zur biederen Landpomeranze ist innerhalb von lediglich 90 Minuten abgeschlossen. Junge, der Ruhrpott kann einen schon kaputt machen…

… genau, wie es der Fußball kann. Wenn der eigene Herzensverein verliert, kann einem das schon das Wochenende versauen. Eine interessante Taktik hiergegen scheint ein Essener Fußballfreund entwickelt zu haben, der an seinem Auto auf dem Stadionparkplatz gleich sechs Vereinsembleme angebracht hat. Schalke, Bayern, Hannover, Bremen, Köln UND Darmstadt 98. Ja, freu dich halt, du… du… du… Opportunist!

Wir hingegen versuchen es fortwährend mit der Ablenkungstaktik. Sich nicht unterkriegen lassen. Erlebnisse sammeln. Es zieht uns daher nach Oberhausen, wo am 30.04. die Biergarteneröffnung des „(Jugend-)Kulturzentrums Druckluft“ ansteht. Leider macht das Wetter dem Ganzen einen gehörigen Strich durch die Rechnung, da bei gefühlten 8 Grad und Windstärke 9 wenig Biergartenstimmung aufzukommen vermag, trotzdem bleibt uns das Konzerterlebnis am Abend. „Super Besse“ aus Minsk bringen die Bude mit netten 80’er-Jahre-Beats zum Kochen und mein heißgeliebter youtube-Zufallsfund „Human Tetris“ aus Moskau nutzt die überraschend gute Soundqualität des kleinen Schuppens in Perfektion. Wirklich ein gelungener Konzertabend, der obendrein den rumänischen Kassenwart in Verzückung versetzt. Eintritt: 0 €.

Am 01.05. steht die Weiterreise zur „Revolutionären 1. Mai Demo“ in Berlin auf dem Programm. Da ich als „Altlinker“ (→ Jugendkulturzentrum Druckluft) in der Zwischenzeit gehörig in die Jahre gekommen bin und der Weg aus dem Ruhrgebiet nach Berlin wirklich weit ist, entscheide ich mich für eine Anreise im Flugzeug. Kampf dem Kapital, nieder mit der Deutschen Bahn! Recht schnell fällt mir dieser Plan am Flughafen Düsseldorf auf die Füße, da niemand geringeres als Jens Spahn zu den Mitreisenden zählt. Selbstverliebt blättert der wohl schlimmste Schmierlappen, den die CDU je hervorgebracht hat, durch die Gazetten und liest Artikel über sich selbst. Wenn’s am 01.05. irgendeine Motivation braucht, um auf die Straßen zu gehen – ein Blick in die Visage dieses asozialen Konservativen sollte genügen.

In Berlin angekommen, brauchen der Hoollege und ich erst einmal ein Bier, um diesen Schock zu verdauen. Ich schlage vor, am Kurt-Schumacher-Platz einzukehren und an einer Imbissbude ein „Schultheiss“ zu verköstigen, während die Flugzeuge im Sinkflug auf den innerstädtischen Flughafen Tegel einem so nahe kommen, dass man das Gefühl hat, man könnte diese mit ausgestreckten Armen berühren.

Mit ebenso ausgestrecktem Arm sitzen zwei Wutbürger ebenfalls Bier trinkend am Nachbartisch und spulen die ganze Palette des biodeutschen Vollversagers ab. Flüchtlinge, Ferkel, Führer, früher hätte es das nicht gegeben. Wir schütten das kleine Bier gequält und so schnell wie möglich in uns hinein und erklären die Znojmo-Wiener Neustadt-Wien-Wels-Aschaffenburg-Darmstadt-Düsseldorf-Essen-Oberhausen-Reise abrupt für beendet. Was uns just in diesem Moment nicht bewusst ist: Jellineks Punkt 35 wäre somit endlich abgehakt – wir haben mit Menschen unter unserem Niveau getrunken! Punkt 36 beinhaltet dann die „Zuflucht zu technischen Produkten wie Haarwasser, Rheumamittel oder Brennspiritus“. Und, Freunde, da bin ich raus! /hvg