728 728 FUDUTOURS International 19.03.24 04:00:40

11.08.2018 Düsseldorfer TSV Fortuna 1895 II – SV 1919 Straelen 1:1 (1:0) / Paul-Janes-Stadion / 488 Zs.

Der Morgen im Bonner „ibis“ beginnt mit einer kurzen Internetrecherche. Wieder einmal wühle ich mich durch die katastrophal unübersichtlichen Tarifsysteme der öffentlichen Nahverkehrsverbünde Nordrhein-Westfalens. Die Preispolitik des „VRR“ treibt dem rumänischen Kassenwart abermals die Zornesröte ins Gesicht. Am Ende hilft kein Klicken und kein Flehen, das günstigste Fahrkartenpaket für den heutigen Tagesausflug von Bonn via Düsseldorf nach Beinahebelgien kostet sportliche 30,00 €. Da kann man dann nur hoffen, dass der Name der Fahrkarte für Fetti auch zum Programm werden wird: SchönerTagTicketNRW (Single)!

Erstmals fällt mir auf, dass der aus Großbritannien bekannte und geschätzte „National Express“ mittlerweile einige der hoffnungslos überlasteten Strecken in NRW bedient. Auf der Suche nach einem Fahrdienstleister, der sich das aufhalsen mag, wird es wohl eine europaweite Ausschreibung gegeben haben. Tja, und wenn einer das Zeug dazu hat, die beliebten Fußball-Sauf-Wochenend-Strecken zwischen Rhein und Ruhr abzufahren, dann ja wohl die Briten. Kurze Strecken, viele Menschen, wenig Zeit für Druckbetankung – alles wie in Mittelengland. Erklärt dann aber auch noch einmal die unübersichtlichen Tarifsysteme. Bestimmt gar nicht so einfach, wenn nicht nur unterschiedliche Städte und Verkehrsverbünde miteinander in das Gespräch gehen müssen, sondern auch Drittunternehmen mit am Tisch sitzen. SchöneScheißeTicketNRW!

Wenigstens gilt das 30,00 € Ticket auch für die Düsseldorfer Straßenbahnlinie 709, die mich am Worringer Platz und an dessen zahlenmäßig bereits recht stark vertretener Trinkerszene (stabiler Mob!) vorbeischleusen wird. Acht Minuten später ist man auch schon an der Hoffeldstraße angekommen. Das dort befindliche Kraftwerk brummt in reger Betriebsamkeit und ein überdimensioniertes Werbeplakat lässt einen kurz mit den Schultern zucken. Ein noch unangebrachterer Ort für ein Werbeplakat für das neue Schalke-Trikot dürfte wohl kaum zu finden sein…

Im ehemaligen Arbeiterbezirk Flingern steht schließlich die Wiege des Düsseldorfer Clubs, der hier einst als „Turnverein Flingern“ das Licht der Welt erblickte. Während der Umbauphasen des Rheinstadions und der Arena-Ausgeburt der Hölle kehrte die Fortuna immer wieder in ihre angestammte Spielstätte zurück, die man 1988 aufgrund eines finanziellen Engpasses an die Stadt verkaufen musste. Noch heute schlägt das Herz des Clubs, der im allgemeinen Sprachgebrauch als Fortuna Düsseldorf bekannt ist, offiziell aber „Düsseldorfer Turn- und Sportverein Fortuna 1895 e.V.“ heißt, deutlich spürbar an diesem Ort. Kaum vorstellbar, dass sich hier auch nur ein armer Irrer im Vorbeilaufen für den Kauf eines Gelsenkirchen-Oberbekleidungsstücks entscheiden wird und man kann nur hoffen, dass sich irgendjemand aus dem „Jugend Boxzentrum“ zeitnah um diesen Schandfleck kümmern wird…

Im altehrwürdigen Paul-Janes-Stadion ist heute nur die Haupttribüne geöffnet. Diese besteht ausschließlich aus Sitzplätzen und veranlasst die gastgebende Fortuna dazu, 10,00 € pro Eintrittskarte von den geneigten Stadionbesuchern zu verlangen. Ich halte mich erst einmal dezent im Hintergrund und versuche, nicht als Ossi-Hopper aufzufallen und denke, dass ich diesem Ziel mit einer Bestellung von Altbier und einer „Zwote-Bratwurst“ bereits sehr nahe gekommen bin. Am Imbisswagen brennt dennoch die Luft und beinahe wäre es aufgrund zweier Blechkuchen, die nicht zum Verkauf stehen, sondern für die Mannschaft gebacken worden sind, zu einer Eskalation gekommen. Glücklicherweise beruhigt sich die Lage jedoch schnell wieder, ohne dass Sicherheitskräfte herbeigerufen werden müssen.

Der Gast aus Straelen hat 40 lautstarke Anhänger überzeugen können, die weite Reise von der niederländischen Grenze in die Landeshauptstadt anzutreten. Trainer Marcus John erklärt im Stadionheft, dass zwischen Ober- und Regionalliga ein „Zweiklassen-Unterschied“ besteht, die „individuellen Fähigkeiten der Spieler viel größer“ und die „Spielgeschwindigkeit und Athletik mit Oberligaverhältnissen nicht zu vergleichen“ seien. Avisiertes Ziel ist der Klassenerhalt, erfahrene Akteure wie Adli Lachheb und Patrick Ellguth sollen hierbei behilflich sein. Nach zwei Spielen stehen für die Straelener zufriedenstellende drei Punkte auf der Habenseite, doch der Start in das heutige Spiel missglückt völlig.

Bereits in der achten Minute fällt der kleingewachsene Asiat (für diesen Pleonasmus kann ich mich nur entschuldigen) Yodan Kim auf der rechten Verteidigungsseite mit schlechtem Stellungsspiel auf, unterschätzt einen Diagonalball und unterläuft den Defensivkopfball. Düsseldorfs Duman kommt auf der Außenbahn so frei zum Zug, zieht nach Innen und schließt den Angriff mit einem sensationell schönen Schlenzer in das Dreiangel samt Berührung der Latte ab. So also sieht ein „Zwei-Klassen-Unterschied“ in nur einer einzigen Situation aus…

Auch im weiteren Verlauf der ersten Halbzeit wird die U23 der Fortuna mit viel Dynamik und großer Leichtfüßigkeit den hölzernen Gästen die Grenzen aufzeigen. Die Feldvorteile und die technisch-taktische Überlegenheit können die Düsseldorfer aber viel zu selten in den entscheidenden Bereichen des Spielfelds effizient nutzen. Klartext: F95 stirbt in Schönheit, kreiert viel zu wenige Abschlussgelegenheiten und Straelen kann mit Härte und aggressiven Zweikämpfen das Spiel einigermaßen offen gestalten.

In der Halbzeitpause enttäuscht die modernisierte WC-Anlage auf ganzer Linie. Nur ein Auswechselspieler der Gäste, der den Weg in die eigene Kabine offenbar nicht gefunden hat und nun neben den Anhängern der Fortuna urinieren muss, wertet das Gesamtbild ein wenig auf.

Im zweiten Abschnitt büßt die passsichere und optisch überlegene Fortuna weiterhin an Zielstrebigkeit ein. Trotz 70% Ballbesitz sind es eher die Gäste, die offensiv aufhorchen lassen. Nach gut einer Stunde lässt Istrefi zwei Abwehrspieler im Strafraum aussteigen, doch Millisekunden vor seinem Abschluss rauscht ein dritter Düsseldorfer Verteidiger grätschend dazwischen. Wenige Minuten später kontert Straelen mustergültig – zwei, drei schnelle Pässe haben die junge Defensive der U23 ausgehebelt, der finale Querpass sitzt, doch der eingewechselte Stoßstürmer Tarada (erzielte einst 41 Tore in der Landesliga für den DSC 99 Düsseldorf) scheitert freistehend. Während den jungen Fortunen nach und nach die Düse geht und man völlig den Faden verliert, zeigt „Lumpi“ Lambertz Präsenz. Im Verbalduell mit Gäste-Kapitän Weggen lässt ein knackiges: „Halt die Fresse jetzt!“ dann auch keine Fragen mehr offen. Die Gäste lassen sich dennoch nicht einschüchtern, kompensieren weiterhin mit viel Kampf und Einsatz eigene Schwächen und schrauben am Ausgleich. Nach 84 Minuten krönt Abdelkarim mit einem platziert getretenen Freistoß in die untere Torecke die gute Leistung des Aufsteigers, der sich hier ein Remis mehr als verdient hat.

Nach dem Spiel begebe ich mich mit der Straßenbahnlinie 709 wieder zurück zum Hauptbahnhof. Wie immer führt kein Weg am dort beheimateten Imbissstrich vorbei. Ich kehre auf ein klassisches Köfte-Tellergericht und eine Uludağ ein, neben mir nehmen Frau und Mädchen Platz. Seit ich in Berlin-Buch als Sozialarbeiter arbeite, weiß ich, dass der Begriff „Oma“ nicht mehr das umschreibt, das ich mir einst darunter vorgestellt habe. → Eine alte, erfahrene Frau, die im Lehnstuhl sitzt und entweder vorliest oder Lebensweisheiten weitergibt. Mittlerweile bin ich mir durchaus darüber bewusst, dass „Oma“ in der Lebenswelt der Kinder auch gerne mal eine 39-jährige Frau in Leopardenleggins meint, mit der man am Wochenende im „Kaufland“ Energy Drinks einkaufen geht. Auch diese Düsseldorfer Großmutter-Enkeltochter-Beziehung geht direkt in die Vollen. Ich zitiere: „Omma tut sich die Brille mal eben auf, damit sie bei Insta was sehen kann!“

Wenige Millisekunden später hat die Enkeltochter auch bereits das Smartphone der Oma unter der Nase und muss sich nun Fotos von Typen anschauen, mit denen die Oma „seit einer Woche am Schreiben ist“. Sichtlich gelangweilt wischt das Mädchen – vermutlich – einen „Camp David“-Typen nach dem nächsten zur Seite und hofft ebenso wie ich, dass dieses Schauspiel bald ein Ende haben möge.

Gut gesättigt (und einigermaßen voll der Hoffnungslosigkeit) begebe ich mich im Anschluss wieder in das Abenteuer des öffentlichen Nahverkehrs. Was ich von der jungen Dame aus Beinahebelgien bislang wusste, ist, dass sie nicht ganz direkt in Aachen, sondern in Eschweiler wohnt. Nun wird es etwas konkreter und sie teilt mir kurz vor der Abreise mit, dass ich doch besser nach Langerwehe bei Eschweiler bei Aachen fahren solle, wo sie mich dann gerne mit dem Auto abholen und in ihren Wohnort bei Langerwehe bei Eschweiler bei Aachen kutschieren würde. Puh.

Kurz möchte ich darüber in Sorge geraten, was heute Abend noch so auf mich zukommen wird, als ein verschwitzter Typ mit schwarzen Handschuhen das Abteil betritt und sich erschöpft in einen Sitz fallen lässt. Das Rentnerehepaar, das ihm gegenüber sitzt, begeht einen Anfängerfehler. Niemals, niemals, wirklich niemals sollte man in einer Regionalbahn mit einem Menschen in ein Gespräch eintreten, den man für einen Sonderling hält. „Sie sehen aber kaputt aus“, sagt der ältere Herr – und bei Gott, er wird bis an sein Lebensende bereuen, diesen Kommentar fallen gelassen zu haben.

„Ich habe den ganzen Tag als Maskottchen bei der „Metro“ gearbeitet“, antworten die schwarzen Handschuhe.

Stille.

Ich kann mich nicht daran erinnern, dass das Rentnerehepaar interessiert Nachfragen gestellt hätte. Es hindert den Sonderling allerdings nicht daran, ausführlich von seinem Tag und aus seinem Leben zu erzählen. Mindestens vier Kilo hätte er heute abgenommen und die schwarzen Handschuhe würde er nur tragen, um nicht auszukühlen. Man würde sehr viel schwitzen unter den teilweise bis zu 20 Kilogramm schweren Kostümen und eine Erkältung dürfe er sich nicht erlauben. Schließlich betreibe er seit 12 Jahren ein erfolgreiches Kleingewerbe und sein ganzer Keller sei voll mit wertvollen Verkleidungen. Er berichtet von all dem mit stolzgeschwellter Heldenbrust, so als hätte er kürzlich 12 Semester Atomphysik erfolgreich mit einer 1,0 abgeschlossen. Jetzt müsse er aber kurz mit seiner Freundin telefonieren, die war heute Biber bei einer „Obi“-Veranstaltung. „Lumpi“ hätte ihn bestimmt schon vor 10 Minuten darum gebeten, die Fresse zu halten.

Die Zeit des Telefonats nutze ich, um mir auszumalen, wie die beiden sich wohl kennengelernt haben, denke an die Rubrik „Lowered Expectations“ aus „Mad TV“ und sehe vor meinem geistigen Auge einen „Obi“-Biber und einen „Metro“-Mann Hand in Hand am Strand durch den Sonnenuntergang springen. Ja, ich muss zugeben, dass ich mich gerne selbst erheitere.

Im weiteren Verlauf seines Monologs wird dann klar, dass er auch diversen Maskottchen von Sportvereinen aus der näheren Umgebung Leben einhaucht. Wer also schon immer mal wissen wollte, welcher Volltrottel den antibiotikageschädigten Bayer-Löwen zum Hampeln bringt – hier sitzt das Gesicht dazu. Ich denke mir weitere Maskottchen aus und schmunzele schon wieder, weil ich mir ein grenzdebiles, Basketball spielendes Zwieback in Hagen vorstelle und mir plötzlich auffällt, dass die Wasserballer Dormagens eigentlich auch kein besseres Maskottchen verdient hätten, als einen anthropomorphen Blinddarm. Besser kann man den Begriff „Maskottchen“ ohnehin nicht definieren: Tanzender Wurmfortsatz, den kein Mensch braucht.

In Langerwehe wird mir im Auto durch die junge Dame eröffnet, dass sie für heute Abend einen Grill, Grillfleisch und ein Fassbier bereitgestellt hätte. Bin ich erst einmal mit einverstanden. Bevor wir uns jedoch dem Abendprogramm zuwenden, entführt sie mich auf den „Indemann“ – einen Aussichtsturm mit imposantem Blick auf die unendlichen Weiten der stillgelegten Tagebau-Baggerlöcher der Umgebung. In ihrem Wohnzimmer wird mir kurz darauf zuerst eine Pole-Dance-Stange auffallen. Heute ist so ein schöner Tag, NRW, (Single).

Was sie mir zu diesem Zeitpunkt allerdings noch nicht erzählt hat, ist, dass ihre Eltern leider noch immer nicht bei ihr ausgezogen sind. Im Garten dauert es dann auch keine fünf Minuten, bis sich ihre Mutter einmischen wird und ich mich mit Mitte 30 plötzlich wieder wie mit Mitte 10 fühle. Nennen wir es: Langerweher Jungbrunnen und bedanken uns herzlich für die Gastfreundlichkeit.

Am nächsten Morgen wühle ich mich durch die katastrophal unübersichtlichen Tarifsysteme der öffentlichen Nahverkehrsverbünde Nordrhein-Westfalens. Die Fahrt von Düren bei Langerwehe bei Eschweiler bei Aachen nach Siegen dauert 2 Stunden und 50 Minuten und treibt dem rumänischen Kassenwart die Zornesröte ins Gesicht. Am Ende hilft kein Klicken und kein Flehen, das günstigste Fahrkartenpaket für den heutigen Tagesausflug kostet sportliche 30,00 €. Da kann man dann nur hoffen, dass der Name der Fahrkarte für Fetti auch zum Programm werden wird: SchönerTagTicketNRW (Single)! /hvg