916 916 FUDUTOURS International 21.11.24 22:43:19

03.11.2018 SCW Obermain – 1.FC 1911 Burgkunstadt 0:0 (0:0) / Waldstadion Weismain / 105 Zs.

Am Samstagmorgen glühen die Handydrähte nach Weismain. Seit Tagen stehe ich im regen Austausch mit einem freundlichen Menschen, der die Social Media Abteilung des Kreisligisten mit Inhalt füllt. Noch immer haben wir keine finale Antwort darüber erhalten, ob das Spiel gegen den 1.FC Burgkunstadt im Stadion oder auf einem Nebenplatz stattfinden wird. Eine Aussage hierüber könne man leider immer nur sehr kurzfristig treffen, so die Aussage Mitte der Woche. Viel kurzfristiger als vier Stunden vor Anpfiff geht ja nun nicht mehr und so frage ich nun trotz der entspannten Großwetterlage noch einmal vorsichtig nach, ob das wunderschöne „Waldstadion“ heute im Rahmen eines Fußballspiels besichtigt werden kann. Die Antwort ist gleichermaßen überzeugend wie motivierend, die 100 Kilometer Anreise unverzüglich anzutreten: „Joa, wird schon klappen ;-)“!

Auf dem Weg zu unserem Auto, das wir gestern in der Dunkelheit irgendwo in einer Nebenstraße „Am Plärrer“ geparkt hatten, passieren wir das Figurentheater „Salz+Pfeffer“. Ihr ahnt es nicht, welches Stück hier aktuell aufgeführt wird. Es ist „Der eingebildete Kranke“ von Molière – und mir scheint die Suche nach einem Spitznamen für den Herrn Autofahrer dank dieser schicksalhaften Bestimmung zumindest für diese Reise zum Abschluss gekommen zu sein. Da Fetti seinem Bildungsauftrag nachkommen mag, entführt er euch kurz in Molières letztes Werk, welches 1673 uraufgeführt wurde. Worum geht’s? Der Hypochonder Argan wird von seinem Arzt Monsieur Purgon über den Tisch gezogen, der überteuerte Rechnungen schreibt und bewusst unnütze Behandlungen durchführt. Gleichzeitig schreibt Argan aus rein eigennützigen Motiven seiner Tochter vor, einen Arzt heiraten zu müssen und stellt sich nebenbei auch noch tot, um herauszufinden, welche Familienmitglieder ihn denn nun wirklich lieben. Kurzum: Bei dem Kerl liegt einiges im Argan. FUDU-Aufnahmeprüfung somit bestanden!

90 Minuten später haben wir Weismain in der fränkischen Schweiz erreicht. Die geographische Bezeichnung deutet darauf hin, dass wir womöglich auf Menschen mit doppelter Sprachbehinderung treffen werden. Ansonsten freuen wir uns darüber, dass Weismain an der „fränkischen Bierstraße“ liegt, „staatlich anerkannter Erholungsort“ (Sachen gibt’s) ist und wir nach Abstellen des PKW noch gute anderthalb Stunden Zeit haben, diesen zu erkunden.

Die Erkundungstour kann man schnell zusammenfassen. Das 5000-Seelen-Örtchen hat einen sehr hübschen Ortskern zu bieten, der sich am Samstagmittag aber sehr verschlafen präsentiert. Die Straßen sind menschenleer, Gaststätten gibt es keine und Geschäfte sind verschlossen. Selbst die „appetitlichen Geschenkideen“ von „Sandra’s Partyservice“ (sic!) bleiben Fetti heute bedauerlicherweise vergönnt. FUDU geht durch die „Hölle“, wirft einen Blick auf das Rathaus, goutiert die Stickerkultur, die der 1.FC Nürnberg hier hinterlassen hat und verfällt in tiefe Trauer, dass das wunderschöne Gelände der „Obendorfer Brauerei“ seit 1997 dem Verfall preisgegeben ist.

Wahrlich, 1996 war die Welt in Weismain noch in Ordnung. Der ortsansässige SC Weismain war soeben in die dritthöchste Spielklasse des deutschen Fußballs aufgestiegen. Alois Dechant hatte dieses Fußballwunder möglich gemacht. Mit Hilfe seiner Investments war der SCW von der A-Klasse bis in die Regionalliga durchgestartet. Der Sportplatz von 1945, der 1968 erstmals den Namen „Waldstadion“ trug, wuchs parallel zum sportlichen Erfolg Schritt für Schritt mit. Vor dem Aufstieg 1996 fasste die Spielstätte bereits knapp 10.000 Zuschauer, doch nun standen Ligaduelle auf Augenhöhe mit dem traditionsreichen 1.FC Nürnberg auf dem Programm. Grund genug für Bauunternehmer Alois Dechant, noch einmal Geld in die Hand zu nehmen und es in das Stadion zu investieren. Es entstand eine Flutlichtanlage, eine Überdachung der Südtribüne und eine Erweiterung der Stehplatz-Gegengeraden um 18 Ränge aus Sandstreinrohlingen, die heute charakteristisch für die nunmehr 17.000 Zuschauer fassende Spielstätte sind. Hardy Grüne nennt das Stadion „eines der atemberaubendsten des Landes“ und Journalist Robert Schäfer spricht von „einem der schönsten Naturstadien Deutschlands“. Am 12.04.97 gewann der „Club“ das langersehnte Jahrhundertspiel vor ausverkauftem Haus mit 2:0. Gäste-Kapitän Knäbel sprach vom „Bökelberg der Regionalliga“, Weismain hielt sich drei Jahre lang in der Spielklasse, erste Träumereien von der zweiten Bundesliga machten die Runde, dann folgte der Absturz. Sportlich ging es bergab bis in die Bezirksoberliga, 2003/04 musste man Insolvenz anmelden. Heute heißt der Verein SCW Obermain und spielt in der Kreisliga Coburg/Kronach, Dechant wurde 2010 zum Ehrenbürger der Stadt Weismain ernannt und von all dem Ruhm ist nur noch eines übriggeblieben: das Stadion.

Heute empfängt man (glücklicherweise) IN eben jenem Stadion den 1.FC Burgkunstadt. Nüchtern betrachtet trifft in der 16 Mannschaften umfassenden Kreisliga der Tabellenelfte auf den um einen Rang schlechter platzierten Tabellennachbarn, euphorisiert kann man aber auch von einem mit Spannung erwarteten Derby sprechen. Weismain und Burgkunstadt trennen exactamente sieben Kilometer. Na, wenn das mal kein Fußballfest wird!

Wir starten verheißungsvoll in diesen Festtag. Nach Bezahlung des aufgerufenen Eintrittspreises in Höhe von 3 € machen wir unser Bedauern öffentlich, dass der SCW seinen Stadiongängern keine Eintrittskarten an die Hand gibt. Der ältere Herr an der Geldkassette wundert sich und hinterfragt, was denn ein solches Stück Papier für einen Wert habe. „Na, zur Erinnerung an den Stadionbesuch“ ist dann eine Begründung, mit der er offenbar etwas anfangen kann. Es folgt der legendärste Satz, den je ein Geldeintreiber gegenüber FUDU hat fallen lassen: „Passt’s kurz auf mei Kasserl auf, i hoab da woas!“ – und schwupps, steht FUDU mit den Tageseinnahmen (also mindestens 6 €) und dem vorbereiteten Wechselgeld alleine da. Einige Minuten später kehrt der Mann aus dem Clubhaus zurück, überreicht zwei alte Vereinsnadeln des SC Weismain als Geschenk, wünscht einen angenehmen Stadionbesuch und bedauert, dass wir in der Zwischenzeit keine weiteren Einnahmen für den SCW auftreiben konnten. Noch ist ja eine knappe halbe Stunde Zeit bis zum Anpfiff und der große Ansturm kommt bestimmt noch…

Wir nutzen die verbleibende Zeit bis zum Spielbeginn für einen gediegenen Rundgang durch das Stadion. In Weismain ist man Hoppern gegenüber so freundlich, das gesamte Areal zu öffnen und die Türen zwischen den einzelnen Tribünen geöffnet zu halten. So also passieren wir den Hintertorbereich mit dem Clubhaus, verweilen etwas länger auf der Gegengerade mit neun Stufen aus Beton und den faszinierenden 18 Naturstein-Rängen, ehe wir der Hintertortribüne mit einigen vorgelagerten und einigen überdachten Stehplätzen einen Besuch abstatten. Diese ist offensichtlich zuletzt im Juli besucht worden, worauf die omnipräsenten Aufkleber des HFC hindeuten. Im vergangenen Sommer hatte der 1.FC Nürnberg den Halleschen FC im „Waldstadion“ zum Vorbereitungsspiel empfangen und dieses vor 4.004 Zuschauern 1:2 verloren. Etwas spektakulärer ging es nach Abpfiff zu, als sich Ultras beider Mannschaften auf dem Rasen eine wilde Prügelei lieferten. So ist das eben, wenn sich „vier Fäuste für den Glubb“ Gäste aus dem Osten einladen. Die haben nun mal den Drang, sich zu boxen…

Unseren Rundgang setzen wir dann auf der Haupttribüne fort und sind bereits jetzt restlos vom Stadionerlebnis begeistert, ehe es wir uns bei angenehmen Herbstwetter auf einer der roten Sitzschalen gemütlich machen. Mit einem „Weismainer Püls-Bräu“ (→ frrröhlich, frrränkisch, frrrisch) aus einer Glasflasche mit Drehverschluss (ich), einem Radler (er) sowie einer Wurst für 1,50 (ich) und zwei Würsten für 2,50 (er) ausgestattet, wird uns das Achtligagebolze schon nichts anhaben können. 105 Zuschauer haben sich heute im weiten Rund verlaufen und alle Firmen des Orts sind auf Werbebanden vertreten. Sogar „Sandra’s Partyservice“ hat ein Schweinderl im Stadion platziert, fehlt einzig und allein das „Kerzenlädle“ – na, da kauf ich dann wohl nicht mehr ein.

Das Spiel. Nun ja. Die Anfangsphase lässt sich noch ganz gut an – nach fünfzehn Minuten hat die Heimmannschaft bereits drei Torabschlüsse aus der zweiten Reihe zustande bekommen, der Gast ist einmal aus Nahdistanz per Kopf gescheitert. Dann verpufft jedoch der Anfangsschwung und beide Mannschaften brillieren ausschließlich mit Härte, Kampf und Krampf. In der 40. Minute jagt ein Gästespieler einen direkten Freistoß über das Tribünendach und mutmaßlich bis in einen Burgkunstädter Vorgarten, während der letzte Hoffnungsschimmer auf ein Tor in Halbzeit eins in der Nachspielzeit „dank“ einer starken Fußparade des Weismainer Keepers Tjerk Berthold verpufft.

Halbzeit Zwei. Neuer Platz, neues Bier, neues Glück. Handgezählte 82 Menschen und ein Hund befinden sich nun neben uns auf der Gegengerade und allesamt trauen ihren Augen nicht. Gerade aus den Katakomben gekommen, haben sich beide Mannschaft offenbar vorgenommen, die nächsten 45 Minuten ein wüstes Getrete zu zelebrieren. Offene Sohle und volle Kraft voraus! Und so dauert es auch gar nicht all zu lange, bis die ersten Ruppigkeiten nach Wiederanpfiff zum ersten Platzverweis führen. Gästespieler Steffen Wuttke (Zitat in Minute 44.: „Der 7er kriegt heute noch gelb!“) langt erst ordentlich hin und schimpft dann auch noch wüst auf den zusammengetretenen Akteur ein. Schiedsrichter Hannes Kimmel ist konsequent, setzt zur doppelten Bestrafung an und schickt Wuttke mit gelb-rot duschen. Nur zwei Minuten später kulminieren die Aggressionen in diesem nun sehr hitzigen Derby vollends: nach einem rüden Foul von Burgkunstadts Schamel zückt Kimmel zunächst die gelbe Karte und wird nun von Heimcoach Kemnitzer, der vehement eine andere Farbe fordert, verbal in die Mangel genommen (Obacht, auch er könnte den Drang haben, sich zu boxen…). Das wiederum missfällt der Ersatzbank der Gäste, es kommt zu einer wilden Rudelbildung, die sich nicht unbedingt beruhigt, als Schiedsrichter Kimmel nach Beratung mit seinem Assistenten dazu übergeht, doch glatt rot zu zeigen. Nun sind es die bislang gar nicht wahrgenommenen Gästeanhänger, die ihr Hillbillie-Potential ausschöpfen. Der Gruppendoofste klettert auf den Zaun, beleidigt den Linienrichter als „Wichser“ und der Beleidigte lässt es sich nicht nehmen, ebenfalls an den Zaun heranzurücken und sich zu stellen. Die ganz feine Klinge hier in der fränkischen Schweiz!

In doppelter Überzahl haben die Weismainer in den verbleibenden 34 Minuten des Spiels unfassbar wenig Ideen. Irgendwann nehmen die Verzweiflungsschüsse aus abnormen Distanzen Überhand und den Seitfallzieher aus 25 Metern darf man getrost lächerlich nennen. Richtig unangenehmes Fremdschämpotential hat der Trashtalk zwischen Weismain-Keeper Berthold und dem Zaunkletterer, sowie die Entscheidung der Weismainer Spieler einen Angriff zu Ende zu fahren, obwohl sich ein Gästespieler vor Schmerzen am Boden krümmt. Wieder kommt es zur Rudelbildung und wahrlich, mit 11 gegen 9 dürfte man den Ball dann schon ins Aus spielen…

Das Spiel wird von Minute zu Minute schlechter und letztlich verdienen sich die Gäste nach aufopferungsvollem Kampf den Punktgewinn in Weismain. 0:0 – in dieser Höhe verdient!

Für uns soll es das noch nicht gewesen sein. Direkt im Anschluss der Kreisliga-Begegnung findet um 16.00 Uhr schließlich noch der frrränkische Frrrauen-Kracher zwischen Obermain und Walsdorf/Stegaurach statt und wir nehmen uns vor, so lange zu verweilen, bis man uns in diesem Stadion wenigstens einen Torerfolg gönnt… [Ein Blick auf die Tabelle der Bezirksliga zeigt: nach sieben gespielten Spielen weisen der SCW ein Torverhältnis von 8:9 und die Gäste eines von 10:8 auf]… und wir ergänzen in weiser Voraussicht – oder bis das Flutlicht angeschaltet wird.

Das Nachspiel beginnt. Wir haben es uns mittlerweile auf dem Balkon des Clubhauses gemütlich gemacht und endlich gibt es für mich für sportlich faire 2,20 € ein frisch Gezapftes aus dem Glas. Bei der Heimmannschaft laufen mehrere Damen in langen Hosen auf, wobei die 99 bezüglich des Beinkleids mit ihrer Nylon-Strumpfhose eine bemerkenswerte Wahl getroffen hat. Die Damen tun es im Anschluss den Männern gleich und zaubern ein Gewürge auf’s Parkett, das sich gewaschen hat. Es dauert bis zur 37. Spielminute, ehe uns die Mädels des SCW dank eines Elfmetertores von unseren torlosen Qualen erlösen.

Wir bleiben entgegen unseres Vorhabens doch noch ein wenig länger und erleben neben dem Torerfolg auch noch etwas Flutlichtromantik mit, welches in der Pause angeknipst wird. Kurz nach Wiederanpfiff reicht es dann aber auch uns endgültig und wir treten die Rückfahrt in Richtung Nürnberg an.

Das Wegbier, welches ich wohlweislich im Auto verstaut hatte, nennt sich „Patrizier Bräu Albrecht Dürer Pils“ und schmeckt nach Holzverschnitt. Eine knappe Stunde später sind wir in Erlangen angekommen und steuern zielstrebig Fackelmanns Insider-Tipp an. In der Gaststätte „Drei Linden – Zum Krapp“ beherrscht man die hohen Künste der Bruchrechnung und des Schnitzelbratens. Wer eine halbe Portion bestellt, erhält zwei Schnitzel, wer eine ganze Portion für 12 € ordert, erhält vier Stück. ½=2, 1=4. Lässt sich nachweislich alles kürzen, erweitern, auf einen Nenner bringen und macht zwei Mal satt. Top Laden!

Bevor wir mit ein-zwei Restschnitzeln in Alufolie im Gepäck in Richtung Auto rollen, checken wir noch kurz das Endergebnis der 16.00 Uhr Partie im „Waldstadion“. Es ist tatsächlich beim 1:0 geblieben. Oh man. Das hat dieses Stadion doch alles nicht verdient…! Und schon lastet eine hohe Bürde auf Fetti, der just in diesem Moment den Druck verspürt, irgendwann einmal einen Bericht verfassen zu müssen, der – im Gegensatz zu den heute gesehenen Fußballspielen – diesem Stadion gerecht werden kann.

A propos Berichte verfassen: Beim Schreiben ist es wie bei der Prostitution. Zuerst macht man es aus Liebe, dann für ein paar Freunde und schließlich für Geld, sagt Molière. Also Freunde, genießt das Stöbern im Blog, solange es noch kostenlos ist! /hvg

02.11.2018 FC Augsburg II – 1.FC Nürnberg II 0:1 (0:0) / Rosenaustadion / 220 Zs.

Ende Oktober reibt man sich in der Personalabteilung meines Arbeitgebers verwundert die Augen. Was für einen schwachsinnigen Urlaubsantrag hat der van Grijpendorp denn da schon wieder eingereicht? So oder so ähnlich muss die Frage im Kopf der Sachbearbeiterin angesichts meines Antrages offenbar gelautet haben, anders ist es nicht zu erklären, warum sie sich telefonisch absichert, ob das denn so alles seine Richtigkeit haben kann. Ich bestätige, dass ich wirklich nur den Mittwoch, Montag und Dienstag frei nehmen mag und donnerstags problemlos auf der Arbeitsstelle erscheinen kann, während der Freitag dank der Herbstferien ohnehin zum Überstunden abbummeln gedacht war. Sie stellt glücklicherweise keine Detailfragen, aber Euch gebe ich meine Planung der nächsten sieben Tage gerne an die Hand: Mittwoch Pokal in Dortmund, Rückfahrt über Nacht, Ankunft 9.06 Uhr, Arbeit von 10.00-16.00 Uhr, Abfahrt 18.05 Uhr, drei Übernachtungen in der FUDU-Außenstelle Nürnberg mit Freitags-Hopping in Augsburg und Samstag in Weismain, am Sonntag dann zweite Bundesliga in Regensburg, kurz nach Hause, ist ja um die Ecke, Tasche auskippen, Tasche neu packen, Abflug am Montag um 7.00 Uhr nach Billund (etwas ist faul im Staate Legoland), abends Hopping in Vejle, dienstags dann Union international im Baltic Sea Cup in Odense, Rückfahrt per Zug, Mittwoch wieder arbeiten gehen. Wie sagte doch gleich einst Werner Lorant?

Während der eine oder andere womöglich diese Form der Planung mit Worten wie „Stress“ oder „anstrengend“ assoziieren mag, geht mir mein Herz auf, wenn mein Terminkalender auf diese Art und Weise gefüllt ist. Sechs Fußballspiele in sieben Tagen, nur wenige Stunden Aufenthalt in Berlin und sogar noch einen Abstecher ins Ausland dabei mit nur drei eingereichten Urlaubstagen. Wahrlich, es gibt nichts, das mir mehr Energie geben würde als solch abstruse Touren…

Der erste Plan gerät jedoch bereits in Dortmund ins Wanken, allerdings zu meinen Gunsten. Nach der bitteren 3:2 Niederlage nach Verlängerung durch ein Elfmetergegentor in der 120. Minute hält sich meine Lust, noch bis um 5.46 Uhr in der Stadt auszuharren, in überschaubaren Grenzen. Mit meinem „Super-Sparpreis“-Ticket renne ich bereits um kurz vor Mitternacht über den Dortmunder Hauptbahnhof und flehe die Schaffnerin an, mich aus reiner Nächstenliebe und Kulanz mit dem letzten ICE des heutigen Tages mit nach Berlin zu nehmen. „Schau Dich doch mal um, der Zug ist voller Unioner und denkste, da komm ick auf der letzten Fahrt vor Feierabend noch mal durchjeloofen?“ Mit einem freundlichen Lächeln und einer „Spring rein!“-Geste ermöglicht sie mir eine gemeinsame Rückfahrt mit weiteren Truppenteilen FUDUs über Nacht, eine Ankunft am Berliner Hauptbahnhof gegen sechs Uhr und somit noch knappe drei Stunden Schlaf vor der Arbeit im eigenen Bett. Manchmal ist die Deutsche Bahn eben doch besser als ihr Ruf.

Aber manchmal eben auch nicht. Der Zug am Donnerstagabend nach Nürnberg ist jedenfalls bereits der dritte in Folge, in dem die Reservierungsanzeigen nicht funktionieren. Abermals nimmt Fetti die Einladung auf eine Partie „Reise nach Jerusalem“ dankend an und begibt sich nach jedem zweiten Bahnhof auf die Suche nach einem (neuen) freien Sitzplatz. So lernt man Leute kennen, auch wenn ich auf die Bekanntschaft mit der „Super Food“-Trulla, die ihren „Organic Liquids“-Joghurt mit Hilfe eines Holzlöffels in sich hineinspachtelt, während sie sich am Tisch die Haare kämmt und selbige hierbei großzügig im Raum verteilt, auch gerne hätte verzichten können. Was für eine ekelhaft überzeichnete Figur, wird sie womöglich über mich gedacht haben, als ich mir mit Pokal-Augenringen das nächste Bier öffne und dabei leider erst jetzt feststelle, dass meine Hose unter Umständen beim doppelten Polter-Jubel im Westfalenstadion in Schrittnähe gerissen ist. Naja, zwischen Verlängerung und Arbeit passieren eben kleine Fehler. Müssen wir jetzt alle durch.

Um kurz vor 21.00 Uhr bin ich in Nürnberg angekommen und werde vom „REWE“-Verkäufer direkt auf eine harte Probe gestellt, wie es denn nach den vergangenen 36 Stunden so um meinen Wachheitsgrad bestellt ist. Mit etwas Abendbrot und einigen Flaschen Vollbier der Marke „Grüner“ (in Nürnberg nur Fürther Bier – ihr erinnert Euch!) in den Händen, habe ich es balancierend gerade so an die Kasse geschafft und den Bezahlvorgang eingeleitet. Mathematisch geschickt wie und eh je, stelle ich natürlich sofort fest, dass der gute Mann mir 5 € zu wenig herausgegeben hat. So eine Sauerei kann Fetti natürlich nicht unkommentiert lassen und geht am Ende mit einem Siegerlächeln aus der Schlacht hervor.

Zwar befindet sich der Eigentümer der Nürnberger FUDU-Wohnung aktuell in Berlin, der Schlüssel zu der Bude aber dankenswerterweise seit Montag in meinem Besitz und so kann ich den Abend stumpfsinnig unweit des Rotlichtviertels vor dem Fernseher ausklingen lassen. Am Freitagmittag trudelt dann Verstärkung ein. Mein FUDU-Kompagnon, der noch über keinen Spitznamen verfügt, einen solchen für die Berichte des kommenden Wochenendes aber vehement einfordert, wehrt sich noch gegen den angedachten Ehrentitel „der eingebildete Kranke“, obwohl er nachweislich wegen des Dänemark-Gastspiels einer Nachwuchsmannschaft des 1.FC Union Berlin am Dienstag unter einem Vorwand auf der Arbeitsstelle fehlen wird. Da er sich für die kommenden beiden Tage jedoch als Fahrer angeboten hat, möchte ich nicht mit ihm in Streit geraten, lege die Kosenamenfindung vorerst auf Eis und hole den großen Unbenannten freundlicherweise vom Nürnberger Hauptbahnhof ab. Hier weist ein neues Schild darauf hin, dass das Konsumieren alkoholhaltiger Getränke im Bahnhofsgebäude neuerdings verboten ist. Für Erheiterung sorgt der Nebensatz, dass es ebenfalls verboten ist, alkoholhaltige Getränke „zum Zweck des Konsums mitzuführen“. Auf die Diskussion mit den Ordnungshütern darf man also gespannt sein, wenn man sich gleich für die Überfahrt nach Augsburg mit „Grüner“ eindecken wird. „Ja, Herr Wachtmeister, ich habe Bier gekauft, aber ich habe wirklich nicht vor, es auch zu trinken!“. Oder so.

Gemeinsam brechen wir dann nach dem ungesühnten Einkauf von Alkoholika zur Abhoolung unseres Mietwagens nach Nürnberg-Schweinau (Fetti wedelt vor Freude mit dem Ringelschwanz) auf und begehen angesichts der lediglich dreiminütigen Bahnfahrt und den Verzicht auf den Kauf einer 1,60 € teuren Kurzstreckenfahrkarte bereits die zweite Ordnungswidrigkeit binnen kürzester Zeit. I soag’s dir frrrrank und frrrrrei: FUDU ist es einerlei.

Die Entgegennahme unseres flotten Franzosen verzögert sich leider ein wenig, da die gleichermaßen attraktive wie überforderte „Buchbinder“-Dame alleine im Ladengeschäft steht, diverse Kundenkontakte vis-AVIS und per Telefon zu meistern hat und uns zwischendurch kurz zu verstehen gibt, dass die Reinigung unseres Autos noch nicht ganz abgeschlossen ist. Irgendwann hat der Parkplatz-HiWi aber den Staubsauger zu Ende geschwungen, die letzten Brezn-Reste aus den Polsterrrrrritzen entfernt und grünes Licht gegeben. Miss Daisy und ihr Chauffeur müssen nun auf die Tube drücken: Noch 150 Kilometer Strecke, noch zwei Stunden bis zum Anpfiff.

Glücklicherweise sind die Landstraßen frei und gut befahrbar, sodass wir zügig genug vorankommen. Um Punkt 18.45 Uhr haben wir einen Parkplatz direkt vor dem altehrwürdigen „Rosenaustadion“ gefunden. Vor dem Kassenhäuschen stehen die Menschen nicht unbedingt Schlange, was uns einen Eintrittskarten- und Bierkauf in weniger als 15 Minuten ermöglicht. Unsere Hoffnung, dass Ultras des FCA ihre Zweitvertretung im Abstiegskampf unterstützen, erfüllt sich nicht. Auch die Gäste aus Nürnberg müssen in diesem Freitagabendspiel auf Support verzichten. Schade. Da beide Vereine morgen in der Bundesliga in Augsburg aufeinandertreffen werden, hatte zumindest eine vage Hoffnung darauf bestanden, dass sich beide Fanlager hier und heute schon einmal auf die morgigen Partie einschwören werden.

Die Enttäuschung über die Kulisse hält sich aber in Grenzen, weil der Fokus des Interesses ohnehin auf dem Stadion als solches liegt. Das „Rosenaustadion“ wurde 1951 errichtet und galt seiner Zeit als „eines der schönsten Stadien Europas“ (Neue Zeitung). Der Zuschauerrekord wurde 1952 in einem Länderspiel zwischen Deutschland und der Schweiz mit 64.856 Besuchern aufgestellt. 1957 fand das DFB-Pokalendspiel in diesem Stadion statt, 1972 folgten im Rahmen der Olympischen Spiele von München fünf Vor- und Zwischenrundenspiele. In der Vereinsgeschichte des FC Augsburg stellen 42.000 Zuschauer in einem Regionalligaspiel gegen den „Club“ aus Nürnberg im Jahre 1973 den Höchstwert dar. In der Drittligasaison 2004/05 pilgerten 27.000 Menschen in die Spielstätte, um gegen den SSV Jahn Regensburg den Aufstieg in die zweite Bundesliga feiern zu können. Am 01.05.2009 war das „Rosenaustadion“ letztmalig gut gefüllt. 28.000 Zuschauer nahmen gegen den TSV 1860 München mehr oder minder Abschied von der altehrwürdigen Spielstätte. Der FCA spielte dann noch bis Sommer 2009 an Ort und Stelle, ehe man in einen seelenlosen Neubau zog, den man irgendwo weit draußen zwischen ein eingemeindetes Maisfeld und der Autobahn aus dem Boden gestampft hat.

Obwohl das „Rosenaustadion“ seit dem Aufstieg des FCA in die Bundesliga und dem Stadionneubau im Dornröschenschlaf liegt, blieb es bislang baulich glücklicherweise unverändert. Noch immer könnten 32.354 Menschen im Stadion Platz finden, darunter 26.443 auf Stehplätzen, welche auf einem 13 Meter hohen Wall aus Kriegsschutt auf der Gegengeraden errichtet worden sind. Ziemlich geile Schüssel!

Das Spiel beginnt zunächst einmal mit einer Schweigeminute. Heute morgen ist Peter Bircks im Alter von 66 Jahren in Folge eines Verkehrsunfalls verstorben. Bircks hatte den FCA 1990 in einer finanziell prekären Lage ehrenamtlich als Präsident übernommen, später war er als Ehrenrat und im Aufsichtsrat des Vereins engagiert. Ab 2012 prägte er auch in der Geschäftsführung den Klub. Zuletzt stand Peter Bircks dem Verein als Aufsichtsratsvorsitzender vor. Schön, dass es die Ultras des FCA zumindest geschafft haben, in der Kürze der Zeit eine Tapete zu beschriften, welche nun einsam auf der menschenleeren Gegengerade präsentiert wird. „PETER, DANKE FÜR ALLES. RUHE IN FRIEDEN!“

Pünktlich zum Spielbeginn wird die Tapete wieder eingerollt. Auf Seiten der Augsburger kennt man Markus Feulner und Jan-Ingwer Callsen-Bracker, der gemeinsam mit Leonhard von Schroetter ein kongeniales Verteidigerduo bildet, welches wohl jeden Trikotbeflocker vor ungeahnte Herausforderungen stellen dürfte. Nürnberg kommt ohne Verstärkung der Profiabteilung aus, kann aber auch ohne eine solche schnell die Oberhand über die Partie gewinnen. Die aktuelle Tabellensituation (17. gegen 5. am 18. Spieltag) scheint sich schnell auf dem Spielfeld widerzuspiegeln – nach 20 Minuten ist Nürnberg einmal an einer Fußabwehr des Augsburger Keepers Niemann und einmal an der Querlatte gescheitert. Nach einer guten halben Stunde gelingt Augsburg der erste Abschluss, der ihnen deutlich Auftrieb und etwas Selbstbewusstsein verleiht. Bis zur Pause kann man im Anschluss wenigstens gefällig mitspielen.

In der Halbzeitpause ist auch der Grillstand einen Besuch wert. Für 3,50 € erhält man eine Rote mit Zwiebeln, während die Stadionregie auf jegliche Musikuntermalung verzichtet und nur den/die Stadionsprecher/in ins Rennen schickt. Diverse Ansetzungen der Jugendmannschaften des FCA des kommenden Wochenendes werden verlesen, die offiziell 220 „Fans“ euphorisch begrüßt und die Ergebnisse der Parallelspiele aus Memmingen und München verkündet. Staffelfavorit Bayern II liegt bereits mit 0:2 gegen Eichstätt zurück. Unklar bleibt da lediglich das Geschlecht des sprechenden Menschen.

Im zweiten Spielabschnitt gelingt dem „Club“ nach gut einer Stunde der Führungstreffer. Nach einem Pfostenschuss steht Erik Engelhardt goldrichtig, nimmt den Abpraller auf und wackelt Torwart Niemann aus. Darüber hinaus hat die Partie in den kommenden 30 Minuten nicht viele Aufreger zu bieten. Der FCA mischt passabel mit, wird aber nicht zwingend und bei den Nürnbergern geht Nürnberger, der gar kein Nürnberger, sondern Hamburger ist (84.). Mit der letzten Aktion gelingt dem FCA nach einer Ecke per Kopf beinahe der Ausgleich, doch die einzige Chance der Heimmannschaft in Spielminute 90+1 bleibt ungenutzt. FUDU begibt sich nach dieser Fußball-Magerkost (in einem wunderschönen Stadion) alsbald in das warme Interieur des flotten Franzosen, um in Nürnberg die richtig dicke Ernte einfahren zu können.

„Mich the Greek“ ist um kurz vor Mitternacht nämlich noch so freundlich, unsere Online-Bestellung entgegenzunehmen. Einmal Zaziki, Reis, Panseta, Bifeki, Souvlaki, Gyros und eine griechische Bauernwurst für 17,90 €, bitte. Auf dem Reise-Tablet sind noch immer die Personendaten von Dr. Dieter Fotznhobel gespeichert, seinerseits in England geborener Wi-Fi Genius, der sich oft im Namen FUDUs in die offenen Netzwerke dieser Welt einwählt und tapfer in die Bresche springt, um die Preisgebung persönlicher Daten der Gruppenmitglieder so gering wie möglich zu halten. Ein wirklich treuer Gesell, der heute nun auch noch sportlich fair im Feld „Anmerkungen“ notiert: „Klingel defekt. Bitte anrufen, wir holen das Essen unten ab!“. Glücklicherweise denken wir auch noch daran, den Nachnamen vor Abschicken der Bestellung gegen einen echten auszutauschen und so sieht die ganze Geschichte dann beinahe seriös aus:

Dr. Dieter G. – Schottengasse, Nürnberg.

In der Wartezeit auf die Fleischvöllerei spielen wir das Spiel mit dem Krokodil (aka „Lederer Pils“) und um 0.34 Uhr ist es dann endlich soweit. Kalimera, „Mich the Greek“ ist am Telefon und Fetti flitzt treppab. Nur unwesentlich später ist unser Frankenapartment in Knoblauch-Odeur getaucht und wir einigermaßen bettschwer. Morgen steht dann ein Spiel in der Kreisliga Coburg/Kronach auf dem Programm. Und wieder höre ich den einen oder anderen und auch den Herrn Fotznhobel fragen: Oh Gott, warum das denn? Na, Weismain Hobby ist, Herr Doktor! /hvg

15.10.2018 Hrvatska – al-Urdunn 2:1 (1:0) / Stadion Rujevica / 4.820 Zs.

Länderspielwochenenden sind kein Zuckerschlecken. Jedenfalls nicht, wenn man sich im Grunde genommen nicht für Länderspiele und die Events der mafiösen Weltverbände interessiert. Seit vier Tagen schlägt sich unser Fetti in Rijeka wacker, obwohl er bei seinen Kneipenabenden bereits drei Nationenwettkämpfe über sich ergehen lassen musste. Während man beim Balkan-Klassiker zwischen Serbien und Montenegro (Endlich eine Fortsetzung des allseits geschätzten „k.u.k.-Knallers“: Wer spielt heute? Österreich-Ungarn! Und gegen wen?) am Donnerstag noch ganz tapfer sein musste, wird tags darauf schon eine deutliche Steigerung erwartet.

Ganz Rijeka ist nämlich auf den Beinen, um den kroatischen Volkshelden um Luka Modrić beim ersten Auftritt nach der Fußballweltmeisterschaft zujubeln zu können. Leider ist dies jedoch nur vor den TV-Bildschirmen möglich, da der amtierende Vizeweltmeister noch eine Altlast in Form einer UEFA-Sanktion im Rucksack mit sich herumschleppt. Nachdem Unbekannte im Jahre 2015 den Rasen des „Poljud“ in Split im Vorfeld der EM-Quali-Partie gegen Italien mit einem Hakenkreuz verunstaltet hatten, wurde der kroatische Verband hart bestraft. Neben eines Punktabzugs griff die UEFA auch zu der allenthalben beliebten Maßnahme der Kollektivstrafe und verdonnerte die Kroaten dazu, drei Spiele unter Ausschluss der Öffentlichkeit austragen zu müssen. Obwohl seit des Vorfalls bereits mehr als drei Jahre ins Land gegangen sind, konnten die Kroaten im Rahmen ihres Heimspiels gegen Bulgarien am 10.10.2015 erst 1/3 der verordneten Strafe absitzen, sodass auch heute kein Publikum zugelassen ist. Besonders bitter ist dieser Umstand, dass das heutige „Nations League“-Spiel der Gruppe A (der Dernier Cri aus den Gehirnwindungen der Fußballfunktionäre, super spannend, es geht sogar um Auf- und Abstieg!) gegen England eben in Rijeka angesetzt ist und ich zugeben muss, dass ich diese Disziplinarmaßnahme im Vorfeld meiner Reise nicht auf dem Schirm hatte. Auf ein Länderspiel zwischen Kroatien und England direkt nach der WM hatte ich mich schon gefreut – da wäre bei Einlauf der WM-Helden bestimmt Zvonimir nix, dir nix der ganze Heimblock in hellstem bengalischem Licht erstrahlt…

Naja, kann man nichts machen. Das Endergebnis von 0:0 vor leeren Rängen ist dann im TV auch nur zu ertragen, weil bei 22 Grad der Blick auf den Hafen für willkommene Ablenkung sorgt, die Güterzüge wieder durch die Menschenmasen rollen, der Teller voller Fleisch und das Bierglas stets gut gefüllt ist. Ein wenig mehr auf seine Kosten kommt man dann am Samstagabend im Zuge des nächsten Länderspiels, in dem die geleckten kackeländischen Popstars von Popel-Jogi im Dress des Schweineverbands von den Niederländern mit 3:0 versohlt werden. Jammer Duitsland, alles is voorbiij – darauf noch ein Šljivo auf dem Zimmer!

Mittlerweile ist es Sonntag geworden und ich sende nach dem Aufwachen direkt ein Dankesgebet an den kroatischen Fußballverband. Wie zuvorkommend, nur drei Tage nach dem Aufeinandertreffen mit der englischen Mannschaft noch ein Freundschaftsspiel gegen Jordanien im „Rujevica“ anzusetzen. So kommen Fetti und Rijeka also doch noch in den Genuss eines Fußballspiels der WM-Helden. Natürlich habe ich mich längst mit einer Eintrittskarte eingedeckt. Eine Maßnahme, die mir vor einigen Wochen angesichts von nur 8.136 Plätzen im Stadion und der Erfolgsgeschichte der Nationalmannschaft in Russland unerlässlich erschien. Schön auf Arbeit alles stehen und liegen gelassen, um pünktlich zu Vorverkaufsstart zuschlagen zu können und dann in der Hektik einfach irgendeine Karte auf der Haupttribüne gebucht, um nach Feierabend und erfolgter Währungsumrechnung aufatmen zu können. Puh, Gott sei Dank hat mich diese Aktion nur 19,95 € gekostet…

Im Touristeninformationsbüro erkundige ich mich nach den Anreisemöglichkeiten zum „Stadion Rujevica“, welches der HNK Rijeka 2014/15 für 19 Millionen Euro in lediglich zehn Monaten Bauzeit als Übergangsspielstätte aus dem Boden gestampft hat und 2017 um eine Hintertortribüne mit 2.140 Plätze erweitern ließ, um nach der ersten Meisterschaft der Vereinsgeschichte für internationale Spiele nicht ausweichen zu müssen. Da es in unmittelbarer Nachbarschaft zur Autobahn liegt, wird von einem Spaziergang abgeraten. Auch an öffentliche Verkehrsmittel hat im Zuge des Bauprojekts niemand so recht gedacht und so ist das Stadion mit dem Bus nur mit einem mehrmaligen Umstieg zu ungünstigen Zeiten in nicht unter einer Stunde zu erreichen, sodass die freundliche Dame unter dem Strich zu einer Anfahrt mit dem Taxi rät. Insgesamt eine recht widersprüchliche Entwicklung des Gesprächs, welches sie noch mit „in Rijeka you can reach everything by foot, but normally we don’t walk, we take the bus“ begonnen hatte. Da sie den Preis für die knapp zehnminütige Taxifahrt auf überaus kulante 20 Kuna (= 2,66 €) schätzt, ist die Entscheidung hinsichtlich des Verkehrsmittels jedoch schnell gefallen. Hakuna Matata, dann lassen wir uns halt dekadent mit einem Privatchauffeur zum Hoppen shuttlen!

Rund um den Jelačićev trg stromern bereits am frühen Abend unzählige Kroatencops herum. Der Dresscode des gemeinen Zivilpolizisten hierzulande ähnelt übrigens dem seiner deutschen Kollegen, die Wochenende für Wochenende auf Bahnhöfen im Weg herumstehen oder anderweitig durch sinnloses Handeln auffällig werden. Kann man sich schon die Frage stellen, ob von denen auch nur einer ernsthaft davon ausgeht, nicht als Polizist erkannt zu werden, während er seine monotonen Bahnen rund um den Busbahnhof und durch die Fußgängerzone zieht. Noch bessere zivile Verkleidungen haben wahrhaftig nur noch die Kontrolleure der S-Bahn Berlin zu bieten…

Nichtsdestotrotz befinde ich mich zur richtigen Zeit am richtigen Ort, da sich am Busbahnhof auch die Hoffnung auf einen Taxistand erfüllt. Ein freundlicher älterer Herr mit Schnauzbart bestätigt den Preis aus der Touri-Info, mag mich aber nicht selbst fahren, weil er nun seinen Feierabend genießen darf. Dankenswerterweise organisiert er mir jedoch einen Kollegen zu 19.00 Uhr, nennt mir die Nummer des Taxis und zeigt mit Händen und Füßen auf die gegenüberliegende Straßenseite, auf der ich dann wohl in knapp 30 Minuten eingesammelt werde. Hvala!

Entgegen meiner Planung, die dem Balkan 30 Minuten Pünktlichkeits-Spielraum einberaumt hatte, fährt um Punkt 19.00 Uhr mein Taxi vor. Schade, dass die Taxifahrt nur zehn Minuten dauert, gerne hätte ich mit dem freundlichen Fahrer noch länger über Fußball gefachsimpelt – und so spannend ist es jetzt auch nicht unbedingt, anderthalb Stunden vor Anpfiff an der Autobahn zu stehen. Tatsächlich ruft er am Ende der Fahrt lediglich 20 Kuna auf, freut sich über ein prozentual betrachtet üppiges Trinkgeld und übergibt mir die Karte seines Taxiunternehmens für die Rückfahrt. Prognose: Nach Abpfiff würde es nicht ganz so einfach werden, ein Taxi zu bekommen…

Das Stadion „Rujevica“ öffnet glücklicherweise nur wenige Augenblicke später die Kassen, an denen man das hässliche ausgedruckte DINA4-Onlineticket gegen einen Aufpreis von 10 Kuna in ein echtes Ticket umtauschen kann. Ach, wie oft ist man schon über Tribünen getigert, um für die Sammlung daheim Eintrittskarten zu finden, die irgendwelche Leute achtlos weggeschmissen haben. Könnten andere Vereine und Verbände gerne als Idee übernehmen – gegen eine kleine Zusatzzahlung von 1,50 € bin ich doch gerne bereit, auf das asoziale Kramen in den Hinterlassenschaften anderer Menschen zu verzichten…

Gemeinsam mit der Kassenöffnung sind auch erste Ordner und Polizisten am Einlass aufmarschiert. Erste Zuschauer passieren bereits 90 Minuten vor Anpfiff die Eingangsportale und in der Hoffnung auf ein frisch gezapftes Bier tue ich es ihnen gleich. Der Ordner heißt mich wirklich freundlich Willkommen, ist aber angesichts der „Ausschreitungen“ und der aktuell gültigen Sanktion hochgradig penibel. Erstmals wird es mir nicht gestattet, meine Blechdose voller Kleingeld mit in das Stadion zu nehmen. Es hätte auch nicht geholfen, dem Taxifahrer all mein Gold als Taschengeld zur Verfügung zu stellen, weil es dem Ordner nicht um die Münzen, sondern um die Dose als solches geht, die ich nun in einen großen Pappkarton werfen muss. Die Traurigkeit über diesen Verlust verfliegt, als ich kurz darauf ein echtes Vollbier der Marke „Ožujsko“ für lediglich 17 Kuna erwerben darf und sich meine Hosentasche voller Münzen glücklicherweise direkt etwas leeren lässt. Oh je. Bei dem Preis wird Fetti heute womöglich noch heute über den Jordan gehen…

Ich werfe einen ersten Blick in das Stadion. Die Gegengerade und eine der beiden Hintertortribünen sind unüberdacht und bunt bestuhlt, zu meiner rechten befindet sich ein surrealer Käfig, der normalerweise für Gästefans genutzt wird und in dem heute Kindergruppen eingesperrt werden. Mein 20 € teures Haupttribünenbillet wird zum echten Glücksfall, weil mich das Dach vor dem später einsetzenden Regen schützt und ich – abgesehen von den weiteren Biereinkäufen – trocken bleiben werde.

Nicht so angenehm ist das Publikum um mich herum, das aus Familien und Gruppen junger Frauen und Mädchen besteht, die so riechen, als hätte jemand bei „Douglas“ die Tür offen stehen gelassen. Wie mich so aufgetakelte Tussis anekeln, die so überbetont nach Obstkorb duften und eigentlich nur gekommen sind, um Selfies von sich zu schießen und den kroatischen Fußballern mit schrillen Stimmen entgegen kreischen zu können. Pech gehabt, dass Trainer Dalić heute die Topstars Modrić, Rakitić, Perišić und Kovacić schont und somit alles andere als seine beste Formation ins Rennen schickt. Etwas mehr Glück hat da schon ein deutscher Businessklaus hinter mir, der heute „100 € auf einen Rebić-Hattrick“ gesetzt hat und nun erleichtert aufatmet, dass sein Schützling der Rotation nicht zum Opfer gefallen ist.

Ebenso zuversichtlich zeigt sich der Stadionsprecher, der heute auf „many goals“ hofft. Die Haupttribüne ist nur zur Hälfte gefüllt und auch sonst klafft die eine oder andere Lücke im weiten Rund. Ein etwas sakral anmutender Song mit dem gesampelten „Ooga Chaka“ aus dem 70er Jahre-Knaller „Hooked On a Feeling“ (wovon man sich unbedingt das Cover von David Hasselhoff anschauen sollte, der hohen Videokunst wegen) sowie eine Stadionhymne der „Zaprešić Boys“ werden in Dauerschleife gespielt, bis diese endlich von den Nationalhymnen gestoppt wird. Bei den Kroaten singt übrigens kaum ein Spieler mit. Traurig, aber das mit dem fehlenden Nationalstolz war auf dem Balkan schon immer ein großes Problem…

Das Spiel beginnt, wie man es erwartet hat. Der Favorit überzeugt mit 80% Ballbesitz, tut sich aber schwer, etwas konstruktives mit der optischen Überlegenheit anzufangen. Einerseits wirkt die Mannschaft wild zusammengewürfelt, was zwangsläufig fehlende Automatismen zur Folge hat. Andererseits reißen sich die Herren Profifußballer auch nicht unbedingt ein Bein aus, um die Jordanier früh in die Knie zu zwingen.

Jordanien (genauer: das Haschemitische Königreich Jordanien, also al-Mamlaka al-Urdunniyya al-Hāschimiyya, oder eben kurz: al-Urdunn), wird vom Belgier Borkelmans trainiert, den natürlich jeder kennen sollte, der als Kind passioniert durch alte WM-Bücher geblättert und sich die Inselbegabung angeeignet hat, alte Kaderlisten auswendig herunterbeten zu können. Die belgische Auswahl konnte sich 1986 in Mexiko definitiv auf ihre Vitalfunktion verlassen. Heute kämpfen die Jordanier nicht nur tapfer und halten die Kroaten fern des eigenen Tores, sondern setzen ihrerseits auch den ersten Akzent nach vorne: Baniateyah scheitert nach 15 Minuten aus der Drehung nur knapp. Auffälligster Akteur der Gäste ist der Spieler mit der Nummer 10, Musa Al-Tamari, der technisch einiges zu bieten hat, gleichermaßen aber körperlich dermaßen unterlegen ist, dass er bei jedem Zweikampf gefühlte 10 Meter durch die Lüfte fliegt und immer wieder hilflos den Blickkontakt zu seinem Coach sucht.

Wie es aber immer so ist, reicht den höher dotierten Spielern dann eine einzige Standardsituation, um in Führung gehen zu können. Vida köpft nach einem Eckstoß zum 1:0 ein (24. Minute) und ist dann Teil einer Mannschaft, die die Führung in einem belanglosen Fußballspiel bis zur Halbzeit ohne großen Aufwand über die Zeit bringt. Andersherum sind die Jordanier sichtbar stolz, so gut mitgehalten zu haben und die Hattrick-Hoffnung hinter mir schwindet etwas.

In der Pause muss man um sein drittes „Ožujsko“ in etwa so sehr kämpfen, wie es die wackeren Jordanier auf dem Platz getan haben. Das Motto im Gedrängel lautet hier „loud people get served first“. Klar, dass die Menschen noch Energie und Stimme haben, im Stadion selbst haben all die Eventies mit ihren Wasserballkappen jedenfalls nur stumm herumgesessen. Ich warte den passenden Moment ab, schlage dann zu, ohne Schlange stehen zu müssen und verpasse die ersten 43 Sekunden des zweiten Abschnitts. Nun stinkt es um mich herum nicht mehr nach Mädchenparfüm, sondern nach Popcorn. Länderspielpublikum schreit nahezu danach, häufiger Geisterspiele anzusetzen.

Die zweite Halbzeit ist recht schnell zusammengefasst. Der junge Al-Tamari übertreibt es mittlerweile mit technischen Kabinettstückchen und fällt bei jedem Windstoß um – nichtsdestotrotz wird er im März 2020 bereits als wertvollster Spieler der ersten zypriotischen Liga geführt. Bei FUDU hat man eben nach wie vor ein Auge für Qualität! Den Kroaten reicht dann eine weitere Standardsituation, um das Spiel zu entscheiden. Nach 63 Minuten landet eine eher ungefährlich wirkende Freistoßhereingabe direkt auf dem Kopf des eingewechselten Mitrović, der sich nicht zwei Mal bitten lässt und das Ergebnis in die Höhe schraubt. Für den größten Jubel im Heimpublikum sorgt dann der ebenfalls eingewechselte Baha‘ Faisal, der einen direkten Freistoß über die Mauer und in das Tornetz zirkelt. Faire Geste des kroatischen Publikums, das dem Underdog aus Jordanien den Ehrentreffer scheinbar von Herzen gönnt.

Nach 85 Minuten klingeln mir die Worte des Taxifahrers im Ohr. Ich verlasse das Stadion also etwas vor Abpfiff und wahrlich, es stehen genau zwei Taxen für 5.000 Zuschauer bereit. Ich schnappe mir die Pole Position (nachdem ich mir meine Blechdosen-Kassette aus dem mit unzähligen Feuerzeugen, Deos und anderen spannenden Utensilien gefüllten Pappkarton herausgekramt habe) und bin dann angesichts des galoppierenden Taxameters etwas erschrocken. Angekommen an meiner Unterkunft ist dieses bei 70 Kuna zum Halten gekommen und womöglich ist meinem Gesicht eine leichte Verwunderung anzusehen. Der Fahrer rundet jedenfalls freiwillig ab und führt an: „Sixty, my friend!“. Netter Betrüger!

Nun liegt also die Pflicht aus Jugend-, Frauen- und Länderspiele hinter mir und ich kann in den kommenden beiden Tagen endlich die Kür folgen lassen. Es gilt, Rijeka tiefergehend zu erkunden und den bislang verschmähten Sehenswürdigkeiten einen Besuch abzustatten.

Angefangen beim „Tunelri“, einer Tunnelanlage, welche teilweise bis zu zehn Metern unter der Erde liegt und von der italienischen Armee zwischen 1939 und 1942 zum Schutz der Zivilbevölkerung vor Luftangriffen gegraben wurde. Heutzutage ist der Tunnel für Besucher geöffnet und bietet die Möglichkeit, die Stadt unterirdisch zu durchqueren. Ein beklemmendes Gefühl beschleicht einen, während man die 330 Meter unter der Altstadt zurückliegt, wohlwissend, welchen Zweck dieser Tunnel eben ursprünglich einst erfüllte. Die Leichtigkeit kehrt dann am Tageslicht schnell zurück und drei weitere Anlaufpunkte der touristischen Karte können nahezu im Vorbeigehen gestrichen werden: Das Alte Tor aus der Römerzeit (Stara Vrata), der Fahnenmast in Form einer Steinsäule von 1508 (Stendarac) und der Gouverneurspalast von Alajos Hauszmann, der heute das See- und Geschichtsmuseum des kroatischen Küstenlandes beherbergt (Pomorski i povijesni muzej Hrvatskog primorja Rijeka), können sich getrost sehen lassen, fordern allesamt aber nicht all zu lange Aufmerksamkeit ein.

Sehr viel spannender ist da schon der Aufstieg auf den Trsat, der als ältester Marien-Wallfahrtsort Kroatien gilt. Neben der Kirche der seligen Jungfrau Maria auf Trsat (Bazilika Blažene Djevice Marije na Trsatu), befindet sich aber auch die kroatische Bibliothek von Trsat sowie ein Kastell (Trsatski kaštel) auf dem Gipfel der Anhöhe. Um letztlich den wunderbaren Blick auf die Kvarner Bucht genießen zu können, darf man sich jedoch nicht zu schade sein, 561 Treppenstufen bei sengender Mittagshitze zurückzulegen. Die Treppenanlage ist nach Heerführer Petar Kružić benannt, der die ersten 128 Stufen bereits 1531 errichten ließ. Wer etwas mehr über all die Sehenswürdigkeiten und historischen Anekdoten Rijekas erfahren mag, wird an der Stelle an http://www.visitrijeka.eu/ verwiesen. Wir sind hier schließlich nicht bei Schneppe Tours…

Fetti erfreut sich dann eher an anderen Details. Nach dem kräftezehrenden Aufstieg und der intensiven Erkundung Trsats braucht es natürlich eine Stärkung. Im „Studio Food“ unweit der Wallfahrtskirche gönnt man sich eine kleine Ration Ćevapčići und ein „Ožujsko“ für umgerechnet 6,66 €. Genau mein Humor – Sympathy for the Devil!

Am Abreisetag fährt glücklicherweise auch morgens um 6.00 Uhr bereits ein Bus aus der Innenstadt zum Flughafen, obwohl zwischen 8.35 Uhr und 12.00 Uhr lediglich ein Flug angesetzt ist, nämlich der nach Berlin. So lob‘ ich mir das und schicke im Geiste grüße nach Eindhoven, wo man sich von dieser sehr gastfreundlichen Praxis getrost eine Scheibe abschneiden dürfte.

Wer übrigens all die Lautstärke und den Großstadttrubel satt hat und einfach mal ungestört einen Kaffee trinken mag, dem empfehle ich den Flughafen Rijeka. Da hört man morgens um 6.30 Uhr die krker Grillen zirpen, kann entspannt ein Heißgetränk mit Blick auf das Rollfeld und die himmlische Ruhe genießen. Ein perfekter Start in den Arbeitstag, der in Berlin um 11.30 Uhr beginnen wird und ein perfekter Ausklang des Länderspielurlaubs.

Im Jahre 2020 wird Rijeka dann übrigens „Kulturhauptstadt Europas“ sein. Grund genug, noch einmal in die schöne Stadt an der Kvarner Bucht zurückzukehren. Vorausgesetzt, es findet ein Spiel im „Kantrida“ statt… /hvg

14.10.2018 ŽNK Rijeka Jackpot – ŽNK Pregrada 1:2 (0:0) / Stadion Kantrida, Nebenplatz / 50 Zs.

Stadion Kantrida. Ein echter Sehnsuchtsort. Es gibt wohl kaum ein Stadion in Europa, das mich in den letzten Jahren mehr fasziniert hat. Leider ist die Rijeka-Reise in dem Bewusstsein angetreten worden, kein Spiel in der altehrwürdigen Spielstätte des HNK miterleben zu können. Dennoch zieht es mich selbstverständlich an meinem Geburtstag trotzdem hinaus aus der Innenstadt, um wenigstens einen Blick auf das legendäre Stadion werfen zu können. Auch ohne rollenden Ball sollte man den wohl schönsten Ort Rijekas keinesfalls auslassen, wenn man schon einmal zu Besuch ist. Zwischen meiner Unterkunft und meinem Geschenk liegen zwar stolze sechs Kilometer Spaziergang, der aber – mit diesem Ziel vor Augen – spielend leicht von der Hand geht.

Gegenüber des Stadions befindet sich ein kleiner Kiosk und eine Pastis-Bude, die aber leider noch geschlossen hat und meinen Frühstückshunger nicht stillen kann. Bevor ich dem Stadion meine volle Aufmerksamkeit schenken kann, decke ich mich im Kiosk dennoch mit einer Dose „Karlovačko“ ein. Da ich bislang ohne jegliche Balkan-Erfahrung daherkomme, sich das Stadion direkt an der Hauptstraße befindet und ich Polizeikontakt gerne vermeiden würde, versuche ich in Erfahrung zu bringen, wie sich das kroatische Volk zu dem Themenkomplex „Trinken in der Öffentlichkeit“ positioniert. Die ältere Dame spricht leider nur wenig Englisch, bietet mir aber schnell an, die Fragen auf deutsch zu beantworten. Sie scheint es gewöhnt zu sein, dass vertrottelte deutsche Hopper bei ihr Alkohol kaufen, um dann stundenlang gegenüber sitzen und in ein leeres Stadion glotzen zu können, anders lässt sich nicht erklären, dass ich hier so schnell als Kartoffel aufgeflogen bin. Ich freue mich jedenfalls nicht nur über ihre Geduld und Freundlichkeit und ihre guten Sprachkenntnisse, sondern letztlich auch über die Information, die sie mir an die Hand gibt: „Hier darf man alles saufen. Bier, Wein, Schnaps, wie du willst!“

Gesagt, getan. Mit meiner gekühlten Dose Pivo in der Hand habe ich nur kurz darauf auf einer Mauer Platz genommen, von der aus man beste Sicht über die Umgebung genießt. Die Schönheit des Stadions ist kaum in Worte zu kleiden, die Flutlichtmasten greifbar nahe, das Meer hinter der Haupttribüne funkelt in der Sonne und die kleine Gegengerade grenzt direkt an den Fels, aus dessen Vorsprüngen sich die eine oder andere Pflanze tapfer empor reckt. Während ich dort sitze, verträumt in die Gegend schaue, trinke, staune und die SD-Karte glühen lasse, kommt mir plötzlich ein kämpferischer Gedanke. Es wird ja wohl möglich sein, hier in den kommenden sieben Tagen irgendein Fußballspiel erleben zu können!

Mit wenig Hoffnung, aber voll der Euphorie, beginnt meine Handyrecherche. Eine kurze Nachricht an den HNK Rijeka bei facebook, ob in den kommenden Tagen irgendein Training oder ein Testspiel oder aber wenigstens eine Partie ihrer Nachwuchstruppen im Stadion stattfinden wird, wird letztlich zum Garant des Erfolges. Während ich selbst nämlich keine Ansetzung finden kann, antwortet die freundliche Social-Media-Abteilung des HNK noch während ich bei der ersten Dose Bier auf der Mauer sitze und mir die Sonne ins Gesicht scheinen lasse. Übermorgen spielt der ŽNK Rijeka um 15.00 Uhr im Stadion – na, wenn das mal kein „Jackpot“ ist!

Just in diesem Moment bin ich derart voller Adrenalin und voll der Vorfreude auf ein Fußballspiel im Kantrida, dass ich die Detailinformationen der Nachricht wie im Rausch etwas überlese. Genaugenommen handelt es sich nämlich nur um ein Fraußenfußballspiel, welches höchstwahrscheinlich für den ersten Sexismus-Skandal hier im Blog sorgen wird. Aber egal, wer weiß, wie lange das Kantrida in dieser Form noch existieren wird (Neubaupläne liegen natürlich bereits in der Schublade) und all zu häufig finden hier auch keine Spiele mehr statt (die Herrenmannschaft spielt in der Übergangsspielstätte Rujevica und kehrt nur für einige wenige Testspiele hierher zurück), also sollte man die Chance am Schopf packen. Ist ja immerhin auch erste Liga und jede paralympische Disziplin hat ihre Daseinsberechtigung!

Der nächste Vorteil des Kantrida ist die gute Nachbarschaft. Der „Plaža Ploče“ gilt als einer der schönsten Strände Rijekas und liegt in lediglich 750 Metern Entfernung. Klar, dass ich meinen Spaziergang noch um diese Distanz erweitere, nachdem ich damit fertig geworden bin, das Stadion zu bewundern. Mein Sonnenbad setze ich im Anschluss auf Kieselsteinen fort und wage mich zum deutlich sichtbaren Erstaunen der flanierenden Einheimischen auch in die Fluten. Richtig warm ist das Wasser im Oktober zwar mit Sicherheit nicht mehr, aber mit Jacke, Schal und Mütze muss man jetzt auch nicht unbedingt spazieren gehen…

Aufwärmen kann man sich dann prima auf der Sonnenterrasse der nahe gelegenen „Mirage Bar“, von der man aus einen schönen Blick auf das Meer hätte, hätte nicht irgendein Spezialist eine Schwimmhalle in den Weg gebaut. Nehmt es mir nicht übel, wenn ich an dieser Stelle der Menschheit einmal mehr maximale Verblödung unterstellen muss. Oder kann mir jemand erklären, warum man sich in einem gekachelten Fußpilzparadies in die Chlorbrühe stürzen sollte, wenn sich das Mittelmeer in Sichtweite befindet? Sei es wie es sei, ich habe ganz andere Probleme, denn leider gibt es auch hier nichts essbares zu erwerben. Aber zur Not tut es ja auch das kroatische Herrengedeck, bestehend aus Kaffee und „Karlovačko“. Zum Geburtstag kann man sich schon mal etwas gönnen.

Auf dem Rückweg in die Innenstadt hat dann nachmittags glücklicherweise auch die Pastis-Bude neben dem Kiosk geöffnet. Die liebenswerte Omi in Kittelschürze steht hinter dem Tresen und nimmt meine mit Händen und Füßen getätigte Bestellung lächelnd zur Kenntnis. Ich zeige auf ein Teilchen, ohne auch nur ansatzweise zu wissen, was sich wohl darin befinden mag und nehme sicherheitshalber auch eine Sausage-Roll und einen „Apfel im Schlafrock“ (nur, falls ihr beim „ran-Fußballquiz“ mal nach Toni Polsters Leibspeise gefragt werdet…) an mich. Noch bevor ich den Laden verlassen habe, ist die Tüte bereits vollends durchsichtig – jawoll, das ist echtes Fettigebäck!

Zwei Tage später ist Spieltag und ich erfreue die betagte Bäckereifachverkäuferin mit einem erneuten Besuch. Nach den Erfahrungen des letzten Einkaufs und des nun besser vorhersehbaren Sättigungsgrades genügt mir dieses Mal allerdings ein einziges Gebäckstück, was die Omi zunächst etwas traurig stimmt, mit einem kleinen Trinkgeld dann aber gut kompensiert werden kann. Dieses Mal erwische ich eine mit irgendeinem Weißkäse gefüllte Blätterteigtasche. Ich sitze auf „meiner“ Mauer, fröne der Käsevöllerei und schaue erneut versonnen ins Kantrida. Noch eine knappe dreiviertel Stunde bis zum Anpfiff – und noch ist keinerlei Bewegung im oder um das Stadion herum festzustellen.

Eine Viertelstunde später werde ich etwas nervös und beginne, um das Stadion herumzuschleichen und einen möglichen Einlass zu finden. Hätte ich bereits bei meinem vorgestrigen Besuch eine Runde um das Stadion gedreht, wäre er mir schon eher aufgefallen. Nun hält sich meine Freude angesichts des Kunstrasen-Nebenplatzes mit sich aufwärmenden Frauen drauf doch arg in Grenzen, auch wenn dieser wirklich malerisch liegt. Jeder Ball, der über den Fangzaun der Längsseite fliegt, wird hier zwangsläufig im Meer landen. Hoffnungsvolle Frage an die Hopper-Polizei: Dürfte man hinter diesen Ground bitte auch nach weniger als 45 Minuten offiziell sein Kreuz machen, falls alle verfügbaren Bälle versunken sind?

Ich nehme Platz auf der Blechtribüne und schaue den Damen beim Aufwärmen zu. Die absolute Talentlosigkeit auf 44 Beinen. Torschusstraining. Bewegungsabläufe wie beim Eierlauf mit zusammengebundenen Beinen. Schüsse, die so hart sind, dass das Kunstrasengranulat die eine oder andere Rollbombe stoppt, noch bevor diese die 16 Meter vom Strafraum bis zur Torlinie final zurücklegen konnte. Torhüterinnen, die wahrscheinlich das letzte Mal etwas gefangen haben, als sie mit Opa angeln waren. Und dann ist da noch die Nummer 13 der Gastmannschaft, die man schlicht und ergreifend illustrierend in jedes Lexikon neben den Begriff ‚Frauenfußball‘ platzieren könnte. 1,70 groß, kurze Haare, 120 Kilogramm schwer. Was für ein Ćevapčići-Panzer, eine Presswurst in neongrün. In mir steigt so etwas wie Hass auf. Ich wollte ein Spiel in dem schönsten Stadion Europas sehen, stattdessen bekomme ich kroatischen Frauenfußball im Dialog mit Nebenplatz serviert und dann kriegen die in der höchsten Spielklasse mit 10 Mannschaften nicht mal 11 Dünne zusammen? Schlimmer als ein alkoholfreies Radler. Könnt ick ausrasten!

Das Spiel beginnt. Der Cuntsrasen kocht. Nebenan putzt Mutti den „R4“, während Vati mit dem Pinselchen feinsäuberlich Ausbesserungsarbeiten an der Karosserie des „Renault“-Oldtimers vornimmt. Da geht mir altem Autonarren natürlich das Herz auf und wahrlich, was könnte man jetzt alles sinnvolleres unternehmen, als Frauenfußball zu schauen. Nach 37 Fehlpässen, 58 Stockfehlern und zwei Abschlägen aus der Hand über jeweils 25 Meter verlasse ich das Ambiente. Es sind erst knapp 15 Minuten gespielt, aber diese Vergewaltigung meines geliebten Sports in unmittelbarer Nähe zu diesem Traum von Stadion kann ich nicht länger ertragen. Denn das hier, das ist bestenfalls „Cuntrida“. Hashtag Ultrapeinlich.

Am benachbarten „Plaža Kantrida“ kann man sich dann mit frisch gezapftem „Ožujsko“ trösten und sich bei einem Bad im Meer von dem erlittenen Schock erholen. Aus Berlin flattern derweil Nachrichten ein, dass der SC Borsigwalde in seiner heutigen Paul-Rusch-Pokalbegegnung bereits zur Halbzeit mit 0:5 zurückliegt. Gegen den Oberligisten Blau-Weiß 90 wird also keine weitere Sensation gelingen. Schade, aber angesichts des wunderschönen Sonnenuntergangs in der Kvarner Bucht auch kein lang nachhallendes Drama.

Den Tag lasse ich dann im „Gardens“ am Hafen ausklingen. Ein mit Käse gefülltes Pljeskavica mit dreierlei Ayvar und Pommes wird mir an den Tisch gebracht und ich bin sicher, beim Kauen den einen oder anderen Veganer sterben zu hören. Während die dicke 13 dieses Tellergericht wohl als Vorspeise verputzt hätte, kämpfe ich doch ordentlich gegen diesen Endgegner an und muss mit etwas „Pan“ nachspülen. Am Ende bin ich dankbar, ohne Herzinfarkt oder Fleischvergiftung (oder beides) davongekommen zu sein, falle ermattet in meine Koje und träume wieder vom Sehnsuchtsort Kantrida… /hvg

 

PS: Zeitsprung. Wir schreiben den 23.03.2020. Seit dem Frauenfußball-Desaster von Rijeka sind gut 17 Monate vergangen. Natürlich habe ich mich in der Zwischenzeit nie wieder gedanklich mit diesem Spiel oder den involvierten Akteurinnen auseinandergesetzt. Anlässlich des Berichtes durfte ich aber doch noch einmal in die Materie eintauchen – mit überraschend schönen Recherche-Ergebnissen. Am Ende der Saison belegte der ŽNK Rijeka Jackpot den letzten Tabellenplatz. 18 Spiele, 18 Niederlagen, 7:84 Tore. Um das ganze noch verheerender aussehen zu lassen, wurden dem Club vom kroatischen Verband auch noch drei Punkte abgezogen. Das Spiel, welches ich nach 15 Minuten verlassen habe, endete 1:2 und stellte somit die knappste Niederlage der ganzen Saison dar. Angeblich wohnten dem Spektakel 50 Menschen bei, ich zähle auf meinem Foto aber nur 17. Und jetzt kommt’s: Bis zur 82. Minute hatten die Gastgeberinnen gar mit 1:0 in Führung gelegen, ehe Marija Matuzić ausgleichen konnte. Das Siegtor erzielte Pregrada in der 87. Minute. Wer es erzielt hat? Drei Mal dürft ihr raten – die fette 13! Ein Hoch auf Petra Glavač! Und danke, dass ich das nicht erleben musste…

13.10.2018 HNK Rijeka – NK Orijent Rijeka 8:0 (2:0) / Stadion Igralište na Podmurvicama / 47 Zs.

Oktober. Blätter fallen von den Bäumen, der Himmel ist grau, es regnet viel, Union hat spielfrei und Frauen meines Alters sind mir zu alt. Jedes Jahr zum selben Zeitpunkt stellt sich diese Gedankenreihung nahezu vollautomatisiert ein und deutet darauf hin, dass wohl eine Länderspielpause und mein Geburtstag vor der Tür stehen müssen. Da letzterer bekanntermaßen nicht in die Statistik eingeht, so ich ihn im Ausland verbringe, ist die Reaktion nur folgerichtig. Ich brauche Sonne, Fußball und meine Ruhe. Da gibt es also nichts zu zögern – Tasche packen und ab in den Urlaub!

Am 11.10. lande ich bereits um 7.30 Uhr auf der Insel Krk, die ich einst als Kind beim Blättern in Omas Lexikon kennengelernt habe, als ich beim „Scrabble“ spielen mit ihr mal wieder zu wenige Vokale auf dem Brett hatte. Aus selbigem Grund ist die Insel übrigens auch bei der ehrenwerten Zunft der Kreuzworträtseldesigner sehr beliebt und ihr könnt euch darauf verlassen, dass in so ziemlich jedem Rätsel die „kroatische Insel mit drei Buchstaben“ abgefragt wird. Während ich bereits Bargeld gezogen und ein Ticket für den Busshuttle nach Rijeka gekauft habe, irren die anderen Kartoffeln noch über den Miniatur-Flughafen. Schon wirklich die hohe Kunst der Hilflosigkeit, sich auf einem Flughafen im Schuhkartonformat mit nur einem Ticketschalter und einem Ausgang nicht zurechtzufinden. Und auch die Abfahrtspläne der vier Busverbindungen sind jetzt nicht all zu komplex gestaltet. Der Bus fährt eben immer dann, wenn ein Flugzeug landet. Gefühlt also vier Mal am Tag…

So aber komme ich wenigstens in den Genuss, den Bus fast für mich alleine zu haben. Für 50 Kuna wird man bei schönstem Sonnenschein und bestem Blick auf die Kvarner Bucht eine halbe Stunde lang durch die Gegend gefahren und am Busbahnhof von Rijeka in die Freiheit entlassen. Am Jelačićev trg befindet man sich dann auch direkt mehr oder minder in der Stadtmitte und kann bereits im Zuge des erste Spaziergangs zur Unterkunft einen Blick auf erste Sehenswürdigkeiten der Stadt werfen und sich auf die kommenden Tage freuen: ein malerischer Kanal, der Dom St. Vitus (Katedrala sv. Vida), der Stadtturm (Gradski toranj) und in unmittelbarer Nähe meines Gästezimmers der alte Markt (Tržnice grada Rijeke) sowie das kroatische Nationaltheater Ivan Zajc (HNK Ivan Plemeniti Zajc). Oh ja, hier wird man es eine Woche lang aushalten können…

Mein Gastgeber ist glücklicherweise auch bereits zu Hause und gewährt mir Eintritt in das kroatische Mehrfamilienhaus am Fischmarkt. Es ist mir wieder einmal „gelungen“, über booking.com eine eher weniger touristische Unterkunft zu buchen und somit aus Versehen gegen meinen Grundsatz verstoßen zu haben, als dämlicher Tourist der einheimischen Bevölkerung keinen Wohnraum stehlen zu wollen. Dafür werde ich nun auf’s allerherzlichste empfangen und in ein freundliches Gespräch verwickelt. Auf einem Faltplan zeigt man mir alle Sehenswürdigkeiten der Stadt und versorgt mich mit ersten Informationen über die Stadtgeschichte, welche ursächlich dafür ist, dass Rijeka heute ein moderner Schmelztiegel verschiedenster Nationen und Glaubensrichtungen ist und jeden Willkommen heißt, ein Teil dieser „bunten“ Stadt zu sein oder zu werden.

Damit das Gespräch nicht all zu seicht bleibt und weil man mir offenbar verdammt noch mal ansieht, dass ich beruflich was mit Problemen mache, erfahre ich kurz darauf noch etwas sehr privates. Mein Gesprächspartner hat unlängst bei einem Unfall seine Frau verloren und muss nun die beiden Kinder alleine groß ziehen. Uff. Was man bei einem ersten Kennenlernen eben so erzählt. Dabei hätte ich es dem guten Mann auch ohne diese Geschichte nicht übel genommen, dass er mein Zimmer noch nicht gereinigt hat und mich darum bittet, noch mindestens eine halbe Stunde zu warten. Als guter Gastgeber hat er natürlich längst bemerkt, dass ich gesundheitlich angeschlagen in Hrvatska gelandet bin und über eine leichte Erkältung mit Husten klage. Hiergegen würden nur zwei alte Hausmittelchen helfen: selbst gepresstes Olivenöl oder selbst gebrannter Schnaps. Noch bevor ich mich dazu äußern kann, habe ich bereits einen doppelten Šljivovica serviert bekommen, den sein serbischer Großvater in diesem Sommer gebrannt und kürzlich nach Kroatien verschickt hat. Gemeinsam trinken wir einen und es stellt sich heraus, dass so ein Obstbrand vor dem Frühstück doch etwas mehr einschlägt als beispielsweise Emerson Luiz Firmino anno 2005.

Um der etwas unangenehmen Gesamtsituation im Anschluss zu entfliehen, schlage ich vor, mich draußen in die Sonne zu setzen, einen Kaffee zu genießen und in gut einer Stunde zurückzukehren. Sehr gerne, aber zunächst müsse ich noch das Zimmer bezahlen, entgegnet man mir. Etwas erschwert wird dieser Wunsch dadurch, dass man mir leider nicht sagen kann, wie viel Geld man von mir haben mag. Die mitgeführte booking-Reservierung ist auch nicht vollumfänglich hilfreich, da der Preis des Aufenthalts in Euro angegeben ist und mein Gastgeber hiermit rein gar nichts anfangen kann. Gemeinsam googlen wir den aktuellen Wechselkurs, bringen den Taschenrechner meines Handys zum Einsatz und einigen uns dann schiedlich-friedlich auf eine abgerundete Kuna-Summe, die ich mit meiner Kreditkarte zahlen kann. Als ich nach dem Kaffeegenuss auf mein Zimmer zurückkehre, ist alles sauber – und die Pulle Schnaps steht als Geschenk auf meinem Nachttisch. Freunde, hier fühlt sich Fetti wirklich wie zu Hause…

Zwei Tage später bittet König Fußball erstmals zum Tanz. Auf der Website des HNK Rijeka bin ich auf eine Partie im Nachwuchsbereich aufmerksam geworden. Angeblich empfangen heute um 11.00 Uhr die „Starij Pioniri“ (= ältere Pioniere), die ich nach kurzer Recherche als A-Jugendliche klassifiziere, den Lokalrivalen des NK Lokomotiva Rijeka im Stadion „Igralište na Podmurvicama“. Das Stadion wurde 1975 errichtet und trägt erst seit 2013 den Beinamen „Robert Koman“. Dieser Namenszusatz erinnert an den 2013 verstorbenen Ex-Präsidenten des HNK Rijeka, der nicht nur eng mit dem Club, sondern auch mit der Region verwurzelt war, u.a. als Präsident des Nationaltheaters und – frei übersetzt – Präsident des Komitees zur Organisation der Kvarner Riviera. Sei es wie es sei, die Bilder der 8.000 Zuschauer fassenden Spielstätte inmitten einer Hochhaussiedlung mit ihren drei schönen steinernen Stehtraversen locken mich jedenfalls problemlos bereits vor dem Frühstück vor die Tür und ermuntern mich zu einem 2,7 Kilometer langen Spaziergang.

Dieser führt zunächst einmal vorbei an der belebten Hafenpromenade „Riva“ mit ihren unzähligen Bars und Restaurants. Der Hafen wird hier nicht nur von Kreuzfahrtschiffen und Yachtbesitzern, sondern auch zu industriellen Zwecken genutzt und so kann es schon einmal vorkommen, dass das rege Treiben der Menschen hier urplötzlich zum Erliegen kommt, weil sich dann und wann Güterzüge ihren Weg durch die Menschenmassen bahnen müssen. Den nächsten Höhepunkt stellt dann die Kapuzinerkirche Maria Lourdes (Kapucinska crkva Gospe Lurdske) dar und wird letztlich nur durch den alten Hauptbahnhof gekrönt, der mit seinen ungesicherten Gleisanlagen und den herrlich verfallenden Gebäuden drumherum zu gefallen weiß.

Sobald man den Hauptbahnhof passiert hat, dauert es auch nicht mehr lange und die grauen Hochhaus-Ungetüme tauchen am Horizont auf und weisen einem unweigerlich den weiteren Weg. Um Punkt 10.35 Uhr betrete ich das Stadion, das heute dankenswerterweise allen offen steht, leider aber auch keine Verpflegung feilbietet. Während die Bilder von „europlan“ nicht zu viel versprochen haben und man sich sehr zufrieden auf der Gegengeraden mit Blick auf das offene Meer niederlässt, scheinen die Informationen der Website des HNK Rijeka so nicht stimmen zu können. Auf dem Großfeld rennen jedenfalls 22 Kinder im Alter von 11-13 Jahren herum und zählen somit offenbar eher zu den „Mladi Pioniri“, also den jüngeren Pionieren. Zudem ist der Gast klar als HNK Orijent zu erkennen – keine Spur von den angekündigten Eisenbahner-Jugendlichen. Gerade denke ich mir, dass es mir im Grunde genommen auch egal ist, ob ich ein A- oder ein C-Jugendspiel sehe, da pfeift der Schiedsrichter die Begegnung auch schon ab.

Die handgezählten 47 Zuschauer unternehmen jedoch keine großen Anstalten, die Sportstätte zu verlassen, sodass ich einfach das Sonnenbad auf den alten Stufen genieße und darauf warte, was noch so passieren wird. Glücklicherweise wird das Spiel 15 Minuten später wieder angepfiffen und ich komme in den Genus weiterer 35 Minuten Jugendfußball. Der aktuelle Spielstand ist mir unbekannt, doch auf dem Kunstrasen machen die hoch überlegenen Kicker des HNK Rijeka kurzen Prozess mit ihren Gegnern. Es fallen innerhalb kürzester Zeit (mutmaßlich weitere) 4-5 Treffer. Ich empfinde durchaus Mitleid mit dem armen Jungen, der sich hier als Torwart verkleidet hat und Teil einer Mannschaft ist, die aus Kindern besteht, die Lust am Knödeln haben und die bis zum Schluss mit positiver Körpersprache ihr Bestes geben. Die „Heimmannschaft“ (neben den Nachwuchsmannschaften des HNK nutzt auch der NK Lokomotiva Rijeka dieses Stadion für seine Heimspiele) ist im Gegensatz dazu eine Auswahl von geschulten minderjährigen Fußballmaschinen, die technisch und taktisch natürlich alles können, was man können muss, charakterlich aber in der einen oder anderen Situation noch Schulungsbedarf aufweisen. Sicherlich muss man beim Stand von ?:? (Tendenz: 10:0) keine abfälligen Äußerungen über eigene Mitspieler tätigen, die im Abschluss scheitern oder egoistische Soli aus dem Mittelfeld starten oder gegen einen gegnerischen Verteidiger nachtreten, der sich doch tatsächlich erdreistet hat, einer Nachwuchshoffnung des Erstligisten den Ball abzunehmen. Naja, sollen sich andere drum kümmern.

Nach Abpfiff der Begegnung betreten dann endlich Menschen mit Lokomotiva-Jacken die Arena und ich hoffe, doch noch in den Genuss des A-Jugend-Spiels zu kommen. Doch leider sind die Pioniere, die dann aus den Katakomben stürmen, noch eine Nummer jünger. Flugs bauen die Betreuer Kleintore auf dem Halbfeld auf und ich verlasse das Stadion Podmurvice, wie es im Volksmund genannt wird, bevor es zu Missverständnissen kommt. Alleinreisende junge Männer, die Fotos von kleinen Jungen anfertigen, sind schließlich nicht überall gerne gesehen.

Zum Trost kehre ich kurz darauf im „Flumen Pub“ ein und verköstige ein Bier der Hausbrauerei „Pivovara Flumen“. Kurz nachdem das Bier für „gut“ befunden wurde, ist Mittagszeit. Im „Buffet Fiume“ bestelle ich ein Gulasch und bitte den Kellner, es mir nur mit Brot zu servieren und die Pasta weg zu lassen. Der Kellner gibt mir zu verstehen, dass das Gericht den gleichen Preis hätte, auch wenn er die Pasta nicht mit zubereiten ließe. Ich erkläre mich damit einverstanden, weil mein Appetit bei schwülwarmen Temperaturen doch recht überschaubar ist. Nun versteht der Kellner, der mit diesem Gesprächsverlauf offenbar nicht gerechnet hätte, die Welt nicht mehr. Er hat das letzte Wort: „You get Gulasch with Bread and Pasta. If you don’t eat, my dog will be happy!“

Was auch in dieser kurzen Anekdote steckt, ist ein kurzer Einblick in die Stadtgeschichte Rijekas, die durch die Zugehörigkeit zu unterschiedlichsten Staaten und Völkern sowie derer kultureller Einflüsse nur so strotzt. So heißt die Stadt im italienischen „Fiume“, das Wort „Flumen“ hingegen bezieht sich auf den lateinischen Begriff für den Fluss Rječina. Der „Flumen Sancti Viti“ wird auf deutsch wiederum „St. Veitsstrom“ genannt, was der Stadt unter dem Strich den wunderbaren deutschsprachigen Namen „St. Veit am Pflaum“ eingebracht hat. Und das, liebe Freunde, kann sich wahrscheinlich wirklich nur jemand ausdenken, der zu lange grauen Himmel, zu viel Regen und zu viele alte Frauen ertragen musste… /hvg

 

PS: Die nachträgliche Internetrecherche ergab, dass Rijeka das Spiel mit 8:0 für sich entscheiden konnte. Die Torschützen: Šuke, Bradarić, Bradarić, Baraba, Zivanović, Bogolin, Bradarić, Bogolin. Nur für den Fall der Fälle, sollte einer dieser Jungs irgendwann einmal ein Weltstar werden… dann… könnte Fetti sagen: der war damals schon ein Arschloch!

30.09.2018 Parma Calcio – Empoli F.C. 1:0 (1:0) / Stadio Ennio Tardini / 14.584 Zs.

Am frühen Morgen ist der Rezeptionist des „Hotel Lugano“ bereits zu Smalltalk aufgelegt. Seit er gestern Abend erfahren hat, dass ich mich für Fußball interessiere, kennt er kein Halten mehr. Zunächst klagt er mir heute sein Leid, dass „sein“ SSC Napoli gestern bei der Juve mit 3:1 verloren hat. Davon ausgehend, dass jeder Mensch in Deutschland von Hause aus großer Borussia Dortmund Fan sein muss, gratuliert er mir herzlich zum überzeugenden 4:2 Sieg in Leverkusen. Netter Mann, dem ich nun zu verstehen gebe, dass mir Borussia Dortmund gelinde gesagt am Culo vorbeigeht und bekanntermaßen alles außer Union eh Merda ist! Das einzige, was ich in den letzten Jahren am BVB mochte, das war Ciro Immobile, weiß ich das Gespräch geschickt am Laufen zu halten. Der Rezeptionist freut sich über soviel Freundlichkeit gegenüber seines italienischen Landsmanns und ist seinerseits mehr auf zack als jede Fußball-App. 0,2 Sekunden später weiß ich jedenfalls, dass Lazio das Römer Derby mit 3:1 verloren hat – trotz des bereits vierten Saisontreffers von Ciro zum zwischenzeitlichen 1:1. Ist ja ein Ding.

Wir liegen gefühlt jedenfalls gut genug auf einer Wellenlänge, um nun die alles entscheidende Ryanair-Frage zu platzieren. Could you please print my Boarding Pass? Warum ich von Bergamo nach Nürnberg reisen will, erkläre ich im Anschluss bereitwillig. Because my Team is playing away in Ingolstadt! Klar, dass nur wenige Augenblicke darauf der Drucker rattert und mir mein Flugticket ausgehändigt wird und damit wieder einmal der Beweis vollbracht ist, dass der Verzicht auf Smartphones und Apps immer wieder für nette Begegnungen sorgt. Nun hält mein Gegenüber wiederum die Gelegenheit für günstig, mich noch darauf hinzuweisen, dass ich für nur 8 € hier im Hause frühstücken könnte. Ich erhasche aus dem Augenwinkel einen Blick auf das „Buffet“, welches aus abgepackten Croissants, Keksen und einer Espressomaschine besteht und verzichte dankend. Die Traurigkeit in seinen Augen ist kaum auszuhalten, aber mit einem kurz eingeschobenen „…because I am in a hurry. I am going to Parma to see some more Calcio!“ kehrt die Begeisterung zurück in sein Gesicht.

Und so stehe ich um 11.00 Uhr am Bahnhof Lambrate, lasse den Automaten mit der Eltern-Kinder-Schlange davor und den „UNO“-Spielen darin links liegen, decke mich mit einem echten Frühstück für weit weniger als 8 € ein und werde mich in Ermangelung eines Kartenspiels auf der knapp 90 minütigen Reise für 11,10 € dann wohl oder übel mit einem großen Bier aus der 0,66 Liter Flasche beschäftigen müssen.

Noch während der Reise grübele ich bereits über humoristische Verwertungsmöglichkeiten des Städtenamens. Manch einer wirft mir ja bereits vor, ich würde die Wahl meiner Reiseziele davon abhängig machen, ob sich schlechte Wortspiele mit ihnen anstellen lassen. Ihr könnt beruhigt sein, dem ist nicht so. Heute werde ich jedenfalls darauf verzichten, sind schließlich schon größere Komiker ein parma krachend an dieser Aufgabe gescheitert. Während erste konstruktive Tipps aus Ungarn über die bekannten sozialen Kanäle hineinflattern („Wenn dir jetzt nüscht einfällt, musste halt noch’n parma hinfahrn“), will der gemeine Ostler natürlich wieder nur Geschenke abgrasen. Nein, ich kann keinen Parmaschinken mitbringen. Warum? Na, parmark fehlen dafür!

Parma. 196.000 Einwohner. Emilia Romagna. Und für Menschen, die in den Neunzigern Fußballsozialisiert worden sind, natürlich unmittelbar mit dem AC Parma verbunden. In der Hochzeit mischten Gianlugi Buffon, Tomas Brolin, Fabio Cannavaro, Gianfranco Zola, Faustino Asprilla, Hernán Crespo, Lilian Thuram und Dino Baggio in gelb-blau in der Spitze Europas mit. 1992/93 gewann man den Europapokal der Pokalsieger, 1994/95 und 1998/99 den UEFA-Cup. Eine wesentliche Rolle in dieser Erfolgsgeschichte spielte der „Parmalat“-Konzern, der als Miteigentümer und Großsponsor etliche Millionen zur Verfügung gestellt und den Durchmarsch des AC von der Serie C bis in die Serie A ermöglicht hatte. Vor 1990 hatte der AC Parma niemals erstklassig gespielt und ist somit genaugenommen auch nicht viel mehr, als ein Kleinstadtverein, der ausschließlich dank monetärer Unterstützung eines Mäzens eine Rolle im Weltfußball einnehmen konnte. Wie gefährlich solche Konstrukte sind, mussten die Tifosi dann im Zuge des „Parmalat“-Konkurses von 2004 erfahren. Seitdem kam es zu mehreren Pleiten, Insolvenzen, Vereinsauflösungen und -umbenennungen. AC, FC, Parma Calcio. Zwischenzeitlich ging es dann sogar hinunter bis in die Serie D, in der man aber immerhin stolze 7.947 Zuschauer im Schnitt für sich begeistern und somit unter Beweis stellen konnte, dass man doch sehr viel stolzer ist, als manch ein vielleicht vergleichbarer Retortenverein.

Ein weiterer Vorteil, den Parma gegenüber den hierzulande bekannten Retortenvereinen aufweist: Es liegt halt in Italien und hat ein derart schönes Stadtbild zu bieten, dass Hoffenheim, Wolfsburg, Leverkusen und Co endlich über eine Selbstauflösung nachdenken sollten. Ich schlendere durch die sonnigen Gassen des „Alten“ Parma (ein kleiner Rinnsal namens Parma trennt die Alt- von der Neustadt), begutachte den Dom, den Palazzo del Governatore und andere mir namentlich unbekannte Gebäude und bin wieder einmal begeistert. Vielleicht sollte man grundsätzlich davon absehen, sich vorher zu informieren, was man in fremden Städten sehen kann und abzuwägen, ob sich ein längerer Aufenthalt „lohnt“. Diese Überraschungen à la Parma sind aus meiner Sicht immer wieder die schönsten Urlaubserfahrungen – da schmeckt doch der 5 € teure „Aperitivi“ an der Piazza Garibaldi gleich doppelt so gut, auch wenn ich mir in Italien streng genommen schöneres vorstellen kann, als „Memminger Hell“ serviert zu bekommen. Weniger schön ist die überraschend hohe Dichte an deutschen Touristen, die sich im Gegensatz zu mir offenbar belesen haben. Aktuell tobt nämlich das „Festival Verdi“ in der Stadt, welches jährlich zu Ehren des italienischen Komponisten Giuseppe Verdi in der Emilia Romagna abgehalten wird. Das „Teatro Regio“ gehört mit zu den Spielstätten des Opernfestivals und verleitet unzählige bayerische Seniorengruppen offenbar dazu, mal einen Abstecher gen Italien zu unternehmen. Motto der Busreiseveranstalter womöglich: Verdi Veranstaltung verpasst, ist selber Schuld.

Mich zieht es schon zwei Stunden vor Anpfiff in Richtung „Stadio Ennio Tardini“, benannt nach einem ehemaligen Präsidenten des AC, der den Bau des Stadions beauftragt, aber dessen Eröffnung (1924) nicht mehr miterlebt hatte. Aus dieser Zeit dürfte das wunderbare Eingangsportal der Spielstätte stammen und auch ansonsten nagt der Zahn der Zeit etwas an der alten Bausubstanz, die seit 2017 wieder Spiele der Serie A erleben darf. Ich sitze mit meinem Dosenbier auf der Stradone Martiri della Libertà und werde von irgendwelchen Killermücken zerstochen, als gerade die Mannschaftsbusse an mir vorbeirollen.

Kurz darauf versuche ich meinen Sitzplatz zu finden. Die Karte habe ich mir mit einem 10 € „Ridotto Web“ Rabatt im Vorfeld der Reise online gekauft und bin nun auf der Suche nach der richtigen Tribüne. Leider gibt es im Umfeld des Stadions keine Schautafel und auch der Ordner, den ich anspreche, hat heute bedauerlicherweise seinen ersten Tag und keinerlei Ahnung, was hier Phase ist. Ein freundlicher Kollege eilt zu Hilfe und weist mir den Weg auf eine Tribüne, die einen anderen Namen hat, als auf der Karte angegeben ist. Drei alte Ordner bewachen dort die Treppe zum Aufgang A und haben ihren Heidenspaß mit mehreren Kindergruppen, die später allesamt in meinem Block Platz finden werden. Eine Gruppe vor mir, eine neben mir, eine hinter mir. Spielende, tobende und lärmende Kinder am Wochenende. Da geht mir ja eher nicht so das Herz auf, weswegen ich meinen Platz noch einmal verlasse, mir ein schönes Panini mit Parmaschinken gönne und erfolgreich Ausschau nach anderen leeren Sitzschalen halte.

Heute ist der Empoli F.C. zu Gast, der „handgezählte“ 456 Fans (einen Tag nach dem Spiel hat Parma Calcio auf seiner Website transparent veröffentlicht: 14.584 Zuschauer, 456 Gäste, Gesamteinnahme 156.698,82 €) und einige Fahnenschwenker mitgebracht hat. Diese laufen nun mit ihren Empoli-Fahnen gemeinsam mit irgendwelchen Parma-Kutten, ebenfalls Fahnen schwenkend, eine Ehrenrunde, während beide Fanblöcke gemeinsam etwas skandieren. Mein nicht all zu weit hergeholter Verdacht, dass es sich hierbei um eine freundschaftliche Verbindung beider Fanlager handeln muss, bestätigt sich im Nachhinein. Das Spruchband auf der Heimseite („Orgogliosamente Gemellati“) nimmt ebenfalls auf die zwillingshafte Beziehung Bezug und wird von etwas blauem und gelbem Rauch untermalt.

Das Spiel besticht erst einmal durch puren Leerlauf. Erst nach 15 Minuten machen beide Teams Anstalten, überhaupt irgendwie in der Partie anzukommen. Das Niveau der Begegnung ist überschaubar, sodass die animierten Werbefilmchen auf der Anzeigetafel schon einiges an Aufmerksamkeit auf sich ziehen, die hier anstelle einer Uhrzeit oder des Spielstandes versendet werden. Nach einer guten halben Stunde nähert sich Parma dem Tor erstmals gefährlich an, doch eine durch den Strafraum durchgerutschte Ecke verpassen alle angreifenden Akteure am zweiten Pfosten denkbar knapp. Bis zur Halbzeit folgt die stärkste Phase der Hausherren, die sich nun nach und nach steigern und Oberwasser gewinnen. In der 33. Minute tankt sich Rigoni mit einer schönen Energieleistung durch das Mittelfeld, schüttelt zwei-drei gegnerische Akteure ab und bedient den bis dato auffälligsten Akteur auf dem Feld mit einem schönen Steckpass. Gervinho nimmt den Ball geschickt an und mit und verwandelt aus spitzem Winkel zum 1:0, wobei man sich schon die Frage stellen muss, ob Empoli-Keeper Terraciano den mit einem etwas besseren Stellungsspiel nicht hätte verhindern können. Um ein Haar wäre Empoli noch vor der Pause der Ausgleich gelungen, doch Zajc‘ Abschluss innerhalb der Box landet lediglich am Torpfosten. Parmas Publikum verabschiedet seine Helden mit Applaus in die Katakomben – im Gegensatz zum gestrigen Stadionerlebnis im Meazza ist man hier doch deutlich entspannter und trotz vorherrschender Fußballmagerkost sehr dankbar über Kleinigkeiten.

Bis zur Halbzeitpause ist mir eine leichte Müdigkeit in die Knochen gefahren. Grund genug, den Versorgungsstand aufzusuchen, an dem Omi und Opi schnellstmöglich alle Kundenwünsche zu erfüllen versuchen. Irgendwie so herzallerliebst, dass ich mich gleich zwei Mal anstellen und mir zwei Becherchen Espresso zu je einem Euro kaufen werde.

So bin ich zu Wiederanpfiff hellwach – ganz im Gegensatz zu Parmas Defensive, die sich lediglich 55 Sekunden nach Wiederanpfiff beinahe kräftig übertölpeln lässt, doch glücklicherweise steht bei Caputos etwas unfreiwilliger Hacken-Zauberei abermals der Pfosten im Weg. Fünf Minuten später stockt dem Publikum erneut der Atem, als Gervinho Schmerz erfüllt auf dem Boden zusammensackt. Die schlimmsten Befürchtungen werden alsbald zur Gewissheit – der beste Mann muss offenbar mit muskulären Problem humpelnd vom Platz. Diesen schwerwiegenden Verlust kann Parma kaum kompensieren und sofort geht ein Negativruck durch die Mannschaft, die nun jeglichen Mut nach Vorne verliert und deutlich an Tempo einbüßt. Es ist der Gast aus Empoli, der dem Spiel Leben einhaucht und auf das Remis drängt, sich mit den tief verteidigenden und auf Zeit spielenden Gastgebern aber von Minute zu Minute schwerer tut. In der 80. scheitert Bennacer aus abseitsverdächtiger Position nur knapp und in der Nachspielzeit wird es dann richtig heikel. Flanke Empoli, Kopfballverlängerung – und zwei Verteidiger, die sich etwas ungeschickt anstellen und möglicherweise gar beide die Hand am Ball hatten, sorgen für helle Aufruhr. Während die Hälfte der Gästemannschaft bereits protestiert und Elfmeter fordert, reagiert der kurz zuvor eingewechselte La Gumina geistesgegenwärtig und jagt den Ball volley auf das Tor. Parmas Keeper Sepe trägt nicht nur das schönste Torwarttrikot aller Zeiten, sondern reagiert blendend und rettet seinen Farben heute im Schlussakkord die drei Punkte.

Ein Einkauf im Fanshop wird mir leider verwehrt, weil die Besucher der Ehrentribüne Vorrang haben und rund um den Einkaufsladen eine große Sperrzone errichtet worden ist. Genauso sinnvoll ist die Praxis des Spätverkaufs in Stadionnähe, welcher Bierflaschen hier nur gemeinsam mit braunen Papiertüten verkaufen darf. Gerade bin ich dabei, die passend herausgesuchten 1,20 € für die Pulle Moretti wieder in die Taschen zu stecken und einen Schein aus dem Portemonnaie zu zücken, als mir ein freundlicher Parma-Tifosi von hinten 20 Cent für die Tüte reicht. Grazie Mille!

Meinen Parma-Aufenthalt lasse ich dann in einem asiatischen Dönerfachgeschäft ausklingen, da ich vor Abfahrt meine Zuges nach Milano eigentlich nicht genügend Zeit für einen echten Restaurantbesuch übrig habe. Am Bahnhof stellt sich jedoch heraus, dass ich gut und gerne noch einkehren hätte können – 50 Minuten Verspätung. Aber wohl dem, der flugs umdisponieren kann, denn ein weiterer Zug in Richtung Milano, der planmäßig vor gut einer Stunde hätte abfahren sollen, weist gar 65 Minuten Verspätung auf und müsste demnach in ca. 10 Minuten hier eintreffen. Nun gilt es nur noch, die Schaffner davon zu überzeugen, mich mit meiner Billig-Fahrkarte mit Regionalbahn-Zugbindung schon um 22.43 mit dem höherwertigen Zug mitzunehmen, statt mich erst um 23.25 Uhr mit dem Schweinetransporter zu befördern. Als der Zug einrollt und die Zugbegleiterin mit Kippe im Mund aus der Tür hüpft, habe ich ein gutes Gefühl und natürlich ist es kein Problem, sich kurz darauf in den Luxussessel des „Fracciarossa“ sacken zu lassen. Auf den letzten sechs Minuten vom Bahnhof Centrale nach Lambrate sammele ich dann noch einmal stolze 15 Verspätungsminuten, die dazu führen, dass die letzte Ansage vor meiner Ankunft gegen 0.30 Uhr bereits mit „Good Morning“ beginnt.

Und wie recht diese automatische Ansage doch hat. In 20 Stunden wird in Ingolstadt schließlich der Anpfiff zum Spitzenspiel der zweiten Bundesliga erfolgen. Und jeder Morgen eines Tages, an dem man ein Fußballspiel besuchen kann, ist bekanntlich ein guter Morgen! /hvg

29.09.2018 FC Internazionale – Cagliari Calcio 2:0 (1:0) / Stadio Giuseppe Meazza / 55.487 Zs.

Die „beste zweite Liga aller Zeiten“ hat endlich einmal wieder eine Spieltagsansetzung zu bieten, die sich so richtig gewaschen hat. Der 1.FC Union Berlin darf am Montagabend zum Superclásico-Blockbuster beim FC Ingolstadt 04 aufdribbeln. Grund genug, sich in „Kalenderübungen“ und in den Spielplänen der europäischen Ligen zu verlieren und aus der Not eine Tugend zu machen. Wenn man schon in den sauren Apfel beißen muss, für einen Kick beim FC Mediamarkt einen Tag Urlaub einzureichen, dann sollte wenigstens ein Komplettpaket geschnürt werden, welches sich auch den Namen Urlaub verdient.

Und so sitzt Fetti bereits am Samstag in aller Herrgottsfrüh im „easyJet“-Bumsbomber nach Malpensa, um sich für das Montagsspiel in Ingolstadt schon einmal in Stellung zu bringen. Norditalien bei Bayern, kennt man ja.

Es fühlt sich in der Tat so an, als würde man sich dem endgültigen Ziel der Reise durch diesen Flug etwas annähern, doch ein Blick auf bloße Fakten bringt Ernüchterung: Berlin → Ingolstadt = 509 Kilometer, Milano → Ingolstadt = 567 Kilometer. Fetti weiß aber schnell Abhilfe zu schaffen, setzt sich flugs den Faktenabsorbierer in Form eines Aluhuts auf den Schweineschädel und ist sich seiner Sache dann wieder sicher. Fakten braucht doch kein Mensch und wenn man sich näher am Ziel wähnt, dann wird das schon auch stimmen. Abgesehen davon kann so ein Ausflug nach Norditalien ja ohnehin nie verkehrt sein! (Anmerkung der Redaktion aus der Corona-Quarantäne im Jahre 2020 – in Anlehnung an Michael Gwisdek in der Rolle des Friedrich: Naja, stimmt aus heutiger Sicht vielleicht nicht, aber die heutige Sicht, die hatten wir ja damals nicht…)

In der Zwischenzeit hat auch der Hotelier meines Vertrauens auf die Anfrage nach der Möglichkeit eines früheren Check-Ins, welche ich angesichts der Ankunftszeit von 9.05 Uhr am Flughafen einfach stellen musste, italienisch adäquat geantwortet. „Maybe yes, Maybe not“. Na, wenn das keine Aussage ist, mit der man arbeiten kann, denkt sich Fetti, löst sich eine Fahrkarte zum Hauptbahnhof und besteigt frohen Mutes den „Malpensa Express“. Eine knappe Stunde später rollt der Zug dann bereits auch am altbekannten und immer wieder wunderschönen Bahnhof Milano Centrale ein. Ich gehe bekannte Wege und suche schnurstracks den Supermarkt im Erdgeschoss auf, um mich mit einem kleinen italienischen Frühstück (Birra Moretti) einzudecken, bevor ich meine Weiterfahrt zum Bahnhof Lambrate antreten werde. Nach erfolgreichem Einkauf konstruiert sich Fetti erneut die Wahrheit zurecht und ist urplötzlich felsenfest davon überzeugt, dass es keine anderen Optionen gibt, als schleunigst die Sicherheitsschleuse mit dem abgelaufenen „Express-Ticket“ zu durchschreiten, um die letzten sechs Minuten der Hinreise bewältigen zu können. Die Zeit drängelt, die Regionalbahn fährt schließlich nur alle 40 Minuten und die Schlangen an den Ticketautomaten sind lang (…und von der Metro-Verbindung ham wa noch nie was gehört!). Mehr Gründe braucht es nicht, um den freundlichen Angestellten der „Trenitalia“ die ungültige Fahrkarte unter die Nase zu halten. Ob sie mich mit diesem Ticket wohl passieren lassen werden? Schnell haben die beiden (er zu meiner Linken, sie zu meiner Rechten) entschieden, mit mir eine weitere Partie „Maybe yes, Maybe not“ zu spielen und während er auf das Kleingedruckte pocht und das Recht der italienischen Eisenbahngesellschaft durchsetzen und mich zum Kauf einer neuen Fahrkarte verdonnern mag, vertritt sie den liberalen Flügel der augenzudrückenden Barmherzigkeit. Zwei Minuten vor Abfahrt meines Zuges hat sich dann glücklicherweise die Frau durchgesetzt, mir noch einmal nett zugelächelt und mich durchgewunken. Wieder ’ne Mark fünfzig gespart!

Im „Hotel Lugano“ ist man glücklicherweise bereits so weit und hat mein Zimmer mehrere Stunden vor dem offiziellen Check-In bezugsfertig gemacht. Zwar habe ich das „Maybe yes, Maybe not“-Spiel erst heute Vormittag kennengelernt, aber ich scheine ganz gut darin zu sein. Auf dem Zimmer wird die allseits geschätzte Devise „Jetzt ein Bier und dann ab ins Bett“ ausgerufen, das „Moretti“ aus dem Rucksack hervorgeholt und im Anschluss ein grundsolides Nickerchen bis um 16.30 Uhr auf die To-Do-Liste geschrieben.

Gut erhoolt schnelle ich am Nachmittag aus den Federn und begebe mich auf Nahrungssuche. In unmittelbarer Nachbarschaft der Herberge befinden sich alle Restaurants in der Siesta und ich erinnere mich wieder daran, dass man in Italien nur zwischen 12.00 und 15.00 und erst wieder ab 20.00 Uhr Hunger haben darf. Mit der Hoffnung auf etwas mehr touristischem Publikumsverkehr in der Innenstadt und damit einhergehenden geöffneten Lokalitäten, löse ich mir ein Tagesticket und trete bereits am frühen Nachmittag die Anreise in Richtung San Siro an, welche ich am „Porta Garibaldi“ zu unterbrechen gedenke. Jetzt also doch 4,50 € für ein 24-Stunden-Ticket – da hätte ich mir ja zumindest eine Partie „MYMN“ sparen können…

Der Bahnhof Garibaldi wird von einem japanischen Automobilhersteller gesponsert und es schüttelt mich kurz. So weit ist es also schon, dass nicht nur Fußballstadien Sponsorennamen erhalten, sondern mittlerweile ganze Bahnhöfe von Großkonzernen zwecks Marketing missbraucht werden. Er kann. Sie kann. Saufkumpan!

Dennoch lohnt sich der Ausstieg, wie sich alsbald in der Fußgängerzone nahe des Bahnhofs herausstellen wird. Hier gibt es nämlich etliche geöffnete Speiselokale und im „Rocking Horse“ ist man für ein Bier und die freundliche Bereitstellung von Messer und Gabel schnell den ersten Zehner losgeworden. Wo Touristen sind, gibt’s Essen – und manchmal eben auch „Coperto“ für vier und Bier für sechs Euro. Klar, dass sich Fetti angesichts eines solchen Tourinepps kurzzeitig sauelend fühlt. Porca Miseria, aber Hauptsache, die Pizza schmeckt!

Im Anschluss begebe ich mich mit der vollautomatischen U-Bahnlinie 5 nach San Siro. Mein erster Besuch des Stadio Giuseppe Meazza liegt bereits gute viereinhalb Jahre zurück. Damals durfte FUDU Augenzeuge eines 0:0 zwischen Inter und Udine werden – ein bisschen mehr Spektakel dürfte es beim zweiten Versuch schon sein…

Bereits im Vorfeld der Reise habe ich mir meine Eintrittskarte online gebucht. Aus Fehlern wird man bekanntlich klug und in Erinnerung an die Balustrade des Schreckens, die man 2014 auf der sündhaft teuren Haupttribüne im Sichtfenster hatte, ist die Wahl dieses Mal auf ein 30 € Hintertortribünenticket im zweiten Rang gefallen. Als ich den Block betrete, fährt mir schnell ein erster Schreck in die Edi – offenbar bin ich aus Versehen inmitten eines kleinen Fanblocks gelandet. Männer mittleren Alters schwenken Fahnen und sind eifrig damit beschäftigt, ihre Banner aufzuhängen. Als wäre dies allein nicht schon Sichtbehinderung genug, stellt sich nach Ankunft auf meiner Sitzschale heraus, dass es mir zum zweiten Male gelungen ist, mich denkbar ungünstig zu platzieren. Da ist sie wieder, die Fick-Dich-Brüstung, das Metallmonster, welches mein barrierefreies Fußballvergnügen in den kommenden 90 Minuten arg zu beschneiden wissen wird. Wenn ich irgendwann einmal den AC Milan besuche, um die Serie A rechtmäßig zu komplettieren, dann wird mir das nicht noch ein(drittes)mal passieren!

Mit etwas gedämpfter Vorfreude setze ich mich den Qualen aus, die die Stadionregie für mich bereithält. „Everybody Dance Now“. Die Neunziger haben angerufen, sie wollen ihr Set zurück. Aber wenigstens trägt das Unterhaltungsprogramm dazu bei, dass alle Menschen, die sich in meinem Block befinden, die Lust auf das Spiel verlieren. Alle 14 Tage kann man das auch echt nicht ertragen und so setzen sich all die alten Männer recht bald pflichtbewusst auf ihre Hintern, stellen das Schwenken der Fahnen sowie ihre Gesänge ein und entfernen auch die Banner von der Reling. Endlich in Ruhe Fußball gucken.

Das Spiel beginnt. Einige wenige Schlachtenbummler haben die weite Anreise aus Sardinien auf sich genommen und werden aus reiner Dankbarkeit und Gastfreundschaft in den einzig geöffneten Block des dritten Ranges über mir verfrachtet. Die Gäste sind mir Darijo Srna und Ragnar Klavan in der Verteidigung sympathisch aufgestellt und Stürmerstar Marco Sau erobert Fettis Herzen natürlich im Sturm, während die Heimelf vor dem Champions League Duell gegen Eindhoven am kommenden Mittwoch heute nur mit einer Art B-Mannschaft antritt. Dieser gelingt jedoch bereits früh die Führung: Nach einer maßgeschneiderten Flanke von Dalbert steht Lautaro Martínez, der an den ersten sechs Spieltagen ganze 69 Minuten Einsatzzeit erhalten hatte, goldrichtig und nickt mit seinem ersten Saisontreffer in der 12. Spielminute zum 1:0 ein.

Bedauerlicherweise zeigt sich Inter alles andere als beflügelt von diesem frühen Erfolgserlebnis und lässt jegliches energisches Nachsetzen vermissen. Mit viel zu wenig Tempo ohne Ball schleppen sich die Interisti über das Feld, während die Gäste im Spielaufbau einige gute Ansätze zeigen. Doch demonstriert man hier in Reinkultur, dass kein noch so gut gespielter öffnender Pass etwas bringt, wenn man sich im Angriff nicht durchzusetzen weiß und entscheidende Pässe zu ungenau spielt. So haben die Hausherren leichtes Spiel, das Ergebnis zu verwalten, auch weil man die Gäste mit vielen kleinen Fouls locker und leicht aus dem Fluss bringt. Nicht unbedingt zur Freude des verwöhnten Publikums, das hier wenig Geduld zeigt und alles andere als zufrieden mit der dargebotenen Leistung ist. Die Stimmung tendiert bereits gegen Nullpunkt, als Schiedsrichter Massa zum Pausentee bittet.

Inter kommt schlecht aus der Kabine und agiert auch in Folge fahrig und uninspiriert. Die Konsequenz: Nach lediglich 55 gespielten Minuten mischen sich erste deutlich vernehmbare Pfiffe in die ansonsten mucksmäuschenstille WM-Spielstätte von 1990. Aufgeweckt wird das Publikum erst durch einen schnell vorgetragenen Angriff, der dafür sorgt, dass Antonio Candreva urplötzlich vor Gästekeeper Crago auftaucht, im 1:1 Duell aber scheitert. Weitere Pfiffe erntet Spallettis Team nach rund 70 Minuten, als immer mehr Bälle völlig unnötig verloren gehen. Kaum zählbar, wie viele leichte Anspiele in den Füßen des Gegners landen, kaum auszuhalten, wie viele lange Bälle ins Nirwana oder ins Seitenaus geschlagen werden. Und wer weiß, wie sich das Geschehen weiter entwickelt hätte, hätte Cagliaris Ausgleich nach einer Ecke gezählt. Doch der feine Herr Videoschiedsrichter sorgt für die Annullierung des Treffers und dafür, dass einige Inter-Akteure daraufhin ziemlich widerlich provokant vor dem Gästeblock posieren.

Immerhin können die blau-schwarzen diese überheblichen Gesten in Folge mit Leistung unterfüttern. Mit einem doch recht ansehnlichen Schlussspurt verdient sich Inter letztlich den Erfolg: In der 75. Minute scheitert man noch per Kopf im Anschluss einer kurzen Ecke an der Querlatte, doch die letzte Standardsituation des Spiels ist für Cagliari dann nicht mehr zu verteidigen. Zwar unterläuft Politano an der Strafraumkante bei der Annahme der halbhoch herein gespielten Ecke ein technischer Fehler, doch wohl dem, der einen versprungenen Ball dann einfach Volley an den Innenpfosten und von dort ins Tor befördern kann. In der 89. Minute ist in San Siro somit die Entscheidung gefallen und das Publikum ist plötzlich wieder zum Leben erweckt. Gemeinsam hüpfend und singend schwört man sich schon jetzt auf das Derby gegen den Stadtrivalen ein, welches in zwei Wochen an Ort und Stelle ausgetragen werden wird. Vielleicht würde man hier die Faszination Giuseppe Meazza spüren können, die man nun zwei Mal erhofft und eben nicht erlebt hat.

Am U-Bahnhof läuft hingegen alles reibungslos. Die Menschenmassen werden dank zweierlei Countdowns bestmöglich sortiert. Der erste Countdown zeigt bei geschlossenen Türen die verbleibende Zeit, bis sich diese wieder öffnen, der zweite zählt von 450 Menschen, die offenbar gleichzeitig in eine vollautomatisierte Bahn passen, rückwärts bis Null, ehe sich die Tore wieder verschließen. Selten bis nie habe ich einen derart gut organisierten Ablauf erlebt, der dazu führt, dass wirklich niemand auf den Gedanken kommt, drängeln oder schieben zu müssen. Ob es morgen in Parma wohl genau so gesittet zugeht? Maybe yes, Maybe not! /hvg

16.09.2018 FSV Berolina Stralau 1901 – Berliner SC 1:2 (1:1) / Laskersportplatz / 55 Zs.

Der FSV Berolina Stralau ist unlängst in die höchste Berliner Spielklasse aufgestiegen. Wenn man schon einmal die Berlin-Liga vor der eigenen Haustür hat, sollte man tunlichst Anstrengungen unternehmen, zumindest einmal in der Saison das Angenehme (Fußball) mit dem Nützlichen (Zeit an der frischen Luft) zu verbinden. Man nimmt sich ja sonst viel zu selten Zeit für einen gediegenen Sonntagsspaziergang. Dieser dauert heute aber glücklicherweise nur 18 Minuten, sodass man sich nicht all zu lange über die Touristenhölle rund um das „RAW“-Gelände und die traurige Entwicklung in Flussnähe grämen muss. „Spreeufer für alle!“ – mit einem dicken Portemonnaie.

Da hilft nur König Fußball, um nicht direkt wieder in Weltschmerz zu verfallen. Der Aufsteiger aus Stralau ist gut in die Saison gestartet und hat in den ersten fünf Saisonspielen bereits fünf Punkte gehamstert. Der Berliner SC, der in den vergangenen Jahren immer im oberen Drittel der Tabelle zu finden war, ist bereits wieder auf dem vierten Rang platziert und untermauert in der Frühphase der Saison seine Ambitionen. Mit Marcus Mlynikowski (FSV) und Kiyan Soltanpour (BSC) stehen zwei ehemalige Union-Spieler auf den Kaderlisten beider Clubs, die Sonne scheint und den Lasker-Sportplatz habe ich bislang noch nicht gekreuzt. Freunde, mehr geht an einem Sonntag in Berlin nun wirklich nicht!

Als ich das Sportplatzgelände betrete, verfalle ich aber schnell in Sorge, ob das Spiel auf dem Hauptfeld stattfinden wird. Das „Rasen betreten verboten“-Schild verspricht jedenfalls zunächst wenig verheißungsvolles. Genau fünf Minuten, nachdem ich das Eingangsportal durchschritten habe, baut ein älterer Herr im Eingangsbereich des Sportplatzes seine Kasse auf. Noch bevor ich ihn fragen kann, ob denn heute auf dem Rasen gespielt werden wird, stoppt er pflichtbewusst einen Fahrradfahrer. Er dürfe keineswegs passieren, ohne einen Eintritt zu entrichten. Um die Sachlage noch etwas zu verkomplizieren, stellt sich heraus, dass der Fahrradfahrer nur der englischen, der Kassierer nur der deutschen Sprache mächtig ist. Ich stelle mich als Simultandolmetscher zur Verfügung und trage zur Völkerverständigung bei. Der Radler möchte das Spiel gar nicht sehen, sondern sich nur einen Überblick über die Sportstätte verschaffen, was ihm der freundliche Kassierer dann auch ohne die anfangs geforderte Eintrittszahlung ermöglicht. Nun ist es endlich an der Zeit, den Spielort zu erfragen. „Die Erste spielt uff Rasen!“, weiß der alte Mann zu meiner Zufriedenheit zu berichten. Pflichtbewusst frage ich nach, wie viel ich denn nun zahlen müsse. „Na nüscht. Wer so nett hilft, kommt umsonst rinn“ – Nächstenliebe muss sich wieder lohnen!

Ein Kick auf dem Kunstrasennebenplatz, welcher durch ansprechende Graffitikultur der angrenzenden Häuserwand aufgewertet wird, sorgt für kurzweilige Unterhaltung und eine gelungene zeitliche Überbrückung bis zum Anpfiff der Partie der Berlin-Liga. Ein Hopper aus Meck-Pomm mit deutlich sichtbarer Hansa-Affinität stattet der Gastronomie des Sportplatzes einen Besuch ab und kehrt mit einer Portion Spaghetti Bolognese auf die Tribüne zurück. Nicht nur, dass man dieses Gericht in den Stadien dieser Welt jetzt bislang eher selten auf den Speisekarten erblickt hätte, setzt man in Stralau noch eines drauf und serviert die Pastapracht auf echtem Porzellan. Vermutlich auch nur so lange, bis mal ein Linienrichter einen fliegenden Teller an den Nacken bekommt…

Von Kiyan Soltanpour fehlt jede Spur, während Markus „Magic“ Mlynikowski, wie ihn der Stadionsprecher attribuiert, zunächst nur auf der Bank Platz nehmen darf. Plötzlich fällt es mir wie Schuppen von den Augen – dieser Markus hier schreibt sich mit K und hat keierlei Unionbezug. Da habe ich wohl Markus Mlynikowski mit Marcus Mlynikowski verwechselt. Anfängerfehler!

Unter „Hell’s Bells“ Klängen laufen die Akteure beider Mannschaften auf den Laskersportplatz. Benannt ist die Spielstätte übrigens nach Emanuel Lasker, der laut Enzyklopädie „Schachspieler, Mathematiker und Philosoph“ war und dem somit der wohl schönste Wikipedia-Dreiklang nach Ernst Jünger („Offizier, Dandy und Insektenkundler“) zuteil wurde, nur noch getoppt durch die faktisch nicht zu widerlegende Erkenntnis, dass Lasker 1913 als Landwirt in Trebbin scheiterte, da er „nicht sehr praktisch veranlagt war“. Ich habe mich in der Zwischenzeit längst mit einem lediglich zwei Euro teuren Fassbier eingedeckt und gewöhne mich langsam an die etwas ungewohnte Sicht auf das Spielfeld. Die Tribüne steht leider nicht parallel zum grünen Geläuf, sondern weist eine etwas sonderbare Krümmung auf. Ob diese konkarv oder konvex verläuft, vermag ich nicht zu beurteilen. Noch bevor man angenehm alkoholisiert ist, besteht hier jedenfalls ein Blick wie durch ein Fischaugenobjektiv, der das Urteilsvermögen über Abseitsentscheidungen des geneigten Sportplatzbesuchers doch erheblich beeinträchtigt. Die Gefahr für den Linienrichter, von einem Teller Spaghetti erschlagen zu werden, steigt bereits jetzt in bedenkliche Grenzbereiche an.

Das Spiel hat zu Beginn jedoch nur wenig erbauliches zu bieten. Es dauert gut eine Viertelstunde, ehe ein verheerender Fehlpass in der Stralauer Abwehr in den Füßen von BSC-Stürmer Saberdest landet und für den ersten Aufreger sorgt. Doch dieser zeigt sich angesichts des Geschenks auf dem Silbertablett gleichermaßen überrascht wie überfordert und vertändelt kläglich. Mehr Unterhaltung bietet da schon das Kneipenpärchen aus dem „Degendorff“, das nicht nur beim 1.FC Union, sondern auch bei Lichtenberg 47, Fortuna Biesdorf und eben bei Berolina sein Unwesen treibt und in dessen Nähe ich mich begeben habe. Auf einem schlauen Mobiltelefon wird mir das 500. Karrieretor von Zlatan Ibrahimović gezeigt, welches er heute Nacht gegen Toronto erzielt hat. Und, wie es sich für Zlatan gehört, ist es wieder einmal einer dieser Treffer, bei denen sich Otto Normalverbraucher bereits beim bloßen Zusehen die Hüfte verrenkt. Der Mund steht vor lauter Staunen noch offen, als urplötzlich ein Fernschuss der Gäste in den Maschen Stralaus landet. Gouhari hat alle Zeit der Welt, wird nicht angegangen und verwandelt trocken aus gut 20 Metern. Torhüter Poßnien fällt wie die sprichwörtliche Bahnschranke.

In Folge dominiert der Favorit aus dem Grunewald die Partie. Die Mannschaft wirkt sortierter, reifer, zeigt die wesentlich bessere Spielanlage und drängt auf das 0:2. Nach einer halben Stunde hätte das Tor fallen müssen, doch einen 3 auf 1 Angriff können die Gäste nicht verwandeln, da der finale Querpass erbärmlich schlampig gespielt wird. Erst zwei Minuten vor dem Halbzeitpfiff gelingt den Stralauern der erste Torabschluss. Mich zieht es im Anschluss an den Wurststand, an dem ich mir eine leckere Sucuk für humane 2,50€ gönne und dabei den 1:1 Ausgleich durch Kleßny verpasse. Ein Tor aus dem Nichts heraus – wie gestern das 1:0 durch Gogia gegen den MSV Duisburg, welches ich am Bierstand erleben musste. Der Running Gag des Wochenendes. Vielleicht sollte man sich aber auch einfach wieder angewöhnen, das mit dem wohlstandsverwahrlosten Fressen und Saufen erst NACH dem Halbzeitpfiff anzugehen.

In der Halbzeitpause bleibt es mit den beiden weitgereisten Deggendorfern unterhaltsam. Dankenswerterweise überlassen sie mir eine Eintrittskarte für die Sammlung dahoam und ich erfahre, dass ich für diesen Kick 6 € hätte zahlen müssen. Ergibt bei sechs Minuten Dolmetscherarbeit also einen Stundenlohn von 60 € – vielleicht sollte ich beruflich noch einmal umsatteln [Anm. der Red.: Natürlich hat sich unser Autor mit Dyskalkulie beim ersten Versuch verrechnet. Ob die Zahl jetzt stimmt, ist nicht verifizert]. Darüber hinaus profitiere ich vom Insiderwissen der Dauergäste des Laskersportplatzes: Mittelfeldspieler Jan Pütz hat unlängst geheiratet und heißt jetzt Koch. Ha, da guckt unser Nachbar, der eben den Namen des Mannschaftskapitäns vergeblich auf dem Spielberichtsbogen gesucht hatte, aber erstaunt aus der Wäsche.

Die zweite Hälfte „beginnt“ mit einem Paukenschlag. Torschütze Kleßny grätscht im Niemandsland des Mittelfelds von hinten kommend in seinen Gegenspieler herein. Foul, klare Sache, aber kein Grund zur Aufregung. Schiedsrichter Pawlowski (und Assistent Kai Kaltwasser an der Seitenlinie) sehen das jedoch anders und entscheiden nach kurzer Absprache: glatt Rot (52.)! Wer nun darauf hofft, dass sich aufgrund der nummerischen Überlegenheit des BSC ein attraktiveres Fußballspiel entwickeln wird, wird jäh enttäuscht. Die nächsten Notizen gebe ich gerne ungeschönt an Euch weiter: 65′ langweilig spiel ohne höhepkte, 75′ weiter nix los auf rasen.

Berolina macht’s wie Emanuel Lasker, dessen Schachspiel als „pragmatisch und kämpferisch“ beschrieben wird, charakterisiert durch „wenige offensichtliche Fehler“ und der Gabe, „schlechtere Stellungen ausgezeichnet verteidigen“ zu können. So trudelt das Spiel recht ereignislos dem Ende entgegen, als plötzlich ein Seitfallzieher der Gäste zum vielumjubelten 1:2 in den Maschen zappelt (81.). Das Duo Pawlowski/Kaltwasser entscheidet, das Tor nicht zu geben. Mit Hornhaut- und Tribünenkrümmung zwar nur zu erahnen, doch vermutlich hat ein BSC-Akteur im Sichtfeld des Keepers und zeitgleich abseits gestanden. Der Teller Spaghetti ist zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise längst retour gegangen…

Sportskamerad Boachie handelt sich 14 Minuten nach seiner Einwechslung dank einer sportlich eleganten Beleidigung eines eigenen Mitspielers die rote Karte ein. Die Kräfteverhältnisse auf dem Platz sind für die letzten vier Minuten der Partie nun also wieder ausgeglichen und gemeinsam mit dem ebenfalls ausgeschlossenen Kleßny hängt Boachie an der Reling herum und alles geht „Kwasi“ von einem schiedlich-friedlichen Remis aus. Auch Markus „Magic“ Mlynikowski dürfte seit seiner Einwechslung in Minute 89 ähnliches gedacht haben, doch da haben alle Zuschauer und Spieler ihre Rechnung ohne Saberdest gemacht, der mit der allerletzten Aktion in der Nachspielzeit doch tatsächlich für den BSC noch den Deckel drauf macht. Wer vor dem Sechzehner nicht attackiert wird, der schlenzt einem den Ball eben auch manchmal aus mehr als 20 Metern in die lange Ecke. Poßniens Reaktion bleibt aus, es folgt der Abpfiff in die Jubeltraube der BSC-Akteure hinein, die nun etwas schmeichelhafte drei Punkte mit nach Hause nehmen können.

Da es sich bei Stralau offenbar um Späti-Sperrgebiet handelt, kann ich hingegen nicht einmal ein Wegbier mit nach Hause nehmen. Mit Blick auf das Neubaughetto rund um den Bahnhof Ostkreuz kehrt jedoch schnell Erleichterung ein: Der Sonntagsspaziergang nach Hause dauert ja zum Glück nur 18 Minuten… /hvg

09.09.2018 SC Borsigwalde 1910 – Charlottenburger FC Hertha 06 1:0 (0:0) / Sportplatz Tietzstraße / 70 Zs.

Ganz gleich, ob Celtic Glasgow, Ajax Amsterdam oder Eintracht Wandlitz. In diesem Blog gebührt jedem Spiel die gleiche Aufmerksamkeit. In jüngster Vergangenheit haben es zwei Spiele dennoch nicht auf dieses Portal geschafft, weil die „Stadionerlebnisse“ dermaßen enttäuschend waren, dass ich die Besuche jeweils zur Halbzeit abgebrochen habe. Beim Freundschaftsspiel FC Polonia Berlin gegen Stal Szczecin fehlten am Borsigturm polnisches Bier, polnische Wurst vom Grill, Polinnen und Pyrotechnik, beim gestrigen Pokalderby zwischen dem RFC Liberta und den Füchsen in der Scharnweberstraße schlichtweg jedwede Derbystimmung und Spannung. Nun versuche ich es also innerhalb kürzester Zeit ein drittes Mal mit dem Randbezirk Reinickendorf. Ob man in der ersten Paul-Rusch-Pokal-Hauptrunde zwischen dem Bezirksligisten aus Borsigwalde und den Charlottenburger Oberligakickern wohl auf seine Kosten kommen wird?

Hoffnungen auf eine Sensation sind durchaus berechtigt, schließlich hatten die tapferen Borsigwalder in der Saison 2015/16 schon einmal das Kunststück fertiggebracht, einen Oberligisten auszuschalten. Damals – fast auf den Tag genau vor drei Jahren – wurde der BSV Hürtürkel auf deren Platz mit 2:1 in die Knie gezwungen. In der „Fußball-Woche“ wurde Harald Briege damals mit den Worten zitiert: „Wir reißen jetzt vor Freude unser Vereinsheim ab“ und auch das Titelbild der Zeitschrift gehörte damals dem SCB.
Funfact am Rande: Darüber hinaus haben die Herthaner statistisch gesehen alle Pokalspiele auf Reinickendorfer Boden verloren, welche von mir besucht worden sind. Kann also rein gar nichts mehr schiefgehen.

So es denn gelingt, die erste Hürde zu meistern: Mein Vater ist als Stammgast des Sportplatzes einigermaßen geschockt, dass der gastgebende Verein heute eine Eintrittszahlung verlangt. An der Kasse sitzt eine Dame, die aktuell einen Englischkurs bei meiner Tante belegt und ich erinnere mich plötzlich wieder daran, warum ich hier einst die Flucht ergriffen habe. Immer wieder faszinierend und erschreckend zugleich, wie viel Dorf sich hier und da doch inmitten der Großstadt versteckt hält. Nach zäher Verhandlungsphase wird uns immerhin ein Sonderpreis errechnet, wobei wir der Dame schon etwas unter die Arme greifen müssen, dass zwei ermäßigte Tickets und ein gratis Eintritt insgesamt 5,00 € ergeben und nicht etwa 7,50 €. Als dann auch noch die beiden ersten Wechselgeldversuche kläglich scheitern, wird eines klar: Hätte die Dame mal lieber einen Mathekurs bei meiner Tante gebucht…

In der letzten Saison hatte sich der SC Borsigwalde 1910 übrigens ebenfalls für die erste Hauptrunde qualifiziert, durfte an dieser dann allerdings nicht teilnehmen, weil im Qualifikationsspiel gegen Normannia ein nicht spielberechtigter Akteur eingesetzt worden war.

Nach der einjährigen Pokal-Zwangspause sind die Borsigwalder heute von der ersten Sekunde an hellwach und sehr präsent im Spiel. Mit jeder Menge Kommunikation in den eigenen Reihen, positiver Körpersprache, harter Zweikampfführung und gegenseitiger Motivation bringen die Spieler des Underdog jede Menge Feuer in die Partie. Zwei erste Kopfballchancen nach der ersten Viertelstunde geben den Borsigwaldern weiteren Rückenwind. Auch nach einer halben Stunde haben die Gäste aus Charlottenburg noch nicht in das Spiel gefunden. Sebastian Ghasemi-Nobakht, 34 Jahre alt, einst für die SpVgg Greuther Fürth in der 2. Bundesliga (12 Einsätze, zwei Tore) und in der dritthöchsten Spielklasse für Fürth und Ahlen aktiv (34 Einsätze, fünf Tore), wird von Sekunde zu Sekunde unzufriedener. Genau wie der mitgereiste Schlachtenbummler neben uns reibt er sich in Diskussionen mit dem Schiedsrichter auf und schimpft immer ausgiebiger über seine eigenen Mitspieler. So richtig fruchten diese Ansagen aber nicht – bis auf einige Abschlüsse aus zweiter Reihe und einer Direktabnahme über das Tor, gibt es nicht viel zu notieren. Stattdessen ist es der Bezirksligist, der nach 33 Minuten beinahe in Führung gehen kann, doch eine Doppelchance bleibt leider ungenutzt. Einmal reagiert Keeper Braunsdorf glänzend, den Nachschuss schiebt der heran eilende Borsigwalder neben den Kasten. Nun ist es auch bei Hertha-Coach Murat Tik mit der Ruhe vorbei und er geht lautstark ins Gericht mit seinen Mannen. Nach Abpfiff des ersten Spielabschnitts holt er sich vom souveränen Schiedsrichter die gelbe Karte wegen Ballwegschlagens ab. Zufriedenheit sieht anders aus…

In der Halbzeitpause wird das umfangreiche Speisen- und Getränkeangebot des Vereinsheims, welches den legendären Sieg von 2015 also glücklicherweise überstanden zu haben scheint, getestet und für sehr gut befunden. Da kann sich manch ein höherklassiger Verein durchaus eine Scheibe abschneiden. Von der sonnigen Terrasse aus hat man besten Blick auf das Spielfeld, um das sich auf beiden Längsseiten nur wenige Zuschauer versammelt haben. Die meisten Besucher des Sportplatzes sitzen hier bei einem Gläschen Bier und harren der Dinge, die in der zweiten Halbzeit noch so kommen mögen.

Auch zu Beginn der zweiten Hälfte kann Borsigwalde zunächst an den großen Auftritt der ersten 45 Minuten anknüpfen. Dann erlangt der Favorit aber nach und nach Oberwasser. In der 53. Minute klärt Borsigwalde nicht klar genug, den Querschläger im Strafraum versemmelt der Charlottenburger Angreifer aber kläglich, anstatt ihn mit etwas mehr Übersicht noch einmal quer zu legen. Die Borsigwalder werfen sich in alle Schüsse und verteidigen mit Mann und Maus – in der 60. Minute wird so ein Erfolg versprechender Abschluss des CFC gerade so geblockt, als der Torwart schon in die falsche Ecke unterwegs war. Als Ayvaz‘ Flachschuss aus 16 Metern nur knapp neben das Tor streicht, zieht sich der Strick langsam zu. In der 69. Minute scheitert Stoßstürmer Cakir am Pfosten und nach 75 Minuten muss man durchaus konstatieren, dass Borsigwalde hier mit dem Rücken zur Wand steht. Nach 30 Minuten ohne eigenen Ballbesitz in der gegnerischen Hälfte gelingt dann endlich die erste Entlastung und um ein Haar hätte der Konter den Spielverlauf auf den Kopf gestellt, doch nach der Hereingabe und dem „Tip-In“-Versuch des Angreifers fehlen nur wenige Millimeter zur faustdicken Überraschung. Ghasemi-Nobakht holt sich mittlerweile die Bälle tief aus der eigenen Hälfte, um diese nach Vorne zu treiben. Je weniger Zeit auf der Uhr verbleibt, desto hektischer werden die Charlottenburger und auch der eine oder andere Verzweiflungsschuss des Ex-Profis aus teilweise über dreißig Metern verfehlt sein Ziel deutlich.

Die Zeit spielt den Borsigwaldern weiter in die Karten. Es sind nur noch wenige Minuten zu spielen, den Herthanern fällt nicht viel ein. Borsigwalde kloppt den Ball noch einmal weit in die gegnerische Hälfte, auf der rechten Außenbahn wird der Borsigwalder Flügelstürmer gestellt und mit drei Mann bedrängt. Hertha will schnellstmöglich den Ballbesitz wiedererlangen, um noch einen letzten Angriff fahren zu können. Aus der Not heraus schlägt der Außenbahnspieler den Ball weit und hoch in Richtung Hertha-Tor. Schlussmann Braunsdorf unterschätzt den Ball, der sich am zweiten Pfosten senkt, wo sich der wohl kleinste Spieler auf dem Spielfeld, Michael Wolynski, in die Höhe schraubt und den Ball in die Maschen nickt (90+1). Die gut 70 Zuschauer rasten nun regelrecht aus, es gibt kein Halten mehr. Das erste Mal, dass an einer Sportplatzreling derart frenetisch in Fettis Anwesenheit gefeiert wurde. Bierduschen auf Kunstgras, eine jubelnde Spielertraube, die Wolynski unter sich begräbt, einfach nur Fußballemotionen pur. Erst als Wolynski aus dieser Traube wieder auftaucht, erhält er die gelbe Karte. Dabei war das vor Pathos nur so triefende und überaus stilsichere Polska-Shirt, welches er jubelnd gezeigt hatte, nun wirklich keine Bestrafung wert. Wolynski, der aus der Jugend von Pogon stammt, war übrigens 2015 von Stal Szczecin nach Borsigwalde gewechselt.

Den Nachmittag lasse ich mit meinen Eltern auf der Terrasse des Vereinsheims ausklingen. Am Nachbartisch sitzt Gästetrainer Tik mit seinem Assistenten. Beide rühren niedergeschlagen in ihrem Kaffee herum und werten die Niederlage aus. Das unvermeidliche „fupa“-Interview lässt Tik sichtlich angenervt über sich ergehen, zeigt sich aber auch hier als fairer Sportsmann, der den couragierten Auftritt des Bezirksligisten herausstellt, während die Borsigwalder Spieler nebenan die Kabine abreißen.

Wie schon im Jahr 2015 wird das Titelbild der „Fußball-Woche“ am Montagmorgen dem SC Borsigwalde gehören. „Die Sensation der ersten Pokalrunde“ sei möglich geworden, weil „wir einen Sahnetag hatten“, darf Harald Briege, dritter Vorsitzender des Clubs, auch dieses Mal nicht mit seinen Worten fehlen. Und so schließt sich dann wohl endgültig der Kreis für diesen Bericht über ein Reinickendorfer Fußballspiel, welches zu jeder Sekunde ein Genuss war… oder eben ein „Sahnetag“ für Fetti! /hvg

07.09.2018 FK Srbija Berlin – Tennis Borussia Berlin 1:5 (0:2) / Sportplatz Ziegelhof / 250 Zs.

Freitagabend, Flutlicht. Paul-Rusch-Pokal in Serbien. Leidenschaft, Pyrotechnik, streunende Hunde, Ćevapčići – Balkan halt. Diese verlockende Aussicht auf soviel Schönes trägt heute gleich drei FUDU-Jünger durch den (Arbeits-)tag, auch wenn der Tagesausflug nach Србија etwas dadurch beschnitten ist, dass das Spiel aus Sicherheitsgründen leider in Spandau bei Berlin stattfinden wird.

Dennoch ist die Vorfreude mit Händen greifbar, als man sich zu dritt vom Bahnhof Spandau fußläufig in Richtung Havel begibt. Der Sportplatz Ziegelhof, der im Ligabetrieb vom FC Spandau 06 bespielt wird, glänzt zunächst einmal durch seine schöne Lage in Wassernähe. Der Tickermann von fupa.net lässt es sich auch nicht nehmen, eindringlich auf diese Idylle hinzuweisen: Man kann sogar „die Masten der Schiffe sehen!“ – beeindruckend. Weniger schön hingegen ist, dass der Gastgeber der heutigen Erstrundenpartie offenbar einen zahlenmäßig starken Gästeanhang erwartet und den großen Reibach machen will. 8,00 € Eintritt für ein Heimspiel eines Landesligisten liegen jedenfalls deutlich über den Erwartungen Fettis, der nur noch einen Fünfer einstecken hat und sich daher ermäßigten Eintritt erschleichen muss. Völlig mittellos begibt er sich im Anschluss in die Obhut seiner Freunde, die ihm ein Bier vorfinanzieren. Ein serbischer Schankwart ist redlich (TeBe-Party-Army, nimm das!) bemüht, aus circa 37 Bechern voller Schaum drei komplette Bier zusammenzuschustern. Und so schüttet er einen Becher in den nächsten und lässt das flüssige Gold wie bei einem Hütchenspiel geschickt hin und her wandern, ehe er wieder alles zurück auf Anfang setzt und ab und zu den Hahn aufdreht, bis die Freude wieder überschäumt. Nur der erfahrene Biersommelier weiß: Drei gute Biere dauern nun mal 21 Minuten!

Die Entscheidung gegen die Ćevapčići vom Sportplatz ist dann wesentlich schneller gefallen. Niemand dreht FUDU lieblos in die Fritteuse gekippte Tiefkühl-Würste für dreiste vier Euro an. Was zur Hölle ist los mit Dir, ФК Србија?

Aber so ist es nun einmal häufiger, wenn man mit einer zu hohen Anspruchshaltung an Dinge herangeht. Da kann man nur immer und immer wieder aus „Hot Shots“ zitieren, jenes intellektuelle Meisterwerk des späten 20. Jahrhunderts, welches nicht völlig zu Unrecht mit dem Untertitel „Mutter aller Filme“ versehen wurde: „Hey Topper, was liest du da?“ – „Große Erwartungen“ –
„Und, ist es gut?“ – „Ich hab mir mehr davon erhofft…“!

So also stehen wir mit unserem abgestandenen Bier, welches schal schmeckt, auf Höhe der Mittellinie und werfen einen Blick auf den Sportplatz. Dieser ist auf beiden Längsseiten mit Stehstufen ausgebaut. Auf der uns gegenüberliegenden Seite befinden sich gut 50 TeBe-Fans und darüber hinaus auch zwei kleine Holzpodeste der Marke Eigenbau, die dem neutralen Beobachter Gelegenheit zum Sitzen bieten. Als die beiden Teams den Rasen durch ein hochnotpeinliches aufblasbares Sponsoren-Spitzenspiel-Portal betreten, schätzen wir die Zuschauerzahl auf 160. Eine offizielle Angabe wird man später nirgends im Internet finden – nur die gute alte „Fußball-Woche“ vermeldet am Montag 250 zahlende. Müssen wir uns wohl auf diese Hausnummer verlassen.

Bei Daniel Mihajlovic, korpulenter Torhüter der Gastgeber, ist nach wenigen Spielminuten ebenso die Luft raus wie aus dem „AOK“-Gummi. Nachdem er die ersten beiden Abschläge vom Boden ins Seitenaus und maximal 35 Meter weit befördern konnte, übernimmt nun ein Verteidiger Verantwortung, um zwei weitere Versuche zwar zehn Meter weiter weg vom eigenen Tor, aber leider ebenso ins Seitenaus zu dreschen. In Ermangelung von Balljungen und bereitgelegten Reservebällen natürlich auch ein Mittel, um Zeit von der Uhr zu nehmen. TeBe hat so jedenfalls in den ersten zehn Minuten durchaus Problemchen, in das Spiel zu finden, doch dann lässt Fettis Freund Mihajlovic einen Kopfball aus Nahdistanz nach vorne prallen und Türkiyems ehemaliger Goalgetter Bekai Jagne sagt aus dem Gewühl heraus abstaubend „Danke“. Karim Benyamina, der laut Spielberichtsbogen genau seit heute urplötzlich Marco Karim Benyamina heißt, zeigt zehn Minuten später seine Klasse, doch leider kann sein halbhoher Zuckerpass hinter die vielbeinige Abwehrkette Srbijas durch Perkovic nicht verwandelt werden. Ansonsten wehrt sich der Außenseiter tapfer, kann in der 22. Minute mit letztem Einsatz einen Ball von der eigenen Torlinie kratzen und setzt dann erste eigene Akzente: TeBe-Torwart Aktas wird nach 25 beschäftigungslosen Minuten beinahe durch einen harmlosen Mondball überrumpelt, den er etwas stümperhaft direkt vor die Füße des angreifenden Mehmet Aydin abwehrt, welcher aber kläglich versiebt. Mit einem direkten Freistoß gelingt Srbija sechs Minuten später um ein Haar der Ausgleich, doch die gerade geweckten Hoffnungen auf eine Sensation erstickt Thiago Rockenbach da Silva in der 38. Minute mit einem wirklich herausragend guten Freistoß in den Winkel im Keim. Ein Tor, welches ich schöner nicht hätte erleben können – Hintertorperspektive! Mein Bierdurst, die zu erwartende Schaumparty am Bierstand (Sieben Minuten muss man dann für einen Becher schon einplanen, s.o.) und das mir überlassene Fremdkapital hatten es möglich gemacht…

In den zweiten Spielabschnitt startet Srbija aufgrund der letzten Positiverlebnisse des ersten Abschnitts (ein guter Angriff und einen Lattentreffer nach Eckball in der Nachspielzeit) recht beschwingt. So ganz haben sie den Glauben an eine Überraschung noch nicht aufgegeben, doch als nach gut einer Stunde die Kräfte schwinden und der erfahrene Abwehrchef Ronny Ermel nach 58 Minuten verletzungsbedingt das Feld verlassen muss, brechen hinten alle Dämme. Mit einem Doppelschlag in der 63. und 64. Minute schraubt Bekai Jagne das Ergebnis standesgemäß in die Höhe. Zwei Tore, die wir nur am Rande mitbekommen, weil sich FUDU in schwerer Recherchearbeit verheddert hat: Wer ist dieser blonde Jungspund mit der 24 von TeBe, der sich hier warmläuft? Doch nicht etwa ein ehemaliger Schüler von mir? Ergebnis der Recherche vom Ziegelhof: Fussball.de nennt 17 von 18 Kaderspielern der Borussen bei Namen. Nummer 24 bleibt auf diesem Medium bis heute unbekannt. Aber, bevor ich irgendeine dicke SAT.1 Blondine auf Spurensuche schicke, die dann 700 Ämter abklappert, 400 Nachbarn befragt, Anzeigen in Berliner Tageszeitungen schaltet und in Archiven von Kindertagesstätten wühlt, ehe sie google benutzt, übernehme ich das zu Hause lieber selbst und fange bei „Vermisst!“-Recherche-Stufe-5 an. Und siehe da, Tennis Borussia meldet auf seiner/ihrer/* Website eine Einwechslung von Lucas Nico Gurklys in Minute 64. Kenn ick nich.

Den Ehrentreffer erzielen die derben Serben dann in der 75. Minute. Nach einem Freistoß aus dem Halbfeld steht TeBe defensiv erstaunlich luftig, Aydin kann den Ball gut annehmen, verarbeiten und in die lange Ecke schieben. Enttäuschend, dass selbst in diesem Moment keine Stimmung auf dem Sportplatz aufkommt – kaum Jubel, keine Ekstase, keine Provokationen, keine Pyrotechnik. Und neben uns gibt es hier übrigens auch keinerlei weitere streunende Köter. Ein bisschen mehr Balkan hätte es dann schon sein dürfen. Liegt aber vielleicht auch daran, dass hier keiner was am Ball kann.

Nach dem 5:1 durch Jagne, der nach einem Eckstoß und einem Flachschuss von Göwecke in der 85. Minute noch die Hacke an das Spielgerät bekommt und so seinen vierten Treffer des Tages erzielt, hört man dann auch erstmals die Fanszene TeBe’s, die nun den „Ao-ka-Pokal“ besingen und dem Vernehmen nach demnächst nach Berlin fahren werden. Auch der englische Klassiker rund um das Thema Bier wird zum Besten gegeben, wobei man diesen hier natürlich hätte umformulieren müssen: Please take me home, don’t wanna drink your foam!

Ansonsten befindet sich die Szene weiterhin im Protest gegen ihren windigen Geldgeber, der, wer hätte es ahnen können, mittlerweile allen im Dschungelcamp am Eichkamp mit seinen dubiosen Machenschaften auf die Nerven geht.

So sind auch die Feierlichkeiten von Mannschaft und Fans heute von keiner großen Euphorie geprägt. Marco Karim wird gleich schnell zu Hause sein, zumal er für seinen Mustang einen Top-Parkplatz in Sportplatznähe gefunden hat. Unsere Reisegruppe hat es auch etwas eilig und lässt den „Spandauer Bierbrunnen“ links liegen. Der Weg aus Serbien in Spandau bei Berlin zurück in die Innenstadt ist dann aber doch zu weit, ihn gänzlich ohne Bier bewältigen zu können. Und so kehrt Fetti mit seinen Freunden noch im „real,-“ ein und lässt den lauen Pokalabend königlich, aber mit Schulden, ausklingen. /hvg