Posted on Dezember 30, 2015
30.12.2015 Hearts of Midlothian – Dundee United 3:2 (3:2) / Tynecastle Stadium / 16.721 Zs.
Das Sigthseeing-Programm in Edinburgh spult FUDU bei strömendem Regen und 80 km/h Windböen ab. Wir besichtigen das Castle, flanieren die Royal Mile entlang und stellen schnell fest, dass die Stadt zwar optisch zu überzeugen weiß, durch die Touristendichte aber gleichermaßen anstrengend ist. Offenbar sind in der schottischen Hauptstadt über Silvester „Asia Wochen“ angesetzt, anders können wir es uns nicht erklären, warum wir in den wenigen Stunden Aufenthalt in der Innenstadt mehr fotografierende Menschen asiatischer Herkunft als Schotten wahrnehmen.
Nebenan laufen die Aufbauarbeiten für die größte Silvesterparty Schottlands („Hogmanay“). Einige Straßenzüge werden gesperrt, mit Einlasstoren versehen, die man morgen nur gegen Entrichtung eines Entgelts passieren werden darf. Dazu werden erste Verbotsschilder aufgestellt und Verhaltensregeln via digitaler Anzeigetafeln kundgetan. Furchtbar.
Das schlechte Wetter spült uns recht bald in die erstbeste Gaststätte, in der wir feststellen, dass zu allem Überfluss auch die Bierpreise in Edinburgh touristisch gestaltet sind und wesentlich höher liegen als im 70 Kilometer entfernten Glasgow. Dennoch erklimmt FUDU alsbald den Gipfel rhetorischen Schwachsinns und dialogisch entstandene Improvisationsscherze für die Ewigkeit werden geboren. Beispiele gefällig? „Ich habe mal neben Ashton Kutcher gepullert!“ – „Neben dem echten?“ – „Ja, neben dem Ashton!“. Oder die lässig ausgesprochene Empfehlung, dass man angesichts der aufkommenden Fragestellung, worin sich die Sportarten Cricket und Crocket unterscheiden würden, einfach mal „Crocketdile Dundee“ fragen müsste. Nun gut, die vollständige Verblödung scheint nach fünf Tagen Schottland nun nicht mehr zu verhindern sein…
So wird FUDU also geradezu dazu gezwungen, etwas kulturellen Input zu ziehen und man entscheidet sich, der Scottish National Gallery of Modern Art einen Besuch abzustatten. Dort bewundern wir die Werke berühmter Künstler wie Warhol, Lichtenstein und Picasso und erfreuen uns der in Großbritannien üblichen Eintrittsgelderpraxis in Museen: Kostet nüscht, Spenden erbeten. Funktioniert, weil viele Menschen den Wert von Kunst selbst zu taxieren wissen und entsprechend monetär goutieren. Würde nicht funktionieren, wenn es mehr Asoziale wie uns gäbe, die das gesparte Geld blitzschnell in Pints umrechnen können und daher auf eine freiwillige Abgabe verzichten.
Im Anschluss machen wir uns auf zum Hafen von Leith, um die königliche Yacht Britannia besichtigen zu können. Nach wie vor ist es uns angesichts der defekten Fahrkartenautomaten in schottischen Bussen nicht möglich, einen Fahrschein zu kaufen. Okay, genaugenommen tragen wir auf perfide osteuropäische Art und Weise zu diesem preiswerten Vergnügen bei. Während die Schotten nämlich Einzelfahrten (ohne Ticketausdruck) beim Fahrer in bar bezahlen, ist FUDU clever genug, um bei jeder Bustour nach einer Tageskarte zu fragen, für die es einen funktionsfähigen Automaten benötigen würde. Die Antwort der Fahrer heißt daher stets: „Jump in, guys!“
Nach Ankunft am Zielort stellt sich schnell heraus, dass diese kostenlose Busfahrt in etwa den selben Wert hat, wie das Ausflugsziel. Schwer enttäuscht sind wir, dass wir weder freien Blick auf das Meer haben, noch am Ufer entlanglaufen oder einen Hafen erkunden können – und auch von der Britannia können wir uns nur minimale (und enttäuschende) Eindrücke verschaffen, da die Sichtachse durch ein furchtbares Shoppingcenter getrübt wird. In eben jenes „Ocean Terminal Center“ werden alle Touristen zwangsläufig geleitet, die etwas mehr von der königlichen Yacht sehen wollen. Nachdem man sich mühselig durch zwei Etagen Konsumhölle gekämpft hat, erhält man sogleich den nächsten Tiefschlag. Hier wird eine Eintrittszahlung in Höhe von 12 Pfund fällig – ist ja kein Museum.
FUDU verzichtet dankend und macht sich fußläufig auf den Rückweg in Richtung Innenstadt, um sich mit zwei Pub-Aufenthalten die Zeit bis zum Anpfiff des Spiels Hearts of Midlothian gegen Dundee United zu versüßen. Einige Pints später besteigen wir den Bus in Richtung Tynecastle Stadium und ordern siegesgewiss drei Tagestickets. Ohne jeden Kommentar betätigt der Busfahrer zwei-drei Knöpfe und unsere Billets à 4 Pfund rattern aus der Maschine. Verdammt. Wäre diese Glückssträhne also auch gerissen.
Nach dem ersten flüchtigen Blick auf das Stadion kehrt das Lächeln jedoch sehr schnell wieder in die Gesichter der Reisenden zurück. Inmitten eines Wohnblocks liegt das Stadion, das bereits von außen gar nicht britischer aussehen könnte. Eine wunderbare Klinkerfassade mit beleuchtetem Logo setzt erste optische Akzente, alles wirkt eng, verbaut, urig und der Duft mehrerer Jahrzehnte Fußballhistorie liegt in der Luft. Ein Schild an der Tür des Fanshops informiert darüber, dass das Spiel heute „Sold Out“ sei. Wir sammeln unsere vorbestellten Eintrittskarten ein. Ich kann es kaum erwarten, das Stadion von innen zu sehen und presche bereits eine halbe Stunde vor dem Fackelmann und dem Wirtschaftsflüchtling durch die „Sicherheitskontrolle“, die auch in diesem Stadion lediglich daraus besteht, seine Eintrittskarte vor dem Passieren eines elektronischen Drehkreuzes zu scannen und dem dahinter befindlichen Ordner freundlich „Hello“ zu sagen.
Unsere Plätze befinden sich in der fünften Reihe hinter dem Tor. Noch näher kann man kaum am Geschehen sein. Meine Blicke wandern durch das Stadion – besonders angesichts der alten Holz-Giebeldach-Tribüne auf der Längsseite steht der Mund weit offen. Nebenan beziehen die 744 Gäste aus Dundee Stellung und nur wenige Sekunden nach dem Eintreffen der beiden FUDU-Trödler gibt der Schiedsrichter das Spiel frei.
Bei Dundee fehlt der deutsche Torhüter Luis Zwick, der über weite Strecken der Saison die Position des Stammtorhüters inne hatte. Dafür spielt in Guy Demel ein alter Bekannter in der Verteidigung und die FUDU-Außenstelle Finnland weist darauf hin, dass Dundee-Coach Mika-Matti „Mixu“ Paatelainen in der Heimat wegen seiner „Weihnachtsbaumtaktik“ verschrien ist.
Die Fans aus Dundee geben in der Anfangsphase Vollgas und dominieren die Stimmung im Tynecastle Stadium, was aber angesichts der Abwesenheit von Heimstimmung auch nicht sonderlich schwer ist. Wirklich über alle Maße enttäuschend ist, dass es im gesamten Spiel nicht einen einzigen lautstark vorgetragenen Sprechchor und kein einziges Lied der Heimfans zu hören geben wird – bis auf ein-zwei hämische und provozierende „You’re going down!“ Schlachtrufe in Richtung der abstiegsbedrohten Gäste, die sich dadurch aus der Fasson bringen und zu einigen kleinen Scharmützeln mit Ordnern und Heimfans hinreißen lassen. Im Anschluss kehrt dann auch im Gästeblock Ruhe ein.
Das Spiel reißt uns währenddessen jedoch von den Sitzen. Nach den trüben Zweitligapartien weiß das Niveau dieser Erstligabegegnung zu überzeugen. Gleich fünf Tore fallen in der ersten Halbzeit, davon zwei per Elfmeter und eines nach einem katastrophalen Torwartfehler des Ersatzmannes von Luis Zwick. Ständig marschieren beide Mannschaften mit hohem Tempo, hoher Leidenschaft, hoher Aggressivität und geringem technischen Vermögen das Spielfeld auf und ab. Es gibt Abschluss- und Torchancen im Minutentakt, sodass das ganze Stadion eigentlich kochen müsste. Tut es aber nicht. Dafür kochen wir um so mehr und sind nahezu erleichtert, dass uns der Herr Schiedsrichter nach 45 Minuten eine kurze Pause zum Verschnaufen gönnt.
Dort legt der stilsichere Stadion-DJ zunächst einmal aufgrund der aktuellen Ereignisse „Ace Of Spades“ von Motörhead auf und erobert hiermit unsere Herzen (of Midlothian) im Sturm.
In der zweiten Halbzeit beruhigt sich das Spiel ungemein, wobei über die Dauer des Spiels nach und nach immer klarer wird, warum die Gäste abgeschlagen am Tabellenende stehen. Waren sie hier und heute durchaus furios in die Partie gestartet, macht sich nun – auch dank einer erhaltenen roten Karte – Ernüchterung breit. Die Hearts haben alles im Griff, kontrollieren das Spiel nach Belieben und werden letztlich nicht dafür bestraft, dass sie etliche Großchancen liegen lassen und das Ergebnis nicht in die Höhe schrauben können.
Wie in Schottland üblich, stürmen auch wir direkt nach dem Abpfiff den erstbesten Pub. In einer gegenüberliegenden Fish&Chips Bude bestellen und verspeisen wir im Anschluss das größte frittierte Lebewesen, das jemals einen FUDU-Schweinemagen kennenlernen durfte, ehe wir uns mit dem Bus zurück in Richtung Edinburgh City Center machen.
Dort entdecken wir tatsächlich auf dem Weg ins Hotel noch einen geöffneten Pub, für den aus irgendeinem Grund die Sperrstunde keinerlei Bedeutung hat. Nach einigen überteuerten Bieren (because of the Ausnahmeregelung) lassen Teile der Reisegruppe ihren Nemo wieder frei. Nicht in jedem von uns steckt also ein waschechter Schotte! Bereits gegen 2.30 Uhr sind die Hotelbetten erreicht. Morgen gilt es, ein britisches Frühstück einzunehmen und den Heimweg nach Glasgow anzutreten, um den Tourimassen, den exorbitant steigenden Hotelpreisen und den elitären Straßenfeierlichkeiten zu entfliehen. /hvg
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