245 245 FUDUTOURS International 23.04.24 14:50:01

13.08.2017 1.FC Saarbrücken – 1.FC Union Berlin 1:2 n.V. (1:1, 1:1) / Hermann-Neuberger-Stadion / 6.936 Zs.

Am Vorabend der ersten Runde des DFB-Pokals 2017/18 habe ich Saarbrücken erreicht. Hinter mir liegt die Königsetappe Rimini-Milano-Bergamo-Luxembourg, die ich an diesem Samstag auf einer Pobacke abgesessen habe. Der freundliche Pensionsbesitzer schüttelt nur ungläubig den Kopf, als ich auf Nachfrage, wie ich denn angereist sei, eben jenes zum Besten gebe. Und auch ich lasse nur kurz darauf in meinem Zimmer bei einem leckeren Bofferding die Anreise noch ein wenig sacken. Schön war der defekte Ticketautomat am Luxembourg Airport, der mir einen gratis Shuttle in die Innenstadt ermöglichte und daher haargenau 2 € meines perfekt ausgereizten Reisebudgets übrig geblieben waren, die ich geschwind in zwei Dosen des luxemburgischen Qualitätsbieres eintauschen konnte. Weniger angenehm war dann der Umstand, dass zwischen dem Gare Lëtzebuerg und dem Hauptbahnhof Saarbrücken aufgrund von Bauarbeiten keine Züge verkehrten und man daher auf einen Bus mit dem wunderbaren Namen „Saarbrücken-Express“ ausweichen musste. Dieser war mit neun Leuten dann entsprechend der Attraktivität seines Ziels auch angemessen besetzt und passierte 88 Straßenkilometer später das illustre Örtchen Völklingen. Der geneigte Europatourist kann sich nach Ansicht der Schwerindustrie (Stahlwerk Röchlingen) und des Kraftwerks Völklingen/Fenne eine Reise in die Ukraine getrost sparen – schlimmer kann es dort auch nicht aussehen. „Aber wir haben doch etwas zur Aufwertung des Ambientes getan“, werden die Städteplaner womöglich entgegnen. Aber entscheidet doch einfach selbst, ob euch ein „Völklingen“-Schriftzug am Saarufer im Stile der Hollywood Hills von der Bedrückung der qualmenden Schlote vor dem Ortseingang abzulenken vermag. Ich bin mir jedenfalls bereits jetzt vollends sicher: Das wird morgen sicherlich ein schöner Ausflug!

Zunächst gilt es jedoch, den aus München angereisten Wirtschaftsflüchtling am Hauptbahnhof von Saarbrücken einzusammeln und der Innenstadt unsere Aufwartung zu machen. Dort ist recht schnell festgestellt, dass Saarbrücken am Samstagabend vor Lebensfreude nicht gerade übersprudelt und so werden uns die ersten drei Kneipentüren gegen Mitternacht vor der Nase zugeschlagen. Zapfenstreich! Geöffnet hat nur noch das „Glühwürmchen“ am St. Johanner Markt – übrigens seit 1974, wie wir recht bald von den sympathischen Kneipengästen erfahren. Die Wirtin ist zunächst nicht sonderlich erfreut, zwei weitere Berliner bewirten zu müssen, seien heute doch bereits auffällig viele Hauptstädter zu Gast gewesen. Sie bittet uns darum, einfach nicht so laut zu singen und schenkt uns dann zwei Karlsberg aus und in uns macht sich dieses längst vergessene Gefühl aus Regionalligazeiten breit, in welchen man ständig Kleinstädte eingenommen hatte und für Irritationen bei der Landbevölkerung sorgte. In der Kneipe befinden sich zwei betrunkene Engländer, die dem Wirtschaftsflüchtling recht schnell wegen seines „fucking accents“ an den Kragen wollen („My family is from New Zealand!“) und dann von der Wirtin resolut aus der Gaststätte entfernt werden. Uns zieht es dann in die laue Sommernacht nach draußen, wo uns Pizzabäcker Birol, sein Sohn im Galatasaray-Shirt und Wolfgang, ehemals Musiklehrer in der Ritterstraße in Kreuzberg und womöglich gar mein Kollege zu der Zeit, als ich in selbiger Schule mein FSJ absolviert hatte, herzlich an ihrem Tisch empfangen. Die Welt ist klein, das morgige Spiel schnell thematisiert und am grünen (Bier-)tisch bereits zu Gunsten 1.FC Union entschieden worden. Zwei-drei Bier später fallen wir auch schon zufrieden in die Betten. Tja, damals war die Welt im „Glühwürmchen“ noch in Ordnung

Am nächsten Morgen sitze ich am Frühstückstisch meiner Pension. Mir gegenüber sitzt ein Pärchen mittleren Alters, das wirklich sehr sympathisch miteinander umgeht. Hier ein Kompliment, dort ein Küsschen, dazu recht viel Humor und ansprechende Themen. Ich bin heilfroh, mich endlich einmal nicht für meine Mitmenschen schämen zu müssen und verweile noch ein wenig am Tisch, obwohl ich eigentlich bereits mit dem Frühstück fertig bin. Was auch daran liegen könnte, dass ich aufgeschnappt habe, dass die beiden auf ihre Tochter warten und hierdurch meine Neugierde unleugbar geweckt worden ist. Ein paar Minuten später steigt die Geräuschkulisse im Treppenhaus. Bereits das laute Stampfen, welches sie beim Hinunterlaufen der Treppen erzeugt, vermag die hohen Erwartungen etwas zu dämpfen. Als sie den Raum betritt, zerplatzen all meine Illusionen und Vorstellungen wie Seifenblasen. Laut, anstrengend, nervig, raumfüllend, unattraktiv sind Attributierungen, die sie innerhalb weniger Augenblicke für sich gewinnen kann. Puh. Was für eine Enttäuschung meiner Erwartungshaltung – und das, noch bevor der 1.FC Union abermals in der ersten Runde des DFB-Pokals ausgeschieden ist.

Ich schüttele mich kurz durch, wünsche dem Pärchen mittleren Alters im Geiste weiterhin ein stabiles Band zwischen sich, welches die Belastungen dieses Trampeltiers von Tochter zu halten im Stande ist und mache mich fußläufig auf in Richtung „Glühwürmchen“, in dem ich gemeinsam mit dem Wirtschaftsflüchtling und Hannes nun dringend ein Aufwärmbierchen vor der Weiterreise nach Völklingen trinken muss.

Dort ist es abermals so gemütlich, dass wir unseren eigentlichen Plan, dem „Bruch Brauereifest“ in der Scheidter Straße einen Besuch abzustatten, schnell verwerfen und letztlich sogar unsere avisierte Regionalbahnverbindung nach Völklingen verpassen werden.

Nach und nach trudeln neben uns dann aber auch alle anderen FUDU-Schweine verspätet am Völklinger Bahnhof ein und vorbei an schäbiger Völklinger Industriebrache (die „Völklinger Hütte“ liegt seit 1986 still und wird allen Ernstes als Weltkulturerbe geführt) geht es zu Fuß durch die viertgrößte Stadt des Saarlands. Bereits jetzt kommt es zu einer Durchmischung mit Saarbrücker Fußballfans, die so aussehen, wie Fußballfans in den 80er-Jahren eben ausgesehen haben. Waldhof Mannheim und Rot-Weiß Essen lassen grüßen. Wer auf Zeitreisen steht, sollte all diese Ziele ansteuern…

… und so dauert es auch nicht lange, bis wir uns in verbalen Scharmützeln mit der intelligenzgeminderten heimischen Anhängerschaft befinden. Angesichts der ruralen Umgebung lässt es sich Fetti nicht nehmen, ein wenig großstädtisch-arrogante Kommentare fallen zu lassen. Ein Park zu unserer rechten lädt zu Drittortsauseinandersetzungen ein, lässt er verlauten. Ein Saarbrücker springt darauf an und fordert uns zum Duell heraus: „Hajo, geh mia halt auf de andre Seit!“. Teile FUDUs erkundigen sich sorgenvoll, ob der Sprachfehler heilbar wäre, was das Gegenüber blitzsauber kontert: „Bisch der Til Schweiger oder warum nuschelst ebe so?“. Es folgt noch ein wenig nerviges Blablabla, doch eine wirkliche Eskalation lässt sich verhindern, indem man nun nicht mehr auf das Hinterwäldlerisch reagiert und dem saarländischen Agent Provocateur die noch 20 Mal gestellte Frage, ob man denn nun auf „de andre Seit“ gehen wolle, unbeantwortet lässt. Wie sagt der Saarländer: „So unnedisch wie em Papschd sei Knepp!“ – und wer bislang glaubte, die schlimmste Gegend Deutschlands sei in Rheinland-Pfalz zu verorten, der wird hier schnell eines Besseren belehrt.

Am Stadion angekommen bin ich von Land und Leuten bereits restlos überzeugt und nehme das Angebot des Schwaben dankend an, mein Reisegepäck in seinem Mini zu verstauen. Da dieser in etwa auf Höhe Saarbrücken abgeparkt wurde, komme ich den Genuss, alles retour noch ein zweites Mal erleben zu dürfen. Im Anschluss können wir dann das Stadion betreten, welches vis-à-vis wesentlich schlimmer aussieht, als es die vorab im Internet eingesehenen Bilder vermuten lassen haben. Dreiviertel des Stadions sind gänzlich unbebaut, die überdachte Haupttribüne ist winzig klein und in den beiden Kurvenbereichen knäueln sich knappe 7.000 Menschen, darunter etwa 1.300 Fans in rot und weiß. Notdürftig aufgestellte Dixitoiletten, ein Bauwagenklo mit bedenklicher Schieflage und Imbissbuden vom Rummel runden das trostlose Stadionambiente im Gästebereich ab. Und dann ist der Schuppen auch noch nach einem ehemaligen Präsidenten des mafiösen Fußballverbandes benannt…

Deinen Pokal wollen wir aber trotzdem gewinnen, denken sich die Gästefans – jetzt gilt es nur noch, die eigene Mannschaft von diesem Vorhaben zu überzeugen. Gewohnt pomadig startet der 1.FC Union Berlin in den Wettbewerb und lässt den Ball weit fernab des gegnerischen Strafraums gemächlich in den eigenen Reihen zirkulieren. Der 1.FC Saarbrücken kann in aller Seelenruhe seine Defensive formieren und zeigt seinerseits erste gefährliche Ansätze, als Schönheim für den bereits geschlagenen Mesenhöhler retten muss (10.). Im Anschluss pendelt sich das Spiel wieder zwischen den Strafräumen ein und der Zweitligist diktiert mit gefühlten 80% Ballbesitz das Geschehen, jedoch ohne Tempo aufzunehmen. Die Führung gelingt nach 23 Minuten durch einen Kopfballtreffer von Schönheim nach Eckstoß durch Trimmel, sorgt allerdings keineswegs für Ruhe, da der Außenseiter nur fünf Minuten später zurückschlägt. Martin Dausch, ausgerechnet Dausch, trifft zum 1:1, doch der uns wohlgesonnene Schiedsrichter Storks hatte bereits vor dem Querpass auf Dausch abgepfiffen und auf Elfmeter entschieden. Dieser wird nun von Zeitz verschossen und im Lager Unions zeigt man sich dankbar über diese Art der Vorteilsauslegung.

Nun gelingt es dem 1.FC Saarbrücken Dominanz zu entwickeln und die überaus anfällig wirkende Gästeverteidigung um Kurzweg-Schösswendter-Schönheim-Trimmel in Nöte zu bringen. Die Kontrolle über das Mittelfeld ist längst verloren und der eine oder andere Steilpass führt zu guten Abschlussgelegenheiten der Saarländer. Nach 40 Minuten gleicht Behrens (ebenfalls nach einem Kopfstoß nach Eckball) zum nicht völlig unverdienten 1:1 aus.

In der zweiten Halbzeit wittert der Drittligist die große Sensation und spielt erfrischend offensiv auf. Einzig und allein Torwart Mesenhöler ist es zu verdanken, dass man sich letztlich mit einem Remis in die Verlängerung retten kann. Drei-Vier glasklare Torchancen Saarbrückens kann er vereiteln und auch ein Doppelwechsel in der eigenen Verteidigung kann nicht nachhaltig für Sicherheit sorgen. Saarbrücken ist gegen Ende der Partie der hohe Aufwand aber deutlich anzumerken und die Kraftreserven schwinden. Zwei Minuten vor Abpfiff der Partie taucht Polter plötzlich freistehend im Strafraum auf, kann den Ball aber hart (und elfmeterwürdig?) bedrängt aus Nahdistanz nicht verwandeln.

In der ersten Hälfte der Verlängerung liegen blau-schwarze Akteure immer häufiger von Krämpfen geplagt auf dem Rasen. Union kann letztlich Kapital aus der körperlichen Überlegenheit schlagen und geht nach 102 Minuten durch Simon Hedlund in Führung, welche es nun nur noch souverän verteidigend über die Zeit zu retten gilt. Pustekuchen. Nach 112 Minuten muss Mesenhöler noch einmal in höchster Not retten, aber dann ist es auch zur Erleichterung aller geschafft. Durchatmen. Fußball ist ein Ergebnissport. Abhaken. Und so endet Teil 1 des Sommerurlaubs mit folgender wohlklingender Erkenntnis: Nur noch fünf Siege bis zum Fick-Dich-DFB-Pokalsieg und immer noch ’ne Woche Urlaub auf der Uhr! /hvg