629 629 FUDUTOURS International 30.04.24 16:38:40

25.02.2017 Ferencvárosi Torna Club – Videoton FC 0:0 (0:0) / Üllői-úti-Stadion / 8.725 Zs.

Dank der ausgekundschafteten öffentlichen Nahverkehrsverbindung geht die Überfahrt von Kispest nach Ferencvaros leicht von der Hand. Auf der U-Bahn-Etappe begehen die beiden FUDU-Lästermäuler jedoch die Missetat, sich über eine aufgetakelte Schönheit zu amüsieren. Im Zentrum des Spotts stehen hierbei ihre Leopardenleggings, wobei man getrost von einem Anfängerfehler sprechen kann, wenn man, davon ausgehend, dass in der näheren Umgebung schon niemand die deutsche Sprache beherrschen wird, dies auch öffentlich so benennt und dabei verkennt, dass das ungarische Wort für „Leopard“ eben „Leopárd“ ist. Die der englischen Sprache entlehnte Begrifflichkeit Leggings wird ohnehin global verstanden und so ist es nur folgerichtig, dass die junge Dame uns beim Lästern ertappt und ihrerseits das Gesicht zur Faust ballt. Merke: Möchtest Du Dich in Ungarn ungestraft über Leopardenleggings lustig machen, nutze die Umschreibung „Wildtierbuchse“.

Um diese Erkenntnis reicher, finden wir uns gerade so rechtzeitig am Stadion des ungarischen Rekordmeisters ein. Schnell werden dort die kurzen Schlangen an den Drehkreuzen abgearbeitet. Auch wir passieren die Stadiontore mit unseren erworbenen personalisierten Eintrittskarten problemlos, wobei ein erneuter Scan der Handflächen von Nöten ist, bevor sich das magische Stadionportal für einen öffnet.

Neben uns lassen heute lediglich 8.723 weitere Menschen dieses furchtbare Trauerspiel mit sich spielen, um die seelenlose Arena betreten zu dürfen. Diese wurde im Jahr 2014 feierlich unter einem Sponsorennamen eröffnet und hat bis auf den Standort leider rein gar nichts mehr mit der ursprünglichen Spielstätte Ferencváros‘ zu tun, die von 2007-2014 Albert-Flórián-Stadion hieß. Immerhin erinnert nach wie vor zumindest eine Statue an die Clublegende, die 1967 zu Europas Fußballer des Jahres gewählt worden war.

Im Stadioninneren angekommen setzt sich der Kulturschock weiter fort. Aus dem Himmel der Fußballreinkultur in Kispest kopfüber hinein in die Fußballhölle Franzstadts, sozusagen. Die Ultrászene boykottiert die Spiele ihres Herzensvereins logisch konsequent seit Mitte 2014, wobei sich die Gründe an dieser Stelle wohl selbst für Menschen erschließen lassen dürften, deren Fachgebiet jetzt nicht vorrangig in Fragen der Fankultur verortet liegt. Unsere Tribüne, die zu Dumpingpreisen verramscht worden ist, ist gerammelt voll. Um uns herum sitzen Familien, deren Kinder quietschend durch die Sitzreihen toben. Es stinkt nach Popcorn. Bier kann man selbstverständlich auch nicht erwerben, es sei denn, man erklärt sich bereit, seine Seele erneut an die Totengräber des Fußballs zu verkaufen und sich eine Arena-Paycard zuzulegen. Hinter dem einen Tor hat sich ein jämmerlicher Haufen Kutten zusammengefunden, die mit ihren „Fradi“-Rufen versuchen, so etwas ähnliches wie Atmosphäre zu erzeugen. Ansonsten gibt es knapp 15.000 leere grüne Sitzschalen zu goutieren und plötzlich fällt es uns wie Schuppen von den Augen: Dieses widerliche Stadionerlebnis erinnert auf so vielen Ebenen an einen Besuch des Retortenprodukts in Leipzig. Ach, wären wir doch lieber noch eine halbe Stunde länger in Kispest geblieben und hätten mit Márton Eppler gefeiert…

Kommen wir nun zum sportlichen Teil des Abends. Ferencváros liegt aktuell nur auf einem enttäuschenden vierten Platz und droht die avisierte Meisterschaft deutlich zu verpassen. Cheftrainer Thomas Doll sieht sich bereits arger Kritik ausgesetzt und es steht die berechtigte Frage im Raum, in wie weit sein Plan, drittklassige deutsche (Sternberg, Hüsing, Trinks) bzw. in Deutschland gescheiterte und in die Jahre gekommene Fußballspieler (Kleinheisler, Djuricin, Hajnal) in Ungarns erster Liga Erfolg versprechend einzusetzen, aufgehen kann.

FUDUs minutiöse Vorbereitung auf die Partie wird zu allem Überfluss über den Haufen geworfen, da sich der ehemalige Bremer Florian Trinks heute nicht im Kader befindet. Das im Vorfeld erdachte Saufspiel, bei jedem Ballkontakt Florians einen zu heben, kann daher heute leider nicht wie geplant stattfinden. Aber immerhin kommen die beiden Forinthenkacker so endgültig um den Erwerb einer Bezahlkarte drumherum.

Auf der gegenüberliegenden Seite agiert heute der legendäre Videoton FC aus Székesfehérvár, der sich aktuell an der Spitze der Tabelle befindet. „Vidi“ dürfte jedem Fußballfreund, der gerne in den Archiven wühlt, ein Begriff sein, sorgten die rot-weißen in der Saison 1984/85 schließlich international für Aufsehen. Nachdem man Dukla Praha, Paris St. Germain, Partizan, Manchester United und den FK Željezničar ausgeschaltet hatte, scheiterte man erst im Finale des UEFA-Cups denkbar knapp an Real Madrid, wobei das Rückspiel im Santiago Bernabéu sogar mit 1:0 gewonnen werden konnte. Mein Bezug zu dem Club ist darüber hinaus dadurch gegeben, dass ich bereits drei Mal mit der ungarischen Eisenbahn am Sóstói-Stadion mit seinen wunderschönen Flutlichtmasten vorbeigefahren bin und ein Besuch dieser Stadt auf meiner persönlichen To-Do-Liste locker unter den ersten 100 Punkten zu finden wäre.

Aufmerksame Leser stellen sich womöglich die Frage, warum all dies für diesen Bericht relevant ist. Ich könnte noch erklären, dass die drei E im Vereinsemblem Ferencaváros‘ für „Erkölcs“, „Erő“ und „Egyetértés“ (Moral, Kraft, Eintracht) stehen, einzig und allein aus dem Grund, mich noch ein wenig darum winden zu können, etwas über das Fußballspiel zwischen Fradi und Vidi berichten zu müssen.

Dieses ist nämlich über die gesamte Spieldauer genau so zum Davonlaufen wie das Stadionambiente als solches. Thomas Doll tigert nervös die Außenlinie entlang („der Roadrunner von ACNE“) und der Schiedsrichter passt sich mit einigen sonderbaren Entscheidungen dem spielerischen Niveau der Partie an. Nach zwanzig Minuten köpft Oliver Hüsing nach einem Freistoß gegen den Pfosten – es soll die einzige Chance der gesamten Partie bleiben. Eine Viertelstunde später bekommen sich Marco Djuricin und László Kleinheisler während des Spiels auf dem Platz so sehr in die Haare, dass Mitspieler die beiden Streithähne voneinander trennen müssen. Der nichtige Anlass des Konflikts: Kleinheisler hatte den Ball zu lange am Fuß geführt und den richtigen Moment des Abspiels verpasst, sodass Herr Djuricin abseits stand. In dieser Truppe stimmt die Chemie!

Auch in der zweiten Halbzeit können beide Mannschaften kein Tempo, keine Genauigkeit und keine Finesse auf den Platz bringen. FUDU konstatiert: Dieses Spiel ist so höhepunktarm wie ein Priester. Am Ende entführen die von Blackburn-Legende Henning Berg trainierten Gäste einen Punkt aus der Arena, während wir mit hängenden Köpfen aus selbiger schleichen und nach 175 Minuten „Fußball“ in Ungarn noch immer keinen Treffer kredenzt bekommen haben.

In den Katakomben wird Pressekonferenzlegende Thomas Doll („Bla bla bla ist das, alles bla bla bla!“) in der Pflicht stehen, das Gesehene schön zu reden. Womöglich diktiert er den ungarischen Journalisten aber gerade auch einfach ein „Doll wart nich!“ in die Notizbücher, als wir auch endlich ein für uns schönes Momentum an diesem negativen Fußballerlebnis in der Arena entdecken. Durch das 0:0 beider Teams ist der Honvéd FC an Videoton vorbeigezogen und grüßt nun von der Tabellenspitze.

Der Traditionsverein mit seiner Traditionsspielstätte ist fortan auf dem besten Weg zu seiner ersten Meisterschaft seit 24 Jahren. Und so kann dieser Bericht doch mit der einigermaßen versöhnlichen Erkenntnis ausklingen, dass der moderne Fußball mit all seinen widerlichen Kapriolen dann und wann trotzdem unterlegen bleibt! /hvg